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Adaptive Regelung aktiver Fahrwerke

©2009 Diplomarbeit 107 Seiten

Zusammenfassung

Aufgabe der Fahrwerksentwicklung ist es den Zielkonflikt zwischen Fahrkomfort, Fahrsicherheit und Einhaltung des Federwegs bestmöglich aufzulösen. Die Fahrzeugeigenschaften hinsichtlich Fahrkomfort und Fahrsicherheit (Sportlichkeit) stellen ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im Fahrzeugbau dar und sind Gegenstand ständiger Weiterentwicklung. Passive Komponenten werden dabei immer mehr durch aktive Fahrwerkssysteme ersetzt. Die Umsetzung vieler moderner Regelungskonzepte für aktive Fahrwerkssysteme scheitert jedoch an den fahrzeugtechnischen Randbedingungen.
Ziel des in dieser Studie entwickelten vertikaldynamischen Regelungskonzepts ist daher eine transparente und implementierbare Reglerstruktur, welche das Potential aktiver Aktuatorik unter Berücksichtigung fahrzeugtechnischer Randbedingungen bestmöglich ausnutzt. Grundlage des Regelungskonzepts ist ein Referenzmodell, welches das dynamische Verhalten eines Fahrwerks mit variabler Federsteifigkeit und Dämpfung abbildet. Dadurch ergibt sich gegenüber einem reinen Verstelldämpfersystem ein deutlich erhöhter Adaptionsspielraum zwischen Komfort, Fahrsicherheit und Einhaltung des Federwegs ohne sich vom bewährten grundlegenden Fahrverhalten passiver Fahrwerke zu entfernen. Neben dem Verzicht auf einen Beobachter und einer damit reduzierten Diskrepanz zwischen theoretischer und praktischer Leistungsfähigkeit, konnte auch eine transparente Parametrierbarkeit für die effiziente Applikation im Fahrzeug erreicht werden. Um seine Umsetzbarkeit und praktische Leistungsfähigkeit zu überprüfen, ist das Konzept an einem aktiven Fahrwerk an einem Viertelfahrzeugprüfstand untersucht und validiert worden. Bei der anschließenden Umsetzung auf eine neuartige hybride Kombination aus Serienaktuatoren konnte, ohne signifikante Einbußen bei der Leistungsfähigkeit, eine deutliche Verringerung des Energieverbrauchs erreicht werden.
Mit dem in dieser Arbeit entwickelten Regelungskonzept kann der bei der Fahrwerksabstimmung vorhandene Zielkonflikt zwischen Fahrsicherheit und Fahrkomfort deutlich entschärft werden. Bei der Entwicklung des Regelungskonzepts wurde besonderer Wert auf die Einhaltung der fahrzeugtechnischen Randbedingungen gelegt. Die praktische Anwendbarkeit wurde sowohl durch Messungen am Prüfstand als auch durch die erfolgreiche Übertragung auf eine neuartige Kombination bestehender Fahrwerkskomponenten bewiesen. Durch die Umsetzung auf das hybride Fahrwerk konnte zusätzlich eine deutliche Reduktion des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Abbildungsverzeichnis
vii
3.14 Skizze des verwendeten Prüfstandaufbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
3.15 Bode-Diagramm verschiedener Totzeitgliednäherungen
. . . . . . . . . . .
44
3.16 Bode-Diagramm Aktuator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
3.17 Vorsteuerung durch Inversion der Regelstrecke G(s) . . . . . . . . . . . . .
46
3.18 Modellgestützte dynamische Vorsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
3.19 Nyquist-Kurven der Aktuatorregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
5.1
Verlauf der Adaptionsparameter für Federweg (oben) und Radlast (unten)
59
5.2
Vergleich der Zielgrößen für den ersten Teil der Anregung . . . . . . . . . .
62
5.3
Vergleich der Zielgrößen für den zweiten Teil der Anregung . . . . . . . . .
63
5.4
Grenzkurve für die Radlastadaption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
5.5
Konfliktschaubild der Federwegadpation für Fahrkomfort . . . . . . . . . .
65
5.6
Konfliktschaubild der Federwegadpation für Fahrsicherheit . . . . . . . . .
65
5.7
Gesamtstruktur der Regelung bei Übertragung auf das hybride System . .
67
5.8
Soll- und Ist-Kraft-Verlauf der Summe aus beiden Komponenten . . . . . .
68
5.9
Optimale Steuerungslösung für festes
f
c
und
D . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5.10 Wirkung der optimalen Steuerungskomponente . . . . . . . . . . . . . . . .
76
5.11 Soll- und Ist-Kraftverlauf des Aktuators
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
5.12 Signalverlauf von passivem und geregeltem Viertelfahrzeug . . . . . . . . .
79
6.1
Vergrößerungsfunktion der Störgrößenaufschaltung . . . . . . . . . . . . . .
86

Tabellenverzeichnis
2.1
Viertelfahrzeugparameter (Quad) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
5.1
Vergleich der Überfahrt des Straßenprofils . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
5.2
Vergleich der Überfahrt der ersten 20 s des Straßenprofils . . . . . . . . . .
61
5.3
Vergleich der Überfahrt des zweiten Teils des Straßenprofils . . . . . . . . .
61
5.4
Vergleich des passiven und des geregelten Pkw-Viertelfahrzeugs
. . . . . .
70
5.5
Messergebnisse für Anregung mit Straßenprofil 1 . . . . . . . . . . . . . . .
78
5.6
Aktuatorleistung für das vollaktive Quad-Fahrwerk . . . . . . . . . . . . .
81
5.7
Leistung des hydraulischen Aktuators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
6.1
Simulationsergebnisse (Quad) der Störgrößenaufschaltung . . . . . . . . . .
89
6.2
Simulationsergebnisse (Pkw) der Störgrößenaufschaltung . . . . . . . . . .
90

