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Ermöglichen Portfolios einen adäquaten Umgang mit Schülerprodukten? Erprobung des Einsatzes von Portfolioarbeit zum produktionsorientierten Erschließen lyrischer Texte im kompetenzorientierten Deutschunterricht

©2011 Examensarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit untersucht die Möglichkeiten und Grenzen des Portfolios im Rahmen eines kompetenzorientierten Deutschunterrichts am Ende der Sekundarstufe I. Dazu wird die Planung einer Unterrichtssequenz zum produktionsorientierten Erschließen lyrischer Texte mit Hilfe der Portfolioarbeit theoretisch fundiert. Auf der Basis tiefgehender Überlegungen zum Portfolio selbst, aber auch zu handlungs- und produktionsorientiertem Literaturunterricht und zum Lesekompetenzerwerb findet dann die eigentliche Planung und Durchführung einer Unterrichtssequenz statt, die schließlich eingehend evaluiert wird.
Das Portfolio wird im Rahmen dieses Unterrichtsvorhabens multifunktional eingesetzt. Es dient zum einen dazu, die offenen Unterrichtsphasen der selbstgesteuerten Erschließung der lyrischen Texte zu steuern. Zum anderen ist es natürlich eine der Hauptfunktionen des Portfolios, die Arbeitsergebnisse zu versammeln, welche durch die vor allem produktionsorientierten, aber auch analytischen Erschließungsverfahren durch die Schüler erstellt wurden. Zudem ist das Portfolio so angelegt, dass die Reflexion der Schülerprodukte wesentlicher Bestandteil der Auseinandersetzung ist, wodurch die im Rahmen des selbstgesteuerten Lernens so wichtigen metakognitiven Kompetenzen der Schüler geschult werden. Schließlich wird mit Hilfe eines Vergleichs mit einem klassischen Interpretationsaufsatz auch die Eignung des Portfolios als Mittel zur Leistungsüberprüfung im Fach Deutsch überprüft.
Neben den in den Portfolios zur Großstadtlyrik versammelten Schülerprodukten und den Reflexionsbögen dienen vor allem Selbstaussagen der Schüler im Rahmen einer Befragung mit Hilfe eines Kompetenzrasters zur Beurteilung der Kompetenzentwicklung, denn die Frage nach der Weiterentwicklung domänenspezifischer und fächerübergreifender Kompetenzen ist wesentlich für die Beurteilung des Erfolgs des Unterrichtsvorhabens.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Theoretische Überlegungen zur Vorbereitung des Unterrichtsvorhabens

2.1. Das Portfolio – Herkunft, Formen, Einsatzmöglichkeiten

Etymologisch betrachtet ist das Portfolio schlicht eine Sammelmappe, eine Art Brieftasche, genutzt, um Planungsskizzen, Arbeitsproben usw. zu versammeln. Die Mappe dient einerseits zum Schutz des Inhalts, stellt zudem aber auch einen organisatorischen Rahmen dar, wenn beispielsweise Arbeiten zu einem bestimmten Themenbereich versammelt werden.[1] Wesentlich ist dabei aus meiner Sicht vor allem, dass hier der Autor selbst aus seinen eigenen Arbeiten jene auswählt, die er wert­schätzt und zu bestimmten Zwecken vorzeigen will. Ein Portfolio beinhaltet also bereits der Wortherkunft entsprechend zum einen den Aspekt der Veröffentlichung von Arbeitsproben und den Aspekt der bewussten Entscheidung für diese Proben.[2]

In Deutschland erfreut sich das Portfolio erst in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit,[3] was sicherlich auch eine Folge der anhaltenden Diskussion um eine Reform von Unterricht und Schule ist. Dabei gehen die Rezeptionslinien vor allem auch in die USA, wo Port­folios ebenfalls im Rahmen einer Bildungsreform bereits seit den 1980er und 90er Jahren an Hoch­schulen und Schulen Verbreitung finden und mittlerweile vor allem als Instrument zur Messung von Leistung und Leistungs­entwicklung akzeptiert sind.[4] Bei der Aufnahme der Diskussion im deutschen Sprachraum ging es in den 1990er Jahren ebenfalls besonders um alternative Formen der Leistungs­bewertung, weniger um eine Reform des Unterrichts durch Portfolioarbeit.[5] Dabei lassen sich etliche Parallelen zwischen der Portfolioarbeit und Ansätzen der Reformpädagogik her­stellen, die mit Belegheften, Arbeits­mappen etc. ebenfalls versuchten, ein möglichst breites Spek­trum der Fähigkeiten und Lern­fort­schritte der Schüler zu erfassen, Lernwege und Ergebnisse zu reflektieren, um schließlich den Schülern ein zunehmend eigenständiges Lernen zu ermöglichen.[6]

Die erste Beschäftigung mit dem Begriff Portfolio macht bereits deutlich, dass dieser nicht einheitlich gebraucht wird. Der Einsatz von Portfolios wird unterschiedlich legitimiert, ist in seiner Durch­führung äußerst facettenreich, verfolgt jeweils unterschiedliche Zielstellungen und mit ihm sind nicht zuletzt auch unterschiedlich geartete Reformhoffnungen verbunden.[7] Das Begriffs­wirr­warr kommt auch in den vielen Komposita zum Ausdruck, die den so vagen Begriff näher bestimmen sollen, letztlich aber eine noch größere Konfusion verursachen.[8] So erscheint es im Rahmen dieser Arbeit notwendig, ein klares Begriffsverständnis zu formulieren und unter­schied­liche Varianten des Portfolios voneinander abzugrenzen, um sich gemäß der jeweiligen Einsatz­mög­lich­keiten fundiert für eine Form entscheiden zu können, die für den Einsatz im Rahmen eines produktions­orientierten Unterrichts­vorhabens zur Großstadtlyrik in meiner Lerngruppe geeignet ist.

Eine einheitliche Definition des Begriffes, die in der Lage ist, alle oder zumindest die meisten existierenden Ausprägungen einzuschließen und dabei das Portfolio doch von ähnlichen Kon­zepten sinnvoll abzugrenzen, existiert nicht. Winter beschränkt sich daher darauf, in Anlehnung an Eingrenzungs­versuche durch Häcker und Definitionen aus dem angelsächsischen Raum, wesent­liche, kennzeichnende Merkmale aufzulisten, die auch leitend für mein Begriffsverständnis sind:[9]

- Ein Portfolio ist eine von den Lernenden zusammengestellte Sammlung von Dokumenten, die etwas über Lernergebnisse und Lernprozesse aussagt.
- Die durch die Lernenden ausgewählten Originalarbeiten bilden den Kern des Portfolios.
- Dazu kommen von den Lernenden erstellte Reflexionen zu den Arbeitsprozessen und -ergebnissen.
- Das gemeinsame Formulieren von Zielen und Kriterien für das Anlegen eines Portfolios bildet einen Orientierungsrahmen für das weitgehend selbstständige Arbeiten der Lernenden.
- Die Portfolios werden anderen Personen (Mitschülern, Freunden, Eltern, usw.) präsentiert.
- Portfolios sind Grundlage für Gespräche über Lernen und Leistung.
- Die in Portfolios zusammengestellten Arbeiten werden von Lehrenden (und evtl. auch Lernenden) bewertet und kommentiert.

Damit ist der Begriff immer noch recht weit gefasst, doch es sollte nun doch eine gewisse Vor­stellung davon möglich sein, was ein Portfolio auszeichnet und vielleicht auch davon, was kein Portfolio ist.[10]

Weitere Eingrenzungen sind zudem möglich, wenn man sich bemüht, die zahlreichen Port­folio­typen gemäß übergeordneter Kriterien zu unterscheiden. Eine generelle Differenzierung sollte trotz zahlreicher Mischformen zwischen Produkt- und Prozessportfolios vorgenommen werden. Bei Produkt­portfolios stehen einzelne oder mehrere ausgewählte Arbeitsergebnisse im Mittelpunkt. Eine Reflexion des Entstehungsprozesses ist hier natürlich auch wesentlicher Bestandteil (vgl. Merk­male) aber lediglich das jeweilige 'perfekte' Endergebnis wird im Portfolio abgebildet. Demgegen­über liegt der Fokus des Prozessportfolios stärker auf dem Entstehen des Produkts oder der Pro­dukte, weshalb hier auch Zwischenergebnisse, Um- und Irrwege verschiedener Arbeitsphasen ver­sammelt werden. Ob ein Portfolio nun eher produkt- oder prozessorientiert ist, hängt von didak­tischen Entscheidungen bezüglich des Einsatzes des Portfolios ab. Diese sind nach Häcker in den drei Dimensionen 'Zweck', 'Inhalte' und 'Entscheidungen' wesentlich, die sich natürlich gegenseitig bedingen und mit deren Hilfe die Portfolioarbeit dann charakterisiert werden kann:[11]

- Zweck: Portfolios können u.a. zur Archivierung von Arbeitsergebnissen und Dokumentation von Lernprozessen sowie deren Steuerung (Arbeitsportfolio), zur Veröffentlichung von erarbeiteten Produkten (Präsentationsportfolio) oder zum adressatenbezogenen Qualifikationsnachweis (Bewerbungsportfolio) dienen.
- Inhalt: Ein einzelnes fachspezifisches Projekt kann mit dem Portfolio ebenso abgebildet werden wie übergreifend alle Produkte einer Kindergartenlaufbahn oder eines Hochschul­studiums.
- Entscheidungen: Es kann völlig fremdbestimmt festgelegt sein, was in welcher Weise im Portfolio dokumentiert sein soll (z.B. bei einem Prüfungs- oder Bewerbungsportfolio) oder der Autor selbst bestimmt die Einlagen (Arbeits- oder Projektportfolio).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mit Hilfe dieser drei Dimensionen lässt sich die Vielfalt der Portfoliovarianten sortieren und das jeweils vorliegende Portfolio charakterisieren sowie in folgendem Modell verorten:[12]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Deutlich wird mit dieser Abbildung auch, dass in diesem Raum voller Portfoliovarianten eine Fülle von Ausprägungen existiert, welche sich zwar mittels der von Häcker vorgeschlagenen Parameter näher bestimmen lässt, jedoch keine Schlüsse auf wirkliche Prototypen zulässt, da die Formen fließend ineinander übergehen. Dies wird auch in der Übersicht Winters deutlich, der gerade diese fließenden Übergänge zwischen den von ihm identifizierten einzelnen Grundtypen deutlich macht:[13]

