Mehrheitsdemokratie versus Konsensdemokratie: Eine komparative Analyse der Demokratiemodelle von Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay
©2008
Studienarbeit
71 Seiten
Zusammenfassung
Lateinamerikanische Demokratien gleichen einem Luxusliner: Die Gewinner können sich wie in einem Supermarkt bedienen, die große Mehrheit muss jedoch als Mannschaft das Schiff in Fahrt halten. Diese Aussage trifft der Politikwissenschaftler und Lateinamerikaexperte Detlef Nolte und beklagt damit den Mangel an Rechtstaatlichkeit und sozialer Gerechtigkeit in den Demokratien des südamerikanischen Kontinents. Die extreme soziale Polarisierung in Lateinamerika lässt daran Zweifel aufkommen, ob nachhaltige demokratische Verhältnisse etabliert werden können und in den Andenländern, besonders in Venezuela, Ecuador und Bolivien, sieht es weiterhin düster aus. Doch in der Vergangenheit haben junge lateinamerikanische Demokratien wie Chile und Uruguay besondere Entwicklungserfolge erzielt. Uruguay beispielsweise, lange die Folterkammer Südamerikas genannt, ist nach dem Ende der Militärdiktatur zum demokratischen Alltag zurückgekehrt und befindet sich seither im obersten Drittel der stabilsten Demokratien der Welt. Auch Chile konnte die autoritären Vermächtnisse der Diktatur unter Pinochet ablegen und bildet, gemeinsam mit Uruguay, das demokratischste Land des Kontinents. Auch Argentinien und Brasilien scheinen einen demokratischeren Weg eingeschlagen zu haben und lassen sich nach krisenreichen Zeiten wieder als relativ freie Demokratien einstufen.
Doch welches institutionelle Gerüst haben die Demokratien gewählt? Lassen sie sich eher als Konsens- oder eher als Mehrheitsdemokratien klassifizieren? Wo liegen Parallelen, wo Unterschiede vor und welche gemeinsamen Entstehungsursachen lassen sich finden? Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Arend Lijphart liefert zur Untersuchung der Demokratiemodelle die adäquateste methodische Grundlage.
Den ersten Teil dieser Arbeit bildet eine Vorstellung von Lijpharts Demokratieuntersuchung und seiner Methodik. Darauf folgt die Begründung der Fallauswahl, die einen Demokratietest und die Ausprägung der lijphartschen Erklärungsvariablen in den vier Ländern beinhaltet. Die anschließende Operationalisierung von Lijpharts Methodik ist eine Mischform aus quantitativer und qualitativer Forschung. In weiten Bereichen wird nomothetisch mit Hilfe von Indizes die Ausprägung der Variablen bestimmt. Darüber hinaus wird aber auch detailliert auf äußere Rahmenbedingungen sowie interne und externe Einflussgrößen und Zusammenhänge eingegangen. Die Methodik zur Bestimmung einer jeden Variablen wird zu […]
Doch welches institutionelle Gerüst haben die Demokratien gewählt? Lassen sie sich eher als Konsens- oder eher als Mehrheitsdemokratien klassifizieren? Wo liegen Parallelen, wo Unterschiede vor und welche gemeinsamen Entstehungsursachen lassen sich finden? Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Arend Lijphart liefert zur Untersuchung der Demokratiemodelle die adäquateste methodische Grundlage.
Den ersten Teil dieser Arbeit bildet eine Vorstellung von Lijpharts Demokratieuntersuchung und seiner Methodik. Darauf folgt die Begründung der Fallauswahl, die einen Demokratietest und die Ausprägung der lijphartschen Erklärungsvariablen in den vier Ländern beinhaltet. Die anschließende Operationalisierung von Lijpharts Methodik ist eine Mischform aus quantitativer und qualitativer Forschung. In weiten Bereichen wird nomothetisch mit Hilfe von Indizes die Ausprägung der Variablen bestimmt. Darüber hinaus wird aber auch detailliert auf äußere Rahmenbedingungen sowie interne und externe Einflussgrößen und Zusammenhänge eingegangen. Die Methodik zur Bestimmung einer jeden Variablen wird zu […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
8
Argentiniens, Brasiliens, Chiles und Uruguays fanden in Lijpharts Demokratieuntersuchung
keine Berücksichtigung, da sie sich erst nach 1977 redemokratisierten. In dieser Arbeit
werden die politischen Systeme der vier Länder auf Basis der Methodik Lijpharts komparativ
analysiert. Hinsichtlich ihrer historischen, geografischen und gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen weisen die ausgewählten Länder eine hohe Schnittmenge und relativ
ähnliche Merkmale auf. Somit bestehe nach Lijphart eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie
sich auch in der Ausprägung des Demokratiemodells gleichen. Anhand eines most similar
systems design werden die vier Länder auf der zweidimensionalen Skala verortet und getestet,
ob sich Lijpharts Thesen bestätigen lassen. Dabei wird ein Analyserahmen von ca. 10 Jahren
abgesteckt, um eine valide Einordnung über mehrere Legislaturperioden hinweg geben zu
können
Den ersten Teil dieser Arbeit bildet eine Vorstellung von Lijpharts Demokratieuntersuchung
und seiner Methodik. Darauf folgt die Begründung der Fallauswahl, die einen Demokratietest
und die Ausprägung der lijphartschen Erklärungsvariablen in den vier Ländern beinhaltet. Die
anschließende Operationalisierung von Lijpharts Methodik ist eine Mischform aus
quantitativer und qualitativer Forschung. In weiten Bereichen wird nomothetisch mit Hilfe
von Indizes die Ausprägung der Variablen bestimmt. Darüber hinaus wird aber auch
detailliert auf äußere Rahmenbedingungen sowie interne und externe Einflussgrößen und
Zusammenhänge eingegangen. Die Methodik zur Bestimmung einer jeden Variablen wird zu
Beginn eines jeden Kapitels erklärt und dann an den einzelnen Ländern angewandt. Im
Anschluss wird getestet, welche der lijphartschen Hypothesen sich für die
demokratietheoretischen Modelle beider Ländern bestätigen lassen und welche nicht
zutreffen. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einer daraus abgeleiteten
Handlungsempfehlung.
