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Onboarding neuer Führungskräfte: Möglichkeiten und Nutzen gezielter Personalintegration

©2009 Diplomarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Neu eingestellte Führungskräfte haben ein hohes Risiko zu scheitern: Amerikanischen Studien zufolge verlassen ein Drittel bis die Hälfte von ihnen das Unternehmen innerhalb der ersten 18 Monate wieder. Angesichts der damit verbundenen hohen Kosten rückt die Frage in den Vordergrund, wie die Eingliederung neuer Manager professionell aufgesetzt werden kann.
Systematische Personalintegration von Führungskräften, oftmals auch als "Onboarding" bezeichnet, wird in der betrieblichen Praxis bisher kaum betrieben.
Das vorliegende Buch liefert im ersten Teil eine kurze Zusammenschau wesentlicher sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse dazu, wie der Einzelne sich in die Strukturen eines für ihn neuen Unternehmens einfügt. Dazu liefern sowohl die betriebliche Sozialisationsforschung als auch die Leader-Member-Exchange-Theorie der Führung interessante Einblicke.
Im zweiten Teil werden dann konkrete Einzelmaßnahmen zur Gestaltung des Onboardings vorgestellt. Dabei wird unterschieden zwischen Maßnahmen der formellen und der informellen Personalintegration. Das formelle Onboarding umfasst alle Aktivitäten, durch die der neue Manager zum einen inhaltlich schnellstmöglich ist auf dem Laufenden ist und zum anderen zügig seine Führungsverantwortung voll übernehmen kann. Entsprechend reicht hier das Maßnahmenspektrum von fachlichen Briefing Sessions zum Einsatz einer Führungs-Balanced-Scorecard. Die informelle Personalintegration dient dazu, die neue Führungskraft zügig mit den kulturellen Besonderheiten des Unternehmens vertraut zu machen und sie in bestehende soziale Netzwerke einzubinden. Die hier betrachteten Maßnahmen umfassen unter anderem Coaching-Ansätze und Mentoring-Programme.
In der Praxis häufig anzutreffen ist das Phänomen, dass sich weder das HR-Management noch der Unternehmensbereich, für den der oder die Neue arbeiten wird, sich für den Onboarding-Prozess zuständig sehen. Der dritte Teil des vorliegenden Buches beschäftigt sich daher mit der Frage einer sinnvollen Rollenaufteilung zwischen HR und dem nächsthöheren Vorgesetzten des neuen Managers.
Die Quintessenz der vorliegenden Analyse ist klar: Es gibt kein Patentrezept für das Onboarding von Führungskräften. Im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten gilt es vielmehr, bei jeder Manager-Neueinstellung ein entsprechendes Programm zurechtzuschneiden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Zu den Integrationsmaßnahmen zählen zum einen Organisatorisches und
Formalia, etwa die Bereitstellung der benötigten Arbeitsmittel wie Telefon und PC,
die Zusammenstellung von Informationen über Betriebsstruktur, Ansprechpartner,
generelle Abläufe sowie die Information der Kollegen und weiterer Kontaktperso-
nen über Eintrittstermin und Aufgabengebiet des neu eingestellten Mitarbeiters. Zu
diesen Aspekten finden sich in der Literatur eine Fülle von Checklisten (etwa in
Maier, 2008) und Broschüren (etwa Brenner, Brenner, 2001), die dem Unterneh-
menspraktiker die Organisation dieser Aktivitäten erleichtern sollen.
Weiterhin können zur Personalintegration auch Maßnahmen der Einarbei-
tung im engeren Sinne gezählt werden (vgl. etwa Bardens, 1992, S. 6). Hier geht es
darum, innerhalb eines klar definierten Zeitraumes den neuen Beschäftigten inhalt-
lich in sein neues Tätigkeitsfeld einzuführen. Dies kann durch Schulungsmaßnah-
men direkt am Arbeitsplatz, durch Seminarveranstaltungen und bzw. oder externe
Schulungsangebote vollzogen werden. Häufig werden die genannten Trainingsar-
ten kombiniert und in einen Einführungsplan systematisch eingebettet (vgl. Maier,
2008, S. 56). Umfassendere Einführungsprogramme beinhalten zudem Personal-
entwicklungsmaßnahmen wie den Aufbau eines Mentorenprogramms für neue
Mitarbeiter (vgl. Schanz, 2000, S. 404), das Engagement eines externen Coaches
oder auch die Einbindung des ,,Neuen" in unternehmensnahe soziale Aktivitäten
wie Betriebssportgemeinschaften (vgl. Mess, 2008).
