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Die Passivierung von Umweltschutzverpflichtungen

©2009 Bachelorarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Nicht zuletzt wegen Ereignissen wie dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 reagiert die Öffentlichkeit zunehmend sensibler auf Fragen des Umweltschutzes. Deshalb rufen Berichte über Unternehmen, die für derartig massive Umweltschäden verantwortlich sind, besonderes öffentliches Interesse hervor. Folglich entschloss sich der Shell-Konzern im Jahre 1995 wegen zahlreicher öffentlicher Proteste, die Öllager- und Verladeplattform Brent Spar an Land zu schleppen, anstatt sie im Atlantik zu versenken.
Weitere Konsequenz der Umweltschädigungen war eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen zur Schonung der Umwelt, welche die Unternehmen vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellten bzw. stellen. So beinhaltete der Konzernabschluss des Bayer-Konzerns im Jahr 2008 Rückstellungen für Umweltschutzmaßnahmen i.H.v. EUR 298.000. Da Umweltrisiken nur begrenzt versicherbar sind, steht eine Risikovorsorge durch Passivierung von entsprechenden Rückstellungen im Blickpunkt.
Dieses Buch diskutiert die verschiedenen Lösungsansätze zur rechtlichen und wirtschaftlichen Entstehung und zum maßgeblichen Passivierungszeitpunkt von Umweltschutzverpflichtungen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

III. Abkürzungsverzeichnis

1 Problemstellung

2 Grundlagen

3 Die rechtliche Entstehung von Verpflichtungen

4 Die wirtschaftliche Verursachung von Verpflichtungen
4.1 Die Rolle des Bundesfinanzhofs
4.2 Auslegung des Begriffs „wirtschaftliche Verursachung“
4.3 Kriterium der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale
4.3.1 Problematik
4.3.2 Kritische Würdigung
4.4 Kriterium der sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips
4.4.1 Das Realisationsprinzip in seiner ursprünglichen Bedeutung
4.4.2 Die Idee einer sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips
4.4.3 Kritische Würdigung
4.5 Vergleich der Kriterien
4.6 Fälle zur wirtschaftlichen Verursachung
4.6.1 Verpflichtung zur Überholung von Luftfahrtgeräten
4.6.1.1 Problematik
4.6.1.2 Beurteilung anhand des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale
4.6.1.3 Beurteilung anhand des Kriteriums der sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips
4.6.1.4 Auswirkungen auf die Informations- und Zahlungsbemessungsfunktion
4.6.2 Nachbetreuungsleistungen
4.6.2.1 Problematik
4.6.2.2 Beurteilung anhand des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale
4.6.2.3 Beurteilung anhand des Kriteriums der sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips
4.6.2.4 Auswirkungen auf die Informations- und Zahlungsbemessungsfunktion
4.7 Schlussbetrachtung zur wirtschaftlichen Verursachung

5 Passivierungszeitpunkt
5.1 Rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung fallen zusammen
5.2 Wirtschaftliche Verursachung liegt vor der rechtlichen Entstehung
5.3 Rechtliche Entstehung liegt vor der wirtschaftlichen Verursachung

6 Umweltschutzverpflichtungen
6.1 Einführung in die Problematik
6.2 Systematisierung von Umweltschutzverpflichtungen
6.3 Verpflichtung zur Entsorgung eines Kernkraftwerks
6.3.1 Problematik
6.3.2 Zeitpunkt der rechtlichen Entstehung
6.3.3 Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung
6.3.4 Folgen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise
6.3.5 Folgen einer rechtlichen Betrachtungsweise
6.3.6 Gedanken zur Übernahme der Vorgehensweise nach IFRS in das HGB
6.3.6.1 Vorgehensweise nach IFRS
6.3.6.2 Bilanzielle Folgen bei Übernahme der Entsorgungsverpflichtung in die Anschaffungskosten
6.3.6.3 Übernahme der Vorgehensweise in das HGB möglich?
6.4 Verpflichtung zur Auffüllung einer Kiesgrube und zur Rekultivierung des Grundstücks
6.4.1 Problematik
6.4.2 Zeitpunkt der rechtlichen Entstehung
6.4.3 Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung
6.4.4 Folgen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise
6.4.5 Folgen einer rechtlichen Betrachtungsweise
6.5 Verpflichtung zur Sanierung von Altlasten
6.5.1 Problematik
6.5.2 Konkurrenz zwischen Abschreibung und Rückstellungsbildung
6.5.3 Voraussetzungen für die Passivierung einer öffentlich-rechtlichen Sanierungsverpflichtung
6.5.3.1 Verpflichtung gegenüber Dritten
6.5.3.2 Rechtliche Entstehung der Verpflichtung
6.5.3.3 Wirtschaftliche Verursachung der Verpflichtung
6.5.3.4 Hinreichende Konkretisierung der Verpflichtung
6.5.3.5 Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme
6.5.3.6 Passivierungszeitpunkt und Bewertung der Rückstellung

7. Schlussbetrachtung

IV. Quellenverzeichnis

III. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Problemstellung

Kaufleute im Sinne von § 1 (1) HGB sind gemäß § 242 (1) S.1 HGB grundsätzlich verpflichtet, am Ende des Geschäftsjahres eine Bilanz aufzustellen. Die Passivseite der Bilanz unterteilt sich gemäß § 266 (3) HGB in Eigenkapital, Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten. Rückstellungen sind dem Grunde und bzw. oder der Höhe nach ungewisse Schulden.[1] § 249 (1) S.1 HGB enthält eine abschließende Aufzählung der zu passivierenden Rückstellungsarten. Dazu zählen neben Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 (1) S.1 HGB) auch Rückstellungen für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtungen (§ 249 (1) S.2 Nr.2 HGB), sog. Kulanzrückstellungen. Da eine Rückstellungsbildung den Anteil des Fremdkapitals am Gesamtkapital des Unternehmens erhöht, verschlechtert eine Rückstellung das Bilanzbild. Dem Kaufmann wird es daher kein dringendes Bedürfnis sein, mehr Rückstellungen als nötig auszuweisen. Andererseits ergibt sich durch Passivierung einer Rückstellung aufgrund der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz (§ 5 (1) EStG) eine geringere Steuerlast.

Der Zweck einer Rückstellung liegt in der Antizipation späterer Ausgaben, welche allerdings dem abgelaufenen oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnen sind.[2]

Dabei werden die späteren Ausgaben mittels aufwandswirksamer Rückstellungsbildung im Geschäftsjahr der rechtlichen Entstehung oder der wirtschaftlichen Verursachung der Verpflichtung zurückgestellt. Je nachdem, wann eine Verpflichtung als rechtlich entstanden und bzw. oder wirtschaftlich verursacht gilt und welcher Zeitpunkt der maßgebliche Passivierungszeitpunkt ist, werden künftige Aufwendungen dem abgeschlossenen Geschäftsjahr oder künftigen Geschäftsjahren`zugeordnet. Dies ist insofern von Bedeutung, da die Erfassung von Aufwendungen den Jahresüberschuss verringert bzw. den Jahresfehlbetrag erhöht. Je höher der Jahresüberschuss ist, desto mehr Mittel stehen für potentielle Ausschüttungen bereit, denn die Anteilseigner einer Gesellschaft haben grundsätzlich einen angemessenen Anspruch auf Ausschüttung des Jahresüberschusses.

