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Die Einkommensverteilung in West- und Ostdeutschland: Ist die Angleichung schon erfolgt?

©2011 Bachelorarbeit 43 Seiten

Zusammenfassung

Mit dem Fall der innerdeutschen Mauer am 09. November 1989 erfolgte die Vereinigung von der BRD und der DDR auf Bundesebene. Gleichzeitig war die territoriale Wiedervereinigung Deutschlands der Grundbaustein für eine wirtschaftliche Wiedervereinigung zwischen West- und Ostdeutschland. Mit in Kraft treten des Vertrages über die Wirtschafts-, Währungs- und
Sozialunion, ist schließlich eine Grundlage geschaffen worden, die wirtschaftliche Vereinigung zwischen West- und Ostdeutschland in Gang zu setzen.
Ein politisches Ziel der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung war zum einen die Angleichung ostdeutscher Lebensverhältnisse und zum anderen die Angleichung der Einkommenshöhe an das westdeutsche Niveau. Mehr als 20 Jahre später lässt sich erkennen, dass dieser Angleichungsprozess zwar schon Erfolge zu Gunsten des Ostens erzielen konnte,
die Höhe des Einkommens der ostdeutschen Bevölkerung aber weiterhin deutlich unter der Höhe des Einkommens der westdeutschen Bevölkerung liegt. Diese Tatsache bedingt eine nähere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik.
Die Zielsetzung dieser Arbeit besteht in der Analyse der unterschiedlichen Einkommensniveaus und der Einkommensverteilungen im Vergleich zwischen West- und Ostdeutschland, der Entwicklung bzw. Angleichung der Löhne und die für die Entwicklung verantwortlichen Ursachen und Gründe der Lohndispersion. Am Ende dieser Arbeit soll ein Fazit gezogen und ein Ausblick für die Zukunft aufgezeigt werden, welcher insbesondere auch den politischen Handlungsbedarf thematisiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


der Höhe des Einkommens der westdeutschen Bevölkerung liegt. Diese Tatsache bedingt
eine nähere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik.
Die Zielsetzung dieser Arbeit besteht daher aus der Analyse der unterschiedlichen Ein-
kommensniveaus und der Einkommensverteilungen im Vergleich zwischen West- und
Ostdeutschland, der Entwicklung bzw. Angleichung der Löhne und die für die Entwick-
lung verantwortlichen Ursachen und Gründe der Lohndispersion. Am Ende dieser Arbeit
soll ein Fazit gezogen und ein Ausblick für die Zukunft aufgezeigt werden, welcher ins-
besondere auch politische Handlungsbedarfe thematisiert.
2 Die Entwicklung des Einkommensniveaus seit dem
Mauerfall bis heute
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen zum Zeit-
punkt der Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland, soll in diesem Kapitel die
Entwicklung des Einkommensniveaus im Vergleich zwischen West- und Ostdeutschland
seit dem Mauerfall bis heute analysiert werden. Hierbei ist insbesondere interessant zu
beobachten, wie sich das Einkommensniveau in Westdeutschland auf der einen Seite und
das Einkommensniveau in Ostdeutschland auf der anderen Seite entwickelt hat. Unter
dem Begriff ,,Einkommensniveau" soll die in Geldeinheiten ausgedrückte Höhe des Ar-
beitsentgelts bzw. des Lohnes verstanden werden. Auf den Begriff ,,Einkommen" sowie
auf die Betrachtung der unterschiedlichen Einkommensarten wird im nächsten Kapitel
näher eingegangen.
2.1 Definition der unterschiedlichen Einkommensarten
Eine Abgrenzung des Begriffs ,,Einkommen", sowie die Festlegung unterschiedlicher Ma-
ße mit denen die Höhe des Einkommens ausgedrückt werden kann, ist insofern relevant,
als dass in der Literatur unterschiedliche Einkommensmaße zur Analyse und Entwick-
lung des Einkommensniveaus herangezogen werden. Der Begriff ,,Einkommen" wird in
dieser Arbeit als Lohn bzw. Gehalt verstanden, das eine natürliche Person aufgrund der
geleisteten abhängigen oder selbständigen Arbeit bezieht
1
. Das so definierte Einkommen
ist also mit dem Begriff des Lohnes bzw. des Gehaltes gleichzusetzen und wird in dieser
Arbeit auch synonym verwendet. Weiterhin sollen die nachfolgend genannten Einkom-
mensmaße eine Abgrenzung des Begriffs Einkommen, wie er in dieser Arbeit verwendet
wird, liefern. In der Literatur werden häufig folgende Einkommensmaße unterschieden:
1
eigene Definition des Begriffs Einkommen
5