Für das darzustellende Unterrichtsvorhaben ist nun besonders die linke Spalte interessant, da hier Portfoliovarianten exemplarisch dargestellt sind, die ein einzelner Lehrer autonom im Unterricht einsetzen kann, um einzelne Sequenzen und Projekte oder ganze Kurse zu begleiten und zu doku­mentieren. Die mittlere Spalte bezieht sich auf größere Zusammenhänge und setzt das Portfolio ein, um eine Bildungslaufbahn zu begleiten, andere Bewertungsinstrumente wie Zeugnis­noten zu ergänzen oder zu ersetzen. Diese Art des Portfolioeinsatzes ist dann nicht mehr nur vom einzelnen Unterrichtenden abhängig, sondern durch die Bildungseinrichtung zu implementieren.[14] Die rechte Spalte deutet auf Varianten hin, die vor allem auch im außerschulischen Bereich von Bedeutung sind, da sie Leistungs- und Qualifikationsnachweise beinhalten.[15] Wesentlich bei allen drei dargestellten Aus­prägungen ist allerdings, dass die Portfolios idealiter die Basis für Gespräche über Lernprozess und Lern­ergebnisse bzw. über Leistungen und Qualifikationen bilden. Je nach Anlage des Portfolios können dies Gespräche mit Mitschülern, Eltern und Lehrern oder eben mit Prüfungskommissionen oder Personalchefs sein.

Für den Einsatz von Portfolios in Schule und Unterricht ist mit der Stellung des Portfolios zum Unterricht noch eine weitere, von Oswald Inglin stammende Differenzierung sinnvoll, die sich zwar aus den Dimensionen nach Häcker ableiten lässt, dennoch gesonderter Klärung bedarf. So ist es möglich, dass Portfolios den regulären Unterricht nicht tangieren, sondern parallel dazu erstellt werden (Parallel-Modell). Unterricht und Portfolio können sich allerdings auch gegenseitig be­fruchten, indem Impulse aus der Portfolioarbeit in den Unterricht aufgenommen werden (Zentripetal-Modell) oder Impulse aus dem Unterricht die Arbeit des Portfolios bestimmen (Zentrifugal-Modell). Einer Idealvorstellung vieler Autoren entspricht das Einheits-Modell, bei dem der Unterricht voll­kommen auf die Portfolioarbeit ausgerichtet ist. Jegliches Modell muss allerdings be­gründet ein­gesetzt werden und auch jenes Modell mit dem wünschenswert höchsten Grad der Inte­gration birgt seine Schwierig­keiten, weil es zum Beispiel auch einen hohen Grad an Reflexions­fähigkeit und Selbststeuerung voraussetzt. Die Übersicht von Inglin macht die jeweiligen Bezüge deutlich:[16]

Die vielfältige Beschäftigung mit dem Portfolioeinsatz ist auch mit den damit verbundenen Hoff­nungen auf eine grundlegende Reform des Bildungssystems verbunden. Das Portfolio erscheint neben anderen Ansätzen und Methoden als ein Weg zu einer veränderten Lernkultur. Mit möglichen Veränderungen in der Leistungsbewertung wurde bereits eine wesentliche Reformhoffnung an­ge­sprochen. Dies ist eine der Hauptmotivationen sich mit Portfolios zu beschäftigen und leider eine Ver­engung des Begriffsverständnisses, wenn man Portfolios ausschließlich unter diesem Gesichts­punkt betrachtet. Winter identifiziert dagegen gleich vier Reformimpulse, die von der Portfolio­arbeit ausgehen können. So seien neben der veränderten Leistungsbeurteilung auch Veränderungen im schulischen Lernen, in der Unterrichtsorganisation und in der Schulkultur erreichbar.[17]

Portfolios können wesentliches Element einer konstruktivistischen Didaktik sein und mit diesem Element ist es möglich, offene Lernarrangements zu initialisieren, zu steuern und auszu­werten.[18] Schüler können in durch Portfolios organisierten Arbeitsphasen selbstständig, eigen­verantwortlich und differenziert arbeiten, sofern die Anlage des Portfolios ihnen entsprechende Entfaltungsfreiräume einräumt.[19] Auch kann die Arbeit mit Portfolios ein Beitrag zu kompetenz­orientiertem Unterricht sein. Die Schüler können mit Hilfe ihrer bereits ausgeprägten Fähigkeiten selbstgewählte Aspekte eines ausgewählten Kompetenzbereiches bearbeiten, dabei ihre eigenen Lernwege beschreiten, die durch sie selbst und durch weitere Berater evaluiert werden. Das Portfolio dient bei diesen individuellen Lernprozessen dann als eine Art Auffangbehälter für Zwischen- und End­ergebnisse, für Reflexionen und als Basis für Gespräche zur weiteren Kompetenzentwicklung oder aber auch als Grundlage für die Bewertung des aktuellen Kompetenz­standes. Wesentliche Stärken von Port­folios ergeben sich dabei vor allem im langfristigen Einsatz, da sie fortwährend Grundlage für Entwicklungsgespräche sein können, dem Schüler, den Eltern und dem Lehrer aufzeigen können, welcher Förderbedarf besteht und welche Erfolge erzielt wurden. Insgesamt kann so ein Lernen organisiert werden, das durch eigenaktives Handeln, Rückmeldung, Reflexion und Dialog geprägt ist.[20] Unterricht kann mit Hilfe des Portfolioeinsatzes offener organisiert werden und durch die Mitbestimmung der Schüler in Teilen der Unterrichtsorganisation werden auch Änderungen in der Schulkultur hervorgerufen. Indem den Schülern Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess übertragen wird, gibt der Lehrer diese und damit auch einen Teil der Kontrolle ab. Schule und Unterricht können so etwas demokratischer werden. Direkt damit hängt auch der letzte, für viele besonders wichtige Aspekt bezüglich der Portfolioarbeit zusammen. Mit Hilfe von Portfolios kann es gelingen, die Leistungsüberprüfung zum Positiven zu verändern,[21] schon deshalb, weil die Schüler im Rahmen von transparenten Vorgaben selbst bestimmen können, welche Arbeiten sie zur Bewertung einreichen möchten und so die negativen Auswirkungen von Leistungsangst umgangen werden können.[22] Zudem kann die Beurteilung auf ein breiteres Funda­ment gestellt werden, indem nicht nur ein Aufgabenformat, wie beispielsweise der Interpreta­tionsaufsatz zu einem Gedicht, in die Beurteilung eingeht, sondern die Vielfalt der im Portfolio ver­sammelten Arbeiten. Diese wiederum lassen bei langfristig geführten Portfolios Rückschlüsse hinsichtlich der Leistungsentwicklung zu und sind als Grundlage für Entwicklungsgespräche vor allem wichtiges diagnostisches Instrument, helfen damit, das weitere Lernen zu unterstützen. Damit verschiebt sich auch die Absicht der Leistungsbeurteilung, denn es steht die Förderung des Lernens der Schüler im Vordergrund, nicht die Selektion.[23]

Das Portfolio stößt aber gerade hinsichtlich der Leistungsbeurteilung an die Grenzen eines auf traditionelle Leistungsüberprüfung und Selektion ausgelegten Schul- und Gesellschaftssystems. Zum einen ermöglicht man mit einer Benotung auf Basis eines Portfolios mutmaßlich einer größeren Anzahl von Schülern gute Noten, da viele leistungshemmende Faktoren eines tra­ditionellen Tests wegfallen (Zeitdruck, Angst, fremdbestimmte Aufgabenauswahl usw.) und eben die individuelle Lernentwicklung fokussiert wird. Damit ist das Portfolio eventuell weniger gut zur Selektion geeignet, die bei einer Beschränkung von stark nachgefragten Ausbildungs- und Studien­plätzen allerdings systemimmanent erscheint.[24] Zudem fühle ich mich als Lehrer auch verantwort­lich, die Schüler auf die traditionelle Testung vorzubereiten, da in Form von sogar zentralisierten Ab­schlussprüfungen (MSA, Zentralabitur) momentan unvermeidlich auf die Schüler zukommt.[25] So könnte ich nicht in der Sekundarstufe I ausschließlich mit Portfolios arbeiten und damit Klassen­arbeiten ersetzen, selbst wenn ich sie für die bessere Form der Leistungsbeurteilung und Lern­prozesssteuerung hielte, weil die Fähigkeit zum Verfassen der traditionellen Aufsatzformen in der Oberstufe vorausgesetzt wird und schließlich die Klausuren einen wesentlichen Teil der Hochschul­zugangsberechtigung ausmachen. Auch mein Unterrichtsvorhaben bewegt sich in diesem Spannungsfeld, da ich mit dem Portfolio keine Klassen­arbeit ersetze, sondern die Portfolioarbeit zusätzlich und auch zur Vorbereitung eines klassischen Interpretationsaufsatzes einsetze.

