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Franchisesysteme im Multipunktwettbewerb: Eine wettbewerbsdynamische Analyse der Bedeutung von Mutual Forbearance am Beispiel von Pizzalieferanten

©2010 Bachelorarbeit 51 Seiten

Zusammenfassung

Innerhalb der Wettbewerbsdynamik stellt die Analyse von Multipunktwettbewerbssituationen einen bedeutenden Forschungsbereich dar. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Mutual-Forbearance-Theorie, die besagt, dass eine größere Zahl an von Konkurrenten geteilten Märkten zu einer geringeren Wettbewerbsintensität zwischen den beteiligten Unternehmen führt. Es besteht jedoch Unsicherheit darüber, ob dieser Zusammenhang für alle Branchen und Arten von Unternehmen gelten kann.
Dieses Buch setzt sich mit der Frage auseinander, ob Mutual Forbearance auch bei Franchisesystemen auftritt. Franchisesysteme bieten dabei für die Mutual-Forbearance-Theorie eine besondere Herausforderung, da hier die Franchisenehmer jeweils selbst Eigentümer ihrer Filialen sind, es sich also um Unternehmensverbunde handelt. Eine Koordination der Gesamtsystemaktivitäten ist somit nicht automatisch gegeben und muss zur Durchführung filialübergreifender Maßnahmen erst erzeugt werden. Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden zunächst im Rahmen einer Sichtung der vorhandenen Literatur die relevanten Aussagen der Wissenschaft zum Thema Multipunktwettbewerb zusammengefasst sowie 13 Indikatoren beschrieben, mithilfe derer die Existenz oder Nichtexistenz von Mutual Forbearance in einer Wettbewerbsbeziehung festgestellt werden kann. Darüber hinaus werden acht Faktoren ermittelt, die das Auftreten von Mutual Forbearance fördern. Nach dieser theoretischen Betrachtung folgt eine praktische Untersuchung der nach Umsatz sechs größten deutschen Franchise-Pizzalieferanten, die repräsentative Vertreter für Franchisesysteme darstellen. Zunächst werden die Multipunktverflechtungen der sechs Systeme dargestellt. Anschließend wird eine konkrete Prüfung auf die Existenz von Mutual Forbearance in der Pizzabranche mithilfe der ermittelten Indikatoren durchgeführt. Das Resultat wird dann mithilfe der Faktoren für die Erreichung von Mutual Forbearance analysiert und erläutert.
Die sich durch die Analyse ergebenden Ergebnisse bieten eine sinnvolle Anreicherung der Forschung zum Multipunktwettbewerb, indem sie einen möglichen Anwendungsbereich der Mutual-Forbearance-Theorie überprüfen. Doch auch der Praxis liefert dieses Buch durch die Darstellung realer Strukturen des Wettbewerbs zwischen beispielhaften Franchisesystemen interessante Einblicke.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


-VIII-
Abkürzungsverzeichnis
BB ... Brandenburg
BE ... Berlin
BW ... Baden-Württemberg
BY ... Bayern
CP ... Call a Pizza
FP ... Flying Pizza
HB ... Hansestadt Bremen
HE ... Hessen
HH ... Hansestadt Hamburg
HP ... Hallo Pizza
JO ... Joey's
MV ... Mecklenburg-Vorpommern
NI ... Niedersachsen
NW ... Nordrhein-Westfalen
PM ... Pizza Max
RP ... Rheinland-Pfalz
S. ... Seite
SH ... Schleswig-Holstein
SL ... Saarland
SM ... Smiley's
SN ... Sachsen
ST ... Sachsen-Anhalt
TH ... Thüringen

-IX-
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 ... Indikatoren für Mutual Forbearance ........................................................... 9
Tabelle 2 ... Faktoren für die Erreichung von Mutual Forbearance .............................. 15
Tabelle 3 ... Präsenz der Franchisesysteme in den Bundesländern ............................... 17
Tabelle 4 ... Filialen der Franchisesysteme in den Bundesländern ............................... 17
Tabelle 5 ... Anzahl der gemeinsamen Märkte, absolut ................................................ 18
Tabelle 6 ... Anzahl der gemeinsamen Märkte, relativ ................................................. 18
Tabelle 7 ... Dichte der Multipunktwettbewerber, absolut ........................................... 19
Tabelle 8 ... Dichte der Multipunktwettbewerber, relativ ............................................. 19
Tabelle 9 ... Durchschnittliche Systemverflechtung nach Märkten, absolut ................ 20
Tabelle 10 ... Durchschnittliche Systemverflechtung nach Märkten, relativ ... 21
Tabelle 11 ... Präsenzmaß der Multipunktverflechtungen ... 22
Tabelle 12 ... Entwicklung der bundesweiten Filialzahlen zwischen 2005 und 2009 ... 23
Tabelle 13 ... (Nicht-)Erfüllung der Faktoren für die Erreichung von Mutual
Forbearance durch Franchise-Pizzalieferanten ... 31

-X-
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 ... Negative Beziehung zwischen Multipunktkontakt und
Wettbewerbsintensität
...
