Ländliche Räume im demographischen Wandel: Auswirkungen und Handlungsansätze in Nordrhein-Westfalen
Zusammenfassung
Zunächst werden die Grundlagen des demographischen Wandels im Allgemeinen behandelt. Es wird die Situation in Deutschland und anschließend in Nordrhein-Westfalen dargestellt. Dabei geht es insgesamt darum, die Zusammenhänge und Komponenten des demographischen Wandels zu veranschaulichen, um auf dieser Basis im weiteren Verlauf auf die speziellen demographischen Situationen in den ländlichen Räumen von Nordrhein-Westfalen eingehen zu können.
Anschließend werden der Begriff und die Funktionen des ländlichen Raums erläutert. Diese Darstellung soll dazu dienen, die ländlichen Räume in Nordrhein-Westfalen sinnvoll und begründet abzugrenzen.
Im Hauptteil werden schließlich die Auswirkungen des demographischen Wandels und die verschiedenen regionalen Handlungsansätze in den drei ausgewählten ländlichen Räumen von Nordrhein-Westfalen dargestellt. Abschließend folgt eine kritische Betrachtung der Handlungsansätze.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.1 Situation in Deutschland
Bevor auf die spezielle Situation in NRW eingegangen wird, sollen an dieser Stelle vorab die wichtigsten Grundlagen des demographischen Wandels in Deutschland dargestellt werden. Zu den drei wesentlichen Prozessen, die den demographischen Wandel in Deutschland kennzeichnen, gehören „Rückgang, Alterung und die Wanderungsbewegungen der Bevölkerung“ (Kilper/Müller, 2005:36).
Die Tatsache, dass seit 1972 in Deutschland pro Jahr mehr Menschen sterben als im selben Jahr geboren werden stellt die Grundlage für den Gesamtbevölkerungsrückgang in Deutschland dar. Ursächlich für diese kontinuierliche Entwicklung ist ein niedrigeres Geburtenniveau, welches auch europaweit zu beobachten ist. Im Durchschnitt bringt in Deutschland gegenwärtig jede Frau, im Laufe ihres Lebens, ca. 1,4 Kinder zur Welt. Dieses Geburtenniveau reicht auf Dauer nicht aus um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Die nachfolgende Kindergeneration wird quantitativ die Elterngeneration nicht ersetzen. Die Konsequenz ist, dass in Deutschland die Gesamtbevölkerung langfristig abnehmen wird (Aschemeier, 2007:62). So prognostiziert die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des statistischen Bundesamts einen deutlichen Rückgang der Bevölkerungszahl von ca. 82 Mio. (2008) auf 65 bis 70 Mio. Einwohner im Jahr 2060 (SB, 2009:5).
Ein weiterer Aspekt des demographischen Wandels ist der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung. Für Neugeborene hat sich die Lebenserwartung im Vergleich von 1871/1880 zu 2002/2004 in Deutschland mehr als verdoppelt. So ist sie bei Männern von 35,6 auf 75,9 Jahre und bei Frauen von 38,5 auf 81,6 gestiegen (Aschemeier, 2007:63). Als Grund dafür sind die verbesserten Lebensumstände und der medizinische Fortschritt zu sehen. Es wird erwartet, dass die Lebenserwartung bis 2050 weiter ansteigen wird. Diese Entwicklung hat Einfluss auf den Altenquotient. Damit wird das Verhältnis der Bevölkerung im Rentenalter zur Bevölkerung im Erwerbsalter angegeben. 2003 standen in Deutschland 100 Personen im Erwerbsalter 44 Personen im Rentenalter gegenüber d.h. der Altenquotient lag bei 44. Für das Jahr 2050 wird angenommen, dass sich dieser Wert nahezu verdoppeln wird. Selbst unter den günstigsten (Zuwanderungs-) Bedingungen wird der Altenquotient 2050 nicht unter 75 liegen (Lennep, 2004:11). Der Trend zur Überalterung der Gesellschaft zeigt sich auch im rapide gestiegenen Anteil der Hochbetagten an der Bevölkerung. Von 1980 bis 2000 hat der Anteil der über Hundertjährigen in Westdeutschland von 12 auf 82 Personen bezogen auf je 1 Mio. Einwohner zugenommen (Aschemeier, 2007:63).
