Die Grenzen der Kundenorientierung in der Finanzverwaltung: Ist auch das geprüfte Unternehmen Kunde?
Zusammenfassung
Die Stakeholder der Finanzverwaltung mit ihren divergierenden Interessenslagen werden dargestellt und analysiert. Anhand der Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung eröffnet sich die aktuelle Sichtweise der Finanzbeamtem im Hinblick auf dieses Feld. Anhand dieser Fakten werden in Verbindung mit der bereits teilweise erfolgten Kundensegmentierung Rückschlüsse für das Kundenmanagement der Finanzverwaltung aufgezeigt.
Die Grenzen der Kundenorientierung sowie ein Ausblick auf Entwicklungspotentiale bilden ein weiteres Kernstück dieser Arbeit.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS
Kurzzusammenfassung
VORWORT
1. Ausgangslage
1.1 Begriffe und Definitionen
Kundin
Bürgerin
New Public Management
Kundensegmentierung
Public Governance
Public Value
1.2 Wodurch unterscheidet sich die Kundin von der Bürgerin ?
1.3 Bürgernähe als Leitziel einer kundenorientierten Verwaltung
2. Stakeholder der Finanzverwaltung
2.1 Stakeholder gegliedert nach Interessenslagen
2.1.1 Steuerlich „Veranlagte“
2.1.2 Lohnsteuerpflichtige
2.1.3 Politik
2.1.4 (Steuer)beratende Berufe
2.1.5 Beihilfenbezieherinnen
2.1.6 Interessenvertretungen
2.1.7 Großkonzerne
2.1.8 Stakeholder im Behördenbereich
2.1.9 Die „Gesellschaft“
2.2 Fazit
3. Mitarbeiterinnenbefragung
3.1 Befragung, Details zur Methode
3.2 Ergebnisse der Befragung
4. Kundensegmentorientierung in der Finanzverwaltung
4.1 InfoCenter, kurz „IC“
4.2 Infocenter zum Bürger
4.3 Teams Arbeitnehmerveranlagung
4.4 Teams betriebliche Veranlagung
4.5 Großbetriebsprüfung
4.6 Fachbereich
5. Schlussfolgerungen
5.1 Rückschlüsse für das Kundenmanagement der Finanzverwaltung
5.1.1 Mitarbeiterinnen
5.1.2 Bürgerinnen, Kundinnen
5.1.3 E-Government-Kunden
6. Die Grenzen der Kundenorientierung
7. Ausblick und Entwicklungspotentiale
7.1 Gestaltung der Informations-Center, Begrüßung
7.2 Information über den Stand des Verfahrens
7.3 Personalressourcen
8. Resumee
9. LITERATURVERZEICHNIS
Kurzzusammenfassung
Der zu Beginn der 1990ige Jahre eingeleitete Wandel von Behörden zu öffentlichen Dienstleistungsunternehmen erfordert eine Neubestimmung des Adressatenbezuges. Im Focus der Bemühungen stehen Kundinnenorientierung und stärkerer Bürgerinnenbezug.
Wodurch unterscheidet sich nun aber die Bürgerin von der Kundin ?
Im Bereich der Finanzverwaltung fehlen der Kundin im Gegensatz zum nicht-öffentlichen Bereich zwei wesentliche Optionen : Sie hat einerseits keine andere Finanzverwaltung zur Auswahl und ist andererseits meist de facto „Zwangskundin“.
Dieses Spannungsfeld wird analysiert und ein Lösungsansatz durch „Kundensegmentorientierung“ dargestellt.
Summary
At the beginning of the 1990th of last century authorities began to mutate into providers of public services. This process required a new definition of addressees. In the focus of efforts are customer orientation and more of civil relation.
But where are the differences between citizen and customer ?
In the field of tax-authorities two essential options, in the contrary to the non-public area, are missing : On the one hand there are no second tax-authorities to be chosen and on the other hand people are compulsive customers.
This field of tension will be analysed and a beginning of solution with customer segment orientation will be shown.
VORWORT
Ich habe zum Abschluss meines FH-Studiums diese Themenstellung gewählt, da ich nunmehr bereits fast 30 Jahre in der Finanzverwaltung in verschiedensten Positionen tätig bin und den Wandel von der „Normunterworfenen“, die idealerweise schon mit geklebter Stempelmarke das hocherwürdige Amt betritt hin zu einer verstärkten Bürgerinnenorientierung miterlebt habe und miterlebe.
