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Informationsmaschine Leviathan: Ein medientheoretischer Versuch über die Implementierbarkeit von Hobbes‘ Staatsentwurf

©2012 Bachelorarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

An zentralen Stellen seines Hauptwerkes Leviathan greift Thomas Hobbes auf Metaphern zurück, die für die gegenwärtige Medientheorie ebenso zentral geworden sind. Die vorliegende Arbeit greift diese Spur auf und rekonstruiert mittels eines close readings den Hobbes‘schen Staatsentwurf als „Informationsmaschine“ im Sinne des Medientheoretikers Friedrich A. Kittlers. Damit nicht genug versucht der Autor nachzuweisen, dass diese totale Maschine nur in der Theorie und formal funktioniert. Sobald der Leviathan aber in die politische Wirklichkeit implementiert wird, wird er von unreiner Kommunikation gestört. Diese Störungen erkannte Hobbes und versuchte sie als „Wunder“ oder „fides“ in seine Theorie zu integrieren. Letztlich scheiterten diese Versuche aber – wie alle totalitären politischen Theorien an der Realität des physikalischen Rauschens scheitern müssen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.1.1 Vernunft als Operation mit Begriffen: computo ergo sum

„Man weiß wohl, dass sie nicht denkt, diese Maschine. Wir sind´s, die sie gebaut haben, und sie denkt, was man ihr gesagt hat, dass sie denken soll. Aber wenn die Maschine nicht denkt, dann ist klar ist es klar, dass wir selbst auch nicht denken, in dem Moment, in dem wir eine Operation ausführen. Wir folgen exakt denselben Mechanismen wie die Maschinen.“[1]

Ähnlich wie in Lacans obiger Beschreibung operieren Hobbes’ Individuen allein im Symbolischen. Kontingentes, ereignishaftes Entstehen der Sprache ist der Vernunft vorgeordnet,[2] sodass kein metaphysischer Raum der Ideen und Wahrheiten verbleibt, aus dem Erkenntnis geschöpft werden könnte.[3] Schelsky liest Hobbes als „Linguisten“ und erkennt, dass „Vernunft nicht allein Prinzip der Wahrheit sein kann, sondern die Sprache das eigentliche, alle Wahrheit konstituierende Moment ist.“[4] Die menschliche Sprache ist im Gegensatz zur tierischen künstlich und baut auf arbiträren Signifikanten auf. Deswegen wird sie zum Gegenstand von Operationen oder Rechnungen:[5] „Denken [und damit auch Vernunft, Hobbes verwendet die Begriffe synonym.[6] M.P.] heißt nichts anderes als sich eine Gesamtsumme durch Addition von Teilen oder einen Rest durch Subtraktion einer Summe von einer anderen Vorzustellen.“[7] Das Ergebnis dieser Rechnung ist der Wille, „die Neigung, die beim Überlegen am Schluss überwiegt“[8] und damit nicht frei,[9] sondern im Gegenteil determiniert. Genau wie in der symbolischen Maschine wirft der Algorithmus des ‚Denkens‘ nur ein Ergebnis aus: „Denken kommt letztlich zu einem Abschluss, indem man entweder das Ziel erreicht oder von ihm ablässt.“[10] Es gibt also, wenn das Band anhält, nur zwei mögliche Zustände: Ja oder Nein, in Bezug auf die gerechnete Handlungsoption.

Vernunft ist „weder angeboren […], noch durch bloße Erfahrung erworben“[11], sondern hängt vom Umgang mit Sprache und den „schwankenden Bedeutungen“[12] oder Werten der Begriffe und Symbole ab. Da Vernunft so ausschließlich durch den Prozess des Rechnens definiert wird, werden „wahr und falsch“ „Attribute der Sprache“[13] und unentscheidbar (außer bei formalen Fehlern beim Rechnen,[14] dem wie): Nicht was, sondern allein die Tatsache, dass gerechnet wird - der Prozess – ist entscheidend: „Vernunft ist das Fortschreiten.“[15] So ergibt sich Hobbes’ Menschenbild: „Mensch und vernünftig sind von gleichem Umfang, da sie sich gegenseitig einschließen.“[16] Computo ergo sum.[17]

