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Berufs- und Handlungsorientierung im Unterricht Politik & Wirtschaft: Ein Projekt zur Förderung der Sozial- und Methodenkompetenz

©2009 Examensarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Immer wieder betonen und reflektieren Medien und wissenschaftliche Studien einen Zustand beruflicher Ziel- und Orientierungslosigkeit aktueller Heranwachsendenkohorten. Notwendige Fähigkeiten zur beruflichen Orientierung werden im familiären Umfeld immer weniger gefördert, so dass die Institution Schule sich zunehmend damit konfrontiert sieht, dieses Defizit zu kompensieren. Viele Studien kritisieren den fehlenden Zukunftsbezug des Unterrichts, insbesondere am Gymnasium, und betonen dabei einen Mangel an schulischen Praxisbezügen. Wie aber kann die Schule dieser neuen gesellschaftlichen Aufgabe gerecht werden?
Um der diagnostizierten Ziel- und Orientierungslosigkeit entgegenwirken zu können, beschreibt, diskutiert und reflektiert der Autor dieser Studie ein berufs- und handlungsorientiertes Unterrichtsprojekt an einem Darmstädter Gymnasium, in welchem Schülerinnen und Schüler der achten Jahrgangsstufe durch selbstständiges Entdecken und gegenseitiges Diagnostizieren individueller Stärken und Schwächen erste Zugänge zu berufsrelevanten Schlüsselqualifikationen sowie eigenen Fähigkeiten erlangen. Er zeigt dabei auf und belegt, inwiefern sich relevante Schlüsselqualifikationen in den elementaren Bereichen Sozial- und Methodenkompetenz durch praxisnahen, berufs- und handlungsorientierten Unterricht entwickeln und positiv verändern können.
Im Projektkontext entwickeln und produzieren Schülerinnen und Schüler fächerverbindend eine eigene Tageszeitung, welche sie abschließend vor einem realen Expertengremium, bestehend aus Redakteuren einer Lokalzeitung, präsentieren, rechtfertigen und verteidigen müssen. Während des Projektverlaufs übernehmen die Schülerinnen und Schüler redaktionsspezifische Rollen und Verantwortungen, gleichen diese kontinuierlich mit eigenen Stärken und Schwächen ab und bewegen sich dabei kooperativ zwischen eigener Individualität, Unterricht und vernetzten Kontakten zur realen Berufswelt.
In den Augen des Autors ist das selbstständige Entdecken, Erfahren und Fortentwickeln von Handlungsfähigkeit, respektive das Bewusstsein um eigene Stärken und Schwächen, wichtigstes Fundament zum Erwerb überfachlicher Schlüsselqualifikationen. Nur im Bewusstsein um eigene Fähigkeiten können Schülerinnen und Schüler frühzeitig auf das in den Lehrplänen stets geforderte eigenständige Gestalten privater und beruflicher Lebenssituationen vorbereitet werden. Die Studie leistet folglich einen exemplarischen Beitrag zur Frage, inwiefern Schule dem […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begründung für die Wahl des Themas und pädagogische Arbeitsfrage
2.1 Schulinterner Kontext und Projektverortung im Lehrplan
2.2 Kompetenzbezogene Lernausgangslage und Lernstand

3 Rahmenkonzeption und Zielsetzung der Unterrichtsreihe
3.1 Rahmenkonzeption und Methodik zur Bearbeitung der Arbeitsfrage
3.2 Kompetenzorientierte Zielsetzung der Unterrichtsreihe

4 Theoretischer Hintergrund
4.1 Das Konzept berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen
4.1.1 Schlüsselqualifikation: Förderschwerpunkt Sozialkompetenz
4.1.2 Schlüsselqualifikation: Förderschwerpunkt Methodenkompetenz
4.2 Handlungsorientierung und originale Berufsbegegnung
4.2.1 Handlungsorientierung: Fokus Projektarbeit
4.2.2 Originale Berufsbegegnung: Fokus Expertenbefragung/Betriebserkundung

5 Projektbeschreibung: Zeitungsprojekt mit berufsorientierendem Schwerpunkt
5.1 Didaktische Überlegungen
5.2 Theoretische Planung des Projekts
5.2.1 Erste Diagnose: Selbst- und Fremdbestimmung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen
5.2.2 Phase I: Inhaltliche Sensibilisierung und Orientierung
5.2.3 Phase II: Projektspezifischer Entwicklungs- und Rollenprozess 21
5.2.4 Phase III: Übertragen projektspezifischer Prozesse in berufliche Realität
5.2.5 Phase IV: Auswertung und Reflexion
5.2.6 Zweite Diagnose: Selbst- und Fremdbestimmung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen
5.3 Tatsächliche Durchführung des Projekts
5.4 Auswertung und Darstellung der Ergebnisse
5.4.1 Sozialkompetenz: Selbst- und Fremdbestimmung vor und nach dem Projekt
5.4.2 Methodenkompetenz: Selbst- und Fremdbestimmung vor und nach dem Projekt