Einen wichtigen Einfluss auf den demographischen Wandel in Deutschland haben Wanderungsbewegungen. Die Zuwanderungen aus dem Ausland sind dabei besonders bedeutsam für die Bevölkerungsdynamik. In der Vergangenheit konnte durch Zuwanderung der Bevölkerungsrückgang ausgeglichen und teilweise sogar überkompensiert werden. Beispielsweise sind nach 1990 13 Mio. Personen eingewandert während 9 Mio. Personen ausgewandert sind. Dies entspricht einer Netto-Zuwanderung von 4 Mio. Personen. Der Sterbeüberschuss von ca. 1 Mio. konnte auf diese Weise ausgeglichen werden (BBR, 2005:36). Die Nettozuwanderung hat den Bevölkerungsrückgang lange Zeit aufgehalten. Ohne sie „würde die Bevölkerungszahl in Deutschland schon seit 1972 sinken“ (Aschemeier, 2007:63). Allerdings wird für die Zukunft erwartet, dass die Zuwanderung zurückgehen wird und sie somit den Bevölkerungsrückgang nicht länger ausgleichen kann.
Abschließend ist noch auf einen weiteren Aspekt des demographischen Wandels in Deutschland hinzuweisen. Der demographische Wandel hat, in Kombination mit ökonomischen Ursachen, deutliche Auswirkungen auf die Formen des Zusammenlebens bzw. die privaten Haushalte („Personengruppen, die gemeinsam wohnen und wirtschaften“). Der Trend geht zu einer stetigen Abnahme der Haushaltsgrößen bei gleichzeitig steigender Anzahl privater Haushalte. So sank zwischen 1991 und 2003 die durchschnittliche Zahl der Haushaltsmitglieder von 2,27 auf 2,13 Personen. Grund dafür ist eine Zunahme der Ein- und Zweipersonenhaushalte um je 20 % im gleichen Zeitraum. Dahinter steht einerseits eine durch die Alterung bedingte Zunahme der Einpersonenhaushalte älterer Menschen und andererseits eine durch die Geburtenrückgänge bedingte Abnahme der jungen Familienhaushalte mit drei oder mehr Personen (BBR, 2005:39). Außerdem wird ein Wandel der Lebensformen als Erklärung für diese Entwicklungen herangezogen. Dieser Wandel wird unter dem Schlagwort der gesellschaftlichen Individualisierung zusammengefasst. Der Begriff der Individualisierung bezieht sich auf die gestiegene Unabhängigkeit der Menschen von sozialen Institutionen, wie bspw. der Ehe. In der Folge werden traditionelle durch alternative Lebensformen immer mehr ersetzt und es kommt scheinbar zu einer „Pluralisierung der Lebensformen“. Allerdings nimmt dabei tatsächlich nur die Verbreitung von bereits vorhandenen Lebensformen zu. So leben die Menschen vermehrt in nichtehelichen Partnerschaften, sind alleinerziehend oder leben in Partnerschaften mit getrennter Haushaltsführung. Begleiterscheinungen dieser Entwicklung sind u.a. hohe Scheidungs- und niedrige Erstheiratshäufigkeiten (Dorbritz/Schneider, 2010:9).
Insgesamt zeigt sich also in den oben vorgestellten vier Komponenten (Schrumpfung, Alterung, Internationalisierung und Individualisierung) der demographische Wandel. Wie sich diese Komponenten gegenseitig beeinflussen zeigt Abbildung 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Ursachen und Wechselwirkungen der Komponenten des demographischen Wandels (veränderte Darstellung nach BBR, 2009:8).