2.1.2 Begehren und Verzifferung: symbolische Maschinen

Der Begriff des ‚sum‘ oder ‚sein‘ wiederum verliert bei Hobbes alle metaphysischen und normativen Dimensionen und wird auf das bloße physische Überleben reduziert.[18] Es gibt kein gutes oder schlechtes Leben,[19] Überleben und damit Weiterrechnen wird zum Selbstzweck, denn Stillstand ist nicht eudaimonía, sondern der Tod.[20] Wieder ist der Prozess entscheidend: „Glückseligkeit ist ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen, wobei jedoch das Erlangen des einen Gegenstandes nur der Weg ist, der zum nächsten Gegenstand führt.“[21] In der Theorie bedeutet das infiniten Regress, in der Realität ist das Papierband irgendwann zu Ende. Die „Überführungsfunktionen der Bandbewegung“[22] erlauben keinen Stillstand und können somit als implementiertes Begehren[23] nach Macht bezeichnet werden. Sobald sich dieses Begehren auf einen konkreten Art und Weise der Machtakkumulation richtet, wird es verziffert[24] und damit operabel. Einem begehrten Gegenstand wird ein Lustwert zugeordnet, woraufhin mögliche Handlungsoptionen auf ihren Unlustwert abgefragt werden. Die beste Lust/Unlust-Bilanz bestimmt den Willen und damit die Handlung.[25] Sobald der Gegenstand erreicht wurde oder nicht erreicht werden konnte, richtet sich das Begehren auf einen anderen Gegenstand und ein neuer Lust/Unlust-Algorithmus läuft ab.

Der Gegenstand und das Ziel dieser Rechnungen/Handlungen, Macht, bleibt wie das Begehren diffus und nicht greifbar,[26] ist zugleich Mittel und Zweck[27] und immer „von der Einschätzung eines anderen abhängig.“[28] Erst in einen Kontext eingeordnet bekommt die Macht eines Menschen Sinn und einen Wert.[29] „Aus der Verzifferung […] entsteht mit Notwendigkeit der Ort des Anderen: kombinatorische Matrix von Strategien. Niemand begehrt oder kämpft (was dasselbe ist), wenn nicht andere begehren oder kämpfen würden.“[30] Das bellum omnium in omnes [31] entsteht erst durch Spiegelung im Anderen, die eine Vergleichbarkeit, eine Rechnung ermöglicht. Deswegen genügt die Möglichkeit, sich einen „egoistischen Nutzenmaximierer“[32] vorzustellen und durchzurechnen, um alle Menschen handeln zu lassen, „ als ob[33] der Andere ein solcher wäre.[34] Damit sind Hobbes’ Untertanen keine bloßen Geschosse oder Bienen,[35] sondern Cruise Missiles, da sie „die Subjektivität des Anderen miteinberechnen.“[36]

2.1.3 Kontextabhängigkeit der natürlichen Gesetze und der Vernunft

Wie ergeben sich dann das „Alphabet der zugelassenen Zeichen“ und die jeweiligen „Überführungsfunktionen“[37] dieser Rechnungen? Was sind die Algorithmen? Hobbes unterscheidet zwischen natürlichen und positiven Gesetzen, doch schon die Definition der natürlichen Gesetze zeigt die Problematik dieser Einteilung: „Ein lex naturalis ist eine von der Vernunft ermittelte Vorschrift oder allgemeine Regel.“[38]

Wie wir gesehen haben, ist jedoch die Sprache der Vernunft vorgeordnet, sodass eine grundsätzliche, metaphysische Allgemeinheit der Regel aufgrund des Spiels der Signifikanten nicht gegeben sein kann. Wenn Hobbes also seiner Methode „ Nosce te ipsum[39] nachgeht und in sich selbst die natürlichen Gesetze abliest (und damit zugleich selbst schreibt!), begibt er sich in den kontingenten Bereich der Symbole und Begriffe und findet so keinen sicheren Grund[40] außer eben souveräne Dezision.[41] Die Metaphysik natürlicher, reiner „Inschriften des menschlichen Herzens“[42] wird so ausgehebelt.

Diese radikale Kontextabhängigkeit der natürlichen Gesetze, also ihre Abhängigkeit von einem Interpreten, lässt im Zirkelschluss erkennen, dass für die Vernunft selbst kein ‚natürlicher‘ Maßstab mehr vorhanden ist, außer ihrem Verfahren, außer der Tatsache, dass gerechnet wird. Hobbes erkennt, dass es „keine von Natur eingesetzte“, verbindliche, „rechte Vernunft“[43] gibt, wodurch der Versuch mittels Vernunft die natürlichen Gesetze zu erschließen zum Scheitern verurteilt ist. Folgen wir also Hobbes Sprachtheorie, die in ihrem Kontingenzbewusstsein verstanden werden muss, bleibt nur der Schluss, dass die sogenannten natürlichen Gesetze durch ihre wesentliche Textualität ebenfalls positive Gesetze sind. Grundsätzlich bleibt der Untertan so ein beschreibbares und weißes Papier, auf dem keine natürlichen „Voreinstellungen“[44] programmiert sind. Hobbes schreibt in genannter Stelle sogar explizit vom Bedrucken der Papiere,[45] was nichts anderes heißt, als das er von diskreten Gutenberglettern ausgeht, was sich mit seinem Bild des Denkens als Umgang mit Symbolen noch besser vereinbaren lässt als Handschrift.