2. Grundlagen

Die Handelsbilanz dient primär den Interessen der Gläubiger, da sie durch Gegenüberstellung von Vermögen auf der Aktivseite und Eigenkapital und Schulden auf der Passivseite das Schuldendeckungspotential des Kaufmanns aufzeigen soll.[3] Um eher einen vorsichtig ermittelten Erfolg auszuweisen, werden künftige Aufwendungen durch Passivierung einer Rückstellung wegen ihres aus Abschlussstichtagssicht vorhandenen Zusammenhangs zu vergangenen Ereignissen zeitlich vorgelagert. Dies dient dem Ziel, die Lebens- und Widerstandsfähigkeit des Unternehmens für die Zukunft zu erhalten, denn je mehr Aufwand erfasst wird, umso weniger Mittel stehen für Ausschüttungen bereit.[4]

Als Beurteilungskriterien für die unterschiedlichen Auffassungen zur rechtlichen Entstehung, wirtschaftlichen Verursachung und zum maßgeblichen Passivierungszeitpunkt dienen zwei Zwecke des handelsrechtlichen Jahresabschlusses: Die Informationsfunktion und die Zahlungsbemessungsfunktion.[5] Im Sinne der Informationsfunktion soll der Jahresabschluss internen und externen Jahresabschlussadressaten entscheidungsrelevante Informationen und gemäß § 264 (2) S.1 HGB „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft...vermitteln“.

Die Zahlungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses umfasst die Ausschüttungsbemessungsfunktion und ist aufgrund der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz (§ 5 (1) EStG) zugleich Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung.[6] Die Ausschüttungsbemessungsfunktion umfasst Mindestausschüttungsmöglichkeiten und Ausschüttungssperren.[7] Bezüglich der Ausschüttungen gilt es bei Gesellschaften, deren Haftung auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt ist, die unterschiedliche Interessenlage von Anteilseignern (Gewinnausschüttung) und Gläubigern (Bonität und Liquidität der Gesellschaft) zu verdeutlichen. Selbstverständlich sind auch die Anteilseigner an einer zukünftigen Bonität und Liquidität interessiert. Als ihr primäres Interesse kann aber die Ausschüttung von finanziellen Mitteln bezeichnet werden.

3. Die rechtliche Entstehung von Verpflichtungen

Eine Verpflichtung gilt als rechtlich entstanden, wenn der Tatbestand, an den das Gesetz die Rechtsfolge knüpft, verwirklicht ist.[8] Dies ist der Fall, „sobald alle Voraussetzungen erfüllt sind, von denen Gesetz, Satzung oder Vertrag die Entstehung abhängig machen“.[9] Der Zeitpunkt der rechtlichen Entstehung kann daher in den meisten Fällen genau bestimmt werden. In Ausnahmefällen kann es allerdings zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der rechtlichen Entstehung einer Verpflichtung kommen.

Daher gilt es klarzustellen, dass zwischen einer Entstehung dem Grunde nach und dem Eintritt der Rechtsfolge unterschieden werden muss.[10] Eine Verpflichtung entsteht dem Grunde nach, wenn der Gläubiger -im Umkehrschluss zu § 194 (1) BGB- ein Tun oder Unterlassen erzwingen kann.[11] Die gesetzliche Rechtsfolge beeinflusst nicht die Entstehung der Verpflichtung, sondern bestimmt lediglich deren Fälligkeit.[12] Aus diesem Grund kann es für die rechtliche Entstehung einer Verpflichtung nicht auf die tatsächliche Geltendmachung des Rechtsanspruchs durch den Anspruchsberechtigten ankommen.

Folglich müssen zu den rechtlichen Verpflichtungen im Bilanzsinne auch jene Verpflichtungen zählen, die rechtlich noch nicht voll entstanden sind. Vollentstehung ist dann gegeben, wenn die Verpflichtung dem Grunde nach entstanden und fällig geworden ist. Aufgrund des Vorsichtsgedankens darf es aber für die Passivierung von Rückstellungen nicht auf die Fälligkeit bzw. Vollentstehung ankommen, da die Passivierung von Rückstellungen ja gerade die Antizipation künftiger Ausgaben (vor Fälligkeit der Verpflichtung) zum Ziel hat.[13]

4. Die wirtschaftliche Verursachung von Verpflichtungen

4.1. Die Rolle des Bundesfinanzhofs

Da das HGB -im Gegensatz zu den International Financial Reporting Standards (Im Folgenden: IFRS)- als Code Law ausgestaltet ist, sind die Normen inhaltlich abstrakt dargestellt, was meist eine Interpretation notwendig macht. Die Auslegung der Normen wird u.a. durch richterliche Rechtsfortbildung vorangetrieben. So ist insbesondere die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (im Folgenden: BFH) von großer Bedeutung, da die steuerliche Anerkennung grundsätzlich eine analoge Behandlung in der Handelsbilanz voraussetzt. Zwar besteht die Zuständigkeit des BFHs prinzipiell nur für die Steuerbilanz, er trägt aber die Hauptlast der Fortentwicklung des Handelsbilanzrechts, weshalb Herzig ihn als „Auslegungsgremium für das Handelsrecht“[14] bezeichnet.[15]

Während die handelsrechtliche Praxis bei der Rückstellungspassivierung meist großzügig vorgeht, steht dem entgegengesetzt der meist einschränkende Standpunkt der Finanzverwaltung gegenüber. Dies scheint nicht zu verwundern, da der Fiskus „als heimlicher Teilhaber oder Großgläubiger des Betriebs“[16] eher an einem hohen Jahresüberschuss interessiert ist. Dem in der Handelsbilanz dominierenden Gläubigerschutzgedanken steht also die Interessenlage des Fiskus gegenüber, der die Ermittlung des Gewinns nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Unternehmens forciert.

4.2. Auslegung des Begriffs „wirtschaftliche Verursachung“

Da der BFH in seiner vollzogenen Rechtsprechung bezüglich der Rückstellungen grundsätzlich keine in sich geschlossene Strukur entdecken lässt, ist es auch nicht verwunderlich, dass der BFH auch zur Bestimmung des „schwammigen“[17] Merkmals der wirtschaftlichen Verursachung kasuistisch vorgeht.[18] So müssen einmal „die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale [erfüllt sein]“[19] oder die Verpflichtung müsse „nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten“[20], dann muss sich die Verpflichtung als „vergangenheitsorientiert, nicht als zukunftsorientiert“[21] erweisen oder es muss eine Zugehörigkeit zu bereits realisierten Erträgen vorliegen“[22] oder die Verpflichtung muss „so eng mit dem betrieblichen Geschehen des abgelaufenen Wirtschaftsjahres verknüpft [sein], daß es gerechtfertigt erscheint, sie wirtschaftlich als eine bereits am Bilanzstichtag bestehende Verbindlichkeit anzusehen“[23].

Letztendlich setzt eine wirtschaftliche Verursachung laut ständiger BFH-Rechtsprechung grundsätzlich voraus, „dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt“[24].

Dieser Auslegung steht die Interpretation der wirtschaftlichen Verursachung im Sinne des Realisationsprinzips gegenüber, wonach die Erfüllung der Verpflichtung „nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten“[25] muss. Diese Interpretation geht auf Adolf Moxter zurück: Moxter unterscheidet, ob die zu antizipierenden Aufwendungen bereits realisierten Erträgen zuzuordnen sind oder ob sie mit künftigen Gewinnchancen verknüpft sind.[26] Teilweise griff der BFH auf den Realisationsgedanken zurück, allerdings benutzte er diesen nicht als eigenständiges Kriterium zur Bestimmung der wirtschaftlichen Verursachung, sondern nur für Abgrenzungsfragen bezüglich der Erfüllung der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale.[27]

Im Folgenden wird eine wirtschaftliche Verursachung einerseits als die Verwirklichung der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale oder anderseits als konkretisierte Zugehörigkeit zukünftiger Aufwendungen zu bereits realisierten Erträgen (auch als sinngemäße Anwendung des Realisationsprinzips bezeichnet ) verstanden. Fraglich ist, wann welches Merkmal zur Anwendung kommen muss.