Neben Lijpharts Werk Patterns of Democracy (1999), welches als theoretische Grundlage
dieser Arbeit dient, bilden die Hauptquellen zur Analyse der politischen Systeme
Democracies in Development Politics and Reform in Latin America (2007) von Payne u.a.
sowie Die politischen Systeme in Nord- und Lateinamerika Eine Einführung (2008) von
Rinke/Stüwe. Darüber hinaus diente eine hohe Zahl an Aufsätzen aus Zeitschriften und
Sammelbänden der Recherche. In einigen Fällen musste zudem auf Internetquellen
zurückgegriffen werden, um Datensätze von Organisationen, Institutionen oder einzelnen
Forschern abrufen zu können. Dabei wurde streng darauf geachtet nur sichere Quellen zu
nutzen, um die Reliabilität und Validität der Ergebnisse nicht zu gefährden. Aufgrund der
teilweise mangelhaften Bibliotheksausstattung wurden zahlreiche Wissenschaftler in der BRD
und den USA persönlich kontaktiert, die oft bereitwillig Daten beisteuerten.
9
2. Methodik
2.1. Was ist Demokratie?
Unter Demokratien versteht Lijphart, anlehnend an Robert A. Dahls Demokratieverständnis,
Staatsformen, die folgende Kriterien erfüllen: Das Recht zu wählen, das Recht gewählt
werden zu können, das Recht der Führer politischer Parteien um Unterstützung und Stimmen
zu kämpfen, freie und faire Wahlen, Vereinsfreiheit, Meinungsfreiheit, alternative
Informationsquellen zu den staatlichen und die Abhängigkeit der Politikinhalte
ausarbeitenden Institutionen von Wahlstimmen und anderen Ausdrucksmöglichkeiten der
Präferenz (Lijphart 1999: 48-49).
Zusammenfassend entspricht Lijpharts Demokratieverständnis Abraham Lincolns Definition
von demokratischen Systemen von 1863, also dem ,,government of, by and for the people"
(Lijphart 1999: 49).
2.2. Mehrheitsdemokratie versus Konsensdemokratie Lijpharts
Unterscheidungskriterien
Das Werk Patterns of Democracy von Arend Lijphart ist eine vergleichende Studie von 36
Demokratien, die von ihm zwischen 1945 und 1996 untersucht wurden, um sie als eher
mehrheits- oder konsensdemokratisch klassifizieren zu können (Lijphart 1999: 55).
Der lange Analysezeitraum resultiert aus Lijpharts Anspruch, jede Demokratie mindestens 19
Jahre zu untersuchen, damit er keine kurzlebigen Einheiten, sondern nur stabile und gefestigte
Demokratien sowie eine große Anzahl von Merkmalen in seine Analyse mit einbeziehen
kann. Somit kann er sicher sein, dass seine Messungen reliabel und valide sind (Lijphart
1999: 48). Aus seinen Beobachtungen der formellen und informellen Institutionen der 36
Länder bestimmte Lijphart zehn unabhängige Vergleichsvariablen (Lijphart 1999: 243-248),
deren jeweilige Ausprägungen als Definitionsmerkmale dienen, um Konsensdemokratien von
Mehrheitsdemokratien zu unterscheiden (Kropp/Minkenberg 2005: 235). Dabei unterscheidet
er zwischen sechs institutionell-strukturalistischen
1
und vier prozessorientierten Faktoren
2
(Jahn 2006: 300). Im Mehrheitsmodell wirkt hauptsächlich die Mehrheit am politischen
Entscheidungsprozess mit, Minderheiten werden ausgeschlossen. Das Konsensmodell sucht
demgegenüber nach Kompromissen, da der Ausschluss von Minderheiten als undemokratisch
angesehen wird (Lijphart 1999: 31). Auf einem Diagramm, dessen horizontale Achse die
Föderalismus-Unitarismus Dimension und deren vertikale Achse die Exekutive-Parteien
Dimension darstellt, kann jede Demokratie nach ihrem strukturellen Variablenwert zwischen
1
Variable 4, 6, 7, 8, 9, 10 (Tab.1).