2.1.4 Fundament des kleinen Rechners

Darin besteht auch das grundsätzlich gleiche Potenzial der Untertanen, schließlich ist deren Programmierung in gewisser Weise kontingent, da jedes mögliche, in sich korrekte Programm auf jedem Untertanen laufen könnte.[46] Hobbes geht von grundsätzlich gleichen Möglichkeiten der Menschen aus: „Geistige Fähigkeiten […] sind [k]eine mit uns geborene, angeborene Fähigkeit,“[47] sondern sind vom Erlernen des ‚richtigen‘ Umgangs mit Wörtern, also einer Programmierung, abhängig. Erst durch das Begehren unterschiedlicher Gegenstände entstehen empirisch vorhandene „Verstandesunterschiede“[48], die sich in der unterschiedlichen Ausrichtung und Geschwindigkeit des Denkens ausdrücken.[49] Diese sind jedoch nicht Resultat einer unterschiedlichen angeborenen „Verfassung des Gehirns“[50], sondern von ihrer Programmierung abhängig. Grundsätzlich können geistige Fähigkeiten nie objektiv bestimmt werden und treten erst im Verhältnis zum Anderen zu Tage. Hobbes stellt pointiert fest, dass „jedermann mit seinem Anteil [an Geisteskraft] zufrieden ist“, was „Zeichen der gleichmäßigen Verteilung“[51] von dieser ist. Jeder glaubt die Beweggründe des Anderen zu seiner Zufriedenheit simulieren zu können und wähnt sich ihm deswegen zumindest gleichwertig.[52]

Körperliche Ungleichheit ist für Hobbes insofern irrelevant, als jeder jeden töten kann.[53] Deswegen leitet sich die Gleichberechtigung der Untertanen nicht aus einem Ideal - wie zum Beispiel der Menschenwürde[54] oder der Gleichheit vor Gott – ab, sondern allein aus ihrem Potenzial oder der „Fähigkeit“, als Cruise Missile den Anderen durchzurechnen und notfalls zu vernichten. „Der Unterschied zwischen den Menschen alles in allem nicht so beträchtlich ist, als dass der eine aufgrund dessen einen Vorteil beanspruchen könnte, den ein anderer nicht ebenso gut für sich verlangen dürfte.“[55]

Interessanterweise beruft sich Hobbes für diese These, obwohl sie sich eigentlich aus der strukturellen Gleichheit aller Papiermaschinen, die ständig alle denkmöglichen Handlungsoptionen - also auch Gewaltanwendung und Töten – durchrechnen, ergibt, auf die metaphysische Instanz einer aktiven Natürlichkeit.[56] Ähnlich wie im Falle der vermeintlich ‚natürlichen‘ Gesetze versucht Hobbes durch diesen Verweis - wahrscheinlich aus tages- oder realpolitischen Gründen – seiner Theorie mehr Legitimität zu verschaffen.[57] So setzt er die Natur als Fundament seiner Lehre, obwohl das Konzept sowohl seiner Sprachtheorie als auch seiner Epistemologie widerspricht. Der Akt des nosce te ipsum ist wie jedes Lesen an die Sprache gebunden und unterliegt damit dem Kontext des Interpreten. Die Relativierung der Kategorien ‚wahr‘ und ‚falsch‘ betrifft eben auch die implizierte ‚wahre‘ Erkenntnis von Hobbes beim Lesen und Schreiben der Natur.

