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Versprecher - ein Thema im Deutschunterricht: Materialien zur Vorbereitung für Lehrer

©2008 Bachelorarbeit 43 Seiten

Zusammenfassung

Die menschliche Sprache ist ein äußerst komplexes und faszinierendes Phänomen zugleich. Sprachwissenschaftler sind immer wieder über die Genialität und Komplexität der Vorgänge, die bei der Produktion von Sprache ablaufen, erstaunt. Einblicke darüber, wie Sprachproduktion funktionieren könnte, verschaffen ihnen dabei vor allem die VERSPRECHER. Trotz der Tatsache, dass Versprecher inzwischen ein anerkanntes Forschungsgebiet der Sprachwissenschaft darstellen, werden sie in der Didaktik und damit ebenfalls im Deutschunterricht kaum thematisiert. Die Ursachen dafür reichen von einem nicht erkannten Potential dieser Thematik über ein fehlendes Materialangebot bis hin zum Zeitmangel. Der Autor dieser Arbeit vertritt jedoch die Meinung, dass Versprecher für den Einsatz im Unterricht geeignet sind. Das Thema bietet die Möglichkeit, das Sprachbewusstsein der Schüler zu fördern, indem es ihnen z.B. Einsichten in den menschlichen Sprachplanungsprozess gewährt. Die didaktische Auseinandersetzung mit Versprechern wird den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden. Nach Auseinandersetzung mit dem theoretischen Teil der Thematik, folgt eine didaktische Analyse des Themenkomplexes. Neben einer Untersuchung der aktuellen Situation von Versprechern im Deutschunterricht, soll das didaktische Potenzial des Gegenstandes herausgearbeitet sowie Hilfen zu Einsatzmöglichkeiten von Versprechern im Unterricht gegeben werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


9
2
Theoretisch begriffliche Grundlagen
2.1
Definition und begriffliche Einordnung
Zu Beginn der Ausführungen soll zunächst der Terminus Versprecher definiert werden.
Der Ursprung des Begriffs liegt in dem althochdeutschen Wort farsprehan, welches zwei
unterschiedliche Bedeutungen implizierte, die bis heute erhalten geblieben sind. Einerseits
kann es bedeuten: ,,jemanden etwas zusagen", ,,sich verpflichten etwas zu tun"; andererseits
,,aus Versehen etwas Falsches sagen" (vgl. Leuninger 1998, 67). In dieser Arbeit ist ausschließ
lich letztere Bedeutung von Interesse. Diese definiert H
ADUMOD
B
USSMANN
wie folgt:
,,[Versprecher sind u]nbeabsichtigte, d.h. unwillkürliche Fehler beim Sprechen [...] deren
linguistische Untersuchungen, besonders seit R
UDOLF
M
ERINGER
[...] Aufschluss über physio
logische, psychische, mentale und kognitive Vorgänge bei der Sprachproduktion liefern
sowie den Nachweis psychischer Realität linguistischer Einheiten und Prozesse [...] erbrin
gen sollen. V. sind sprachsystembedingte, natürliche (nicht pathologische), individuelle
Abweichungen von beabsichtigten Äußerungen und können alle Spracheinheiten (u.a.
Grammatikregeln, Wort, Laut, Sprechgeste), bemerkt oder unbemerkt [...] betreffen."
(Bußmann 2002, 763)
Anhand dieser Definition lassen sich die vier wichtigsten Charakteristika von Versprechern
herausarbeiten.
1.
Versprecher entstehen völlig spontan und ungewollt: Dies ist ein zentrales Merkmal und
wird auch von der Linguistin H
ELEN
L
EUNINGER
besonders betont (vgl. Leuninger 1998, 80).
2.
Versprecher sind sprachsystembedingte Abweichungen: Das bedeutet, dass auch Ver
sprecher regelgeleitet und nicht etwa auf pathologische oder psychologische Ursachen
zurückzuführen sind.
3.
Versprecher bilden die Grundlage der Sprachproduktionsforschung: Bußmann macht
deutlich, dass Versprecher Einblicke in die Prozesse der menschlichen Sprachproduktion
geben.
4.
Versprecher können alle sprachlichen Einheiten betreffen: Sowohl die Phonologie und
Morphologie als auch die Syntax und Semantik können von Versprechern betroffen sein.
Mithilfe dieser Charakteristika ist es möglich, Versprecher von sprachlichen Fehlern und
Sprachspielen abzugrenzen. Eine Gemeinsamkeit aller drei Phänomene besteht darin, dass sie