Für die langfristige räumliche Differenzierung dieser Entwicklungen wird angenommen, dass in Deutschland die Alterung und Internationalisierung der Bevölkerung zwar unterschiedlich stark aber dennoch flächendeckend stattfinden wird. Anders verhält es sich hingegen mit der Bevölkerungsabnahme. Für die nächsten Jahrzehnte wird in Deutschland der Rückgang der Bevölkerung nicht alle Städte und Gemeinden im gleichen Umfang betreffen. Es wird vielmehr ein Nebeneinander von Schrumpfungs- und Wachstumsregionen erwartet (BBR, 2005:29).
2.2 Grundzüge des demographischen Wandels in NRW
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die unter 2.1 dargestellten Aspekte und Auswirkungen des demographischen Wandels lassen sich von der bundesweiten Betrachtung in einigen Punkten auf die Länderebene übertragen. Der generelle Trend der Bevölkerungsabnahme wird auch für NRW prognostiziert. Die Entwicklung der Bevölkerungszahl in NRW weist in der jüngeren Vergangenheit allerdings eine Besonderheit auf. So konnte das Land zwischen 1990 und 2004 eine beachtliche Bevölkerungszunahme verzeichnen. In diesem Zeitraum stieg die Bevölkerungszahl um 5,7 % an. In absoluten Zahlen ist die Landesbevölkerung damit um knapp 1 Mio. Personen angewachsen (MGFFI.NRW, 2009:7). Seither ist allerdings, dem bundesweiten Trend folgend, in NRW wieder ein Rückgang der Bevölkerungszahl zu beobachten. Wie Abbildung 2 veranschaulicht, wird bis 2050 weiter mit einer kontinuierlichen Abnahme der Landesbevölkerung gerechnet.
Abbildung 2 Entwicklung der Bevölkerungszahlen in NRW von 1990 bis 2050 (MGFFI.NRW, 2009:7).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie bereits angemerkt wurde verläuft die Abnahme der Bevölkerung im Zuge des demographischen Wandels nicht flächendeckend gleichmäßig, sondern es kommt zu regionalen Unterschieden. Dieser Entwicklungstrend trifft auch auf NRW zu. Aufgrund von regionalen Unterschieden in Bezug auf den Saldo von „Geburten- und Sterbeüberschuss“ sowie dem Saldo „Wanderungsgewinne und –verluste“ zeichnen sich auf Kreisebene unterschiedliche Entwicklungstendenzen ab. Grob unterschieden werden Wachstums- und Schrumpfungsregionen. Für NRW können darüber hinaus zwei Wachstumsregions- und drei Schrumpfregionstypen unterschieden werden (Grüber-Töpfer et al., 2010:12). Abbildung 3 zeigt wie sich diese Entwicklungstypen auf die Kreise in NRW verteilen. Es ist zu erkennen, dass sich insgesamt ein sehr differenziertes räumliches Muster ergibt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 Regionale Bevölkerungsentwicklung in NRW 2005 bis 2025 (Grüber-Töpfer et al., 2010:13).
