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Funktionsverbgefüge im Deutschen: Computerlexikographische Probleme und Lösungsansätze

©2008 Diplomarbeit 226 Seiten

Zusammenfassung

Diese Studie leistet zunächst eine umfassende Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zum Thema „Funktionsverbgefüge“. Nach einer Auflistung der wichtigsten Kriterien und einer darauf aufbauenden Definition, folgt eine groß angelegte Datensammlung und Frequenzanalyse anhand aufwendiger Internet- und Korpusrecherchen, u. a. im TIGER- und im DWDS-Korpus. Es folgt die Klassifizierung von mehr als 2000 extrahierten deutschen Funktionsverbgefügen nach ihrer Paraphrasierbarkeit. Hierbei wird die Gesamtmenge der extrahierten Daten in acht Äquivalenzklassen eingeteilt. Besonders wichtig erscheinen hierbei die Klassen der „Basisverben“ (im Aktiv oder auch im Passiv), der „Basisadjektive“ und der „Basissubstantive“ (mit Kopula „sein“ oder „werden“). Diese Arten der Paraphrasierung dürften nämlich für verschiedenste NLP- Anwendungen wichtig und nützlich sein. Auf einige Probleme bei der semantischen Auswertung und beim Transfer von Funktionsverbgefügen im Rahmen der Maschinellen Übersetzung (MÜ) wird in einem Extrakapitel eingegangen. Das Computerlexikon HaGenLex wird in einem Exkurs kurz beschrieben, ebenso die Transformation einer Auswahl von ca. 450 Funktionsverbgefügen in eine Vorstufe von Lexikoneinträgen im HaGenLex anhand eines hierfür entwickelten Java-Programms. Dass Funktionsverbgefüge kein speziell deutsches, sondern offenbar ein universelles Sprachphänomen sind, wird in einem Extrakapitel ausführlich dargestellt und anhand zahlreicher Beispiele aus anderen Sprachen belegt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung
1.1 Motivation
Die vorliegende Arbeit entstand vor dem Hintergrund, daß das vom Fachbereich
IICS (Intelligente Informations- und Kommunikationssysteme) der FernUnversit¨at
in Hagen entwickelte Dom¨anen-unabh¨angige Computerlexikon f¨ur die deutsche
Sprache, HaGenLex
1
, um die sogenannten Funktionsverbgef¨uge erweitert werden
soll. Das Ziel war hierbei, daß der WOCADI-Parser des Fachbereichs IICS k¨unftig
auch Funktionsverben und Funktionsverbgef¨uge (abgek¨urzt: FVG ) korrekt verar-
beiten kann.
Dadurch soll erreicht werden, daß das System unterscheiden kann zwischen
"
einen
Antrag stellen" und
"
etwas auf den Tisch stellen", d.h. daß der Parser das Funktions-
verbgef¨uge
"
einen Antrag stellen" als ein solches erkennt und mit seinem Synonym
"
beantragen" gleichsetzt. Also muß vom Parser erkannt werden, daß in diesem Fall
das Verb
"
stellen" eine andere Bedeutung hat als in
"
etwas auf den Tisch stellen",
n¨amlich nicht die
"
normale" Bedeutung. Auf die semantische Abschw¨achung des
Verbs in Funktionsverbgef¨ugen werde ich an anderer Stelle noch ausf¨uhrlich einge-
hen, da sie das wichtigste Merkmal dieser sprachlichen Konstruktion ist.
Eine wichtige Rolle spielt die richtige Analyse und Behandlung der Funktions-
verbgef¨uge f¨ur die korrekte Verarbeitung von Anfragen in sogenannten semanti-
schen Frage-Antwort-Systemen (FAS, engl. QA systems). Dies ist zum Beispiel der
Fall bei den vom Fachbereich IICS der FernUniversit¨at Hagen entwickelten Frage-
Antwort-Systemen
"
InSicht" und
"
InSicht-W3" sowie in dem Mensch-Maschine-
Interface
"
NLI-Z39.50" des Fachbereichs IICS zur nat¨urlichsprachlichen Informa-
tionssuche und Literaturrecherche im Internet.
Von großer Bedeutung ist die ad¨aquate Analyse und Behandlung derartiger sprach-
licher Konstruktionen auch bei der Maschinellen ¨
Ubersetzung, f¨ur ihre korrekte
¨
Ubertragung von der jeweiligen Quellsprache in die Zielsprache.
1
HaGenLex ist ein Akronym f¨ur HAgen GErmaN LEXicon
1

Nicht zuletzt deshalb hat wohl in den letzten Jahren das Interesse an den Funk-
tionsverbgef¨ugen sowohl in der Informatik und Computerlinguistik als auch in der
traditionellen Linguistik eine enorme Zunahme erfahren.
1.2 Funktionsverbgef ¨uge im heutigen Deutsch
Die Verwendung und Neubildung von Funktionsverbgef¨ugen nimmt in der moder-
nen deutschen Umgangs- und Schriftsprache offenbar st¨andig zu, worauf auch in
der linguistischen und germanistischen Literatur hingewiesen wird. So heißt es et-
wa in der
"
Kontrastiven Lesegrammatik Deutsch - Thai"
2
von Noraseth Kaewwipat:
"
Der Nominalstil kann als eine der wesentlichen Entwicklungstendenzen des mo-
dernen Deutsch bezeichnet werden. (...) Durch die Akademisierung bzw. Verwis-
senschaftlichung der Sprache des ¨offentlichen Lebens vor allem seit der Mitte des
19. Jahrhunderts in Massenpresse und Verwaltungs- und Politiksprache wird die
Nominalisierung als Mittel zur Komprimierung des Satzbaus so auff¨allig und ge-
meinsprachlich, dass man vom Nominalstil sprechen kann.
Unter dem Nominalstil wird eine Ausdrucksweise, in der die nominalen Satzglieder
nicht nur erheblich zahlreicher, sondern auch die haupts¨achlichen Tr¨ager der Satz-
aussage sind, verstanden. Laut LEWANDOWSKI (1994) ist der Nominalstil eine
syntaktische Strategie in der Gegenwartssprache (...) mit Vorherrschen nominaler
Elemente im Satzbau gegen¨uber dem normalen Erwartungswert. (...)
Durch die Einw¨ande von etlichen Stillehren, Sprachkritikern und Sprachwissen-
schaftlern ist der Eindruck entstanden, dass der Nominalstil ein Hauptmerkmal des
Verfalls deutscher Sprache sei. VON POLENZ (1988) beschreibt die skeptische
Haltung dem Nominalstil gegen¨uber wie folgt: Mindestens seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts haben Deutschlehrer und Sprachkritiker vor dem deutschen Substan-
tivstil gewarnt und haben ihn vergeblich bek¨ampft, meist mit nur pauschalen Be-
gr¨undungen: Zu viele Substantive seien 'unsch¨ones', 'papierenes' Deutsch, 'Amts-
deutsch' usw. (...)
E. ENGEL (1922) schimpfte ¨uber die 'langgeschw¨atzten Denkw¨orter' auf -ung,
-heit und -keit, vor allem aber die 'Ungerei'. ¨
Ahnlich kritisch ¨außert sich L. REI-
NERS, der von den 'Zeitw¨orter auffressenden' Abstrakta auf -ung spricht (REI-
NERS 1943, 140) und die substantivierten Infinitive, 'diese als Hauptw¨orter ver-
2
Der genaue Titel lautet: Kontrastive Lesegrammatik Deutsch - Thai f¨ur den Unterricht Deutsch
als Fremdsprache in Thailand - Untersuchungen am Beispiel des Nominalstils.
2

kleideten Verben', als schwerf¨allig kennzeichnet (1951, 76) - alles unter der alar-
mierenden ¨
Uberschrift: 'Das Zeitwort stirbt!' " [
Kae07
]
Wie in diesem beispielhaften Zitat wird heute vielfach und ausdr¨ucklich betont, daß
der Nominalstil und somit auch die Funktionsverbgef¨uge charakteristisch f¨ur die
deutsche Gegenwartssprache sind und daß es keinerlei Grund mehr gibt, diese - wie
noch vor wenigen Jahrzehnten ¨ublich - als
"
schlechter Stil",
"
Nominalstil",
"
Um-
schreibungssucht",
"
Substantivitis",
"
Dingwortseuche",
"
Hauptw¨orterkrankheit",
"
Verbaphobie",
"
Sprachbeulen",
"
Verbalhypertrophien",
"
Zeitwortattrappen",
"
Funk-
tion¨arsdeutsch",
"
aus eins mach drei" und dergleichen zu kritisieren oder gar zu
verspotten. [
Sto06c
]
Allerdings heißt es auch heute noch in den aktuellen Empfehlungen der Wochen-
zeitschrift
"
DIE ZEIT" f¨ur angehende Journalisten (
"
DER WEG ZUM JOURNA-
LISTISCHEN SCHREIBEN"):
"
Vermeiden Sie Funktionsverbgef¨uge! Ersetzen Sie sie durch Vollverben! Also nicht
Bekenntnis ablegen , sondern bekennen , nicht Verzicht leisten , sondern
verzichten , nicht in Erw¨agung ziehen , sondern erw¨agen ." [
ZEI07
]
¨
Ahnliche Empfehlungen und Warnungen finden sich auch in zahlreichen Anleitun-
gen f¨ur die Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten, f¨ur die Erstellung technischer
Dokumentationen, f¨ur die Abfassung von Beh¨ordentexten, Pr¨ufungstexten, Inter-
netseiten, ¨
Ubersetzungsvorlagen und dergleichen. (cf. Kapitel 2.4)
Daraus wird ersichtlich, daß bestimmte Vorurteile der oben erw¨ahnten vorwissen-
schaftlichen Sprachkritik gegen¨uber dem Nominalstil und den Funktionsverbgef¨ugen
bis heute noch Bestand haben. Dabei handelt es sich hier - trotz aller abwertenden
und kritischen Meinungs¨außerungen
3
- um eine Realit¨at in der deutschen Gegen-
wartssprache, deren pauschale Ablehnung in keiner Weise gerechtfertigt erscheint.
Allenfalls k¨onnte vor einer ¨ubertriebenen Anwendung der Funktionsverbgef¨uge und
des Nominalstils gewarnt werden.
Weitgehend jedoch wird heutzutage anerkannt, daß Funktionsverbgef¨uge ihre eige-
ne Bedeutung und Funktion haben, die sie von den entsprechenden einfachen Ver-
3
Die wohl vernichtendste Kritik findet sich in Ludwig Reiners Stilfibel:
"
Die einfachste Spielart
der Hauptw¨orterkrankheit sind die Streckverben. Jedes Verbum kann man auseinanderstrecken,
indem man das Verbum in ein Hauptwort verwandelt und ein farbloses Zeitwort hinzuf¨ugt. Al-
so nicht: Ich bedauere, daß Sie das beschlossen haben, sondern: Ich gebe meinem Bedauern
Ausdruck, daß dieser Beschluß gefasst worden ist. Namentlich Menschen, die von Natur Lang-
weiler und Kanzleir¨ate sind, neigen zu dieser Form der Hauptw¨orterei. Sie sind zu faul, um zu
besprechen, zu pr¨ufen und zu unterscheiden. Sie treten in Erw¨agungen ein, sie nehmen die Sa-
che in Bearbeitung, sie stellen etwas unter Beweis ... und f¨allen schließlich - so Gott will - eine
Entscheidung. - Meiden Sie die Streckverben!"[
Rei51
]
3

ben (auch
"
basic verbs",
"
base verbs" oder
"
Basisverben" genannt) unterscheidet
und die den verbalen Vorgang in seiner besonderen Art und Weise charakterisiert:
die Aktionsart [
Eis06
]. Dieser Aspekt der Funktionsverbgef¨uge wird an anderer
Stelle noch n¨aher ausgef¨uhrt werden.
Daß dies jedoch nicht die einzige Funktion der Funktionsverbgef¨uge ist, wird unter
anderem von Angelika Storrer in ihrer Studie
"
Funktionen von Nominalisierungs-
verbgef¨ugen im Text" dargestellt und anhand von korpusbasierten Untersuchungen
belegt. [
Sto06b
], [
Sto06a
].
Manche Autoren zeigen sich mit Recht verwundert, angesichts der H¨aufigkeit von
Funktionsverbgef¨ugen in der geschriebenen und gesprochenen Sprache und damit
ihrer Bedeutung f¨ur die Sprachverarbeitung (Natural Language Processing), daß
dieses Ph¨anomen bislang von der Computerlinguistik so wenig beachtet und er-
forscht wurde. [
Faz05
]
In der Tat ist es sehr erstaunlich, daß zwar seit ¨uber vierzig Jahren eine intensive
Erforschung der Funktionsverbgef¨uge in etlichen Sprachen stattfindet und eine um-
fangreiche Literatur dar¨uber entstanden ist, daß jedoch die Computerlinguistik und
die Computerlexikographie erst in j¨ungster Zeit ein st¨arkeres Interesse an diesem
Thema zeigt.
Bisher allerdings sieht es eher so aus, als w¨urde dabei die Problematik viel zu stark
vereinfacht und die Komplexit¨at der Funktionsverbgef¨uge bei weitem untersch¨atzt.
[
Nor05
]
Dies liegt m¨oglicherweise an fehlendenden empirischen Studien auf der Basis aus-
reichend großer Korpora. Soweit solche Studien bislang ¨uberhaupt existieren, be-
schr¨anken sie sich meist auf die Untersuchung einiger weniger h¨aufig gebrauchter
Funktionsverben und Funktionsverbgef¨uge, wie etwa
"
kommen"und
"
bringen" im
Deutschen sowie
"
to take",
"
to give" und
"
to make" im Englischen.
So wird zum Beispiel erst in j¨ungster Zeit verst¨arkt die Frage aufgegriffen und unter-
sucht, ob es sich bei den Funktionsverbgef¨uge im Deutschen lediglich um Doublet-
ten der entsprechenden einfachen Verben, der sogenannten Basisverben, handelt.
In diesem Fall m¨ußten allerdings die Funktionsverbgef¨uge und die zugeh¨origen
Basisverben beliebig gegeneinander austauschbar sein. Die Ergebnisse erster em-
pirischer Studien anhand von Korpusanalysen sprechen eher dagegen. Diese Un-
tersuchungsergebnisse werden im Hauptteil dieser Arbeit noch eingehend er¨ortert
werden. [
Sto06a
], [
Gla06
]
Gegenstand und Ziel dieser Arbeit ist somit ein wichtiger und typischer Bestandteil
4