2.2. Produktionsorientiertes Erschließen lyrischer Texte

Bezogen auf den Literaturunterricht wird die Produktionsorientierung in den letzten Jahrzehnten fast immer in einem Atemzug mit Handlungsorientierung genannt und so ist häufig von handlungs- und produktionsorientiertem Literaturunterricht die Rede, wobei der Anschein eines zusammen­gehörigen und klar bestimmten Begriffspaares erweckt wird. Natürlich handelt es sich aber um zwei zunächst als eigen­ständig zu betrachtende didaktische Prinzipien, die allerdings in der Praxis häufig kombiniert mit­einander und in zahlreichen Mischformen Anwendung finden, weshalb diese gemeinsame Nen­nung auch eine gewisse Berechtigung aufweist.[26] Beiden Ansätzen ist auch die literaturtheoretische Legitimation durch die Rezeptionsästhetik gemein, bei welcher der Leser als Koproduzent des Textes verstanden wird.[27] Demnach verfügt jeglicher Text über Leerstellen, die während des Lesens gefüllt werden, wodurch die eigentliche Textbedeutung für den Leser erst mit Hilfe der leserseitigen Vorerwartungen, Gedanken, Gefühle usw. entsteht. Dies impliziert zum einen die Möglichkeit verschiedener Lesarten eines Textes,[28] verneint also den Anschein einer einzig möglichen Interpretation und zum anderen wird damit auch die Chance eröffnet, diese Leerstellen ganz aktiv zu füllen, indem etwa Subtexte, innere Monologe, Fortsetzungen usw. verfasst werden und/oder die Ausgangstexte in ganz anderer Weise künstlerisch aufbereitet werden, wie bspw. durch szenische Interpretation oder Vertonung. Zusammen mit Einflüssen von Dekonstruktion und Postmoderne führt dies dazu, dass Texte nicht mehr nur als geschlossenes Ganzes betrachtet werden müssen, sondern auch Zerstückelungen, Umgestaltungen, Fortschreibungen uvm. möglich sind.

Bestätigt wird diese Haltung natürlich auch durch die konstruktivistischen Ansätze moderner Didaktik, mit welchen sich handlungs- und produktionsorientierte Verfahren im Umgang mit Literatur ebenfalls rechtfertigen lassen. So wird in aktuellen und maßgeblichen Publikationen zur Lese­kompetenzförderung im Rahmen der Bildungsreform davon ausgegangen, dass Lesen eine aktive Konstruktionsleistung des Individuums meint, durch die eine kohärente mentale Reprä­sen­tation der Textbedeutung entsteht.[29] Jeder Leser muss sich demnach selbst den Bedeutungs­gehalt eines Textes konstruieren, wobei handlungs- und produktionsorientierte Verfahren hierzu beitragen können, dies nicht nur in Gedanken, sondern auch ganz konkret zu tun.[30] Dies wird durch schreib­didaktische Erkenntnisse auch aus einer weiteren Perspektive fach­didaktisch legitimiert. So gehen Fix und andere davon aus, dass die schriftliche Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand nicht nur die dazu ein­gesetzte Schreibkompetenz befördert, sondern auch die intensive inhaltliche Auseinandersetzung an­stößt, so dass Schreiben als Mittel zur Beförderung eines vertieften Verstehens verstanden werden kann.[31]

Da diese Arbeit den Fokus auf den Einsatz des Portfolios im Kontext produktionsorientierter Erschließungsverfahren legt,[32] ist eine Unterscheidung zwischen handlungs- und produktions-orientiertem Umgang trotz der vielen Überschneidungen, von der fachwissenschaftlichen Legitimation bis zum Einsatz in der Praxis, notwendig. Der Begriff Handlungsorientierung bezieht sich dabei auf einen ganz­heitlichen Zugang zu literarischen Texten, der möglichst alle Sinne ein­bezieht, die Schüler aktiviert und sie im Umgang mit literarischen Texten selbst tätig werden lässt.[33] Demgegenüber liegt der Fokus der Produktionsorientierung auf der Herstellung neuer Texte oder anderer Produkte, wobei diese ebenfalls durch den handelnden Umgang mit dem Ausgangstext kreiert werden. Schriftliche Verfahren des Um- oder Weiterschreibens stehen hier häufig im Mittelpunkt.[34] Deutlich wird, wie schwer eine Abgrenzung der beiden didaktischen Konzepte ist, da die Arbeit an den Produkten häufig als handlungsorientiert charakterisiert wird und viele eher handlungsorientierte Verfahren ein Produkt zum Ergebnis haben.[35]

Es existieren einige Vorschläge zur Kategorisierung und Untergliederung produktiver Verfahren.[36] Eine intensive Diskussion der einzelnen Ordnungssysteme erscheint nicht funktional, statt­dessen wird mit folgender, an die grundlegenden Überlegungen von Haas, Menzel und Spinner angelehnte Übersicht versucht, selbst eine grobe Orientierung zu liefern:[37]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[38]

Haas/Menzel/Spinner unterscheiden die eher schriftlichen Verfahren generell in die Grundtypen 'antizipierende' und 'umgestaltende' Verfahren, wobei eben beim antizipierenden Umgang mit Text­teilen der Text nicht vollständig bekannt ist und die Schüler die eigentliche Textgestaltung, den weiteren Verlauf etc. antizipieren, wohingegen alle Formen der Arbeit mit einem Text als Verfahren der Umgestaltung zu verstehen sind. Eine Sonderstellung nehmen die vielfältigen Formen der Ausgestaltung ein, da sie den Text oder bspw. nur seine Stimmung unter stärkerer Beteiligung verschiedener Sinne mit Hilfe einer anderen künstlerischen Ausdrucksform darstellen.[39]

Wesentlich erscheint, dass alle diese Methoden zur Erschließung des literarischen Textes ein­gesetzt werden und entsprechend bewusst ausgewählt werden. Damit existiert auch kein Grund, für diese gemeinsame Zielstellung, also die Kompetenzförderung im Bereich des Erschließens lite­rarischer Texte, nicht analytisch-interpretierende und handlungs- und produktionsorientierte Ver­fahren miteinander zu kombinieren. Schon in den grund­legenden Texten zu diesem 'neuen' Ansatz wird dafür geworben,[40] dass sich verschiedene Erschließungsmethoden gegenseitig ergänzen und befruchten können.[41] Die Gefahr der Beliebigkeit der Schülerprodukte und des wahllosen Einsatzes der Methoden ihrer selbst willen besteht immer, kann aber durch eine reflektierte Unterrichts­planung ein­gedämmt werden.[42] Vor allem kann eine bereichernde Kombination von produktionsorientierten Verfahren und einem kognitiv-analytischen Zugang zu literarischen Texten zu einem abwechs­lungs­reicheren und nachhaltigeren Unterricht beitragen, als die dogmatische Versteifung auf nur einen Zugriff. Eine grund­legende Analyse des Textes kann der Ausgangspunkt für eine gestaltende Aufgabe sein, die nicht nur oberflächlich erste Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringt, sondern das Analyse­ergebnis kreativ verarbeitet. Andererseits kann auch ein erster Zugang zu einem Text sehr motivierend mittels eines produktiven Verfahrens gelingen und eine nachfolgende analytische Phase dient dann vielleicht der Überprüfung der Plausibilität der Ergebnisse der ersten Gestaltungs­aufgaben. Eine Abweichung von traditionellen Unterrichtsformen allein stellt noch keinen guten Unterricht dar. So wie eine Öff­nung von Unterricht nur gelingen kann, wenn Fixpunkte bestehen, die dem Schüler als Orientierung dienen, der Unterricht also in gemeinsam vereinbarten Grenzen verläuft, so ist eine Produktions­orientierung nur funktional, wenn Kriterien für die Erstellung des Produkts und die Auswertung klar sind. Der jeweilige Freiheitsgrad muss dem Stand und Ziel der Kompetenz­entwicklung, hier vor allem den metakognitiven Fähigkeiten, angemessen sein, da sonst die Gefahr der Überforderung durch Orientierungslosigkeit besteht.

Bewusst eingesetzt bieten produktive Erschließungsverfahren die Möglichkeit, dass Schüler lernen, eigene kreative Zugänge zu Literatur zu finden und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text einzugehen. Die Auseinandersetzung mit den Schülerprodukten ermöglicht den Rück­bezug zum Ausgangstext sowie eine Reflexion der Produktentstehung und des Endergebnisses. Durch die oft stärkere Wahlfreiheit bezüglich der Erschließungsverfahren nach Lerntyp, Interesse, Begabung etc. kann zudem eine hohe Lesemotivation und Schüleraktivität erreicht werden.[43]

Ein produktionsorientiertes Erschließen lyrischer Texte bietet sich also gleich durch mehrere Faktoren an. Zum einen stellt Lyrik die Schüler vor besondere Herausforderungen, weil es sich um verdichtete, oft verschlüsselte Sprache handelt, die vom Sprachgebrauch der Schüler so sehr ab­weicht, dass eine tiefgründige Auseinandersetzung und auch eine gewisse Mühe damit verbunden sind, den Text zu verstehen.[44] Lyrische Texte sind in formaler Hinsicht wenig lebensweltnah, stellen damit eine be­sondere Herausforderung dar. Indem neben kognitiv-analysierenden verschiedene weitere Zugänge zur Lyrik geboten werden, kann dem Schüler die Erschließungsarbeit erleichtert werden.[45] Zudem kann durch stärkere Schülerorientierung mutmaßlich auch eine höhere Motivation erreicht werden.[46] Viele verschiedene Verfahren sind auch deshalb möglich, weil lyrische Texte zumeist recht kurz sind. Diese überschaubare Gesamtmenge bietet die Chance, mit dem ganzen Gedicht experimentierend um­zu­gehen. Durch die hinzukommenden mehr oder weniger regelmäßigen Auffälligkeiten hinsichtlich Aufbau und Form und damit die besondere lautliche Gestaltung bietet sich gerade bei Gedichten auch die Imitation des Ausgangstextes an, wodurch wesentliche Erkenntnisse auf der Ebene der Text­struktur erlangt werden können (Reim, Metrum usw.). Wesentlichster Aspekt ist allerdings, dass Leer­stellen gattungsimmanentes Merkmal lyrischer Texte sind, die auch bei rein kognitiv-analytischer Aus­ein­andersetzung bewusst oder unbe­wusst gefüllt werden müssen, um aus den meist recht wenigen aber sehr verdichteten Versen eine kohärente Textbedeutung zu konstruieren. Geübten Lesern gelingt nun beispielsweise das Ent­schlüsseln einfacher sprachlicher Bilder bereits beim ersten Lesen, doch ungeübten Lesern kann es eine enorme Hilfestellung sein, sich den Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem zum Beispiel durch eine Form der produktiven Ausgestaltung deutlich zu machen.