3
Abbildung 2 ... Erklärungsansätze für Mutual Forbearance ......................................... 4
Abbildung 3 ... Umgekehrt U-förmige Beziehung zwischen Multipunktkontakt und
Markteintritt
...
6
Abbildung 4 ... Entwicklung der bundesweiten Marktanteile zwischen 2005
und
2009
...
26

-1-
1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
In der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Multipunktwettbewerb wird verbreitet
die Meinung vertreten
1
, dass Multipunktkontakt zu einer niedrigen Wettbewerbsintensi-
tät zwischen den beteiligten Unternehmen führt. Diese Beziehung wird als Mutual For-
bearance bezeichnet. Es besteht jedoch noch Unklarheit darüber, ob dieser Zusammen-
hang für alle Branchen und Arten von Unternehmen gelten kann. Im Rahmen dieser
Bachelorarbeit wird untersucht, ob Mutual Forbearance bei in Franchisestrukturen orga-
nisierten Pizzalieferanten auftritt und welche Faktoren für die Existenz oder Nichtexis-
tenz von Mutual Forbearance bei Franchise-Pizzalieferanten entscheidend sind. Fran-
chisesysteme bieten für die Mutual-Forbearance-Theorie eine besondere
Herausforderung, da die Franchisenehmer jeweils selbst Eigentümer ihrer Filialen sind
2
,
es sich also um Unternehmensverbunde handelt. Eine Koordination der Gesamtsystem-
aktivitäten ist somit nicht automatisch gegeben und muss zur Durchführung übergrei-
fender Maßnahmen erst erzeugt werden. Pizzalieferanten sind repräsentative Vertreter
für Franchisesysteme, da die sechs erfolgreichsten Systeme dieser Branche in Fran-
chisestrukturen organisiert sind und dabei nahezu alle Filialen von Franchisenehmern
geführt werden
3
. Um zu untersuchen, ob Mutual Forbearance bei diesen Franchise-
Pizzalieferanten auftritt, werden in Kapitel 2 die relevanten Aussagen der Wissenschaft
zum Thema Multipunktwettbewerb zusammengefasst sowie Indikatoren beschrieben,
mithilfe derer die Existenz oder Nichtexistenz von Mutual Forbearance festgestellt wer-
den kann. Darüber hinaus werden Faktoren ermittelt, die das Auftreten von Mutual For-
bearance fördern. In Kapitel 3 folgt die Untersuchung der sechs in Franchisestrukturen
organisierten Pizzalieferanten. Hierfür werden zunächst die Multipunktverflechtungen,
die zwischen den Systemen bestehen, dargestellt. Anschließend erfolgt eine Prüfung auf
die Existenz von Mutual Forbearance auf Grundlage der im zweiten Kapitel genannten
Indikatoren. Das Resultat wird mithilfe der ebenfalls im zweiten Kapitel erwähnten Fak-
toren für die Erreichung von Mutual Forbearance analysiert und erläutert.