1 Einleitung
1.1 Aktuelle Entwicklungen geregelter
Radaufhängungen
Die Fahrdynamik moderner PKW wird immer mehr von Fahrwerkregel- und Fahrerassis-
tenzsystemen bestimmt. Mechatronische Komponenten und Systeme machen das Führen
von Fahrzeugen komfortabler, sicherer und effizienter. Das Fahrwerk als Verbindung des
Fahrzeugs zur Straße trägt dabei die Hauptverantwortung für die aktive Sicherheit der
Insassen. Die Radaufhängung muss dabei die statischen und dynamischen Radlasten des
Fahrzeugs verteilen, tragen und Schwankungen möglichst gering halten. Zusätzlich soll
eine ausreichende Isolation der Insassen gegenüber Straßenunebenheiten erreicht werden.
Dabei steht den Fahrwerkskomponenten nur ein begrenzter Bauraum zur Verfügung. Die
bestmögliche Erfüllung dieser teils konfliktären Ziele sorgte für stetige Innovationen im
Bereich des Fahrwerks seit Erfindung des PKW. Mechanische Fahrwerkskomponenten
werden dabei immer mehr durch mechatronische Systeme ersetzt. Der erste bedeuten-
de Einsatz von Elektronik im Bereich der Radaufhängung waren elektronisch geregelte
Luftfedersysteme, die durch Zuladung bedingte Einfederung eines Fahrzeugs ausgleichen
können, dadurch kann der zur Verfügung stehende Federweg besser genutzt werden und
der Zielkonflikt Federweg und Fahrkomfort wird reduziert. Die Einführung von elektro-
nisch geregelten Dämpfern verringerte, durch die Möglichkeit der Adaption, den Konflikt
zwischen Fahrsicherheit, die hohe Dämpfkräfte fordert, und komfortorienten niedrigen
Dämpfkräften. Durch die Veränderung der Verstelldämpfersysteme von langsam schal-
tenden Dämpfern mit wenigen, diskreten Kennlinien zu einer schnell reagierenden konti-
nuierlichen Dämpfkraftregelung veränderten sich auch die angewandten Regelstrategien.

1
Einleitung
2
Die steigenden Stellgeschwindigkeiten verhalfen neuen, komplexeren Regelstrategien zum
Durchbruch. Dabei ist die Skyhook-Regelung derzeit die am häufigsten angewandte Regel-
strategie zur Kontrolle von Aufbauhubbewegungen für schnell schaltende Verstelldämpfer-
systeme. Bei diesem Konzept wird versucht durch geschicktes Verändern der Dämpfkräfte
einen zwischen Himmel (Sky) und Fahrzeugaufbau eingehakten (Hook) Dämpfer zu simu-
lieren. Ein Verstelldämpfersystem kann jedoch zwischen Aufbau und Rad nur dissipative
Kräfte erzeugen und deshalb die Regelstrategie nur mit Einschränkungen umsetzen. Solche
Systeme, die nur Kräfte entgegengesetzt der Relativbewegung erzeugen können, werden
als semiaktive Systeme bezeichnet. Vollaktive Systeme können Kräfte zwischen Aufbau
und Rad unabhängig von Einfederweg oder -geschwindigkeit erzeugen. Dabei sind bis
jetzt in Serie nur sogenannte langsam aktive Systeme im Einsatz. Sie erlauben eine ak-
tive Kraftstellung, jedoch nur im Bereich bis maximal fünf Hertz. Sie dienen daher der
Kontrolle von Aufbaubewegungen wie Wank-, Nick- und Hubbewegungen im Bereich der
Aufbaueigenfrequenz. Beispiele für diese langsam aktiven Fahrwerksysteme sind die Ak-
tive Wankstabilisierung, bei der ein aktiver Stabilisator variable Wankabstützungskräfte
erzeugt, die Wankbewegungen des Fahrzeugs unterdrücken können, sowie die aktive Fe-
derfußpunktverstellung [31], mit der neben Wanken und Nicken auch das Huben des Auf-
baus geregelt werden kann. Bei beiden Systemen erfolgt die Krafterzeugung hydraulisch,
da hohe Kräfte auf engem Bauraum erzeugt werden müssen und die nötige Energiedich-
te bisher kostengünstig nur mit hydraulischer Kraftstellung erreicht wird. Schnell aktive
Komponenten mit Bandbreiten bis 25 Hertz werden derzeit erforscht, wobei aufgrund
des niedrigeren Energieverbrauchs zunehmend Elektromotoren zur Krafterzeugung ein-
gesetzt werden. In [26] wird eine elektromechanische aktive Aufbaukontrolle vorgestellt,
ein elektrischer Spindelmotor dient der aktiven Fußpunktverstellung; durch eine parallel
geschaltete Stahlfeder wird die statische Last getragen, so dass kein statischer Energie-
bedarf besteht. Ohne den Bauraum einer üblichen Luftfeder zu überschreiten, konnte der
Motor ausreichende Kräfte und Stelldynamik erzeugen um langsam aktive Regelstrategi-
en in einer Oberklasse-Limousine zu verwirklichen und zeigte dabei einen etwa halb so
großen Energiebedarf wie ein vergleichbares hydraulisches System. Die steigende Ener-
giedichte von elektromechanischen Komponenten ermöglicht also zukünftig die Anwen-
dung vollaktiver Radaufhängungen in Pkw. Dies zeigt auch die aktive elektromechanische

1
Einleitung
3
Radaufhängung, die in [9] vorgestellt wird. Der Dämpfer in einem McPherson-Federbein
wird durch einen elektrischen Linearmotor ersetzt, der parallel zur mechanischen Feder
vollaktiv Kräfte stellen kann. Anhand der Fahrt einer Mittelklasse-Limousine auf einer
Rennstrecke wurden die nötigen Dämpf- und Wankkräfte für ein voll aktuiertes Fahrzeug
bestimmt. Das aktive Radaufhängungselement konnte dabei auf einem Prüfstand sowohl
die dynamischen Wankkräfte von bis zu 4 kN als auch die Dämpfleistung von bis zu 2
kW mit einer Bandbreite von über 20 Hz erzeugen. Ein ähnliches Konzept der Aktuierung
liegt dieser Arbeit zugrunde.
1.2 Ziel der Arbeit
In dieser Arbeit soll ein adaptives Regelkonzept für ein vollaktives Viertelfahrzeug entwi-
ckelt werden. Als Aktuator wird ein elektrischer Linearmotor verwendet, der parallel zum
Federbein wirkt und Kräfte unabhängig von Aufbau- und Radbewegung stellen kann. Der
passive Dämpfer bleibt für die grundlegende Dämpfung erhalten, die statische Radlast
wird von der Aufbaufeder getragen. Wie die Forschungsergebnisse in [9], [13] und [26]
erkennen lassen, findet ein kontinuierlicher Technologiefortschritt im Bereich der elektro-
mechanischen Krafterzeugung in Pkw-Fahrwerken statt, trotzdem hat die für vollaktive
Fahrwerke benötigte Aktuatorik noch keine Serienreife erlangt. Dabei wirkt es sich auf
die Wirtschaftlichkeit solcher Systeme positiv aus, dass die hier verwendete Systemkonfi-
guration vorhandene Teilsysteme, wie Verstelldämpfersysteme als auch teilaktive Systeme
wie Wankstabiliserungssysteme oder Federfußpunktverstellungen, vollwertig ersetzen kann
und damit obsolet macht. Zusätzlich zu Entwurf und Test des Reglers mittels Simulati-
on werden die theoretischen Ergebnisse an einem Viertelfahrzeug-Prüfstand experimentell
validiert. Das am vollaktiven System entwickelte Regelkonzept wird dann auf ein hybrides
Fahrwerk mit Serienkomponenten in Form eines semiaktiven Verstelldämpfersystems und
einer langsam aktiven Federfußpunktverstellung übertragen. Neben der damit erreichba-
ren Leistungsfähigkeit des Regelungskonzept wird auch die Energieeffizienz der hybriden
Fahrwerkskonfiguration überprüft.