2.3. Beitrag des Portfolios zum produktionsorientierten Erschließen lyrischer Texte

2.3.1. Zusammenführung der theoretischen Überlegungen

Wie die bisherigen Überlegungen vielleicht bereits deutlich werden ließen, handelt es sich bei produktions­orientiertem Literaturunterricht und der Portfolioarbeit um sich gegenseitig ergänzende Ansätze, denen jeweils eine konstruktivistische Vorstellung von Lernen und Lehren zugrunde liegt, die den zunehmend selbstverantwortlichen Schüler im Zentrum seines eigenen Lernprozesses sieht, der durch den Lehrenden unterstützt wird. Dies setzt aber neben entsprechenden motivationalen und volitionalen Einstellungen der Schüler vor allem auch grund­legende reflexive Fähigkeiten auf Seiten des Schülers und diagnostische Fähigkeiten auf Seiten des Lehrers voraus. Allerdings sind es ja gerade eigenverantwortliche Arbeitsphasen, in deren Organi­sation auch zur Reflexion des Arbeitsprozesses und Arbeitsergebnisses angeleitet wird, die es den Schülern ermöglichen, diese metakognitiven Fähig­keiten zu entwickeln. Außerdem ist in Unterrichts­phasen, in denen die Schüler selbstständig arbeiten, Raum für den Lehrer mit einzelnen Schülern ins Gespräch über den Lernprozess zu kommen oder sie schlicht zu beobachten, um eben die Analyse der jeweiligen Lernausgangslage und der notwendigen Förderung zu verbessern. Das Portfolio bietet die Mög­lichkeit selbstgesteuertes, individuelles Lernen zu organisieren und zudem auch die Reflexion der Schüler über ihren Lernprozess anzuleiten. Es stellt auch ein weiteres diagnostisches Instrument für den Lehrer dar, die Lernprozesse des einzelnen Schülers besser zu verstehen, Förderbedarf zu er­kennen etc. und kann als Basis für einen Dialog zwischen Schüler und Lehrer über bisheriges und weiteres Lernen dienen. Unterstützt werden kann dies bereits in der Anlage der Portfolio­arbeit, indem Reflexionsbögen zu ihrem festen Bestandteil werden. Zudem können die eigenen Stärken und Schwächen durch ein Kompetenzraster identifiziert werden. Dies kann dann Aus­gangs­punkt für die weitere Portfolioarbeit sein.

Der Lernprozess kann also mit Hilfe des Portfolios kompetenzorientiert angeleitet und aus­ge­wertet werden, wobei Kompetenzraster domänenspezifische und übergreifende (Teil-)Kompe­tenzen auch für die Schüler transparent aufzeigen können. Die Selbstbeurteilung mit eta­blierten 'Ich kann'-Formu­lierungen verdeutlicht dem Schüler Fähigkeiten und Defizite in Anbetracht der durch den Lehrer erwarteten Leistungen. Der mit dem Kompetenzraster durch die Schüler konstatierte Lern­fort­schritt kann mit den im Portfolio versammelten Arbeiten nachgewiesen werden.[47] Kompetenz­raster, die auf den jeweiligen Kompetenzbeschreibungen aufbauen und sich an den Standards der Rahmen­lehr­pläne orientieren, können ein Referenzsystem bilden, mit welchem die Schüler und Lehrer die indi­viduelle Leistungsfähigkeit den curricularen Anforderungen gegen­überstellen können.[48]

Der produktionsorientierte Umgang mit Lyrik ist eine sehr individuelle Ausein­ander­setzung mit dem jeweiligen Text.[49] Weil diese Form des Erschließens ergebnisoffener und viel­fältiger ist als ein Unterrichts­gespräch zum Bedeutungsgehalt des Gedichtes, ist eine Schwierigkeit die trotzdem not­wendige Zusammenführung der Schülerergebnisse. Das Portfolio löst dieses Problem, indem jeder Schüler darin die zu veröffentlichenden Ergebnisse versammeln kann. Dies ist motivational wichtig, weil die Schüler nicht nur sinnfrei für den Papierkorb, sondern für das Port­folio arbeiten, welches alle Produkte versammelt und dabei selbst ein großes Produkt bildet, auf dessen Herstellung man stolz sein kann. Die Schüler haben mit dem Portfolio etwas erreicht, das in sich wertvoll ist und Wert­schätzung verdient, womit eine ungeheure Selbstwirksamkeitserfahrung einhergehen kann.

Das Portfolio ist für individualisierten produktionsorientierten Unterricht aber auch organi­satorisch wichtig, weil Schüler einzelne Aufgaben unterschiedlich schnell, je nach Interessen­lage unter­schied­lich intensiv, allein oder kooperativ bearbeiten. Aufgaben, die ein ge­wisses Maß an Kreativität ab­verlangen, sind zudem vielleicht auch nicht in jeder Unterrichts­stunde möglich, sondern erfordern Muße. Durch das hohe Maß an Selbststeuerung während der Port­folio­arbeit kann auf diese Aspekte durch die Schüler selbst eingegangen werden. Gleich­zeitig bleibt mit dem Portfolio ein äußerer Rahmen erhalten, der den Schülern auch die Sicherheit gibt, zu wissen, wofür sie gerade eine produktive Aufgabenstellung bearbeiten. Ein weiterer Vorzug ist, dass der Lehrer seiner Lerngruppe entsprechend entscheiden kann, welche Rolle das Portfolio in seinem Unterricht spielt. Es muss nicht der ganze Ablauf durch die Portfolioarbeit determiniert werden, sondern es kann auch sinnvoll sein, lehrerzentrierte Phasen einzuflechten, die einzelne Aufgaben­stellungen vorbereiten oder mehrheitlich aufgetretene Probleme thematisieren. Auch gemeinsame Reflexions- und Präsentations­phasen können die eigenständige Arbeit sinnvoll unter­brechen.

Ein Portfolio zu einem Gedicht kann den Schülern dazu dienen, ihre intensive Aus­ein­ander­setzung mit dem lyrischen Text zu dokumentieren, indem sie darin darstellen, wie sie sich den Text auf verschiedenen Ebenen mittels unterschiedlicher produktiver Verfahren erschlossen haben. Sie können dabei ihre Kenntnisse und Fähigkeiten aus dem Unterricht zur Anwendung bringen, den eigenen Leistungsstand feststellen und die eigene Leistungsfähigkeit veröffentlichen. Durch die schüler­seitige, begründete Auswahl der Portfolioeinlagen und durch die Forderung, diese Arbeits­ergebnisse und ihre Entstehung zu reflektieren, wird zudem an metakognitiven Fähigkeiten gearbeitet.

2.3.2. Resultierende Hypothesen und Möglichkeiten ihrer Überprüfung

Die nachfolgende Übersicht soll verdeutlichen, welche Schlussfolgerungen aus den bisherigen Über­legungen gezogen werden, indem diese in Form von Hypothesen formuliert werden. Gleich­zeitig soll durch die Zuordnung von möglichen Indikatoren für die Richtigkeit der Hypothesen die spätere Auswertung des Unterrichtsvorhabens erleichtert werden:

1. Der Einsatz des Portfolios eignet sich, um Phasen selbstgesteuerten Lernens zu organisieren.

Indikator: Die Schüler arbeiten auch in offenen Lernarrangements konzentriert am Portfolio und erschließen sich so eigenaktiv ein Gedicht ihrer Wahl.

2. Die Portfolioarbeit eignet sich dazu, domänenspezifische Kompetenzen weiterzuentwickeln.

Indikator: Die Schüler haben den Eindruck, dass sich ihre Fähigkeiten zur Gedicht­interpretation verbessert haben (Kompetenzraster). Portfolio und Klassenarbeit bilden die weiterentwickelten Fähigkeiten ab.

3. Durch Reflexionsbögen als Teil des Portfolios können die Schüler dazu angeleitet werden, den eigenen Arbeitsprozess und das Produkt kritisch zu reflektieren, womit metakognitive Fähigkeiten geschult werden.

Indikator: Die Schüler füllen die Reflexionsbögen sinnvoll aus und es ist ein Durchdenken des Lernprozesses zu erkennen.

4. Portfolios eignen sich zur Vermittlung der Prozesshaftigkeit des Schreibens.

Indikator: Die Schüler erkennen durch die Reflexion ihrer Arbeit, durch die Beratung von Außenstehenden etc. Defizite in ihren derzeitigen Produkten und überarbeiten diese.