1
Vgl. E
DWARDS
(1955, S. 335); H
EGGESTAD
/R
HOADES
(1978); F
EINBERG
(1984); F
EINBERG
(1985);
B
ERNHEIM
/W
HINSTON
(1990); H
UGHES
/O
UGHTON
(1993); E
VANS
/K
ESSIDES
(1994); B
AUM
/K
ORN
(1996); G
IMENO
/W
OO
(1996); J
ANS
/R
OSENBAUM
(1996); P
ARKER
/R
ÖLLER
(1997);
F
ERNÁNDEZ
/M
ARÍN
(1998).
2
Vgl. R
UBIN
(1978, S. 224).
3
Vgl. D
EUTSCHER
H
OTEL
-
UND
G
ASTSTÄTTENVERBAND
(2010, S. 9-11).

-2-
2 Forschungsstand
zum
Thema
Multipunktwettbewerb
2.1 Multipunktwettbewerb und Mutual Forbearance
Viele Unternehmen operieren zur gleichen Zeit in mehr als nur einem Markt.
1
Dabei
treffen sie in den einzelnen Märkten auf unterschiedliche Kombinationen von Konkur-
renten.
2
Je mehr Unternehmen in einer größeren Anzahl an Märkten präsent sind, desto
höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Unternehmen in mehr als nur einem
Markt begegnen. Dieses mehrmalige Aufeinandertreffen sowie die daraus entstehenden
Interaktionen werden als Multipunktwettbewerb bezeichnet.
3
Dementsprechend hat ein
Unternehmen mit jedem seiner Konkurrenten einen unterschiedlichen Grad an Multi-
punktkontakt, abhängig davon, in wie vielen Märkten sie sich tatsächlich treffen.
4
Mög-
liche Märkte können hierbei geographische Räume oder unterschiedliche Produkte bzw.
Dienstleistungen, die von einem Unternehmen angeboten werden, sein.
5
Als weitere Ar-
ten von Märkten werden in der Theorie auch Marktsegmente
6
, Branchen
7
und Nationen
8
nen
8
genannt, die allerdings eher Spezialisierungen der beiden genannten Marktformen
oder Kombinationen von diesen darstellen. Ein anschauliches Beispiel von Multipunkt-
konkurrenten bilden die Unternehmen Coca-Cola und PepsiCo. Diese stehen sich nicht
nur in mehreren geographischen Märkten, beispielsweise den verschiedenen Staaten,
gegenüber, sondern sind gleichzeitig Wettbewerber bezüglich unterschiedlicher Produk-
te, namentlich einer Anzahl an Erfrischungsgetränken.
Im Rahmen der Forschung zum Multipunktwettbewerb wurde die Theorie entwickelt,
dass ein steigender Grad an Multipunktkontakt zu einer Schwächung der zwischen den
beteiligten Unternehmen bestehenden Wettbewerbsintensität führt. Dieser Zusammen-
hang wird Mutual Forbearance genannt. Die Idee hierfür wurde bereits im Jahr 1955
von E
DWARDS
9
formuliert.
10
Eine spieltheoretische Entwicklung dieser Beziehung er-
1
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 251).
2
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1996, S. 256).
3
Vgl. K
ARNANI
/W
ERNERFELT
(1985, S. 87); G
IMENO
/W
OO
(1996, S. 322); M
A
(1998, S. 129); G
IMENO
(1999, S. 102); G
IMENO
/W
OO
(1999, S. 240); K
ORN
/B
AUM
(1999, S. 171); M
A
(1999, S. 95).
4
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 252).
5
Vgl. B
OEKER
et al. (1997, S. 126); F
ERNÁNDEZ
/M
ARÍN
(1998, S. 301); M
C
G
RATH
et al. (1998, S. 725);
K
ORN
/B
AUM
(1999, S. 171); C
OCCORESE
/P
ELLECCHIA
(2009, S. 245).
6
Vgl. J
AYACHANDRAN
et al. (1999, S. 50); K
ETCHEN
et al. (2004, S. 787).
7
Vgl. G
IMENO
/W
OO
(1999, S. 240).
8
Vgl. M
A
(1999, S. 95).
9
Vgl. E
DWARDS
(1955, S. 335).