1
Einleitung
4
Viele aktive Regelstrategien für Viertelfahrzeugmodelle [4, 33] basieren auf Zustands-
rückführungen, wie etwa Linear-Quadratisch-Optimaler Regelung (LQR
1
, siehe [23]). Da
jedoch nicht alle Zustände des Viertelfahrzeugs gemessen werden können, benötigen sol-
che Regler die Schätzung der übrigen Zustände des Viertelfahrzeugs, dies ist jedoch nur
mit einer begrenzten Güte möglich, die die praktische Leistungsfähigkeit des Reglers ein-
schränken. Häufig werden auch für den Entwurf und die Optimierung von Reglern aus-
schließlich RMS-Werte der vertikaldynamischen Zielgrößen betrachtet. Die Anforderun-
gen an das fahrdynamische Verhalten von PKW sind jedoch sehr komplex und oft nicht
objektiv messbar, so dass die Anpassungsmöglichkeiten des Reglers für ein gewünschtes
Fahrverhalten wichtige Kriterien für die Anwendung in der Industrie sind. Vor allem wenn
wie im vorliegenden Fall nur das vertikaldynamische Verhalten eines Viertelfahrzeugs be-
trachtet und geregelt wird, so muss ein ausreichendes Reglerverständnis und transparente
Applikationsmöglichkeiten gegeben sein um das Verhalten des Gesamtfahrzeugs, z. B. hin-
sichtlich Wankverhalten, Kopieren, Eigenlenkverhalten oder Spurwechselverhalten (siehe
z. B. [10]), beeinflussen zu können. Heutige passive Fahrwerke sind das Ergebnis jahrzehn-
telanger Entwicklungserfahrung. Durch nichtlineare Kennlinien der Feder- und Dämpfer-
elemente wird versucht, den Zielkonflikt zwischen Einhaltung des maximalen Federwegs,
Reduzierung der Radlastschwankungen und Minimierung der auf den Fahrer wirkenden
Beschleunigungen zu verringern.
Das größte Potential aktiver Fahrwerkskomponenten gegenüber passiven Radaufhän-
gungen liegt in der Möglichkeit der Adaption an aktuelle Fahrzustände, wie den Fahrbahn-
zustand, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Zuladung oder die quer-, längs- und vertikaldy-
namische Fahrsituation. Zielkonflikte können durch Adaption nicht aufgehoben werden,
aber es muss kein allgemeingültiger Kompromiss für alle Fahrzustände und Situationen
getroffen werden, sondern das Augenmerk kann je nach Situation auf eine andere Zielgröße
gelenkt werden. Verstelldämpfersysteme nutzen diese Möglichkeit der Adaption, um den
Zielkonflikt zwischen Fahrkomfort und Fahrsicherheit zu entschärfen. Die reine Verände-
rung des Dämpfungsmaßes bietet dabei jedoch nur ein schmales Band der Adaption (vgl.
Abb. 3.1). Die Veränderung der Dämpfungskonstante bei fester Federsteifigkeit, wie es
ein semiaktives System erlaubt, gibt nur eine geringe Möglichkeit der Adaption zwischen
1
Linear Quadratic Regulator

1
Einleitung
5
Komfort und Fahrsicherheit [25]. Die Variationsmöglichkeit, die sich durch eine zusätz-
liche Änderung der Federsteifigkeit ergibt, zeigt ein weitaus größeres Potential. Nur ein
vollaktives System kann die nötigen Kräfte erzeugen und damit einen Regler ermöglichen,
der das Verhalten eines in Federsteifigkeit und Dämpfung variablen passsiven Fahrwerks
nachbildet. In die Applikation eines solchen Reglers kann dann die Erfahrung in der Ent-
wicklung passiver Fahrwerke einfließen. Dabei könnten die Kennlinien der nachgebildeten
Feder- und Dämpferelementen auch physikalisch nicht realisierbare Verläufe zeigen und so
weiteres Potential eröffnen. Für die Nachbildung der passiven Fahrwerke werden keine be-
obachteten Größen benötigt. Die Messung von Einfederweg und Einfedergeschwindigkeit
ist für die direkte Berechnung der Stellkraft
F
(t) ausreichend. Es soll also ein transpa-
rentes, einfach applizierbares Reglerkonzept entstehen, dass das maximale Potential eines
variabel passiven Viertelfahrzeugs erschließt.
Im Verlauf dieser Arbeit wird in Kapitel 2 zunächst auf die Nichtlinearitäten eines passi-
ven Viertelfahrzeugs eingegangen. Daraus entstehende Probleme beim Reglerentwurf am
linearisierten System und Lösungsmöglichkeiten mittels Störgrößenaufschaltung werden
aufgezeigt. Im Anschluss wird in Kapitel 3 das Konzept des nichtlinearen Referenzreglers
entworfen und die Adaptionslogik sowie deren Parameterierung hergeleitet. In Kapitel 4
folgen Betrachtungen zur Stabilität, so dass in Kapitel 5 die Leistungsfähigkeit des Re-
gelungskonzepts unter den hergeleiteten Schaltbeschränkungen überprüft werden kann.
Die bei Einzelhindernissen gegenüber konventionellen Fahrwerken auftretenden Nachteile
des Regelkonzepts werden analysiert und die Reaktion auf Einzelhindernisse mittels eines
optimalen Steuerungsentwurfs verbessert. Danach folgt die Anwendung des Reglerent-
wurfs auf ein langsam aktives System mit Federfußpunktverstellung und Verstelldämpfer
und die Validierung der Simulationsergebnisse an einem Viertelfahrzeugprüfstand. Zuletzt
wird in Kapitel 6 das Potential einer modellgestützen Aufschaltung von Informationen
über die Straßenanregung geprüft. Nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse in Kapi-
tel 7 werden im Ausblick neue Ansätze der Regelstruktur angeregt auf deren Grundlage
die Leistungsfähigkeit der vorgestellten adaptiven Reglerstruktur weiter gesteigert werden
kann.