Das dargestellte Portfolio an Integrationsmaßnahmen macht die Vielfalt
der Gestaltungsmöglichkeiten eines Personalintegrationsprogramms deutlich. E-
benso unterschiedlich kann die zeitliche Ausgestaltung der Einführungsphase ge-
handhabt werden. Sie kann von einer kurzen Einweisung bei Arbeitsaufnahme, wie
bei gering qualifizierten Tätigkeiten etwa im Dienstleistungsbereich allgemein
üblich, bis hin zu mehrmonatigen Einstiegsprogrammen reichen (etwa das ,,100-
Tage-Programm" von American Express, vgl. Petersen, 2007). Einige verhaltens-
wissenschaftlich orientierte Autoren weisen dabei darauf hin, dass der Personalin-
tegrationsprozess schon vor dem ersten Arbeitstag beginnt. Porter, Lawler und
Hackman (1975, S. 163f.) bezeichnen diese Phase als ,,prearrival", andere Autoren
sprechen von der ,,antizipatorischen Sozialisation" (u.a. Kieser, Nagel, Krüger,
Hippler, 1990, S. 6ff.). Grundgedanke ist hier, dass der neue Mitarbeiter bei Stel-
lenantritt bereits bestimmte Einstellungen und Erwartungen mitbringt. Auf diese
Kognitionen kann das Unternehmen schon im Personalakquisitionsprozess Einfluss
nehmen im Sinne der Vorbereitung einer möglicherweise nachfolgenden Personal-
integration (vgl. genauer Lawler 1973, S. 98ff.).

Die Personalintegration kann über weite Strecken auch ungesteuert vollzo-
gen werden, indem der Einstieg den Selbstorganisationsfähigkeiten des ,,Neuen"
überlassen wird. Dies bedeutet für die neu eingestellte Führungskraft, dass sie in
den ersten Wochen ihrer Tätigkeit einen substanziellen Zeitanteil mit der Beschaf-
fung von Informationen und Arbeitsressourcen verbringt. Darüber hinaus müssen
auch die Kollegen und Vorgesetzten ihre zeitlichen Ressourcen einbringen: Um
Fragen des neuen Managers zu beantworten und mit Informationen auszuhelfen,
müssen sie ihre eigenen Arbeitsabläufe unterbrechen (vgl. Bardens, 1992, S. 8).
Wie der Titel der vorliegenden Arbeit bereits zeigt, fokussieren sich die
nachfolgenden Ausführungen auf die Integration einer bestimmten Mitarbeiter-
gruppe, nämlich der Führungskräfte. Unter einer Führungskraft soll im Folgenden
ein Mitarbeiter mit Personalverantwortung verstanden werden (vgl. ähnlich Ulrich,
Fluri, 1988, S. 37). Besonders bedeutsam ist die Gruppe der Führungskräfte inner-
halb der Personalintegrationsthematik aufgrund der Tatsache, dass eine fehlge-
schlagene Integration einer Führungskraft das Unternehmen teuer zu stehen
kommt: Neben den hohen Kosten der Personalakquisition kommen die hohen di-
rekten Personalkosten zum Tragen, für die eine frustrierte und innerlich gekündigte
Führungskraft keinen Gegenwert im Sinne von Arbeitsergebnissen bieten wird.
Weiterhin spielt eine Rolle, dass die Führungskraft aufgrund der ihr übertragenen
Personalführung die ihr unterstellten Mitarbeiter negativ beeinflussen kann. Im
schlimmsten Fall könnte ein arbeitsunzufriedener Manager wichtige Mitarbeiter
davon überzeugen, mit ihm zusammen zu einem neuen Arbeitgeber zu wechseln
(vgl. etwa das Beispiel des ehemaligen Finanzvorstands der Bank of America, Al
de Molina, der nach nur kurzer Zeit gleichzeitig mit acht seiner Mitarbeiter zum
Finanzinvestor GMAC wechselte; vgl. de Zube in EFinancialCarreers, 11.6.2009).
Die neu eingestellte Führungskraft besetzt im Zuge des Integrationsprozes-
ses damit zwei Rollen: Zum einen ist sie Integrationsobjekt in dem Sinne, dass die
Integrationsbemühungen des Unternehmens darauf gerichtet sind, ihr bei der Ein-
gliederung in den Arbeitskontext zu helfen. In diese Bemühungen ist der diszipli-
narische Vorgesetzte der neuen Führungskraft in aller Regel eingebunden (vgl.
