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Grundeinkommen: Vier Modelle im Vergleich

©2005 Bachelorarbeit 58 Seiten

Zusammenfassung

Über das Thema Grundeinkommen wird in sehr verschiedenen Kontexten diskutiert. Im vorliegenden Buch werden zunächst die historischen Wurzeln der Debatte beleuchtet. Bereits zu Anfang des 16. Jahrhunderts befasste sich Thomas Morus mit dem Gedanken einer Einkommenssicherung. Als neuere wissenschaftliche Ansätze gelten in der deutschsprachigen Literatur die Konzepte von Michael Opielka, Georg Vobruba und André Gorz. Die Debatte um ein Grundeinkommen wird mittlerweile jedoch in den unterschiedlichsten Gruppierungen geführt und auch konkrete Modelle wurden entwickelt. Die Grundeinkommensmodelle der katholischen Verbände Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) und Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und die Modelle von Bündnis90/Die Grünen und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen werden einander gegenübergestellt. Als Vergleichsgrundlage wird das von Ronald Blaschke (Netzwerk Grundeinkommen) beschriebene garantierte Grundeinkommen herangezogen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Begriffsbestimmung

III. Argumente für ein Grundeinkommen

IV. Historische Wurzeln
IV.1 Utopia von Thomas Morus
IV.2 Die Sozialdividende nach Rhys-Williams
IV.3 Die negative Einkommensteuer nach Friedman

V. Neuere wissenschaftliche Ansätze
V.1 Michael Opielka
V.2 Georg Vobruba
V.3 André Gorz

VI. Konkrete Modelle
VI.1 BDKJ-Modell
VI.2 Modell der KAB Aachen
VI.3 Modell von Bündnis 90/Die Grünen
VI.4 Modell der BAG-SHI
VI.5 Vergleich

VII. Fazit

„Die Zukunft liegt nicht darin, dass man an sie glaubt oder nicht glaubt, sondern darin, dass man sie vorbereitet.“[1]

Erich Fried

I. Einleitung

Wie gut ist die Bundesrepublik auf ihre Zukunft vorbereitet? Momentan steht der deutsche Sozialstaat unter Reformdruck. So oder so ähnlich steht es in vielen Zeitungen und anderen Veröffentlichungen.[2] Seitdem unter Bismarck im Kaiserreich in den 1880er Jahren die ersten sozialen Sicherungssysteme eingeführt worden sind, hat sich am Prinzip des deutschen Sozialstaates wenig geändert. Seine Kennzeichen sind nach wie vor die Pflichtversicherung der Arbeitnehmer-innen[3], nachträglicher Sozialschutz, Rechtsanspruch, Beitragsfinanzierung, Selbstverwaltung und eine Vielfalt von Versicherungsträgern. Selbst Regimewechsel und unterschiedliche Regierungskonstellationen konnten diesem institutionellen Grundgerüst bis heute nichts anhaben.[4] Schon in den 1980er Jahren konstatiert Georg Vobruba dem Staat die Verfehlung seiner Aufgaben im Rahmen des Sozialen Sicherungssystems. Der Funktionsverlust berührt seiner Meinung nach zwei Ebenen, zum einen die Gewährung einer bedarfsorientierten Mindestsicherung, zum anderen die Gewährleistung einer gewissen Statussicherung.[5] Als Hauptursache für diese Problematik werden ebenfalls bereits in den 1980er Jahre die demographische Entwicklung und die hohe Arbeitslosigkeit angeführt.[6] Dies sind auch heute noch die bestimmenden Größen in dieser Diskussion. Prognosen sagen voraus, dass sich die Geburtenziffer bis 2050 bei 1,4 Kindern pro Frau einpendelt. Zudem werden die Leute immer älter, die fernere Lebenserwartung steigt. Die Konsequenz ist eine Abnahme der deutschen Wohnbevölkerung von 82 Millionen 2001 auf 65 bis 70 Millionen bis 2050.[7] Daraus ergibt sich auch ein Rückgang des Erwerbspersonen-Potentials. Theoretisch könnte daher die Arbeitslosenquote sinken, doch durch den Strukturwandel der Arbeitswelt gibt es immer weniger Arbeitsplätze. Arbeitszeiten ändern sich, die Qualifikationsanforderungen werden höher und das Normalarbeitsverhältnis löst sich auf.[8]