2 Modellbildung und Systemanalyse
2.1 Viertelfahrzeugmodell
Ein einfacher, aber zweckmäßiger Aufbau um das rein vertikaldynamische Schwingungs-
verhalten von Straßenfahrzeugen zu untersuchen ist das sogenannte Viertelfahrzeug. Die-
ses stellt einen Zwei-Massen-Schwinger dar, dessen Freiheitsgrade ausschließlich senkrecht
zur Straßenebene verlaufen. Die Idee ist es, die Fahrzeugmasse auf die vier Räder und de-
ren Aufhängungen aufzuteilen und diese entkoppelt voneinander zu betrachten. Ein Vier-
telfahrzeug besteht daher aus Aufbaumasse, Radaufhängung und Rad. Abbildung 2.1
links zeigt ein Viertelfahrzeugmodell zusammen mit dem parallel geschaltetem Aktuator
für die aktive Regelung. Die zwei Freiheitsgrade sind die Vertikalbewegung des Rades, hier
mit
z
w
bezeichnet, und die Hubbewegung des Aufbaus
z
c
. Die Störung ist das Profil der
m
c
m
w
c
c
d
c
c
w
d
w
z
c
z
w
z
g
F
(t)
m
c
m
w
c
(t)
d
(t)
c
w
d
w
z
c
z
w
z
g
m
c
m
w
c
c
d
(t)
c
w
z
c
z
w
z
g
F
(t)
z
p
Abbildung 2.1: Viertelfahrzeugmodell mit parallel geschaltetem Aktuator (links),
Regelkonzept mit variabler Steifigkeit und Dämpfung (mitte),
sowie hybrides Fahrwerk (rechts).

2
Modellbildung und Systemanalyse
7
Straße, dargestellt durch
z
g
. Die Aufhängung wird durch die Federsteifigkeit
c
c
und die
Dämpfkonstante
d
c
dargestellt, das Reglerkonzept (Abb. 2.1 mitte) sieht vor, eine varia-
ble Steifigkeit
c
(t) und Dämpfung d(t) nachzubilden. Die Steifigkeit des Reifens wird mit
c
w
bezeichnet. Die Reifendämpfung
d
w
wird für eine übersichtlichere Zustandsraumdar-
stellung vernachlässigt, da sie gegenüber dem Schwingungsdämpfer klein ist und für den
angestrebten Reglerentwurf vernachlässigbar ist. Beim nichtlinearen Viertelfahrzeugmo-
dell sind die beiden Steifigkeiten und die Aufbaudämpfung zusätzlich zustandsabhängig.
Im Verlauf der Arbeit soll das Regelkonzept auf ein hybrides Pkw-Fahrwerk (Abbildung
2.1 rechts), bestehend aus einer langsam aktiven hydraulischen Federfußpunktverstellung
und einem Verstelldämpfer, übertragen werden. Durch die langsam aktive Komponente
ergibt sich der zusätzliche Freiheitsgrad
z
p
und damit die später verwendete Auslenkung
des hydraulischen Aktuators
z
abc
= z
c
- z
p
(2.1)
und die tatsächliche Auslenkung der Feder
z
F
= z
p
- z
w
,
(2.2)
die von Verstelldämpfer und Federfußpunktverstellung auf Aufbau und Rad übertragenen
Kräfte werden mit
F
vdc
bzw.
F
abc
bezeichnet.
Für das lineare Modell werden die Parameter durch Linearisierung der Kennlinien im
Arbeitspunkt, der hier der statischen Ruhelage entspricht, bestimmt. Diese Annahmen
ergeben folgende analytische Bewegungsgleichungen für das Viertelfahrzeug:
m
c
¨z
c
= -c
c
(z
c
- z
w
) - d
c
( z
c
- z
w
) + F (t) ,
m
w
¨z
w
= c
c
(z
c
- z
w
) + d
c
( z
c
- z
w
) - c
w
(z
w
- z
g
) - F (t) [ - d
w
( z
w
- z
g
) ] .
(2.3)
Aus diesen Bewegungsgleichungen kann ein Zustansdraummodell mit den Zustands-
vektor
x
= [z
c
- z
w
,
z
c
, z
w
- z
g
,
z
w
]
T
,
(2.4)
erstellt werden. Als Ausgangsvektor
y
= [¨z
c
, F
dyn
, z
cw
]
T
,
(2.5)

2
Modellbildung und Systemanalyse
8
dienen die Zielgrößen der Regelung, dynamische Radlast
F
dyn
, Federweg
z
cw
und Aufbau-
beschleunigung
¨z
c
, mit
F
dyn
= -c
w
(z
w
- z
g
) ,
z
cw
= z
c
- z
w
,
¨z
c
=
1
m
c
[-c
c
(z
c
- z
w
) - d
c
( z
c
- z
w
) + F (t)] .
(2.6)
Als Eingangsgröße
u dient die Stellkraft des Aktuators F
(t). Die Straßenanregung z
g
stellt
die Störgröße
u
d
dar. Das Zustandsraummodell stellt sich dann in folgender Form dar:
x = Ax + bu + eu
d
, y
= Cx + du,
(2.7)
A
=
0
1
0
-1
-
c
c
m
c
-
d
c
m
c
0
d
c
m
c
0
0
0
1
c
c
m
w
d
c
m
w
-
c
w
m
w
-
d
c
m
w
, b
=
0
1
m
c
0
-
1
m
w
, e
=
0
0
-1
0
,
C
=
-
c
c
m
c
-
d
c
m
c
0
d
c
m
c
0
0
-c
w
0
1
0
0
0
, d
=
1
m
c
0
0
,
(2.8)
Der interessierende Frequenzbereich wird aus diversen Gründen auf 0 bis 25 Hz be-
grenzt. Zum einen fallen die Anregungsamplituden durch die Straße etwa doppeltloga-
rithmisch mit der Frequenz ab, so dass im Bereich über 25 Hz kaum mehr spürbare
Anregungen auftreten. Zum anderen beginnt nach der Noise-Vibration-Harshness (NVH)
Einteilung, [10], ab 20 Hz der Bereich der Rauigkeit (Harshness). In diesem Übergangsbe-
reich zwischen fühlbaren (Vibration) und hörbaren (Noise) Schwingungen, werden diese
zunehmend über die Geräusche statt über die auftretenden Beschleunigungen wahrgenom-
men. Letzlich entzieht sich die Beeinflussung des hochfrequenten Schwingungsverhalten
den im Viertelfahrzeug betrachteten Komponenten der Federung und Dämpfung, es wird
durch die Eigenschaften der verwendeten Fahrwerkslager dominiert.
Wenn nicht anders erläutert, beziehen sich alle Parameter und Kennlinien auf Bewe-
gungen in der Radebene, eine eventuelle kinematische Übersetzung durch die Geometrie