Hobbes erkennt diese Problematik indirekt an, indem er an immer wieder in der ersten Person schreibt, wenn er sich selbst bzw. der Natur „der menschlichen Gattung“[58] liest: „So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der Menschheit, der nur mit dem Tode endet [Hervorhebung M.P.].“[59] Selbst das, was oben als Begehren im Kontext des Imperativs der Selbsterhaltung eingeführt wurde, ist insofern nur eine mögliche Lesart, deswegen nicht ‚natürlich‘, und definiert zugleich – neben der Verzifferung dieses Begehrens - den Menschen. So tritt Thomas Hobbes an den zentralen Passagen seiner Theorie als souveräner Autor und Interpret der Natur wie ein nicht erklärbarer deus ex machina hervor und konstruiert sich die Ausgangsbedingungen für seinen Staatsentwurf.[60]

Hier sind wir am eigentlichen Fundament der politischen Theorie des Thomas Hobbes angekommen: die Notwendigkeit souveräner Dezision.[61] Indem Hobbes die Definitionshoheit über die Inschrift der menschlichen Gattung ausübt,[62] über Begriffe souverän verfügt, sogar die Natur zu seinen Zwecken interpretiert, entwirft er die Theorie der absoluten Souveränität: Non est potestas super terram quam comparetur ei.[63] So wird das Medium zur Message:[64] Hobbes schreibt die politische Theorie der souveränen Dezision, indem er souverän liest.

Verliert das bisher Erörterte damit nicht an Legitimation, schließlich gibt es keinen Grund – im doppelten Sinne – an Hobbes’ konstruiertem Untertanen festzuhalten? Ist das nicht Relativismus in seiner reinsten Form? Im Folgenden werden wir sehen, dass diese Frage nach der Wahrheit aus Hobbes’ Perspektive zweitrangig ist: Da sein Konzept des Untertanen – zumindest formal - funktioniert, ist es als einziges Ergebnis seines Denkens ‚wahr‘. In diesem Sinne bezeichnet Hobbes seine Lehre als „spekulative Wahrheit“, die „in praktischen Nutzen verwandelt“ werden soll.[65]

2.2 Großer Rechner

Nachdem wir nun die strukturelle Gleichheit von symbolischen Maschinen und den Untertanen - und dabei auch die Gleichheit dieser Untertanmaschinen untereinander - nachgezeichnet haben, gilt es, deren Verschaltung mit dem Souverän zu verstehen, aus der sich der Leviathan zusammensetzt. Dabei wird der Vorgang der Verschaltung, also der vermeintliche Übergang von Naturzustand zur staatlichen Ordnung, als unergründbares Ereignis ausgeblendet.[66] Das Funktionieren soll im Fokus stehen, doch bevor wir uns der Frage zuwenden, wie dieses Funktionieren gewährleistet wird, muss zunächst geklärt werden, was Funktionieren in diesem Kontext bedeutet.

Der Untertan und der „sterbliche“[67] Staat teilen ein gemeinsames Ziel: die Sicherung ihres Überlebens durch die Akkumulation von Macht. Doch während das Überleben des Untertanen durch sein „physisches Dasein“[68], das ihm sein Immer-weiter-rechnen als Wetware erst ermöglicht, klar zu begreifen ist, ist ein Staat physisch nicht vorhanden – abgesehen von der materialisierten Information von ihm und über ihn. Laut Hobbes setzt sich der Leviathan aus seinen Untertanen zusammen,[69] die, wenn sie sich in seine Strukturen einordnen, seine Macht und Existenz begründen.

2.2.1 Ordnung und Überleben versus Chaos und Tod

Es gibt für Untertanen nur zwei Möglichkeiten aus dem Staat auszuscheiden: entweder sie sterben oder sie erkennen die souveräne Gewalt nicht mehr an. Die erste ist trivial, die zweite beinhaltet – wenn eine kritische Anzahl aus dem Staat austritt – dessen Zerfall und Tod, verbunden mit anschließendem bellum omnium in omnes. Da diese Bedingungen der brutalen Nutzenmaximierung und grausamen Logik der Prävention der Überlebenssicherung der Untertanen zuwiderlaufen, sollten sie eigentlich kein Interesse daran haben, den Staat zu verlassen – zumindest solange er den Schutz des Überlebens garantieren kann.