· Bruttolohn
· Marktäquivalenzeinkommen
· äquivalenzgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen
· Tarif- und Effektivlohn
Das am häufigsten verwendete Maß zur Analyse des Einkommensniveaus stellt der
Bruttolohn, insbesondere der Bruttojahreslohn dar. Der Bruttojahreslohn bezeichnet
das Einkommen, das ein Angestellter vor Abzug von Steuern und Sozialabgaben im
ganzen Jahr erhält. Der Bruttolohn bzw. Bruttojahreslohn wird insbesondere von Bäcker,
G. / Jansen, A. (2009) als Maß zur Analyse der Entwicklung des Einkommensniveaus
herangezogen.
Ein weiteres Maß ist das so genannte Marktäquivalenzeinkommen. Das Marktäqui-
valenzeinkommen berechnet sich aus dem Markteinkommen der Haushalte, sowie einer
Äquivalenzgewichtung. Das Markteinkommen der Haushalte berücksichtigt Einkommen
aus abhängiger, sowie selbständiger Erwerbstätigkeit, als auch Vermögen, sowie priva-
ter Transfers aller Haushaltsmitglieder. Die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung
werden allerdings nicht zu den Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit dazugerech-
net. Da das Markteinkommen der Haushalte das Einkommen eines gesamten Haushal-
tes darstellt, wird dieses noch mit Hilfe einer Äquivalenzgewichtung auf die einzelnen
Haushaltsmitglieder herunter gerechnet. Die Äquivalenzgewichtung erfolgt mit Hilfe der
neuen OECD-Skala. Dabei erhält der Hauptbezieher des Einkommens einen Gewich-
tungsfaktor von 1. Alle weiteren Personen im Haushalt, die 15 Jahre oder älter sind,
bekommen einen Gewichtungsfaktor von 0,5 und Kinder unter 15 Jahren erhalten einen
Gewichtungsfaktor von 0,3. Das Markteinkommen der Haushalte wird also nicht durch
die Anzahl der Haushaltsmitglieder geteilt, sondern durch einen gewichteten Anteil der
einzelnen Haushaltsmitglieder. Durch diese Gewichtung können Mehrpersonenhaushalte
mit Einpersonenhaushalten verglichen werden, da die Gewichtung unter anderem die
unterschiedlichen Bedürfnisse von Erwachsenen und Kindern berücksichtigt (Sachver-
ständigenrat 2009; S. 310f).
Ähnlich dem Marktäquivalenzeinkommen setzt sich das äquivalenzgewichtete Haus-
haltsnettoeinkommen aus dem Haushaltsnettoeinkommen und der im vorherigen Absatz
beschriebenen Äquivalenzgewichtung zusammen. Will man das Haushaltsnettoeinkom-
men berechnen, dann zieht man vom Markteinkommen der Haushalte die Einkommens-
steuer, sowie die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der Arbeitnehmer ab und addiert
die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und vorhandene staatliche Transfer-
leistungen dazu. Anschließend wird das Haushaltsnettoeinkommen wieder mit der Äqui-
valenzgewichtung der neuen OECD-Skala gewichtet (Sachverständigenrat 2009; S. 310f).
6