4.3. Kriterium der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale

4.3.1. Problematik

Die wirtschaftliche Verursachung setzt laut BFH voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht sind und „das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt“[28]. Maßgeblich sei dafür nicht „das in der Betriebswirtschaftslehre entwickelte Verursachungsprinzip...sondern die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalles im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht“[29]. Fraglich ist hierbei besonders, wann ein Tatbestandsmerkmal als wesentlich und wann als unwesentlich anzusehen ist.

4.3.2. Kritische Würdigung

Die wirtschaftliche Verursachung kann nach diesem Kriterium der rechtlichen Entstehung nicht folgen, da die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale eine Untermenge aller Tatbestandsmerkmale –deren kumulative Erfüllung die rechtliche Vollentstehung auslöst- bilden.[30] Besteht ein Tatbestand, an den das Gesetz die Rechtsfolge knüpft, angenommen aus fünf Tatbestandsmerkmalen und sind davon drei Tatbestandsmerkmale als wirtschaftlich wesentlich einzustufen, ist die Verpflichtung mit der Erfüllung dieser drei Tatbestandsmerkmale wirtschaftlich verursacht.

Demzufolge impliziert eine Ausrichtung an der Verwirklichung wirtschaftlich wesentlicher Tatbestandsmerkmale, dass die rechtliche Entstehung den spätesten Passivierungszeitpunkt darstellt.[31] Dies ist gerade bei Entsorgungsverpflichtungen für Kernkraftwerke kritisch. Die Verpflichtung zur Entsorgung entsteht laut h.M. rechtlich mit Genehmigung der zuständigen Behörde oder spätestens mit Inbetriebnahme des Kernkraftwerks. Wenn die wirtschaftliche Verursachung der rechtlichen Entstehung nicht folgen kann, muss die Entsorgungsverpflichtung spätestens mit Inbetriebnahme passiviert werden.

Im Übrigen ist fraglich, ob eine generelle Abgrenzung anhand von wirtschaftlich wesentlichen und unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt oder ob ein solcher Bezug unpräzise ist. Es müssen daher stichfeste Abgrenzungsprinzipien aufgestellt werden, anhand derer man wirtschaftlich wesentliche und unwesentliche Tatbestandsmerkmale unterscheiden kann. Ohne eine allgemeine Definition kommt es weiter zu einer kasuistischen Vorgehensweise und dies ist nicht im Sinne eines unter objektiven Gesichtspunkten aufzustellenden Jahresabschlusses.[32]

Auf das Kriterium der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale wird im weiteren Verlauf noch einzugehen sein.

4.4. Kriterium der sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips

4.4.1. Das Realisationsprinzip in seiner ursprünglichen Bedeutung

Das Realisationsprinzip ist in § 252 (1) Nr.4 2.HS HGB kodifiziert und ein Unterprinzip des Vorsichtsprinzips.[33] Das Realisationsprinzip ist das elementare Aktivierungsprinzip und schreibt vor, dass nicht-realisierte Erträge im Jahresabschluss nicht ausgewiesen werden dürfen.

4.4.2. Die Idee einer sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips

Es wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die wirtschaftliche Verursachung als vollkommen unabhängiges Merkmal neben der rechtlichen Entstehung stehe.[34] Hierfür muss die wirtschaftliche Verursachung im Sinne des Realisationsprinzips ausgelegt werden, da eine Auslegung anhand des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale -wie oben schon erwähnt- impliziert, dass die wirtschaftliche Verursachung eine Untergruppe der rechtlichen Entstehung bilden muss.[35]

Auch in der Rechtsprechung trifft man auf eine Formulierung, die auf das Realisationsprinzip zurückgeht. Es heißt, dass eine Rückstellungspassivierung davon abhänge, ob eine „konkretisierte Zugehörigkeit künftiger Aufwendungen zu bereits realisierten Erträgen“[36] gegeben sei. Allerdings hat der BFH klargestellt, dass er einen allgemeinen Grundsatz im Sinne einer Zuordnung von Aufwendungen zu den sie verursachenden Erträgen ablehnt.[37]

Bei einer sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips zur Passivierung von Verpflichtungen werden zukünftige Aufwendungen in der Höhe antizipiert, in der sie Aufwand für bereits realisierte Erträge darstellen.[38] Somit stellt sich bei jedem Sachverhalt die grundsätzliche Frage, ob die künftigen Aufwendungen zur Erfüllung der Verpflichtung mit künftigen Erträgen oder mit bereits realisierten Erträgen zusammenhängen. Stehen die künftigen Aufwendungen eindeutig im Zusammenhang mit künftigen Erträgen, soll es nicht zu einer Rückstellungsbildung kommen.[39] Dies soll zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die künftigen Ausgaben erst eine Realisierung künftiger Erträge möglich machen. So dürfen laut BFH-Urteil aus dem Jahre 1989 keine Rückstellungen für künftige Prüfungs- und Registrierungskosten für die Analyse von Arzneimitteln gebildet werden, da durch die Erfüllung dieser Verpflichtung erst die Erzielung künftiger Erträge ermöglicht wird.[40] Die Analyse der Arzneimittel war dabei zwingende Voraussetzung für den Vertrieb der Arzneimittel über einen festgelegten Zeitpunkt in ferner Zukunft (ca. 10 Jahre) hinaus.

Stehen die künftigen Ausgaben aber im Zusammenhang mit bereits realisierten Erträgen, soll eine Rückstellung passiviert werden. Als Beispiel soll die Rückstellungsbildung für Kulanzleistungen herangezogen werden: Repariert ein Unternehmen im Jahre 2008 einen im Jahr 2005 an einen Kunden verkauften Fernseher, so sind die Aufwendungen aus der Reparatur den Erträgen aus dem Jahr 2005 zuzurechnen. Am Abschlussstichtag im Jahre 2005 sind die künftigen Reparaturaufwendungen bereits realisierten Erträgen zuzuordnen und daher im Jahre 2005 mittels einer Rückstellung (pauschal) zu erfassen.

Bekanntester Verfechter des Kriteriums konkretisierte Zugehörigkeit künftiger Aufwendungen zu bereits realisierten Erträgen ist Adolf Moxter.

Moxter unterscheidet, ob künftige Aufwendungen unmittelbar oder mittelbar bereits realisierten Erträgen gegenüberstehen.[41] Unmittelbare Zugehörigkeit ist im Falle von Kulanzrückstellungen gegeben. Hier hätten „die künftigen Aufwendungen...bereits realisierte...Umsätze...[alimentiert]“[42]. Würde man in diesem Falle die künftigen Aufwendungen nicht antizipieren, läge ein „[künftiger] Aufwendungsüberschuß“[43] bzw. eine „unkompensierte Last“[44] vor, da den künftigen Aufwendungen keine korrespondierenden Erträge gegenüberständen.

Eine mittelbare Zugehörigkeit ergibt sich dann, wenn Aufwendungen anfallen, denen keine Umsätze gegenüberstehen, z.B. im Falle von Aufwendungen aus Schadenersatzklagen, wenn mit dem Kläger keine Geschäfte getätigt wurden. Hier läge auch ein „[künftiger] Aufwendungsüberschuß“ bzw. eine „unkompensierte Last“ vor, weil den künftigen Aufwendungen gar keine Erträge gegenüberständen.