Brenner, Brenner, 2001, S. 33). Zum anderen ist sie Integrationssubjekt in dem
Sinne, dass sie bei der nächsten Stellenbesetzung in ihrem Personalverantwor-
tungsbereich die Rolle des ,,betreuenden" Vorgesetzten selbst einnimmt. Für die
Führungskraft ergibt sich daraus ein besonderes Interesse, möglichst schnell und
effizient die Integrationsphase zu durchlaufen.

3 Theoretische Sichtweisen auf das Phänomen der Personalintegration
Wie die vorangegangenen Ausführungen haben anklingen lassen, liegt der
Schwerpunkt der Literatur zur Personalintegrationsthematik auf Praxisratgebern.
Diese praxeologische Herangehensweise ist weder falsch noch überflüssig, liefert
sie den mit der Personalintegration Betrauten in den Unternehmen doch hilfreiche
Hinweise zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Allerdings enthält ein sol-
cher Ansatz keine Erklärungsmodelle etwa zu der Frage, warum sich die am Perso-
nalintegrationsprozess Beteiligten in bestimmter Weise verhalten, um daraus abzu-
leiten, mittels welcher Maßnahmen dieses Verhalten in die dem Unternehmens-
zweck dienliche Richtung gelenkt werden kann.
Solche Erklärungsmodelle hält der verhaltenswissenschaftliche Ansatz be-
reit. Ein wesentliches Merkmal des verhaltenstheoretischen Programms ist, dass es
betriebswirtschaftliche Fragestellungen als ,,vom Menschen herkommend"
(Schanz, 1977, S.4) betrachtet. Erklärungsmodelle dieses Ansatzes sind folglich
um das Individuum zentriert. Die theoretische Basis für diese Modelle lassen sich
den Wirtschaftswissenschaften ebenso wie den Sozialwissenschaften entlehnen.
Die Abgrenzung zwischen diesen Wissenschaftsdiziplinen ist dabei von nachrangi-
ger Bedeutung, ja kann sogar als historisches Zufallsprodukt betrachtet werden, da
sich in letzter Konsequenz beide genannten Wissenschaftsdisziplinen mit sozialem
Verhalten beschäftigen (Albert, 1967, S. 59). Im Vordergrund der Betrachtung
steht im verhaltenstheoretischen Ansatz das individuelle Verhalten von Personen in
Organisationen. Dabei wird der soziale Kontext als Bündel von Rahmenbedingun-
gen mit (potenziell) kausalem Einfluss auf das Verhalten verstanden (Schanz,
1990, S. 46).
Nachfolgend sollen zwei Forschungsansätze vorgestellt und hinsichtlich ih-
res Aussagegehaltes für die Thematik der Personalintegration untersucht werden.
Die soziologische Sozialisationsforschung kann auf eine längere Geschichte zu-
rückblicken und hat entsprechend bereits vielfältige Forschungsergebnisse hervor-
gebracht. Ihr ist das erste Unterkapitel gewidmet. Im Kontext der soziologischen
Sozialisationstheorie finden sich jedoch keine Arbeiten, die spezifisch auf die Be-
lange von Führungskräften als zu integrierenden Mitarbeitern Bezug nehmen. Da-
her soll ergänzend im zweiten Unterkapitel mit der Leader-Membership-Exchange-
Theorie der Führung (LMX-Theorie) ein weiterer theoretischer Ansatz vorgestellt
werden, der Aussagen zum Führungskräfte-Kontext liefert. Diese Forschungsrich-
tung ist im Vergleich zur soziologischen Sozialisationsforschung relativ jung und
hat insofern noch keine so große Bandbreite an Studien hervorgebracht. Wie

Weibler (2001, S. 181) jedoch anmerkt, ist mit der LMX-Theorie der Führung auf-
grund ihrer konzeptionellen Qualitäten auch in Zukunft weiter zu rechnen.