6 Diskussion der Ergebnisse und abschließende Reflexion

1 Einleitung

„Schule hat unsere Kinder auf die Welt von morgen vorzubereiten, ohne konkret sagen zu können, wie diese Welt aussehen wird.“[1] Vertraut man aktuellen Statistiken und Medienberichten, wächst die gegenwärtige Generation Jugendlicher zunehmend in Verhältnissen beruflicher Ziel- und Orientierungslosigkeit auf. Diese Unsicherheit wird nicht etwa nur bei Heranwachsenden mit geringeren Bildungsperspektiven deutlich. Die sich in gesellschaftlicher Schnelllebigkeit niederschlagende Veränderung beruflicher Anforderungen und Qualifikationen erfordert ein lebenslanges Lernen, höhere Flexibilität und Mobilität, über die Grenzen etwaiger Schul- und Bildungsabschlüsse hinweg.[2] Problematisch ist dabei weniger das Ausbilden einer möglichen Berufsvorstellung als das Umgehen mit zunehmender „Entberuflichung [bekannter] Tätigkeitsprofile“[3] und dem Wertverlust herkömmlicher Berufsbilder.[4] Notwendige Fähigkeiten zur beruflichen Orientierung werden im familiären Umfeld weniger gefördert, so dass die Institution Schule sich zunehmend damit konfrontiert sieht, dieses Defizit zu kompensieren und Schülerinnen und Schüler[5] in ihren überfachlichen Fähigkeiten zu fördern, um sie auf stetige Pluralisierung eines beruflichen Angebots vorbereiten zu können.[6] SuS am Gymnasium sind spätestens zum Ende der Oberstufe mit einer individuellen Berufs- und Studienwahlentscheidung konfrontiert, deren Anforderungsprofile sie auf Basis objektiven Urteilens kaum strukturieren können.[7] Basierend auf diesem Hintergrund ist vor allem auf die Wichtigkeit frühzeitiger gymnasialer Berufsorientierung zu verweisen – und zwar nicht nur in Form inzwischen etablierter Betriebspraktika in den Jahrgangsstufen 9 und 11. Ohne adäquates Vor- und Nachbereiten sowie Herausarbeiten eigener Interessen und Fähigkeiten nehmen viele Heranwachsende ihr Betriebspraktikum ohnehin als „[...] eher exotischen Bereich wahr, zu dem sie keinen wirklichen Zugang finden“.[8] Der berufsorientierende Wert bleibt in der Regel gering.[9] Wenn der Lehrplan Politik & Wirtschaft an hessischen Gymnasien in seinen inhaltlichen Zielsetzungen jedoch darlegt, dass SuS zur selbstständigen „Gestaltung privater und beruflicher Lebenssituationen“[10] befähigt werden sollen, scheint es umso wichtiger, Möglichkeiten vorbereitender Berufsorientierung weit über zu absolvierende Betriebspraktika hinaus bereits im Unterricht der Sekundarstufe I zu etablieren. Dabei sollten SuS die Möglichkeit erhalten, sich individueller Interessen, Fähigkeiten, Stärken und Schwächen bewusst zu werden. Denn nur auf Basis dieses Bewusstseins kann es letztlich möglich sein, bereits im Verlauf der Jahrgangsstufe 9 einen Praktikumsplatz auszuwählen, der eigenen Neigungen und Fähigkeiten entspricht, den Prozess individuellen Berufsorientierens nachhaltig fördert, Fehlvorstellungen vermeidet und folglich weniger in Enttäuschung oder Desillusionierung mündet.

Im Hinblick auf die bisherige gymnasiale Berufsorientierung entsteht bei vielen SuS der Eindruck, dass schulische Inhalte wenig mit tatsächlicher Lebensplanung und Berufsrealität zusammenhängen.[11] Nach Gmelch (2001) üben verschiedene Studien, welche nach der Sicht der SuS fragen, Kritik am fehlenden Zukunftsbezug von Unterricht und betonen dabei insbesondere einen Mangel an schulischen Praxisbezügen.[12] Integrationsmöglichkeiten eines solchen Praxisbezuges eröffnen sich vor allem im methodischen Ausgestalten von Unterrichtsprojekten, deren Zielsetzung in der Handlungsfähigkeit für reale Lebenssituationen verortet ist. Das Entdecken, Erfahren und Fortentwickeln von Handlungsfähigkeit etabliert dabei ein wichtiges Fundament methodischer und sozialer Schlüsselqualifikationen[13], um SuS auf das im Lehrplan geforderte selbstständige Gestalten privater und beruflicher Lebenssituationen vorbereiten zu können. Das Ausbilden von und das individuelle Wissen um diese berufsrelevanten Schlüsselqualifikationen ist letztlich Voraussetzung, um eingangs genannten Zuständen beruflicher Ziel- und Orientierungslosigkeit künftig entgegenzuwirken und SuS, im Sinne des eröffnenden Zitates, auf eine Welt von morgen vorzubereiten, deren berufliche und gesellschaftliche Anforderungen wir heute noch nicht voraussehen können.

Um beschriebener Ziel- und Orientierungslosigkeit entgegenzuwirken, beschreibt vorliegende Arbeit Planung, Durchführung und Auswertung eines handlungsorientierten Projekts mit berufsorientierendem Schwerpunkt im Unterricht Politik & Wirtschaft. Das konzipierte Projekt wurde vom Verfasser parallel in vier Lerngruppen der Jahrgangsstufe 8 durchgeführt und zeigt auf, inwiefern sich berufsrelevante Schlüsselqualifikationen durch handlungs- und berufsorientierten Unterricht Politik & Wirtschaft verändern.

2 Begründung für die Wahl des Themas und pädagogische Arbeitsfrage

Die in der Einleitung allgemein diagnostizierte berufliche Ziel- und Orientierungslosigkeit Heranwachsender spiegelt sich auch im Unterricht Politik & Wirtschaft am Darmstädter Ludwig-Georgs-Gymnasium (LGG) wieder. Der Verfasser vorliegender Arbeit begleitet im Schuljahr 2008/09 eigenverantwortlich zwei Klassen der Jahrgangsstufe 8 zu je zwei halbierten Teillerngruppen (s. Kap. 2.1). Bereits zu Beginn des Schuljahres waren die SuS damit konfrontiert, sich eigeninitiativ um einen Platz für das in Klasse 9 zu absolvierende Betriebspraktikum zu bemühen. Wie eingangs dargelegt, findet ein Vorbereiten des Praktikums im Unterricht Politik & Wirtschaft auch am LGG erst in unmittelbarer Unterrichtseinheit vor Praktikumsvollzug statt. Für das Lokalisieren individueller Fähigkeiten und berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen ist es zu diesem Zeitpunkt jedoch zu spät und das Praktikum führt zwangsläufig in jenen in der Einleitung zitierten „exotische Bereich“[14]: eine Sackgasse ohne Rückkopplung an tatsächliche Fähigkeiten der SuS. Selbst inhaltliche Schwerpunkte der Praktikumsvorbereitung basieren im Rahmen der Unterrichtsreihe „Ökonomie und Arbeitswelt“[15] eher auf spezifischen fachlichen und wenig berufswahlvorbereitenden Gegenständen. Anstatt die Lebenswelt der Heranwachsenden aufzunehmen und dabei eigene Fähigkeiten zu eruieren, orientieren sich Lehrplaninhalte primär an den Vorgaben ihrer Fachwissenschaft.[16] Aufgrund eines daraus resultierenden Mangels nachhaltig angelegter Berufsorientierung werden sich nach Erachten des Verfassers die meisten der potentiellen Praktikanten auch am LGG absehbar in einleitend genannter Enttäuschung und Desillusionierung wiederfinden!