der deutschen Gegenwartssprache sowie dessen computerlexikographische Verar-
beitung.
1.3 Aufbau der Arbeit
In Kapitel 2.1 werden vorab einige in dieser Arbeit h¨aufiger verwendete Begriffe
vorgestellt und erkl¨art.
Im Kapitel 2.2 m¨ochte ich zun¨achst den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit,
die Funktionsverbgef¨uge, n¨aher beschreiben und sodann auf das Problem der Ab-
grenzung der Funktionsverbgef¨uge gegen¨uber den reinen Kollokationen einerseits
und den Idiomen andererseits eingehen. Anschließend werde ich verschiedene Defi-
nitionen des Begriffs
"
Funktionsverbgef¨uge" auff¨uhren, die sich in der linguistisch-
germanistischen Literatur finden, und schließlich meinen eigenen Definitionsver-
such vorstellen.
Kapitel 2.3 ist den syntaktischen, semantischen und textuellen Funktionen der Funk-
tionsverbgef¨uge gewidmet, wie zum Beispiel Darstellung der Aktionsarten, aktivi-
sche und passivische Funktionsverbgef¨uge, Verwendung von Funktionsverbgef¨ugen
zum Schließen sogenannter semantischer L¨ucken im lexikalischen System, ihre
Modifizierbarkeit, usw.
Kapitel 2.4 stellt einige typische Bereiche f¨ur die gezielte und geh¨aufte Verwen-
dung von Funktionsverbgef¨ugen vor, wie etwa die Sprache der Verwaltung und die
Wissenschaftssprache.
In Kapitel 3.1 wird die aufgrund der Forderung
"
Repr¨asentation nur der h¨aufig-
sten deutschen Funktionsverbgef¨uge" unumg¨angliche H¨aufigkeitsanalyse ausf¨uhr-
lich dargestellt und belegt.
Kapitel 3.2 erl¨autert und begr¨undet ausf¨uhrlich meine Vorgehensweise bei der Er-
stellung der Datensammlung, die dieser Arbeit zugrundeliegt.
Kapitel 3.3 legt meine Klassifizierung der Funktionsverbgef¨uge nach der Art ihrer
Paraphrasierungsm¨oglichkeiten dar.
Kapitel 4 gibt eine kurze Beschreibung des im Fachbereich
"
Intelligente Informations-
und Kommunikationssysteme" der FernUniversit¨at in Hagen entwickelten Compu-
terlexikons
"
HaGenLex" und des ebenfalls dort entwickelten WOCADI-Parsers.
Kapitel 5.1 beschreibt meine Aufbereitung der FVG-Beispielmenge im kompri-
mierten Format einer Excel-Tabelle.
5

Kapitel 5.2 stellt die Aufbereitung einer Auswahl aus dieser Beispielmenge in Form
von regimentierten Entailments sowie die Konvertierung in ein Parser-geeignetes
Format dar.
In Kapitel 5.3 folgen Beispiele f¨ur die Darstellung von Funktionsverbgef¨ugen in
HaGenLex.
Kapitel 5.4 beschreibt die automatische Transformation meiner Daten als Vorberei-
tung f¨ur die Weiterverarbeitung zu Lexikoneintr¨agen durch den Parser.
Kapitel 6 geht kurz auf Probleme und Schwierigkeiten ein, die bei der Aufberei-
tung und Verarbeitung des Datenmaterials auftreten k¨onnen, zum Beispiel durch
den bei manchen Funktionsverbgef¨ugen fehlenden Artikel und bei der Verarbeitung
von Komposita durch den Parser. Probleme ergeben sich auch bei der Paraphrasie-
rung und Behandlung von Funktionsverbgef¨ugen, die eine sogenannte
"
lexikalische
L¨ucke" schließen und bei mehrdeutigen Funktionsverbgef¨ugen.
In Kapitel 7 folgt eine Betrachtung ¨uber Funktionsverbgef¨uge als generelles Sprach-
ph¨anomen. Anschließend f¨uhre ich zur Demonstration jeweils einige Beispiele aus
anderen Sprachen auf, beginnend mit Beispielen aus der lateinischen Sprache als
Beleg daf¨ur, daß Funktionsverbgef¨uge keineswegs ein modernes, sondern sogar ein
uraltes sprachliches Ph¨anomen darstellen.
Kapitel 8 befaßt sich mit dem Problem der semantischen Auswertung und des
Transfers bei der Verarbeitung von Funktionsverbgef¨ugen im Rahmen der Maschi-
nellen ¨
Ubersetzung.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Ausblick auf k¨unftige Aufgaben
findet sich abschließend im Kapitel 9.
In den Anh¨angen A bis G ab Seite 105 findet sich zun¨achst eine Liste der Funk-
tionsverbgef¨uge, die ich im TIGER-Korpus gefunden habe (Anhang A), ferner
eine Aufstellung der wichtigsten Funktionsverbgef¨uge und ihrer Paraphrasen aus
dem DWDS-Korpus, dem TIGER-Korpus, der Literatur und diversen Internetquel-
len (Anhang B), sodann meine eigene Sammlung von Funktionsverbgef¨ugen zum
Funktionsverb
"
machen" einschließlich der zugeh¨origen Basisverben (Anhang C),
schließlich die Entailments zu einer Auswahl von Funktionsverbgef¨ugen aus der
Aufstellung im Anhang B (Anhang D), eine Zusammenstellung potentieller deut-
scher Funktionsverben (Anhang E), eine Aufstellung der h¨aufigsten deutschen Funk-
tionsverben (Anhang F) sowie eine Tabelle der laut einer W¨orterbuchanalyse h¨aufig-
sten deutschen Funktionsverben (Anhang G).
Den Abschluß bildet das Literaturverzeichnis.
6

2 Begriffe und Grundkonzepte
2.1 Linguistische Grundbegriffe und Definitionen
Zun¨achst m¨ochte ich einige wichtige linguistische Begriffe erl¨autern, die in dieser
Arbeit des ¨ofteren vorkommen.
Argumentstruktur
Der Begriff Argumentstruktur betont (im Gegensatz zum Valenzbegriff) die se-
mantischen Aspekte der Stelligkeit von Verben. Die Argumentstruktur erfaßt die
grammatisch (d.h. morphologisch und syntaktisch) relevanten Bedeutungsaspekte
von Pr¨adikaten.
Artikel, Nullartikel
Der Artikel ist der Bestandteil einer Nominaphrase, der die Referenzdeterminiert-
heit und die Quantifikation des durch diese Phrase beschriebenen Konzepts be-
stimmt. Neben dem bestimmten und dem unbestimmten Artikel wird in der Lin-
guistik und in der Automatischen Sprachverarbeitung (ASV) noch der sogenannte
Nullartikel (
"
" oder
"
") als Artikelform ohne sprachlichen Ausdruck eingesetzt,
um Nominalgruppen einheitlich behandeln zu k¨onnen (
"
Kinder" -
"
die Kinder").
Damit beginnt im Deutschen jede Nominalgruppe mit einem Artikel.
Disambiguierung
Unter Disambiguierung versteht man den Vorgang der Aufl¨osung von Mehrdeutig-
keiten beim Verstehen nat¨urlicher Sprache (durch den Menschen oder durch tech-
nische Systeme).
7

Idiom
Idiome bzw. idiomatische Wendungen sind syntaktisch komplexe Ausdr¨ucke, de-
ren Bedeutung nicht kompositional ist, d.h. sie kann nicht auf die Bedeutung der
Teilausdr¨ucke zur¨uckgef¨uhrt werden.
Kollokation
Als Kollokation (oder besser Kookkurrenz) bezeichnet man in der Linguistik das
geh¨aufte benachbarte Auftreten zweier lexikalischer Einheiten in einer ¨ubergeord-
neten Einheit, z.B. in einem Satz. Es besteht die Annahme, dass zwei Lexeme von-
einander abh¨angig (interdependent) sind, wenn sie auffallend h¨aufig gemeinsam
auftreten. Statistische Tests liefern Maße f¨ur die vermutete Abh¨angigkeit, wie zum
Beispiel diverse Varianten der mutual information oder likelihood ratio.
Komplement
Komplemente (auch Aktanten genannt) sind nicht-verbale Ausdr¨ucke (Nominal-
phrasen, Pr¨apositionalphrasen, Adverbphrasen, Nebens¨atze), die einen Verbalkom-
plex zu einem Satz s¨attigen. Im prototypischen Fall der Termkomplemente (Subjekt
und Objekte) sind sie nicht weglassbar und in der Form vom ¨ubergeordneten Verb
bestimmt. Sie bilden Argumente des Pr¨adikats und bezeichnen inhaltlich am Sach-
verhalt beteiligte Gr¨oßen. Komplemente bilden zusammen mit dem Verbalkomplex
und den Supplementen die prim¨aren Komponenten des Satzes. Im Gegensatz da-
zu stehen Adjunkte, welche nicht obligatorisch vom Verb gefordert werden und
deshalb freie Erg¨anzungen des Satzes bilden.
Kopula
Eine Kopula ist ein Hilfsverb wie z.B.
"
sein" oder
"
werden", welches das Subjekt
des Satzes mit einem als Pr¨adikat fungierenden Substantiv oder Adjektiv verbindet.
Lesart
Unter einer Lesart versteht man die Bedeutungsvariante eines mehrdeutigen Wortes
oder einer mehrdeutigen Wortgruppe.
8

Maschinelle ¨
Ubersetzung
Maschinelle ¨
Ubersetzung ist der Prozess des automatischen ¨
Ubersetzens einer
Sprache in eine andere durch einen Computer. Dabei wird die Rechenkapazit¨at des
Computers benutzt, um die Struktur (Syntax) und Semantik jeder Aussage bzw. je-
des Satzes des Ausgangstextes zu analysieren, diese Struktur in leicht ¨ubersetzbare
Einheiten aufzuteilen und eine Aussage von gleicher Struktur und Semantik in der
Zielsprache nachzukonstruieren. Es kann der Anspruch gestellt werden, die h¨ochste
Qualit¨at von ¨
Ubersetzung zu erreichen. Es gibt verschiedene Ans¨atze, diese Auf-
gabe zu l¨osen: Wort-f¨ur-Wort- ¨
Ubersetzung, direkte ¨
Ubersetzung, transferbasierte
¨
Ubersetzung, Interlingua-basierte ¨
Ubersetzung, wissensbasierte Ans¨atze, beispiel-
basierte Ans¨atze und die statistische ¨
Ubersetzung.
Metapher
Eine Metapher oder ein metaphorischer Ausdruck ist ein bildhafter Ausdruck, der
durch Bezeichnungs¨ubertragung zwischen zwei Begriffen mit gemeinsamen Bedeu-
tungskomponenten zustande kommt.
Nominalphrase
Eine Nominalphrase (Abk¨urzung NP) ist eine Phrase, die syntaktisch und seman-
tisch durch ein Nomen bestimmt wird. Sie f¨ullt im Satz entweder Subjekt- oder
Objektfunktion aus, kann aber auch Teil von Pr¨apositionalphrasen sein.
Paraphrase
Paraphrasierung ist die Umformung/Umformulierung eines sprachlichen Ausdrucks
(einer Phrase, eines Satzes) in einen bedeutungsgleichen (synonymen) Ausdruck,
dieParaphrase.
Phrase
Eine Phrase ist ein syntaktisch in sich geschlossener sprachlicher Ausdruck, dem
eine Bedeutung zugeordnet werden kann.
9