2
Variable 1, 2, 3, 5 (Tab.1).
10
den beiden Dimensionen als eher mehrheits- oder konsensdemokratisch verortet werden.
Einen Überblick gibt Tabelle 1:
Quelle: (Lijphart 1999: 62-242), (eigene Recherchen, siehe Kap 4.).
2.3. Die Entstehungsursachen für Konsens- und Mehrheitsdemokratien
Lijphart identifiziert vier Erklärungsvariablen, deren Ausprägungen die Entstehung des
jeweiligen Demokratietyps beeinflussen.
Zunächst spielt der Grad des Pluralismus einer Gesellschaft eine wichtige Rolle bei der Wahl
des Demokratiemodells. Je ausdifferenzierter die Gesellschaft eines Landes ist, desto höher ist
die Wahrscheinlichkeit, dass eine Konsensdemokratie entsteht. Um die Intensität des
Pluralismus der 36 Länder zu messen, untersuchte er die Anzahl und den Organisationsgrad
differierender ethnischer Gruppen, religiöser Konfliktlinien, unterschiedlicher Sprachen und
anderer Gruppierungen innerhalb der Länder. Anhand dieser Merkmale teilte er die
untersuchten Länder in drei Kategorien ein: Pluralistische, halb-pluralistische und nicht-
3
Einige Indikatoren weichen von denen ab, die Lijphart zur Bestimmung der Merkmalsausprägung vorschlägt.
Begründungen dafür werden bei der Anwendung der Indizes in Kap. 4 gegeben.
4
Von zentralisierter Unitarismus bis dezentralisierter Föderalismus
5
Von Unikameralismus bis starker Bikameralismus
6
Von einfachen Mehrheiten bis absoluten Mehrheiten zur Verfassungsänderung
7
Keine Überprüfung bis stark ausgeprägte Überpüfung
Tab. 1 Dimensionen, Variablen, Merkmale, Indikatoren
Dimension
Variablen
Mehrheitsdemokratie Konsensdemokratie
Indikatoren
3
Exekutive
Konzentration der
Exekutivmacht in einem
Einparteienkabinett
Aufteilung der
Exekutivmacht auf eine
Vielparteienkoalition
Legislative
Befugnisse der
Exekutive
Verhältnis von
Exekutive und
Legislative
Kabinettsdominanz über
die Legislative
Machtbalance zwischen
Exekutive und
Legislative
Einparteienregierunge
n versus
Mehrheitskoalitionen
Parteiensystem
Zweiparteiensystem
Mehrparteiensystem
Laakso-Taagepera-
Index: N = 1 / s
i
2
Wahlrecht
Mehrheits- und
disproportionales
Wahlrecht
Verhältniswahlrecht
Gallagher Index:
G= ¥(1/2 (v¡-s¡)²)
Exekutive-
Parteien
Interessengruppen-
system
pluralistisch
koordiniert und
korporatistisch
Qualitative
Einordnung
Staatsaufbau
unitaristisch und
zentralisiert
föderalistisch und
dezentralisiert
5-stufiger Index
4
Konzentrationsmacht
der Legislative
Einkammersystem
Zweikammersystem
4-stufiger Index
5
Verfassung
flexibel oder nicht
festgeschrieben
festgeschrieben und
rigide
4-stufiger Index
6
Letztentscheidungs-
recht über die
Gesetzgebung
Abwesenheit
verfassungsgerichtlicher
Normenkontrolle
richterliche Nachprüfung
der Gesetzgebung
4-stufiger Index
7
Föderalismus-
Unitarismus
Zentralbank
durch die Exekutive
kontrolliert
unabhängig
Cukierman-Webb-
Neyapti Index
11
pluralistische Gesellschaften (Lijphart 1999: 56-58). Von den 18 pluralen und semipluralen
Gesellschaften werden 12 als stark konsensdemokratisch auf der Exekutive-Parteien
Dimension verortet (Lijphart 1999: 251).
Auch die Größe der Bevölkerung hat einen Einfluss auf das Demokratiemodell: Lijphart
ermittelte, dass nur 10 der 18 pluralen und semipluralen Demokratien auf der Föderalismus-
Unitarismus Dimension konsensdemokratische Züge aufweisen. Der Grund dafür ist, dass
kleinere Staaten eher eine zentralistische Staatsform wählen und in größeren Staaten
Aufgaben an Subinstitutionen übertragen werden. Lijpharts Hypothese lautet: Je größer ein
Land, desto dezentralisierter ist seine Regierung, egal ob föderal organisiert oder nicht
(Lijphart 1999: 252).
Der geschichtliche Hintergrund eines Landes ist ein weiterer Einflussfaktor. Die ehemaligen
Kolonialherren vererbten den Kolonien oftmals ihr institutionelles Modell. Dies erklärt der
historische Institutionalismus damit, dass Institutionen, die über einen längeren Zeitraum
hinweg in einer Gesellschaft verankert sind an Legitimität gewinnen und trotz Defizite
beibehalten werden (Steinmo/Thelen 1992: 2).