Bereits in ersten von SuS selbst initiierten Gesprächen zu Schuljahresbeginn bestätigte sich erwähnte Ziel- und Orientierungslosigkeit. Diese ist für die Sekundarstufe I an Gymnasien durchaus auf den Auswahlprozess vor Praktikumsbeginn zu übertragen. Bezogen auf ihre Selbstwahrnehmung konnten nur sehr wenige SuS aller vier Teillerngruppen individuelle Handlungskompetenzen, Begabungen und Schwächen eruieren, welche sie auf bestimmte Berufsrichtungen vorbereiten (s. Kap. 2.2). Die vollzogene Diagnose bestätigte sich in ihrer Grundsätzlichkeit zudem in den Ergebnissen einer Repräsentativumfrage zur Selbstwahrnehmung der Jugend in Deutschland (2005), nach welcher 41% der Heranwachsenden nicht genau benennen konnten, wo ihre eigene Fähigkeiten und Schwächen liegen.[17]

Basierend auf beschriebenem Missstand im Spannungsfeld einer pluralistischen Gesellschaft mit stetig zunehmenden beruflichen Orientierungs- und Anforderungsansprüchen, fachspezifisch bindenden Lehrplanvorgaben und einer Heranwachsendenkohorte ohne institutionalisierte Möglichkeit, sich individueller Handlungskompetenz bewusst zu werden, entstanden Idee, Konzeption und Thema vorliegender Arbeit. Um auch der am LGG diagnostizierten Problematik entgegenzuwirken und die SuS beider achten Klassen im Sinne der Selbstwahrnehmung eigener Handlungskompetenzen, Stärken und Schwächen bewusster auf die bevorstehende Auswahl eines Praktikumsplatzes vorzubereiten, greift der Verfasser vorliegender Arbeit das am LGG für den Unterricht Politik & Wirtschaft im Schulprogramm verankerte Zeitungsprojekt auf (s. Kap. 2.1). Dieses in seinen Grundzügen bereits angelegte Projekt bietet sich an, um es in Planung, Durchführung und Auswertung erweiternd in vier Dimensionen praxisnaher und handlungsorientierter Berufsorientierung zu strukturieren (s. Kap. 5). Im Rahmen des Projektverlaufs verfolgt der Autor mittels Selbst- und Fremddiagnoseverfahren[18] (s. Kap. 3) die pädagogische Fragestellung vorliegender Arbeit: „Führen originale Berufsbegegnung und Handlungsorientierung im Unterricht Politik & Wirtschaft zu einer Verbesserung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen?“ In Anlehnung an Gmelch (2001) stellen die Lerngruppen in diesem Kontext folglich das „Übungsfeld“ für soziales und methodisches Lernen, „[...] für Kooperation, Interaktion, Kommunikation, aber auch [den] Austragungsort sachlicher und gruppendynamischer Konflikte“[19] dar.

2.1 Schulinterner Kontext und Projektverortung im Lehrplan

Der Fachbereich II (Politik & Wirtschaft) des LGGs verortet das Zeitungsprojekt unter dem Titel „Aufbau und Produktion einer Tageszeitung“[20] in einer Passage des Schulprogramms: „Im Rahmen der Unterrichtseinheit Medien und Freizeit erstellen die SuS [der Jahrgangsstufe 8] in Arbeitsgruppen selbstständig (mindestens zwei Gruppen pro Klasse) eine sechsseitige Tageszeitung mittleren Aktualitätsgrades. [...]. Die Durchführung dieses Projektes erfolgt in Absprache und Kooperation mit dem Fach Informatik [...].“[21] Auf Basis schulinterner Verortung rechtfertigt sich die Integration und Durchführung vorliegender Unterrichtsreihe in der Jahrgangsstufe 8. Laut Lehrplan Politik & Wirtschaft an hessischen Gymnasien ist der Themenkomplex „Medien und Freizeit“ regulär für die Jahrgangsstufe 7 vorgesehen.[22] Im Zuge der G8-basierenden Lehrplanmodifikationen und bezogen auf dessen jüngste Änderung[23] vom 19.06.2008 soll das Projekt künftig jedoch wieder in die Jahrgangsstufe 7 integriert und dabei mit den Fächern Informatik und Deutsch kooperativer verzahnt werden. Für die künftige Projektgestaltung sowie eine kooperative Integration der Fächer Informatik und Deutsch sollen im Rahmen der ersten Fachkonferenz (2009) unter anderem dokumentierte Projekterfahrungen und Ergebnisse vorliegender Arbeit zu Rate gezogen werden.

Hinsichtlich der schulinternen Raum- und Zeitorganisation im Rahmen der Stundentafel besteht am LGG weiterhin die Besonderheit, dass die Fächer Informatik und Politik & Wirtschaft in der Jahrgangsstufe 8 zeitlich und räumlich miteinander kooperieren. Für beide Fächer bedeutet dies das Halbieren einer Lerngruppe zu zwei kleinen Teillerngruppen (s. Kap. 2.2). Beide Teillerngruppen besuchen im wöchentlichen Wechsel versetzt den Unterricht Informatik und Politik & Wirtschaft.

2.2 Kompetenzbezogene Lernausgangslage und Lernstand

Der Verfasser vorliegender Arbeit führt das Zeitungsprojekt parallel in zwei Lerngruppen der Jahrgangsstufe 8 durch. Bedingt durch die zeitliche und räumliche Kooperation zwischen den Fächern Informatik und Politik & Wirtschaft (s. Kap. 2.1) ergeben sich somit vier Teillerngruppen in folgender Aufteilung: Lerngruppe „Hermes“[24] (08a) setzt sich aus 15 SuS zusammen (5 Mädchen und 10 Jungen), Lerngruppe „Novus Nuntius“ (08a) umfasst ebenfalls 15 Mitglieder (6 Mädchen und 9 Jungen), Lerngruppe „Youth ot the day“ (08c) besteht aus 17 SuS (3 Mädchen und 14 Jungen) und Lerngruppe „Schwarz auf weiß“ (08c) ist eine 16-köpfige Jungengruppe. Im Hinblick auf eine kompetenzbezogene Lernausgangslage und den Lernstand (Schwerpunkt Handlungskompetenz) sind alle 63 SuS, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer der vier Teillerngruppen, als gleichwertige Repräsentanten ihrer Alterskohorte zu betrachten. Vor diesem Hintergrund scheint es für den Rahmen vorliegender Arbeit wenig sinnvoll, alle vier Teillerngruppen getrennt zu beschreiben und zu analysieren. Weder lerngruppeninhärente Leistungs- und Sozialbeziehungen noch geschlechtsspezifische Unterschiede sind Gegenstand der pädagogischen Arbeitsfrage und für die zu erwartenden Ergebnisse vorliegender Arbeit folglich zu vernachlässigen.