Pr ¨apositionalphrase
Eine Pr¨apositionalphrase (Abk¨urzung PP) ist ein nat¨urlichsprachlicher Ausdruck,
der syntaktisch die Form
<Pr¨aposition> <Nominalphrase> besitzt.
Synonym
Zwei Ausdr¨ucke heißen synonym oder Synonyme, wenn sie die gleiche Bedeutung
haben. Im engeren Sinne (also unter Einbeziehung von Konnotationen, d.h. Neben-
bedeutungen) gibt es keine echte Synonymie. Im weiteren Sinne ist Synonymie die
Identit¨at der deskriptiven Bedeutung.
Valenz
Valenz ist die F¨ahigkeit eines Lexems (z.B. eines Verbs, Nomens, Adjektivs), sei-
ne syntaktische Umgebung vorzustrukturieren, indem es anderen Konstituenten im
Satz Bedingungen bez¨uglich ihrer grammatischen Eigenschaften auferlegt. Unter
Valenz versteht man also die Eigenschaft von W¨ortern, bestimmte Erg¨anzungen
zu fordern, die man als Leerstellen auffassen kann, die wiederum von anderen
Konstituenten mit bestimmter syntaktisch-semantischer Funktion ausgef¨ullt werden
m¨ussen, damit eine vollst¨andige sprachliche Einheit (z.B. ein Satz) entsteht. Valenz
ist jedoch nicht rein syntaktisch, sondern h¨angt von der Semantik ab.
Vollverb
Als Vollverben bezeichnet man Verben, die im Gegensatz zu den Hilfsverben eine
eigene lexikalische Bedeutung besitzen und Handlungen, Zust¨ande oder Ereignisse
beschreiben.
2.2 Funktionsverbgef ¨uge: Begriffe und
Definitionen
2.2.1 Erste Vor ¨uberlegungen
Wof¨ur ist die Feststellung, ob es sich bei einer Wortverbindung um ein Funkti-
onsverbgef¨uge handelt oder nicht, ¨uberhaupt von Bedeutung? Zun¨achst, wie schon
10

erw¨ahnt, f¨ur die korrekte semantische Auswertung von nat¨urlichsprachlichen An-
fragen in sogenannten Frage-Antwort-Systemen (FAS), aber vor allem auch f¨ur die
Maschinelle ¨
Ubersetzung. Wenn n¨amlich das System nicht erkennen kann, daß das
Verb in diesem Fall nicht die Bedeutung des Simplexverbs hat (in der Literatur auch
als Vollverb oder Basisverb bezeichnet)
1
, sondern als Funktionsverb bzw. Streck-
verb
2
gebraucht wird, dann kann es keine korrekte ¨
Ubertragung in die Zielsprache
erzeugen.
Beispiele hierf¨ur sind S¨atze wie:
"
Der Richter kommt zur Verhandlung." vs.
"
Der Fall kommt zur Verhandlung."
"
Der Vater bringt den Tisch zum Rasen." vs.
"
Das Kind bringt den Vater zum Ra-
sen."
"
Das Haus steht auf einer Wiese." vs.
"
Das Haus steht zum Verkauf."
Die zahlreichen gegens¨atzlichen Thesen in der Literatur zur Existenz an sich sowie
zu den syntaktisch-semantischen Eigenschaften und Funktionen der Funktionsver-
ben sowie der Funktionsverbgef¨uge erscheinen zun¨achst schwer nachvollziehbar
und tragen nicht gerade zur besseren ¨
Ubersicht ¨uber dieses komplexe Thema bei.
Die Ursache dieser kontroversen Diskussion liegt m¨oglicherweise in der Vergan-
genheit, wie Peter Eisenberg [
Eis06
] im Zusammenhang mit seiner Kritik an der
seines Erachtens viel zu einseitigen
"
Betonung des engen Verh¨altnisses von FVG
und einfachen Verben" in der Literatur feststellt:
"
Diese ¨
Ubergeneralisierung eines teilweise bestehenden Zusammenhangs hat aus-
serlinguistische Gr¨unde. Die FVG sind ein Zankapfel zwischen Sprachkritik und
Sprachwissenschaft. Bevor sie einer eigentlichen grammatischen Analyse zug¨ang-
lich wurden, mussten sie erst einmal der vorschnellen Bewertung durch eine Sprach-
kritik entzogen werden, die in ihnen nicht viel mehr als Ausdruck inhaltsleerer Auf-
bl¨ahung sehen konnte. S¨amtliche einschl¨agigen Vokabeln vom seelenlosen B¨uro-
kratentum bis zum Verlust an Sinnlichkeit im technischen Zeitalter sind in diesem
Zusammenhang gefallen. Polenz' (1963) Apologie der FVG konzentrierte sich da-
her zun¨achst auf die Durchdringung des Zusammenhangs zwischen FVG (
>
Nomi-
nalstil
<
) und Verben. Das Ergebnis war (nat¨urlich), dass beide keineswegs dasselbe
leisten (s.u.). Dennoch war der Blick erst einmal besonders auf das Verh¨altnis zum
1
engl. full verb, basic verb oder main verb
2
engl. light verb bzw. support verb
11

einfachen Verb gerichtet." ([
Eis06
] S. 312)
Jedoch gibt es in letzter Zeit auch einen v¨ollig anderen Ansatz seitens der allgemei-
nen und vergleichenden Linguistik, wonach die Funktionsverben keineswegs
"
aus-
gebleichte" Vollverben darstellen, sondern es je nach Sprache etwa f¨unf bis zwanzig
Verben gibt, die entweder als Funktionsverben oder als Vollverben in Erscheinung
treten k¨onnen, je nachdem, welche Funktion sie im Text zu erf¨ullen haben. Hierbei
handelt es sich um ganz bestimmte Verben, die quer durch alle Sprachen vorhanden
sind.
Dies sind insbesondere die Verben f¨ur
"
kommen",
"
gehen",
"
nehmen",
"
schla-
gen",
"
werfen",
"
geben",
"
aufstehen",
"
fallen", und
"
tun" bzw.
"
machen".
([
But04
] S.18)
Diese Teilmenge von Verben k¨onnte man demnach als eine Art
"
Passepartouts"
ansehen, deren lexikalisch-semantische Eigenschaften so allgemein sind, daß sie
in einer Vielzahl von Kontexten verwendbar sind bzw. in zahlreiche verschiedene
Konstellationen hineinpassen. ([
But04
] S.18)
Besonders hervorgehoben wird bei diesem Erkl¨arungsversuch f¨ur die Existenz von
Funktionsverben und Funktionsverbgef¨ugen, daß sie dazu dienen, den durch das
entsprechende einfache Verb beschriebenen Vorgang st¨arker zu strukturieren oder
zu modulieren und hierbei insbesondere die kausative und die telische Aktionsart
auszudr¨ucken. ([
But03
] S.3)
Schließlich werden in diesem Zusammenhang die Funktionsverben als eine eige-
ne syntaktische Klasse bezeichnet, die leicht zu identifizieren ist: Sie haben klar
definierte syntaktische Eigenschaften, verbunden mit einem klar definierten - wenn
auch schwer charakterisierbaren - Beitrag zur Semantik. [
But03
]
Mehrwort-Pr ¨adikate
Wie in der Literatur ¨ofters erw¨ahnt, z.B. in einer Abhandlung ¨uber die automati-
sche Erkennung von sogenannten Mehrwort-Pr¨adikaten (multiword predicates,
abgek¨urzt MWP) [
Faz05
], gibt es eine generelle Tendenz in den Sprachen, diese
Mehrwort-Pr¨adikate bevorzugt um sehr h¨aufige Verben herum zu bilden, die ihrer-
seits dazu neigen, einen Metaphorisierungs-Prozeß zu durchlaufen.
Diese hier als
"
basic verbs" bezeichneten Verben beziehen sich typischerweise auf
zentrale Zust¨ande oder Handlungen im menschlichen Leben, also z.B.
"
legen",
"
ge-
ben",
"
stellen",
"
setzen", und ¨ahnliche Verben.
12

Ihr metaphorischer Gebrauch erzeugt eine ganze Reihe von erweiterten Bedeu-
tungen, wie etwa
"
Wert legen", zur Last legen, Nachdruck legen
"
einen Befehl geben", den Vorzug geben, Nachricht geben
"
unter Beweis stellen", in Frage stellen, zur Rede stellen
"
in Kenntnis setzen",
"
unter Druck setzen", in Brand setzen
"
eine Rede halten", Einzug halten, in Gang halten
"
in Betrieb nehmen",
"
zur Kenntnis nehmen",
"
Rache nehmen" usw.
Auf diese Weise ergibt sich aus derartigen Simplexverben, in Kombination mit den
verschiedensten Arten von Komplementen, eine große Vielfalt an Mehrwort-Pr¨adi-
katen und an verbonominalen Kombinationen bzw. Funktionsverbgef¨ugen als Teil-
menge der Mehrwort-Pr¨adikate. Hierbei gibt es einen gleitenden ¨
Ubergang vom
weniger bildhaften zum st¨arker bildhaften Gebrauch bis hin zur h¨ochsten Steige-
rung an Bildhaftigkeit, n¨amlich den idiomatischen Wendungen.
Mehrwort-Pr¨adikate bzw. Funktionsverbgef¨uge sind in vielen Sprachen weit ver-
breitet. Außer im Deutschen findet man sie auch im Englischen, im Franz¨osischen,
Spanischen, Finnischen, Persischen, Chinesischen, Japanischen, Urdu und Hindi,
wobei diese Aufz¨ahlung keineswegs ersch¨opfend ist.
3
Abzugrenzen von den Mehrwort-Pr¨adikaten bzw. den Funktionsverbgef¨ugen sind
die sogenannten Partikelverben, die ihrerseits eine weitere Untermenge der Mehrwort-
Pr¨adikate bilden und innerhalb der verschiedenen Sprachen weniger weit verbreitet
sind. [
Faz05
]
Wegen der gleitenden ¨
Uberg¨ange von den reinen Kollokationen mit w¨ortlicher Be-
deutung ihrer einzelnen Bestandteile ¨uber die metaphorischen Ausdr¨ucke bis hin zu
den idiomatischen Wendungen k¨onnen Mehrwort-Pr¨adikate bzw. Funktionsverb-
gef¨uge in Sprachverarbeitungssystemen nicht einheitlich behandelt werden. Denn
einerseits ist die unterschiedliche Semantik von bildhaften Ausdr¨ucken abh¨angig
vom Grad der Bedeutungsverschiebung ihrer Simplexverben in Bezug auf ihre Grund-
bedeutung, andererseits jedoch k¨onnen auch Wendungen, die als idiomatisch ange-
sehen werden, hinsichtlich ihrer semantischen Transparenz graduelle Unterschiede
aufweisen.
Die Frage, an welcher Stelle dieses gleitenden ¨
Ubergangs von w¨ortlicher zu bild-
hafter und zu idiomatischer Semantik sich eine solche verbonominale Kombination
3
cf. Kapitel 7
13

bzw. ein Funktionsverbgef¨uge befindet, ist ein grunds¨atzliches und offenbar noch
ungel¨ostes Problem bei der Erforschung der lexikalischen Eigenschaften der Funk-
tionsverbgef¨uge. [
Faz05
]
Syntaktisch-semantische Merkmale der Funktionsverbgef ¨uge
Funktionsverbgef¨uge sind semantisch zerlegbarer als Idiome, aber weniger zerleg-
bar als gew¨ohnliche Nomen-Verb-Verbindungen (Kollokationen)und liegen somit
semantisch in der Mitte zwischen Idiomen und Kollokationen.
Bei den Funktionsverbgef¨ugen tr¨agt normalerweise das Nomen mit seiner w¨ortli-
chen Bedeutung zum Ausdruck bei, w¨ahrend das Funktionsverb seine mehr oder
weniger ¨ubertragene Bedeutung beisteuert. Da ein Funktionsverb aber innerhalb ei-
ner Wortverbindung auch in seiner Grundbedeutung vorkommen kann, ist die Fest-
stellung, ob das Verb in einem ¨ubertragenen Sinne verwendet wird, wichtig f¨ur die
Entscheidung, ob es sich bei einer Wortverbindung um ein Funktionsverbgef¨uge
oder um eine gew¨ohnliche Kollokation handelt. [
Faz05
]
Ein syntaktisches Merkmal, das die Funktionsverbgef¨uge von anderen Wortverbin-
dungen abhebt, ist ihre Trennbarkeit bzw. die Bildung von Satzklammern. Dadurch
weisen sie sich als eine besonders enge Verbindung von Verb und Nomen aus. Al-
lerdings gibt es solche engen Verb-Nomen-Verbindungen nicht nur bei den Funkti-
onsverbgef¨ugen. [
Win95
]
Zwar ist die Abgrenzung von Funktionsverbgef¨ugen gegen¨uber gew¨ohnlichen Wort-
verbindungen oft sehr schwierig und in der linguistischen sowie germanistischen
Literatur teilweise ¨außerst umstritten, jedoch werden dort durchaus auch eine Reihe
von M¨oglichkeiten zur Differenzierung und Abgrenzung sowie einfache Testver-
fahren zur Disambiguierung aufgef¨uhrt und beschrieben.
Abgrenzungsmerkmale gegen ¨uber freien Nomen-Verb-Verbindungen
F¨ur die Abgrenzung gegen¨uber den freien Nomen-Verb-Verbindungen, den soge-
nannten reinen Kollokationen, gibt es neben der starken semantischen Reduzie-
rung des Verbs noch weitere, vorwiegend syntaktische Merkmale, wie beispiels-
weise eine eingeschr¨ankte Referenzierbarkeit, eine eingeschr¨ankte attributive Er-
weiterbarkeit, eine eingeschr¨ankte Anaphorisierbarkeit, eine eingeschr¨ankte Plura-
lisierungsm¨oglichkeit, einen festgelegten Artikel-Gebrauch und eine ¨außerst einge-
schr¨ankte Erweiterbarkeit durch einen attributiven Relativsatz.
14

Hierbei gilt gem¨aß Afsaneh Fazly [
Faz05
] ganz allgemein die Regel, daß der Grad
der syntaktischen Freiheit bei der Behandlung des direkten Objekts im Funktions-
verbgef¨uge unmittelbar den Grad der Erhaltung der urspr¨unglichen Bedeutung des
Funktionsverbs und damit auch seinen Beitrag zur semantischen Zerlegbarkeit des
Funktionsverbgef¨uge widerspiegelt.
Eine ¨ahnliche Einsch¨atzung findet sich in bei Ryan North in seiner Studie ¨uber die
automatische Meßbarkeit der Akzeptanz von Funktionsverbgef¨ugen ([
Nor05
]S. 8),
wobei er von der Annahme einer graduell unterschiedlichen
"
Leichtigkeit"(lightness)
der Funktionsverben (engl.
"
light verbs") ausgeht, beginnend beim
"
schweren" (engl.
heavy) Verb, d.h. dem in seiner w¨ortlichen Bedeutung gebrauchten Verb, bis hin zur
v¨ollig Abstraktion hiervon, dem
"
leichten" (engl. light) Verb.
Diese graduellen Unterschiede in den syntaktischen Einschr¨ankungen werden durch
folgende Beispiele [
Nor05
] demonstriert:
1.
"
Er gab ihr ein Buch." (freie Nomen-Verb-Verbindung, hier: ein realer Gegen-
stand wird in den Besitz ¨ubergeben.)
2.
"
Er gab ihr einen Rat." (Funktionsverbgef¨uge mit semantisch leicht reduziertem
Funktionsverb , hier: etwas Abstraktes wird ¨ubermittelt, jedoch gibt es keinen neuen
Besitzer.)
3.
"
Er gab ihr einen Kuß." (Funktionsverbgef¨uge mit stark reduziertem Funktions-
verb , hier: v¨ollige Abstraktion, weder eine ¨
Ubergabe noch ein neuer Besitzer.)
Als verl¨aßlichster Test f¨ur die Feststellung, ob man ein Funktionsverbgef¨uge oder
eine gew¨ohnliche Kollokation vor sich hat, wird allgemein in der Literatur der Test
auf Erfragbarkeit angesehen. Laut Dominique Batoux [
Bat00
] ist es sogar der ein-
zige wirklich zuverl¨assige Test f¨ur die Abgrenzung von Funktionsverbgef¨ugen ge-
gen¨uber freien Nomen-Verb-Verbindungen und f¨ur die Abgrenzung von Funktions-
verben gegen¨uber Vollverben. Alle anderen Tests hingegen seien nicht ausnahmslos
f¨ur s¨amtliche Funktionsverben g¨ultig und anwendbar.
Bei einem Funktionsverbgef¨uge im engeren Sinne ist es n¨amlich nicht m¨oglich, die
nominale Komponente zu erfragen, w¨ahrend dies bei einer Kollokation mit einem
Vollverb ohne weiteres m¨oglich ist.
Wenn jedoch nach dem Nomen nicht gefragt werden kann, es also nicht
"
erfrag-
bar" ist, dann kann es auch nicht - z. B. durch einen Relativsatz - von seinem
(Funktions)-Verb abgetrennt werden. Das jedoch heißt nichts anderes, als daß die-
ses Nomen mit seinem (Funktions)-Verb eine Einheit bildet, also eben tats¨achlich
ein Funktionsverbgef¨uge vorliegt und nicht etwa eine reine Kollokation. [
Bat00
],
15