Als letzte Variable wird der geographische Standort genannt, da sich geographisch nah
beieinander liegende Länder in ihren Demokratieformen ähneln. Lateinamerikanische Länder
beispielsweise. stellen auf beiden Dimensionen Mischformen dar, in denen
mehrheitsdemokratische Merkmale die konsensdemokratischen geringfügig dominieren
(Lijphart 1999: 255).
12
13
3. Begründung der Fallauswahl
3.1. Most similar systems design
Ziel meiner Arbeit ist es, anhand eines most similar systems designs, die unterschiedlichen
Demokratieausprägungen einer relativ homogenen Ländergruppe komparativ zu untersuchen.
Das most similar systems design in der vergleichenden Systemforschung bezieht sich auf
relativ homogene Ländergruppen. Anhand der unterschiedlichen Ausprägungen der für die
Forschungsfrage relevanten abhängigen Variablen können allgemeingültige Aussagen für die
einzelnen Länder getroffen werden (Kropp/Minkenberg 2005: 66/67). Hierfür müssen die
Fälle bewusst und begründet ausgewählt werden. Die Kriterien lauten Vollständigkeit und
Homogenität. Das heißt es müssen möglichst alle existierenden Länder, die den gewünschten
Merkmalsausprägungen entsprechen, untersucht werden. Nur so kann die Repräsentativität
der Ergebnisse gewährleistet werden (Jahn u.a. 2006). Neben vielen hybriden
Demokratieformen mit teils autoritären Merkmalen, lassen sich in Süd- und
Mittellateinamerika 4 Länder ausmachen, die die Kriterien stabiler Demokratien erfüllen und
im Hinblick auf die lijphartschen Erklärungsvariablen ähnliche Merkmale aufweisen. Das
sind Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay. Außerdem bildet Lateinamerika eine
interessante Region für eine solche Analyse, da viele der Länder erst seit wenigen Jahrzehnten
ihre militärdiktatorische Herrschaft beendet haben und deshalb von Arend Lijphart nicht
untersucht wurden. Im folgenden Abschnitt wird die Fallauswahl begründet, indem die vier
Länder einem Demokratietest unterzogen werden. Im Anschluss werden die Ausprägungen
der lijphartschen Erklärungsvariablen in den vier Ländern begründet und veranschaulicht, um
anschließend eine Vermutung anstellen zu können, welchem demokratietheoretischen Modell
die Länder nach Lijphart tendenziell entsprechen könnten. Ein weiteres Land, das zu Beginn
der Recherchen als ein geeigneter Fall für das most similar systems design in Betracht
gezogen wurde, ist Peru. Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, warum es den Ansprüchen an
eine stabile Demokratie nicht genügen und somit nicht in die Analyse mit einbezogen werden
konnte.
14
3.2. Demokratietest
Tab. 2 Indizes zur Demokratiemessung in Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay
Index
Argentinien
Brasilien
Chile
Uruguay
Demokratisierungsjahr
1983
1985
1989
1984
BF
2
2
1
1
PR
2
2
1
1
Freedom
House
(2007)
Status
frei
frei
Frei
frei
Stabilitätsindex nach Kaufmann
(Mittelwert von 1996-2007)
41,2 %
39,7 %
67,89 %
69,56 %
Human Development Index
0.869
0,800
0.867
0,852
Quelle: eigene Berechnungen, Daten: (Human Development Index 2008c-f), (Freedom House 2008b-f),
(Worldbank 2008).
Um Lijpharts Methodik an den Ländern anwenden zu können, ist es wichtig, dass sie
gefestigte Demokratien sind, die über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht werden
können. Argentinien, Brasilien, Chile, Uruguay und auch Peru erfüllen dieses Kriterium, da
sie zwischen 19 und 25 Jahren redemokratisiert sind (Tab. 2). Neben der Lebensdauer muss
überprüft werden, ob die Länder den Anforderungen an eine funktionierende Demokratie
entsprechen. Dies kann mit Hilfe des Freedom in the World Indexes, des Stabilitätsindexes
nach Kaufmann und des Human Development Indexes nachgeprüft werden. Der wichtigste
Index zur Demokratiemessung ist der Freedom in the World Index von Freedom House
8
, da
auch Lijphart diese Messung als Auswahlkriterium übernahm, um funktionierende
Demokratien von hybriden oder nicht funktionierenden Demokratien zu unterscheiden. Die
Freedom in the World Untersuchung ist eine alljährliche Evaluation die den Status von
globaler Freiheit so wie sie individuell wahrgenommen wird ermittelt. Der Freiheitsgrad
ergibt sich aus einem wesentlichen Punkt: Die Möglichkeit der Bürger in weiten Feldern
spontan zu handeln ohne darin durch die Regierung oder andere mögliche Kontrollinstanzen
beschränkt zu werden. Dabei wird zwischen zwei Kategorien unterschieden: Die politischen
Rechte (PR) und die bürgerlichen Freiheiten(BF).
9
Jedem Land und jedem Gebiet wird auf
jeweils beiden Achsen ein Wert zwischen 1
8
Freedom House ist eine gemeinnützige und unabhängige Organisation, die sich für Demokratie und Freiheit in
der ganzen Welt einsetzt. Seit 1972 veröffentlicht Freedom House jährlich eine Bestandsaufnahme über
Demokratie und Frieden in 193 Ländern (Freedom House 2008).