Wie in der Begründung zur Wahl des Themas bereits dargelegt (s. Kap. 2), ist für alle SuS ein mangelndes Bewusstsein eigener (berufsrelevanter) Handlungskompetenzen zu diagnostizieren. Dies äußert sich vor allem darin, dass viele Mitglieder der Lerngruppen hinsichtlich der Wahl ihres Praktikumsplatzes vor einer Hürde stehen, die sie mit geforderter Eigeninitiative kaum überwinden können. Ein Großteil der Heranwachsenden hat bereits informellen Kontakt zum Autor vorliegender Arbeit gesucht, um sich Ratschläge und Hilfestellungen zur Wahl eines Praktikumsplatzes einzuholen. In verschiedenen Gesprächen stellte sich dabei fortwährend heraus, dass SuS ihre Praktikumsplätze in öffentlichen Einrichtungen oder Unternehmen im Rahmen ihres familiären Umfeldes oder ihnen bekannter Bezugspersonen suchten. Geschätzte 80% aller Lerngruppenmitglieder reagierten mit Erstaunen und Ratlosigkeit auf die Frage nach eigenen Fähigkeiten. Berufsrelevante Schlüsselqualifikationen im Bereich der Methoden- und Sozialkompetenz (s. Kap. 4) sind in unterschiedlicher Ausprägung zwar bei allen SuS zu diagnostizieren, eine kognitive Verbindung individueller Kompetenzen und der Wahl des Praktikumsplatzes gelingt jedoch den wenigstens. Diagnostizierte Ausgangslage: Orientierungslosigkeit und Überforderung aufgrund mangelnden Kompetenzbewusstseins! Die naheliegende Frage nach eigenen Interessen, Neigungen und Fähigkeiten wird von fast allen SuS lediglich mit dem Aufzählen fachlicher Neigung bedient. In der Regel handelt es sich dabei um Verweise auf Freizeitaktivitäten, Hobbys sowie individuelle Präferenzen für spezifische Unterrichtsinhalte. In Anlehnung an Liebel (1984) diagnostiziert der Autor vorliegender Arbeit weiterhin einen Zustand, in welchem SuS aller vier Teillerngruppen die Schule als einen Lebensbereich wahrnehmen, in dem das Ausbilden zukunftsrelevanter Fähigkeiten eine eher untergeordnete Rolle spielt.[25] Eine selbstbewertende oder gar reflektierende Einschätzung individueller methodischer und sozialer Handlungskompetenzen, eigener Stärken und Schwächen findet kaum statt. Diese Ausgangslage bestätigt sich zudem im Ergebnis einer Repräsentativumfrage zur Selbstwahrnehmung der Jugend in Deutschland (2005): In gleicher Heranwachsendenkohorte „[...] ist sich mit 45% weniger als jeder 2. seiner selbst sicher.“[26] Dabei ist zu erwähnen, dass geschätzte 70% der SuS aller vier Teillerngruppen noch sehr wenig bis gar keine Zeit investieren, über eine zukünftige Berufswahl nachzudenken. Für alle Mitglieder beschriebener Lerngruppen ist hinsichtlich berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen folglich ein rudimentär ausgebildetes Bewusstsein zur Selbstwahrnehmung zu diagnostizieren, Ängste vor einer in fachwissenschaftlicher Literatur[27] häufig publizierten Chancen- oder Arbeitslosigkeit sind jedoch nicht festzustellen.

Ein detailliertes Einschätzen des Autors über den individuellen Lernstand beruflicher Schlüsselqualifikationen in den Bereichen Sozial- und Handlungskompetenz wird an dieser Stelle nicht vorgenommen. Diese Einschätzung ist zentrales Element vorliegender Arbeit und wird im Rahmen der Selbst- und Fremddiagnose (aus Schülerperspektive) vor und nach dem Projekt im Kapitel „Auswertung und Darstellung der Ergebnisse“ (s. Kap. 5.4) ausführlich erläutert.

Abschließend ist zu erwähnen, dass die Mitglieder aller vier Teillerngruppen bisher keine Erfahrungen mit einem längeren handlungsorientierten Projekt originaler Berufsbegegnung vorweisen können.

3 Rahmenkonzeption und Zielsetzung der Unterrichtsreihe

Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 erläuterten Begründung für die Wahl des Themas und der daraus ableitend aufgezeigten pädagogischen Arbeitsfrage skizziert vorliegendes Kapitel die geplante Rahmenkonzeption (Wirkungsgefüge) zunächst als Gesamtdarstellung des angewandten Verfahrensablaufs und der Methodik zum Überprüfen der Fragestellung (s. Kap. 3.1). Im Kontext von Rahmenkonzeption und Methodik leitet der Autor anschließend die Zielsetzungen vorliegenden Unterrichtsprojektes ab (s. Kap. 3.2).