Da die Zahl derer, die in die Sozialversicherung einzahlen, sinkt, scheint unser System nicht zukunftsfähig zu sein. Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst, und so ist es nicht verwunderlich, wenn die Ängste der Deutschen so groß wie nie seit 15 Jahren sind. Nach einer Befragung der R+V-Versicherung blickt jede-r zweite befragte Deutsche mit Angst in die Zukunft. Besonders die persönlichen Ängste nehmen zu, so steigerte sich die Sorge um den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent auf 64 Prozent. Große Angst wird zudem vor dem Anstieg der Lebenshaltungskosten (72 %) und der Verschlechterung der Wirtschaftslage geäußert (70 %).[9] Die Nachfolgende Graphik veranschaulicht dies noch einmal.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Studie: Ängste auf Rekordhoch. In: Neue

Osnabrücker Zeitung vom 09.09.2005

Die von Politik und Wirtschaft vorgeschlagenen Lösungsansatze zur Rettung des Sozialstaates beziehen sich so ziemlich alle auf Wirtschaftswachstum. Doch Wachstum kann nicht unendlich stattfinden. Nach einer bestimmten Zeit ist der Markt übersättigt und die natürlichen Ressourcen sind aufgebraucht. Diese Aspekte werden so gut wie gar nicht bedacht, obwohl sie wenig zukunftsweisend sind. Die derzeitige Kaufzurückhaltung liegt zwar eher an der Ungewissheit über die eigene zukünftige wirtschaftliche Lage, zeigt aber, dass die Menschen auch ohne die Befriedigung künstlich erzeugter Bedürfnisse ein materielles Auskommen haben.

Das Ziel der Vollbeschäftigung wird immer noch propagiert und auch vom Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn für machbar eingeschätzt.[10] Dies ist seiner Meinung nach mit Veränderungen der Tarifverträge und dem staatlich geförderten Ausbau von geringfügiger Beschäftigung. Wenn durch die Öffnung der Tarifverträge die Arbeitsplätze immer prekärer werden und der Staat kommunale Leiharbeiterjobs mit Entlohnung auf Sozialhilfeniveau anbietet und Niedrigstlöhne von gering qualifizierten und älteren Arbeitnehmer-innen durch Transferleistungen auf Sozialhilfeniveau aufstockt, hat das meines Erachtens wenig mit echter Vollbeschäftigung zu tun, sondern eher mit Bereinigung der Arbeitslosenstatistik.

Eine weitere Idee zur Rettung des Sozialstaates ist die Verkürzung der Erwerbsarbeit. Dies hat bislang dahingehend stattgefunden, dass das jährliche Gesamtarbeitsvolumen, obwohl abnehmend, auf eine wachsende Zahl von Erwerbstätigen verteilt wurde.[11] Der Haken an der Sache ist, dass trotzdem viele Beschäftige um ihren Arbeitsplatz bangen und etliche in befristeten, prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen, als Fernarbeiter, Teilzeit- und Aushilfskräfte arbeiten oder bei einer Leiharbeitsfirma angestellt sind und so unregelmäßig und in Intervallen arbeiten. Die Arbeitnehmer-innen können über ihre Zeit nicht mehr verfügen, normale Arbeitszeit gibt es nicht mehr und Arbeitszeitverkürzung macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn. Ein Beispiel ist Volkswagen, wo die radikale Verkürzung der Arbeitszeit zunächst eine Massenentlassung verhindert hat. Da dieses Modell nicht weiter verfolgt wurde, konnten spätere vorübergehende Phasen von Arbeitslosigkeit, weitere Reduzierung des Personals und neue sehr verkürzte Arbeitsformen und diskontinuierliche Arbeitszeiten nicht verhindert werden.[12] Das zeigt, dass die bloße Arbeitszeitverkürzung keine Lösung ist, weitere Maßnahmen sind notwendig. Eine Möglichkeit, Arbeitszeitverkürzung für alle möglich zu machen, ist die Einführung eines Grundeinkommens.