Das Überleben des Leviathan ist also in doppelter Hinsicht an das Überleben seiner Untertanen gekoppelt: Erstens setzt er sich aus ihnen zusammen und jeder, der stirbt oder austritt verkleinert seine Macht. Zweitens muss er mit aller Macht den Schutz seiner Untertanen garantieren, da es für sie sonst keinen Grund gibt, im Staat zu bleiben. Freilich lässt sich dieser Sicherheitseindruck nicht objektiv bestimmen, sondern ist allein Resultat der subjektiven Lust/Unlust-Rechnung der Untertanen, die wiederum, wie wir später sehen werden, wesentlich von deren Informiertheit oder Programmierung abhängt.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass Hobbes eine Dichotomie zwischen Überleben und Tod des Leviathan, zwischen staatlicher Ordnung und bellum omnium in omnes, konstruiert, in der kein Kontinuum verläuft: „Die Staatsmaschine funktioniert oder funktioniert nicht.“[70] Funktionieren heißt also das Aufrechterhalten einer Ordnung, Nicht-Funktionieren das Auflösen dieser Ordnung. Allein aus der Tatsache, dass sich Hobbes - trotz einer gewissen Sympathie für die Monarchie[71] - auf kein konkretes Regierungssystem für den Leviathan festlegt,[72] zeigt, dass es ihm allein um das Vermeiden des Chaos geht und nicht um ‚gutes‘ Regieren. Es interessiert nicht, wer[73] oder wie viele die souveränen Entscheidungen treffen, und nur zu einem gewissen Grade, was entschieden wird. Nur die Tatsache, dass überhaupt entschieden wird, und dass diese Entscheidungen gelten, zeigt das Funktionieren der Ordnung.

Die Ordnung ist also nicht von Natur oder Gott gegeben, sondern, „beruht“ nach Carl Schmitt „wie jede Ordnung auf einer Entscheidung,“[74] was nichts anderes heißt, als dass Hobbes, wenn er das vermeintliche Chaos betrachtet, wiederum souverän liest. Das bellum omnium in ominium ist eine mögliche Lesart der Natur des Menschen im hypothetischen Falle einer Auflösung der staatlichen Ordnung und konstituiert diese damit zugleich.[75] Aus diesen souveränen Annahmen konstruiert Hobbes die Notwendigkeit und die Bedingungen einer staatlichen Ordnung.

2.2.2 Totalität als Möglichkeitsbedingung

Doch tut sich im Begriff der Ordnung eine Lücke auf, die nicht übergangen werden kann und eine Vielzahl von Kontroversen ausgelöst hat:[76] Geht es um eine Rechtsordnung, die, streng autoritär, lediglich die äußere Freiheit der Untertanen betrifft oder verfügt der Souverän, wie bisher implizit angedeutet, ebenfalls über die „symbolische Ordnung“[77], schränkt äußere und innere Freiheit ein, was einer totalitären Ordnung entspräche?

Hobbes zeigt sich auch hier ambivalent: einerseits gesteht er dem Untertanen die innere Freiheit im Konzept der fides zu, was eine rein autoritäre Lesart zu unterstützen scheint. Andererseits soll durch staatliche Kontrolle des Informationsflusses, also von Predigt und Vorlesung in Kirche und Universität sowie der Zensur von Büchern und Flugblättern,[78] vorgebeugt werden, dass der Untertan überhaupt den notwendigen Input bekommt, um seine Gedankenfreiheit auszuleben. Wenn Hobbes seine Untertanen als reine Papiere bezeichnet und diese ausschließlich auf staatlich kontrollierte Weise beschrieben und informiert werden, bleibt offen, wie fides - außer in einer Metaphysik des Subjekts, die wir oben ausgeschlossen haben, oder eben als Rauschen - wirken soll. Insofern spielt fides für uns, wenn wir vom Bisherigen ausgehen - also die Materialität der Information zunächst lediglich als vorhanden, aber noch nicht als problematisch für das Funktionieren des Leviathan betrachten - keine Rolle, da sie schlicht keine Möglichkeit hat, in das Denken der Untertanen einzugreifen.[79]

Doch bleibt die Frage offen, warum der Souverän über die gesamte symbolische Ordnung verfügen muss, schließlich scheint es, als könnte er auch in einer Sprache, die er nicht vollständig kontrolliert, die für das Überleben seiner Untertanen relevanten Gesetze souverän befehlen. So ließe sich die Lust/Unlust-Rechnung der Untertanen einerseits durch Belohnungen und andererseits durch Verbote und Androhung von Strafen soweit manipulieren, dass sie gehorchen und der Leviathan somit seine Schutzfunktion auch ohne totale Kontrolle ausüben kann. Hobbes erkennt, dass eine geschlossene Ordnung nur auf Basis von Verboten „unmöglich“ ist, da kein Staat „genügend Vorschriften zur Regelung aller menschlichen Handlungen und Äußerungen erlassen“ kann.[80]