10
Vgl. B
ERNHEIM
/W
HINSTON
(1990, S. 1); E
VANS
/K
ESSIDES
(1994, S. 344); B
OEKER
et al. (1997, S.
128); F
UENTELSAZ
/G
ÓMEZ
(2006, S. 479).

-3-
folgte durch F
EINBERG
1
, B
ERNHEIM
und W
HINSTON
2
sowie H
UGHES
und O
UGHTON
3
.
4
O
UGHTON
3
.
4
Eine Behandlung dieses Themas ist seitdem in der Industrial-Organization-
Organization- und Strategic-Management-Literatur zu finden.
5
Dort wurde diese Theo-
rie, trotz der Existenz teils widersprechender Ergebnisse
6
, empirisch untermauert
7
.
8
Mutual Forbearance beschreibt eine Art der stillschweigenden Kollusion, wobei Multi-
punktkontakt eine Schwächung der Intensität des Wettbewerbs zwischen den beteiligten
Konkurrenten in all ihren gemeinsamen Märkten zur Folge hat. Der Grad an Multi-
punktkontakt und die Wettbewerbsintensität sind dabei negativ korreliert, bei einer stei-
genden Anzahl gemeinsamer Märkte wird der Wettkampf also weniger aggressiv.
9
Der
negative Zusammenhang zwischen dem Multipunktkontaktgrad und der Wettbewerbsin-
tensität ist in Abbildung 1 idealisiert abgebildet.
Mutual Forbearance wird dadurch ermöglicht, dass aufgrund der größeren Anzahl an
gemeinsamen Märkten das Potenzial für mehr zukünftige Interaktionen steigt.
10
Die
Theorie bietet zwei Erklärungsansätze, die die Entstehung von Mutual Forbearance aus
der Existenz von Multipunktwettbewerb beschreiben. Die Abbildung 2 bietet eine Zu-
sammenführung dieser beiden, meist unabhängig voneinander behandelten Ansätze.
1
Vgl. F
EINBERG
(1984).
2
Vgl. B
ERNHEIM
/W
HINSTON
(1990).
3
Vgl. H
UGHES
/O
UGHTON
(1993).
4
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1996, S. 262); P
ILLOFF
(1999, S. 165).
5
Vgl. van W
EGBERG
/van
W
ITTELOOSTUIJN
(2001, S. 265).
6
Vgl. S
TRICKLAND
(1985); M
ESTER
(1987).
7
Vgl. H
EGGESTAD
/R
HOADES
(1978); F
EINBERG
(1985); E
VANS
/K
ESSIDES
(1994); B
AUM
/K
ORN
(1996);
G
IMENO
/W
OO
(1996); J
ANS
/R
OSENBAUM
(1996); P
ARKER
/R
ÖLLER
(1997); F
ERNÁNDEZ
/M
ARÍN
(1998).
8
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 255); S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001, S. 230); L
I
/G
REENWOOD
(2004, S. 1136).
9
Vgl. F
EINBERG
/S
HERMAN
(1988, S. 985); M
A
(1998, S. 129); B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 251);
J
AYACHANDRAN
et al. (1999, S. 52); C
OCCORESE
/P
ELLECCHIA
(2009, S. 245).
10
Vgl. B
AUM
(1999, S. 555); B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 254).