Das Marktäquivalenzeinkommen, sowie das äquivalenzgewichtete Haushaltsnettoeinkom-
men, dienen zum Beispiel dem Sachverständigenrat (2009) als Maß für die Entwicklung
der Höhe des Einkommens und seiner Verteilung in West- und Ostdeutschland.
Zuletzt soll noch der Tariflohn und der damit verbundene Effektivlohn betrachtet wer-
den. Laut Schnabel, C. (1997; S. 63f) ist der Prozess der Lohnfindung in Deutschland
rechtlich im Prinzip der Tarifautonomie verankert. Das bedeutet, das Zusammenschlüsse
von Arbeitgebern, auch Arbeitgeberverbände genannt, sowie unabhängige Gewerkschaf-
ten, welche sich aus abhängig Beschäftigten zusammensetzen, selbständig diverse Ar-
beitsbedingungen regeln, ohne das der Staat sich in diese Angelegenheit einmischen muss.
Ein Hauptbestandteil dieser Verhandlungen beschäftigt sich mit der Festlegung der Hö-
he der Löhne bzw. Gehälter. Können sich die beiden Parteien, also Arbeitgeberverbände
auf der einen Seite und Gewerkschaften auf der anderen Seite, einigen, so schließen diese
einen Tarifvertrag ab. Da dieser Vertrag schriftlich geschlossen wird, verpflichtet er beide
Parteien dazu, sich an seine Inhalte zu halten. Der in einem Tarifvertrag festgeschriebene
(mindest-)Lohn wird somit als Tariflohn bezeichnet
2
. Unter dem Begriff ,,Effektivlohn"
wird der Lohn verstanden, der zusätzlich zu dem, durch den Tarifvertrag geregelten,
Tariflohn gezahlt wird und entspricht in seiner Höhe eigentlich dem Bruttolohn. In der
Literatur wird der Effektivlohn häufig auch als übertarifliche Bezahlung bezeichnet (vgl.
Schnabel, C. (1997; S. 131)). Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut in
der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) ist im Folgenden die Grundlage für die Analyse der
Entwicklung der Tariflöhne und der Tarifbindung in West- und Ostdeutschland.
2.2 Entwicklung des Einkommensniveaus im Vergleich zwischen West-
und Ostdeutschland
Nach der Festlegung der verschiedenen Maße mit denen das Einkommensniveau gemessen
und analysiert werden kann, soll nun in diesem Kapitel die Entwicklung des Einkommens-
niveaus im Vordergrund stehen. Anhand Abbildung 1 soll die Entwicklung der Bruttojah-
reslöhne nun näher betrachtet werden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass sowohl bei
der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttojahreslöhne und der durchschnittlichen
Bruttostundenlöhne jeweils Berlin zu den alten Bundesländern dazugerechnet wurde.
Aufgrund der vergleichsweise hohen durchschnittlichen Löhne innerhalb Berlins, fällt es
kaum merklich ins Gewicht Berlin zu den alten Bundesländern dazu zu zählen. Allerdings
würde es die Daten erheblich verändern, würde man Berlin zu den neuen Bundesländern
hinzurechnen.
2
an dieser Stelle wird auf eine nähere Diversifikation von Tarifverträgen verzichtet
7