5. Die im Portfolio versammelten Arbeiten stellen einen Gesprächsanlass über die erbrachten Leistungen dar, womit diese honoriert aber auch konstruktiv kritisiert werden.

Indikator: Es wird durch Schüler, Eltern, externe Berater ein hilfreiches Feedback gegeben.

6. Das Portfolio eignet sich zur Beurteilung von Schülerprodukten.

Indikator: Die Portfoliobeurteilung bildet die Leistungsfähigkeit der Schüler weitestgehend ab, was durch Vergleiche mit bisherigen Beobachtungen, mit der Selbstbeurteilung durch die Schüler und mit der Klassenarbeit zur Interpretation eines Gedichts kritisch hinterfragt werden kann.

7. Die hergestellten Portfolios stellen eine wichtige Selbstwirksam­keits­erfahrung für die Autoren dar.

Indikator: Die Schüler sind erkennbar stolz auf die erbrachte Leistung.

3. Planung des Unterrichtsvorhabens

3.1. Analyse der Lerngruppe als Ausgangspunkt für die Planung

3.1.1. Allgemeine Beschreibung der Lerngruppe

Die 27 Schüler dieser Lerngruppe erlebe ich seit Beginn meines Vorbereitungsdienstes als aufge­schlossen, freundlich und interessiert. Viele Schüler arbeiten auch in offeneren Arbeitsphasen gerne und konstruktiv zusammen. Einige der Schüler nutzen solche freien Phasen allerdings auch für unterrichtsferne Themen.[50] Das Lern- und Arbeitsklima ist als recht freundlich zu beschreiben. Auch ist ein angenehmer Umgang mit besonders leistungsfähigen Schülern fest­zustellen, die für ihre Fähigkeiten respektiert werden und deren Hilfe gerne auch angenommen wird. Aus meiner bisherigen Wahrnehmung heraus muss neben diesen recht guten Schülern aber auch ein breites Mittelfeld konstatiert werden, von dem ein Großteil der Schüler bei gleichbleibendem Lern- und Leistungsverhalten enorme Schwierigkeiten in der Oberstufe hätte. Dies liegt bei vielen Schülern allerdings eher an mangelnder Leistungsbereitschaft, weniger an mangelnder Leistungsfähigkeit.[51] Auch eventuell altersbedingt noch nicht sehr stark ausgeprägte Fähigkeiten zur Reflexion und Selbststeuerung sehe ich hier ursächlich.[52] Ein gängiges Vorurteil bestätigend finden sich übrigens unter den 12 Mädchen besonders viele interessierte und leistungsbereite Schüler, wohingegen einige der 15 Jungen ihr Leistungspotential nicht immer voll ausschöpfen.[53] Dies gilt auch und besonders für den Umgang mit literarischen Texten.[54]

Detailliertere Aussagen zu den für die Portfolioarbeit notwendigen Fähigkeiten soll die Aus­wertung des Kompetenzrasters ermöglichen, weshalb hier nur eine grobe Einschätzung des fachlichen Kompetenzstandes erfolgt. Die Ausbildung einer Lesekompetenz, die über eine Grundbildung im Lesen hinaus auch zum gegenstandsgerechten Umgang mit literarischen Texten befähigt, ist nur bei wenigen Schülern auf einem für eine neunte Klasse wünschenswerten Stand. Verstehendes Lesen wird von den Schülern überwiegend gut beherrscht, doch kritisches Lesen und vor allem reflexives Lesen fällt ihnen noch sehr schwer, was allerdings nicht nur lernstandsbedingt erklärbar ist, sondern auch Ausdruck des altersangemessenen Entwicklungsstandes sein mag.[55]

Die Schüler haben gleich zu Beginn unseres gemeinsamen Unterrichts in der neunten Klasse zum ersten Mal eine umfangreiche Analyse und Interpretation zu einer Kurzgeschichte verfasst. Die Verfahren eines solchen schriftlichen Interpretationsaufsatzes mussten dafür eingeführt werden. Die einzelnen Techniken des Umgangs mit literarischen Texten wurden im Laufe des Schul­jahres weiter ausgebaut, unter anderem im Umgang mit dem Drama 'Andorra' von Max Frisch und mit Gottfried Kellers Novelle 'Kleider machen Leute'. Zu 'Andorra' haben die Schüler zudem ein Lesetagebuch geführt, welches deutlich über die reine Verarbeitung des Erstleseeindrucks hinaus neben analy­sierenden auch produktions­orientierte Aufgabenstellungen zur freien Bearbeitung enthielt und damit bereits Züge eines Portfolios trug. Der Aspekt der Reflexion des eigenen Lernprozesses wurde allerdings bei diesem Lernarrangement noch vernachlässigt.[56]

Die Schüler werden sich in diesem Unterrichtsvorhaben zum ersten Mal intensiv mit Lyrik aus­einandersetzen. Zumindest den Aussagen der Schüler folgend haben sie dies bisher noch nicht systematisch getan. Lediglich Elfchen seien selbst verfasst worden.[57]

3.1.2. Auswertung der Selbstbeurteilung mittels einer Art Kompetenzraster

Die Arbeit mit Kompetenzrastern ist noch nicht wirklich etabliert, dies gilt im Besonderen auch für den Deutschunterricht. Dies liegt zum einen daran, dass es auch Jahre nach der Klieme-Expertise für den Fachbereich Deutsch an wissenschaftlich fundierten, domänenspezifischen Kompetenz­modellen mangelt.[58] Es gibt hierfür zwar einige Vorschläge, die allerdings jeweils nur die traditionellen Bereiche des Deutschunterrichts unterscheiden und beinah wahllos Komposita mit dem Wortbestandteil 'Kompetenz' bilden.[59] Für den Umgang mit Texten gibt es zwar einige Ansätze zur Beschreibung des Erwerbs einer Lesekompetenz, wobei damit allerdings noch nicht der gegenstandsgerechte Umgang mit Literatur gemeint sein muss, wie das Lesekompetenzmodell der PISA-Studie leider eindrucksvoll zeigt.[60] Bestrebungen zur Bestimmung einer literarischen Kompetenz sind noch nicht so weit gediehen, als dass Teil­bereiche und Niveaustufen empirisch gesichert unterschieden werden könnten.[61] Die Konsequenz für mein Unterrichtsvorhaben ist nun, dass ich unter Zuhilfenahme gängiger Kompetenzraster und mit Blick auf die zu bewältigenden Anforderungen selbst und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Fähigkeiten aufgelistet habe.[62] Die Schüler hatten die Aufgabe, sich mit Hilfe dieses provisorischen Kompetenzrasters einzuschätzen, wobei anzugeben war, in welchem Ausprägungsgrad die jeweiligen Fähigkeiten und Fertigkeiten beherrscht werden. In einem wirklich belastbaren Kompetenzraster müssten die einzelnen Fähigkeitsbeschreibungen klar einem spezifischen Kompetenzbereich zugeordnet sein und die einzelnen Niveaus müssten empirisch belegt voneinander abgegrenzt beschrieben und konkretisiert werden, statt schlicht mit Symbolen für den Ausprägungsgrad zu arbeiten. Meine Herangehensweise entspricht also in keiner Hinsicht den Testgütekriterien und bemüht sich im Gegensatz zu anderen Vorschlägen auch nicht darum, diesen Eindruck zu erwecken. Vielmehr geht es mir darum, Einblick in die äußerst subjektive Selbsteinschätzung der Schüler zu erlangen, weil auf dieser Basis Gespräche über das Lern- und Leistungsverhalten möglich erscheinen und weil so objektiv vorhandene oder aber auch nur gefühlte Unsicherheiten identifiziert und bearbeitet werden können. Daneben sind die Schüler bei ernsthafter Bearbeitung des Reflexions­bogens genötigt, bei jedem Item über ihre eigenen Fähigkeiten nachzudenken und auf der Basis dieser metakognitiven Vorgänge ein Kreuz zu setzen. Diese Auseinandersetzung mit subjektiv empfundenen eigenen Fähigkeiten im Kontrast zu objektiv vorhandenen Anforderungen wird meines Erachtens zu selten forciert.

Die nachfolgende Übersicht zeigt das Ergebnis dieser Selbsteinschätzung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Deutlich wird an dieser Selbsteinschätzung, dass sich ein Großteil der Schüler einfache Ver­stehens­leistungen und Formanalysen bereits zutraut (Aussagen 1-3), wohingegen die Analyse sprach­licher Mittel und Gedichtvergleiche sowie Kontextualisierungsleistungen mehrheitlich als schwierig empfunden werden. Ich denke, diese Einschätzung durch die Schüler ist dem höheren Anspruchs­niveau dieser Art von Aufgabenstellungen auch angemessen.[63] Bei der siebenten Aussage, bezogen auf das Verfassen eines Interpretationsaufsatzes, geben überdurch­schnittlich viele Schüler an, dass sie dazu noch gar nicht in der Lage wären. Da diese Aufsatzform im Rahmen einer Sequenz zur Inter­preta­tion von Kurzgeschichten ausführlich eingeführt wurde, empfinde ich dieses Ergebnis als recht hoch. Jedoch kann dies auch Ausdruck für eine generelle Unsicherheit hinsichtlich dieser Form schrift­licher Leistungsüberprüfung sein, vor allem in Anbetracht des neuen Elements Gedicht.