Multipunktkontakt
Wettbewerbsintensität
Abbildung 1: Negative Beziehung zwischen Multipunktkontakt
und Wettbewerbsintensität (eigene Darstellung)

-4-
Gemäß des ersten Erklärungsansatzes spielen vor allem die durch mehr Multipunktkon-
takt erzeugten Möglichkeiten für strategische Schritte bei der Entstehung von Mutual
Forbearance eine Rolle. Durch das mehrmalige Aufeinandertreffen in verschiedenen
Märkten ist es einem Unternehmen möglich, auf eine aggressive Handlung eines Wett-
bewerbers nicht nur im fokalen Markt, sondern in jedem beliebigen anderen gemeinsa-
men Markt mit einer Gegenattacke zu reagieren. Dabei ist der ursprüngliche Angreifer
sowohl über die Anzahl und Art der betroffenen Märkte, in denen der Konkurrent den
Gegenschritt einsetzt, als auch über das Ausmaß der Gegenattacke in Ungewissheit. Das
reagierende Unternehmen hat zudem die Möglichkeit, in genau denjenigen gemeinsa-
men Märkten einen Gegenschritt einzuleiten, in denen der potenzielle Verlust des Kon-
kurrenten besonders hoch und die durch die Attacke entstehenden Kosten für das die
Gegenmaßnahme einsetzende Unternehmen besonders niedrig sind. Die Unsicherheit
über das Ausmaß der Konsequenzen einer ersten Attacke führt demzufolge zu einer Ab-
schreckung von einem aggressiven Verhalten. Wenn der erwartete Gewinn einer Atta-
cke kleiner ist als die Kosten für diese, inklusive der durch die Gegenattacke entstehen-
den Kosten, sinkt also die Wettbewerbsintensität in allen gemeinsamen Märkten und
Mutual Forbearance entsteht.
1
Ergänzt wird dieser Zusammenhang dadurch, dass sich
die Unternehmen durch zunehmenden Multipunktkontakt angreifbarer für die Attacken
und Gegenattacken des jeweiligen Konkurrenten machen und sich somit glaubhaft an
diese stillschweigende Kollusion binden können.
2
Der zweite Erklärungsansatz für die Entstehung von Mutual Forbearance aus Multi-
punktkontakt beruht auf der Möglichkeit für die Unternehmen, bei einer höheren Anzahl
an gemeinsamen Märkten mehr Informationen über die Konkurrenten zu sammeln.
3
1
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 251); G
IMENO
(1999, S. 102f.); G
IMENO
/W
OO
(1999, S. 240);
J
AYACHANDRAN
et al. (1999, S. 51); S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001, S. 233); U
PSON
/R
ANFT
(2010, S.
51).
2
Vgl. G
REVE
(2000, S. 820).
3
Vgl. F
EINBERG
/S
HERMAN
(1988, S. 986).
Abbildung 2: Erklärungsansätze für Mutual Forbearance (eigene Darstellung)
Abschreckung
Mutual Forbearance
Informationen
Multipunktkontakt

-5-
Dies führt dazu, dass Unternehmen durch die Beobachtung vergangener Verhaltenswei-
sen ihrer Wettbewerber gegenwärtiges Verhalten besser einschätzen sowie zukünftiges
Verhalten eher antizipieren können.
1
Darüber hinaus bietet eine höhere Anzahl an ge-
meinsamen Märkten die Möglichkeit, Wettbewerbern eigene Verhaltensvorhaben wie
beispielsweise ein weniger aggressives Verhalten zu signalisieren.
2
Eine bessere Informationsbasis über den Konkurrenten trägt allerdings nicht nur direkt,
sondern auch indirekt durch die Beeinflussung des Ausmaßes der Abschreckung zur
Entstehung oder aber auch Verhinderung von Mutual Forbearance bei. Durch größere
Beobachtungsmöglichkeiten ist es Unternehmen mit einem hohen Multipunktkontakt-
grad möglich, eine genauere Einschätzung über die Fähigkeit und Motivation eines
Wettbewerbs, eine stillschweigende Kollusion einzugehen, zu erhalten.
3
Hinzu kommt,
dass sich ein Unternehmen durch diese neu gewonnenen Informationen häufig erst der
Interdependenz, die zwischen ihm und seinen Konkurrenten besteht, bewusst wird.
4
Diese Theorie einer negativen Beziehung zwischen dem Grad an Multipunktkontakt
und der Wettbewerbsintensität zwischen den Konkurrenten wurde im Jahr 1999 von
B
AUM
und K
ORN
5
erweitert. Es stellte sich die Frage, welcher Grad an Multipunktkon-
takt erreicht werden muss, um Mutual Forbearance zu erzeugen. Das Resultat ist eine
umgekehrte U-Form, die die Beziehung zwischen dem Multipunktkontaktgrad und der
Wettbewerbsintensität beschreibt.