3.1 Rahmenkonzeption und Methodik zur Bearbeitung der Arbeitsfrage

Trotz einstimmiger Gewissheit über die Bedeutung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen in Form sozialer und methodischer Handlungskompetenz bleibt die Problematik objektiver Operationalisier- und Messbarkeit in fachwissenschaftlicher Literatur bis heute ungelöst.[28] Anlehnend an Bothmer (2004), Kranning (2003) und Lenzen (1997) entscheidet sich der Verfasser vorliegender Arbeit für die Kompetenzdiagnostik mittels selbst- und fremdreflektierender Verhaltensbeobachtung. Als Diagnoseinstrument zur Datenerhebung dienen dabei anonymisierte Fragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung (s. Anhang E.1-E.4) ausgewählter sozialer und methodischer Fähigkeiten (s. Kap. 4).[29] Bezogen auf Lenzen (1997) resultiert aus vorgenommener Anonymisierung bei der Datenerhebung eine größere Ehrlichkeit der SuS beim Einordnen individueller Handlungskompetenzen.[30] Die Inhalte der Fragebögen sind anlehnend an das Profil persönlicher Stärken der Bundesarbeitsgemeinschaft Berufswahlpass[31] und der Perspektive-Plus[32] der verdi-Jugend entstanden, um eigene Items (Selbstbeschreibungen) ergänzt und basierend auf der theoretischen Gliederung der Handlungskompetenzen nach Lenzen (1997)[33] und Selzer (2001)[34] konzipiert.

Mittels genannter Fragebögen schätzen alle Mitglieder der Teillerngruppen ihre Kompetenzen vor (erste Diagnose) und nach (zweite Diagnose) der Durchführung des vierphasigen Projektverlaufs ein (s. Abb. 1, S. 8). Mithilfe der Abstufungen „damit habe ich Schwierigkeiten“, „daran kann ich noch arbeiten“, „das kann/mache ich schon“ und „darin bin ich richtig gut“ entscheiden die SuS, ob vorgegebene Items sozialer und methodischer Handlungskompetenz für sie zutreffen oder nicht. Aus dem Vergleich der erhaltenen Aussagen vor und nach dem Projektverlauf (s. Kap. 5.4) trifft der Verfasser vorliegender Arbeit in Kapitel 6 eine auf die pädagogische Fragestellung bezogene Aussage hinsichtlich prognostizierter Verbesserung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen.

Das in Abbildung 1 (s. S. 8) zur Darstellung gebrachte Wirkungsgefüge visualisiert in vertikaler Ebene die vier aufeinander aufbauenden Projektphasen (hellgraue Markierungen) sowie in horizontaler Ebene die Integration handlungsorientierter Makromethodiken (gelbe Markierungen) und ausgewählter Elemente originaler Berufsbegegnung (grüne Markierungen). Es sind dies: der Besuch eines Zeitungsredakteurs im Unterricht Politik & Wirtschaft (I. Originale Berufsbegegnung in Phase I) und ein Besuch der SuS im Darmstädter Echo (II. Originale Berufsbegegnung in Phase III) sowie dabei angewandte phasenspezifiche Makromethoden Expertenbefragung (Phase I), Projektarbeit (Phase II), Betriebserkundung (Phase III) und abschließende Reflexion (Phase IV). Ein detailliertes Erörtern der Elemente originaler Berufsbegegnung sowie eingesetzter Makromethoden in ihrer theoretischen Dimension erfolgt im Kapitel 4. Auf Abfolge und Inhalte einzelner Phasen sowie auf eine Begründung ausgewählter Methoden geht der Autor im Kapitel 5 „Projektbeschreibung“ näher ein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Rahmenkonzeption: Wirkungsgefüge als Gesamtdarstellung des angewandten Verfahrensablaufs und der Methodik zur Überprüfung der Arbeitsfrage. Großbuchstaben stehen für die vier Teillerngruppen, römische Ziffern für die Anzahl zur Verfügung stehender Doppelstunden pro Projektphase und Teillerngruppe, VB für Vor- und NB für Nachbereitungsphase. (Eigene Darstellung: M. Marten)

Die vier abgestuften Grautöne differenzieren in vertikaler Ebene (A, B, C, D) die vier Teillerngruppen (s. Kap. 2.2) und in horizontaler Anordnung (römische Ziffern) die Anzahl zur Verfügung stehender Doppelstunden pro Projektphase und Teillerngruppe zuzüglich beider Elemente originaler Berufsbegegnung (dunkelgraue Markierungen; mittig) sowie der Zeit für Selbst- und Fremddiagnose (weiße Blöcke; randständig). Die vier dargestellten Projektphasen mit spezifischen handlungs- und berufsorientierenden Schwerpunkten münden schließlich in pädagogischer Zielsetzung vorliegender Unterrichtsreihe: eine Verbesserung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen (s. Kap. 3.2).

3.2 Kompetenzorientierte Zielsetzung der Unterrichtsreihe

Im Hinblick auf die Zielsetzungen vorliegender Unterrichtsreihe ist zunächst festzuhalten, dass beschriebene Projektkonzeption vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass sie schulfachliche Inhalte Politik & Wirtschaft weitgehend abstrahiert und das Hinführen zum Ziel der Förderung sozialer und methodischer Handlungskompetenz mittels originaler Berufsbegegnung und handlungsorientierter Projektarbeit prädominiert. Dabei fokussieren formulierte Ziele im besonderen Maße die im Lehrplan Politik & Wirtschaft, Thema „Medien: Informationsbeschaffung und Unterhaltung“, verankerten Inhalte zur „Arbeitmethode der SuS/Hinweise und Erläuterungen“ (s. Kap. 5.1).[35] Als umfassende Zielsetzung vorliegender Unterrichtsreihe forciert der Verfasser durch binnendifferenzierendes Fördern der Sozial- und Methodenkompetenz das Heranführen der SuS an die Bedeutsamkeit berufsrelevanter Fähigkeiten sowie ein nachhaltiges Verankern in ihrem Bewusstsein. Im Einzelnen ergeben sich daraus folgende Zielsetzungen:

Die Schülerinnen und Schüler [...]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...] entwickeln vor, während und nach den einzelnen Projektphasen ein Bewusstsein für ihre individuellen berufsrelevanten Schlüsselqualifikationen; explizit in der Dimension beruflicher Handlungskompetenz,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...] stärken dabei im Einzelnen ihre Sozialkompetenzen in den drei Subkategorien Teamfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit,

[...] indem sie im Projektverlauf Geneigtheiten und Konflikte erkennen und nachvollziehen sowie mit anderen objektiv und gewissenhaft interagieren und kommunizieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...] erweitern weiterhin ihre Methodenkompetenzen in den drei Subkategorien Organisationsfähigkeit, Arbeitsfähigkeit und Medienfähigkeit,

[...] indem sie im Projektverlauf ihre Fähigkeiten ausbauen, Inhalte zu ordnen und zu übertragen, Probleme systematisch und durchdacht zu lösen sowie Medien in einem sinnvollen Kontext einzusetzen.