Im Folgenden soll zunächst der Begriff Grundeinkommen näher erläutert werden. Daran schließen sich Argumente, die für ein Grundeinkommen sprechen, an. Danach wird ein kurzer historischer Überblick über die Grundeinkommensdebatte gegeben um anschließend die heutigen wissenschaftlichen Überlegungen vorzustellen. Im Anschluss werden die konkreten Modelle des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, der Partei Bündnis 90/Die Grünen und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen vorgestellt und diskutiert. Diese Auswahl soll deutlich machen, dass in unterschiedlichen sozialen Schichten und Milieus und mit verschiedenen Hintergründen und Herangehensweisen über die Zukunft unserer Gesellschaft nachgedacht wird und trotzdem ein ähnliches Ergebnis die Folge ist. Im abschließenden Resümee erfolgen dann Überlegungen zur Umsetzungsproblematik.

II. Begriffsbestimmung

In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion über Grundeinkommens-konzepte sind viele Begrifflichkeiten gebräuchlich: Grundeinkommen, garantiertes Grundeinkommen, Grundsicherung in einer sozialen und einer bedarfsorientierten Variante, Mindestsicherung, Bürgergeld, Existenzgeld, Negative Einkommens-steuer, Sozialdividende und andere mehr. Diese Begriffe werden oft synonym verwandt. Ausgangspunkt ist bei allen Beschreibungen die Existenzsicherung der Bevölkerung. Die Termini Bürgergeld, Existenzgeld, Negative Einkommenssteuer und Sozialdividende bezeichnen Formen eines Grundeinkommens. Auf die drei letztgenannten wird an späterer Stelle noch einmal Bezug genommen. Zunächst soll geklärt werden, was unter einem Grundeinkommen zu verstehen ist. Dazu wird auf Ronald Blaschke, den Sprecher des Netzwerkes Grundeinkommen, Bezug genommen, der die Beschreibung eines garantierten Grundeinkommens anhand von sechs Positionen österreichischer und deutscher Sozialwissenschaftler herausgearbeitet hat.[13]

Nach Georg Vobruba ist ein garantiertes Grundeinkommen „das Recht auf staatliche Transferleistung unabhängig von der subjektiven (Lohn-)Arbeitsgesellschaft und vom Erwerb sozialer Anwartschaften; ein garantiertes Grundeinkommen bedeutet die staatliche Garantie materieller gesellschaftlicher Teilhabe für jedermann“.[14] Für Michael Opielka bedeutet Grundeinkommen den Ausschluss von Armut und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Es soll individuell bezogen werden und die Sozialversicherung reformieren. „Ein Grundeinkommen ist ein vorleistungsunabhängiger und möglichst in der Verfassung fundierter, eigenständiger Transferanspruch an den Staat, der das Existenzminimum deckt“.[15] Richard Hauser spricht sich für ein Grundeinkommen mit Individualbezug ohne Berücksichtigung weiterer Voraussetzungen aus. Lieselotte Wohlgenannt versteht unter Grundeinkommen eine finanzielle Zuwendung, „die jedem Bürger oder jedem Bewohner eines Landes als Rechtsanspruch zusteht, so hoch, daß sie eine angemessene Lebensführung ermöglicht, ohne Rücksicht auf sonstige Einkommen, auf Stand, auf Arbeit oder Verfügbarkeit für Erwerbsarbeit.“[16] Nach Manfred Füllsack wird ein Grundeinkommen gleichmäßig an jedes Mitglied der Gesellschaft gezahlt, und zwar unabhängig von Arbeit, Einkommen und Vermögen. Es stellt eine Basis dar, die ausreicht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Für Luise Gubitzer und Peter Heintel ist ein Grundeinkommen Existenz sichernd und vom Zwang zur Lohnarbeit entkoppelt. Dass heißt, dass auch andere Formen von Arbeit ins Blickfeld rücken, die erstmals eine Kopplung mit Einkommen erfahren, z. B. Erziehungs- und Pflegearbeiten, ehrenamtliches Engagement usw. Das Grundeinkommen wird hier ohne Gegenleistung ausgezahlt.