Begriffe wie „New Public Management“, „Governance“ und „Kundin“ im Zusammenhang mit der Finanzverwaltung kannte zu Beginn der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch niemand.
Freundlichkeit und Service für die Kundin waren zwar nicht explizit verboten, rangierten aber in Bezug auf die Wertung der dienstlichen Fähigkeiten einer Finanzbeamtin weit hinter Fachwissen und Gesetzestreue.
Mit dem im Zuge meines bisherigen Studiums erworbenen Wissens über Management, Führung, Kommunikation und vieles mehr habe ich in Verbindung mit den wertvollen Erfahrungen, die Studienkolleginnen aus anderen Bereichen der Verwaltung haben einfließen lassen, einen wesentlichen geschärften Blick für die Zusammenhänge im Großen gewinnen können. Dafür möchte ich Danke sagen.
Ebenso danke ich meiner Gattin Roswitha, die uns Studierenden regelmäßig mit herrlichen selbstgebackenen Mehlspeisen die Tage versüßte, sowie meinem kleinen Pflegesohn Steven, der mir mit seiner kindlichen Unbekümmertheit manche scheinbaren Hürden im Studium auf annehmbare Größe zurechtstutzte.
Sie alle haben, gemeinsam mit den Vortragenden, die stets unterstützend und motivierend gewirkt haben, wesentlichen Anteil am Gelingen.
Thalheim, im Mai 2010 Josef PASCHINGER
Wenn in der vorliegenden Bachelorarbeit personenbezogene Bezeichnungen verwendet werden, sind diese zwar in weiblicher Form dargestellt, meinen aber in gleicher Weise weibliche als auch männliche Personen.
Dies dient der besseren Lesbarkeit.
1. Ausgangslage
Zentrales Anliegen und Ziel vieler Reformbemühungen öffentlicher Verwaltungen der letzten Jahre war es und ist es nach wie vor, die Kundenorientierung der Verwaltung zu steigern und die Verwaltungsleistungen kundenorientierter zu erbringen. Auch wenn der Anspruch der Kundenorientierung im Laufe der Jahre in fast alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung vorgedrungen ist, so sind die hinter diesem Begriff stehenden Definitionen, Konzepte und Maßnahmen in den einzelnen Verwaltungen noch immer heterogen.
Um die Akzeptanz der Finanzverwaltung bei der Bevölkerung sicherzustellen, spielt neben der Recht- und Ordnungsmäßigkeit zunehmend auch die Zufriedenheit der Kundinnen mit den erbrachten Leistungen eine maßgebliche Rolle. Dies verlangt von der Finanzverwaltung, dass sie ihre Organisationsstrukturen und Prozesse auf die Erwartungen und Bedürfnisse der einzelnen Kundin ausrichtet.
Derartige Anstrengungen können unter dem Begriff Kundenmanagement zusammengefasst werden. Aus der Privatwirtschaft ist der Begriff Customer Relationship Management ( CRM ) bekannt.
Die Umsetzung kundinnenorientierter Organisationsmodelle stellt die Entscheidungsträger in der Finanzverwaltung vor eine Reihe von Herausforderungen.
Kundensegmentorientierung ist eine der gängigen Antworten darauf und arbeitet die Finanzverwaltung damit tendenziell mehr damit als andere Verwaltungsbereiche.
1.1 Begriffe und Definitionen
Bürgerin und Kundin sind gängige Begriffe im alltäglichen Sprachgebrauch. Einleitend werden diese, wie auch der Begriff der Kundensegmentierung, einer Definition zugeführt. Wesentlich ist im Zusammenhang mit der Behandlung des gegenständlichen Themas auch der Begriff des New Public Managements sowie Governance.
1.1.1 Kundin
Das Wort Kunde bedeutet im 8. Jahrhundert „Zeuge“ oder „Künder“ bzw. „der mit einem Sachverhalt Bekannte“[1] und leitet sich vom althochdeutschen kund(e)o bzw. mittelhochdeutsch künde ab. Als erste Bedeutungsverschiebung tritt es in frühhochneudeutscher Zeit in der Bedeutungsverengung „Wirtschaftsgast“ auf. Seit dem 16. Jahrhundert wird es in der heutigen Bedeutung „der in einem Geschäft Kaufende“ verwendet.