Im Projektverlauf erkennen die SuS eigene Fähigkeiten, Stärken und Schwächen und lernen dabei, auch in schwierigen und wenig vorhersehbaren Problemsituationen (bspw. bei der Auswahl ihres Praktikumsplatzes im zweiten Halbjahr 2008/09) bewusster, sicherer und kompetenter entscheiden zu können.

4 Theoretischer Hintergrund

Der theoretische Hintergrund vermittelt einen zusammenfassenden, am Projekt orientierten Überblick über drei zentrale Begrifflichkeiten der Themen- und Fragestellung vorliegender Arbeit. Es sind dies die in den vorhergehenden Kapiteln bereits mehrfach erwähnten Begriffe: Schlüsselqualifikation, Schwerpunkt Sozial- und Methodenkompetenz (s. Kap. 4.1), Handlungsorientierung und originale Berufsbegegnung (s. Kap. 4.2).

4.1 Das Konzept berufsrelevanter Schlüsselqualifikation

Der Begriff Schlüsselqualifikation, geformt von Mertens (1974), umfasst das weitläufige Gebiet einer gegenwärtigen Fach- und Berufssparten übergreifenden „Metakompetenzen-Diskussion“.[36] Der fachwissenschaftliche Diskurs über ein klares Abgrenzen gegenüber dem Begriff der Kompetenz ist jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen. Hauptproblem ist dabei das häufige Verwenden willkürlicher Synonyme.[37] Vorliegende Arbeit schafft in ihrer theoretischen Grundlage daher ein eigenes, überwiegend auf Vonken (2005)[38], Graichen (2002)[39], Selzer (2001)[40] und Lenzen (1997)[41] gestütztes Begriffskonglomerat und konstruiert ableitend eine Hierarchisierung in vier Ebenen: Von der berufsrelevanten Schlüsselqualifikation über die (berufsrelevante) Handlungskompetenz und deren Subkompetenzen hinunter zu den einzelnen im Sinne der pädagogischen Fragestellung konkret zu fördernden Fähigkeiten (s. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Berufsrelevante Schlüsselqualifikationen: Abgeleitete Darstellung ausgewählter Inhalte nach Vonken (2005), Graichen (2002), Selzer (2001) & Lenzen (1997), et al. (Eigene Darstellung: M. Marten)

Beim Erlangen berufsrelevanter Handlungskompetenz kommt es nach Graichen (2002) nicht nur auf fachliche Qualifikation an. Wichtig ist eine Kombination aus fachlichen, sozialen (s. Kap. 4.1.1) und methodischen (s. Kap. 4.1.2) Fähigkeiten.[42] Diese lassen sich entgegen fachlicher Inhalte nicht einfach vermitteln, sondern müssen über konkrete Fachinhalte als Mittler erfahrbar gemacht und erworben werden:[43] Es handelt sich dabei um Erfahrungen, die SuS nach Auffassung des Autors befähigen, selbstständige Auswahlentscheidungen für einen Praktikums-, später Ausbildungs- oder Studienplatz treffen zu können. Denn: Das Wissen um ihre „[...] Schlüsselqualifikationen versetz[t] sie in die Lage, eine Positionierung der eigenen Person vorzunehmen.“[44]

4.1.1 Schlüsselqualifikation: Förderschwerpunkt Sozialkompetenz

Als Subkategorie der Handlungskompetenz ist die Sozialkompetenz als eine der Ebenen berufsrelevanter Schlüsselqualifikation zu betrachten (s. Abb. 2). Soziale Kompetenz wird im wissenschaftlichen Diskurs einstimmig als Spektrum zwischenmenschlicher Interaktionen ausgelegt.[45] Lenzen (1997) definiert den verwendeten Begriff als „Die Fähigkeit, soziale Beziehungen und Interessenlagen, Zuwendungen und Spannungen zu erfassen und zu verstehen sowie sich mit anderen rational und verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen.“[46] Aus der Vielfalt möglicher Fähigkeiten, die unter dem Begriff der Sozialkompetenz zusammengefasst werden, hat der Verfasser vorliegender Arbeit die im Projektverlauf zu fördernden Fähigkeiten Team-, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit ausgewählt.

4.1.2 Schlüsselqualifikation: Förderschwerpunkt Methodenkompetenz

Die Methodenkompetenz ist analog zur Sozialkompetenz als Subkategorie der Handlungskompetenz zu verstehen und damit ebenfalls berufsrelevante Schlüsselqualifikation (s. Abb. 2). Lenzen (1997) definiert methodische Kompetenz als die „Fähigkeit und Bereitschaft zu zielgerichtetem, planmäßigen Vorgehen bei der Bearbeitung beruflicher Aufgaben und Probleme“.[47] Aus einer Vielzahl möglicher Fähigkeiten hat der Verfasser auch im Bereich der Methodenkompetenz drei zu fördernde Fähigkeiten isoliert. Es sind dies: Organisations-, Arbeits- und Medienfähigkeit, welche nach Bothmer (2004) u. a. Inhalte wie systematisches Denken, Probleme lösen, Inhalte übertragen, planen und entscheiden umfassen.[48] Letztlich handelt es sich dabei um eine Strategienvielfalt, mit spezifischen Lebenssituationen in Alltag, Schule und Beruf umzugehen.

4.2 Handlungsorientierung und originale Berufsbegegnung

„Lernen und Wissenserwerb ohne Erfahrung sind nur begrenzt möglich.“[49] Beschriebene berufsrelevante Schlüsselqualifikationen sind unmittelbar gekoppelt an den Anspruch verstärkten Einsatzes eines handlungs- (s. Kap. 4.2.1) und berufsorientierenden (s. Kap. 4.2.2) Unterrichts, der Erkennen und Erfahren genannter Handlungskompetenz fördert und fordert.[50] Bereits Meyer (1987) definiert handlungsorientierten Unterricht als „[...] einen ganzheitlichen und schüleraktiven Unterricht, in dem zwischen Lehrer und Schüler vereinbarte Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden können“[51]: ein Verhältnis, das nach Auffassung des Autors ein Bewusstsein von eigenen Handlungskompetenzen, Stärken und Schwächen bereitet.