Abbildung 1: Zeitliche Entwicklung der Bruttojahreslöhne pro Arbeitnehmer von 1991
bis 2010; in Euro
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2010); Eigene Darstellung nach der
Vorlage von Bäcker, G. / Jansen, A. (2009; S. 20)
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass die durchschnittlichen Bruttojahreslöh-
ne der Ostdeutschen erheblich unter denen der Westdeutschen liegen. Betrachtet man
diese Abbildung genauer, kann man allerdings erkennen, dass sich die durchschnittli-
chen Bruttojahreslöhne der Ostdeutschen seit 1991 bis 2010 mehr als verdoppelt haben.
So betrug 1991 der Bruttojahreslohn der Ostdeutschen im Durchschnitt lediglich 11.097
Euro, während er im Jahr 2010 schon auf 23.211 Euro angestiegen war. Auf der anderen
Seite stiegen die durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Westdeutschen im gleichen
Beobachtungszeitraum lediglich um knapp 35 % an. Im Jahr 1991 lagen die Bruttojah-
reslöhne der Westdeutschen bei 21.626 Euro, knapp 20 Jahre später dann durchschnitt-
lich bei 29.142 Euro. Bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung stiegen vor allem
bis Mitte der 90er Jahre die durchschnittlichen Bruttojahreslöhne, insbesondere in Ost-
deutschland, stark an. So lagen sie dort im Jahr 1995 bei 18.523 Euro, was eine absolute
Lohnniveausteigerung im Vergleich zum Jahr 1991 von ca. 67 % ausmacht. Im gleichen
Zeitraum stiegen die durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Westdeutschen absolut
nur um ca. 15 % an.
Vergleicht man jetzt Ost- und Westdeutschland miteinander so zeigt sich, dass die
durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Ostdeutschen im Jahr 1991 lediglich 51,3 %
der durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Westdeutschen ausmachten. Dieser ver-
8

gleichsweise geringe Prozentsatz stieg dann im Zeitverlauf bis zum Jahr 1995 auf 74,5 %
des Westniveaus an und erreichte im Jahr 2010 einen Wert von 79,6 %. Man kann also
feststellen, dass insbesondere bis Mitte der 90er Jahre ein starker Angleichungsprozess
der durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Ostdeutschen an das westdeutsche Niveau
stattgefunden hat. Dieser Prozess der Angleichung ist jedoch nach 1995 nahezu zum
Stillstand gekommen.
Tabelle 1: Lohnzuwachsraten der Bruttojahreslöhne im Vergleich zum Vorjahr pro Ar-
beitnehmer im Zeitraum von 1992 bis 2010; in %
Lohnzuwachsrate
Lohnzuwachsrate
Differenz
Jahr
Ostdeutschland
Westdeutschland
Lohnzuwachsraten
1992
29,2
7,0
22,2
1993
14,8
2,9
11,9
1994
6,1
1,5
4,5
1995
6,1
2,8
3,3
2000
1,9
1,2
0,6
2005
0,8
0,2
0,7
2009
1,2
-0,4
1,6
2010
2,2
2,3
-0,1
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2010); Eigene Darstellung und Berechnung
Tabelle 1 soll darüber hinaus verdeutlichen, wie sich die durchschnittlichen Brutto-
jahreslöhne in West- und in Ostdeutschland im Zeitverlauf prozentual entwickelt haben.
Hier zeigt sich, dass vor allem bis 1995 die durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Ost-
deutschen verglichen mit denen der Westdeutschen sehr stark angestiegen sind. Allein
im Jahr 1992 stiegen die Bruttojahreslöhne der Ostdeutschen um 29,2 % im Vergleich
zum Vorjahr an. Diese Steigerung ist sehr viel deutlicher ausgeprägt als in Westdeutsch-
land, wo dieser Wert nur bei 7 % lag. Auch in den Jahren nach 1991 war die prozentuale
Steigerung der Bruttojahreslöhne in Ostdeutschland, bedingt durch den wirtschaftlichen
Aufschwung, sehr viel höher als in Westdeutschland. Betrachtet man die durchschnittli-
che jährliche Wachstumsrate zwischen 1991 und 1995, so lag diese in Ostdeutschland bei
13,7 % und in Westdeutschland bei 3,5 %
3
. Nach dem Jahr 1995, in dem die prozentua-
le Lohnzuwachsrate Ostdeutschlands noch 3,7 Prozentpunkte oberhalb der prozentualen
Lohnzuwachsrate von Westdeutschland lag, kann man sagen, dass diese Differenz im wei-
teren Zeitverlauf stetig abgenommen hat. Nach einem kurzen Anstieg der Differenz der
3
Zur Berechnung der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten wurde üblicherweise das geome-
trische Mittel benutzt
9