Die DIN EN ISO 8402 definiert Kunde als „Empfänger eines vom Lieferanten bereitgestellten Produktes“, der im Rahmen einer Vertragssituation auf Auftraggeber genannt wird. Sobald das Geschäft zustandegekommen ist, wird der Kunde zum Käufer.
Als Kunden werden aber auch Personen oder Institutionen bezeichnet, die einmalig mit einem Lieferanten einen Vertrag geschlossen haben bzw. ein Geschäftsinteresse bekundet haben. So betrachtet zum Beispiel eine Lebensmittelhändlerin auch solche Personen als Kunden, die einmalig bei ihr eingekauft haben, wobei dahinter die Erwartung steht , dass diese sich gegebenenfalls wieder für ihr Geschäft entscheiden werden und es erneut zu Vertragsschlüssen kommt.
Die Kundin in der Privatwirtschaft ist somit vorrangig Käuferin oder Konsumentin von Produkten oder Dienstleistungen. Sie hat freie Wahl und steht der Anbieterin des Produktes/der Dienstleistung gleichberechtigt gegenüber.
1.1.2 Bürgerin
Der Begriff Bürger leitet sich vom althochdeutschen „burga“ ab und bedeutet „Schutz“. Ursprünglich handelte es sich dabei um einen befestigten Wohnsitz, eine Burg, in dem sich Gewerbetreibende und Händler niederließen. Im Englischen ist „borough“ (und insbesondere in Schottland in der Form von „burgh“) als Bezeichnung für eine Stadt mit Stadtrechten auch heute noch in Verwendung.
Seine noch älteren historischen Wurzeln hat der Begriff im antiken Griechenland. Aristoteles definierte, dass die Bürgerin durch ihre „Teilhabe am Richten und an der Herrschaft“ bestimmt sei.
In Österreich ist der Begriff „Bürgerin“ juristisch nicht definiert, sondern findet sich nur in abgeleiteten Formen wie zum Beispiel „Staatsbürger“.
In einem erweiterten Sinn bedeutet Bürger alle Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder Nationalität. Damit ist die allen liberalen Verfassungen zu Grunde liegende Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft gemeint.
Bürger sind dann alle nichtstaatlichen Akteure (Zivilpersonen). Diese sind grundrechtsberechtigt, der Staat hingegen grundrechtsverpflichtet.
In diesem Sinn ist Bürgerin im Zusammenhang mit Kundenorientierung in der Finanzverwaltung im weiteren Zusammenhang zu sehen.
Die Bürgerin ist durch ihre Volks- und Staatszugehörigkeit, seine Staatsbürgerschaft oder seinen Hauptwohnsitz einem gewissen Gebiet zugeordnet. Dadurch unterliegt er den Gesetzen und der Verwaltung dieses Gebietes. So kann eine Bürgerin des Finanzamtsbereiches Wien III nicht in Linz steuerlich geführt werden. Sie ist somit als Bürgerin eindeutig einer Verwaltungseinheit zugeordnet, als Kundin hingegen nicht.
Die Bürgerin ist ein zutiefst politischer Faktor für die öffentliche Verwaltung, ja für das gesamte staatliche System. Die Bürgerin kann Kundin sein, allerdings auch Wählerin, Abstimmerin, Aktivistin, Auftraggeberin für Gesetze, und vieles mehr.
Die Bürgerin ist somit, im Unterscheid zur ungebundenen Kundin, ein an verschiedene Tatsachen (bspw. Staatsbürgerschaft) gebundener Begriff.
1.1.3 New Public Management
New Public Management (NPM) hat die Modernisierung öffentlicher Einrichtungen und neue Formen öffentlicher Verwaltungsführung als Ziel. Innovativ daran ist die institutionelle Sichtweise der Verwaltung und ihrer Stakeholder sowie die konzeptionelle Vorstellung, wie solche Einrichtungen gesteuert werden sollen.
New Public Management ist der Überbegriff der in der westlichen Welt terminologisch einheitlichen „Gesamtbewegung“ der Verwaltungsreformen, die auf einer institutionellen Sichtweise fußen.[2]
Das wesentliche Merkmal für NPM-Reformen ist der Wechsel der Steuerung von der Input- zur Outputorientierung.