[
Kuh94
], [
Win05
] et alii.
Dies soll anhand der folgenden Beispiele aus der Studie von Batoux [
Bat00
] gezeigt
werden.
Keine Erfragbarkeit des Nomens im Funktionsverbgef ¨uge:
Kai hat Mathilde eine Frage gestellt. - *Was hat er ihr gestellt?
Kai hat seinen Dank zum Ausdruck gebracht. - *Wozu/Wohin hat er seinen Dank
gebracht?
Erfragbarkeit des Nomens in freien Kollokationen:
Kai hat das Buch auf den Tisch gestellt. - Was hat er auf den Tisch gestellt?
Kai hat das Buch zum Lehrer gebracht. - Zu wem/Wohin hat er das Buch gebracht?
Abgrenzungsmerkmale gegen ¨uber idiomatischen Wendungen
Entscheidendes Merkmal f¨ur die Abgrenzung der Funktionsverbgef¨uge gegen¨uber
den idiomatischen Wendungen ist die viel st¨arker ausgepr¨agte Zerlegbarkeit (engl.
compositionality) der Funktionsverbgef¨uge in ihre einzelnen Bestandteile. Dagegen
wird bei den Idiomen dem gesamten Ausdruck eine Semantik zugewiesen, z.B. dem
Idiom
"
ins Gras beißen" in der Bedeutung
"
sterben". [
Kre04
]
Auch k¨onnen Idiome nur als Ganzes modifiziert werden, wie z.B. in dem Satz
"
Fr ¨uher oder sp¨ater beißen wir alle ins Gras" in der Bedeutung
"
Fr ¨uher oder
sp¨ater sterben wir alle". [
Kre04
]
Außerdem ist f¨ur sehr viele Funktionsverbgef¨uge geradezu typisch die Existenz ei-
nes Verbs, dessen Bedeutung weitgehend mit der des nominalen Komplements im
Funktionsverbgef¨uge ¨ubereinstimmt und mit dem das Funktionsverbgef¨uge para-
phrasiert werden kann. Dieses Verb wird vielfach in der Literatur und auch in
dieser Arbeit und in den Tabellen im Anhang als
"
Basisverb" (abgek¨urzt BV) be-
zeichnet. [
Hel01b
], [
Kre04
]
Kollokation vs. Funktionsverbgef ¨uge vs. Idiom
Die Funktionsverbgef¨uge sind oft quasi die Vorl¨aufer von mehr bildhaften Aus-
dr¨ucken (Bsp.:
"
auf die Nerven gehen",
"
auf den Nerv gehen",
"
auf den Geist ge-
hen",
"
auf den Keks gehen`",
"
auf den Wecker gehen" usw.). Es scheint demnach
16

einen fließenden ¨
Ubergang zu geben von Funktionsverbgef¨ugen mit einem Verbal-
abstraktum im Nominalteil ¨uber solche mit einem Konkretum im Nominalteil bis
hin zu solchen mit einem metaphorisch gebrauchten Konkretum im Nominalteil.
Dies ist bei Funktionsverben, die eine starke Reihenbildung aufweisen, vermutlich
durch Analogie bei der Bildung von Funktionsverbgef¨ugen zu erkl¨aren.
Jonas Kuhn [
Kuh94
] faßt die Funktionsverbgef¨uge mit den Idiomen zusammen zu
sogenannten
"
phraseologischen Mehrwortverbindungen, also Verbindungen, deren
Gesamtbedeutung sich nicht ohne weiteres kompositionell aus der Standardbedeu-
tung der beteiligten Lexeme erschließt." Bei den idiomatischen Wendungen steht
laut Kuhn die w¨ortliche Bedeutung der Teile nur noch in indirektem Zusammenhang
mit der Bedeutung des Ganzen. Dagegen steuert bei den Funktionsverbgef¨ugen nur
ein Teilglied (die Nominalphrase bzw. die Pr¨apositionalphrase) seine w¨ortliche Be-
deutung bei, w¨ahrend die anderen beteiligten Einheiten (das Funktionsverb) ihre
eigentliche Bedeutung verloren haben. [
Kuh94
]
Gem¨aß der Studie von Heike Winhart ¨uber die deutschen Funktionsverbgef¨uge
[
Win05
] w¨aren gewisse lexikalisierte Funktionsverbgef¨uge wie z.B.
"
den Garaus
machen" dennoch keine Idiome, da sie nicht unver¨anderlich und somit als seman-
tische Einheit zu sehen sind, sondern syntaktischen Prozessen unterworfen werden
k¨onnen, wie z.B. Aktiv-Passiv-Bildung. Hier wird unterschieden zwischen idioma-
tischen, lexikalisierten und produktiven Funktionsverbgef¨ugen . ([
Win05
] S.17)
F¨ur die Abgrenzung der Funktionsverbgef¨uge gegen¨uber den reinen Kollokationen
auf der einen und den Idiomen auf der anderen Seite werden in der linguistischen
und germanistischen Literatur mehrfach dieselben Testverfahren aufgef¨uhrt. Aller-
dings wird auch von fast allen Autoren betont, daß keiner dieser Tests ausnahmslos
g¨ultige Ergebnisse liefert. [
Kuh94
], [
But04
], [
Bat00
]
Brigitte Krenn [
Kre04
] schl¨agt daher einen von ihr extra f¨ur die Identifikation von
deutschen Funktionsverbgef¨ugen entworfenen Entscheidungsbaum als Abgrenzungs-
verfahren vor.
Die einzelnen in der Literatur immer wieder (z.B. in [
Kuh94
], in [
Bat00
], in [
Win05
],
in [
Hel01b
], in [
Lan05
], in [
Cal02
]) zur Abgrenzung und Identifizierung von Funk-
tionsverbgef¨ugen aufgef¨uhrten Kriterien und vorgeschlagenen Testverfahren sind
im wesentlichen folgende:
· 1. Erfragbarkeit (nicht gegeben beim FVG)
· 2. Passivierbarkeit (stark eingeschr¨ankt beim FVG)
· 3. Referenzierbarkeit (nicht gegeben beim FVG)
17

· 4. Pluralisierbarkeit
· 5. Zerlegbarkeit (nicht gegeben beim FVG)
· 6. Anaphorisierbarkeit (stark eingeschr¨ankt beim FVG)
· 7. Artikelgebrauch (Restriktionen beim FVG)
· 8. Numerus (Opposition beim Nomen im FVG aufgehoben)
· 9. Attributierbarkeit (¨außerst eingeschr¨ankt beim FVG)
· 10. Erweiterung durch attributiven Relativsatz (sehr eingeschr¨ankt beim FVG)
· 11. Negation mit
"
nicht" oder
"
kein" weitgehend festgelegt beim FVG
· 12. Keine Trennung von FVG-Nomen und FV durch
"
nicht" m¨oglich beim
FVG im eingeleiteten Nebensatz
· 13. FVG-Nomen obligatorisch
(bei Eliminierung ungrammatische oder semantisch ver¨anderte S¨atze)
· 14. ¨Ubergang vom Vollverb zum Funktionsverb ergibt quantitativ und quali-
tativ neue Valenzeigenschaften
· 15. FVG-Nomen als vorrangiger Tr¨ager der lexikalischen Bedeutung auch
Haupt-Valenztr¨ager im Satz
· 16. Funktionsverb und FVG-Nomen bilden jeweils Kommutationsreihen
· 17. Keine Substituierbarkeit des Funktionsverbs durch ein bedeutungs¨ahnli-
ches Verb
· 18. Substituierbarkeit des Funktionsverbgef¨uge durch das entsprechende Voll-
verb oder Adjektiv + Kopula
· 19. FVG-Nomen ist Verbalabstraktum oder Adjektivabstraktum
· 20. Permutierbarkeit der nominalen Komponente im Funktionsverbgef¨uge
· 21. Nominalisierung des Funktionsverbgef¨uges m¨oglich
(zumindest bei lexikalisierten Funktionsverbgef¨ugen )
· 22. Keine Nominalisierung des Funktionsverbs m¨oglich
· 23. Zeugma-Test negativ
(allenfalls bei semantisch ¨ahnlichen Funktionsverbgef¨ugen m¨oglich)
· 24. Eliminierbarkeit des Funktionsverbs (im abh¨angigen Satz)
· 25. Wechselseitige Substituierbarkeit von Adverb und Adjektiv beim FVG-
Nomen
18

· 26. Komplemente k¨onnen gleichzeitig vom Funktionsverb und vom Nomen
im Funktionsverbgef¨uge abh¨angen
· 27. W¨ortliche ¨Ubersetzung des Funktionsverbgef¨uges meist nicht m¨oglich
Zu fast allen dieser Kriterien gibt es jedoch Ausnahmen, so daß sie nur als Anhalts-
punkte f¨ur Abgrenzungs¨uberlegungen dienen k¨onnen. Darauf wird auch von den
meisten Autoren ausdr¨ucklich hingewiesen.
2.2.2 Definitionen in der linguistischen Literatur
Bereits die zahlreichen verschiedenen Bezeichnungen f¨ur Funktionsverben und Funk-
tionsverbgef¨uge scheinen ein Hinweis darauf zu sein, daß es sich hier um ein viel-
schichtiges und keineswegs einhellig beurteiltes sprachliches Ph¨anomen handelt.
Im Deutschen finden sich neben dem Begriff
"
Funktionsverben" auch die Be-
zeichnungen
"
Streckverben",
"
Schwellverben",
"
verblaßte Verben",
"
aussage-
lose Verben",
"
Nominalisierungsverben" und
"
St ¨utzverben" und dementspre-
chend neben dem Begriff
"
Funktionsverbgef ¨uge" auch die Bezeichnungen
"
Funk-
tionsverbf ¨ugung",
"
Funktionsverbformel",
"
nominale Umschreibung",
"
analy-
tische Verbalverbindung",
"
Streckform",
"
Schwellform",
"
Streckverbgef ¨uge",
"
Nominalisierungsverbgef ¨uge",
"
St ¨utzverbgef ¨uge" und
"
St ¨utzverbkonstrukti-
on". [
Her68
], [
Kuh94
], [
Win95
]
Manche deutsche Autoren verwenden den Begriff
"
Nominalisierungsverbgef¨uge"
als Oberbegriff f¨ur Funktionsverbgef¨uge (u.a.[
vP63
], [
Sto06b
]), mit den Subklassen
"
Funktionsverbgef¨uge" und
"
Streckverbgef¨uge", meist werden die Begriffe jedoch
synonym verwendet.
Im Englischen liest man neben
"
support verbs" auch von
"
light verbs" und ent-
sprechend neben
"
support verb constructions" auch von
"
light verb constructi-
ons". Gelegentlich findet man die Bezeichnung
"
collocational verb constructions"
(CVC) f¨ur die Funktionsverbgef¨uge. Sie wird unter anderem im deutschen TIGER-
Korpus verwendet.
Der Begriff
"
light verb" wurde 1965 von dem englischen Grammatiker Otto Jesper-
sen gepr¨agt, der damit den semantischen Unterschied zum
"
heavy verb" mit seiner
vollen Bedeutung betonen wollte. Denn eigentlich
"
nimmt" man ja keinen Spazier-
gang (take a walk),
"
gibt" man keinen Seufzer (give a sigh) und
"
hat" man keinen
Rauch (have a smoke).
Gelegentlich finden sich f¨ur Funktionsverben in der angels¨achsischen Literatur auch
19

die Bezeichnungen
"
stretched verb",
"
vector verb",
"
explicator verb",
"
thin verb",
"
semantically weak verb" oder
"
delexical verb", wobei die letzteren drei Begriffe
ebenso wie
"
light verb" die gewissermaßen fehlende Semantik der Funktionsver-
ben hervorheben sollen.
Vereinzelt werden die Begriffe
"
multiword predicates" (MWP) sowie
"
multiword
expressions" (MWE) in gleicher Bedeutung gebraucht, obwohl diese eigentlich
Oberbegriffe f¨ur komplexe Pr¨adikate ganz allgemein sind, also zum Beispiel auch
f¨ur die sogenannten Partikelverben.
Im Franz¨osischen ist die Rede von
"
verbes support",
"
constructions `a verbe
support" (CVS) oder allgemeiner von
"
locutions verbales".
Das Funktionsverb : Beschreibung und Definitionen in der linguistischen
Literatur
1.)
In der
"
Deutschen Grammatik" von Gerhard Helbig und Joachim Buscha, die
die Funktionsverben und die Funktionsverbgef¨uge in einem eigenen Kapitel sehr
ausf¨uhrlich beschreibt, werden die Funktionsverben im Kapitel
"
Klassifizierung der
Verben nach syntaktischen Kriterien" ([
Hel01b
]Kap.1.3) wie folgt definiert:
"
Funktionsverben, die nur im Zusammenhang mit einem nominalen Bestandteil
(Akkusativ oder Pr¨apositionalgruppe) als lexikalischem Pr¨adikatsteil vorkommen,
der die haupts¨achliche Bedeutung tr¨agt und mit dem sie zusammmen (als
"
Funkti-
onsverbgef¨uge") das Pr¨adikat bilden."
An anderer Stelle heißt es erg¨anzend:
"
Innerhalb des FVG ¨uben die FV vorwiegend eine grammatische Funktion aus und
haben ihre lexikalische Bedeutung weitgehend oder vollst¨andig eingeb¨ußt. Die ei-
gentliche Bedeutung des Pr¨adikats ist in die nominalen Glieder außerhalb des FV
(vor allem in Pr¨apositionalgruppen und Akkusative) verlagert, die Verbal- bzw. Ad-
jektivabstrakta sind und in der lexikalischen Bedeutung den entsprechenden Basis-
verben bzw. -adjektiven nahestehen bzw. entsprechen.
Obwohl die als FV auftretenden Verballexeme in anderen Kontexten auch als gleich-
lautende Vollverben vorkommen k¨onnen, haben sie als FV im FVG ihren semanti-
schen Gehalt stark reduziert, haben ihre lexikalische Bedeutung eingeb¨ußt und sind
zu grammatischen W¨ortern (wie die Hilfsverben) geworden.(...) Der Grammatika-
lisierung der FV entspricht eine Lexikalisierung des gesamten FVG. [
Hel01b
]
20