4.2.1 Handlungsorientierung: Fokus Projektarbeit

Gmelch (2001) beschreibt die Makromethodik Projektarbeit als „Hochform handlungsorientierten Unterrichts“.[52] Im Verlauf eines jeden Projektes eröffnen sich den SuS Zugänge zu einer Vielzahl prägnanter Handlungs- und Problemlösungsmöglichkeiten, die sowohl soziale als auch methodische Kompetenzen abverlangen und aufbauen. Dabei konzipieren SuS als handelnde Subjekte ihre Wege zur Zielerreichung selbst.[53] Besonders geeignet ist die Projektarbeit daher für das Erwerben berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen. Im Projektverlauf gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse sind in abschließender Reflexion zu beurteilen und zu bewerten. Genau diese abschließend reflektierende Analyse dient nach Gmelch (2001) zum Erweitern von Handlungskompetenzen.[54] Neben der Handlungsorientierung wichtigstes Element der Projektmethode ist das gemeinsame Hinarbeiten auf ein Produkt, welches in beruflicher Realität zu präsentieren sowie auf seinen Gebrauchs- und Mitteilungswert zu überprüfen ist.[55]

4.2.2 Originale Berufsbegegnung: Fokus Expertenbefragung/Betriebserkundung

Nach Rademacher (2002) sind Schule und Unterricht noch bis heute von einer auffälligen Distanz gegenüber der Arbeitswelt gekennzeichnet.[56] Er fordert ein methodisches Öffnen der Institution gegenüber der Berufswelt, um „[...] Entwicklung und Stärkung der Berufswahlkompetenz der SuS [...]“[57] zu unterstützen. Methodische Mittel zur geforderten Öffnung nach außen sind in Form der Expertenbefragung und Betriebserkundung u. a. von Schierl (2001) und Klenk (2001) erläutert.[58] Grundsätzlich ergeben beide Methodiken originaler Berufsbegegnung ein hohes motivationales Profil, da SuS vor Ort in direkten Kontakt mit Fachleuten treten, welcher durch berufliche Authentizität glaubwürdiger Repräsentanten einen unmittelbaren Lebensweltbezug herstellt. Nach Klenk (2001) eröffnen beide Methoden individuelle Zugänge zu eigenem Kompetenzbewusstsein, so dass ein „Kompetenztransfer“[59] nachhaltig erfolgen und nach Auffassung des Autor vorliegender Arbeit gewinnbringend für die individuelle Wahl eines Praktikums-, Ausbildungs- oder Studienplatzes genutzt werden kann. Ein genaueres Beschreiben methodischen Vorgehens nimmt der Verfasser im Rahmen seiner theoretischen Projektplanung vor (s. Kap. 5.1).

5 Projektbeschreibung:Zeitungsprojekt mit berufsorientierendem Schwerpunkt

In der Projektbeschreibung stellt der Verfasser das „Zeitungsprojekt mit berufsorientierendem Schwerpunkt“ in seinen Einzelheiten vor und erläutert didaktische Überlegungen (s. Kap. 5.1), Planung (s. Kap. 5.2), Durchführung (s. Kap. 5.3) sowie abschließende Auswertung und Darstellung der Ergebnisse (s. 5.4) auf Basis der pädagogischen Arbeitsfrage und bisher beschriebenen Inhalte (s. Kap. 1-4).

5.1 Didaktische Überlegungen

Im Zentrum der didaktischen Überlegungen vorliegender Projektkonzeption stehen die in der Einleitung erwähnten Zustände der beruflichen Ziel- und Orientierungslosigkeit Heranwachsender (s. Kap. 1). Ein Blick in die Grundlegung für das Unterrichtsfach Politik & Wirtschaft an hessischen Gymnasien genügt, um eingangs genanntes Vertrauen in Statistiken und entsprechende Medienberichte nachvollziehen zu können. Lehrplanspezifische Inhalte beruflicher wie lebensweltlicher Orientierung scheinen wie nebensächliches Beiwerk in einem Unterrichtsfach, welches SuS in seinen inhaltlichen Zielsetzungen zur „[...] Bewältigung der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderung, der aktiven Teilnahme an der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung und [zur selbstständigen] Gestaltung privater und beruflicher Lebenssituationen [...]“[60] befähigen möchte. Besonders vor dem Hintergrund aktuell als schwierig prognostizierter Entwicklungen am Arbeitsmarkt, einer Zunahme diskontinuierlicher Erwerbsbiografien, rapider Veränderung von Arbeit und sinkender „Halbwertszeit“ beruflicher Qualifikation sollte sich besonders der Unterricht Politik & Wirtschaft in die Pflicht genommen sehen, eine unterrichtliche „[...] Orientierung an persönlichen Erwartungen statt an vermeintlich objektiven aber unsicheren Werten [...]“[61] zu fördern.[62] Anlehnend an Schudy (2002) darf bestehende Schere zwischen vorhandener Berufsvorstellung und reeller Möglichkeit vor allem in der Institution Schule nicht dazu führen, den möglicherweise wenig realistischen Zukunftsglauben bereits im Ansatz zu verwerfen.[63] Berufliche Erwartung und Zukunftsglaube der SuS verbessern sich vor allem vor dem Hintergrund eigenen Kompetenzbewusstseins und dem Wissen um individuelle Stärken und Schwächen. Dieses Kompetenzbewusstsein gilt es im Rahmen didaktischer Intention vorliegender Unterrichtskonzeption zu fördern, um Heranwachsende nachhaltig auf eine Welt ständig wechselnder Anforderungen vorzubereiten.

[...]


[1] Brosing (2007), S. 20

[2] vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung. (1995), S. 9

[3] Wahler (2000), S. 187

[4] ebd. S. 187

[5] Im weiteren Verlauf vorliegender Arbeit werden Schülerinnen und Schüler mit dem gängigen Akronym SuS abgekürzt.