Anhand dieser Aussagen charakterisiert Blaschke ein garantiertes Grundeinkommen im engeren Sinne als allgemein, personenbezogen, bedingungslos, unbürokratisch, garantiert und Existenz sichernd. Allgemein bedeutet, dass alle Menschen in einem Lande ein Grundeinkommen erhalten. Diesen Punkt kann man auch auf Europa und letztlich auf die ganze Welt ausdehnen. Personenbezogen meint, dass das Grundeinkommen nicht haushalts- oder familienbezogen ausgezahlt wird, sondern dass es jede-r Einzelne-r erhält. Die Bedingungslosigkeit beinhaltet mehrere Komponenten. Zum einen besteht ein Anspruch ohne Bedürftigkeits-, Einkommens- und Vermögensnachweise. Des Weiteren besteht keine Arbeits- oder Tätigkeitspflicht und es ist auch nicht Voraussetzung, vorher einen Versicherungs- oder Äquivalenzbeitrag zu leisten. Dadurch besteht die Möglichkeit einer unbürokratischen Auszahlung. Garantiert bedeutet, dass das Recht auf Einkommen staatlich und rechtlich abgesichert ist. Wie schon der Name sagt, ist mit Existenz sichernd gemeint, dass das Grundeinkommen so hoch bemessen ist, dass es die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen abdeckt und Einkommensarmut verhindert. Der Grundansatz ist demnach die Entkopplung von Erwerbsarbeit und Einkommen und die Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle.

Für ein Grundeinkommen im weiteren Sinne ist meines Erachtens das Kriterium Bedingungslosigkeit variabel lösbar. Dass das Grundeinkommen die grundlegenden Bedürfnisse jedes Menschen abdecken und eine gesicherte Leistung für jede-n Bewohner-in darstellen muss, steht dabei außer Frage. Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen und die Pflicht, eine Gegenleistung zu erbringen können aber je nach Modellansatz verschieden gehandhabt werden. Der Grundgedanke der Entkopplung des Einkommens von der Lohnarbeit darf dabei aber nicht verletzt werden.

III. Argumente für ein Grundeinkommen

In Anlehnung an Blaschke sollen in diesem Abschnitt Argumente erläutert werden, die für die Einrichtung eines Grundeinkommens sprechen.[17]

Reichtum und Überfluss an materiellen und immateriellen Gütern charakterisieren zumindest die westlichen Gesellschaften. Trotzdem gilt das Prinzip der Mehrung von Profit, die Gesellschaften wollen immer mehr bzw. in den so genannten Entwicklungsländern überhaupt erst einmal westlichen Standard erreichen. Dazu kommt das Prinzip der Mehrung von Herrschaft über Menschen, beide Prinzipien sind kapitalistischen Ursprungs. Durch ein Grundeinkommen kann diese Macht beschränkt werden, Menschen und Gesellschaft werden unabhängig von Herrschafts- und Erpressungsprinzipien. Nicht nur der Unfreiheit und Armut in allen Ländern wird so entgegengewirkt, sondern auch den immensen ökologischen Schäden, die durch Natur schädigende Produktionsweisen entstehen.

Unsere Gesellschaft ist nicht nur hoch entwickelt sondern auch hochproduktiv. Es gibt eine ständige Überproduktion von Gütern und Lebensmitteln, die wieder vernichtet werden nur um sie neu zu produzieren. Das Angebot an Erwerbsarbeitsplätzen ist dabei begrenzt, aktuell wollen Siemens und DaimlerChrysler in Deutschland mehrere Tausend Arbeitsplätze abbauen. Durch den steigenden Sockel der Massenarbeitslosigkeit, Abbau von sozialstaatlichen Leistungen und die Bezahlung von Niedrig- und Niedrigstlöhnen werden die Spaltung der Gesellschaft und die Ausgrenzung der Armen verfestigt. Einkommenssicherung über Erwerbsarbeit wird für viele Menschen immer schwieriger. Im Gegensatz dazu stehen steigende Einkommen aus Vermögen und Finanzanlagen, die den Reichen zu Gute kommen. Ein Grundeinkommen trägt dazu bei, diese materiellen Teilhabmöglichkeiten neu zu verteilen und zwar nach den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen.

Aufgrund der vielen Arbeitslosen sind Arbeitskraftanbieter-innen leicht ersetzbar. Dieses Wissen macht die Arbeitnehmer-innen dahingehend erpressbar, auch schlechteste Bedingungen in Kauf zu nehmen. Ein Grundeinkommen verbessert ihre Verhandlungsposition hinsichtlich der Arbeitsbedingungen entscheidend. Die selbst schädigende Konkurrenz um Arbeitsplätze nimmt ab. Auch die Arbeitgeber können davon profitieren. Die Mitarbeiter-innen sind motivierter und arbeiten auf einer eher freiwilligen Basis. Gerade in unserer Wissensgesellschaft sind eine hohe Eigenmotivation und Engagementbereitschaft für Unternehmen überlebens-notwendig.