9
Politische Rechte umfassen das Recht der Bürger zwischen klaren Alternativen in legitimierten
Abstimmungsverfahren zu wählen, die Möglichkeit sich für öffentliche Ämter zur Wahl zu stellen, sich
politischen Parteien und Organisationen anzuschließen und Repräsentanten zu wählen, die eine maßgebliche
Bedeutung für die ,,public policies" haben und die gegenüber den Wählern Rechenschaft ablegen müssen.
Bürgerliche Freiheiten erlauben freie Meinungsäußerung und freien Glauben, geben das Recht sich zu
organisieren und zusammenzuschließen sowie das Prinzip der Rechtstaatlichkeit und das Recht auf persönliche
vom Staat unabhängige Autonomie
(
Freedom House 2008a).
15
und 7 zugewiesen. 1 bedeutet den höchsten Wert an Freiheit, 7 den niedrigsten. Diese Werte
klassifizieren die Länder als frei, teilweise frei oder nicht frei
10
(Freedom House 2008a).
Lijpharts Messungen können nur an Demokratien durchgeführt werden, die den Status ,,frei"
aufweisen. Hinsichtlich des Demokratiegrades verzeichnen Argentinien, Brasilien, Chile und
Uruguay Werte zwischen 1 und 2 auf der Achse der Bürgerlichen Freiheiten und der
Politischen Rechte und können somit als freie Demokratien eingestuft werden (Tab.2).
Wichtig ist dabei, dass die Länder schon für einen längeren Zeitraum als freie Demokratien
gelten, damit eine valide Messung nach Lijpharts Kriterien möglich ist. Dies ist ebenfalls für
die vier Länder zutreffend. Peru hingegen kann nach dem Freedom in the World Index auf der
Dimension der Bürgerlichen Freiheiten nur als teilweise frei eingestuft werden (Freedom
House 2008b-f).
Zur Demokratiemessung eignet sich des Weiteren der Kaufmann Index. Er misst 6
Dimensionen der Regierungsperformanz der Länder der Welt zwischen 1996 und 2007. Die
Dimensionen lassen sich anhand folgender Kategorien unterscheiden:
1. Mitsprache und Verantwortung, 2. Politische Stabilität und Abwesenheit von Gewalt, 3.
Regierungseffektivität, 4. die Qualität der Rechtsordnung, 5. Rechtstaatlichkeit und 6. Kontrolle der Korruption.
Das wichtigste Kriterium zur Auswahl der Länder ist hierbei die politische Stabilität. Chile
kann die Anforderungen an eine stabile Demokratie von 1996 bis 2007 zu 50-75 % sowie zu
75-90% erfüllen. Uruguay changiert ebenfalls für diesen Zeitraum zwischen den beiden
Werten. Argentinien weist bis auf das Jahr 2002 mit einem Ausreißer von 17,3 Prozent
durchgehend einen Stabilitätswert von 25-50 Prozent auf und befindet sich seit 2004 in einem
deutlichen Aufwärtstrend, der 2007 in einem Wert von 49,5 % kulminierte. Brasilien stellt
gegenüber den anderen Demokratien dieser Analyse das politisch instabilste Land dar. Im
Jahr 2000 konnte es mit 50% den Maximalwert an Stabilität erzielen, seitdem nahmen die
Werte kontinuierlich ab und haben mit 36,5 % im Jahr 2007 den Tiefststand der politischen
Stabilität seit 2000 erreicht (Tab.2.). Die Bewertung nach Freedom House erlaubt es jedoch
Brasilien in die Analyse mit ein zu beziehen. Peru kann in Sachen Stabilität nur einen
durchschnittlichen Index von 17,1 Prozent aufweisen und besitzt somit für die letzten 10 Jahre
ein sehr instabiles politisches System (Worldbank 2008).
Ein weiterer Indikator für eine gefestigte Demokratie ist der Human Development Index. Der
HDI ermittelt seit 1990 die Ausprägung des Wohlbefindens, als breit definierte Kategorie, in
den Ländern der Welt. Dafür werden drei Dimensionen, die sich aus vier Indikatoren
zusammensetzen gemessen:
10
Frei: 1-2,5; Teilweise frei: 3-5; Nicht frei: 5,5-7 (Freedom House 2008a).
16
1.
Der Lebensstandard: Ein langes und gesundes Leben führen zu können; 2. Bildung: Die
Alphabetisierungsrate und die Anzahl der eingeschriebenen Schüler; 3.Der Lebensstandard: BIP pro Kopf
(Jahn 2006: 49); (Human Development Report 2008).
Auf einem zwischen 0 und 1 skalierten Index sagen hohe Werte einen hohen Lebensstandard,
niedrige einen schlechten Lebensstandard aus. Alle vier Länder können als ,,high human
developed"
11
eingestuft werden (Tab.2) (Human Development Index 2008a-d). Peru hingegen
ist nur mittelmäßig entwickelt (Human Development Index 2008e).