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Normabweichungen der Zielsprache sind. Zugleich unterscheiden sie sich aber in anderen
Gesichtspunkten grundlegend, wodurch eine Differenzierung der Begriffe möglich wird und
erforderlich ist.
Sowohl Versprecher als auch tatsächliche sprachliche Fehler treten völlig unbeabsichtigt
und unmotiviert auf. Während es bei Versprechern jedoch kennzeichnend ist, dass der Sprecher
im Grunde die adäquate sprachliche Form kennt, verfügt der Sprecher, dem ein wirklicher
Fehler unterläuft, über dieses Wissen nicht. Folgendes Beispiel dient der Erklärung:
Beispiel: ethische Witze für ethnische Witze
Von einem Versprecher würde man sprechen, wenn der Sprecher die unterschiedlichen
Bedeutungen beider Wörter kennen würde, diese aber unbeabsichtigt, aufgrund der Formähn
lichkeit der Wörter, vertauscht hat. Ein sprachlicher Fehler läge vor, wenn der Sprecher sich der
unterschiedlichen Bedeutungen nicht bewusst wäre (das Wort ethnische vielleicht nicht einmal
kennt), aber der Meinung ist, mit der Wahl des Wortes ethische das richtige Wort im richtigen
Kontext verwendet zu haben. Somit wäre der Fehler auf die Unwissenheit des Sprechers
zurückzuführen.
Zur Abgrenzung von Versprechern gegenüber Sprachspielen dient die Definition zu
Sprachspielen, die E
BERHARD
K
REUTZNER
gibt.
,,[Sprachspiele sind] Spiele mit dem gesamten überkommenden Sprachmaterial, die sich
den normativen Idealen inhaltlicher Eindeutigkeit und formaler Fixiertheit durch Mehr
deutigkeit und Abwandlung entziehen, vornehmlich um komische und suggestive Wir
kungen zu erzeugen." (Kreutzner in Janich 2001, 146)
Anhand dieser Definition bestimmt N
INA
J
ANICH
zwei charakteristische Merkmale für
Sprachspiele. Zum einen sind sie eine ,,[s]pielerische Abweichung von der sprachlichen Norm"
(Janich 2001, 46 f.), zum anderen werden sie absichtlich eingesetzt, um eine komische bzw.
witzige Wirkung zu erzielen (vgl. Janich 2001, 47). Somit ist der grundlegende Unterschied
zwischen Versprechern und Sprachspielen, dass Sprachspiele im Gegensatz zu Versprechern
bewusst eingesetzt werden und zudem noch ein bestimmtes Ziel verfolgen.