Public Management ist als eine Spezifizierung der Steuerungsprobleme auf öffentliche Organisationen zu verstehen. Es ist ein Erkenntnis- und Gestaltungsmuster sowohl für öffentliche Verwaltungen[3] als auch für öffentliche Unternehmen.
Versucht wird, Probleme öffentlicher Verwaltungen so zu definieren und zu strukturieren, dass verfügbare Methoden, Instrumente, Strukturen und Qualifikationsmuster aus dem privatwirtschaftlichen Sektor zumindest ansatzweise zur Anwendung kommen können.[4]
NPM ist ein Konglomerat von Maßnahmen, die eine betriebwirtschaftliche Interpretation des Verwaltungshandelns ermöglichen sollen. Dabei wird bzw. wurde dieses Bündel an Maßnahmen vor allem mit Auslagerungen, Privatisierungen, Deregulierung bzw. Dezentralisierung von Verwaltungseinheiten gleichgesetzt.
Es geht dabei unter anderem um die Einführung von Wettbewerbselementen in die Behördentätigkeit. Mit der fortschreitenden Globalisierung wurde auch der Ruf nach verbesserten Standortbedingungen immer lauter, denn Modernitätsrückstand im internationalen Wettbewerb bedeutet Standortnachteile.
Unterstützung findet die NPM-Strategie durch den gesellschaftlichen Wandel im Sinne beobachtbarer Verdrängung traditioneller Pflicht- und Akzeptanzwerte zugunsten von Partizipationswünschen und individueller Selbstentfaltungswerte.
Die Verwaltung steht so einer immer anspruchsvolleren Bürgerschaft gegenüber und kann sich immer weniger auf traditionelle Legimitationsgründe berufen.
Somit sollen die beiden Grundlegitimationsgründe der staatlichen Existenz, nämlich die demokratische und rechtsstaatliche Legitimation, um einen weiteren Grund ergänzt werden : Wirkungsorientierung als Legitimationserfordernis, das d.h. Legitimation aufgrund der Wirkung von Maßnahmen auf die Gesellschaft[5]
1.1.4 Kundensegmentierung
Größere Behörden haben in Bezug auf Kundenorientierung das Problem, dass sie oftmals auf Kundinnen eingehen müssen, die schwierige und rechtliche komplexe Verfahren auslösen. Um auch in diesen Fällen eine möglichst kundenfreundlich, transparent und effektiv agierende Verwaltung sicherstellen zu können, ist der Ansatz der kundensegmentorientierten Organisation ein sehr hilfreicher.
Werden die Kunden in Kundensegmente zusammengefasst, können Leistungen in Form konkreter Produkte angeboten und die Organisationsform dementsprechend adaptiert werden.
Durch die Einrichtung von Bürgerservicestellen können all jene Dienstleistungen gebündelt werden, die einfach und rasch erledigt werden können. Diese Bürgerservicestelle – im Idealfall im Eingangsbereich leicht erreichbar situiert – dient auch einer kompetenten Auskunfts- und Informationserteilung. Diese Art von Servicestelle kann und soll Ansprechpartner und „Drehscheibe“ für die Kunden sein.
Die kundensegmentorientierte Organisation ist ein relativ junger Organisationsansatz. Dieser setzt voraus, dass eine Behörde ihre Kunden kennt und gleichzeitig auch bereit ist, althergebrachte Strukturen durch neue Ansätze zu ersetzen.
Eine öffentliche Verwaltung sollte nach Kundensegmenten organisiert sein, wenn
- die Kunden sehr heterogen sind und die Kundengruppen unterschiedliche, möglicherweise sogar divergierende Bedürfnisse haben
- die Produkte der Behörde komplex und stark Ressourcen bindend (bspw. Personalintensiv) sind
- die Organisationseinheit eine bestimmte Größe hat, die ein einheitliches Bedienen der Kundschaft unmöglich macht
Um zielgerichtete und nachhaltige Maßnahmen zu definieren, ist es notwendig, dass bei den identifizierten Kundensegmenten und –subsegmenten Klarheit darüber besteht, welche Wirkungen bei den einzelnen Segmenten erzielt werden sollen. Die Definition von angestrebten Wirkungen gestaltet sich oftmals schwierig, da Interessenskonflikte bestehen können. Um einen strategischen Fokus zu bewahren, ist aber die Ausrichtung auf Wirkungen unerlässlich.