2
Modellbildung und Systemanalyse
9
der Radaufhängung ist bereits einberechnet. Für die vollaktuierte Vorderradaufhängung
ergeben sich gemäß dem realem Prüfstandskomponenten die in Tabelle 2.1 notierten li-
nearisierten Parameter. Die Eigenfrequenzen und Dämpfungsmaße von Aufbau und Rad
berechnen sich dabei wie folgt:
Ungedämpfte Eigenfrequenz Aufbau
f
c
=
1
2
c
c
m
c
[Hz]
(2.9)
Dämpfungsmaß Aufbau
D
=
d
c
2
c
c
· m
c
[-]
(2.10)
Ungedämpfte Eigenfrequenz Rad
f
w
=
1
2
c
c
+ c
w
m
w
[Hz]
(2.11)
Dämpfungsmaß Aufbau
D
w
=
d
c
2 (c
c
+ c
w
) · m
c
[-]
(2.12)
Tabelle 2.1: Viertelfahrzeugparameter (Quad)
Parameter
Bezeichnung
Wert
Einheit
Gefederte Masse
m
c
94.38
kg
Ungefederte Masse
m
w
23.92
kg
Federsteifigkeit
c
c
8400
N/m
Dämpfungskonstante
d
c
560
Ns/m
Reifensteifigkeit
c
w
152140
N/m
Reifendämpfung
d
w
50
Ns/m
Unged. Eigenfreq. Aufbau
f
c
1.5
Hz
Dämpfungsmaß Aufbau
D
0.31
-
Unged. Eigenfreq. Rad
f
w
13.0
Hz
Dämpfungsmaß Rad
D
w
0.14
-

2
Modellbildung und Systemanalyse
10
2.2 Nichtlinearitäten und deren Auswirkungen
Gegenüber einem Vollfahrzeug werden bei Betrachtung eines Viertelfahrzeugs bereits zahl-
reiche Phänomene und Nichtlinearitäten im dynamischen Verhalten nicht berücksichtigt.
Doch auch das Viertelfahrzeug besitzt einige für die Dynamik wichtige Nichtlinearitäten,
deren Relevanz im Folgenden erläutert wird. Als erstes sei die Reifendämpfung zu nennen:
Sie zeigt vor allem durch die Frequenzabhängigkeit stark nichtlineares Verhalten. Für das
viskoelastische Verhalten des Reifens kann nach [25] das Gehmann-Modell (Abb. 2.2) ver-
wendet werden. Dabei wird parallel zur Steifigkeit des Reifens eine Reihenschaltung einer
Feder und eines viskosen Dämpferelements angenommen.
c
c
k
F
z
Abbildung 2.2: Gehmann-Modell zur Nachbildung des viskoelastischen
Reifenverhaltens
Es ergibt sich für periodische Anregungen zwischen Anregung
^z und Radlast ^
F die
komplexe Übertragungsfunktion
^
F
= (c + jk)^z
(2.13)
mit der tatsächlichen Steifigkeit
c und dem Dämpfungsfaktor k. Dabei gilt
c
= c + c
(k /c )
2
1 + (k /c )
2
,
k
= k
1
1 + (k /c )
2
.
(2.14)
Setzt man Beispielwerte eines Pkw von
c
= 600 kN/m, c = 50 kN/m und k = 760 Ns/m
([25]) ein, so bildet sich bei konstanter Anregungsamplitude der abbgebildete Verlauf
(schwarze Linien, Abb. 2.3 bis 2.5) von Dämpfungs- und Federkraft des Reifens über

2
Modellbildung und Systemanalyse
11
der Anregungsfrequenz aus. Vergleicht man die Verläufe mit denen eines hydraulischen
Dämpfers (
k
= 760 Ns/m) parallel zu einer Feder (c = 600 kN/m) (graue Linien, Abb. 2.3
bis 2.5), so werden die Besonderheiten der Gummidämpfung sichtbar. Zunächst sieht man,
dass die Steifigkeit des Reifens durch die zusätzliche Feder
c einen nahezu linearen Verlauf
vom Wert
c bis auf c
+ c zeigt. Also im vorliegenden Beispiel ein maximaler Anstieg um
etwa 8 Prozent stattfindet. Während die Dämpfkonstante des hydraulischen Dämpfers in
Abbildung 2.4 konstant bleibt, nimmt die Dämpfkonstante des Reifens stetig ab. Eine
Linearisierung der Übertragungsfunktion in Abbildung 2.5 im Frequenzbereich zwischen
6 und 20 Hz bietet eine gute Annäherung des Verlaufs im gesamten Frequenzbereich von
0 bis 25 Hz. Diese wird in [25] für eine vereinfachte Form des Gehmann-Modells genutzt,
die im Frequenzbereich leichter abgebildet werden kann. Da im genannten Bereich
k in
etwa proportional zur Anregungsfrequenz
verläuft, kann die Serienschaltung von Feder
und Dämpfer durch eine frequenzabhängige Dämpfung der Form
d
w
=
c
w
d
(2.15)
angenähert werden. Mit dem konstanten Verlustfaktor d gilt daher
d
w
· = const. .
(2.16)
Dabei berechnet sich
d
=
k
c
(1 + (k /c )
2
.
(2.17)
Berechnet man
d an den Stellen
= 6 Hz ( 37, 7
rad
s
) bzw.
= 20 Hz ( 125, 7
rad
s
), so
gilt
k
· 37, 7
c
(1 + (k · 37, 7/c )
2
)
k
· 125, 7
c
(1 + (k · 125, 7/c )
2
)
d.
(2.18)
Im vorliegenden Beispiel ergibt sich
d = 0.036. Zusätzlich wird in dieser Arbeit eine
alternative Vereinfachung im Frequenzbereich vorgeschlagen. Durch die Linearisierung der
Übertragungsfunktion aus Abbildung 2.4 kann die tatsächliche Dämpkonstante
k durch
k
= k
0
- k
1
(2.19)
angenähert werden.