11
2.2
Zur Klassifizierung von Versprechern
Genau wie der Mensch nach Regeln spricht, verspricht er sich auch nach Regeln (vgl.
Achilles/Pighin 2008, 150). Zu dieser Erkenntnis kam als Erstes der Sprachforscher Rudolf
Meringer, der bei der Analyse seines Versprecherkorpus` feststellte, dass Versprecher nach
bestimmten Versprechermustern ablaufen. Demzufolge unterteilte er Versprecher in fünf
Kategorien (Vertauschungen, Antizipationen/Vorklänge, Postpositionen/Nachklänge, Kontami
nationen und Substitutionen), die im Folgenden erläutert werden.
1.
V
ERTAUSCHUNGEN
: Wie das Wort Vertauschungen schon impliziert, wechseln bei dieser Art
von Versprechern zwei sprachliche Einheiten in einer Äußerung ihre Positionen (vgl. Leu
ninger 1998, 71).
Beispiel: alle meine Löcher haben Socken für alle meine Socken haben Löcher
1
In diesem Beispiel hat eine Vertauschung der Wörter Socken und Löcher stattgefunden.
Ebenso kann es vorkommen, dass lediglich Silben bzw. Laute von der Vertauschung betrof
fen sind, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen.
Beispiele: mir knittern die Zie für mir zittern die Knie
Beispiel:
Fahrradabraumstell für Fahrradabstellraum
2.
A
NTIZIPATIONEN BZW
. V
ORKLÄNGE
: Unter Antizipation versteht man die Vorwegnahme eines
,,[...] später in der Äußerung vorkommende[n], [...] schon geplante[n], Elements" (Leuninger
1998, 111).
Beispiel: aber nicht, wenn du die Bland blau streichst für aber nicht, wenn du die Wand
blau streichst
3.
P
OSTPOSITIONEN BZW
. N
ACHKLÄNGE
:
Das Spiegelbild zu den Vorklängen bilden die sogenann
ten Nachklänge (vgl. Leuninger 1996, 112). Im Gegensatz zu den Antizipationen werden bei
1
Alle in dieser Arbeit angeführten Versprecher stammen aus einer eigenen Versprechersammlung (siehe Anhang,
S. viii) und werden im Folgenden nicht mehr gesondert gekennzeichnet.

12
den Nachklängen bereits geäußerte sprachliche Einheiten, die noch unmittelbar präsent
sind, erneut aufgegriffen und ein zweites Mal verwendet (vgl. Leuninger 1998, 73). Im fol
genden Beispiel sind Laute von der Postposition betroffen.
Beispiel: Glitzerketzen für Glitzerketten
4.
K
ONTAMINATIONEN BZW
. V
ERSCHMELZUNGEN
:
Bei diesem Versprechertyp verschmelzen
zwei sprachliche Einheiten, die die Intention des Sprechers gleichermaßen ausdrücken
könnten zu einer (vgl. Leuninger 1996, 116). Darunter versteht man, dass mehrere Sätze
bzw. Wörter zu einer Äußerung synthetisiert werden, wobei die zu verschmelzenden Wör
ter bzw. Sätze gewisse Ähnlichkeiten in der Form oder Bedeutung aufweisen müssen. Dies
wird durch das nachfolgende Beispiel verdeutlicht.
Beispiel: ich vermette, dass es schön wird für ich vermute bzw. wette, dass es schön wird
Die Wörter vermuten und wetten weisen Ähnlichkeiten in ihrer Bedeutung insofern auf, als
dass sie beide eine Mutmaßung des Sprechers ausdrücken.
5.
S
UBSTITUTIONEN BZW
. E
RSETZUNGEN
: Die letzte Kategorie bilden bei Meringer die Substitutio
nen. In diesem Fall verwendet der Sprecher aufgrund der form bzw. bedeutungsbedingten
Ähnlichkeit von Wörtern ein anderes Wort als das ursprünglich geplante (vgl. Leuninger
1998, 75). Im anschließenden Beispiel liegt dem Versprecher die Formähnlichkeit der Wör
ter zu Grunde.
Beispiel: wegen der Fernbedienung für wegen der Fernbeziehung
Mit seinen Analysen wollte Meringer herausfinden, ,,welche psychologischen Mechanis
men zu sprachlichen Fehlgriffen führen, welche sprachlichen Einheiten von diesen Mechanis
men erfaßt werden können und welche psychologisch linguistische Struktur die Versprecher
haben." (Leuninger 1998, 71) Ausgehend von den Erkenntnissen Meringers, versucht die
heutige Sprachforschung vor allem den Sprachplanungsprozess anhand von Versprechern
nachzuvollziehen (vgl. Glück 2000, 778).
Auf die Funktionsweise des Sprachplanungsprozesses wird in einem späteren Abschnitt
gesondert eingegangen. Vorerst soll jedoch geklärt werden, inwiefern neuere Erkenntnisse die
Theorie Meringers erweitert haben.