Ausgehend von den Wirkungszielen je Kundensegment soll über ein kohärentes, stufengerechtes System die Erreichung der Ziele sichergestellt werden. Die Ziele sind aufeinander abgestimmt, werden regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst. Die abgebildeten Ziele sollen auch die Wertschätzung gegenüber den Kundinnen widerspiegeln. Für das Kundensegment an sich, aber auch für die Zielerreichung auf verschiedenen Ebenen sind Verantwortlichkeiten zu definieren.
Eine Studie zur Signifikanz von Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit mit staatlichen Leistungen[6] zeigt, dass die Zufriedenheit zwischen verschiedenen Kundinnengruppen variiert. So sind z.B. jüngere und nicht-erwerbstätige Menschen und Personen mit geringerem Bildungsniveau und Einkommen eher zufrieden mit Verwaltungstätigkeiten als andere Gruppen.
Ein weiteres Indiz für die Notwendigkeit der Bildung von Kundensegmenten.
Ein Widerspruch zum Rechtsgleichheitsgebot kann darin nicht erblickt werden. Denn wenn auch der Rechtsgleichheitsgrundsatz verlangt, dass sowohl Gleiches gleich, als auch Ungleiches ungleich zu behandeln ist, bestehen in der Art und Weise der Entscheidungsfindung , der Leistungserbringung und des Vollzuges der Entscheidung vielfältige Spielräume, die im Interesse der Kundenorientierung genutzt werden können.
1.1.5 Public Governance
Public Governance bzw. Good Governance stellt die Außenbeziehungen der Verwaltung in den Vordergrund und untersucht die Voraussetzungen für einen Staat, der unter demokratischen Vorzeichen, die Gesellschaft gut (somit vor allem sozial und gerecht) zu steuern vermag.[7]
Ursprünglich hat die Weltbank diesen Begriff im Jahre 1989 im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik eingeführt.
Im Rahmen der Weltbank wird Governance folgendermaßen bezeichnet :
„The exercise of political power to manage a nations affair“
So entstand mit Governance ein inzwischen weltweit verwendeter Begriff zur Erfassung und Gestaltung teilweise recht heterogener Phänomene institutioneller und interaktiver Arrangements.
Governance beabsichtigt, die Reformschwerpunkte in den öffentlichen Verwaltungen von reinen Managementaspekten auf weitergehende Zielsetzungen und auch auf normativ-politische Inhalte hin umzulenken. Der Staat kann sich nicht allein auf die Schaffung einer effizienten und kundenorientierten Verwaltung beschränken. Er hat vielmehr auch zu garantieren, dass die Bürger angemessen in das politische und administrative Geschehen eingebunden und deren Verantwortungsbewusstsein für gesellschaftliche Angelegenheiten gestärkt wird.
Bürgergesellschaft, Gewährleistungsstaat und aktivierender Staat sind Begriffe, die in diesem Zusammenhang Karriere gemacht haben. Tatsächlich werden vermehrt Stimmen laut, die von Politik und Verwaltung fordern, sich für gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu fühlen und Lösungen zu kreieren.[8]
Die Idee eines „Good Governance“ hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass es dem Staat nicht allein um eine effiziente und kundenorientierte Verwaltung gehen darf. Vielmehr muss der Staat auch effektiv in seinen Wirkungen sein. Diese Sicht kann sehr wohl in das Konzept des New Public Managements integriert werden.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept fällt schwer (und stellt in dieser Arbeit auch keine Forschungsfrage dar), weil sich die Aussagen auf die Ebene allgemein-theoretischer beschränken, die zudem normativ so sehr positiv geprägt sind, dass man den allgemeinen Direktiven kaum zu widersprechen vermag. Die Kraft zur Initiierung einer relevanten Debatte, in der z.B. sozialdemokratische mit liberaldemokratischen Positionen um die Rolle des Staates streiten könnten, hat das Konzept offensichtlich nicht
1.1.6 Public Value
Dieser Begriff ist mit dem Terminus „Public Governance“ eng verknüpft und korrespondiert mit diesem in weitern Bereichen.[9]
Der in Harvard lehrende Politikwissenschafter Mark H. Moore verhalf dem Gemeinwohl als „Public Value“ Mitte der 1990er Jahre zu neuem Gewicht. Public Value entstand, analog dem Shareholder Value des Privatsektors, in den Institutionen des öffentlichen Sektors, die für die Bedürfnisse der Bürgerinnen respektive Kundinnen geschaffen wurden :
„Manager of public sector enterprises can create value, in the sense of satisfying the desires of citizens and clients, both through public sector production and through establishing and operating properly ordered and productive institutions, which are publicly accountable” schreibt Moore in “Strategic Management in Government”.