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Chile und Uruguay gemeinsam seit 2007 die
beiden demokratischsten Länder des Kontinents bilden. Brasilien und Argentinien können als
relativ stabile Demokratien eingestuft werden. Peru hingegen stellt für die Untersuchung kein
geeignetes Land dar, da es den Anforderungen an eine funktionierende Demokratie nicht
gerecht wird.
3.3. Die Ausprägung der lijphartschen Erklärungsvariablen in Argentinien,
Brasilien, Chile und Uruguay
Hinsichtlich der lijphartschen Erklärungsvariablen zeigen die Länder dieser Studie große
Parallelen auf.
Einen zentralen Punkt bildet das Gesellschaftssystem: Der Behauptung, die vier Länder
würden heterogene Gesellschaftssysteme aufweisen, steht eine einheitliche Amtssprache
12
und eine gemeinsame Religion, der Katholizismus, diametral entgegen. Dennoch hat sich in
allen vier Ländern eine gesellschaftliche Heterogenität besonders durch naturgeographische
Gegebenheiten heraus gebildet. Sie verhinderten eine flächendeckende Besiedlung und die
städtische Punktkolonisation. Dies führte zu einer ungleichmäßigen Bevölkerungsverteilung
und einer starken Isolierung der urbanen Regionen. Besonders durch klientelistische
Herrschaftsstrukturen zur Zeit der Kolonisation wurden die sozialen Schichtungsmuster der
einzelnen Gesellschaften zunehmend fragmentiert und regionalisiert (Rinke/Stüwe 2008: 10).
Einen letzten zentralen Faktor, der zur Polarisierung der Gesellschaft beiträgt, bildet die große
Kluft zwischen den privilegierten Schichten und der armen Bevölkerung in Lateinamerika
(Nolte 2003: 167). Nach Lijpharts Erklärungsfaktoren hätten die heterogenen
Gesellschaftssysteme der vier Länder die Entwicklung von konsensdemokratischen
Institutionen begünstigen können. Dem steht jedoch ihre koloniale Vergangenheit entgegen.
Spanien, als ehemaliger Kolonialherr von Chile, Argentinien und Uruguay stellt auf der
11
Ein Wert zwischen 1 und 0.800 bedeutet High Human Development (Human Development Reports 2008).
17
zweidimensionalen Skala nach Lijphart eine Mischform auf beiden Achsen dar (Lijphart
1999. 248). Es hätte den drei Ländern als Vorbild bei der Wahl des Demokratiemodells
gedient und somit die Entwicklung von rein konsensdemokratischen institutionellen
Strukturen verhindert haben können. Brasilien, als ehemals portugiesische Kolonie, hat
eventuell einem Land im Demokratisierungsprozess nachgeeifert, welches auf der
Föderalismus-Unitarismus Dimension hauptsächlich mehrheitsdemokratische Merkmale
aufweist und auf der Exekutive-Parteien-Dimension einen Hybrid darstellt (Lijphart 1999.
248). Einen weiteren Punkt bildet der geografische Standort. Lijphart ermittelte, dass sich
Nachbarländer hinsichtlich der Demokratieformen ähneln. In Lateinamerika entstehen eher
Mischformen, in denen mehrheitsdemokratische Merkmale dominieren. Die Größe der
Länder hätte begünstigen können, dass in Uruguay, einem relativ kleinen Land, eine eher
zentralistische Staatsform entstand, in Argentinien, Chile und Brasilien hingegen die Macht
auf Subinstitutionen aufgeteilt wird.
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die möglichen Erklärungsfaktoren nach
Lijphart nur schlecht eine Vermutung zulassen, welchem Modell die Länder entsprechen
könnten, da sich die Erklärungsfaktoren gegenseitig aufheben. Zu vermuten bleibt jedoch,
dass sich die Demokratiemodelle der Länder aufgrund von ähnlichen Rahmenbedingungen
ähneln könnten.
18
19
4. Zehn Unterscheidungsvariablen Die Demokratiemodelle von
Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay im Vergleich
4.1. Die Kabinettskomposition
Als erstes Unterscheidungsmerkmal von Konsens- und Mehrheitsdemokratien gibt Lijphart
die Kabinettskomposition an. Eine Einparteienmehrheitsregierung ist ein klassisches Element
der Mehrheitsdemokratie, wohingegen die Aufteilung der Exekutivmacht auf ein
Multiparteienkabinett dem Modell der Konsensdemokratie entspricht. Insgesamt können 6
Typen von Koalitionskabinetten unterschieden werden (Tab.3).
Tab. 3 Typen von Koalitionskabinetten
Minimale
Mehrheits-
koalition
Koalition mit
einer
Minimalgröße
Koalition mit der
kleinsten Anzahl
von Parteien
Koalitionen mit
geringer pro-
grammatischen
Spannweite
Minimale
Mehrheitskoalition
mit
programmatischer
Verbindung
Politik(richtlinien)
fähige Koalitionen
Nur die
Parteien parti-
zipieren, die
dem Kabinett
einen Mehr-
heitsstatus zu
geben
Ausschluss von
starken Parteien.
Kriterium: Sitzan-
teil im Kabinett
maximieren
Koalition mit
wenigen Parteien.