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Die Sprachforscherin Helen Leuninger, die in dieser Arbeit bereits zitiert wurde, beschäf
tigt sich aktuell mit der Erforschung von Versprechern. Sie orientiert sich in ihren Untersuchun
gen zwar an den Grundlagen Meringers, doch gleichzeitig führt sie diese weiter aus. In diesem
Abschnitt sollen die wichtigsten Elemente herausgearbeitet werden, die Theorien von Leunin
ger und Meringer voneinander unterscheiden.
Die Erweiterung der Theorie Meringers besteht zunächst einmal darin, dass Leuninger
dessen Klassifizierung erweitert. Zusätzlich zu den von Meringer benannten Versprechermus
tern nennt sie S
TRANDGUTIRRTÜMER
, T
ILGUNGEN
, H
INZUFÜGUNGEN
, I
NFEKTIONEN
und V
IREN
.
Von Strandgutirrtümern bzw. vom Stranden spricht Leuninger, wenn Wortstämme ver
tauscht werden und die zu diesem Zeitpunkt der Sprachplanung bereits festgelegten grammati
kalischen Endungen an ihrem Platz zurück bleiben, also dort ,,stranden" (vgl. Leuninger 1996,
114).
Beispiel: die stärkt sich auch schminker für die schminkt sich auch stärker
In diesem Beispiel werden die Stämme stark und schmink miteinander vertauscht. Die
grammatikalische Komperativendung er sowie das t in stärkt bleiben dabei allerdings zurück.
Bei Tilgungen bzw. Hinzufügungen werden einzelne Laute eines Wortes ausgelassen bzw.
hinzugefügt. Und unter Infektionen bzw. Viren versteht Leuninger Äußerungen, in denen mehr
als ein Versprecher auftreten (Leuninger 1996, 119).
2
Eine weitere Erneuerung zu der Theorie Meringers ist Leuningers Spezifizierung im Be
reich der Vertauschungen. Während für Meringer alle Vertauschungen vom selben Typ sind,
stellt Leuninger fest, dass es nur oberflächlich betrachtet so scheint, als liefen Wortvertau
schungen und Lautvertauschungen nach demselben Muster ab (vgl. Leuninger 1998, 86). Daher
unterscheidet Leuninger im Gegensatz zu Meringer zwischen Wortvertauschungen, Lautvertau
schungen und der Vertauschung von Wortstämmen, welche sie, wie bereits erwähnt, als
Strandgutirrtümer bzw. Stranden bezeichnet (vgl. Leuninger 1998, 85 ff.). Beim Vergleich von
Wortvertauschungen mit Strandgutirrtümern und Lautvertauschungen hat Leuninger festge
stellt, dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Sprachplanung ablaufen müssen und nicht,
2
Für weitere Ausführungen dazu vgl. Leuninger 1996, 114 120.