Der Verwaltungswissenschafter Hermann Hill übersetzt Public Value als “Verwaltungshandeln, bei dem die Bewertung und Steigerung der Wertschöpfung von Tätigkeiten im Interesse des Gemeinwohls (öffentliches Interesse) stärker in den Mittelpunkt rückt“.
Der britische Sozialwissenschafter Colin Talbot liefert eine anregende Interpretation von „Public Value“, indem er nicht nur die öffentlichen Güter anspricht, die der Staat wegen Marktversagens bereitstellen muss, sondern eine weiteren „wertschöpfenden“ Aspekt herausstreicht :
Gerechtigkeit, Gleichheit, Rechtschaffenheit
Dies sind Werte, die der private Sektor nicht erschaffen kann und will und die daher im öffentlichen Sektor entstehen müssen und sollen. Die Effizienz des öffentlichen Handelns bemisst sich demnach daran, wie sehr es den Grundbedürfnissen der Menschen und dem demokratischen Wertesystem entspricht.
Auf der Suche nach weiterer Konkretisierung erweisen sich die folgenden drei Kategorien als hilfreich :
Ethik, verstanden als Respekt vor dem Individuum und damit die Ausrichtung des Handelns an Chancengleichheit Demokratie, messbar etwa durch Bürgerbeteiligung Wertschätzung für soziale und kulturelle Vielfalt, Respektieren von Minderheiten und schließlich Optimismus als ästhetische Kategorie, die in Analogie zum positiven Bild der Mitarbeiterin im Public Management die positiven Erfahrungen in den Beziehungen zwischen Bürgerinnen, Politik und Verwaltung hervorhebt.
Ähnlich definierte der Verwaltungswissenschafter Tony Bovaird, als er die folgenden fünf Kategorien unterschied :
- User value
- Value to wider groups (such as family or friends of service users)
- Political value (e.g. through co-planning as support to democratic process)
- Social value (creation of social cohesion)
- Environmental value (ensuring sustainability)
1.2 Wodurch unterscheidet sich die Kundin von der Bürgerin ?
Der Kundenbegriff, wie er bereits dargestellt und definiert wurde, ist ein Begriff im marktwirtschaftlichen bzw. verwaltungstechnischen Sinn. Die Bürgerin allerdings ist ein politischer Terminus.
Eine Kundin möchte in erster Linie bedient werden, die Bürgerin möchte oder sollte aktiviert werden. Das politische System Demokratie lebt von der Beteiligung und vom Engagement jeder einzelnen Bürgerin. So ist bspw. Bürgerbeteiligung ein wesentlicher Faktor für eine nachhaltige zielgerichtete Politik.
Die Bürgerin ist im Unterschied zur ungebundenen Kundin ein an verschiedene Tatsachen (bspw. Staatsbürgerschaft) gebundener Begriff. So kann jede Kundin einer Verwaltungseinheit sein, auch wenn diese für Sie gar nicht zuständig ist.