2
Modellbildung und Systemanalyse
12
Am deutlichsten zeigen sich die Auswirkungen der nichtlinearen Reifendämpfung in
Abbildung 2.5. Der moderne Gummireifen ermöglichte erst die Fahrt mit hohen Ge-
schwindigkeiten moderner Pkw, denn eine Erhöhung der Geschwindigkeit verschiebt die
Anregungsamplituden durch die Straße hin zu höheren Frequenzen. Eine Steigerung der
Geschwindigkeiten um das Fünffache, etwa von 50 km/h auf 250 km/h, erhöht die auf-
tretenden Anregungsgeschwindigkeiten
z
s
um das Fünffache, da die gleichen Anregungs-
amplituden nun bei der fünffachen Frequenz auftreten. Für die auftretenden Federkräfte
spielt das keine Rolle. Bei rein hydraulischer Dämpfung würden jedoch die auftretenden
Dämpfkräfte direkt proportional auf das Fünffache steigen. Die Reifendämpfung dagegen
zeigt ab einer gewissen Frequenz sinkende Dämpfkräfte und ermöglicht dadurch erst eine
komfortable und sichere Fahrt auch bei hohen Geschwindigkeiten [5].
In [10] wird darauf hingewiesen, dass bei der Gesamtbetrachtung eines Viertelfahrzeugs
die Reifendämpfung klein ist im Verhältnis zur Dämpfung durch den Schwingungsdämp-
fer und es wird - neben einer kompletten Vernachlässigung der Reifendämpfung - die
vereinfachte Annahme einer linearen Dämpfung von 50 bis 100 Ns/m vorgeschlagen. Im
Weiteren wird eine lineare Dämpfung von 50 Ns/m für das Quad und 100 Ns/m für die
Oberklasse-Limousine angenommen. Diese Werte liegen dabei unter dem Dämpfungswert
des hier parametrierten Gehmann-Modells bei einer Frequenz von 25 Hz, so dass in der
Simulation keine überhöhten Radlasten durch hochfrequente Anregungen auftreten.
Zusätzlich zur Änderung der Reifensteifigkeit über der Anregungsfrequenz, wie im hier
gezeigten Beispiel, tritt bei einem rollenden Reifen eine Erhöhung der Steifigkeit über der
Fahrgeschwindigkeit auf. Diese beträgt nach [25] etwa
6% von 0 bis 100 km/h. Da am
verwendeten Prüfstand eine Rollbewegung des Rades nicht vorgesehen ist, ist diese Nicht-
linearität hier nicht relevant. Trotzdem muss für einen Reglerentwurf der die Steifigkeit
des Reifens berücksichtigt, deren Abhängigkeit von Fahrgeschwindigkeit und Anregung
bedacht werden
1
. Die stärkste Nichlinearität des Reifens ist die Änderung der Steifigkeit
über der Einfederung. Nach Messungen am Prüfstand konnte das Verhalten des Reifens
durch eine quadratische Federsteifigkeit ausreichend nachgebildet werden (Abbildung 2.6).
Das Ergebnis einer Linearisierung hängt jedoch stark vom aktuellen Arbeitspunkt ab, der
1
Zusätzlich ist natürlich zu bedenken, dass Fahrzeuge mit Reifen unterschiedlicher Querschnitte und
damit stark unterschiedlicher Steifigkeiten ausgestattet werden.

2
Modellbildung und Systemanalyse
13
0
10
20
30
40
500
550
600
650
700
Frequenz /2 [Hz]
^ F
F
/^z
=
c
[k
N
/m
]
Hydr. Dämpfung
Gehmann-Modell
c + c'
Abbildung 2.3: Übertragungsfunktion Federkraft/Federweg
0
10
20
30
40
0
200
400
600
800
1000
Frequenz /2 [Hz]
^ F
D
/^
z
=
k
[N
s/
m
]
Hydr. Dämpfung
Gehmann-Modell
k
= const.
k = k
0
- k
1
Abbildung 2.4: Übertragungsfunktion Dämpfkraft/Dämpfgeschwindigkeit
0
10
20
30
40
0
20
40
60
80
100
Frequenz /2 [Hz]
^ F
D
/^z
=
k
[k
N
/m
]
Hydr. Dämpfung
Gehmann-Modell
k
= const.
k = k
0
- k
1
Abbildung 2.5: Übertragungsfunktion Dämpfkraft/Federweg

2
Modellbildung und Systemanalyse
14
anhand der statischen Radlast
F
stat
bestimmt wird. Betrachtet man einen Bereich von 0
bis
2·F
stat
, treten für das Viertelfahrzeugmodell aus 2.1 Änderungen der lokalen Steifigkeit
von -54% bis +33% im Vergleich zur linearisierten Steifigkeit auf.
0
2
4
6
8
10
12
14
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
1600
Kraft [N]
Reifeneinfederung [mm]
Quadratische Kennlinie
3.94x
2
+ 69.79x
Abbildung 2.6: Kennlinie der Reifensteifigkeit (schwarz) mit quadratischer Näherung
(rot) und beispielhafter Linearisierung (blau)
Um ein Durchfedern des Fahrzeugs bei hoher Zuladung und starker Anregung zu verhin-
dern, werden in Pkw oft progressive Federn, also mit über der Einfederung zunehmender
Steifigkeit, wie in Abbildung 2.7, verwendet. Für aktive Regelstrategien kann dies bei
linearisierten Modellen zu Problemen hinsichtlich Stabilität und Leistungsfähigkeit des
Reglerentwurfs führen. Noch entscheidender sind die Auswirkungen nichtlinearer Kennli-
nien des Schwinungsdämpfers, die durch Linearisierung nachgebildet werden. In der Regel
besitzt ein Schwingungsdämpfer im Pkw zwei wichtige Charakteristika: Zum einen eine
Asymmetrie zwischen Druck- und Zugdämpfung. Die Kräfte bei Druckdämpfung sind
meist um Faktor 3 bis 5 kleiner als bei entsprechender Zugbewegung. Zum anderen wer-
den häufig Dämpfer mit einem degressiven Kraftverlauf verwendet. In Abbildung 2.8 sind
drei Möglichkeiten der Linearisierung einer solchen Dämpferkennlinie aufgezeigt. Erstens
eine Linearisierung im Arbeitspunkt v = 0 m/s (
d
1
= 890 Ns/m), zweitens eine Linearisie-
rung bei der im Betrieb durchschnittlich auftretenden Geschwindigkeit von etwa 0,4 m/s
in der Radebene (
d
2
= 560 Ns/m) und zuletzt die Möglichkeit der Linearisierung an den
Grenzen des zu erwartenden Arbeitsbereichs (
d
3
= 360 Ns/m). Bei der vorliegenden de-
gressiven Kennlinie führt dies zu stark unterschiedlichen linearen Dämpfungskonstanten,
die große Auswirkungen auf einen eventuellen Reglerentwurf am linearen Zustandsraum-