3.1 Personalintegration als betrieblicher Sozialisationsprozess
Sozialisation kann als ,,Prozess der Entstehung und Entwicklung der
menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzung mit
den sozialen und den dinglich-materiellen Lebensbedingungen" (Hurrelmann,
1998, S. 14) verstanden werden. Eine besondere Kombination sozialer und ding-
lich-materieller Bedingungen bietet ein Unternehmen, in das eine Person als Mitar-
beiter oder Führungskraft eintritt. In der Soziologie werden Organisationen ­ er-
werbswirtschaftliche Unternehmen wie nicht-erwerbswirtschaftliche Institutionen ­
als formalisierte kollektive Handlungszusammenhänge mit dem Zweck der Errei-
chung spezifischer Ziele betrachtet (Endruweit, 2004, S. 12). Indem ein Indivi-
duum zum Mitarbeiter in einem Unternehmen wird, werden seine Handlungen
auch von den Erwartungen und Anforderungen dieses Sozialsystems beeinflusst
(vgl. grundlegend Luhmann, 1964). Im Zuge der betrieblichen Sozialisation passen
sich neue Mitarbeiter an die Arbeitssituation an, indem sie ein Verständnis von den
Kernzielen und ­abläufen der Organisation entwickeln und sich einem Platz in
diesem Gefüge suchen (vgl. Klatetzki, 2008, S. 353). Es wird davon ausgegangen,
dass die Phase der Personalintegration für ein Individuum eine besonders intensive
Sozialisationserfahrung darstellt, da hierzu organisationale Grenzen überschritten
werden müssen (vgl. van Maanen, Schein, 1979, S. 210).
Das Phänomen der betrieblichen Sozialisation ist innerhalb der Soziologie
aus verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet worden. Bezug nehmend auf die
zeitliche Perspektive sind verschiedene Stufenmodelle entwickelt worden, die den
charakteristischen Phasenverlauf einer Sozialisation als linearen Prozess zu be-
schreiben suchen. Basierend auf den frühen Stufenmodellen von Buchanan (1974),
Porter, Lawler und Hackman (1975) und anderen entwickelten Wanous, Reichers
und Malik (1984) ein integratives Stufenmodell. Es umfasst die in Tabelle 1 ge-
nannten vier Phasen (Darstellung in Anlehnung an Klatetzki, 2008, S. 356):

Stufe 1: Konfrontation mit der organisatorischen Realität
x
Bestätigung/Enttäuschung von Erwartungen
x
Konflikte zwischen persönlichen Arbeitspräferenzen und dem Or
ganisationsklima
x
Entdeckung, welche Aspekte des eigenen Handelns belohnt, be
straft und ignoriert werden
Stufe 2: Rollenklärung
x
Befassung mit neuen Arbeitsaufgaben
x
Definition der sozialen Beziehungen in vertikaler und horizontaler
Hinsicht
x
Erlernen des Umgangs mit Resistenzen gegen Veränderung
x
Herstellung der Kongruenz von eigener und organisationaler Leis
tungsbewertung
x
Erlernen des Umgangs mit Vorgaben und Ambiguität
Stufe 3: Verortung in der Organisation
x
Erlernen, welche Verhaltensweisen den Erwartungen der Organisa
tion
entsprechen
x
Lösung von Konflikten am Arbeitsplatz sowie der Differenzen
zwischen externen und organisationsinternen Interessen
x
Bindung an die Organisation und Arbeit
x
Etablierung eines veränderten Selbstbildes, Übernahme neuer Wer
te
Stufe 4: Feststellung erfolgreicher Sozialisation
x
Erlangen von Sicherheit und Stabilität
x
Zeichen und Gefühle wechselseitiger Akzeptanz
x
hoher Grad an Befriedigung
x
intrinsische Arbeitsmotivation
Tabelle 1: Integriertes Stufenmodell der betrieblichen Sozialisation nach Wanous,
Reichers, Malik (1984)
Ein grundsätzliches Problem des oben dargestellten und vieler weiterer
Stufenmodelle ist die unklare zeitliche Erstreckung des Sozialisationsprozesses
insgesamt sowie seiner einzelnen Phasen. Darüber hinaus ist fraglich, wie valide
die Stufeneinteilung hinsichtlich ihrer inhaltlichen Zuordnung und ihrer Abfolge
ist. Empirische Studien unterstützen diese Theoriekonzeptionen nur teilweise (vgl.
etwa Katz 1978).
Eine weitere Perspektive der Sozialisationsforschung ist die Beschreibung
der Taktiken, die Unternehmen zur Integration der neuen Mitarbeiter anwenden.