Es stellt sich also die Frage, ob das Realisationsprinzip die ihm von Moxter zugesprochene Funktion ausüben sollte bzw. kann und es zu Recht als das für Aktiv- und Passivseite „grundlegende Abgrenzungsprinzip“[45] bezeichnet wird oder ob dem Realisationsprinzip nicht andere Prinzipien, wie das Imparitätsprinzip (§ 252 (1) Nr.4 1.HS HGB, im Folgenden: Verlustantizipationsprinzip) und das Vollständigkeitsgebot (§ 246 (1) S.1 HGB), vorgehen.

4.4.3. Kritische Würdigung

Es ist umstritten, ob das Realisationsprinzip überhaupt als Abgrenzungprinzip für die Aufwandsseite angewendet werden kann.

Da Gewinne gemäß § 252 (1) Nr.4 2.HS HGB „nur zu berücksichtigen [sind], wenn sie am Abschlußstichtag realisiert sind“, wird behauptet, dass eine Erweiterung des Realisationsprinzips auf die Aufwandsseite sachgerecht sei, da das Gesetz Gewinne -also den Saldo von Ertrag und Aufwand[46] - und nicht Erträge benennt.[47] Es wird sich also auf den Wortlaut der Norm konzentriert. Einer bloßen Auslegung von Normen nach ihrem Wortlaut ist entgegenzubringen, dass es keinen rechtswissenschaftlichen Grundsatz gibt, der sich bei der Auslegung einer Norm nur auf deren Wortlaut richtet. Es müssen vielmehr die unterschiedlichen Auslegungsmethoden abgewogen werden. So kann aus der Entstehungsgeschichte der Vorschriften gedeutet werden, dass das Realisationsprinzip für die Aktivseite und das Verlustantizipationsprinzip für die Passivseite maßgeblich sein soll.[48] Mit den in § 252 (1) Nr.4 2.HS HGB gemeinten Gewinne sind also nicht um Aufwendungen verminderte Erlöse gemeint.

Es gilt im Folgenden die Annahme, dass eine sinngemäße Anwendung des Realisationsprinzips für die Erfassung von Aufwendungen und somit die Passivierung von Verpflichtungen theoretisch möglich ist.

Die Höhe der Rückstellung bemisst sich bei sinngemäßer Anwendung des Realisationsprinzips nach dem Anteil der bereits realisierten Erträge zur Summe aus bereits realisierten und noch erhofften Erträgen.[49]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

EV: In der Vergangenheit realisierte Erträge

EZ: Erträge, die aus Abschlussstichtagssicht noch in der Zukunft realisiert werden sollen

AT: Voraussichtlicher Auszahlungsbetrag, den der Kaufmann nach den Verhältnissen am Abschlussstichtag aufwenden muss, um sich von der Verpflichtung zu befreien.

Hier ergeben sich im Einzelfall Zuordnungsprobleme, wenn der Ursache der Verpflichtung im Einzelfall gar keine Erträge zuzurechnen sind, z.B. im Falle von Rückstellungen wegen künftiger Jubiläumszuwendungen. Jubiläumszuwendungen werden nach Erreichen einer bestimmten Mindestbetriebszugehörigkeit für die erbrachten Leistungen und das Nichtausüben des Kündigungsrechts an die Arbeitnehmer geleistet.[50] Hierbei kann es sich um Geld- oder Sachleistungen handeln. In diesem Falle können einem einzelnen Arbeitnehmer nicht direkt Erträge zugerechnet werden, da der Wert seiner Arbeitsleistung grundsätzlich nicht ermittelbar ist.[51] Hier müsste man vom Kriterium Erträge Abstand nehmen und es durch das Kriterium geleistete Dienstjahre ersetzen. Die sinngemäße Anwendung des Realisationsprinzips ist also schon mal nicht in jeglichen Fällen anwendbar. Grundsätzlich muss daher in Zweifelsfällen (also in Fällen, in denen es nicht eindeutig ist, ob mit den künftigen Aufwendungen vergangene Erträge oder künftige Erträge alimentiert wurden bzw. werden) ein Rückgriff auf das Vorsichtsprinzip in Betracht gezogen werden.[52]

Des Weiteren ist eine sinngemäße Anwendung des Realisationsprinzips besonders von Prognosen abhängig. Wenn die Verpflichtung erst in vielen Jahren fällig wird und die Bewertung der Rückstellung von der Prognose künftiger Erträge beeinflusst wird, so ist die Höhe der Rückstellung immer auch von den subjektiven Erwartungen des Bilanzierenden geprägt.

Allerdings würde durch das Anknüpfen an das Realisationsprinzip eine formale Auslegung des Tatbestandsmerkmals wirtschaftliche Verursachung vermieden und es käme zu einer korrekten Interpretation des in § 252 (1) Nr.5 HGB kodifizierten Periodisierungsprinzips.[53] Das Periodisierungsprinzip dient der Informationsfunktion des Jahresabschlusses, weil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die zutreffende Erfolgsermittlung durch eine periodengerechte Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen exakter dargestellt werden. Im deutschen Bilanzrecht ist aber das Vorsichtsprinzip tonangebend und es steht im Konflikt mit eben jenem Vorsichtsprinzip, wenn erwartete Erträge für die Nichterfassung von Aufwendungen maßgebend sein sollen.[54] Denn im Gegensatz zur dynamischen Bilanzauffassung ist die Ermittlung des Reinvermögens und somit die Schuldendeckungskontrolle Ziel einer statischen Bilanzauffassung.[55] Die Rechnungslegung nach HGB wird von eben jener statischen Betrachtungsweise dominiert.[56] Somit gilt es zwecks Rückstellungsbildung die Frage zu stellen, ob aus Abschlussstichtagssicht eine bestehende oder voraussichtlich entstehende Verpflichtung vorliegt. Dabei spielt es für die Beantwortung dieser Frage keine Rolle, ob in der Vergangenheit Erträge generiert wurden oder noch Erträge generiert werden.[57] Unter Befolgung des Verlustantizipationsprinzips (§ 252 (1) Nr.4 1.HS HGB sind zum Abschlussstichtag entstandene Risiken und Verluste zu antizipieren. Es ist daher nicht zulässig, die entstandenen Risiken und Verluste erst dann zu erfassen, wenn korrespondierende Erträge realisiert wurden.

Blickt man auf Verpflichtungen, die erst in vielen Jahren zu erfüllen sind (z.B. Verpflichtung zur Wiederauffüllung einer Kiesgrube), so wäre die Verpflichtung nur in der Höhe wirtschaftlich verursacht, als sie zum Abschlussstichtag realisierte Erträge alimentiert hat. Dies bedeutet, dass eine Verpflichtung der Höhe nach nicht wirtschaftlich verursacht wäre, wenn nach Beurteilung des Bilanzierenden entprechend künftige Erträge zu erwarten seien[58]. Dem ist aber zu widersprechen, denn es gibt keinen handelsrechtlichen Grundsatz, der besagt, dass Aufwendungen den Erträgen zuzuordnen sind, durch die sie wirtschaftlich bewirkt sind.[59]

Des Weiteren folgt aus § 242 (1) S.1 HGB i.V.m. § 246 (1) S.1 HGB, dass der Jahresabschluss einem vollständigen Vermögensausweis Genüge tun muss.