6
Zur empirischen Überprüfung dieser Hypothese
wurde von den meisten Wissenschaftlern die Rate des Eintritts der Unternehmen in die
gegenseitigen Märkte als Indikator für die Wettbewerbsintensität genutzt
7
, wobei eine
hohe Markteintrittsrate als Zeichen für einen intensiven Wettbewerb angenommen
wird
8
. Abbildung 3 zeigt den umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen dem
Multipunktkontaktgrad und der Markteintrittsrate in idealisierter Form.
1
Vgl. B
OEKER
et al. (1997, S. 126); B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 256); G
IMENO
/W
OO
(1999, S. 241);
H
AVEMAN
/N
ONNEMAKER
(2000, S. 234f.).
2
Vgl. B
OEKER
et al. (1997, S. 126); B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 256).
3
Vgl. J
AYACHANDRAN
et al. (1999, S. 51).
4
Vgl. F
UENTELSAZ
/G
ÓMEZ
(2006, S. 480).
5
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999).
6
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999); H
AVEMAN
/N
ONNEMAKER
(2000, S. 237); S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001);
F
UENTELSAZ
/G
ÓMEZ
(2006).
7
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999); S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001); F
UENTELSAZ
/G
ÓMEZ
(2006).
8
Vgl. Kapitel 2.1, S. 7.

-6-
Ein geringer bis mittlerer Multipunktkontaktgrad führt hierbei noch nicht zu einem Sin-
ken, sondern zu einem Anstieg der Wettbewerbsintensität.
1
Dafür existieren mehrere
Erklärungen. Wenn die Unternehmen bereits bei einem niedrigen Grad an Multipunkt-
kontakt erkannt haben, dass die Möglichkeit für eine Kollusion besteht, verfolgen sie
womöglich eine Multipunktkontaktstrategie.
2
Mittels dieser erzeugen sie absichtlich
durch gegenseitige Markteintritte einen höheren Multipunktkontaktgrad. Dabei wird ei-
ne Erhöhung der Anzahl an gemeinsamen Märkten genutzt, um Information über die
Konkurrenten zu gewinnen und Standbeine in fremden Märkten aufzubauen, mit denen
die Unternehmen ihren Konkurrenten drohen können.
3
Es kann aber auch sein, dass sich
sich Unternehmen, die sich bisher nur in wenigen Märkten begegnet sind, noch keiner
möglichen Interdependenz bewusst sind. Der Anstieg des Multipunktkontaktgrads im
Zeitverlauf ist dann eine Zufallserscheinung, die aus einer von dem Potenzial für Mu-
tual Forbearance unabhängigen Expansionsstrategie der Unternehmen entsteht. Die Un-
ternehmen versuchen hierbei aggressiv, Wettbewerbsvorteile durch eine schnelle Aus-
breitung in für sie neue Märkte zu nutzen und dabei ihre Position im Wettbewerb
bestmöglich festzulegen
4
. Manche Unternehmen imitieren durch Markteintritte aber
auch lediglich erfolgreiche Konkurrenten.
5
Haben sie dann einen ausreichenden Grad an
an Multipunktkontakt erreicht, erkennen sie ihre Interdependenz und beginnen die still-
schweigende Kollusion.
6
Es folgt also, dass ein mittlerer Multipunktkontaktgrad erreicht
reicht werden muss, um Mutual Forbearance zu erzeugen.
7
1
Vgl. S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001, S. 235).
2
Vgl. G
REVE
(2000, S. 820).
3
Vgl. H
AVEMAN
/N
ONNEMAKER
(2000, S. 237); S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001, S. 235).
4
Vgl. K
ORN
/R
OCK
(2001, S. 57); U
PSON
/R
ANFT
(2010, S. 50).
5
Vgl. S
TEPHAN
/B
OEKER
(2001, S. 235-239).
6
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 256).
7
Vgl. G
REVE
/M
ITSUHASHI
(2004, S. 12).