Ein Beispiel zur Illustration dieses Abgrenzungsbereiches :
Es ist höchst kundenorientiert, die Leistungen des Gewerbereferates einer Bezirkshauptmannschaft rasch, unbürokratisch und mit hoher Qualität zu erbringen. Die Ansuchende hat ihre gewerberechtliche Bewilligung nach kurzer Zeit in Händen und ist zufrieden. Die Anrainerinnen dieser Anlage als Bürgerinnen hingegen sind vielleicht unzufrieden, da durch die kurze Verfahrensdauer (wenn auch vielleicht nur in ihrer subjektiven Wahrnehmung) ihre Einwendungen nicht ausreichend behandelt worden sind. Somit hat die rasche Entscheidung der Behörde einerseits zur Kundenzufriedenheit geführt, ist aber andererseits die Bürgerzufriedenheit auf der Strecke geblieben. Die Anrainerinnen sind in erster Linie Bürgerinnen, die von verschiedenen Gesetzen Rechte zugewiesen bekommen haben. Zur Kundinnen für die Verwaltung werden sie erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sie diese Rechte in Anspruch nehmen wollen, diesfalls bspw. Durch Teilnahme an der Gewerbeverhandlung. Beteiligen sie sich jedoch nicht und äußern erst zu einem späteren Zeitpunkt ihr Unbehagen, so sind sie nicht Kundinnen der Verwaltung, sondern vielmehr unzufriedene Bürgerinnen.
1.3 Bürgernähe als Leitziel einer kundenorientierten Verwaltung
Treffender als der Begriff Kundenzufriedenheit wird von einigen Autoren[10] der Begriff der Bürgernähe in der öffentlichen Verwaltung eingestuft und finden sich nachfolgende Verhaltenskodizes in vielen Leitbildern der Verwaltung :
Die bürgerinnennahe Verwaltung versteht sich als Dienstleistungsbetrieb Die Bürgerin erhält Aufmerksamkeit und Zuwendung Die Bürgerin ist Kundin, nicht lästige Bittstellerin Sie ist Einzelmensch, daher gehen wir individuell auf Sie ein Unsere Kundinnen sehen wir als mündige Bürgerinnen Wir nehmen sie ernst und versuchen, sie zu verstehen Sie entscheiden, wen sie konkret um Rat fragen Es ist nicht ihr Fehler, wenn sie sich nicht sofort zurechtfinden Bürgerinnennähe ist eines unser vorrangigen Ziele Wir gehen auf Wünsche ein, erwarten aber Verständnis, dass wir nicht geben können, was rechtlich nicht zusteht und dass wir nur den wirtschaftlich vertretbaren Komfort bieten können Wir sind auf den laufenden Dialog mit den Kundinnen angewiesen Wir wollen wissen, was die Bürgerinnen wirklich wollen.
Deshalb fragen wir sie und unterstellen ihnen nicht irgendwelche Wünsche, nur weil sie sich mit unseren eigenen decken. Bürgernähe gibt es nicht zum Nulltarif Wir wollen, dass die Bürgerinnen den Gegenwert erhalten, den sie oder die Allgemeinheit für die Dienste zahlen. Wir decken den Personalbedarf angemessen. Überlastete Mitarbeiterinnen können Bürgerinnennähe nicht gewährleisten.
Die Strategie der Kundinnenorientierung bietet die Chance, Denkmuster und Verhaltensweisen der eher binnenorientierten Verwaltung zu überwinden. Allerdings dürfen bei aller Leistungsfähigkeit des Transfers Bürgerinnen nicht auf den Kundinnenstatus reduziert werden. Zudem ist eine Verwaltung, die demokratisch kontrolliert wird und Recht und Gesetz verpflichtet ist, viel mehr als ein normales Dienstleistungsunternehmen.
Im herkömmlichen Verständnis sind Kundinnen vorrangig Konsumentinnen, d.h. sie sind eher passiv und auf reine Bedürfnisbefriedigung aus. Bürgerinnen haben aber darüber hinaus noch viele weiter Rollen, z.B. als Mitgestalterinnen in der lokalen Gesellschaft, wo ihre aktive Kooperation gefordert ist.
Gerade im Bereich der Finanzverwaltung ist die Bürgerin als so genannte „Steuerbürgerin“ gleichzeitig für die Finanzierung der von ihr nachgefragten Leistung zuständig und befindet sich zudem des Öfteren in der Rolle der „Muss-Kundin“, da der demokratisch legitimierte Staat berechtigt ist, rechtsverbindliche Entscheidungen zu treffen und diese im Härtefall unter Anwendung von „Imperium“ durchzusetzen.
2. Stakeholder der Finanzverwaltung
Auf die Frage, wer denn die Stakeholder der Finanzverwaltung seien, kommt – wenn überhaupt – meist die Antwort : „unsere Bürgerinnen“. Diese Antwort ist jedoch sehr unbestimmt und vage.