14
wie Meringer glaubte, zum selben Zeitpunkt. Leuningers Begründung dafür kann im folgenden
Kapitel ,,Versprecher ­ das Fenster zur menschlichen Sprachplanung" nachvollzogen werden.
2.3
Versprecher ­ das Fenster zur menschlichen Sprachplanung
Wie bereits erwähnt, hat die Versprecherforschung einen entschiedenen Beitrag zur Ent
wicklung von Sprachproduktionsmodellen geleistet (vgl. Poulisse 1999, 8). Dies ist möglich, da
die Fehlerlinguistik annimmt, dass
,,[...] die Störung eines Prozesses generell denselben regelhaften Mechanismen unterliegt,
die den ungestörten Ablauf determinieren. Bei den Versprechern zeigen sich selektive
Störungen (die einzelnen Subkomponenten zuzuordnen sind), während der übrige Pro
zessor weiterarbeitet." (Schwarz 1992, 179)
Auch Leuninger versuchte, anhand ihrer Beobachtungen ein derartiges Modell zu entwi
ckeln, welches nachfolgend beschrieben werden soll.
Als Grundlage für die Entwicklung von Sprachplanungsmodellen dienen die zuvor be
schriebenen Kategorien von Versprechern (siehe oben), die es erlauben, Rückschlüsse auf den
Sprachproduktionsprozess zu ziehen. Versprecher gelten als ein Indiz dafür, dass verschiedene
Konstituenten Einheiten der Planung bilden (vgl. Grimm/Engelkamp 1981, 136) und dass die
Zusammenfügung dieser Konstituenten streng geordnet abzulaufen scheint (vgl. Leuninger
1998, 108). Um den Ablauf und die Organisationsweise der Sprachplanung nachvollziehen zu
können, ist es hilfreich, einzelne Versprechertypen noch einmal genauer zu betrachten.
Einen zentralen Baustein des Sprachplanungsprozess bildet das mentale Lexikon
3
. In die
sem Lexikon befindet sich der gesamte Wortschatz eines Menschen, auf den er zurückgreifen
kann, um eine Äußerung zu tätigen. Besonders aufschlussreich für die Funktions und Organisa
tionsweise des mentalen Lexikons sind die Substitutionen und Kontaminationen (vgl. Leuninger
1998, 83). Da bei den Substitutionen zwischen formbedingten und bedeutungsbedingten
Substitutionen unterschieden wird, ist anzunehmen, dass das innere Lexikon des Menschen
nicht etwa alphabetisch sortiert ist, sondern eher nach Bedeutungs bzw. Formkriterien (vgl.
Leuninger 1998, 83). Das heißt, dass z.B. Wörter wie positionieren und portionieren im menta
3
Das mentale Lexikon bzw. innere Lexikon ist eine ,,Bezeichnung für den mental organisierten und repräsentierten
Wortschatz, auf den in der Sprachverarbeitung zurückgegriffen wird." (Bußmann 2002, 428)

15
len Lexikon nah beieinander gespeichert sind, da sie sich in ihrer Form stark ähneln. Ebenso
verhält es sich mit den Wörtern Hund und Pferd, da es beides Tierbezeichnungen sind. Die
Wahrscheinlichkeit, sich in diesen beiden Fällen zu versprechen, ist demzufolge recht hoch.
Beispiel: das ist genau positioniert für das ist genau portioniert,
nun mach` mal nicht die Hunde scheu für nun mach` mal nicht die Pferde scheu
Obwohl formbedingte und bedeutungsbedingte Substitutionen gleichermaßen Aufschluss
über die Organisationsweise des mentalen Lexikons liefern, sei an dieser Stelle erwähnt, dass
sie in der Sprachplanung nicht zum selben Zeitpunkt auftreten. Während bedeutungsbedingte
Substitutionen zu Beginn der Sprachplanung ablaufen, kommen formbedingte Substitutionen
erst zu einem späteren Zeitpunkt der Sprachplanung vor.
Neben den Substitutionen geben auch die Kontaminationen Hinweise auf die Arbeitswei
se des mentalen Lexikons. So lassen Kontaminationen wie z.B. etwas ist hand und stichfest für
etwas hat Hand und Fuß bzw. ist hieb und stichfest vermuten, dass auch feststehende Wen
dungen bedeutungsverwandt sein können und im inneren Lexikon nebeneinander abgespei
chert werden (vgl. Leuninger 1998, 83). Außerdem weisen Kontaminationen darauf hin, dass
während der Wortauswahl zwei Prozesse gleichzeitig ablaufen können (vgl. Cutler 1982, 9).
Nachdem der Sprecher sich dessen, was er äußern möchte, bewusst ist, erfolgt der ei
gentliche Sprachplanungsprozess, den Leuninger mit der
PRÄDIKATIVEN
E
BENE
einleitet (vgl.
Leuninger 1998, 109).
,,Auf ihr vollzieht sich die erste sprachliche Kodierung der Mitteilungsabsicht, und sie ent
hält alle wichtigen Bedeutungsinformationen. Die Elemente kommen mit ihren Markie
rungen für die Wörter (Verb, Adjektiv, Substantiv usw.) aus dem inneren Lexikon, sind
aber in ihrer Reihenfolge noch nicht festgelegt." (Garrett in Leuninger 1998, 86 f.)
Auf dieser Ebene wählt der Sprecher die entsprechenden Wörter aus dem mentalen Lexi
kon aus, die seine Mitteilungsabsicht ausdrücken. Dabei kann es vorkommen, dass Wörter
aufgrund von Bedeutungsähnlichkeiten ersetzt werden oder es zur Verschmelzung von Wörtern
kommt. Ebenso können Wortvertauschungen auftreten, da nach der Auswahl der entsprechen
den Wörter deren Reihenfolge noch nicht festgelegt ist. Leuninger unterscheidet zwischen
Wort und Lautvertauschungen und zeigt auf, dass sie nicht demselben Sprachplanungsmuster
folgen. Bei Wortvertauschungen können nur Wörter derselben Wortart miteinander vertauscht
werden. Gleichzeitig können diese aber relativ weit voneinander entfernt sein, d.h. die Fehler