2
Modellbildung und Systemanalyse
15
modell hätten. Führt man mit den aus Abschnitt 2.1 bekannten linearen Modell und
der Dämpfungskonstante
d
c
= d
2
einen LQR-Reglerentwurf mit hoher Gewichtung der
Aufbaubeschleunigung
y
1
durch , so erhält man beispielsweise die Zustandsrückführung
k
x
= -0.852c
c
-0.189d
c
0.0005c
w
0.731d
c
.
(2.20)
Betrachtet man das nichtlineare System mit tatsächlicher Dämpfung
d
(x
2
-x
4
) und Rück-
führung
k
x
, so sieht man aus Kennlinie 2.8, dass für Zeitpunkte mit hohen Dämpfge-
schwindigkeiten gilt:
d
(t) = d(x
2
- x
4
) d
2
(x
2
- x
4
) 0.4m/s.
(2.21)
Die tatsächliche Dämpfung im System kann also stark von der Annahme
d
c
= d
2
abweichen
(
d
3
d
2
= 0.64). Die numerische Berechnung der Eigenwerte des geschlossenen Regelkreises
(also
A
R
= A - bk
x
) für unterschiedliche Dämpfungskonstanten
d
= d
c
(t) in Abbildung
2.9 zeigt, dass das System bereits bei geringem Abfall der Dämpfung Eigenwerte in der
rechten komplexen Halbebene besitzt und daher instabiles Verhalten aufweisen kann. Eine
Aussage über die allgemeine Stabilität des nichtlinearen Systems lässt sich aus der Analyse
der linearisierten Systemmatrizen nicht gewinnen, es zeigt jedoch, dass die Stabilität des
LQR-Entwurfs, die auf der Annahme beruht, dass die lineare Dynamikmatrix des geschlos-
senen Regelkreises Hurwitz ist, nicht mehr gesichert ist. Bei hohen Dämpfgeschwindigkei-
ten kann durch den Linearisierungsfehler also instabiles Verhalten auftreten. Dem kann
nur über die Verwendung der geringen Dämpfungskonstanten
d
3
entgegengewirkt werden,
was jedoch zu einem starken Verlust der Leistungsfähigkeit des Reglerentwurfs führt, da
die tatsächliche Dämpfung
d
c
(t) stets höher ist als beim Entwurf des Reglers angenom-
men. Das Systemverhalten wird also stark vom LQ-optimalen Verhalten abweichen. Ein
Verfahren, um dem stark nichtlinearen Verhalten bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten
mit linearen Methoden zu begegnen, stellt die Anwendung des ,,Velocity-Based Design"
[17, 18] dar. Der Reglerentwurf basiert dann auf ,,velocity-based linearisation families", al-
so der geschwindigkeitsabhängigen Verwendung von an unterschiedlichen Arbeitspunkten
linearisiertem Systemverhalten.

2
Modellbildung und Systemanalyse
16
-0.1
-0.05
0
0.05
0.1
0
Relative Einfederung [m]
Federkraft [kN]
Abbildung 2.7: Progressive Federkennlinie mit Linearisierung im Arbeitspunkt
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
1.2
0
200
400
600
800
1000
1200
Dämpfgeschwindigkeit [m/s]
Dämpferkraft [N]
3
2
1
Abbildung 2.8: Linearisierung einer degressiven Dämpferkennlinie im Arbeitspunkt(1),
beim RMS-Wert der auftretenden Dämpfgeschwindigkeiten(2) und bei
der maximalen Geschwindigkeit(3)
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1
-4
-2
0
2
4
6
8
Re {eig (A
R
)}
d
3
d
2
d
d
2
Abbildung 2.9: Verlauf der Eigenwerte von A
-bk
x
eines LQR-Entwurfs mit
d
c
= d
2
für
unterschiedliche Geschwindigkeiten und damit Dämpfungskonstanten

2
Modellbildung und Systemanalyse
17
2.3 Behandlung der Nichtlinearitäten als Störungen
Die Nichtlinearitäten des Viertelfahrzeugs können bei einem Reglerentwurf am linearisier-
ten Viertelfahrzeug als Störungen des linearen Modells betrachtet werden. Im folgenden
Abschnitt wird eine Störgrößenaufschaltung der Nichtlinearitäten hergeleitet, die zu ei-
nem linearen Verhalten des entstehenden Systems führt. Wir betrachten dazu das folgende
nichtlineare Zustandsraummodell des Viertelfahrzeugs:
m
c
¨z
c
= -c
c
(x) · (z
c
- z
w
) - d
c
(x) · ( z
c
- z
w
) + F (t) ,
m
w
¨z
w
= c
c
(x) · (z
c
- z
w
) + d
c
(x) · ( z
c
- z
w
) - c
w
(x) · (z
w
- z
g
) - F (t) .
(2.22)
x
= [z
c
- z
w
,
z
c
, z
w
- z
g
,
z
w
]
T
, y
= [¨z
c
, F
dyn
, z
c
- z
w
]
T
, u
= F (t), u
d
= z
g
(t) (2.23)
x = Ax + bu + eu
d
, y
= Cx + du,
(2.24)
A
=
0
1
0
-1
-
c
c
(x)
m
c
-
d
c
(x)
m
c
0
d
c
(x)
m
c
0
0
0
1
c
c
(x)
m
w
d
c
(x)
m
w
-
c
w
(x)
m
w
-
d
c
(x)
m
w
, b
=
0
1
m
c
0
-
1
m
w
, e
=
0
0
-1
0
,
C
=
-
c
c
(x)
m
c
-
d
c
(x)
m
c
0
d
c
(x)
m
c
0
0
-c
w
(x)
0
1
0
0
0
, d
=
1
m
c
0
0
.
(2.25)
2.3.1 Reifensteifigkeit
Die Nichtlinearität
c
w
(x) kann einfach durch Ersetzen der Störgröße z
g
durch
z
g
, wie im
Folgenden gezeigt wird, eliminiert werden. Wird die Straßenanregung
z
g
(t) als unbekannt
und beliebig betrachtet, so kann die unbekannte Größe
z
g
ohne weiteres durch die fiktive
Störgröße
z
g
ersetzt werden. Teilt man die Federsteifigkeit
c
w
(x) in den linearisierten Wert
c
w
Lin
und den nichtlinearen Anteil
c
w
auf, so muss gelten
c
w
(x) · (z
w
- z
g
) = c
w
Lin
(z
w
- z
g
) + c
w
(x) · (z
w
- z
g
)
!
= c
w
Lin
(z
w
- z
g
).
(2.26)

2
Modellbildung und Systemanalyse
18
Daraus folgt
-c
w
Lin
z
g
= c
w
(x) · (z
w
- z
g
) - c
w
Lin
z
g
z
g
= -
c
w
(x)
c
w
Lin
(z
w
- z
g
) + z
g
(2.27)
und
u
d
= z
g
.
(2.28)
Führt man also statt
(z
w
- z
g
) nun z
w
- z
g
zurück, so kann die Nichtlinearität der Reifen-
steifigkeit beim Reglerentwurf vernachlässigt werden
2
. Im Weiteren werden deshalb die
nichtlinearen Eigenschaften des Reifens vernachlässigt und durch den linearisierten Wert
(
c
w
= c
w
Lin
) ersetzt.
2.3.2 Federsteifigkeit und Dämpfung
Spaltet man die Kennlinien von Federsteifigkeit und Dämpfungskoeffizient in einen linea-
ren und einen nichtlinearen Teil
c
c
= c
c
Lin
+ c
c
, mit c
c
= f(x
1
)
d
c
= d
c
Lin
+ d
c
, mit d
c
= f(x
2
- x
4
)
(2.29)
auf, so ergeben sich die Gleichungen
m
c
¨z
c
= -c
c
Lin
(z
c
- z
w
) - d
c
Lin
( z
c
- z
w
) + F (t) - c
c
(z
c
- z
w
) - d
c
( z
c
- z
w
) ,
m
w
¨z
w
= c
c
Lin
(z
c
- z
w
) + d
c
Lin
( z
c
- z
w
) - c
w
(z
w
- z
g
) - F (t) + c
c
(z
c
- z
w
) + d
c
( z
c
- z
w
) .
(2.30)
Fasst man die beiden Nichtlinearitäten als bekannte Störgrößen
z
1
(x) = c
c
(z
c
- z
w
) = c
c
x
1
z
2
(x) = d
c
( z
c
- z
w
) = d
c
(x
2
- x
4
)
(2.31)
auf, so erhält man mit
z
= [z
1
, z
2
]
T
(2.32)
2
Betrachtet man die Anregung durch die Straße nicht als vollkommen unbekannte Anregung, sondern
beispielsweise als farbiges Rauschen mit bekannten Eigenschaften der spektralen Leistungsdichte, so
muss der Einfluss einer nichtlinearen Reifensteifigkeit selbstverständlich bedacht werden.