Die auf produktionsorientierte Aufgaben­formate abzielenden Items (Aussagen 8-11) wurden dann wieder mit etwas mehr Zuversicht beantwortet, wobei vielen Schülern eine visuelle Dar­stellung als recht bekannt erscheint, wohingegen das Umschreiben oder Selbstschreiben für viele Schüler mit größerer Unsicherheit verbunden ist (Aussage 10 und 11). Da ich nicht zum ersten Mal mit einer Form von Sammelmappe für die Zusammenstellung der eigenen Arbeitsergebnisse arbeite, hat es mich nicht erstaunt, dass recht viele Schüler davon ausgehen, ein Portfolio erstellen zu können (Aussage 12), wobei augenscheinlich der reflexive Aspekt etwas unterschätzt wird (Aussagen 13-15).[64] So bin ich gerade in diesen Punkten gespannt auf die Ergebnisse der Portfolioarbeit. Dass nicht ausnahmslos alle Schüler meinen, sicher in der Lage zu sein, fristgerecht ein Ergebnis zu präsentieren (Aussage 16), entspricht auch meinem Eindruck. Für einige wenige Schüler besteht im Aspekt der Selbststeuerung die größte Herausforderung, da sie es gewohnt sind, fremdgesteuert zu werden. Auch wenn diese Fremdsteuerung durch die moderne Psychologie als nicht sehr angenehmer Zustand verstanden wird, muss man sagen, dass sich einige Schüler darin anscheinend durchaus wohl fühlen, was auch leicht zu erklären ist. Ihnen wird die schwerwiegende Verantwortung, für sich selbst Entscheidungen zu treffen, in der Regel durch Eltern, Lehrer oder andere Instanzen abgenommen. Die selbstgesteuerte Willens­bildung und das Verfolgen dieses Willens auch bei gering ausgeprägter Motivation stellt eine hohe Anstrengung und damit die eigentliche Herausforderung der Selbstregulation dar.[65]

Insgesamt macht die Auswertung der Selbstbeurteilungsbögen deutlich, dass viele der Schüler ihrer eigenen Einschätzung nach in allen Bereichen zumindest grundlegende Fähigkeiten besitzen. Nur wenige Schüler geben bei einigen Items an, die Anforderung überhaupt nicht zu beherr­schen, wobei dies zum Teil auch Aspekte betrifft, die wirklich neu für die Schüler sind. Natür­lich muss auch eingeräumt werden, dass die Aussagekraft solcher Selbstbeurteilung begrenzt ist, was an mehreren Mängeln liegt. So ist die Niveauabstufung durch simple Fünfteilung nicht klar genug. Hier müsste konkret benannt werden, auf welcher Stufe welche Leistungen erwartet werden, was allerdings ela­borierte Kompetenzmodelle mit Niveaukonkretisierungen voraussetzen würde. Auch die Einzelitems beschreiben zum Teil Anforderungen, die den Schülern nicht immer in vollem Um­fang klar sind, weshalb es zu Fehleinschätzungen kommen kann. Generell ist aber hervor­zu­heben, dass die Schüler über ihre eigene Leistungsfähigkeit nachgedacht haben. Ihnen wurde mit diesem Bogen deutlich gemacht, welche Anforderungen der Deutschunterricht in den nächsten Wochen an sie stellt und sie haben doch recht zuversichtlich angegeben, dass sie bereits in einigen Bereichen Fähigkeiten besitzen. Ich denke eine solche Verortung hinsichtlich transparenter An­for­de­rungen verbessert die Einstellung der Lernenden zum Unterricht. Als Teil des Portfolios ist diese erste Selbsteinschätzung zudem geeigneter Ausgangspunkt, um die eigene Leistungs­ent­wick­lung wahr­zunehmen und damit die Reflexion der Schüler über ihren eigenen Lernprozess zu unterstützen.

Für mich ist aus diagnostischer Sicht besonders interessant, wie die einzelnen Schüler sich selbst einschätzen, ob mein Bild von den Schülern mit der Selbsteinschätzung über­einstimmt. Hier sind mir besonders einige recht leistungsstarke Mädchen aufgefallen, die aus meiner Sicht unan­ge­bracht defensiv geantwortet haben. Sie gilt es, während der Portfolioarbeit etwas zu bestärken, damit sie sich ihrer Leistungsfähigkeit stärker bewusst werden. Auch jene Schüler, die mehrheitlich im negativen Bereich geantwortet haben, gilt es besonders zu beobachten, um ihnen bei Bedarf entsprechend Hilfestellung geben zu können.

[...]


[1] Häcker verweist auf eine italienische Wurzel des heute verwendeten Begriffs, wobei 'portafoglio' eine Zusammen­setzung aus 'portare' (tragen) und 'foglio' (Blatt) ist. Ausgestattet mit einer solchen Sammelmappe trugen bereits Architekten und Künstler der Renaissance ausgewählte Beispiele ihrer Schaffenskraft mit sich, um bei Bewerbungen ihre Qualifizierung nachzuweisen. Vgl. Häcker 2006a, S. 27f.

[2] Nicht alle Mischformen im Bereich der Lehre weisen diese Merkmale auf, es gibt auch die Möglichkeit, schlicht alle produzierten Arbeiten ohne weitere Begutachtung in einer Sammelmappe zusammenzufassen, wobei hier wohl fraglich wäre, ob es sich noch um ein Portfolio im eigentlichen Sinne handelt.

[3] Bohl beschreibt die zunehmende Thematisierung in den letzten Jahren gar als „boomartig“, vgl. Bohl 2006, S. 144, wobei ihm die stark wachsende Zahl der Publikationen recht gibt.

[4] Vgl. Bohl 2006, S. 144 und Winter 2004, S. 187f.

[5] Die Kritik an der traditionellen Leistungsbewertung hat bereits seit den 1970er Jahren Tradition und schon in dieser Zeit gab es mit den Arbeiten Vierlingers, der eine Art Leistungsmappe als Alternative zum Zensurenzeugnis vorgeschlagen hat, im deutschsprachigen Raum Konzepte, die dem Portfolio stark ähneln, aber, zumindest in Deutschland, auf zuerst eher wenig Resonanz stießen. In Österreich und auch der Schweiz ist man hier in der Entwicklung deutlich weiter, vgl. dazu Häcker 2006a, S. 29f. und Winter 2004, S. 188.

[6] Vgl. Häcker 2006a, S. 30f.

[7] Vgl. Winter 2004, S. 188.

[8] So existieren Epochenportfolios, Projektportfolios, Lernentwicklungsportfolios, Schulzeitportfolios, Bewerbungs­portfolios, Sprachenportfolios und viele mehr in einem unbestimmten Nebeneinander, mit deutlichen Unterschieden, Überschneidungen und fehlenden Eingrenzungen, siehe dazu auch Winter 2010, S. 10.

[9] Die nachfolgende Merkmalsauflistung ist angelehnt an Winter 2010, S. 11. Zur Begriffsbestimmung siehe auch Häcker 2006b, S. 33ff.

[10] So wäre ein Kursordner, der alle Arbeiten versammelt, deutlich kein Portfolio. Auch Lerntagebücher, die den Schwer­punkt auf die Dokumentation von Lernprozessen durch Berichte und Reflexionen setzen, sind klar abzu­grenzen, weil der Fokus nicht auf den Schülerprodukten liegt. Ebenfalls kein Portfolio wäre ein Dossier über einen Lernenden, welches mit Zeugnissen, Testergebnissen usw. lediglich Fremdbeurteilungen zusammenfasst. Siehe dazu auch Winter 2010, S. 12.

[11] Vgl. Häcker 2006b, S. 37ff. und Winter 2010, S. 10ff.

[12] Abbildung aus Häcker 2006b, S. 38.

[13] Abbildung aus Winter 2010, S. 13.

[14] Kindergärten und Grundschulen arbeiten schon recht häufig mit übergreifenden Entwicklungsportfolios, welche die Fortschritte eines Kindes in der Einrichtung dokumentieren. Vereinzelt arbeiten auch Sekundarschulen nach diesem Prinzip. Überregional bekannt dafür ist das Institut Beatenberg, eine kleine Sekundarschule, die das Lernen mit Kompetenzrastern und Portfolios organisiert. Siehe dazu Müller 2006 oder die Website der Schule unter www.institut-beatenberg.ch (17.09.2011).

[15] Vgl. Winter 2010, S. 12ff.

[16] Abbildung entnommen aus Inglin 2006, S. 85.

[17] Vgl. Winter 2010, S. 17ff.

[18] Eine tiefgründige Legitimation offener Unterrichtsarrangements, welche den Schülern Raum zum selbstgesteuerten Lernen bieten, wäre an dieser Stelle nicht zielführend und würde den Rahmen sprengen, siehe dazu u.a. Gudjons 2007 oder Jürgens 2005 sowie zur konstruktivistischen Didaktik Reich 2008.

[19] Wie viele Formen offenen Unterrichts kann auch die Portfolioarbeit je nach Anlage sehr offen und auch sehr ge­schlos­sen gestaltet werden, wie bereits in der Übersicht Häckers deutlich wurde. Nicht jede Portfolioarbeit ist damit mit offenen Lernarrangements gleichzusetzen. Der Grad der Offenheit muss den Fähigkeiten der Lern­grup­pe ange­messen durch den Unterrichtenden bewusst bestimmt werden, um Überforderung zu vermeiden. Dabei besteht die Schwierig­keit eben darin, die richtige Balance zu finden, zwischen einer Ein­schränkung der Lernwege durch zu starre Vorgaben und einem zu offenen Unterricht, in dem die Schüler nicht mehr wissen, was sie tun sollen.

[20] Vgl. Winter 2010, S. 17.

[21] Zur generellen Kritik traditioneller Leistungsbeurteilung siehe Winter 2004, S. 33ff., zu alternativen Formen u.a. Bohl 2006 und Winter 2004.