Allerdings ist die Frage nach den Anspruchsgruppen für die strategische Ausrichtung des Leistungsspektrums einer Behörde eine essentielle. Nur wer seine Stakeholder definiert, ihre Wünsche und Anliegen kennt und hinterfragt, ob diese als Kundinnen und/oder Bürgerinnen anzusehen seien, sowie sich auf die sich ständig ändernden Bedürfnisse adäquat eingeht, kann seine Leistungen im Sinne von Good Governance zufriedenstellend erbringen.
Zufriedenstellung für die Kundinnen und oder Bürgerinnen, die Mitarbeiter und last but not least für die Politik. Im Idealfall werden die Anspruchsgruppen zum Maßstab für die Beurteilung der Qualität der Leistungserbringung und des Erfolges von Organisationseinheiten und der Belegschaft.
In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Stakeholder der Finanzverwaltung mit ihren teilweise sehr unterschiedlichen Wünschen und Erwartungen gegliedert und dargestellt.
2.1 Stakeholder gegliedert nach Interessenslagen
Nachfolgend werden die wesentlichen Interessensgruppen, die – freiwillig oder auch nicht – mit der Finanzverwaltung in Berührung kommen (können), aufgelistet und auf ihre jeweiligen Erwartungshaltungen eingegangen.
2.1.1 Steuerlich „Veranlagte“
„Veranlagung“ bedeutet, dass der jeweiligen Bürgerin von der Finanzbehörde eine Steuernummer zugewiesen wurde und die Betroffene vierteljährlich Steuer-Vorauszahlungen (z.B. zur Einkommensteuer) zu entrichten und für jedes Kalenderjahr eine Steuererklärung abzugeben hat. Es kann sich dabei um natürliche als auch juristische Personen, z.B. um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, handeln. Betriebsprüfungen seitens der Behörde erstrecken sich auf diesen Personenkreis.
Die Erwartungshaltung dieser Gruppe differiert je nach dem Grad der Steuerehrlich- bzw. Unehrlichkeit.
Diejenigen, die sich bemühen, steuerliche Bestimmungen weitestgehend einzuhalten, erwarten vom Finanzamt, fair und zuvorkommend behandelt zu werden. Gestellte Anträge sollten antragsgemäß und in angemessener Zeit erledigt werden und ganz generell möchten sie, dass sie in ihren betrieblichen Aktivitäten von der Finanzbehörde möglichst gar nicht bis wenig gestört werden. Zudem liegt dieser Gruppe ein effizientes und effektives Vorgehen der Finanzverwaltung gegenüber jenen am Herzen, die Steuergesetze bewusst missachten und sich dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen. Ein Unternehmer, der seine Leistungen „schwarz“ anbietet, kann naturgemäß seiner Kundin wesentliche günstigere Angebote legen.
[...]
[1] Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2002
[2] Vgl. Schedler, Kuno: New Public Management, 4.Auflage, Haupt Verlag, Wien, S. 5
[3] Vgl. Hierzu auch die Diskussion um den Begriff „Verwaltungsmanagement“ bei Laux, Verwaltungsmanagement, in: Chmielewicz/Eichhorn 1989, Spalte 1678 f.
[4] Vgl. Büdäus, Dietrich: Public Management, 4. Auflage, Ed. Sigma, Berlin
[5] Vgl. Schedler, Kuno: New Public Management, 4. Auflage, Haupt Verlag, Wien, S. 8 f
[6] Rothenbühler, A. und A. Martinovits(2002): Signifikanz von Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit mit staatlichen Leistungen, Zürich : GFS-Forschungsinstitut, Wirtschaftsforschung und Sozialmarketin
[7] Hopp, Helmut: Management in der öffentlichen Verwaltung, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 2008, S. 30
[8] Vgl. ebenda, S. 152 ff.
[9] Vgl. Hon.Prof. Dr. Herfried Bauer in „Verwaltung Innovativ“, Beilage zur „Wiener Zeitung“ vom 16.3.2010
[10] Vgl. Hohn, Stefanie : Public Marketing, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2008, S. 51 ff
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783863415211
- ISBN (Paperback)
- 9783863410216
- Dateigröße
- 383 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FH Campus Wien
- Erscheinungsdatum
- 2011 (August)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Kundenorientierung New Public Management Public Governance Public Value Kundensegmentierung Finanzverwaltung