Die traditionelle Arbeitszeitverkürzung dagegen führt nur in geringem Maße zu Neueinstellungen. Es geschieht vielmehr das Gegenteil, Rationalisierungseffekte und Arbeitsverdichtung nehmen immer weiter zu. Teilzeitarbeit bedeutet meist Prekarisierung des Arbeitsplatzes und führt in vielen Fällen zu Lohneinbußen. Ein Grundeinkommen fördert bessere Arbeitsbedingungen, freiwillige Unterbrechungen und individuell gewünschte Verkürzungen der Erwerbsarbeit sind möglich.

Gerade wenn man gezwungen ist, jeden Job anzunehmen, geht der Sinn der Arbeit schnell verloren. Arbeitsinhalte erfahren keine Akzeptanz mehr, die Integrations- und Identitätsstiftung schwindet. Durch ein Grundeinkommen eröffnen sich hier neue Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Der Mensch arbeitet nach Erich Fromm nämlich nicht nur aus materiellem Anreiz. Er leidet unter den Folgen von Untätigkeit da er von Natur aus nicht träge ist und sich immer eine Tätigkeit sucht.[18] Darüber hinaus wird durch ein Grundeinkommen die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der Mann geht einer bezahlten Erwerbsarbeit nach und die Frau übernimmt die unbezahlte Versorgungsarbeit, ebenso gefördert wie neue Formen der Aneignung des Produktionsprozesses z.B. in Alternativökonomien oder bei der Mitbestimmung von Arbeitsinhalten und –bedingungen.

Die materielle Produktion und Wertschöpfung basiert zunehmend auf Wissen, Phantasie und Kreativität. Diese immateriellen Güter lassen sich nicht in den herkömmlichen Kategorien von Arbeitszeit und Arbeitsleistung messen. Zudem werden diese Fähigkeiten oft außerhalb der Lohnarbeit erworben und das auch ein ganzes Leben lang. Wenn sich nun die gesamtgesellschaftliche Produktion von der individuellen Arbeitszeit und –leistung entkoppelt, spricht dies auch für eine Trennung von individueller Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und gesellschaftlichen Leben und der individuellen Arbeit. Die Folge dieser Entwicklung ist ein Grundeinkommen für alle.

Ein weiterer Aspekt ist das Demokratieargument. Mit einem Grundeinkommen können sich alle Bürger-innen gleichermaßen und unabhängig in die demokratische Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten einbringen und treffen ihre Entscheidungen nicht vor dem Hintergrund von Existenzängsten und –nöten, die eher politische Enthaltsamkeit fördern.

Diese Argumente für ein Grundeinkommen lassen sich auch in ein christliches Welt- und Menschenbild integrieren. Christen sehen Arbeit als Teilhabe am Schöpfungswerk Gottes (Laborem exercens).[19] Arbeit ist also „jede aktive Beteiligung von Menschen an der Gestaltung der Welt.“[20] Arbeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur marktvermittelte bezahlte Erwerbsarbeit, die ihre Produkte wieder am Markt anbietet, sondern auch private Arbeit und gemeinnützige Arbeit. Private Arbeit drückt sich in der eigenen Produktion von Gütern und Leistungen des persönlichen Bedarfs aus, z. B. durch Selbstversorgung durch den eigenen Garten, Tauschringe, Nachbarschaftshilfe usw. Gemeinwesenbezogene Arbeit umfasst ehrenamtliche Tätigkeiten und Engagement im politischen und gesellschaftlichen Rahmen. Die Arbeit, genauer das Ausmaß der Arbeit bzw. der Leistung, bestimmt aber nur das Ausmaß des Einkommens. Der Anspruch auf ein Einkommen begründet sich aus dem Bedürfnis des Menschen heraus, er bedarf der Unterhaltsmittel, um menschenwürdig leben zu können.[21] Einkommen braucht also nicht notwendig durch Arbeit gerechtfertigt sein. Dies wird schon in der Bibel im Matthäusevangelium deutlich. In dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg heißt es, dass diejenigen, die erst am Nachmittag mit der Arbeit angefangen sind, den gleichen Lohn erhalten wie diejenigen, die bereits am Morgen begonnen haben.[22] Daraus lässt sich ableiten, dass der Anspruch des Menschen auf das, was er zum täglichen Leben braucht, allein durch seine Menschenwürde begründet ist. Also aufgrund der Tatsache, dass Gott ihn so geschaffen hat, wie er ist.

Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist auch im Grundgesetz verankert. Daraus lässt sich zwar nicht ein Recht auf ein Grundeinkommen ableiten, durch ein Grundeinkommen erfahren einige Grundrechte aber eine neue Qualität, nicht nur die Menschenwürde in Artikel 1. Die Grundrechte beinhalten auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Des Weiteren sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich und jeder hat das Recht auf freie Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte und darf nicht zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden.[23] Verhaftet in gesellschaftlichen Zwängen ist es nicht immer möglich, diese Rechte auszuschöpfen. Die Berufswahl wird durch ökonomische Prinzipien bestimmt und bei den Bedarfsprüfungen für soziale Leistungen fühlen sich viele Menschen nicht wirklich würdig behandelt. Ein Grundeinkommen ermöglicht allen Bürger-innen ein menschenwürdiges und eigenverantwortliches Leben.

IV. Historische Wurzeln

Die Ideen zu einem Grundeinkommen für alle gibt es nicht erst seit den 1980er Jahren. Es gibt philosophische, wissenschaftliche und politische Auseinandersetzungen bereits zu Anfang des 16. Jahrhunderts. Als einer der Ersten, die sich mit dem Gedanken einer Einkommenssicherung beschäftigten, wird in der entsprechenden Literatur Sir Thomas Morus genannt.[24]

IV.1 Utopia von Thomas Morus

Im Jahr 1516 erscheint die von Morus entworfene Idealvorstellung vom autokratischen Regionalstaat, in dem Vernunftglauben und Gemeinschaftssinn herrschen. Jede-r Bürger-in erhält soviel, wie zum Leben benötigt wird. „Ein Familienvater holt sich auf dem Markt das Nötige für sich und seine Familie und bekommt, was er will, ohne daß er dafür Geld oder einen anderen Gegenwert hergeben müßte.“[25] Im Gegenzug dazu müssen alle Bewohner-innen von Utopia sechs Stunden täglich produktive Arbeit leisten und zwar in einem zugewiesenen Beruf, der der jeweiligen Begabung entspricht. Diese Zeit ist völlig ausreichend, da nur notwendige Güter produziert werden und Luxus nicht existiert, es kommt sogar vor, dass die Arbeitszeit noch verkürzt wird. Alle Güter und Produktionsmittel sind Gemeinbesitz.

„Die Zeit zwischen der Arbeit, den Mahlzeiten und der Ruhe kann jeder verwenden, wie er will. Doch wird keinerlei Mißbrauch mit den Mußestunden getrieben, etwa in der Weise, daß man sich dem Nichtstun oder irgendwelcher Dummheiten hingäbe, sondern man sucht sich nur dadurch zu erholen, daß man in der Beschäftigung abwechselt.“[26] Abwechslung wird geboten durch wissenschaftlichen Unterricht, Ausübung handwerklicher Tätigkeiten oder durch Musik und gemeinsames Spiel. Glücksspiel jedweder Art gibt es nicht.[27]

Auch Morus’ Zeitgenosse Juan Luis Vives plädierte 1526 für ein garantiertes Mindesteinkommen und auch in den klassischen Utopien „Sonnenstaat“ von Tommaso Campanella 1623 und „Neu-Atlantis“ von Francis Bacon 1638 haben die Bürger-innen die Möglichkeit, ihre Lebensbedürfnisse zu stillen und zwar mit der Begründung, dass sie Mitglieder der Gesellschaft sind. Sie haben also ein Recht auf eine Grundversorgung bzw. ein Grundeinkommen.[28]

Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Vordenker für ein Grundeinkommen Thomas Paine und Charles Fourier, die sich mit spezifischen Formen eines Grundeinkommens beschäftigten. Sie stellten Überlegungen für verschiedene Personengruppen an, Grundeinkommen mit und ohne Gegenleistungsverpflichtung, als minimale Existenzsicherung oder Armutsbeihilfe oder als Startkapital für wirtschaftliche Aktivitäten. Hundert Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts waren Akteure auf diesem Gebiet unter anderem Theodor Hertzka, Paul Kropotkin und Josef Popper-Lynkeus, als politische Antwort auf das Bedürfnis nach sozialer Sicherung implementierte Bismarck die Sozialversicherung.[29]

Im Verlauf des 20. Jahrhundert wurden unterschiedliche Konzepte für ein Grundeinkommen erarbeitet, im Folgenden werden die Sozialdividende nach Rhys-Williams und die negative Einkommessteuer nach Friedman kurz dargestellt.[30]

IV.2 Die Sozialdividende nach Rhys-Williams

Die britische Labour-Abgeordnete Lady Juliette Rhys-Williams entwickelte in den 1940er Jahren ein soziales Sicherungssystem, in dem Frauen, Männer und Kinder gleichermaßen berücksichtigt werden. Sie forderte „eine Zusammenfassung aller steuer- und sozialpolitischen Instrumente in einem System mit dem Ziel der Verschmelzung von Einkommensteuer- und Sozialversicherungssystem.“[31] Alle Sozialversicherungsleistungen und Steuerfreibeträge sollen nach Rhys-Williams zu Gunsten eines steuerfreien Basiszuschusses für alle Bürger-innen, unabhängig von Bedürftigkeit und Einkommen, abgeschafft werden. In ihrem Modell ist der Staat grundsätzlich verpflichtet, alle Bürger-innen zu unterstützen. Die Sozialdividende ist ein nach Alter und Geschlecht gestaffeltes Mindesteinkommen, das jeder Person wöchentlich ausgezahlt wird. Alle Kinder haben ein Recht auf ausreichend Nahrung, medizinische Versorgung und bestmögliche Bildung. Zur Umsetzung werden Lohn- und Einkommensteuertarif um einen negativen Bereich erweitert, so dass bei einem Erwerbseinkommen von Null das Existenzminimum für jede-n abgedeckt ist. Im Gegenzug dazu werden auf alle Verdienste Steuern erhoben und Einkommen ab einer bestimmten Summe mit einer Einkommenszusatzsteuer als Aufschlag zu Einkommensteuer belastet. Die Sozialdividende ist zusätzlich zum sonstigen Einkommen zu gewähren. Eine Bedürftigkeitsprüfung findet nicht statt. Umgekehrt verpflichten sich die Arbeitnehmer-innen, für Standardlöhne zu arbeiten. Mit diesem Prinzip soll ein Anreiz zur Arbeit geschaffen werden.[32]

IV.3 Die negative Einkommensteuer nach Friedman

Milton Friedman, Nobelpreisträger für Ökonomie 1976, plädiert für ein Mindesteinkommen für jedes Individuum. Vereinfacht lässt sich seine Forderung auf folgende Formel bringen: Wer Einkommen erzielt, bezahlt Steuern, wer nichts verdient, bekommt Steuern. Einkommen unterhalb des Steuerfreibetrages sollen durch Transferzahlungen – die negative Einkommensteuer – auf das Mindesteinkommen aufgestockt werden. Die Höhe des Mindesteinkommens hängt von der staatlichen Finanzierbarkeit ab. Damit soll denen, die trotz Arbeit in Armut leben, eine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden. Nach Friedman sind die Kosten für das Negativsteuersystem begrenzt. Zum einen durch die relativ geringe Höhe des Mindesteinkommens und zum anderem durch die Streichung bisheriger Sozialtransfers wie Sonderprogramme für Behinderte und Arbeitsunfähige. Die knappe Bemessung des Mindesteinkommens ist wie bei der Sozialdividende ein Anreiz, um Erwerbsarbeit aufzunehmen.

[...]


[1] Zitiert nach: Korrespondenz. Informations- und Kommunikationsorgan des Landesjugendring Niedersachsen. e. V., S. 14

[2] U. a. Merkel, Wolfgang: Sozialpolitik. In: Korte, Karl-Rudolf & Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Deutschland-TrendBuch. Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung 2001, S. 289. Westdörp, Uwe: Eine Reform reicht nicht. In: Neue Osnabrücker Zeitung vom 30.06.2005, S. 2

[3] Die Schreibweise für weibliche und männliche Formen ist vom Landesjugendring Niedersachsen e.V. übernommen.