[22] Durch den Einsatz von Portfolios zur Leistungsbeurteilung können wesentliche Faktoren zur Entstehung von Leistungsangst eliminiert werden. Leistungsängstliche Schüler versagen in Tests nicht aufgrund mangelnder Fähig­keiten, sondern aufgrund eines hohen eigenen Anspruchsniveaus in Kombination mit einer schlechten subjektiven Einschätzung der eigenen Kompetenzen, einem schlechten Attributionsstil, wodurch eine hohe Misserfolgswahr­scheinlichkeit entsteht, diesen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Zusammen mit einer hohen Motivation, das eigene z.T. unrealistisch hohe Anspruchsniveau trotzdem zu erreichen, entsteht Angst in der Prüfungssituation. Diese Angst löst aufgabenirrelevante Kognitionen, wodurch problemorientiertes Verhalten erschwert oder gar ver­hindert wird (vgl. u.a. Strittmatter 1993, S. 14ff. und Schwarzer 2000, S. 105ff.). Es sind also meist sehr motivierte Schüler mit hohem Anspruchsniveau, die in klassischen Tests unter Einfluss ihrer Angst nicht sehr leistungsfähig erscheinen. Demgegenüber muss ein Schüler bei der Portfolioarbeit nicht die Entlarvung der eigenen gefühlten Unfähigkeit befürchten, denn er kann selbst und mit ausreichend Bedenkzeit entscheiden, mit welchen Arbeiten er zufrieden ist und kann diese im Portfolio veröffentlichen. Statt eines defizitorientierten Ankreidens aller Mängel bezogen auf den für die Schüler oft nicht einsehbaren Erwartungshorizont eines Tests, kann der Lehrer nun auch leichter die Stärken der einzelnen Leistungen hervorheben, nicht ohne auch konstruktive Kritik bezüglich vorhandener Verbesserungs­möglichkeiten zu formulieren. Durch die Reflexionen und den Dialog über die Leistungsfähigkeit kann dem Schüler zudem zu einem angemessenen Anspruchsniveau, einer realistischen Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und einer Selbstwirksamkeitserfahrung verholfen werden, womit Angstentstehung vorgebeugt werden kann, siehe dazu auch Tarnai u.a. 2000.

[23] Vgl. Winter 2010, S. 17-22.

[24] Auch ist nicht immer ganz klar, welcher Nachhilfelehrer oder Elternteil nun jeweils als Ghostwriter fungierte oder ob die Schwarmintelligenz der Wikipedia eigentlich die gute Note verdient hätte. In einer von Vertrauen geprägten Zusammenarbeit halte ich dieses Risiko zwar für relativ gering und mittels einer entsprechenden Begleitung der Portfolioarbeit würden unerklärbare Leistungssprünge sicherlich auch auffallen, doch letztlich ist es einfacher, alle Schüler für 90 Minuten einer Klassenarbeit zu unterziehen, als mittels Volltextsuche im Internet eventuelle Originalquellen zu identifizieren.

[25] U.a. in der Schweiz ist auch eine Prüfung unter Beteiligung eines Portfolios möglich, siehe Inglin 2010, S. 128ff.

[26] Vor allem wird das Begriffspaar seit seiner Einführung zur Abgrenzung von analytisch-interpretierenden Erschließungs­methoden eingesetzt. Zurück geht der Begriff auf die gleichlautende Publikation von Gerhard Haas (Haas 1984), wobei mit leichten Schwerpunktverschiebungen auch weitere Bezeichnungen existieren, wie bspw. Spinners 'produktive Verfahren' (Spinner 1987), den durch Waldmann geprägten 'produktiven Umgang' (Waldmann 2006) oder Menzels 'operative Verfahren', vgl. dazu auch Haas/Menzel/Spinner 1994, S. 25. Insgesamt muss allerdings festgehalten werden, dass sich das Begriffspaar zumindest als Oberbegriff für ganz verschiedene handlungs- und produktionsorientierte Verfahren durchgesetzt hat, siehe dazu auch Spinner 2006a, S. 249ff.

[27] Siehe dazu auch Iser 1979.

[28] Auch vorläufige, einem noch recht geringen Kenntnisstand entsprechende Lesarten sind damit legitim, da man auch einem unerfahrenen Leser einen eigenen Zugang zum Text zubilligt, der noch nicht sehr elaboriert sein muss.

[29] Vgl. Artelt u.a. 2007, S. 11f.

[30] Zur Definition, Legitimation und Einordnung handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts siehe u.a. Spinner 2008, S. 184ff.

[31] Fix spricht vom „Lernen durch Schreiben“, siehe Fix 2008, S. 6ff. Und sieht im Übrigen im Portfolio ein brauch­bares Instrument, dieses Schreiben zu steuern, die Produkte zu sammeln und auszuwerten, vgl. Fix 2008, S. 11f.

[32] Diese Fokussierung auf das produktionsorientierte Erschließen, die ja auch gerade in Anbetracht der beschriebenen symbiotischen Beziehung der beiden Ansätze als Verengung verstanden werden könnte, lässt sich vor allem auch organisatorisch erklären. Zum einen ist der Raum für eine intensive Auseinandersetzung in dieser Arbeit leider limitiert und zum anderen wird davon ausgegangen, dass sich die Ergebnisse produktiver Verfahren zur Erschließung literarischer Texte unkomplizierter mittels eines Portfolios darstellen und auch einfacher im Rahmen dieser Arbeit auswerten lassen, als vorrangig handlungsorientierte Verfahren. Auch muss ja konstatiert werden, dass das produktionsorientierte Erschließen einen handelnden Umgang mit Literatur voraussetzt, weshalb dieses didaktische Prinzip gewissermaßen immer mitgedacht wird.

[33] Spinner folgend können hier auch noch weitere Unterscheidungen vorgenommen werden, indem bspw. eher visuell orientierte Verfahren (Collagen, Skizzen usw.) von akustischen Verfahren (z.B. Vertonung) unterschieden werden. Auch scheint eine besondere Hervorhebung der in den letzten Jahren besonders wirkmächtigen szenischen Verfahren (Standbildbau, Pantomine usw.) sinnvoll. Für die Unterscheidungen siehe Spinner 2008, S. 191ff. und zu szenischen Verfahren v.a. Scheller 2008.

[34] Vgl. Spinner 2006a, S. 247. Produktionsorientierter Literaturunterricht ist auch eng mit der Schreibdidaktik verbunden, da natürlich der literarische Text vor allem auch Ausgangspunkt für eine eigene Textproduktion ist. Wesentlich ist allerdings dann die Frage, inwiefern diese Textproduktion noch zur Erschließung des Ausgangstextes beiträgt. Ist der Ausgangstext lediglich ein Schreibanlass, ähnlich der dafür so beliebten surrealistischen Bilder, handelt es sich eher um Formen kreativen Schreibens als um produktionsorientiertes Erschließen.

[35] Hier ist fraglich, wie weit der Begriff des Produkts gefasst wird. Letzlich wäre es möglich ein jegliches hergestelltes Arbeitsergebnis als Produkt zu werten, also auch Ergebnisse von bspw. szenischen Verfahren und dies umso eher, wenn diese etwa durch Aufzeichnungen konserviert werden. Dies geschieht im Übrigen auch in der didaktischen Literatur, indem jegliche handelnden Umgangsweisen als produktive Verfahren bezeichnet werden, siehe dazu Marenbach 2007, S. 80f.

[36] Der umfangreichste Vorschlag hierzu ist wohl Waldmann 2006.

[37] Vgl. Haas/Menzel/Spinner 1994, S. 20f. und für weitere Kategorisierungen auch Marenbach 2007, S. 80f.

[38] Der Ordnung liegt die Frage zu Grunde, wie mit dem literarischen Text umgegangen wird, ob also bspw. eine Form der Visualisierung stattfindet (Ausgestaltung) oder die Form auf eigene Inhalte übertragen wird (Imitation). Es sind auch andere Sortierungen und Auffächerungen möglich, etwa wenn beteiligte Sinne als Ordnungssystem dienen. Eine brauchbare Sammlung zahlreicher Beispiele ist „Ein herrenloses Damenfahrrad“, siehe dazu Leimeier 1997.

[39] Vgl. Haas/Menzel/Spinner 1994, S. 20f. Es entstehen in der Praxis auch Überschneidungen, etwa, wenn durch den Arbeitsauftrag, eine zusätzliche Gedichtstrophe zu verfassen, zugleich eine inhaltliche Erweiterung und eine Imitation formaler Aspekte vorliegt. Dennoch dient es m.E. der Klarheit, diese grobe Unterscheidung vorzunehmen.

[40] Die Klassifizierung als 'neu' ist durchaus relativ zu sehen, denn immerhin verweist Spinner auch auf die Fabel­didaktik Lessings und auf reformpädagogische Ansätze als Vorläufer, vgl. Spinner 2008, S. 248ff. Und selbst wenn man erst die 1980er Jahre als Ausgangspunkt der Bestrebungen einer Reformierung des Literaturunterrichts sieht, kann doch durchaus von einem etablierten Vorgehen gesprochen werden, zumal mittlerweile gestaltendes Interpretieren sowohl in Abiturprüfungen als auch in den Rahmenlehrplänen fester Bestandteil ist.

[41] Spezifisch für Lyrik siehe etwa Waldmann 2006, S. 275.

[42] Die gängigen Einwände und 'Gefahren' finden sich in einer aktuellen Zusammenstellung u.a. bei Einecke o.J. Die wesentlichen möglichen Schwierigkeiten wurden allerdings bereits von den Vertretern aufgegriffen und widerlegt, siehe dazu Haas/Menzel/Spinner 1994, S. 22ff.

[43] Vgl. Spinner 2008, S. 186f.