Weiter unten wird allerdings betont, daß das Funktionsverb im Funktionsverbgef¨uge
"
eine bestimmte - wenn auch sehr allgemeine - Bedeutung bewahrt, die zur Reihen-
bildung f¨uhrt:
in Frage / zum Ausdruck / zum Ausbruch / zur Ruhe / zum Abschluss / zur Anwen-
dung kommen
Abstand / Einblick / Einfluss / R¨ucksicht / in Besitz / in Empfang / zu Hilfe neh-
men".[
Hel01b
]
2.)
In seinem
"
Grundriss der deutschen Grammatik" behandelt Peter Eisenberg in dem
Kapitel 9.5 ausf¨uhrlich das Thema
"
Funktionsverben und Funktionsverbgef¨uge",
wobei er allerdings nur Konstruktionen mit einer Pr¨apositionalgruppe als Funkti-
onsverbgef¨uge ansieht.
Ausgeklammert werden von ihm Konstruktionen mit den Kopulaverben
"
sein" und
"
haben", wie etwa
"
in Aufregung sein" oder
"
zur Verf¨ugung haben". Diese werden
- wie bereits erw¨ahnt - auch von mir nicht als Funktionsverben angesehen und daher
hier nicht weiter behandelt.
Erstaunlicherweise werden jedoch auch Konstruktionen wie
"
Kenntnis bekommen"
oder
"
einem Irrtum unterliegen" aus der Betrachtung ausgeschlossen. Allerdings
wird dies nicht n¨aher begr¨undet, sondern nur vermerkt, es seien
"
Konstruktionen
mit
>
ausgebleichter
<
Bedeutung, die ein Nominal im Akk oder Dat regieren. Ein
Funktionsverb im engeren Sinne haben diese Konstruktionen nicht." [
Eis06
]
Vermutlich geht Eisenberg hierbei von einem relativ eng gefaßten Begriff von Funk-
tionsverben aus, indem er - in Abweichung von vielen anderen Autoren - eine Un-
terscheidung trifft zwischen Funktionsverben und Nominalisierungsverben.
Funktionsverben definiert Eisenberg als zweistellige Verben mit Subjekt und pr¨apo-
sitionalem Objekt (z. B. kommen, stehen, geraten) oder als dreistellige Verben mit
Subjekt, direktem und pr¨apositionalem Objekt (z. B. bringen, setzen, stellen). Er
f¨ahrt fort:
"
Alle diese Verben haben eine lokale bzw. direktionale Grundbedeutung, sind hier
aber offenbar in einer abgeleiteten Bedeutung verwendet. Weil die abgeleitete Be-
deutung mit einem charakteristischen syntaktischen Verhalten zusammengeht, fasst
man die Verben unter einer besonderen Bezeichnung zusammen und nennt sie Funk-
tionsverben (Polenz 1963). Sollte sich
>
Funktionsverb
<
(FV) als grammatische
Kategorie erweisen, w¨are sie als Wortkategorie neben den Vollverben, Kopulaver-
21

ben und Modalverben anzusiedeln. Zu den Charakteristika der Funktionsverben
geh¨ort eine besonders enge Bindung an die Pr¨apositionalgruppe. Funktionsverb und
PrGr bilden gemeinsam ein sogenanntes Funktionsverbgef¨uge (FVG)." [
Eis06
]
3.)
In ihrer Dissertation ¨uber Funktionsverbgef¨uge im Deutschen anhand korpusgest¨utz-
ter Daten
4
betont Heike Winhart, daß es sich bei den sogenannten Funktions-
verben ihrer Ansicht nach keineswegs um eine selbst¨andige Klasse von Verben,
sondern durchweg um
"
non-manner"-Verben handelt und daß sich nur wenige der
entsprechenden Vollverben detransitivieren oder dedirektionalisieren lassen. Au-
ßerdem zeigt sie, daß die Funktionsverben, also der verbale Teil der Funktions-
verbgef¨uge, die grammatikalischen Eigenschaften der entsprechenden Vollverben
besitzen und daß auch die Nominalisierungen innerhalb der Funktionsverbgef¨uge
sich analog zu Nominalisierungen außerhalb von Funktionsverbgef¨ugen verhalten.
[
Win95
]
Der in der Literatur verbreiteten These, die Funktionsverben seien
"
semantisch re-
duzierte" Verben, wird von der Autorin entschieden widersprochen. Statt dessen
wird die in Funktionsverbgef¨ugen zu beobachtende enge semantische Verbindung
zwischen dem
"
Funktionsverb" und seinen Argumenten auf die (partielle) ¨
Uberein-
stimmung der semantisch-lexikalischen Strukturen von Verb und Nominalisierung
zur¨uckgef¨uhrt, durch die sich eine ¨
Ubereinstimmung der thematischen Rollen er-
gibt. Damit sind auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen bei akkusativischen
und pr¨apositionalen Funktionsverbgef¨ugen erkl¨art. [
Win95
]
Anstelle einer Definition des Begriffs
"
Funktionsverb", die es aus ihrer Sicht ohne-
hin nicht geben kann, da die Funktionsverben keine klar definierbare Klasse von
Verben darstellen, beschr¨ankt sich Winhart auf eine Beschreibung ihrer Eigenschaf-
ten und auf die Einteilung der Funktionsverben in verschiedene Verbklassen.
So lasse sich der Hauptteil der in der Literatur aufgez¨ahlten Funktionsverben ein-
ordnen unter Verben des Besitzes bzw. Besitzwechsels im weitesten Sinne (geben,
besitzen, bekommen, haben) und Verben der r¨aumlichen Bewegung und Lokali-
sierung (sich befinden, bleiben, bringen, gehen, gelangen, kommen, liegen, sein,
setzen, stehen, stellen, treffen, treten, versetzen, ziehen). [
Win95
]
Es folgt eine weitere Differenzierung der Funktionsverben bzw. der ihnen zugrunde
liegenden Vollverben in die folgenden Kategorien:
4
ben¨utzt wurde das COSMAS System des Instituts f¨ur deutsche Sprache, Mannheim
22

· Transportverben: bringen, f¨uhren, tragen
· Ortsver¨anderungsverben: setzen, stellen, versetzen, nehmen
· Bewegungsverben: gelangen, geraten, kommen, gehen
· Situierungsverben: befinden, bleiben, liegen, sein, stehen
· Besitzwechselverben: bekommen, erhalten, erteilen, geben
· Besitzverben: haben, halten
· Kreationsverben: machen
4.)
Brigitte Krenn definiert Funktionsverben in ihrer Anleitung zur Identifikation von
Funktionsverbgef¨ugen [
Kre04
] wie folgt:
"
Funktionsverben sind Verben, die im Vergleich zu ihren Vollverb¨aquivalenten
ihre Kernbedeutung aufgegeben oder verloren haben und vor allem Aktionsart und
Kausativit¨at ausdr¨ucken.
Es lassen sich eine Reihe von typischen Funktionsverben identifizieren, z.B.: gehen,
nehmen, setzen, sein, bleiben, lassen, kommen, bringen, stehen, stellen, geraten, etc.
Eine vollst¨andige Aufz¨ahlung von Funktionsverben ist jedoch nicht m¨oglich, da die
Verwendung von Vollverben als Funktionsverben produktiv ist." [
Kre04
]
5.)
Achim Stein kritisiert in seinem Beitrag zur Valenz komplexer Pr¨adikate [
Ste96
]
zun¨achst, daß die traditionelle germanistische Valenztheorie das Problem der Verb-
Substantiv-Verbindungen eher durch Ausgrenzung als durch Beschreibung l¨osen
w¨urde.
Unter Kritik am Ansatz und den seines Erachtens nicht ¨uberzeugenden Beispielen
von Gerhard Helbig [
Hel84
] f¨ahrt er fort:
"
Was die Semantik des Funktionsverbs
angeht, so kann man sicher nicht pauschal von einem Verlust der Bedeutung spre-
chen:
Selbst stark grammatikalisierte Funktionsverben wie das Paradigma sein, kommen,
bringen behalten zumindest einen Rest ihrer Grundbedeutung bei. Eine weitere
Ungenauigkeit der oben zitierten Auffassung
5
liegt darin, daß das Funktionsverb
undifferenziert mit dem
"
Vollverb" schlechthin verglichen wird, dem man eine
"
ur-
spr¨ungliche" Valenz zuspricht. Die meisten der an Verb-Substantiv-Verbindungen
5
gemeint ist hiermit [
Hel84
]
23

beteiligten Verben sind jedoch hochgradig polysem und verf¨ugen daher ¨uber unter-
schiedliche Valenzrahmen." [
Ste96
]
Das Funktionsverbgef ¨uge : Beschreibung und Definitionen in der
linguistischen Literatur
1.)
In der
"
Deutschen Grammatik" von Gerhard Helbig und Joachim Buscha findet
sich folgende Definition der Funktionsverbgef¨uge:
"
Ein FVG besteht aus einem
FV und einem nominalen Bestandteil (in der Regel Substantiv im Akkusativ oder
Pr¨apositionalgruppe), die beide zusammen eine semantische Einheit darstellen und
als solche das Pr¨adikat bilden. Das FV kann nicht ohne den nominalen Teil des
FVG vorkommen (und umgekehrt); dieser wird nach seinem Satzgliedcharakter als
lexikalischer Pr¨adikatsteil aufgefasst.
Diese semantische Einheit dr¨uckt sich auch darin aus, dass das FVG in der Bedeu-
tung weitgehend einem Vollverb oder einem Adjektiv (+ Kopula) entspricht (die
den gleichen Stamm haben wie das Nomen im FVG)." [
Hel01b
]
Im Anschluß an die Feststellung, daß der Grammatikalisierung der Funktionsverben
eine Lexikalisierung des gesamten Funktionsverbgef¨uge entspricht, folgt:
"
Mit die-
ser Lexikalisierung des FVG h¨angt es zusammen, dass auch der semantische Gehalt
der Pr¨aposition in pr¨apositionalen Gruppen als nominalen Komponenten des FVG
stark reduziert ist: Diese Pr¨apositionen ¨uben - ¨ahnlich wie in Pr¨apositionalobjekten
- eine kasusartige Funktion aus." [
Hel01b
]
2.)
Laut Peter Eisenberg[
Eis06
] ist der Begriff
"
Funktionsverbgef¨uge" viel unklarer
als der des Funktionsverbs selbst und bringt vor allem die besondere syntaktische
Beziehung zwischen Pr¨apositionalgruppe und Funktionsverb zum Ausdruck. Auf
keinen Fall sei
"
Funktionsverbgef¨uge " eine grammatische Kategorie.
Nach seiner Ansicht hat die Pr¨apositionalgruppe im Funktionsverbgef¨uge eine Pivot-
Struktur mit der Pr¨aposition als festem und dem Nominal als beweglichem Teil,
wobei die Position der Pr¨aposition zu ¨uber 90 Prozent von in oder zu besetzt wird
und das typische Nominal ein deverbales Nomen Actionis ist. In diesem Fall seien
Funktionsverbgef¨uge und Basisverb semantisch eng verwandt.
Allerdings gelte das l¨angst nicht f¨ur alle Funktionsverbgef¨uge. Vielfach fehle dieser
Bezug auf ein einfaches Verb oder es sei zumindest kein direkter Bezug vorhanden.
24