Die Anwendung des Realisationsprinzips für die Erfassung von Aufwendungen ist daher nicht im Einvernehmen mit dem die Rechnungslegung nach HGB beherrschenden Vorsichtsgedanken. Durch die Nichterfassung von Aufwendungen, obwohl diese dem Grunde nach rechtlich entstanden sind, wird dem Vorsichtsgedanken nicht ausreichend Rechnung getragen. Besonders deutlich wird dies, wenn die rechtliche Entstehung der Verpflichtung zeitlich vor der wirtschaftlichen Verursachung liegt.

Selbstverständlich ist es für Zwecke einer gleichmäßigen Gewinnermittlung einleuchtend, Aufwendungen den wirtschaftlich korrespondierenden Erträgen zuzuordnen. Dies darf allerdings nicht auf Kosten des Gläubigersschutzes geschehen, daher muss eine vorsichtigere Bilanzierung favorisiert werden. Das Vorsichtsprinzip tritt dabei nicht „in wertender Gewichtung hinter das Realisationsprinzip“[60] und das Vollständigkeitsgebot des § 246 (1) S.1 HGB wird nicht „vom Realisationsprinzip...überlagert“[61]. Letztendlich ist dem Vollständigkeitsgebot mit Blick auf die Gläubigerschutzfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses Vorrang gegenüber einer periodengerechten Erfolgsermittlung im Sinne der Informationsfunktion zu gewähren.

In der Literatur ist immerhin eine Aussage nahezu unumstritten:

Die Anlehnung an das Realisationsprinzip als wirtschaftliche Verursachung hat (obwohl Unterprinzip des Vorsichtsprinzips) eher rückstellungsbegrenzende Wirkung.[62]

4.5. Vergleich der Kriterien

Vergleicht man die sinngemäße Anwendung des Realisationsprinzips mit dem Kriterium der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale, gilt es einen wichtigen Unterschied festzustellen: Durch die Anwendung des Realisationsprinzips kann es zu einer Umkehrung der (ursprünglichen) Reihenfolge von wirtschaftlicher Verursachung und rechtlicher Entstehung kommen.[63] Denn im Falle der BFH-Auslegung zur wirtschaftlichen Verursachung, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen, implizierte dies doch, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale eine Untermenge der Summe aller Tatbestandsmerkmale sein müssen.[64] Daher konnte die wirtschaftliche Verursachung der rechtlichen Entstehung zeitlich niemals folgen. Da aber bei einer Anwendung des Realisationsprinzips für die Erfassung von Aufwendungen dem Grunde nach rechtlich entstandene Verpflichtungen dann nicht in den Jahresabschluss aufgenommen werden, wenn den ihnen zugrunde liegenden Aufwendungen keine zum Abschlussstichtag realisierten Erträge gegenüberstehen, ist es möglich, dass die wirtschaftliche Verursachung der rechtlichen Entstehung folgt.

4.6. Fälle zur wirtschaftlichen Verursachung

4.6.1. Verpflichtung zur Überholung von Luftfahrtgeräten

4.6.1.1. Problematik

Eine GmbH & Co.KG war aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften verpflichtet, nach einer bestimmten Anzahl von Flugstunden, die Antriebsmotoren und Fahrgastzellen ihrer Hubschrauberflotte überholen zu lassen. Für die Kosten der Überholung bildete die Gesellschaft eine Rückstellung im Verhältnis der schon absolvierten Flugstunden zu den zulässigen Flugstunden.

Laut BFH entstehe die Verpflichtung rechtlich erst, wenn die „festgelegte Betriebszeit“ abgelaufen sei. Somit läge keine rechtliche Verpflichtung vor. Die wirtschaftliche Verursachung setzt laut BFH voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Wesentliches Tatbestandsmerkmal sei hier das Absolvieren der maximal zulässigen Flugstunden. Da dieses Tatbestandsmerkmal nicht geteilt werden könne, seien die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt. Die Verpflichtung entstehe auch nicht in Teilschritten, sodass sie bis zum Ablauf der Betriebszeit „...„ihrer Entstehung harrt“...“. Maßgeblich sei „die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestandes, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht“.[65]

4.6.1.2. Beurteilung anhand des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale

Dem Kriterium der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale zufolge, ist eine Verpflichtung dann zu passivieren, wenn die wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen des Gläubigers erfüllt sind. Diese sollen dann verwirklicht sein, wenn sich der Schuldner der Leistung nicht mehr einseitig entziehen kann und es nur noch von einer Willenserklärung des Gläubigers abhängt, ob die Verbindlichkeit besteht.[66]

Im vorliegenden Fall kann sich der Kaufmann der Überholungsverpflichtung -zumindest theoretisch- entziehen, z.B. durch Kauf neuerer Hubschrauber. Es ist allerdings nicht sinnvoll, dass für die Passivierung einer Verpflichtung maßgeblich sein soll, dass sich der Kaufmann einer Verpflichtung theoretisch entziehen kann. Es muss darauf abgestellt werden, wie wahrscheinlich es ist, dass der Kaufmann sein Unternehmen in derselben Art und Weise weiterführt und wie gewiss es infolgedessen ist, dass die Durchführung der Überholung unvermeidbar zu sein scheint. Es stellt sich also nicht die Frage, ob der Kaufmann durch Umstellung seines Geschäftsmodells der Verpflichtung die Grundlage entziehen kann. Im Sinne des in § 252 (1) Nr.2 HGB erfassten Going-Concern-Prinzips ist unter Berücksichtigung der Erkenntnisse am Abschlussstichtag und in dem Zeitraum bis zur Aufstellung des Jahresabschlusses im Zweifel davon auszugehen, dass der Kaufmann sein Handelsgewerbe in gleicher (oder zumindest ähnlicher) Art fortsetzen wird. Die aufgrund der Durchführung der Überholung entstehenden Kosten müssten eigentlich infolge des Verlustantizipationsprinzips zurückgestellt werden, da sonst mehr Mittel für potentielle Ausschüttungen bereitständen. Diese Mittel benötigt der Kaufmann aber möglicherweise, um die Überholungskosten zu bezahlen. Folglich wäre es ratsam, eine Rückstellung zu bilden.

Dem ist allerdings entgegenzusetzen, dass zum Abschlussstichtag keine Schuld im Rechtssinne vorliegt. Eine Rückstellungsbildung könnte nur als Aufwandsrückstellung begründet werden. Die im Gesetz vorhandene Norm (§ 249 (1) S.2 Nr.1 und 2 HGB) bezüglich der Passivierungspflicht von bestimmten zukünftigen Aufwendungen erfassen Sachverhalte dieser Art allerdings nicht. Da infolge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes Passivierungswahlrechte zur Bildung von Aufwandsrückstellungen weggefallen sind, kann keine Rückstellung gebildet werden. Der Kaufmann müsste durch Bildung von Rücklagen Vorsorge tragen.

4.6.1.3. Beurteilung anhand des Kriteriums der sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips

Eine betriebswirtschaftlichere als die eben diskutierte Auffassung bietet der Gedanke, dass ein vernünftiger Kaufmann die Überholung ja nur dann durchführen wird, wenn er sich in dem Geschäftsjahr der Überholung und in den folgenden durch die Nutzung der Hubschrauber Erträge erhofft, die die Ausgaben mindestens decken werden.[67] Es läge also keine „unkompensierte Last“ bzw. kein [künftiger] Aufwendungsüberschuß“ vor.