[4] Merkel, W.: a.a.O., S. 290

[5] Vgl. Vobruba, Georg: Die Entflechtung von Arbeiten und Essen. In: Opielka, Michael & Vobruba Georg (Hrsg.): Das garantierte Grundeinkommen. Frankfurt a. M., Fischer Taschenbuch Verlag 1986, S. 43

[6] Vgl. Gretschmann, Klaus u. a.: Durch die Krise zur Reform. In: Heinze, Rolf u. a. (Hrsg.): Sozialstaat 2000. Bonn, Verlag Neue Gesellschaft 1987, S. 16

[7] Vgl. Rürup, Bert & Sesselmeier, Werner: Wirtschafts- und Arbeitswelt. In: Korte, K.-R. & Weidenfeld, W. (Hrsg.): a. a. O.: S. 255

[8] Vgl. ebenda S. 261ff

[9] Vgl. Studie: Ängste auf Rekordhoch. In: Neue Osnabrücker Zeitung vom 09.09.2005

[10] Vgl. ifo-Experte sieht Job für jeden. In: Neue Osnabrücker Zeitung vom 30.05.2005

[11] Vgl. Gorz, André: Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag 2000, S. 135

[12] Vgl. ebenda, S. 136

[13] Vgl. Blaschke, Ronald: Garantiertes Grundeinkommen. Dresden 2004. www.netzwerk-grundeinkommen.de , S. 12ff

[14] Vobruba, Georg: zitiert nach Blaschke, R. 2004: a. a. O., S. 12

[15] Opielka, Michael: zitiert nach Blaschke, R. 2004: a. a. O., S. 12

[16] Wohlgenannt, Lieselotte: zitiert nach Blaschke, R. 2004: a. a. O., S. 12

[17] Vgl. Blaschke, Ronald: Warum ein Grundeinkommen? Dresden 2005 www.archiv-grundeinkommen.de, dl vom 27.06.05

[18] Vgl. Fromm, Erich: Psychologische Aspekte eines garantierten Einkommens für alle. In: Das garantierte Grundeinkommen. Frankfurt a. M., Fischer Taschenbuch Verlag 1986, S. 22

[19] Vgl. Harhues, Ortrud: Arbeit neu begreifen und bewerten. Referat über das Zukunftsmodell 2 „Triade der Arbeit“ der KAB. In: Frauen-Euregio-Projekt: Leben ist nicht nur Erwerbsarbeit. Dokumentation 2004

[20] ebenda S. 37

[21] Vgl. Becher, Johannes: Ein Recht auf Arbeit. „Fragen“ an Oswald von Nell-Breuning. In: Kirchenbote vom 18.09.2005, S. 5

[22] Vgl. Matthäus 20, 1-16a

[23] Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

[24] Vgl. u. a. Van Parijs, Philippe: A Short History of Basic Income. http://www.etes.ucl.ac.be/BIEN/Print/BI/HistoryBI.htm und Welter, Ralf: Solidarische Marktwirtschaft durch Grundeinkommen. Aachen, Shaker Verlag 2003, S. 112

[25] Morus, Thomas: Utopia. Goldmann Verlag 1987, S. 92

[26] ebenda S. 84

[27] Vgl. ebenda S. 82 ff

[28] Vgl. Blaschke, R. 2004: a. a. O., S. 9

[29] Vgl. ebenda, S. 9

[30] vgl. Welter, R.: a. a. O.: Kapitel IV.2.3

[31] ebenda S. 120

[32] vgl. Welter, R.: a. a. O.: Kapitel IV.2.4

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2005
ISBN (PDF)
9783863415013
ISBN (Paperback)
9783863410018
Dateigröße
6.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,2
Schlagworte
Bedingungsloses Grundeinkommen Grundsicherung Bürgergeld Existenszgeld Robert Blaschke
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Hauke Meyerrose, Jahrgang 1978, lebt in Osnabrück. Ihr Bachelorstudium der Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück schloss sie im Jahr 2005 erfolgreich ab. Von 2003 bis 2007 war sie Diözesanvorsitzende beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in Osnabrück. Während dieser Zeit hat sie sich intensiv mit dem Thema Grundeinkommen beschäftigt. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist das vorliegende Buch.
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