Daher k¨onnte man Funktionsverbgef¨uge auch als Phraseolexeme bezeichnen. In der
vorliegenden Arbeit werden die von Eisenberg hierzu aufgef¨uhrten Beispiele entwe-
der als durch Vollverben paraphrasierbare Funktionsverbgef¨uge oder - in ¨
Uberein-
stimmung mit anderen Autoren - als nicht paraphrasierbare Funktionsverbgef¨uge,
d.h. eine
"
lexikalische L¨ucke" schließende Funktionsverbgef¨uge, bezeichnet.
3.)
In seiner Abhandlung
"
Die Behandlung von Funktionsverbgef¨ugen in einem HPSG-
basierten ¨
Ubersetzungsansatz" gibt Jonas Kuhn die folgende Definition des Be-
griffs
"
Funktionsverbgef¨uge":
"
Ein Funktionsverbgef¨uge ist eine Wortverbindung aus Funktionsverb und nomi-
nalem Bestandteil, deren begriffliche Gesamtbedeutung sich aus dem nominalen
Bestandteil erschließt. Das Funktionsverb tr¨agt lediglich allgemeine semantische
Information wie Tempus, Aspekt, Aktionsart und Kausation bei." [
Kuh94
]
Laut Kuhn bilden die Funktionsverbgef¨uge eine
"
recht heterogene" Gruppe mit vie-
len Ausnahmen, die eine pr¨azise Analyse erschweren. [
Kuh94
]
Daher schl¨agt er eine Einteilung der Funktionsverbgef¨uge nach folgenden Kriterien
vor und belegt diese ausf¨uhrlich mit Beispielen:
· semantische Differenzierungen: Aktionsart, Kausation;
· morphosyntaktische Auspr¨agung;
· Artikelgebrauch;
· Abbildung der Argumentstruktur des Nomens auf die des Funktionsverbs;
· Referenzf¨ahigkeit des Nomens und Festigkeit der Wortverbindung.
4.)
Heike Winhart betrachtet in ihrer Dissertation ¨uber Funktionsverbgef¨uge im Deut-
schen diese
"
Verbindungen aus Verb und Nominalisierung" als
"
regul¨are Konstruk-
tionen, die allerdings aufgrund ihrer engen semantischen Bindung zum einen beson-
ders durchl¨assig f¨ur Extraktion sind (auf etwas eine Antwort geben, ¨uber etwas ins
Gr¨ubeln geraten), zum anderen zu Inkorporationsverhalten im weiten Sinne neigen
(Bezug nehmen, zur Vollendung bringen)." [
Win95
]
Den entscheidenden Unterschied, der die Funktionsverbgef¨uge aus vergleichbaren
Konstruktionen heraushebt, sieht Winhart in der im FVG enthaltenen Nominali-
sierung. Da das der Nominalisierung zugrunde liegende Verb oder Adjektiv eine
Argumentstruktur hat, k¨onnen diese Argumente mit den Argumenten des Funkti-
25

onsverbs assoziiert werden und dadurch ist dann die Paraphrasierung des Funkti-
onsverbgef¨uges durch das Basisverb oder das Basisadjektiv in Verbindung mit einer
Kopula m¨oglich. [
Win95
]
Die enge Verbindung zwischen Verb und Nominalisierung wird also auf die ¨
Uber-
einstimmung der lexikalisch-semantischen Strukturen zur¨uckgef¨uhrt, die eine ¨
Uber-
einstimmung der thematischen Rollen herbeif¨uhrt. Dies f¨uhrt gem¨aß Winhart zu
unterschiedlichen Verhaltensweisen bei akkusativischen und pr¨apositionalen Funk-
tionsverbgef¨ugen.
Akkusativische Funktionsverbgef¨uge:
Bei akkusativischen Funktionsverbgef¨ugen ist das Subjekt des Verbs gleichzeitig
das Subjekt der durch das Nomen ausgedr¨uckten Relation. Dadurch ergibt sich eine
Urheberrelation, durch die Kontraste beim Extraktionsverhalten wie zwischen eine
Antwort geben und eine Antwort widerlegen erkl¨art werden k¨onnen. [
Win95
]
Pr¨apositionale Funktionsverbgef¨uge:
Bei pr¨apositionalen Funktionsverbgef¨ugen ist die Assoziation der Rollen des Verbs
und der Nominalisierung entscheidend f¨ur die Interpretation. Die sogenannten Funk-
tionsverben verbinden sich in verschiedenen Lesarten mit verschiedenen Sorten ei-
ner Nominalisierung. [
Win95
]
5.)
Angelika Storrer unterscheidet in Anlehnung an von Polenz [
vP63
] in ihrer Ab-
handlung ¨uber die Funktionen von Nominalisierungsgef¨ugen im Text [
Sto06b
] zwi-
schen Nominalisierungsverbgef¨ugen (NVG) und Funktionsverbgef¨ugen (FVG), wo-
bei letztere eine Subklasse der NVG seien, die sich
"
durch eine systematisch be-
schreibbare Eigenbedeutung" auszeichnen. Gemeint ist hiermit eine
"
systematisier-
bare grammatische Funktion, z.B. Aspektwechsel oder Passivierung". [
Sto06b
]
Damit best¨unden die Nominalisierungsverbgef¨uge insgesamt einerseits aus den Funk-
tionsverbgef¨ugen und andererseits aus ihrer weniger pr¨azise definierbaren Kom-
plement¨armenge, n¨amlich denjenigen Nominalisierungsverbgef¨ugen, die sich nicht
durch grammatische Funktionen von den entsprechenden Basisverbkonstruktionen
unterscheiden. [
Sto06b
]
Allerdings weist sie selbst darauf hin, daß nicht alle Autoren diese Unterscheidung
zwischen NVG und FVG treffen, sondern meistens ein weiter gefaßter Begriff von
Funktionsverbgef¨ugen zugrunde gelegt wird.
26

6.)
Brigitte Krenn betont in ihrem
"
Manual zur Identifikation von Funktionsverb-
gef¨ugen und figurativen Ausdr¨ucken in PP-Verb-Listen" zun¨achst, daß
"
Lexikali-
sche Kollokationen Grenzph¨anomene sind, die mehr oder weniger und auf unter-
schiedliche Weise mit den generativen Regeln der Sprache brechen" und f¨ahrt dann
fort:
"
Funktionsverbgef¨uge (FVG) sind spezielle Verb-Objekt Kollokationen und
setzen sich aus einem sogenannten pr¨adikativen Nomen und einem Funktionsverb
zusammen. Die Funktion eines Funktionsverbgef¨uges ist die eines Pr¨adikates. Ent-
sprechend k¨onnen FVG oft mit einem Hauptverb paraphrasiert werden, z.B. zu Be-
such kommen
besuchen (Hauptverb). Hier ist zu bemerken, daß das pr¨adikative
Nomen vom Hauptverb abgeleitet ist besuchen
Besuch. Andere FVG k¨onnen
mittels einer Adjektiv-Kopula-Konstruktion paraphrasiert werden in Kraft treten
wirksam werden (Adjektiv-Kopula). Einige FVGs sind aktive Paraphrasen von Pas-
sivkonstruktionen wie z.B. zur Anwendung kommen (FVG, aktiv)
angewandt
werden (Hauptverb, passiv).
Das pr¨adikative Nomen ist ein abstraktes Nomen und bezeichnet eine Aktion, ein
Ereignis oder einen Zustand. (...) Ein wesentlicher Aspekt von FVG ist, daß die
Realisierung des Argumentrahmens im Vergleich zum Verb bzw. Nomen im FVG
variiert." [
Kre04
]
7.)
In seiner Studie zur Valenz komplexer Pr¨adikate beschreibt Achim Stein die Funk-
tionsverbgef¨uge wie folgt:
"
Bei ihnen bilden Verb und pr¨adikatives Substantiv ge-
meinsam das Pr¨adikat des Satzes. Das Substantiv tr¨agt den gr¨oßten Teil der seman-
tischen Merkmale, das Verb dient als Aktualisator und f¨ugt Kategorien wie Tempus,
Aktionsart und Kausativit¨at hinzu.
Zum einen gibt es Substantive, die nur mit einem oder zwei bestimmten Verben
kombinierbar sind (Abschied/Einblick/Notiz nehmen, Anklage/Protest/Vorw¨urfe er-
heben, in Anspruch nehmen), zum anderen verbinden sie sich mit einem weitgehend
stabilen Paradigma von Verben, die die verschiedenen Aktionsarten realisieren (..).
Weitere regelm¨aßige Beziehungen bestehen zwischen aktiven und passiven Kon-
struktionen (...)." [
Ste96
]
8.)
Im TIGER-Annotationsschema
6
werden Funktionsverbgef¨uge wie folgt definiert
und beschrieben:
6
http://www.ifi.uzh.ch/CL/volk/treebank-course/tiger-annot.pdf
27

"
Unter Funktionsverbgef¨uge (collocational verb construction) verstehen wir eine
Kombination aus Vollverb und Pr¨apositionalphrase. Dabei tr¨agt nicht das Verb, son-
dern das Nomen der Pr¨apositionalphrase die semantische Information. (...)
Typisch f¨ur Funktionsverbgef¨uge ist:
1. Es kann oft durch ein Verb ersetzt werden. (...)
2. Die Pr¨apositionen von Funktionsverbgef¨ugen sind fast immer zu oder in.
3. Das beteiligte Nomen kann in der Regel nicht ersetzt werden, ohne daß dabei der
Sinn ver¨andert wird.
4. Es handelt sich um eine kleine, geschlossene Klasse von bedeutungsschwachen
Verben mit direktionaler oder lokaler Grundbedeutung (stellen, setzen, bringen, ge-
raten, kommen, stehen, ...)."
2.2.3 Eigene Definition
Da es ganz offensichtlich in der Literatur einschließlich verschiedener Internet-
Quellen keine einheitliche und eindeutige Definition f¨ur den Begriff Funktionsver-
bgef¨uge (FVG) gibt, lege ich meiner eigenen Definition die Kriterien zugrunde, die
insgesamt am h¨aufigsten aufgef¨uhrt werden und solche, die mir dar¨uberhinaus be-
sonders einleuchtend erscheinen, n¨amlich:
1.) Ein Funktionsverbgef¨uge ist eine zweiteilige Konstruktion, bestehend aus einem
nominalen und einem verbalen Teil. Diese stellt eine inhaltliche Einheit dar und hat
die Funktion eines Pr¨adikates.
2.) Bei dieser Kombination eines scheinbaren Vollverbs mit einem nominalen Teil
kann das substantivische Element von unterschiedlicher Form sein:
a) ein Substantiv im Akkusativ
b) ein Substantiv im Dativ
c) ein Substantiv im Genitiv
d) ein Substantiv im Nominativ
e) ein Substantiv im Pr¨apositionalkasus
3.) Zentrales Merkmal ist ein Verb, das als gewissermaßen semantisch leer aufgefaßt
werden kann, d.h. es hat seine normale Bedeutung als Vollverb weitgehend verlo-
ren und ist im Funktionsverbgef¨uge reduziert auf eine grammatikalische Funktion,
n¨amlich die Darstellung von Tempus, Numerus, Modus, Person und Genus verbi.
4.) H¨aufig, aber durchaus nicht immer, ist das Funktionsverbgef¨uge paraphrasierbar
durch das im Verbalabstraktum inkorporierte Vollverb, das sogenannte Basisverb.
28

(Damit erkl¨art sich auch der Begriff Streckform f¨ur Funktionsverbgef¨uge, da die-
ses quasi als verl¨angerte Umschreibung f¨ur das entsprechende Vollverb angesehen
wird.)
Die Verben in denjenigen Funktionsverbgef¨ugen, die durch bedeutungsgleiche oder
zumindest durch semantisch ¨ahnliche Basisverben paraphrasierbar sind, habe ich
daher grunds¨atzlich als Funktionsverben betrachtet und in meine Funktionsverben-
Liste aufgenommen.
5.) Ein typisches Merkmal von Funktionsverbgef¨ugen ist die Verschmelzung von
Pr¨aposition und Artikel: in Frage kommen, in Arbeit gehen, zu Ende gehen, in Be-
trieb nehmen, zur Verf¨ugung stehen, zur Sprache bringen, usw..
Hierbei ist das Nomen nicht modifizierbar.
Weitere Kriterien f¨ur Funktionsverbgef¨uge sind, daß die Wortverbindung sozusagen
unvorhersehbar ist und außerdem keine w¨ortliche ¨
Ubersetzung der Wortverbindung
in eine Fremdsprache m¨oglich ist. Diese beiden Kriterien spielen eine besonders
wichtige Rolle bei der Maschinellen ¨
Ubersetzung sowie im Unterricht f¨ur Deutsch
als Fremdsprache. Im Klartext heißt das Kriterium
"
unvorhersehbar", daß die jewei-
ligen Funktionsverbgef¨uge beim Erlernen der Sprache einzeln zu lernen sind, also
wie Vokabeln, da es nicht m¨oglich ist, f¨ur diese Wortkonstruktionen feste Regeln
aufzustellen.
2.3 Syntaktische und textuelle Funktionen der
Funktionsverbgef ¨uge
2.3.1 Aktionsarten, Kausativit ¨at
Die wichtigste Leistung der Funktionsverbgef¨uge im Deutschen besteht laut dem
Grammatiker Peter Eisenberg
"
in der Kausativierung und der Signalisierung von
Aktionsarten." [
Eis06
]
Anhand des Beispielsatzes
"
Die Regierung bringt den Gesetzesentwurf zur Ent-
scheidung" erl¨autert er anschließend seine These, daß n¨amlich die wichtigsten deut-
schen Funktionsverben insgesamt ein geschlossenes semantisches System bilden
und f¨ahrt fort:
"
sie sind kausativ (bringen, setzen, stellen, nehmen), transforma-
tiv (kommen, bringen, geraten, setzen, stellen, nehmen) oder durativ (stehen,
halten)". ([
Eis06
]S. 317)
Auch in der Studie von Brigitte Krenn zur Identifikation von Funktionsverbgef¨ugen
29

wird betont, daß Funktionsverben Verben sind,
"
die im Vergleich zu ihren Voll-
verb¨aquivalenten ihre Kernbedeutung aufgegeben oder verloren haben und vor al-
lem Aktionsart und Kausativit¨at ausdr¨ucken." ([
Kre04
] S. 3)
Ebenso weist die
"
Deutsche Grammatik" von Gerhard Helbig und Joachim Bu-
scha im Zusammenhang mit der Feststellung, das Funktionsverb habe zwar seine
urspr¨ungliche lexikalische Bedeutung verloren, sei aber nicht nur Tr¨ager von mor-
phosyntaktischen Funktionen, sondern auch Tr¨ager von semantischen Funktionen
sehr allgemeiner Art, auf ihre Funktion hin, die Aktionsart auszudr¨ucken:
"
...es
dr¨uckt einen Zustand [dur], eine Zustandsver¨anderung [incho] oder das Bewirken
einer Zustandsver¨anderung (bzw. eines Zustands) [caus] aus - mitunter bei densel-
ben nominalen Bestandteilen im FVG:
sich in Abh¨angigkeit befinden [dur]
in Abh¨angigkeit kommen / geraten [incho]
in Abh¨angigkeit bringen [caus]
Angst haben [dur]
Angst bekommen [incho]
in Angst versetzen [caus] " [
Hel01b
]
Als weitere Belege f¨ur die Tatsache, daß die Funktionsverbgef¨uge auch und vor
allem die Funktion haben, die 4 Aktionsarten auszudr¨ucken, die im Deutschen
haupts¨achlich unterschieden werden, n¨amlich inchoativ (bzw. ingressiv), termina-
tiv (bzw. egressiv), continuativ (bzw. durativ) und neutral (d.h. weder Ver¨ande-
rung noch Fortdauer), seien hier noch die folgenden Funktionsverbgef¨uge-Varia-
tionen aufgef¨uhrt, die zus¨atzlich mittels der Pr¨aposition im pr¨adikativen Nomen die
inchoative (
"
in") bzw. die terminative (
"
außer") Aktionsart ausdr¨ucken:
in Betrieb gehen, nehmen, setzen (inchoativ)
in Betrieb sein (neutral)
in Betrieb bleiben, lassen (continuativ)
außer Betrieb gehen, nehmen, setzen (terminativ)
außer Betrieb sein (neutral)
außer Betrieb bleiben, lassen (continuativ)
Neben den Aktionsarten kann mit dem Funktionsverbgef¨uge auch die Kausati-
vit¨at ausgedr¨uckt und damit die Argumentstruktur um ein Argument, n¨amlich den
30