Es stellt sich diesbezüglich die grundsätzliche Frage, ob die künftigen Ausgaben zur Erfüllung der Verpflichtung tatsächlich mit künftigen Erträgen oder mit bereits realisierten Erträgen zusammenhängen. Der BFH vertrat die Meinung, dass die Ausgaben zur Überholung der Geräte eher im Zusammenhang mit der Erzielung künftiger Erträge stehen, da die Überholung den Betrieb der Luftfahrtgeräte in der Zukunft ermöglichen (und nicht in der Vergangenheit). Folglich wird der Kaufmann die Überholung nur veranlassen, wenn er erwartet, dass die Überholungskosten durch spätere Erträge mindestens gedeckt werden.[68]

Selbstverständlich wird erst durch die Erfüllung der Verpflichtung ein Weiterbetrieb desselben Hubschraubers und somit die Generierung künftiger Erträge ermöglicht. Man könnte aber auch die Behauptung aufstellen, dass eine Beurteilung des Sachverhalts sehr wohl eine Passivierung zur Folge habe. Denn die Verpflichtung wird dann fällig, wenn eine gewisse Anzahl von Flugstunden absolviert wurde und somit vergangene Erträge realisiert wurden. Als Ursache der Verpflichtung wäre somit die Benutzung der Geräte in den vorangegangenen Geschäftsjahren anzusehen.[69] Aus einer vergangenheitsorientierten Sichtweise gelangt man zu dem Schluss, dass die Verpflichtung an bereits realisierte Erträge anknüpft und somit in den Jahren der Nutzung der Fluggeräte wirtschaftlich verursacht sei.

Um klarzustellen, ob die Aufwendungen vergangenen oder künftigen Erträgen zuzuordnen sind, soll ein Vergleich zu der Verpflichtung zur Auffüllung einer Kiesgrube dienen:

Wenn die Kiesgrube aufgefüllt und somit die Verpflichtung erfüllt ist, folgen keine weiteren Erträge mehr. Im Gegensatz dazu werden durch die Erfüllung der Überholungsverpflichtung künftige Erträge erst ermöglicht. Daher stellte der BFH auch fest, dass „die Erfüllung der Verpflichtung...nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten [muss]“. Im Hubschrauberfall werden eher keine in der Vergangenheit erzielten Erträge abgegolten.

Somit lassen sich die eben gezeigten Fälle durch ihren zeitlichen Bezug unterscheiden, da die Überholungsaufwendungen eher an eine künftige Ertragserzielung anknüpfen. Eine Rückstellungsbildung würde hier mangels konkreter Zugehörigkeit der zukünftigen Ausgaben zu bereits realisierten Erträgen ausscheiden.

4.6.1.4. Auswirkungen auf die Informations- und Zahlungsbemessungs- funktion

Um der Zahlungsbemessungsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses nachzukommen, müssen die künftigen Aufwendungen mittels Rückstellungsbildung antizipiert werden.

Bildet man in den Geschäftsjahren vor der anstehenden Überholung keine Rückstellung, steht (mehr) Geld für potentielle Ausschüttungen bereit. Durch Ausschüttungen wird das Schuldendeckungspotential des Kaufmanns gemindert. Da aber die handelsrechtlichen Passivierungswahlrechte weggefallen sind, fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Passivierung.

Im Sinne der Informationsfunktion sind zwei Standpunkte zu unterscheiden.

Der erste setzt voraus, dass man als Ursache der Überholung die in jedem Jahr vor dem Erreichen der maximal zulässigen Flugstunden bereits absolvierten Flugstunden ansieht (vergangenheitsorientierte Sichtweise). In den Jahren vor dem Erreichen der maximal zulässigen Flugstunden wurden ja durch die Flugstunden Erträge generiert. Hier könnte man eine konkretisierte Zugehörigkeit künftiger Ausgaben zu bereits realisierten Erträgen annehmen. In diesem Falle würde man in den Jahren vor dem Erreichen (der maximal zulässigen Flugstunden) eine wirtschaftliche Verursachung somit bejahen und eine Ansammlungsrückstellung bilden.

Der zweite setzt voraus, dass man als Ursache der Überholung erst das Erreichen der maximal zulässigen Flugstunden ansieht (zukunftsorientierte Sichtweise). Hier würde man die Aufwendungen aus der Überholung künftigen Erträgen zuordnen. Demnach müsste man eine Rückstellungsbildung ablehnen.

Abschließend muss gesagt werden, dass in den Geschäftsjahren vor der Überholung keine rechtliche Verpflichtung besteht, die Hubschrauber unbedingt überholen zu lassen, so dass der Kaufmann bei Erreichen der zulässigen Flugstunden zwanglos entscheiden kann, ob er die Überholung durchführen wird. Im Gegensatz zu Auffüllverpflichtungen kann sich der Kaufmann der Verpflichtung sehr wohl noch entziehen. Daher kann bis zum Erreichen der maximal zulässigen Flugstunden lediglich eine Verpflichtung des Kaufmanns gegen sich selbst vorliegen.[70] Aufgrund des Wegfalls der Passivierungswahlrechte für Aufwandsrückstellungen gemäß § 249 (2) HGB a.F., darf der Kaufmann in Geschäftsjahren, die nach dem 31.12.2009 beginnen, keine Rückstellung bilden.

4.6.2. Nachbetreuungsleistungen

4.6.2.1. Problematik

Der Inhaber eines Optiker- und Hörgerätefachgeschäfts war seitens eines von seiner Innung und den Krankenkassen abgeschlossenen Vertrags verpflichtet, Nachbetreuungsleistungen an von ihm verkauften Hörgeräten durchzuführen.[71]

Neben einer Gewährleistungsrückstellung bildete er für die Kosten der künftigen Nachbetreuungsleistungen eine Rückstellung.

Der BFH verneinte in seinem Urteil sowohl die rechtliche Entstehung der Verpflichtung zum Abschlussstichtag als auch die wirtschaftliche Verursachung (Zur Begründung s. Punkt 4.6.2.2.).

4.6.2.2. Beurteilung anhand des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen

Tatbestandsmerkmale

Für die Beurteilung einer wirtschaftlichen Verursachung entschied der BFH unter Verwendung des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale.

Für die Erfüllung der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale sei entscheidend, dass die Nachbetreuungsverpflichtung „so eng mit dem betrieblichen Geschehen dieses Wirtschaftsjahres verknüpft ist, daß es gerechtfertigt ist, sie wirtschaftlich als eine bereits am Bilanzstichtag bestehende Verbindlichkeit zu behandeln“[72]. Im Gegensatz zu Garantieverpflichtungen oder Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung (§ 249 (1) S.2 Nr.2 HGB) sei der Mangel an den verkauften Geräten nicht im Verkaufsjahr entstanden, sondern entstehe erst in den darauf folgenden Jahren. Die zu beseitigenden Mängel entständen erst durch die Benutzung und sind nicht schon (wie im Fall von Garantieverpflichtungen oder Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung) im Jahre des Verkaufs vorhanden. Daher seien die Nachbetreuungsleistungen aus Abschlussstichtagssicht eher zukunftsbezogen.[73]

4.6.2.3. Beurteilung anhand des Kriteriums der sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips

Sowohl bei Garantieverpflichtungen und Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung, als auch bei der Verpflichtung zur Nachbetreuung, können den künftigen Aufwendungen bereits realisierte Erträge zugeordnet werden. Wenn man also für Garantieverpflichtungen und Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtungen Rückstellungen bilden muss, muss dies auch für Nachbetreuungsleistungen gelten. Die Aufwendungen sind nämlich durch den Verkauf der Hörgeräte und der daraus resultierenden Erzielung von Erträgen wirtschaftlich verursacht.[74] Zwar könnte man auch zum Ergebnis kommen, dass die Nachbetreuungsleistungen einen gewissen Werbecharakter beinhalten und somit eine künftige Ertragserzielung fördern. Hier scheinen die Aufwendungen aus den Nachbetreuungsleistungen aber eindeutig bereits realisierten Erträgen zuzuordnen zu sein. Anhand einer Beurteilung nach sinngemäßer Anwendung des Realisationsprinzips müsste eine Rückstellung gebildet werden.