Regionen in denen die Wanderungsverluste größer oder kleiner als die Sterbeüberschüsse sind (S2, S3) werden am stärksten von dem Bevölkerungsrückgang betroffen sein. Als solche Schrumpfungsregionen können große Teile des Ruhrgebiets sowie Gebiete in Ostwestfalen und das Sauerland ausgemacht werden. Im Hinblick auf die Schrumpfungsregionen wird für die Regionen von Typ S1 die günstigste demographische Entwicklung prognostiziert. Im Gegensatz zu den Typen S2 und S3 werden für diese Regionen Wanderungsüberschüsse erwartet. Auch wenn diese voraussichtlich unter den Sterbeüberschüssen liegen werden, können diese Wanderungsüberschüsse auf zukünftige Entwicklungspotentiale hindeuten. Diese Regionen befinden sich vorrangig im Ruhrgebiet und in den suburbanen Räumen von Köln und Düsseldorf. Die räumliche Nähe zu den Wachstumsregionen scheint dort die demographische Entwicklung zu begünstigen. Zu den Regionen für die sowohl Geburtenüberschüsse als auch Wanderungsüberschüsse erwartet werden (W1) gehören Köln, Bonn und Paderborn. Bei dem zweiten Wachstumsregionstyp W2 gründet sich das Wachstum hingegen nur auf einen prognostizierten Wanderungsüberschuss der in diesen Regionen höher sein wird als der Sterbeüberschuss. Zu diesen Regionen gehören die kreisfreien Städte Aachen, Bielefeld, Düsseldorf und Münster. Bei diesen vier Städten handelt es sich um wichtige Hochschul- und Dienstleistungszentren. Diese Städte verfügen daher über eine starke Anziehungskraft, die sich in dem prognostizierten Wanderungsüberschuss widerspiegelt. Auch die umliegenden Landkreise werden voraussichtlich von dieser Entwicklung profitieren können (Grüber-Töpfer et al., 2010:12-14). Zusammenfassend zeigt sich also, dass sich der Bevölkerungsrückgang bzw. die Schrumpfung sehr unterschiedlich auf die einzelnen Regionen in NRW auswirken wird. Dabei muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um Prognosen handelt die immer nur Anhaltspunkte für die zukünftige Entwicklung geben.
Die demographische Komponente der Alterung wirkt sich ebenfalls auf NRW aus und wird die zukünftige Altersstruktur des Landes bestimmen. Die Alterung ist an verschiedenen Faktoren ablesbar. Wie in ganz Deutschland ist auch in NRW ein Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung zu beobachten. So ist das Durchschnittsalter im Zeitraum 1990 bis 2008 von 39,7 auf 42,6 Jahre angestiegen und bis 2025 wird ein weiterer Anstieg auf 46,1 Jahre prognostiziert. Dabei treten kaum regionalen Unterschiede auf. Der Alterungsprozess betrifft somit alle Region von NRW (MGFFI.NRW, 2009:12). Auch der Altenquotient weicht nicht wesentlich vom deutschlandweiten Trend ab. So lag dieser 2009 bei 34.
Für die Zukunft ist zudem mit einem deutlichen Zuwachs der Hochbetagten zu rechnen. Schätzungen zu Folge wird sich bis 2025 der Anteil der über 75-jährigen an der Gesamtbevölkerung von 8 % auf 11,7 % erhöhen. Betroffen werden davon überwiegend die Landkreise sein (Grüber-Töpfer et al., 2010:15-17).
3 Der ländliche Raum
Der im vorigen Kapitel beschriebene demographische Wandel wird derzeit in der Raumplanung des ländlichen Raums, neben den Themen Regionalisierung und regionaler Wettbewerb, funktionalem Wandel der Land- und Forstwirtschaft, Flächennutzungsmanagement und Kulturlandschaftserhaltung, als ein wichtiges Handlungsfeld aufgefasst (Born, 2011:6). In diesem Kapitel geht es nun darum zu klären was unter der Raumkategorie des ländlichen Raums verstanden wird und welche Räume in NRW als ländliche Räume bezeichnet werden können.
3.1 Allgemeine Definition und Funktionen des ländlichen Raums
Für den Begriff des ländlichen Raums gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Definitionsmöglichkeiten. Einerseits wird der ländliche Raum anhand seiner charakteristischen Eigen-Merkmale definiert. Diese Definitionen beziehen sich hauptsächlich auf die spezifischen landschaftlichen, wirtschaftlichen, demographischen, soziologischen, administrativen und baulichen Merkmale des ländlichen Raums. So kann nach Henkel (20044:33) der ländliche Raum als „naturnaher, von der Land- und Forstwirtschaft geprägter Siedlungs- und Landschaftsraum mit geringer Bevölkerungs- und Bebauungsdichte sowie niedriger Wirtschaftskraft und Zentralität, aber höherer Dichte der zwischenmenschlichen Bindungen“ definiert werden. Allerdings gibt Henkel bei dieser Definition zu bedenken, dass es sich dabei um eine sehr verkürzte und generalisierte Beschreibung handelt, die der Vielfältigkeit des ländlichen Raums nicht gerecht wird. Außerdem sind es ausschließlich traditionelle Kriterien, die dem ländlichen Raum zugeschrieben werden, ohne Wandlungsprozesse zu berücksichtigen (Henkel, 20044:33). Insofern ist die oben genannte Definition nur als Einstieg in die begriffliche Annährung an den ländlichen Raum zu verstehen.