Multipunktkontakt
Markteintritt
Abbildung 3: Umgekehrt U-förmige Beziehung zwischen Multipunktkontakt und
Markteintritt (eigene Darstellung)

-7-
Für die Untersuchung von Mutual Forbearance bei in Franchisestrukturen organisierten
Pizzalieferanten ist es notwendig, Indikatoren zu benennen, die den Grad der bestehen-
den Wettbewerbsintensität näherungsweise bestimmen lassen. In der empirischen For-
schung wurden bereits viele unterschiedliche Indikatoren für die Analyse der Wettbe-
werbsintensität genutzt. Diese Indikatoren lassen sich in zwei Gruppen einteilen.
Während die einen direkt das Verhalten der Wettbewerber beobachten, messen die an-
deren die Performance der Unternehmen.
1
Eine Art der direkt beobachtbaren Aktionen ist das Markteintrittsverhalten
2
der Wett-
bewerber, das von den Unternehmen als Signal für ein aggressives Wettbewerbsverhal-
ten oder eine stillschweigende Kollusion eingesetzt werden kann. Der Eintritt in einen
Markt des Konkurrenten ist eine aggressive Tat. Unternehmen, die miteinander einen
hohen Multipunktkontaktgrad haben und Kollusion nutzen, treten demzufolge seltener
in die Märkte des entsprechenden Wettbewerbers ein.
3
Ein niedriges Markteintrittsni-
veau ist also ein Indikator für eine niedrige Wettbewerbsintensität und damit Mutual
Forbearance.
4
Die Beobachtung des Marktaustrittsverhalten der Wettbewerber kann ebenfalls Auf-
schluss über die Existenz von Mutual Forbearance geben. Stehen die Unternehmen im
Multipunktwettbewerb und nutzen Mutual Forbearance, sind sie interessiert daran, diese
Kollusion aufrechtzuerhalten. Da ein hoher Multipunktkontaktgrad dafür notwendig ist,
treten die Unternehmen nicht aus den gemeinsamen Märkten aus, selbst wenn ihre Per-
formance in diesen Märkten schwach sein sollte.
5
Die Standbeine in diesen Märkten
sind notwendig, um den Konkurrenten mit einer Rache für einen aggressiven Schritt zu
drohen und somit auch in den eigenen wichtigen Märkten eine niedrige Wettbewerbsin-
tensität zu erhalten.
6
Ein dritter Indikator für Mutual Forbearance ergibt sich aus dem Preisverhalten der Un-
ternehmen. Eine Ausprägung der stillschweigenden Kollusion besteht dabei darin, dass
die beteiligten Unternehmen den Wettbewerb nicht über die Preissetzung führen, son-
1
Vgl. G
IMENO
/W
OO
(1996, S. 327); F
UENTELSAZ
/G
ÓMEZ
(2006, S. 480).
2
Vgl. C
HEN
(1996, S. 109).
3
Vgl. H
AVEMAN
/N
ONNEMAKER
(2000, S. 236f.); van W
EGBERG
/van W
ITTELOOSTUIJN
(2001, S. 266).
4
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1996, S. 257); F
UENTELSAZ
/G
ÓMEZ
(2006, S. 482).
5
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1996, S. 258); B
OEKER
et al. (1997); B
AUM
/K
ORN
(1999, S. 253).
6
Vgl. G
IMENO
(1999, S. 109).

-8-
dern versuchen, verhältnismäßig hohe Preise zu erhalten.
1
Als Anzeichen für die Exis-
tenz von Mutual Forbearance gilt daher ein hohes Preisniveau.
2
Neben den beschriebenen Indikatoren des Markteintritts, Marktaustritts und Preisverhal-
tens lassen sich noch andere Wettbewerbsaktionen für die Einschätzung der Wettbe-
werbsintensität beobachten. So gehen beispielsweise bei Unternehmen, die in einer Mu-
tual-Forbearance-Beziehung stehen, die Anzahl der Produkteinführungen sowie die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung zurück, da die Einführung verbesserter Pro-
dukte eine aggressive Handlung darstellt.
3
Weiterhin reduzieren sie ihr Streben, durch
Werbung die Kunden der Konkurrenten für sich zu gewinnen.
4
Eine Senkung der
Wettbewerbsintensität kann aber auch dadurch erfolgen, dass die Unternehmen versu-
chen, ihre Produkte voneinander zu differenzieren oder beginnen, unterschiedliche
Marktsegmente anzuvisieren.