2
Modellbildung und Systemanalyse
19
die Zustandsraumdarstellung
x = Ax + F z + bu + eu
d
,
(2.33)
mit den Systemmatrizen
A
=
0
1
0
-1
-
c
c
(x)
m
c
-
d
c
(x)
m
c
0
d
c
(x)
m
c
0
0
0
1
c
c
(x)
m
w
d
c
(x)
m
w
-
c
w
m
w
-
d
c
(x)
m
w
, F
=
0
0
-
1
m
c
-
1
m
c
0
0
1
m
w
1
m
w
, b
=
0
1
m
c
0
-
1
m
w
, e
=
0
0
-1
0
,
(2.34)
Wählt man die Störgrößenaufschaltung
u
z
= -(z
1
+ z
2
),
(2.35)
so werden die beiden Störungen
z
1
und
z
2
durch Aufschalten von
u
z
vollständig eliminiert:
x = Ax + F z + bu
z
=0
+bu + eu
d
,
(2.36)
und man erhält das tatsächlich lineare Systemverhalten
x = A
Lin
x
+ bu + eu
d
, y
= C
Lin
x
+ du.
(2.37)
Durch diese Störgrößenaufschaltung der Nichtlinearitäten verhält sich das System folg-
lich wie das linearisierte System, mit dem ein eventueller Reglerentwurf durchgeführt
wurde. Es treten keine durch die Nichtlinearitäten von Feder und Dämpfer verursachten
Leistungsfähigkeits- oder Stabilitätsprobleme auf. Es erscheint in diesem Zusammenhang
widersinnig, für solch ein geregeltes Viertelfahrzeug passive Komponenten mit nichtli-
nearen Kennlinien zu verwenden, wenn diese ohnehin ,,kompensiert" werden. Zum einen
lassen sich Nichtlinearitäten nicht immer vermeiden, wie etwa auftretende Reibung oder
auch eine gewisse Nichtlinearität der Dämpferkennlinie, selbst bei Verwendung von Line-
arkolben. Auch die Asymmetrie zwischen Zug und Druckdämpfung ist, bedingt durch die
unterschiedlich wirksamen Kolbenflächen für Zug und Druck, nicht vollständig vermeid-
bar. Zum anderen können nichtlineare Kennungen selbst bei Verwendung der nichtlinearen
Störgrößenaufschaltung Sinn ergeben, um die benötigten Stellkräfte des Aktuators zu re-
duzieren. Kommt die Einfederung dem maximal erlaubten Wert nahe, so wird ein Regler

2
Modellbildung und Systemanalyse
20
ohnehin mit erhöhtem Kraftaufwand der Einfederung entgegen wirken müssen. Liegt ei-
ne Feder mit progressiver Kennlinie vor, so wird ein Teil der erhöhten Kraft durch die
Feder aufgebracht, der Aktuator muss in diesem Fall also weniger Stellkraft erzeugen.
Sinnvolle Nichtlinearitäten können also trotz nichtlinearer Störgrößenaufschaltung die be-
nötigten Stellkräfte am Aktuator reduzieren. Das in diesem Abschnitt verwendete Prinzip
der Aufschaltung von Feder- und Dämpferkräften wird beim Reglerentwurf in Kapitel 3
in ähnlicher Form verwendet, um dem System trotz parallelem passiven Fahrwerk das
gewünschte Referenzverhalten aufzuprägen.
2.4 Zielgrößen und Ziele der Regelung
Wie bereits in der Einleitung erörtert, ergibt die Betrachtung des vertikaldynamischen
Verhaltens eines Viertelfahrzeugs zwei wichtige Zielgrößen und eine Zustandsgrößenbe-
schränkung. Die dynamische Radlast
F
dyn
und die Aufbaubeschleunigung
¨z
c
gelten als
Maß für Fahrsicherheit und Komfort. Die Einhaltung des verfügbaren Federweg durch das
Rad kommt als wichtiges absolutes Ziel hinzu. Oft werden als Maßstab für die Güte ver-
schiedener Fahrwerke die RMS-Werte von dynamischer Radlast, Aufbaubeschleunigung
und Federweg bei definierten (Straßen-)Anregungen miteinander verglichen.
Dabei bildet der RMS-Wert des Federwegs nur eine ungenaue Betrachtung der zugrun-
de liegenden Beschränkung. In der Realität ist ausschließlich die Einhaltung des maximal
zur Verfügung stehenden Federwegs, also
|z
cw
| < F W
max
entscheidend. In dieser Arbeit
wird daher der RMS-Wert des Federwegs nur indirekt als Maß für die Wahrscheinlichkeit
des Auftretens einer kritischen Einfederung (
z
cw
F W
max
) herangezogen (vgl. Abschnitt
3.2). Es gilt auch zu überlegen, dass ein vollständiges Ausfedern des Rades im Gegensatz
zum Fall des Einfederns nicht verhindert werden muss. Je weiter das Rad ausfedern kann,
desto später verliert es den Bodenkontakt. Beim Erreichen der maximalen Ausfederung
treten bei weitem nicht so große Kräfte auf, wie bei einem Erreichen der maximalen Einfe-
derung, denn im Falle der Einfederung muss der gesamte Relativimpuls der Aufbaumasse
abgefangen werden, bei Erreichen der Ausfederung muss nur der Kraftstoß durch den Re-
lativimpuls der ungefederten Masse aufgefangen werden. Das Erreichen der Ausfedergrenz
muss deshalb zwar abgedämpft werden, im Vergleich zum Einfedern stellt es jedoch einen

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2009
ISBN (PDF)
9783863417611
ISBN (Paperback)
9783863412616
Dateigröße
3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität München
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1
Schlagworte
Fahrwerksregelung aktives Fahrwerk Fahrkomfort Fahrsicherheit Federweg Fahrzeug
Zurück

Titel: Adaptive Regelung aktiver Fahrwerke
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