[6] Hepting (2004), S. 9

[7] de Bruin (2004), S. 15

[8] Hedegen (2001), S. 49

[9] Dedering (2002), S. 28

[10] Grundlegung für das Unterrichtsfach Politik & Wirtschaft, Jahrgangsstufen 7-13: Aufgaben und Ziele des Fachs, S. 2

[11] vgl. Popp (2007), S. 30

[12] ebd. S. 30

[13] vgl. Gmelch (2001), S. 183

[14] Hedegen (2001), S. 49

[15] vgl. Lehrplan Politik & Wirtschaft an hessischen Gymnasien (G8), Jahrgangsstufe 9, S. 19

[16] vgl. Roth (2006), S. 15

[17] Prager & Wieland (2005), S. 7

[18] Anregungen entnommen in Anlehnung an nachstehende Quellen: „www.berufswahlpass.de; (Zugriff im August 2008)“ u. „www.perspektive-plus.de; (Zugriff im August 2008)“

[19] Gmelch (2001), S. 186

[20] Fachbereich II. In: Schulprogramm LGG, Nov. 2008, S. 16

[21] ebd. S. 16

[22] vgl. Lehrplan Politik & Wirtschaft an hessischen Gymnasien (G8), Jahrgangsstufe 7, S. 12

[23] Kraft Lehrplanänderungen 2008 – Politik & Wirtschaft (Stand: 19.06.2008) werden die projektlegitimierenden Stichpunkte „Aufbau einer Tageszeitung oder Entstehen einer Sendung, Analyse medialer Medien, Präsentationstechniken und ihre Wirkungen“ in den fakultativen Bereich verschoben.

[24] Um die Lerngruppen an gegebenen Stellen voneinander unterscheiden zu können, verwendet der Autor aus Gründen der Übersichtlichkeit die von den SuS gewählten Zeitungsnamen: „Hermes“, „Novus Nuntius“, „Youth of the day“ und „Schwarz auf weiß“ (s. Anhang E.7-E.10).

[25] vgl. Liebel (1984), S. 387; n. Reh, S. & Schelle C. (2009), S. 169

[26] Prager & Wieland (2005), S. 3

[27] ebd. S. 7

[28] vgl. Lenzen (1997), S. 27

[29] vgl. von Bothmer (2004), S. 25-26, Kranning (2003), S.41ff & Lenzen, A. (1997), S. 66ff

[30] vgl. Lenzen (1997), S. 66

[31] www.berufswahlpass.de; (Zugriff im August 2008)

[32] www.perspektive-plus.de; (Zugriff im August 2008)

[33] vgl. Lenzen (1997), S. 9-26

[34] vgl. Selzer (2001), S. 9-30

[35] vgl. Lehrplan Politik & Wirtschaft an hessischen Gymnasien (G8), Jahrgangsstufe 7, S. 12

[36] vgl. Selzer (2001), S. 9

[37] vgl. Brosing (2007), S. 20; Graichen (2002), S. 6-7; Pätzold & Wortmann (1999), S. 151

[38] vgl. Vonken (2005), S. 9-58 u. 174-188

[39] vgl. Graichen (2002), S. 5-36

[40] vgl. Selzer (2001), S. 9-30

[41] vgl. Lenzen (1998), S. 9-32 u. 50-55

[42] vgl. Graichen (2002), S. 5; Pätzold & Wortmann (1999), S. 151

[43] vgl. Lenzen (1997), S. 17; Bothmer (2004), S. 4

[44] Wirtz (1998), S. 13

[45] vgl. Kanning (2002), S. 11

[46] Lenzen (1997), S. 17; vgl. Kanning (2002), S. 15

[47] Lenzen (1997), S. 17

[48] von Bothmer (2004), S. 15

[49] Grammes (1995), S. 16

[50] vgl. Lenzen (1997), S. 28

[51] Meyer (1987), S. 402

[52] Gmelch (2001), S. 182

[53] vgl. Hepting (2004), S. 67

[54] Gmelch (2001), S. 185

[55] vgl. Frey (2007), S. 119-125; Autenrieth (1998), S. 148

[56] Rademacher (2002), S. 51-68

[57] Rademacher (2002), S. 53

[58] Schierl (2001), S. 49-58; Klenk (2001), S. 89-94

[59] vgl. Klenk (2001), S. 91

[60] vgl. Grundlegung für das Unterrichtsfach Politik & Wirtschaft in den Jahrgangsstufen 7 bis 13: Aufgaben und Ziele des Fachs, S. 2

[61] de Bruin (2004), S. 15

[62] vgl. de Bruin (2004), S. 15; Schudy (2002), S. 12; Gmelch (2001)

[63] vgl. Schudy (2002), S. 12

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2009
ISBN (PDF)
9783863416362
ISBN (Paperback)
9783863411367
Dateigröße
5.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Kassel
Erscheinungsdatum
2012 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Sozialkompetenz Methodenkompetenz Berufsorientierung Gymnasium Projektarbeit

Autor

Marcus Marten wurde 1978 in Göttingen geboren und lebt inzwischen wieder in seiner Geburtsstadt. Nach seinem Abitur 1998 und dem Zivildienst arbeitete er, nach erfolgreich absolvierter Ausbildung zum Industriekaufmann, für neun Monate im Vertrieb eines europaweit agierenden Unternehmens und entschloss sich dann zum Studium der Fächer Biologie und Politik-Wirtschaft für das gymnasiale Lehramt an der Universität Kassel. Während seines Studiums arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft in der Biologiedidaktik der Universität Kassel, wirkte im Rahmen eines DFG-Projekts an einer Videoanalyse von Diskussionsprozessen zwischen Grundschülern zur Erhebung biologischer und mathematischer Kompetenzen mit und entwickelte in diesem Kontext bereits ein frühes Interesse für eine Kompetenzorientierung von Schülerinnen und Schülern im Unterrichtsalltag. Aus diesem Kontext ergab sich die Motivation für die vorliegende Studie, in welcher er exemplarisch auf eine mögliche Kompetenz- und Berufsorientierung im Unterricht Politik-Wirtschaft eingeht. Nach seinem Referendariat am Ludwig-Georgs-Gymnasium im Studienseminar Darmstadt unterrichtet der Autor inzwischen als Studienrat am Jacobson-Gymnasium in Seesen und schreibt neben seiner beruflichen Tätigkeit an einer externen Promotion im Bereich der Verhaltensbiologie an der Universität Potsdam.
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Titel: Berufs- und Handlungsorientierung im Unterricht Politik & Wirtschaft: Ein Projekt zur Förderung der Sozial- und Methodenkompetenz
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