Basierend auf den Vorarbeiten von van Maanen und Schein (1979, S. 209ff.) be-
schreibt Jones (1986, S. 262ff.) zwei Cluster von Sozialisationstaktiken, vgl. Tabel-
le 2 (in Anlehnung an Klatetzki, 2008, S. 357f.):

Cluster institutionelle
Sozialisationstaktiken
individualisierte
Sozialisationstaktiken
enthaltene
Taktiken
x kollektiv: Mitarbeiter wird in
der Gruppe sozialisiert
x formal: offizielles Sozialisati-
onsprogramm
x sequenziell: gesteuerter Pro-
zessverlauf
x fixiert: Bausteine des Soziali-
sationsprogramms sind zeitlich
fixiert
x seriell: Mitarbeiter wird in ihm
vertraute Tätigkeit einsoziali-
siert
x identitätsstützend: Selbstbild
des neuen Mitarbeiters wird
vom Unternehmen anerkannt
und unterstützt
x individuell: Sozialisation als Einzel-
ner
x informal: auf Basis inoffizieller
Einzel-Interaktionen
x zufällig: ungesteuerter Prozessverlauf
x variabel: Bausteine des Sozialisati-
onsprogramms sind zeitlich variabel
x disjunktiv: Mitarbeiter wird in ihm
nicht vertraute Tätigkeit einsoziali-
siert
x identitätsdestabilisierend: Unterneh-
men strebt an, Selbstbild des neuen
Mitarbeiters zu verändern
Wirkung
auf den
Mitarbeiter
kustodiale Rollenorientierung
innovative Rollenorientierung
Tabelle 2: Institutionelle versus individualisierte Sozialisationstaktiken nach Jones
(1986)
Die in Tabelle 2 dargestellte Beschreibung der Sozialisationstaktiken
macht deutlich, dass das Cluster der institutionellen Sozialisation dem Typus eines
umfassenden Sozialisationsprogramms entspricht, welches ­ systematisch aufge-
baut ­ alle neuen Mitarbeitern bei der Eingewöhnung in eine für sie nahe liegende
Tätigkeit unterstützt (vgl. hier und im Folgenden Jones, 1986, S. 262ff.). Das
Cluster der individualisierten Sozialisation beschreibt die entsprechend gegenteili-
ge Strategie, nämlich eine nicht gesteuerte Sozialisation, bei der der neue Mitarbei-
ter gefordert ist, sich in unbekannte Tätigkeitsgebiete eigenständig einzuarbeiten
und Unterstützung eigeninitiativ einzufordern.
Damit wird deutlich, dass die Cluster eine konträre Wirkung auf den neuen
Mitarbeiter haben. Wendet ein Unternehmen primär institutionelle Sozialisations-
taktiken an, so reduziert dies die Unsicherheit des neuen Mitarbeiters in der Integ-
rationsphase. In der Folge akzeptiert der ,,Neue" die ihm vorgegebene Rolle, es
kommt damit zu einer ,,Reproduktion des organisatorischen Status quo" (Klatetzki,
2008, S. 358). Dies entspricht einer kustodialen Rollenorientierung. Tritt der neue
Arbeitgeber im Sozialisationsprozess als ,,Kustos"/"Kümmerer" auf, so hat dies
Jones (1986, S. 267) zufolge den Effekt, die Bindung an das Unternehmen zu för-
dern, aber die Selbstwirksamkeitserwartung des neuen Mitarbeiters zu verringern.
Verfolgt ein Unternehmen hingegen individualisierte Sozialisationstaktiken, so

lässt sie dem neuen Mitarbeiter den Freiraum, seine Arbeitsrolle selbst zu definie-
ren. Definiert der ,,Neue" seine Rolle deutlich anders als sein Amtsvorgänger, for-
dert er somit Veränderungen auf organisationaler Seite heraus. Es kommt somit zu
einer innovativen Rollenorientierung. Der neue Mitarbeiter erlebt sich in dieser
Konstellation als selbstwirksam, allerdings führt diese individualisierte Sozialisati-
onsstrategie nicht zu einem hohen Commitment, so die Annahme des Autors (Jo-
nes, 1986, S. 268). Empirische Studien zu diesen Hypothesen konnten bislang je-
doch nur relativ schwache Effekte nachweisen (vgl. u.a. Allen, Meyer, 1990; Ro-
binson, Rousseau, 1994).