Die zweite Definitionsmöglichkeit besteht darin den ländlichen Raum zum städtischen Raum statistisch abzugrenzen. Für die Raumordnungs- und Förderpolitik sind solche Eingrenzungen der ländlichen Räume von großer Bedeutung. Als Abgrenzungskriterium wird in Deutschland u.a. die Bevölkerungsdichte auf Kreisebene herangezogen. Landkreise mit einer Bevölkerungsdichte von unter 200 Einwohnern pro km² gehören demnach zur Kategorie der ländlichen Räume (Henkel, 20044:33-34). Der ländliche Raum wird aus Sicht der Raumordnung auch häufig als „Restmenge“ betrachtet. Demnach werden alle Gebiete, die nicht die Merkmale eines Verdichtungsraums aufweisen, dem ländlichen Raum zugeordnet. Eine eigene Definition des ländlichen Raums liegt dieser Abgrenzung nicht zu Grunde und auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von ländlichen Räumen bleiben unberücksichtigt (Gebhardt, 2007:74).
Dieser sehr einfachen Abgrenzungsmethodik steht die moderne, multifunktionale Sichtweise auf den ländlichen Raum gegenüber. Grundlage dafür ist die Erkenntnis, dass sich die Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Räumen in der modernen Gesellschaft zunehmend abgeschwächt haben. Stattdessen ist zu beobachten, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen ländlichen Räumen ansteigen und teilweise stärker ausgeprägt sind als die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Somit gibt es den ländlichen Raum als einheitliche Kategorie nicht mehr (BBR, 2005:203). Vielmehr werden die ländlichen Räume anhand ihrer Funktionen differenziert. Nach dem Konzept der Multifunktionalität verfügen ländliche Räume über spezifische Funktionspotentiale. Zu den Funktionen des ländlichen Raums werden allgemein alle „Leistungen, die direkt oder indirekt von der Gesellschaft nutzbar sind und den Naturhaushalt fördern“ gezählt (BBR, 2005:204). Im Einzelnen werden im Raumordnungsbericht die folgenden sechs Funktionen des ländlichen Raums unterschieden:
- Wohnfunktion
- Wirtschafts- und Arbeitsplatzfunktion
- Ökotop- und Naturschutzfunktion
- Erholungs- und Tourismusfunktion
- Ressourcenbereitstellungsfunktion
- Standortfunktion für flächenintensive bzw. sperrige Infrastruktur
Diese Bandbreite an Funktionen macht bereits die Vielfältigkeit und Bedeutung des ländlichen Raums deutlich. Das Funktionspotential ergibt sich aus der Summe der oben genannten Funktionen die ein ländlicher Raum erfüllt. Aus dem Funktionspotential lässt sich ableiten wie spezialisiert oder vielseitig ein ländlicher Raum strukturiert ist. Die Uneinheitlichkeit des ländlichen Raums wird damit begründet, dass ländliche Räume jeweils ein spezifisches Bündel an Leistungen erbringen (BBR, 2005:212). Insgesamt ist der ländliche Raum somit keine einheitliche Kategorie. Es werden sowohl strukturschwache als auch wirtschaftlich prosperierende Regionen als ländliche Räume bezeichnet.