Kriterium:
Konsensfähigkeit
Die
Zusammensetzung
beruht auf der
Programmatik der
Parteien, um die
Stabilität zu fördern
Erstes Kriterium:
programmatische
Nähe, dann Aufnahme
von weiteren Parteien
zur Mehrheitsbildung
Die ,,core-party",
,,Zentrumspartei"
muss im Kabinett
vertreten sein.
Kriterium: Diktat von
Richtlinien
Quelle: (Lijphart 1999: 91-96).
Für präsidentielle Kabinette, wie in Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien, kann man die
6 Koalitionsformen nicht ohne Einschränkungen übernehmen, denn die Exekutive benötigt
nicht zwingend eine Mehrheit im Parlament bzw. geht nicht aus dem Parlament hervor. Die
jeweiligen Ausprägungen können nicht genau errechnet werden, da die Datenlage lückenhaft
ist. Dennoch kann eine relativ sichere Einschätzung getroffen werden.
4.1.1. Argentinien Einparteienmehrheitsregierung
Die argentinische Regierung besteht seit der Redemokratisierung 1983 aus
Einparteienkabinetten. Lediglich eine Ausnahme bildet der Zusammenschluss der beiden
Parteien UCR und FREPASO zu dem Wahlbündnis Alianza, dass von 1999-2001 die
Regierung stellte.
13
Allerdings war dies keine Koalition aufgrund programmatischer
Vereinbarungen zwischen den Parteien, sondern ein Zusammenschluss mit dem Ziel, die
Vorherrschaft der Peronisten zu beenden (Bodemer u.a. 2002: 328-329). Ohnehin kommt es
in Argentinien selten zu Wahlbündnissen. Allein die FREPASO kann als ein wirkliches
13
Vgl. Kap.4.3.1.
20
Wahlbündnis angesehen werden, schaffte es aber bisher nicht, eigenständig die Regierung zu
bilden
4.1.2. Brasilien Minimale Mehrheitskoalition
In der Fachliteratur spricht man angesichts des brasilianischen Modells von einem
Koalitionspräsidentialismus. Aufgrund des fragmentierten Parteienangebots im Parlament
mussten die brasilianischen Präsidenten bisher breite Koalitionen bilden, um regierungsfähig
zu sein. Im Rahmen der lijphartschen Koalitionsmodelle können die brasilianischen Kabinette
als Minimale Mehrheitskoalitionen eingestuft werden, da programmatische Verbindungen
weniger im Vordergrund standen. Den Präsidenten ging es maßgeblich darum, eine Mehrheit
im Parlament zu bilden, was zur Folge hatte, dass widersprüchliche Parteiinteressen im
Kabinett auf einander prallten. Ein Beispiel für diese ,,politische Tauschbörse" bildet die
Regierung Lulas, denn er war auf die Unterstützung von bis zu 8 Parteien angewiesen (Costa
2008: 119).
4.1.3. Chile Minimale Mehrheitskoalition mit programmatischer Verbindung
Das chilenische Kabinett setzt sich aus dem Präsidenten und den von ihm ernannten Ministern
zusammen (Imbusch u.a. 2004: 346). Auch Chile ist ein Beispiel für den Koaliti-
onspräsidentialismus, denn seit der Redemokratisierung stand jeder Präsident einer
Koalitionsregierung vor (Imbusch u.a. 2004: 360-361). Der Umstand, dass ein
Präsidentschaftskandidat mindestens die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinen muss
14
, um
ins Amt gewählt zu werden (Imbusch u.a. 2004: 345), begünstigt die Bildung von
Koalitionen. Doch nicht nur wahlstrategische Überlegungen, sondern auch die
programmatische Nähe der Parteien eines Blocks
15
begünstigen Wahlallianzen und
Regierungskoalitionen (Imbusch u.a. 2004: 360-361).
16
Durch ein System des reziproken
Ausgleichens über Regierungsämter und durch eine hohe Kompromissbereitschaft, herrscht in
Chile ein gut funktionierender Koalitionspräsidentialismus, der die Kohäsion zwischen
Koalitionspartnern erhöht und die Abstimmung zwischen dem Präsidenten und seiner
parlamentarischen Unterstützungsbasis erleichtert (Imbusch u.a. 2004: 361).
14
Vgl. Kap. 4.3.3.
15
Vgl. Kap. 4.3.3.
16
Die Ministerposten werden zwischen den Koalitionsbeteiligten im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil verteilt.
Die Mitglieder der nachgeordneten Ebene, also die Staatssekretäre, gehen aus anderen Koalitionsparteien hervor,
um die Herausbildung von ,,parteipolitischen Fürstentümern" zu unterbinden und das Koalieren weiter zu
fördern (Imbusch u.a. 2004: 362).