4.6.2.4. Auswirkungen auf die Informations- und Zahlungsbemessungs-funktion

Es kann zwar über den Zweck der Nachbetreuungsleistungen gestritten und somit in Frage gestellt werden, ob die Aufwendungen aus der Nachbetreuung bereits realisierten oder erst künftigen Erträgen (Nachbetreuungsleistungen als Werbemaßnahmen) zuzuordnen sind.

Ob aus Sicht der Informationsfunktion des Jahresabschlusses eine Rückstellung gebildet werden muss, hängt daher davon ab, ob man die Aufwendungen aus der Nachbetreuung mit bereits realisierten Erträgen oder künftigen Erträgen verknüpft. Sieht man eher einen Zusammenhang mit bereits realisierten Erträgen, muss es im Jahre des Verkaufs der Hörgeräte zu einer Rückstellungsbildung kommen. Verknüpft man die Aufwendungen ausschließlich mit zukünftigen Erträgen ist aus Sicht der Informationsfunktion eine Rückstellungsbildung zu unterlassen.

Unabhängig davon kann sich der Kaufmann den Nachbetreuungsleistungen -im Gegensatz zur Verpflichtung zur Überholung der Fluggeräte- nicht entziehen. Daher liegt am Abschlussstichtag eine Verpflichtung vor. Ob die die Schuld auslösenden Tatbestandsmerkmale erst in künftigen Geschäftsjahren verwirklicht werden, kann hier keine Rolle spielen, da der Kaufmann überhaupt keinen Einfluss auf das Fälligwerden der Verpflichtung hat. Daher ist aus Vorsichtsgründen eine Rückstellung zu bilden.

4.7. Schlussbetrachtung zur wirtschaftlichen Verursachung

In folgenden Fällen ist eine wirtschaftliche Verursachung nicht gegeben:

- Überholung der Fluggeräte (Hubschrauberfall), weil der Kaufmann die Verpflichtung nur dann erfüllen wird, wenn er sich direkt zurechenbare wirtschaftliche Vorteile erhofft. Er lässt die Überholung nur durchführen, wenn die zukünftigen Erträge die Überholungskosten voraussichtlich decken werden.
- Analyse der Arzneimittel, weil durch die Analysen keine erhaltenen Leistungen oder getätigte Handlungen abgegolten werden. Außerdem wird der Kaufmann die Analyse des jeweiligen Arzneimittels nur veranlassen, wenn er davon ausgeht, dass die Analysekosten von später realisierten Erträgen mindestens gedeckt werden. Er erfüllt die Verpflichtung also nur dann, wenn er sich durch die Erfüllung direkt zurechenbare wirtschaftliche Vorteile erhofft.

In folgenden Fällen ist eine wirtschaftliche Verursachung gegeben:

- Jubiläumszuwendungen, weil durch die Jubiläumszuwendungen vom Kaufmann erhaltene Leistungen (Arbeitskraft des Arbeitnehmers) abgegolten werden und sich der Kaufmann der Verpflichtung rechtlich nicht mehr entziehen kann.
- Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung (§ 249 (1) S.2 Nr.2 HGB), weil durch sie vom Kaufmann erhaltene Leistungen (Kaufpreiszahlung des Kunden) abgegolten werden. Da sich der Kaufmann der Verpflichtung rechtlich entziehen kann, stellt sich die Frage, ob er sich durch die Erfüllung direkt zurechenbare wirtschaftliche Vorteile verspricht. Dies ist zu verneinen: Die Reparaturleistung beinhaltet zwar eine gewisse Werbefunktion, allerdings können der Reparatur keine direkten wirtschaftlichen Vorteile zugeordnet werden. Die Reparatur an sich ermöglicht also keine zukünftige Ertragserzielung.
- Verpflichtung zur Auffüllung einer Kiesgrube, weil durch die Erfüllung der Verpflichtung getätigte Handlungen des Kaufmanns (Abbauen der Grube) abgegolten werden und sich der Kaufmann der Verpflichtung rechtlich nicht mehr entziehen kann.
- Im Falle der Nachbetreuungsleistungen sind auch beide Voraussetzungen erfüllt. Die Nachbetreuungsleistungen gelten die Kaufpreiszahlung ab.

Zusätzlich kann sich der Kaufmann Verpflichtung aufgrund eines zwischen seiner Innung und den Krankenkassen geschlossenen Vertrages nicht entziehen. M.E. Ist auch hier eine wirtschaftliche Verursachung gegeben.

5. Passivierungszeitpunkt

5.1. Rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung fallen zusammen

Betrachtet man die wirtschaftliche Verursachung anhand einer Erfüllung der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale, können wirtschaftliche Verursachung und rechtliche Entstehung nur dann zeitgleich zusammentreffen, wenn die Summe der rechtlichen Tatbestandsmerkmale der Verpflichtung (welche für die rechtliche Entstehung bekanntlich alle kumulativ erfüllt sein müssen), auch alle wirtschaftlich wesentlich sind.[75] Besteht also ein Tatbestand aus fünf Tatbestandsmerkmalen und sind diese alle als wirtschaftlich wesentlich einzustufen, dann fallen rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung zusammen.

Diese Konstellation soll in der Arbeit keiner näheren Betrachtung unterzogen werden.

5.2. Wirtschaftliche Verursachung liegt vor der rechtlichen Entstehung

Bestimmt man die wirtschaftliche Verursachung anhand des Kriteriums der wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale, kann die wirtschaftliche Verursachung zeitlich vor (nicht aber nach) der rechtlichen Entstehung liegen. Dies ist dann der Fall, wenn nur bestimmte Tatbestandsmerkmale wirtschaftlich wesentlich sind und sich die wirtschaftlich wesentlichen zeitlich vor der Summe aus unwesentlichen und wesentlichen Tatbestandsmerkmalen verwirklicht haben. Da das Vorliegen einer rechtlichen Entstehung nicht notwendiges Kriterium für eine Rückstellungspassivierung ist (Bsp. Kulanzrückstellungen), ist hier vom Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung an zu passivieren, da das laufende Vermögen des Kaufmanns durch die Verpflichtung mit künftigen Ausgaben belastet ist. Verpflichtungen können also schon vor ihrer rechtlichen Entstehung passiviert werden, wenn sie wirtschaftlich verursacht sind.[76] Ebenso entschied auch der BFH im Jahre 1969, dass bei Auseinanderfallen des Zeitpunkts der rechtlichen Entstehung und des Zeitpunkts der wirtschaftlichen Verursachung der jeweils frühere Zeitpunkt der maßgebliche Passivierungszeitpunkt sei.[77]

Hierdurch wird einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise Rechnung getragen, denn Verpflichtungen werden nicht erst bei ihrer rechtlichen Entstehung passiviert, sondern schon im Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung. Demzufolge wäre der Zeitpunkt der rechtlichen Entstehung aber als der späteste Passivierungszeitpunkt anzusehen. Eine konsequente Betrachtungsweise wird dadurch allerdings nicht verfolgt, denn die wirtschaftliche Verursachung soll nur dann bestimmend sein, wenn sie vor –nicht aber nach- der rechtlichen Entstehung liegt.[78]

Beurteilt man die wirtschaftliche Verursachung anhand einer sinngemäßen Anwendung des Realisationsprinzips, liegt wirtschaftliche Verursachung dann vor, wenn den künftigen Aufwendungen bereits realisierte Erträge gegenüberstehen.