Eine dritte Forschungsperspektive auf die betriebliche Sozialisation ist eher
psychologischer Natur: Eine ganze Reihe an Studien befasst sich mit den Einstel-
lungen und Verhaltensweisen der neuen Unternehmensmitglieder. Als ein wesent-
licher Faktor hat sich in diesem Kontext das proaktive Handeln der neuen Mitarbei-
ter gezeigt. Morrison (1993, S. 577ff.) fand eine positive, signifikante Korrelation
zwischen proaktiver Informationssuche und Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleis-
tung. Ashford und Black (1996) legen ein erweitertes Verständnis von Proaktivität
zugrunde, das sich neben der Informationssuche u.a. auch im Aufbau von positiven
sozialen Beziehungen und Netzwerken innerhalb des Unternehmens sowie Einbin-
dung in betriebsinterne Veranstaltungen manifestiert. Sie konnten zeigen, dass
proaktive neue Mitarbeiter Unsicherheit schneller reduzieren und eine höhere Ar-
beitszufriedenheit zeigen als nicht-proaktive Neueinsteiger. Ähnliche Befunde
berichten auch Saks und Ashforth (1996). Sie untersuchten die Selbstregulationsfä-
higkeiten neuer Mitarbeiter, etwa das eigenständige Setzen von Zielen, Introspekti-
onsfähigkeiten in Bezug auf das eigene Verhalten und die Fähigkeit zur Selbstbe-
lohnung. Mitarbeiter, die über diese Fähigkeiten verfügten, zeigten einen deutlich
souveräneren Umgang mit Ängsten und Unsicherheit.
3.2. Integration von Mitarbeitern als Prozess des Aufbaus einer Führungsbe-
ziehung
Tritt eine Führungskraft neu in ein Unternehmen ein (oder wechselt sie
auch nur die Position innerhalb des Unternehmens), so steht sie vor der Aufgabe,
Führungsbeziehungen neu aufzubauen, und zwar in zwei Richtungen: Zum einen
zu den unterstellten Mitarbeitern, zum anderen (sofern die Führungskraft nicht den
Geschäftsführungsvorsitz innehat) zu ihrem eigenen Vorgesetzten. Innerhalb der
Führungsforschung (für einen Überblick siehe Weibler, 2001, S. 135ff) hat sich
unter anderem die sog. Leader-Membership-Exchange-Theorie der Führung
(LMX-Theorie) mit dem Phänomen des Aufbaus einer Führungsbeziehung befasst

(vgl. Liden, Sparrowe, Wayne, 1997, Graen, Uhl-Bien, 1995 für einen Überblick).
Die LMX-Theorie betrachtet Führung aus einer Beziehungsperspektive: Effektive
Führung findet statt, wenn Vorgesetzter und Mitarbeiter eine Führungs-
Partnerschaft entwickeln und von den Vorteilen einer solchen Partnerschaft profi-
tieren (vgl. Graen, Uhl-Bien, 1995, S. 225). Ausgangspunkt der LMX-Forschung
waren Untersuchungen zur Sozialisation am Arbeitsplatz. Diese frühen Studien
zeigten, dass viele Führungsprozesse in einem dyadischen Kontext stattfinden:
Führungsverhalten und dessen Wirksamkeit variiert in Abhängigkeit von den betei-
ligten Personen (vgl. etwa Graen, Cashman, 1975). Der Ansatz der LMX-Theorie
ist hierbei präskriptiv und nicht rein deskriptiv: Führung wird nicht als qua Diszip-
linarmacht legitimierte Weitergabe von Weisungen des Vorgesetzten an die ihm
unterstellten Mitarbeiter verstanden, sondern als Angebot zu einer vertrauensvollen
Zusammenarbeit; letzteres wird als Modell des ,,Leadership Making" bezeichnet
(vgl. hier und im Folgenden Graen, Uhl-Bien, 1995, S. 229f.).
Das Modell des ,,Leadership Making" beschreibt drei Stadien der Enste-
hung einer Führungsbeziehung, wobei nicht alle Führungsbeziehungen diesen Zyk-
lus komplett durchlaufen. Das erste Stadium ist gekennzeichnet durch limitierte
Interaktionen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter, so dass sich die Interakti-
onspartner wie Fremde begegnen. Der Austausch hält sich in den vertraglich ver-
einbarten Schranken und ist durch eine Mentalität des ,,Cash und Carry" gekenn-
zeichnet. Diese Art der Beziehung steht in Analogie zu dem von Bass (1985) aus-
gearbeiteten Modell der transaktionalen Führerschaft in dem Sinne, dass der Aus-
tausch auf der Weisungsbefugnis des Vorgesetzten besteht. Entsprechend ist die
Motivation des unterstellten Mitarbeiters durch Eigeninteresse gekennzeichnet.