21
4.1.4. Uruguay Minimale Mehrheitskoalition mit programmatischer Nähe
Die uruguayischen Regierungen haben in den vergangenen 10 Jahren ein hohes Maß an
Konsensfähigkeit und Kompromissbildung gezeigt, mit der eine hohe Koalitionsbereitschaft
einher ging. Seit 2004 stellt die Frente Amplio die Regierung und vereinigt, mit dem Partido
Socialista, der Asambleya Uruguay, dem Movimiento de Participación Popular und der
Vertiente Artiguista, vier Parteien des Mitte-Links Spektrums, im Kabinett (Konrad Adenauer
Stiftung 2004). Doch auch in den Jahren zuvor hatten die Colorados, die seit Anbeginn der
präsidentiell verfassten Demokratie, bis auf eine Ausnahme, die Regierung bildeten,
durchgehend auch Angehörige der Opposition ins Kabinett oder in andere hohe Ämter
berufen. Dies lag darin begründet, dass die Durchsetzung wichtiger Reformpakete, auch zur
Aufbereitung der Verbrechen der Diktatur, einer breiten parlamentarischen Allianz bedurfte
(Bertelsmann Stiftung 2003).
4.2. Das Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Legislative
In Mehrheitsdemokratien nimmt die Exekutive eine dominierende Stellung gegenüber der
Legislative ein, wohingegen in Konsensdemokratien Balance of Power
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herrscht. Im Bereich
des Kräfteverhältnisses zwischen Exekutive und Legislative lassen sich parlamentarische und
präsidentielle Demokratien klar von einander unterscheiden. Präsidentielle Systeme sind in
der Regel dadurch gekennzeichnet, dass sie die Macht der Exekutive beschränken. Durch die
Verteilung der Legislative und der Exekutive auf zwei unterschiedliche, voneinander
unabhängige Organe sind die Gewalten in wichtigen Aspekten strikt voneinander getrennt
und sind inkongruent zusammengesetzt, so dass das Kabinett nicht aus dem Parlament
hervorgeht (Bodemer u.a. 2002: 338).
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Zur Messung der Dominanz der Exekutive in parlamentarischen Demokratien eignet sich
nach Lijphart der Indikator der Lebensdauer der Kabinette. Für präsidentielle Demokratien
bedürfe es jedoch weiterer Messungen. Durch das fehlende Recht der Legislative den
Präsidenten durch ein Misstrauensvotum seines Amtes zu entheben, führt der Indikator der
Kabinettslebensdauer zu Verzerrungen (Lijphart 1999: 129-134). Da Argentinien, Chile,
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Balance of Power bedeutet hier ein Kräftegleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative (Lijphart 1999:
35).
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Dabei lassen sich drei wesentliche Punkte zur Unterscheidung von präsidentiellen und parlamentarischen
Demokratien ausmachen. 1. Die Staatsoberhäupter in parlamentarischen Demokratien sind vom Parlament
abhängig und können durch ein Misstrauensvotum abgewählt werden. In präsidentiellen Regierungsformen
werden die Präsidenten für eine bestimmte Zeitspanne gewählt und können vom Parlament nicht abgewählt
werden. 2. Der Präsident wird vom Volk direkt oder durch ein vom Volk gewähltes Wahlgremium gewählt
Kanzler oder Premierminister werden von der Legislative ernannt. 3. In einem parlamentarischen System
konstituiert sich die Exekutive aus mehreren Mitgliedern. In präsidentiellen Staatsformen ist ein Ein-Personen-
Kabinett die Regel (Lijphart 1999:116-118).
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Uruguay und Brasilien präsidentielle Demokratien sind und können durch diesen Index nicht
eingeordnet werden. Eine adäquate Alternative bildet der Index von Payne u.a. aus dem Jahr
2007, der die Stärke der legislativen Befugnisse lateinamerikanischer Präsidenten misst.
Anhand eines zwischen 0 und 1 skalierten Indexes werden die Einflussmöglichkeiten des
Präsidenten unterteilt in proaktives und reaktives Interventionsvermögen als stark oder
schwach eingestuft. Eins bedeutet Dominanz der Exekutive und null steht für ein
Kräftegleichgewicht. Auf der proaktiven Skala befinden sich die Kriterien Dekretpraxis, also
die Möglichkeit des Präsidenten per Dekret an der Legislative vorbei zu regieren und
Staatshaushalt, womit
die Befugnis des Präsidenten gemeint ist, über Gesetze, die den Etat
und Steuern betreffen, zu entscheiden. Die reaktive Skala bilden das Vetorecht, das partielle
Vetorecht und das exklusive Initiativrecht, also das Recht, einen Gesetzesentwurf zur
Abstimmung zu geben (Payne u.a. 2007: 97).
4.2.1. Argentinien
Charakteristisch für Argentiniens politisches System ist die starke Stellung des Präsidenten,
der gleichzeitig Regierungschef ist. Er hat die Möglichkeit, über Gesetzesdekret zu
entscheiden und muss sich somit dem Kongress gegenüber nicht verantworten (Bodemer u.a.
2002: 341). Der Pakt von Olivos, eine Verfassungsänderung von 1994, hatte u.a. zum Ziel, die
Macht der Exekutive abzuschwächen und die Zusammenarbeit von Regierung und Opposition
sowie von Exekutive und Legislative zu fördern (Bodemer u.a. 2002: 339-340).
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2008
- ISBN (PDF)
- 9783863415570
- ISBN (Paperback)
- 9783863410575
- Dateigröße
- 915 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
- Erscheinungsdatum
- 2011 (Juli)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- Demokratie Lateinamerika Lijphart komparative Analyse Modelle