Daher sind beispielhaft Gewährleistungsverpflichtungen ohne rechtliche Verpflichtung (§ 249 (1) S.2. Nr.2 HGB) im Jahr des Verkaufs (also im Jahr der Ertragsrealisierung) wirtschaftlich verursacht.

Im Übrigen ähnelt die Passivierung einer Verpflichtung vor ihrer rechtlichen Entstehung -aber mit bereits erfolgter wirtschaftlicher Verursachung- der Aktivierung von Forderungen und somit der Realisierung von Erträgen in Fällen der Lieferung von Vermögensgegenständen auf Ziel.[79] So werden Forderung und Ertrag aus dem Geschäft nicht bei Vollzug der Gegenleistung (z.B. im Zahlungszeitpunkt) aktiviert bzw. realisiert, sondern bereits bei Übergang von beispielhaft Besitz, Gefahr, Chancen, Risiken, Nutzen, Lasten. Somit kommt es auch in diesem Falle für eine Erfassung im Jahresabschluss nicht auf die Fälligkeit der Forderung an. Es reicht aus, wenn die Forderung gegen den Dritten „so gut wie sicher“ ist.[80]

[...]


[1] Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, 9.Aufl., S. 415

[2] Vgl. ADS, §249, Tz.30

[3] Vgl. Winnefeld, Bilanzhandbuch, Einf, Tz.5

[4] BGB 29.03.1996, II ZR 263/94, BB 1996, 1109

[5] Coenenberg, 20. Aufl., S.14f

[6] Coenenberg, 20.Aufl., S.14

[7] Ebenda, S.15

[8] BFH 24.06.1969, I R 15/68, BStBl II 1969, 581

[9] BFH 13.11.1991, I R 78/89, BStBl II 1992, 178

[10] Christiansen, DStR 2008, 736

[11] Vgl. BFH 08.11.2000, I R 6/96, BStBl II 2001, 570

[12] Vgl. Christiansen, DStR 2008, 736

[13] ADS, 6. Aufl., § 249, Tz. 38

[14] Herzig, WPg 2000, 116f

[15] Mayer-Weglin/Kessler/Höfer in HdR, 5.Aufl., § 249, Tz 32

[16] Sarrazin, WPg, 1993, 1

[17] Woerner, BB 1994, 246

[18] Gl. A. Crezelius, DB 1992, 1355

[19] BFH 01.08.1984, I R 88/80, BStBl. II 1985, 46f

[20] BFH 19.05.1987, VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 850

[21] BFH 25.08.1989, III R 95/87, BStBl. II 1989, 895

[22] Ebenda

[23] Ebenda

[24] BFH 12.12.1991, IV R 28/91, BStBl. II 1992, 600

[25] BFH 19.05.1987, VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 850

[26] Moxter, Bilanzrechtsprechung, 5. Aufl., S.109

[27] Mayer-Wegelin/Kessler/Höfer in HdR, 5. Aufl., §249, Tz.39

[28] BFH 01.08.1984, I R 88/80, BStBl. II 1985, 47

[29] BFH 19.05.1987, VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 849

[30] Vgl. Moxter, FS Forster, S. 431

[31] Vgl. Ebenda

[32] Moxter, FS Forster, S.431

[33] Morck, HGB, 5.Aufl., §252, Tz.5

[34] Vgl. Wiedmann, E/B/J/S, § 249, Tz. 24

[35] Vgl. Ebenda

[36] BFH 25.08. 1989, III R 95/87, BStBl. II 1989, 895

[37] BFH 12.12.1991, IV R 28/91, BStBl. II 1992, 604

[38] Sielaff, DStR 2008, 371

[39] Moxter, Bilanzrechtsprechung, 5. Aufl., S.109

[40] BFH 25.08.1989, III R 95/87, BStBl. II 1989, 895

[41] Moxter, Bilanzrechtsprechung, 5. Aufl., S.108

[42] Ebenda

[43] Ebenda

[44] Ebenda

[45] Herzig DB 1990, 1344

[46] Vgl. Kühnberger/Faatz, BB 1993, 101

[47] Schrimpf-Dörges, Umweltschutzverpflichtungen, S.45

[48] Vgl. Woerner, FS Moxter, S. 489

[49] Clemm, FS Moxter, S. 190

[50] BAG 13.09.1974, 5 AZR 48/74, AP, §611 BGB, Gratifikation Nr.84

[51] BFH 25.02.1986, VIII R 377/83, BStBl. II 1986, 466

[52] Ballwieser, MünchKommHGB, § 249, Tz. 20

[53] Herzig, DB 1990, 1346

[54] Vgl. Siegel, BB 1993, 334

[55] Müller, ZGR 1981, 129

[56] Müller, ZGR 1981, 130

[57] Vgl. Siegel, BB 1993, 334

[58] Vgl. Naumann, WPg 1991, 531

[59] BFH 12.12.1991, IV R 28/91, BStBl. II 1992, 604

[60] Herzig, DB 1990, 1347

[61] Herzig, DB 1990, 1347

[62] Schön, BB 1994, Beilage 9, S.6

[63] Vgl. Kupsch, BB 1992, 2324

[64] Vgl. Moxter, FS Forster, S.431

[65] BFH 19.05.1987, VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 848f

[66] BFH 20.03.1980, IV R 89/79, BStBl II, 297

[67] BFH 19.05.1987, VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 850

[68] BFH 19.05.1987, VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 850

[69] Vgl. Crezelius, DB 1992, 1360

[70] Gelhausen/ Fey, DB 1993, 595

[71] BFH 10.12.1992, XI R 34/91, BStBl. II 1994, 158

[72] BFH 10.12.1992, XI R 34/91, BStBl. II 1994, 158

[73] BFH 10.12.1992, XI R 34/91, BStBl. II 1994, 158

[74] Vgl. FG Niedersachsen, 23.03.1993, VI 551/91, BB 1994, 971

[75] Moxter, FS Forster, S.431

[76] [76] Vgl. Naumann, WPg 1991, 532

[77] BFH 23.09.1969, I R 22/66, BFHE 97, 164, BStBl II 1970, 104

[78] Vgl. Rüdinger, Regelungsschärfe, S. 92

[79] Vgl. Woerner, FS Moxter, S.488

[80] Vgl. Woerner, FS Moxter, S.488

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2009
ISBN (PDF)
9783863415174
ISBN (Paperback)
9783863410179
Dateigröße
343 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule RheinMain
Erscheinungsdatum
2011 (August)
Note
2
Schlagworte
Umweltschutzverpflichtungen Umweltverpflichtungen Umweltschutzrückstellungen Rückstellungen HGB Passivierung
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Oliver Soditt wurde 1983 in Hamburg geboren. Nach seinem Abitur in Wiesbaden lebte er sechs Monate in Südamerika. Im Anschluss begann er mit dem Studium Wirtschaftsrecht an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden, welches er mit dem akademischen Grad Legum Baccalaureus (LL.B) im Jahre 2009 abschloss. Bereits während seines Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen in der Umweltbranche. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in New York/USA entschied sich der Autor zum Masterstudiengang Business Law und arbeitet seitdem als Mitarbeiter in einem Beratungsunternehmen im RheinMain-Gebiet. Im Sommer 2010 erwarb der Autor die Bescheinigung zum International Certified Accountant.
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Titel: Die Passivierung von Umweltschutzverpflichtungen
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