3.2 Der ländliche Raum in NRW – Bedeutung und Abgrenzung
Nordrhein-Westfalen (NRW) ist das bevölkerungsreichste Bundesland in Deutschland. Am 31.12.2009 zählte das statistische Landesamt NRW 17.872.763 Einwohner. Die Bevölkerungsdichte betrug 524,3 Einwohner pro km² (IT.NRW, 2010). Das Bundesland ist damit auch „der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Bundesrepublik Deutschland“ (MKULNV.NRW, 2010:12). In der öffentlichen Wahrnehmung wird das räumlich, strukturelle Bild von NRW vor allem durch das Ruhrgebiet und die Metropolregion Rhein-Ruhr geprägt. Die ländlichen Räume werden kaum beachtet oder, wie es Danielzyk/Mielke (2006:62) ausdrücken, „in der öffentlichen Wahrnehmung häufig vernachlässigt“. Auch in Bezug auf die zukünftige Raumentwicklung des Landes bleiben die ländlichen Räume größtenteils unbeachtet (ARL, 2009:2). Es sei vorab angemerkt, dass diese mangelnde Beachtung der Bedeutung der ländlichen Räume für NRW nicht gerecht wird. Die ländlichen Räume in NRW sind einerseits wichtig für die Gesamtentwicklung des Landes und weisen andererseits in ökonomischer und demographischer Hinsicht teilweise sehr dynamische Entwicklungen auf (Danielzyk/Mielke, 2006:62). In diesem Kapitel wird versucht den ländlichen Raum in NRW zu identifizieren und einzelne Gebiete abzugrenzen.
Eine erste Annäherung an den ländlichen Raum in NRW ermöglicht der aktuelle Landesentwicklungsplan (LEP). Die Raum- und Siedlungsstruktur wird darin in vier Kategorien eingeteilt. Die Verdichtungsgebiete werden in „Ballungskerne, Ballungsrandzonen und Solitäre Verdichtungsgebiete“ eingeteilt. Die ländlichen Räume werden im LEP entsprechend als „Gebiete mit überwiegend ländlicher Raumstruktur“ bezeichnet. Diese Bezeichnung deutet bereits an, dass es den ländlichen Raum im klassischen Sinne in NRW scheinbar nicht gibt. Laut LEP sind 75 % der Landesfläche durch eine ländliche Raumstruktur geprägt. In diesen Gebieten wohnen ca. 1/3 der Landesbevölkerung (MWEBWV, 1995:10). Abbildung 4 veranschaulicht die räumliche Verteilung der vier Gebietskategorien in NRW. Allerdings ist diese Darstellung der ländlichen Räume sehr pauschal und wenig differenziert. Zur Abgrenzung bestimmter ländlicher Räume ist diese Einteilung somit ungeeignet, weil der ländliche Raum auch hier als eine Art „Restkategorie“, abseits der Ballungs- und Verdichtungsräume, behandelt wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 Räumliche Verteilung der Gebietskategorien (MKULNV.NRW, 2010:15).
Aus dem LEP geht dennoch hervor, dass die ländlichen Räume in NRW, im Unterschied zu den anderen Bundesländern, einige Besonderheiten aufweisen. Zum einen ist die Einwohnerdichte im Vergleich überdurchschnittlich hoch. Des Weiteren hat die Nähe zu den Verdichtungsräumen und den Verkehrsachsen die wirtschaftliche Entwicklung in weiten Teilen des ländlichen Raums begünstigt. So wird darauf verwiesen, dass die Industriedichte (sozialversicherungspflichtig Beschäftigte des verarbeitenden Gewerbes auf 1000 EW) im Durchschnitt über dem der Verdichtungsgebiete liegt. Insgesamt stellt der LEP fest, dass NRW „nicht mehr in industrialisierte Verdichtungsgebiete und ländlich strukturierte Gebiete gegliedert werden kann“. Der LEP spricht sich weiterhin gegen die Einteilung des Landes nach dem Kriterium der Einwohnerdichte aus. Vielmehr werden die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen den ländlichen und verdichteten Räumen hervorgehoben. Hierbei wird der Siedlungs- und Wirtschaftraum von NRW aus landesplanerischer Sicht als Einheit betrachtet. Auf der regionalen Ebene wird der Entwicklung von verdichteten und ländlichen Räumen zu geschlossenen Aktionsräumen besondere Bedeutung beigemessen. Als Beispiele werden die Region Münsterland und die Region Ostwestfalen Lippe angeführt (MWEBWV, 1995:13-14). Als ländliche Räume können diese beiden Regionen damit bereits abgegrenzt werden.