5
Die Indikatoren für Mutual Forbearance der zweiten Gruppe messen die Performance
der beteiligten Unternehmen. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine Kollusion zu
einer verbesserten Performance führt
6
, da die Unternehmen ansonsten auf Mutual For-
bearance verzichten würden. Anzeichen für eine niedrige Wettbewerbsintensität ist da-
bei zum Beispiel eine höhere Stabilität der Marktanteile der einzelnen Wettbewerbsteil-
nehmer
7
, da bedeutende Veränderungen in Marktanteilen meist durch aggressive
Schritte erreicht werden. Ein weiterer Indikator für Mutual Forbearance sind hohe Preis-
Kosten-Margen
8
, die beispielsweise mittels des durch die stillschweigende Kollusion
erzeugten angehobenen Preisniveaus erreicht werden. Aufgrund derselben Begründung
gelten auch hohe Gewinn- und Umsatzniveaus
9
als Indikatoren für Mutual Forbearance.
ce. Ein anderes Anzeichen für eine niedrige Wettbewerbsintensität ist eine geringe Un-
ternehmenssterberate
10
in den einzelnen Märkten.
1
Vgl. E
DWARDS
(1955, S. 335); F
EINBERG
/S
HERMAN
(1988, S. 985); G
IMENO
(1999).
2
Vgl. P
HILLIPS
/M
ASON
(1992, S. 396); E
VANS
/K
ESSIDES
(1994); van W
EGBERG
et al. (1994, S. 253);
G
IMENO
/W
OO
(1996); J
ANS
/R
OSENBAUM
(1996); S
INGAL
(1998); P
ARKER
/R
ÖLLER
(1997);
B
ARROS
(1999); van W
EGBERG
/van W
ITTELOOSTUIJN
(2001, S. 266); K
ANG
et al. (2009).
3
Vgl. B
AUM
/K
ORN
(1996, S. 257); C
HEN
(1996, S. 109); S
HANKAR
(1999); K
ANG
et al. (2009).
4
Vgl. E
DWARDS
(1955, S. 335); B
AUM
/K
ORN
(1996, S. 257).
5
Vgl. van W
EGBERG
/van W
ITTELOOSTUIJN
(2001, S. 266).
6
Vgl. P
ILLOFF
(1999); L
I
/G
REENWOOD
(2004); C
OCCORESE
/P
ELLECCHIA
(2009).
7
Vgl. S
ANDLER
(1988); U
PSON
/R
ANFT
(2010, S. 50).
8
Vgl. G
IMENO
/W
OO
(1996, S. 327); J
ANS
/R
OSENBAUM
(1996); P
ARKER
/R
ÖLLER
(1997); van
W
EGBERG
/van W
ITTELOOSTUIJN
(2001, S. 266); G
IMENO
(2002); U
PSON
/R
ANFT
(2010, S. 50).
9
Vgl. G
REVE
(2000, S. 820).
10
Vgl. B
AUM
(1999).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2010
ISBN (PDF)
9783863415938
ISBN (Paperback)
9783863410933
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Erscheinungsdatum
2012 (März)
Note
1
Schlagworte
Wettbewerbsdynamik Multipunktwettbewerb Mutual Forbearance Franchise Pizza
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Lisa Geißler wurde 1987 in Berlin geboren. Nach dem Abitur entschied sie sich für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin, welches sie, bereichert durch ein Semester in der Schweiz, im Jahr 2010 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Science erfolgreich abschloss. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin sowohl im öffentlichen Sektor als auch in der privaten Wirtschaft praktische Erfahrungen. Dabei galt ihr Interesse insbesondere Fragestellungen aus den Bereichen Management und Marketing. Dies motivierte sie, sich im Rahmen ihrer Bachelorarbeit der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen. Zurzeit studiert Lisa Geißler im Masterstudiengang Management & Marketing der Freien Universität Berlin.
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Titel: Franchisesysteme im Multipunktwettbewerb: Eine wettbewerbsdynamische Analyse der Bedeutung von Mutual Forbearance am Beispiel von Pizzalieferanten
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