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spanne ist verhältnismäßig groß. Anders verhält es sich sowohl mit den Lautvertauschungen als
auch mit dem Stranden. In diesen Fällen sind die von der Vertauschung betroffenen Elemente
meist benachbart. Dies sieht Leuninger als Indiz dafür, dass Lautvertauschungen und Stranden
im Gegensatz zu den Wortvertauschungen zu einem späteren Zeitpunkt der Sprachplanung
ablaufen müssen. (Vgl. Leuninger 1998, 86 f.) Dementsprechend ordnet Leuninger die Lautver
tauschungen und das Stranden der
POSITIONALEN
E
BENE
zu (vgl. Leuninger 1998, 87). Die auf
dieser Ebene ablaufenden Prozesse beschreibt Leuninger wie folgt:
,,Auf dieser Planungsebene wird der grammatische Satzrahmen festgelegt, also die Rei
henfolge und die Grenzen der Satzbestandteile. Spätestens ab diesem Stadium der Pla
nung geht alles sehr schnell, und die anderen sprachlichen Elemente werden hauptsäch
lich nach ihrer Form analysiert." (Leuninger 1998, 87)
Zu diesem Zeitpunkt der Sprachplanung ist die Abfolge der Satzelemente sowie die
Grammatik bereits festgelegt. Da Antizipationen, Postpositionen wie auch formbedingte
Vertauschungen ebenfalls die konkrete Reihenfolge von Satzbestandteilen betreffen, nimmt
Leuninger an, dass auch sie der positionalen Ebene zuzuordnen sind (vgl. Leuninger 1998, 89).
In ihrer graphischen Darstellung des Sprachplanungsprozesses (siehe Anhang, S. i) stellt
Leuninger neben der prädikativen und positionalen Ebene auch die
LAUTLICHE
E
BENE
dar, welche
sich der positionalen Ebene anschließt. Allerdings geht sie auf diese nicht explizit ein. Es erfolgt
lediglich die Zuordnung von Anpassungen und Tilgungen zu dieser Ebene, weil bei diesen
Versprechertypen nur noch einzelne Laute betroffen sind. Die Fehlerspanne zwischen den
betroffenen Elementen ist folglich noch geringer als bei den zuvor beschriebenen Kategorien,
weshalb zu erwarten ist, dass sie zu einem noch späteren Zeitpunkt der Sprachplanung stattfin
den.
Nachdem die vom Sprecher geplante Äußerung soweit alle Sprachplanungsebenen durch
laufen hat, erfolgt schließlich die Anweisung an die Sprechwerkzeuge. Während dieses Prozes
ses können die Zungenbrecher als ein letzter Versprechertyp auftreten. Sämtliche Determinan
ten (z.B. Wortwahl, Reihenfolge der Wörter, Grammatik etc.), sind bis zu diesem Zeitpunkt
festgelegt, so dass lediglich die Aussprache noch fehlgeleitet werden kann.
Um den Sprachplanungsprozess mit seinen unterschiedlichsten Ebenen und Elementen
noch einmal zusammenfassend und graphisch verinnerlichen zu können, dient die Abb. 1 im
Anhang.