Aufgrund der bereits genannten hohen Einwohnerdichte und der Nähe zu den Verdichtungsgebieten ist der überwiegende Teil der ländlichen Räume in NRW periurban geprägt. Dies bedeutet, dass die nächstgelegenen städtischen Zentren schnell erreichbar sind. Von den meisten ländlichen Gebieten aus sind die Zentren innerhalb von max. 20 Minuten mit dem Auto oder dem ÖPNV zu erreichen. Dies begünstigt u.a. die Wohnfunktion der ländlichen Räume in NRW (MKULNV.NRW, 2010:13-14).
Es zeigt sich somit, dass eine eindeutige Abgrenzung von ländlichen Räumen in NRW durchaus problematisch ist. Um dennoch räumliche Einheiten abzugrenzen wird im Folgenden zunächst das Funktionspotential der ländlichen Räume in NRW herangezogen.
Gemessen an ihrem ländlichen Funktionspotential (Abbildung 5) weisen die Regionen in NRW fast nur niedrige Werte im Minusbereich auf. Die Ballungsräume und Großstädte gehören der Kategorie „bis unter -3,0“ an. Ebenfalls eindeutig städtisch geprägt sind die östlich und westlich an die Metropolregion Rhein-Ruhr bzw. das Ruhrgebiet angrenzenden Gebiete. Das Funktionspotential liegt dort zwischen „-3,0 bis unter -1,0“. Dies deutet auf Verdichtungseffekte und eine zunehmende Verstädterung dieser Gebiete hin. In NRW weisen somit nur drei Regionen ein ländliches Funktionspotential auf welches zwischen „1,0 bis unter 3,0“ liegt. Dabei handelt es sich im Einzelnen um das Sauerland, den Landkreis Kleve und die nördliche Eifel (Kreis Euskirchen mit dem nördlich angrenzenden Rhein-Erft Kreis). Diese Gebiete können demnach als jene Region in NRW bezeichnet werden die am deutlichsten eine ländliche Struktur aufweisen. Doch die Funktionspotentiale sollen hier nicht als einziges Abgrenzungskriterium der ländlichen Räume in NRW dienen.
Ein recht ähnliches Bild ergibt auch die Abgrenzung der ländlichen Räume nach den Kriterien Siedlungsstruktur, Erreichbarkeit, Landwirtschaft und Natur/Landschaft. In einer Untersuchung auf Gemeindeebene haben Schmidt und Steinweg 2002, anhand dieser vier Kenngrößen sowie zahlreicher Indikatoren, versucht die ländlichen Räume in NRW abzugrenzen. Ohne an dieser Stelle näher auf diese Untersuchung einzugehen, soll in diesem Zusammenhang das Ergebnis als zusätzliche Bestätigung der räumlichen Abgrenzung der ländlichen Räume in NRW angeführt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Funktionspotentiale ländlicher Räume (Ausschnitt aus BBR, 2005:212).
So kommt diese Untersuchung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Regionen mit der ländlichsten Raumstruktur in NRW das Sauerland und die Gemeinden in der Eifel sind. Im Unterschied zu den Funktionspotentialen gelten aber auch weite Teile des Münsterlands und des bergischen Landes als ländliche Räume (Schmidt/Steinweg, 2002:11-12).
Im Rahmen dieser Arbeit wird sich die Darstellung der Auswirkungen und Herausforderungen des demographischen Wandels, auf Grundlage der oben genannten Abgrenzungen, räumlich auf den Hochsauerlandkreis, Ostwestfalen-Lippe und die nordrhein-westfälische Eifel konzentrieren.
[...]
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783863417024
- ISBN (Paperback)
- 9783863412029
- Dateigröße
- 1.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
- Erscheinungsdatum
- 2013 (Juli)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- ländlicher Raum Eifel Hochsauerlandkreis Ostwestfalen-Lippe demographischer Wandel Demographie