Und selbst eine Rechtsordnung, die alle Handlungsoptionen abdeckte, wäre nicht dauerhaft überlebensfähig: sobald die Verzifferung der jeweiligen Gesetze und Begriffe nicht eindeutig[81] festgelegt und dem Spiel der schwankenden Bedeutungen unterworfen ist, ist Missinterpretation und damit Chaos nicht abzuwenden. Dass bei Hobbes in Bezug auf die Freiheit der Untertanen Innen und Außen also nicht getrennt sind und deswegen Chaos im Untertanen unweigerlich zum Chaos im Staat werden muss, ergibt sich aus dem Kurzschluss zwischen Denken und Handeln:[82] „Denn die Handlungen der Menschen entspringen ihren Meinungen.“[83] Wer die äußeren Handlungen kontrollieren will, kommt nicht um eine Kontrolle der inneren Meinung herum.[84] Dies schließt eine totale Kontrolle der Sprache, wie sie in Orwells Roman 1984 am Beispiel von Neusprache durchgespielt wird, ein.[85]

Als Konsequenz hieraus ergibt sich, dass wir den Leviathan in seiner erschreckenden Totalität begreifen müssen. Dazu wird wieder auf technische Metaphern zurückgegriffen, einerseits, um den Fokus vom normativen Schrecken des Totalen auf das technische Funktionieren zu lenken und andererseits das Zusammenfallen von veritas und auctoritas sowie Syntax und Semantik verständlich zu machen. Wir wenden uns also der Informationsmaschine Leviathan und den „Gesetzen ihres Funktionierens“[86] zu.

[...]


[1] Lacan 1999: 415

[2] Vgl. Hobbes 2011: 35ff.

[3] Vgl. Schelsky 1937: 180; Vgl. auch: „Das menschliche Wesen [ist] nicht der Herr dieser primordialen und ursprünglichen Sprache. Es ist in sie geworfen worden, in sie eingebunden, es hängt in ihrem Räderwerk. Den Ursprung, wir kennen ihn nicht.“ (Lacan 1999: 419)

[4] Schelsky 1937: 182

[5] Vgl. Hobbes: 35ff., Vgl. Schelsky 1937: 184

[6] Vgl. Hobbes 2011: 46

[7] Hobbes 2011: 45

[8] Hobbes 2011: 64

[9] Vgl. Hobbes 2011: 48

[10] Hobbes 2011: 66

[11] Hobbes 2011: 51

[12] Hobbes 2011: 44, 265

[13] Hobbes 2011: 40

[14] Hobbes 2011: 46ff., siehe auch: Lacan 1999: 417

[15] Hobbes 2011: 52, Vgl. auch Schelsky 1937: 183

[16] Hobbes 2011: 38

[17] Dass hier das für Descartes so entscheidende dubito ausgelassen wird, hat gute Gründe. Im Laufe der Arbeit werden wir sehen, dass Hobbes im Konzept der fides, des inneren Gewissens, eine Zweifelinstanz zulässt, die sein System sprengen und laut Carl Schmitt zum „Todeskeim“ für den Leviathan wird (Schmitt 2003: 86). Zu den grundsätzlichen Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Descartes und Hobbes: Tönnies 1971: 99ff.

[18] Giorgio Agamben setzt sich mit dem Begriff des bloßen Lebens, zōḗ, im Gegensatz zum „qualifizierten Leben,“ bíos, detailliert auseinander. Vgl. Agamben 2002: 11ff.,132

[19] Hobbes grenzt sich scharf von der Teleologie des Lebens bei Aristoteles und den Scholastikern ab. Vgl. Aristoteles; Gigon 2006

[20] Hobbes 2011: 97, Vgl. auch Schelsky 1937: 187

[21] Hobbes 2011: 97

[22] Dotzler 1996: 47

[23] Vgl. Lacan 1999: 416ff.

[24] Vgl. Kittler 1993a: 76

[25] Der Vergleich zu Shannons labyrinthlösender Maschine liegt nahe. Die zwei Lösungsstrategien Trial and Error oder eben erlernte bzw. eingeschriebene Verhaltensmuster ausführen lassen sich auf Hobbes’ Untertanen übertragen. Nicht umsonst zieht der Interviewer eine Parallele zu Orwells Roman 1984 (s. Orwell 1964) und gibt dem Sachverhalt eine politische Dimension. Shannon 2000: 297

[26] Vgl. Schelsky 1937: 183. „Macht […] kann nicht selbst erklärt oder begriffen werden, sondern nur in ihren Auswirkungen und Handhabungen beschrieben werden.“

[27] Vgl. Hobbes 2011: 86ff.