Lohnzuwachsraten im Jahr 2009 verglichen mit dem Jahr 2008 von 1,6 Prozentpunkten,
war sie jedoch im Jahr 2010 verglichen mit dem Jahr 2009 mit -0,1 Prozentpunkten so-
gar leicht negativ. Wie auch schon bei der absoluten Entwicklung der Bruttojahreslöhne,
kann man auch bei den prozentualen Zuwachsraten der Bruttojahreslöhne im Vergleich
zum Vorjahr erkennen, dass eine gewisse Annäherung an das westdeutsche Niveau statt-
gefunden hat, jedoch im Zeitverlauf immer langsamer vorangeschritten und im Jahr 2010
sogar leicht rückläufig war.
An dieser Stelle soll noch kurz auf die Entwicklung der durchschnittlichen Brutto-
stundenlöhne eingegangen werden, da sich die Höhe des Anpassungsgrades von Ost- zu
Westdeutschland gegenüber den Bruttojahreslöhnen unterscheidet. Die Entwicklung der
durchschnittlichen Bruttostundenlöhne kann man der Tabelle 2 entnehmen
4
.
Tabelle 2: Entwicklung und Angleichungsprozess des durchschnittlichen Bruttostunden-
lohnes in West- und Ostdeutschland; in Euro
West-
Ost-
Verhältnis
Jahr
dddd
deutschland
deutschland
Ost/West in %
1998
18,21
12,44
68
1999
18,57
12,87
69
2000
19,04
13,36
70
2001
19,51
13,79
71
2002
19,86
14,20
72
2003
20,18
14,50
72
2004
20,22
14,67
73
2005
20,39
14,90
73
2006
20,59
15,16
74
2007
20,83
15,51
74
2008
21,33
15,96
75
2009
21,93
16,59
76
2010
21,91
16,58
76
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2010); Eigene Darstellung und Berechnung
Auch hier zeigt sich, dass die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne in Ostdeutsch-
land im Zeitverlauf schneller angestiegen sind als in Westdeutschland und dass eine
gewisse Angleichung an das westliche Bruttostundenlohnniveau stattgefunden hat. Al-
lerdings unterscheidet sich die Höhe des prozentualen Verhältnisses von ost- zu west-
deutschen Bruttostundenlöhnen im Vergleich zu den Bruttojahreslöhnen. Machten die
4
Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder weisen diese Entwicklung erst ab dem Jahr
1998 aus.
10