17
2.4
Exkurs: Freud'sche Versprecher
Man könnte meinen, die allgemein wohl bekannteste Kategorie von Versprechern, näm
lich die Freud`schen Versprecher, seien in dieser Arbeit vergessen worden. Dem ist jedoch nicht
so. Vielmehr werden sie in diesem Abschnitt gesondert behandelt, unter der Frage: Existieren
Freud`sche Versprecher tatsächlich?
Die Freud'schen Versprecher sind auf den Arzt und Tiefenpsychologen S
IEGMUND
F
REUD
(1856 1939) zurückzuführen. Kurz nach der Veröffentlichung von Meringers und Mayers Arbeit
setzte er sich ebenfalls intensiv mit dem Thema ,,Versprecher" auseinander. Im Gegensatz zu
den
Sprachwissenschaftlern
untersuchte
er
sie
allerdings
aus
einer
medizinisch
psychologischen Perspektive (vgl. Poulisse 1999, 5) und deutet sie in seiner 1901 erschienenen
Arbeit ,,Zur Psychopathologie des Alltagslebens" auf psychoanalytische Weise (vgl. Wiedemann
1992, 8). In seiner Arbeit geht er davon aus, dass Versprecher nicht lediglich auf ,,den Einfluss
von Kontaktwirkungen der Laute" (Freud, 1954, 79) zurückzuführen sind, sondern vielmehr
durch Einflüsse außerhalb der intendierenden Rede motiviert werden (vgl. Freud 1954, 55).
Somit können Gedanken des Sprechers, innere Motive, Wünsche, Einstellungen etc. in die Rede
einfließen, obwohl er diese eigentlich lieber verborgen hätte. (Vgl. Freud 1954, 55 ff..) Es wird
deutlich, dass Freuds Theorie der sprachwissenschaftlichen Theorie völlig konträr gegenüber
steht, wobei die Sprachwissenschaftler sprachliche Fehlleistungen einzig und allein auf linguisti
sche Faktoren zurückführen und sie durch ,,Montagefehler beim Wort und Satzzusammenbau
im Gehirn" (Achilles/Pighin 2008, 8) erklären. Einen Versprecher wie dann tanzen wir Tanga
würden Sprachforscher vermutlich der Kategorie Postpositionen zuordnen. Dementsprechend
kann der Versprecher so erklärt werden, dass der Sprecher das unmittelbar vorangestellte a aus
Tan fälschlicherweise erneut aufgegriffen hat. Eventuell könnte der vorliegende Versprecher
auch einer formbedingten Substitution zugrunde liegen. In diesem Fall hätte die Formähnlich
keit der Wörter Tango und Tanga den Versprecher verursacht. Freud hingegen würde dem
Ganzen eine tiefere psychologische Bedeutung geben. Demzufolge könnte das Auftreten des
Versprechers darin begründet liegen, dass der Sprecher dem Gesprächspartner gegenüber
insgeheim sexuelle Gelüste entgegenbringt.
Leuninger selbst spricht sich entschieden gegen solch eine Vorgehensweise bei der Analy
se von Versprechern aus (vgl. Leuninger 1998, 99). Die Gründe für Versprecher führt sie

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2008
ISBN (PDF)
9783863415464
ISBN (Paperback)
9783863410469
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
Versprecher Unterricht Materialien Rudolf Meringer Deutschdidaktik

Autor

Jana Mormer wurde 1984 in Teterow geboren. Im Jahre 2006 trat sie ein Lehramtsstudium an der Universität Potsdam mit der Fächerkombination Deutsch/Englisch für Gymnasium an. Das Bachelorstudium schloss sie im Jahre 2008 erfolgreich ab. Durch das Belegen sprachwissenschaftlicher Kurse an der Universität sowie verschiedene Praktika an Schulen, entwickelte die Autorin ein besonderes Interesse für den Bereich der Sprachdidaktik. Aus diesem Grund widmete sie sich in ihrer Bachelorarbeit dem Thema Versprecher als Unterrichtsgegenstand.
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