Graen und Uhl-Bien (1995, S. 230) gehen davon aus, dass in der ersten
Phase der Entstehung einer Führungsbeziehung einer der Partner ein ,,Angebot" zur
Vertiefung der Arbeitsbeziehung durch karriereorientierten sozialen Austausch
gemacht und dieses Angebot im zweiten Schritt auch angenommen werden muss.
Wird dieser Schritt vollzogen, erreicht die Führungsbeziehung das zweite Reifesta-
dium. Dieses Stadium ist gekennzeichnet durch einen vermehrten Austausch von
Ressourcen und Informationen, der dann nicht mehr allein arbeitsbezogen, sondern
auch persönlicher Natur ist. Allerdings ist diese Phase als Testphase zu betrachten,
in deren Rahmen die Beteiligten die direkte Reziprozität von gewährten Vorteilen
wichtig ist.
Der Übergang zur dritten Phase ist dann ein fließender: Wenn der Aus-
tausch zwischen den Beteiligten einer Führungsbeziehung durch gegenseitige Loy-

alität und Unterstützung geprägt ist und gewährte Vorteile nicht unmittelbar durch
Rück-Gewährung von Vorteilen abgegolten werden müssen, spricht man von einer
,,reifen" Partnerschaft.
Die empirische Befundlage zu den beschriebenen Zusammenhängen der
LMX-Theorie ist gemischt (vgl. u.a. Burns, Otte, 1999). Kritisch gesehen wird
unter anderem, dass die LMX-Theorie von einer hohen Anzahl an Vorbedingungen
abhängig ist und eine Vielzahl von individuellen und organisationalen Ergebnisfak-
toren beeinflusst (vgl. Liden, Sparrowe, Wayne, 1997). Weibler (2001, S. 181)
attestiert der LMX-Theorie allerdings eine ,,plausible und anregende Grundidee",
weshalb sie trotz gewisser Unzulänglichkeiten im Kontext der vorliegenden Arbeit
als theoretische Grundlage herangezogen werden soll.
3.3. Kritische Würdigung des theoretischen Fundaments
Die vorangehend dargestellten theoretischen Grundlagen haben deutlich
gemacht, dass zur Erklärung der Führungskräfte-Integration keine einheitliche
Theorie herangezogen werden kann, sondern Anleihen bei verschiedenen Theorien
und Modellen gemacht werden müssen: So finden sich innerhalb der Soziologie,
die gut gesicherte Aussagen zur Sozialisation von neuen Mitarbeitern machen kann
(vgl. auch die Einschätzung von Klateztki, 2008, S. 351), keine soziologischen
Arbeiten, die sich mit den Spezifika der Eingliederung von Führungskräften ausei-
nandersetzen. Entsprechend sind die hierzu vorliegenden Arbeiten noch nicht zahl-
reich. Die Distanztheorie der Führung liefert zu diesem Teilaspekt der behandelten
Thematik interessante Einsichten. Allerdings ist dieses Paradigma vergleichsweise
jung und hat erst eine begrenzte Anzahl an Forschungsarbeiten hervorgebracht (für
einen Überblick vgl. Graen, Uhl-Bien, 1995). Im Sinne des kritischen Rationalis-
mus als der der Verhaltenstheorie grundlegende Wissenschaftsauffassung ist ein
solches Nebeneinander an Erklärungsansätzen durchaus gewünscht und nicht als
irreführend abzulehnen (vgl. grundlegend Feyerabend 1976 sowie Schanz, 1988, S.
16ff.). Ein solcher Ideenpluralismus bildet erst die Basis für Erkenntnisfortschritt,
indem wissenschaftlich etablierte Denkansätze anhand neuer theoretischer Perspek-
tiven in Frage gestellt werden können (vgl. die ,,Spielregeln der Wissenschaft" von
Spinner, 1971, S. 32f.).