Verursacher, erh¨oht werden. [
Kre04
]
Entsprechend lassen sich die Funktionsverben in den obigen Belegen als kausativ
oder nicht kausativ klassifizieren:
nehmen, setzen, lassen : kausativ
gehen, sein, bleiben : nicht kausativ
Weitere Funktionsverbgef¨uge f¨uhrt Krenn als Belege daf¨ur auf, daß es
"
einerseits
FVG gibt, die eine Bandbreite von Aktionsart- und Kausativit¨atsvarianten bilden
und andererseits auch solche, die nur in einer einzigen Realisierung auftreten, wie
z.B. in Frage kommen, in Erscheinung treten, in Anspruch nehmen." ([
Kre04
] S. 4)
Andere Autoren unterscheiden noch weitere Aktionsarten im Zusammenhang mit
den Funktionsverbgef¨ugen , jedoch ergeben sich hierdurch keine wesentlichen Dif-
ferenzen zu den obigen Ausf¨uhrungen. Es handelt sich hierbei eher um terminologi-
sche Varianten oder Verfeinerungen bei der Benennung der Aktionsarten, also etwa
"
ingressiv" anstelle von
"
inchoativ" und
"
durativ" anstelle von
"
continuativ".
In meiner eigenen Tabelle deutscher Funktionsverbgef¨uge habe ich zur Kennzeich-
nung von Aktionsart und Kausativit¨at die folgenden Termini verwendet: inchoativ,
durativ, kausativ, neutral und ingressiv.
Manche Autoren weisen ausdr¨ucklich darauf hin, daß bei Konstruktionen wie
"
ins
Schwitzen kommen",
"
aus der Fassung geraten",
"
in Gang bringen" die Pr¨aposition
"
in" zum Ausdruck der inchoativen und die Pr¨aposition
"
aus" zum Ausdruck der
egressiven Aktionsart beitr¨agt, zus¨atzlich zum Funktionsverb. [
Bat00
]
Tatsache ist jedenfalls, daß f¨ur die Funktion, die Aktionsart oder die Kausativit¨at
auszudr¨ucken, ¨uberwiegend Funktionsverbgef¨uge verwendet werden, die eine Pr¨apo-
sitionalphrase enthalten und daß die jeweilige Pr¨aposition zumindest in dieser Rich-
tung unterst¨utzend wirken d¨urfte.
2.3.2 Ersatz f ¨ur Passivkonstruktionen
Mit Hilfe von Funktionsverbgef¨ugen mit bestimmten Funktionsverben ist es im
Deutschen prinzipiell m¨oglich, Passivkonstruktionen zu vermeiden und damit an-
stelle umst¨andlicher oder ungew¨ohnlicher Passivbildungen eine elegantere Aus-
drucksweise und st¨arkere Betonung zu erreichen. [
Bat00
]
Dabei entspricht jeweils dem Verbalsubstantiv im Funktionsverbgef¨uge ein zugeh¨ori-
ges Basisverb im Passiv.
31

Zur Paraphrasierung des Passivs eignen sich vor allem folgende Funktionsverben:
bekommen, erfahren, erhalten, finden, genießen, geraten, kommen, liegen, sich
zuziehen, stehen
Zur Illustration hierzu einige Beispiele:
einen Auftrag bekommen - beauftragt werden
eine Ver¨anderung/Unterst¨utzung/Anregung erfahren - ver¨andert/unterst¨utzt/ange-
regt werden
einen Rat/Hinweis/Nachricht erhalten - beraten/hingewiesen/benachrichtigt wer-
den
Anwendung/Anerkennung/Erw¨ahnung/Aufnahme finden - angewendet/anerkannt/
erw¨ahnt/aufgenommen werden
Beachtung/F¨orderung/Respekt genießen - beachtet/gef¨ordert/respektiert werden
in Verdacht/Gefahr/Erregung geraten - verd¨achtigt/gef¨ahrdet/erregt werden
zum Abschluß/zur Anwendung/in Bedr¨angnis kommen - abgeschlossen/angewen-
det/bedr¨angt werden
unter Beschuß liegen - beschossen werden
sich eine Verletzung/einen Tadel zuziehen - verletzt/getadelt werden
unter dem Einfluß/unter Beobachtung stehen - beeinflußt/beobachtet werden
aktivisch-passivische Gegensatz-Paare
Funktionsverben k¨onnen passivische oder aktivische Bedeutung haben. Daher gibt
es bei etlichen Funktionsverbgef¨ugen aktivische und passivische Varianten bzw.
Paarungen. Diese in der Literatur, vor allem der franz¨osischen linguistischen Li-
teratur, auch als
"
Konversen" bezeichneten Paarbildungen sind ¨ofters Forschungs-
gegenstand gesonderter Abhandlungen.
Im folgenden seien einige Beispiele f¨ur solche Gegensatz-Paare aufgef¨uhrt:
zum Abschluß bringen - zum Abschluß kommen
zur Diskussion stellen - zur Diskussion stehen
in Angst versetzen - in Angst geraten
in Betracht ziehen - in Betracht kommen
Geh¨or schenken - Geh¨or finden
Hilfe leisten - Hilfe finden
Zustimmung erteilen - Zustimmung finden
32

zu Protokoll geben - zu Protokoll nehmen
zur Kenntnis geben - zur Kenntnis nehmen
zur Kenntnis bringen - Kenntnis erhalten
in Kenntnis setzen - Kenntnis erlangen
in Versuchung f ¨uhren - in Versuchung geraten
Ansehen verleihen - Ansehen genießen
eine ¨
Anderung vornehmen - eine ¨
Anderung erfahren
2.3.3 Schließung semantischer L ¨ucken im lexikalischen
System
Etliche Funktionsverbgef¨uge im Deutschen haben ¨uberhaupt keine Entsprechung
in Form eines Vollverbs oder einer semantisch gleichwertigen oder ¨ahnlichen Kon-
struktion. Sie f¨ullen quasi eine semantische L¨ucke im lexikalischen System.
Dies belegen die folgenden Beispiele:
zur Verzweiflung bringen
zum Erliegen bringen
in Stellung bringen
in Einklang bringen
zur Geltung bringen
Rechenschaftsbericht erstatten
Strafanzeige erstatten
eine Abfuhr erteilen
einen Aufnahmebescheid erteilen
ein Gesetz durchf¨uhren
in Erinnerung bleiben
Einblick bekommen
Auftrieb bekommen
einen Fehltritt begehen
einen Mißgriff begehen
Hausfriedensbruch begehen
eine Kraft aus¨uben
einen Streich ausf¨uhren
Maßregeln ergreifen
Partei ergreifen
33

die Stimme erheben
Krieg f¨uhren
Regie f¨uhren
Buch f¨uhren
Aufschluß geben
zu Protokoll geben
in Konflikt geraten
in Panik geraten
Ordnung halten
Wort halten
Abstand halten
eine Rede halten
in Frage kommen
in Gang kommen
in Fahrt kommen
ins Gerede kommen
in Betracht kommen
Gesellschaft leisten
Wehrdienst leisten
einen Meineid leisten
Karriere machen
Stellung nehmen
Abstand nehmen
in Angriff nehmen
in Dienst stellen
zur Disposition stellen
in Frage stellen
Vorkehrungen treffen
Maßnahmen treffen
in Gang setzen
außer Kraft setzen
in Aussicht stellen
in Panik versetzen
in Betracht ziehen
in Mitleidenschaft ziehen
Viele dieser und weiterer nicht paraphrasierbarer Funktionsverbgef¨uge kommen so-
gar besonders h¨aufig vor, gerade auch in der gesprochenen Sprache und in der Um-
34

gangssprache.
Auffallend viele Funktionsverbgef¨uge dieser Art weisen als Nominalkomponente
des Verbgef¨uges ein Kompositum auf. Auf die mit Komposita gebildeten Funkti-
onsverbgef¨uge, deren Aufz¨ahlung beliebig erweiterbar w¨are, werde ich an anderer
Stelle noch n¨aher eingehen.
2.3.4 Modifizierbarkeit
Eine wichtige Eigenschaft der Funktionsverbgef¨uge ist ihre Modifizierbarkeit, bei-
spielsweise durch adjektivische Attribute, durch Bildung von Komposita und durch
Relativs¨atze. Damit sind sie nicht nur spezifischer, sondern auch flexibler als die
entsprechenden einfachen Verben, wie sich an folgendem Beispiel aufzeigen l¨aßt:
Funktionsverbgef¨uge : Unterricht erteilen
Basisverb: unterrichten
1.) Attribute
Unterricht erteilen
Modifikation des Funktionsverbgef¨uges durch Adjektiv-Attribute, evtl. zus¨atzlich
mit Adverb, ist m¨oglich:
(sehr) guten, (¨außerst) schlechten, (v¨ollig) kostenlosen, (bewundernswert) enga-
gierten, h¨auslichen, schulischen, lebendigen, fesselnden, programmierten, fremd-
sprachlichen, naturwissenschaftlichen usw. Unterricht erteilen
unterrichten
Modifikation des Basisverbs durch Adverbien ist m¨oglich (mit deutlichen Einschr¨ankun
gen):
((sehr) gut, (¨außerst) schlecht, (v¨ollig) kostenlos, (bewundernswert) engagiert, *h¨aus-
lich, *schulisch, fesselnd, *programmiert, *fremdsprachlich, *naturwissenschaft-
lich usw. unterrichten
2.) Komposita
Unterricht erteilen
Modifikation des Funktionsverbgef¨uges durch Bildung von Komposita ist m¨oglich:
Einzelunterricht, Gruppenunterricht, Privatunterricht, Flugunterricht, Reitunterricht,
Sportunterricht, Deutschunterricht, Klavierunterricht, Frendsprachenunterricht, Fern-
35

unterricht, Geschichtsunterricht, Nachhilfeunterricht usw. erteilen
unterrichten
eine Modifikation durch Kompositabildung ist beim Basisverb nicht m¨oglich, son-
dern allenfalls Umschreibungen mit Adverbial- oder Pr¨apositionalausdr¨ucken:
einzeln, gruppenweise, privat, im Fliegen (??), im Reiten (??), (das Fach) Sport, in
Deutsch (??), Klavier, Fremdsprachen, aus der Ferne, in Geschichte, als Nachhilfe-
lehrer usw. unterrichten
3.) Kumulierung von Attributen und Komposita
Unterricht erteilen
Die Modifikation durch Kompositabildung und Adjektiv-Attribute sowie Adverbien
kann bei Funktionsverbgef¨ugen problemlos kumuliert werden:
nur gelegentlichen, aber sehr effizienten und besonders erfolgreichen Franz¨osisch-
Nachhilfe-Einzelunterricht ¨außerst preiswert erteilen
unterrichten
Dagegen ist dies bei den korrespondierenden Basisverben nur sehr bedingt m¨oglich:
? nur gelegentlich, aber sehr effizient und besonders erfolgreich und ¨außerst preis-
wert als Nachhilfelehrer Franz¨osisch einzeln unterrichten
4.) Referenzierung und Anaphorisierung
Die Referenzierung und Anaphorisierung der Nominalphrase durch Relativsatz und
Pronomina ist per se nur beim Funktionsverbgef¨uge m¨oglich, nicht jedoch beim
Basisverb.
2.3.5 Textuelle Funktionen der Funktionsverbgef ¨uge
Wie unter anderem die korpusbasierte Fallstudie von Angelika Storrer ¨uber die
Funktionen von Nominalisierungsverbgef¨ugen im Text gezeigt hat, sind Funktions-
verbgef¨uge nicht einfach
"
semantische Doubletten" zu den entsprechenden Basis-
verben, sondern greifen bestimmte semantische Lesarten der Basisverbbedeutung
heraus, pr¨azisieren diese und differenzieren sie weiter aus. [
Sto06b
]
Diese gr¨oßere Spezifizit¨at der Funktionsverbgef¨uge erkl¨art auch bereits, daß die
beiden Konstruktionen, also Funktionsverbgef¨uge und zugeh¨origes Basisverb, kei-
neswegs beliebig austauschbar sind und daß sich die eine Konstruktion nicht immer
36