[28] Hobbes 2011: 88

[29] Vgl. Hobbes 2011:88

[30] Kittler 1993a: 76

[31] Der Begriff des Krieges eines jeden gegen jeden wird dem des Naturzustandes vorgezogen, es geht nicht um Natürlichkeit und Ursprünglichkeit, sondern um das grausame Potential der entfesselten symbolischen Maschinen. Siehe Fußnote 87

[32] Münkler 2001: 81

[33] Münkler 2001: 80. Luhmann hat diese gezeigt, wie sich aus doppelter Kontingenz eine gewissen Stabilität und Wahrscheinlichkeit entwickeln kann. Vgl. Luhmann 1986: 148ff.

[34] Somit ist der Naturzustand bei Hobbes ein Zustand, der erst nach der Entstehung der Sprache stattfinden kann, denn er ist an subjektives Nutzenmaximieren gekoppelt, das auf Rechnungen beruht, die wiederum ohne Sprache nicht funktionieren. Die Entstehung der Sprache setzt jedoch Gemeinschaft voraus, sodass der pactum unionis civilis bereits geschlossen sein muss. Da Hobbes, im Gegensatz zu Locke und Rousseau, pactum unionis civilis und pactum subjectionis uno actu abgewickelt sehen will, müsste demnach bereits mit der Sprache Souveränität entstehen und der Naturzustand wäre in keinesfalls historischer Urzustand, sondern fiktiv und „idealtypisch konstruiert“ (Vgl. Münkler 2001: 94ff.). Somit wird Mensch per definitionem gleichbedeutend mit Untertan.

[35] Wie Dotzler nahelegt: Dotzler 1996: 171

[36] Kittler 1993a: 79ff., Die enorme Komplexität, die bei der Berücksichtigung von Gegenhandeln und gegenseitigem Belauern für die eigenen Handlungsräume entsteht, hält Hobbes trotzdem für subjektiv kalkulierbar. Es gibt eine subjektiv beste Handlungsweise, zumeist in der Prävention durch die Unterwerfung möglicher Konkurrenten (vgl. Hobbes 2011: 121).

[37] Dotzler 1996: 47, oder mit Kittler und Lacan: „Signifikantenbatterie und Schaltwerk“, vgl. Kittler 1993a: 79

[38] Hobbes 2011: 126

[39] Hobbes 2011: 18

[40] Vgl. Schelsky 1937: 190

[41] Dazu in den folgenden Kapiteln

[42] Hobbes 2011: 19

[43] Hobbes 2011: 47

[44] Kittler 1993c: 219

[45] Hobbes 2011: 318

[46] Zumindest, wenn der Untertan als ideale Papiermaschine betrachtet wird. Dazu später mehr.

[47] Hobbes 2011: 120

[48] Hobbes 2011: 75

[49] Vgl. Hobbes 2011: 70

[50] Hobbes 2011: 75

[51] Hobbes 2011: 120

[52] Ausgenommen hiervon sind „Schwachsinnige“ und „Geisteskranke“ (Hobbes 2011: 256) die per definitionem nicht an der Vernunft teilhaben. Wer also die Vernunft souverän definiert, schließt zugleich das Unvernünftige aus dem Staate aus.

[53] Vgl. Hobbes 2011: 120. Während Agamben seine Überlegungen darauf aufbaut, dass jeder Körper „tötbar“ ist (vgl. Agamben 2002: 133ff.), liegt hier der Fokus auf der Handlungsoption des Tötens.

[54] Dazu auch Agamben 2002: 135

[55] Hobbes 2011: 119

[56] „Die Natur hat die Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeit so gleich geschaffen…“ Hobbes 2011: 119

[57] Vgl. hierzu Berger; Luckmann 1991

[58] Hobbes 2011: 19

[59] Hobbes 2011: 97

[60] Vgl. Schmitt 1993: 44. „Wer sich die Mühe gibt, die staatsrechtlich Literatur der positiven Jurisprudenz auf ihre letzten Begriffe und Argumente zu untersuchen, sieht, dass an allen Stellen der Staat eingreift, bald wie ein deus ex machina im Wege der positiven Gesetzgebung eine Kontroverse entscheidend.“ Schmitt führt hier einen juristischen Diskurs, doch lässt sich das Gesagte auf Hobbes Theorie problemlos übertragen. Die Rolle des Staates bzw. des Souveräns nimmt Hobbes hier noch selbst ein. Vgl. ebenfalls Schelsky 1937: 180. „Hauptprinzip der Erkenntnislehre ist daher für Hobbes: wir können nur erkennen, was wir selbst schaffen. […] verum esse factum.“

[61] Allgemein zum Begriff der Dezision, vgl. Schmitt 1993: 18ff.