durchschnittlichen Bruttojahreslöhne der Ostdeutschen im Jahr 2010 ca. 80 % der durch-
schnittlichen Bruttojahreslöhne der Westdeutschen aus, so liegt dieses Verhältnis bei den
durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen im Jahr 2010 bei ca. 76 %. Dieser prozentual
höhere Grad der Angleichung der Bruttojahreslöhne im Vergleich zur Angleichung der
Bruttostundenlöhne ist über den gesamten Beobachtungszeitraum gegeben. Die Gründe
hierfür liegen zum einen in den durchschnittlich längeren Wochen- bzw. Jahresarbeitszei-
ten der Ostdeutschen, zum anderen ist die Zahl der Feiertage in Ostdeutschland geringer.
Ein weiterer Grund liegt in der durchschnittlich längeren Arbeitszeit der Teilzeitbeschäf-
tigten in Ostdeutschland, verglichen mit denen in Westdeutschland (Bundesministerium
des Innern 2010; S. 26f). Im Jahr 2010 betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit
der vollzeitbeschäftigten Ostdeutschen 39,5 Stunden, während ein Vollzeitbeschäftigter
in Westdeutschland durchschnittlich 38,7 Stunden arbeitete (Bundesministerium des In-
nern 2010; S. 27). Berücksichtigt man jetzt noch Beschäftigte die in Teilzeit arbeiten,
so lag die Teilzeitquote an allen Beschäftigten im Jahr 2010 in Ostdeutschland um 3
Prozentpunkte unter der Teilzeitquote in Westdeutschland. Allerdings arbeiteten Teil-
zeitbeschäftigte in Ostdeutschland im Schnitt 4,1 Stunden pro Woche länger als Teilzeit-
beschäftigte in Westdeutschland (Bundesministerium des Innern 2010; S. 27). Bezieht
man zusätzlich mit ein, dass es im Jahr 2010 in Ostdeutschland 0,6 Feiertage pro Jahr
weniger gab als in Westdeutschland, so arbeitete ein ostdeutscher Beschäftigter im Jahr
2010 ungefähr drei Wochen länger als ein Westdeutscher (Bundesministerium des Innern
2010; S. 27). Andere Komponenten, die Einfluss auf die durchschnittliche wöchentliche
oder jährliche Arbeitszeit haben, die hier allerdings nicht näher betrachtet werden sollen,
liefert Wanger, S. (2008; S. 30 ff). So zählen noch Überstunden, krankheitsbedingte Fehl-
tage oder der Grad der Tarifbindung zu weiteren Einflussfaktoren für die Unterschiede
in den Arbeitszeiten. Es hat sich also gezeigt, dass ostdeutsche Beschäftigte im Schnitt
ein höheres Arbeitsvolumen pro Jahr aufweisen, als westdeutsche Beschäftigte. Dies er-
klärt, warum der Anpassungsgrad der durchschnittlichen Bruttostundenlöhne unter dem
Anpassungsgrad der durchschnittlichen Bruttojahreslöhne liegt.
Nach der Analyse der Entwicklung der Bruttojahreslöhne und -gehälter im Vergleich
zwischen West- und Ostdeutschland, soll in diesem Abschnitt auf die Entwicklung der
Tarif- und Effektivlöhne eingegangen werden. Streng genommen handelt es sich bei der
gerade eben schon erläuterten Entwicklung der Bruttolöhne faktisch um die Entwicklung
der Effektivlöhne, so dass diese Begriffe synonym verwendet werden können. Deshalb soll
in diesem Abschnitt zuerst die relative Entwicklung des Tariflohnniveaus im Vergleich
zwischen West- und Ostdeutschland untersucht werden. In einem zweiten Schritt wird
dann die relative Entwicklung des Bruttolohnniveaus mit der relativen Entwicklung des
Tariflohnniveaus verglichen. Tabelle 3 gibt hierfür einen Überblick.
11