und in jedem Kontext mit Hilfe der anderen paraphrasieren l¨aßt.
Als Beispiele daf¨ur, daß das Funktionsverbgef¨uge semantisch spezifischer ist als das
korrespondierende Basisverb, f¨uhrt die Studie die beiden folgende Belege auf, in de-
nen gleichzeitig Funktionsverbgef¨uge und Basisverb vorkommen, wobei
"
das spe-
zifischere Nominalverbgef¨uge das unspezifischere Basisverb wieder aufgreift und
modifiziert:
1.) Schulmusiker aller Schularten haben seit den 1920er Jahren als Teilbesch¨aftigte
in Musikschulen unterrichtet und dort insbesondere Klassenunterricht erteilt und
Musiziergruppen geleitet.
2.) Systematisch unterrichten heißt im Ger¨ateturnen einen planvollen, geordneten,
wissenschaftlichen Unterricht zu erteilen, der gew¨ahrleistet, daß alle wertvollen
F¨ahigkeiten der Sch¨uler entwickelt...werden." ([
Sto06b
] S. 19)
Schon allein aufgrund derartiger Belege und der obigen Ausf¨uhrungen l¨aßt sich also
die Behauptung, es handle sich bei den Funktionsverbgef¨ugen um reine
"
Streckfor-
men", die sich von den Basisverbkonstruktionen nur durch pragmatische und stili-
stische Wirkungen unterscheiden, nicht aufrechterhalten.
Insgesamt jedoch ist folgendes festzustellen:
"
Die spezifischen Ausdrucksm¨oglichkeiten beider Konstruktionen lassen sich nur
anhand von authentischen Sprachdaten und an satz¨ubergreifenden Kontexten syste-
matisch analysieren und beschreiben. Speziell die Rolle der NVG
7
f¨ur die Koh¨asi-
on von Texten wird erst im konkreten Textzusammenhang erkennbar. Dies gilt f¨ur
die M¨oglichkeit der lexikalischen oder pronominalen Wiederaufnahme des pr¨adi-
kativen Nomens in NVG-Konstruktionen ebenso wie f¨ur die M¨oglichkeit, dieses
Nomen durch Attribute und Relativs¨atze zu modifizieren. Die Verf¨ugbarkeit digita-
ler und linguistisch aufbereiteter Textcorpora und entsprechender Suchwerkzeuge
vereinfacht derartige Analysen, auch wenn die Detailuntersuchungen immer noch
aufw¨andig sind ...". ([
Sto06b
] S. 25)
7
NVG = Nominalverbgef¨uge
37

2.4 Spezielle Anwendungsbereiche der
Funktionsverbgef ¨uge
2.4.1 Verwaltungs- und Beh ¨ordensprache
In Texten, die von Beh¨orden und Verwaltungen verfaßt werden, vor allem aber in
Gesetzestexten, ist die Verwendung von Funktionsverbgef¨ugen sehr ausgepr¨agt. Die
Entwicklung des Gebrauchs von Funktionsverbgef¨ugen in deutschen Gesetzestex-
ten seit Beginn des 18. Jahrhunderts wird in einer neueren empirischen Studie
ausf¨uhrlich dargestellt und anhand von insgesamt 462 einzeln aufgef¨uhrten Text-
stellen belegt. [
Sei04
]
Vermutlich steht hinter dem h¨aufigen Gebrauch von Funktionsverbgef¨ugen in der-
artigen Texten neben dem Bem¨uhen um Eindeutigkeit und Klarheit auch das Be-
streben, einer Mitteilung mehr Nachdruck und Gewicht zu verleihen.
Allerdings f¨uhrt in vielen F¨allen die Verwendung des Funktionsverbgef¨uges anstelle
des einfachen Basisverbs keineswegs zu einer Steigerung der Bedeutungsabstufung
und ist damit im Grunde ¨uberfl¨ussig. Vielmehr wird dadurch das Textverst¨andnis
sogar unn¨otig erschwert.
Nicht zuletzt deshalb gibt es in letzter Zeit Bestrebungen, auch seitens mancher
Beh¨orden selbst, im Zuge der Vereinfachung der Verwaltungssprache die unn¨otige
und ¨ubertriebene Verwendung von Funktionsverbgef¨ugen einzud¨ammen.
So wird zum Beispiel in den Richtlinien f¨ur die Verbesserung der Lesbarkeit und
Verst¨andlichkeit von Internet-Seiten in dem von der Europ¨aischen Union gef¨order-
ten internationalen Projekt BenToWeb
8
empfohlen, f¨ur die Optimierung von Internet-
Seiten bzw. -Texten auf die Verwendung von Funktionsverbgef¨ugen m¨oglichst weit-
gehend zu verzichten.
Auch im Rahmen der Projekte Sonderformulierte Pr¨ufungstexte (SPT) und Textop-
timierte Pr¨ufungsaufgaben zur Sicherstellung der beruflichen Erstausbildung (TOP)
wird f¨ur die Textoptimierung und -vereinfachung von Pr¨ufungstexten die Vermei-
dung von Funktionsverbgef¨ugen empfohlen, da diese f¨ur Menschen mit kommuni-
kativer Behinderung eine Sprachbarriere auf der Wortebene bilden w¨urden. Unter
anderem hiermit seien bereits ¨uber 23.000 Pr¨ufungsaufgaben so umformuliert wor-
den, daß der Pr¨ufungserfolg von mehr als 1100 Auszubildenden kaum noch durch
8
Das Akronym
"
BenToWeb" steht f¨ur
"
Benchmarking Tools and Methods for the Web",
ein Forschungsprojekt des Fraunhofer Instituts f¨ur Angewandte Informationstechnologie,
siehe http://bentoweb.org/home und http://pi7.fernuni-hagen.de/research/bentoweb/
38

Sprachbarrieren gef¨ahrdet war.
9
Die Empfehlung, Funktionsverbgef¨uge durch einfache Basisverben (
"
aussagestarke
Verben") zu ersetzen, findet sich h¨aufig auch im Zusammenhang mit Themen wie
"
Strukturierte Sprache",
"
Kontrolliertes Deutsch",
"
Kontrollierte Sprache",
"
Bar-
rierefreie Kommunikation" usw., die die Vereinfachung von Texten im Blickpunkt
haben.
Diese Textvereinfachung ist zum Beispiel erw¨unscht im Hinblick auf Leser und
Anwender mit eingeschr¨ankter Lesef¨ahigkeit, aber auch im Hinblick auf leicht-
verst¨andliche Anwendungsdokumentationen und auf eine bessere Verst¨andlichkeit
und ¨
Ubersetzbarkeit technischer Dokumentationen im Zeitalter der Globalisierung.
Sie bildet außerdem eine Grundlage f¨ur die Maschinelle ¨
Ubersetzung.
2.4.2 Fachsprachliche und wissenschaftliche Texte
Vermutlich das gleiche Bestreben, einer Aussage mehr Gewicht zu verleihen, aber
auch das Bem¨uhen um gr¨oßere Klarheit und Eindeutigkeit, liegt dem weit verbrei-
teten Gebrauch von Funktionsverbgef¨ugen in wissenschaftlichen Texten und allge-
mein in den Fachsprachen zugrunde. Hier ist die textuelle Funktion der Funktions-
verbgef¨uge im Deutschen und sicherlich auch in anderen Sprachen unverkennbar.
Da man in wissenschaftlichen Darstellungen in erster Linie nicht nach der in einem
Experiment oder in einer Studie t¨atigen Person oder ihren pers¨onlichen Einstel-
lungen, sondern nach der Methode, dem Prozeß oder dem Zustandekommen eines
Ph¨anomens oder einer Erkenntnis fragt, ist der Aspekt der Anonymisierung bzw.
Entpers¨onlichung zu gew¨ahrleisten, und zwar auch sprachlich. Zum Erreichen die-
ses funktional-pragmatischen Zieles k¨onnen verschiedene sprachliche Mittel einge-
setzt werden, unter anderem auch Nominalstil und Funktionsverbgef¨uge. [
Kae07
]
Die H¨aufung von Nominalisierungen in Form von Funktionsverbgef¨ugen ist Aus-
druck des Bestrebens nach Klarheit, aber auch nach ¨
Okonomisierung durch die
Komprimierung des Inhalts ganzer Wortgruppen in einem einzigen Wort und ganzer
S¨atze in einer einzigen Wortgruppe oder Phrase.
Beispiele hierf¨ur sind:
"
Hausfriedensbruch begehen" statt
"
den h¨auslichen Frieden empfindlich st¨oren"
"
einen Aufnahmebescheid erteilen" statt
"
mitteilen, daß ¨uber den Antrag auf Auf-
nahme eines Antragsstellers positiv entschieden wurde"
9
http://www.fst.uni-halle.de
39

"
Wiederbelebungsversuche anstellen" statt
"
mehrmals versuchen, wieder zu bele-
ben"
10
Diese syntaktische Kompression auf der Phrasen- und Satzebene bewirkt eine deut-
liche und an sich positiv zu beurteilende Reduzierung der Satzl¨ange und damit eine
textuelle Verdichtung. Andererseits wird hierdurch die Verst¨andlichkeit erschwert,
unter Umst¨anden sogar soweit, daß es zu einem hohen Rezeptionsaufwand, wenn
nicht sogar zu Informationsverlust beim Rezeptionsprozeß kommen kann, insbe-
sondere bei Nicht-Muttersprachlern. [
Kae07
]
Daher gibt es neuerdings Bestrebungen, die Lesbarkeit (im Sinne von Verst¨andlich-
keit) wissenschaftlicher und technischer Texte zu verbessern, zum Beispiel durch
einen m¨oglichst sparsamen Gebrauch von Funktionsverbgef¨ugen. Entsprechende
Hinweise finden sich zum Beispiel f¨ur die Abfassung von Dissertationen, Diplom-
arbeiten, Seminararbeiten und dergleichen auf Internet-Seiten deutscher Univer-
sit¨aten.
11
¨
Ahnlich wird von der Gesellschaft f¨ur technische Kommunikation (Tekom)
12
un-
ter dem Titel
"
Leitlinien zur Erzielung von Pr¨agnanz" die Empfehlung gegeben:
"
Vermeiden Sie Funktionsverbgef¨uge. Nicht: in Vorschlag bringen, sondern: vor-
schlagen. Aber: in Bewegung setzen."
13 14
Aber auch im Rahmen von Lehrveranstaltungen Technischer Universit¨aten zu The-
men wie
"
Anforderungsspezifikationen" wird ausdr¨ucklich vor der Verwendung
von Funktionsverbgef¨ugen bei der Abfassung solcher Spezifikationen gewarnt, weil
sie deren Lesbarkeit unn¨otig erschweren w¨urden.
In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache bemerkenswert, daß in einigen
Sprachen gleichzeitig mit der ¨
Ubernahme wissenschaftlicher und technischer Er-
kenntnisse und Errungenschaften die Verwendung von Funktionsverbgef¨ugen zu-
mindest im gehobenen Sprachgebrauch erheblich zugenommen hat. Bei diesen Funk-
tionsverbgef¨ugen handelt es sich sehr h¨aufig um Lehn¨ubersetzungen aus dem Eng-
10
z.B. einen Verungl¨uckten
11
z.B. http://www.uni-leipzig.de/ ialt/merkbl/mrk-wissarb.htm
und http://www.tfh-berlin.de/veranstaltungstechnik/abschlussarbeiten.htm, Allg.Hinweise:
"
Funktionsverbgef¨uge eher vermeiden (nicht: zur Anwendung bringen sondern: anwenden)."
12
http://www.tekom-rhein-main.de/
13
Vortrag
"
¨
Ubersetzungsgerechte Dokumentationserstellung" vom 18.3.2004, Folie Nr. 27
14
vgl. den Artikel
"
Texte auf ¨
Ubersetzbarkeit pr¨ufen, eine Checkliste" in der Zeitschrift
"
Technische
Dokumentation": 'aussagelose Verben finden sich v.a. in sog. Funktionsverbgef¨ugen mit Nomi-
nalstil, z.B. zur Durchf¨uhrung bringen, NEIN=gut, JA=schlecht'
http://www.doku.net/artikel/checkliste.htm
40

lischen. Ausf¨uhrlich wird diese sprachliche Entwicklung im historischen Zusam-
menhang einer zunehmenden
"
Verwissenschaftlichung" des Alltags in einer empi-
rischen Studie ¨uber Funktionsverbgef¨uge im Thail¨andischen er¨ortert und mit zahl-
reichen Beispielen belegt. [
Kae07
]
41

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2008
ISBN (PDF)
9783955496333
ISBN (Paperback)
9783955491338
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Schlagworte
Lexikon Funktionsverb Linguistik Paraphrase HaGenLex Computerlexikon

Autor

Nach dem Studium der Romanistik, der klassischen Philologie, der Informatik und Mathematik (mit dem Studienschwerpunkt künstliche Intelligenz) an den Universitäten München, Nantes und Hagen, bildete sich die Autorin zunächst im Bereich der Computerlinguistik weiter. Hierbei stand die Beschäftigung mit der Korpuslinguistik im Vordergrund. Seit 2010 erstellt die Autorin eine Datenbank deutscher Funktionsverbgefüge und Idiome sowie deren Paraphrasen. Diese Datenbank mit aktuell weit über 60.000 Datensätzen kann als lexikografische Ressource verschiedenste Anwendungsbereiche wie z. B. Übersetzungssoftware, Plagiaterkennungssoftware, Information Retrieval, Frage-Antwort-Systeme, Controlled Language, Autorenunterstützung Technische Kommunikation und nicht zuletzt DaF(Deutsch als Fremdsprache)-Unterrichtsmethoden ergänzend unterstützen.
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Titel: Funktionsverbgefüge im Deutschen: Computerlexikographische Probleme und Lösungsansätze
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