[62] Vgl. Schelsky 1937: 188. „So ist das Bild des Menschen in seiner eigentümlichen Natur als Ganzes nicht in Vernunft auflösbar, sondern wird in Definitionen erfasst, die keine „vernünftige“ Deduktion zu ihrem Wahrheitsbeweis aufbieten können, sondern allein die erlebte innere Anschauung der eigenen, menschlichen Wirklichkeit.“

[63] Hobbes 2011: 6. Auf dem Titelkupfer wird über dem ‚großen Menschen‘ Ijob 41,24 zitiert. „Keine Macht ist auf Erden, die ihm zu vergleichen ist,“ denn er bestimmt die Wirklichkeit souverän.

[64] Vgl. McLuhan 1992: 17

[65] Hobbes 2011: 349

[66] Siehe Fußnote 87

[67] Hobbes 2011: 166

[68] Schmitt 2003: 55

[69] Vgl. Hobbes 2011: 17ff.

[70] Schmitt 2003: 69

[71] Vgl. Hobbes 2011:181ff.

[72] Vgl. Hobbes 2011:179ff.

[73] Interessanterweise befindet sich in Orwells Roman 1984 eine Statue Oliver Cromwells direkt neben einem Standbild des großen Bruders, was dessen Herrschaft in den Kontext des totalen Staates rückt (Orwell 1964: 52). Hobbes wurde immer Sympathie für Cromwells Militärdiktatur unterstellt, der er sich zwischenzeitlich unterwarf (Vgl. Münkler 2001: 45). Hier zeigt sich wie egal Hobbes ist, wer nun Souverän ist (und wie er zum Souverän wurde), Hauptsache es besteht Stabilität und damit möglichst totale Herrschaft.

[74] Schmitt 1993: 16

[75] Vgl. Agamben 2002: 48. Allgemein zur Frage der Produktion und Konstruktion von Wahrheit und ihrer anschließenden „Naturalisierung“, s. Berger; Luckmann 1991

[76] Vgl. Münkler 2001: 141ff.

[77] Lacan 1999: 420.

[78] Vgl. Pfaffenzeller 2012: 35

[79] Warum Hobbes diese Instanz dann überhaupt einführt, wenn sie eigentlich seine Theorie absoluter Souveränität unterminiert und gleichzeitig operativ komplett zu vernachlässigen ist – immerhin wird sie im epistemologischen und anthropologischen ersten Teil des Leviathan nicht erwähnt – kann ähnlich wie bei der Thematik der vermeintlich ‚natürlichen‘ Gesetze mit politischen Motiven erklärt werden, die hier keine Rolle spielen sollen. Dazu Münkler 2001: 23ff., 51ff.

[80] Hobbes 2011: 204. Da der Souverän gleichzeitig innerhalb und außerhalb des Staates steht, spielt Unvollständigkeit im Sinne Gödels keine Rolle. Der Souverän ist der Maßstab, der letzte Grund.

[81] Vgl. Hobbes 2011: 328. „Ein gutes Gesetz muss zum Wohle des Volkes nötig und zudem eindeutig sein.“

[82] Vgl. auch Schelsky 1937: 179. „Letzthin ist alles Denken bei Hobbes auf die konkrete Erlebnissituation oder auf die darin zu tuende menschliche Handlung bezogen.“

[83] Hobbes 2011: 173

[84] Vgl. Hobbes 2011: 173

[85] Vgl. Orwell 1964: 24. „Zum Schluss werden Gedankenverbrechen buchstäblich unmöglich gemacht, da es keine Worte mehr gibt, in denen man sie ausdrücken könnte. Jeder Begriff, der jemals benötigt werden könnte, wird in einem einzigen Wort ausdrückbar sein, wobei seine Bedeutung streng festgelegt ist und alle Nebenbedeutungen ausgetilgt und vergessen sind.“ Siehe auch: Orwell 1964: 136ff.

[86] Schmitt 2003: 69

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783958207660
ISBN (Paperback)
9783958202665
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Thomas Hobbes Medientheorie Kittler close reading Medienmaterialismus

Autor

Martin Pfaffenzeller, B.A., wurde 1989 in München geboren. Er studiert derzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin Sozial- und Medienwissenschaften. Der Autor arbeitet am Lehrstuhl für Theorie der Politik bei Herfried Münkler. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Spannungsfeld zwischen politischer und soziologischer Theorie auf der einen Seite und der von Friedrich Kittler geprägten „deutschen Schule“ der Medientheorie auf der anderen. Parallel zum Studium ist Pfaffenzeller als freier Journalist unter anderem für den Tagesspiegel und die Nachrichtenagentur dpa tätig.
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