Wesentlich ist in diesem Kontext, dass mit den beiden vorgestellten Theo-
rien das Portfolio anwendbarer Erklärungsansätze keineswegs erschöpft ist. Exem-
plarisch sei in diesem Kontext auf die Theorie der sozialen Identität verwiesen:
Eine substanzielle Anzahl von Forschungsarbeiten aus dieser theoretischen Schule

weist darauf hin, dass die soziale Identifikation ein wichtiger Aspekt von effektiver
Führung ist (Lord, Brown, 2004; Reicher, Hopkins, 2001). Sieht sich das Indivi-
duum in erster Linie als Mitglied einer Gruppe, so wird es die Gruppen-Interessen
als Eigeninteressen wahrnehmen und intrinsisch motiviert sein, seine Fähigkeiten
in den Dienst der Gruppe zu stellen (vgl. z.B. van Knippenberg, 2000). Darüber
hinausgehend führt die soziale Identifikation dazu, dass kollektivistische Werte für
den Betreffenden bedeutsam werden, was seine Unterstützung für das ,,gemeinsa-
me Ziel" verstärkt. Eine Forschergruppe um Shamir untersuchte diese Zusammen-
hänge in Feldstudien, nämlich in der israelischen Armee. Sharmir, Zakay, Beinin
und Popper (1998) konnten zeigen, dass Untergebene, deren Vorgesetzte sich un-
terstützend verhielten und die kollektive Identität als Armeeangehörige unterstri-
chen, eine höhere Identifikation mit ihrer Einheit zeigten als Soldaten, deren Vor-
gesetzte sich nicht auf die kollektive Identität bezogen. In einer nachfolgenden
Studie konnten die Autoren zeigen, dass die Identifikation der Soldaten mit ihrer
Einheit mit den folgenden drei Variablen positiv korrelierte: die Betonung der kol-
lektiven Identität durch den Vorgesetzten, wahrgenommene geteilte Werte zwi-
schen Führungskraft und Untergebenen, und unterstützendes Verhalten des Vorge-
setzten (vgl. Sharmier, Zakay, Beinin, Popper, 2000).
Dieser kurze Exkurs in die Theorie der sozialen Identität lässt erahnen,
dass ein Zusammenführen und Gegeneinander-Abwägen der verschiedensten theo-
retischen Sichtweisen auf die Führungskräfteintegration wesentliche Erkenntnis-
fortschritte bringen kann. Hierzu kann die vorliegende Arbeit nicht mehr als einen
ersten Ansatzpunkt liefern.
4. Instrumente der Personalintegration auf Führungsebene
4.1. Zielgruppenspezifische Bedarfsunterschiede zwischen Mitarbeiterintegra-
tion und Führungskräfteintegration
Wie in der Einleitung zu dieser Arbeit dargestellt, gehen einige Autoren
davon aus, dass Führungskräfte andere Bedürfnisse hinsichtlich der Gestaltung
ihrer betrieblichen Eingliederung haben als Mitarbeiter ohne Führungsverantwor-
tung ­ nämlich faktisch keiner gezielten Eingliederungsbemühungen seitens des
Unternehmens bedürfen (siehe Einleitung). Im Folgenden ist zu prüfen, ob es ab-
seits dieser ungesicherten Behauptungen faktische Grundlagen dafür gibt, einen
Unterschied zwischen der Integration von Mitarbeitern und Führungskräften zu
machen. Solche Gründe könnten rechtlicher oder ökonomischer Natur sein.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2009
ISBN (PDF)
9783863415600
ISBN (Paperback)
9783863410605
Dateigröße
613 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2011 (August)
Note
1,3
Schlagworte
Onboarding Personalintegration Führungskräfte Organisationseintritt Unternehmenssozialisation

Autor

Dr. Anne-Katrin Haubold, Jahrgang 1975, ist als Topic Manager Organisation bei einer großen strategischen Unternehmensberatung tätig. Als Diplom-Psychologin und Diplom-Kauffrau beschäftigt sie sich seit zehn Jahren mit Fragen der strategischen Ausrichtung der HR-Arbeit und der Optimierung von Organisationsstrukturen. Ihr Interesse gilt der Analyse betriebswirtschaftlicher Probleme aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive: Erkenntnisse aus der Sozialisations- und Gruppenforschung liefern die Grundlage, um eine Reihe ökonomische Fehlschläge zu erklären. So entstand 2005 eine Arbeit zur "Integration von Akquisitionen – eine mitarbeiterorientierte Analyse", bei der es um Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren von Unternehmensakquisitionen ging. Im vorliegenden Buch werden aktuelle sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zur Erläuterung eines anderen ökonomischen Missstandes herangezogen: Nämlich der hohen Eigenkündigungsrate neu eingestellter Führungskräfte.
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Titel: Onboarding neuer Führungskräfte: Möglichkeiten und Nutzen gezielter Personalintegration
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