Tabelle 3: Effektivlöhne und Tariflöhne - ein Vergleich zwischen West- und Ostdeutsch-
land im Zeitverlauf von 1991-2010
Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer
Tarifniveau
West-
Ost-
Ost/West
Ost/West
Jahr
ddd
deutschland
deutschland
in %
in %
1991
21 626
11 097
51
60
1995
24 852
18 523
75
86
2000
26 027
20 014
77
92
2005
27 339
21 331
78
95
2010
29 142
23 211
80
97
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2010); Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) (2011); anhand von Daten aus
dem Gliederungspunkt 2.6 des Statistischen Taschenbuches Tarifpolitik 2011; Eigene Darstellung nach
der Vorlage von Bispinck, R. (2010; S. 80)
Betrachtet man die Entwicklung der Tarifniveaus, als das Verhältnis zwischen den
Tarifniveaus in Ostdeutschland und denen in Westdeutschland, so fällt auf, dass kurz
nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991 dieses bei 60 % lag. Das heißt, das Tarif-
lohnniveau der Ostdeutschen machte zu diesem Zeitpunkt 60 % des Tariflohnniveaus
der Westdeutschen aus. Zum Vergleich betrug das Bruttolohnniveau bzw. das Effektiv-
lohnniveau der Ostdeutschen im gleichen Zeitraum ca. 51 % des westdeutschen Niveaus.
Dass der Angleichungsprozess zumindest am Anfang der 90er Jahre erste Erfolge erzielen
konnte, lässt sich durch den rasanten Anstieg des Tariflohnniveaus auf der einen Seite
und den Anstieg des Effektivlohnniveaus auf der anderen Seite deutlich erkennen. Im
Jahr 1995 betrug das Tariflohnniveau der Ostdeutschen schon 86 % von dem der West-
deutschen. Im Vergleich zum Jahr 1991 ist dieses Verhältnis der Tariflohnniveaus um
26 Prozentpunkte gestiegen. Ähnlich dazu hat sich das Effektivlohnniveau der Ostdeut-
schen entwickelt. 1995 belief es sich auf 75 % des Westniveaus, was einen Anstieg von
24 Prozentpunkten innerhalb von vier Jahren bedeutete. Im weiteren zeitlichen Verlauf
bis zur Jahrtausendwende hat sich dieser Annäherungsprozess deutlich verlangsamt: von
1995 bis zum Jahr 2000 ist das Verhältnis zwischen den beiden Tariflohnniveaus um
nur noch sechs Prozentpunkte auf 92 % angestiegen. Die gleiche Tendenz ist auch bei
der Entwicklung des Effektivlohnniveau-Verhältnisses zu erkennen. Im Jahr 2000 lag
es bei 77 %, was einen Anstieg von zwei Prozentpunkten zum Jahr 1995 ausmachte.
Da in den darauffolgenden zehn Jahren das Tariflohnniveau-Verhältnis um nur noch 5
Prozentpunkte angestiegen ist, kann man deshalb von einer weitgehenden Stagnation
sprechen. Das Bruttolohnniveau-Verhältnis war sogar nur um drei Prozentpunkte ange-
12

stiegen. Vergleicht man den absoluten Anstieg des Ost/West-Verhältnisses der Tariflöhne
bzw. Effektivlöhne, so wird deutlich, dass das Tariflohnniveau-Verhältnis um insgesamt
37 Prozentpunkte und damit stärker als das Effektivlohnniveau-Verhältnis, mit 29 Pro-
zentpunkten, gestiegen ist. Betrachtet man nur das Tariflohnniveau der Ostdeutschen, so
hat sich dieses, mit 97 % im Jahr 2010, weitgehend an das westliche Niveau angepasst.
Allerdings besteht immer noch ein großes Gefälle zwischen den Verhältnissen des Ta-
riflohnniveaus und den Effektivlohnniveaus von Ost- und Westdeutschland. Grund dafür
ist die vergleichsweise geringe tarifliche Bindung der Beschäftigten und der Betriebe in
Ostdeutschland (Bispinck, R. 2010; S. 76). Die Unterschiede in den Tarifbindungen soll
Abbildung 2 veranschaulichen.
Abbildung 2: Tarifbindung von Beschäftigten und Betrieben im Vergleich zwischen Ost-
und Westdeutschland im Zeitraum von 1998-2009; in %
Quelle: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) (2011);
Eigene Darstellung anhand von Daten aus den Gliederungspunkten 1.9 und 1.10 des Statistischen
Taschenbuches Tarifpolitik 2011
Im Jahr 1998 waren 63 % der Beschäftigten in Ostdeutschland an einen Tarifvertrag
gebunden. Im weiteren Zeitverlauf nahm dieser Wert nahezu stetig ab, bis er im Jahr
2009 nur noch bei 51 % lag. Betrachtet man dagegen Westdeutschland, so lag dieser
Wert im Jahr 1998 bei 76 % und im Jahr 2009 bei 65 %. Eine ähnliche Entwicklung,
jedoch auf einem geringeren prozentualen Niveau, lässt sich auch bei der betrieblichen
Tarifbindung erkennen. Der entsprechende Wert der tarifgebundenen Betriebe im Osten
13

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783863416997
ISBN (Paperback)
9783863411992
Dateigröße
726 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
2
Schlagworte
Entwicklung Vergleich Lohndispersion DDR Wiedervereinigung Einkommen Lohnniveau
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