[44] Gerade im Umgang mit Lyrik wird deutlich, dass 'reading-literacy' im Sinne PISAs als Grundbildung im Bereich des Lesens auf Sachtexte bezogen ist und nicht ausreichend für den kompetenten Umgang mit Literatur ist, weshalb ein Lesekompetenzbegriff zu Grunde gelegt werden muss, der mehr leistet, als die bloße Sinnentnahme auf Wort- und Satz­ebene. So hat beispielsweise Rosebrock überzeugend dargestellt, dass ein gegenstandsgerechter Umgang mit Lite­ratur im Gegensatz zu pragmatischen Texten eine gewisse Imaginations- und Empathiefähigkeit erfordert, die gerade auch durch die Auseinandersetzung mit Literatur befördert werden kann, vgl. Rosebrock 2007, S. 57f.

[45] Es wird nicht jedes produktionsorientierte Verfahren jeden Schüler zu einem umfassenden Erkenntnisgewinn bezüglich der Bedeutung des Textes führen, aber durch das Ausprobieren verschiedener Zugänge gelingt es dem Schüler vielleicht, einen für sich gangbaren Weg zu identifizieren.

[46] Motivationale Aspekte sind nicht nur wesentlich, um kompetent zu handeln, wie bereits durch die grundlegende Definition Weinerts deutlich wird (vgl. Weinert 2001, S. 27), sondern auch zum Aufbau von Lesekompetenz. Dies gilt sicher für beinahe alle Kompetenzbereiche, doch gerade bezogen auf das Lesen müssen direkte Zusammenhänge konstatiert werden, denn eine stabile Lesemotivation führt i.d.R. zu weiterem Lesen, was den Wortschatz erweitert, den Dekodierungsvorgang beschleunigt, das Vor- und Weltwissen erweitert usw. wodurch jeweils zukünftiges Lesen erleichtert wird. Zu den Determinanten der Lesekompetenzentwicklung siehe Artelt u.a. 2007, S. 11ff.

[47] Auch das Institut Beatenberg setzt Kompetenzraster kombiniert mit Portfolios ein. Siehe dazu Müller, 2006, S. 4f. Auf der Website [URL: www.institut-beatenberg.ch (17.09.2011)] sind zudem unter 'Materialien' Beispiele für einige Kompetenzbereiche einzusehen, die jedoch aus meiner Sicht für das Fach Deutsch wenig anspruchsvoll erscheinen und lediglich eine gewisse Grundbildung abbilden, über die eine zur Hochschulreife führende Schule jedoch in den höheren Klassen der Sekundarstufe hinausgehen sollte. Allerdings erscheint die aus dem Europäischen Sprachenportfolio übernommene 'Ich kann'-Formulierung sinnvoll, da damit erneut die Selbstwirksamkeit der Schüler und auch die Verantwortung jedes Einzelnen für seinen Lernprozess betont wird, wobei das Referenzsystem Kompetenzraster Orientierung bietet.

[48] Vgl. Müller 2006, S. 4 und auch die Anregungen des LISUM Berlin-Brandenburg o.J. und des LiS Bremen 2009, S. 15ff.

[49] Der bereits angesprochenen Definition von Lesen folgend ist natürlich jegliche Form der Auseinandersetzung mit einem Text individuell, auch der kognitiv-analysierende Zugang, weil es auch dabei nicht möglich ist, dass der Klassen­verband im Gleichschritt ein Gedicht versteht, denn jeder Schüler muss für sich die Textinhalte mit Vor- und Weltwissen verknüpfen, um eine kohärente mentale Repräsentation des Textinhaltes zu konstruieren.

[50] Ein gängiger Einwand gegen offene Lernarrangements ist die vermeintliche Ineffizienz wenig gelenkter Phasen, weil einige Schüler sich in freien Arbeitsphasen auch die Freiheit nehmen, nichts zu tun, die Arbeit in kooperativen Phasen gerne den leistungsstarken Schülern überlassen oder ihr Umfeld ablenken. Solchen Befürchtungen ist allerdings zu ent­gegnen, dass natürlich die Lehrperson auch in offenem Unterricht die Möglichkeit zur Intervention hat und bei nicht ak­zep­tablem Verhalten auch nutzen sollte. Zudem ist zu fragen, wie viele Schüler in geschlossenen Unterrichtsphasen ebenfalls nicht bei der Sache sind, sondern träumen, Briefchen schreiben, private Belange diskutieren usw., ohne dass dies vom Lehrer bemerkt wird. Phasen geringerer Konzentration sind zudem in jedem Unterricht unvermeidbar, auch wenn kein Lehrer möchte, dass sie ausgerechnet in seinem Unterricht vorkommen. Offene Unterrichtsformen bieten die Möglichkeit, dass sich die Schüler jene Lernaktivitäten wählen, die ihrem momentanen Leistungsvermögen ent­sprechen und jemand der sich gerade wenig konzentrieren kann, wählt vielleicht für diesen Moment eine kognitiv weniger anspruchsvolle Aufgabe. Wenn Kriterien für die gemeinsame Arbeit und die zu erreichenden Ergebnisse fest­stehen, ist dies kein Problem. Zur Kritik offenen Unterrichts siehe u.a. Günther 1996, der allerdings hinsichtlich der angeblichen Ineffizienz u.a. durch Brügelmann 1999, S. 76 erfolgreich widerlegt wird.

[51] Die Entwicklung der Schüler ist nicht abzusehen und der eine oder andere wird wohl mit Blick auf MSA, Abitur und Berufswunsch mehr Zielstrebigkeit entwickeln, zumal sich die kraftraubende Phase der Pubertät, in der vieles interes­santer ist als der Deutschunterricht, auch in absehbarer Zeit etwas abschwächt und so mehr Raum für Schule preisgibt.

[52] Bestätigt wird diese Vermutung durch einige Schüler dieser Klasse, die bereits einen recht klaren Berufswunsch äußerten und, auch unabhängig vom individuellen Leistungsvermögen, ent­sprechend zielstrebig agierten.

[53] Geschlechtsspezifische Unterschiede gerade in Bezug auf den Umgang mit literarischen Texten sind nicht nur ein Vor­urteil, sondern durch Studien auf verschiedenen Ebenen (frühkindliche Sprachentwicklung, Häufigkeit von Störungs­bildern usw.) nachgewiesen. Auch vergleichende Leistungsmessungen wie PISA sowie Leistungskurswahlverhalten oder Studienwahl lassen die Tendenz erkennen, dass Mädchen statistisch betrachtet weniger Schwierigkeiten im Um­gang mit (literarischen) Texten haben. Diese Tatsache ist also festzustellen, doch die Ursachen bieten Raum für Vor­urteile und Spekulationen (biologisch determiniert, psychosozial oder hormonell bedingt usw.). Meta-Studien zu PISA haben aufgezeigt, dass wohl vor allem auch die Ausprägung von Leseinteresse und damit verbunden Lesehäufigkeit entscheidend mit dem Lesekompetenzstand korrelieren. Jungen und Mädchen mit jeweils hoher Lesemotivation weisen kaum Unterschiede auf. In der Masse ist allerdings ein unterschiedliches Medienkonsumverhalten bei Jungen und Mädchen belegt, denn während Mädchen sich Zeitschriften, Büchern oder eigenem Schreiben zuwenden, beschäftigen sich Jungen tendenziell eher mit PC, TV usw. Mit vorwiegend narrativen Texten kommt der Deutschunterricht zudem eher Mädcheninteressen entgegen, denn Jungen bevorzugen eher Sach- und Gebrauchstexte. Zu den geschlechts­spezifischen Unterschieden in der Lesekompetenzentwicklung siehe auch Artelt u.a. 2007, S. 46ff.

[54] Im Umgang mit pragmatischen Texten zeigten sich dagegen die Jungen interessierter und die Mädchen konnten sich nicht recht für die Erörterung von Problemfragen begeistern.

[55] Ein literarischen Texten angemessenes umfassendes Lesekompetenzkonzept geht über Informationsermittlung, Inter­pre­tation und Beurteilung dieser Informationen hinaus. Ziel ist ein jeweils dem Lesestoff und der Leseintention ange­mes­senes Lesen, wobei zwischen den vorwiegend an Sachtexten orientierten Varianten des verstehenden und des kri­tischen Lesens sowie zwischen den an literarischen Texten orientierten Formen des reflexiven und involvierten Lesens zu unterscheiden ist. Ziel höheren Literaturunterrichts ist vor allem das reflexive Lesen, wobei die anderen drei Formen natürlich immer beteiligt sind und zum Teil auch vorausgesetzt werden. Reflexives Lesen meint ein Lesen, welches das kritische Denken anstößt und zwar zum einen bzgl. des Textes, der dargestellten Probleme und Inhalte, die hinter­fragt werden, aber auch bzgl. der eigenen Person, denn reflexives Lesen hat auch den Anspruch, das eigene Denken, eigene Wert­haltungen usw. bewusst zu machen, um auf dieser Grundlage einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Zu den Arten des Lesens siehe auch Artelt u.a. 2007, S. 20ff.

[56] Daneben haben die Schüler auch eine eigene Bewerbungsmappe erstellt, die alle wesentlichen Bestandteile einer realen Stellenbewerbung enthielt sowie dazugehörige Übungen eines Lernbuffets.

[57] Inwiefern standardisierten Schüleraussagen wie 'Haben wir nie behandelt!' zu glauben ist, sei dahingestellt, doch ist zu Beginn der Sequenz durchaus aufgefallen, dass die Schüler keine Fachtermini kannten, keine tiefgründigen Fähigkeiten in der Analyse von Gedichttexten aufwiesen usw. Im Vergleich dazu waren einem neu in die Klasse gekommenem Schüler wesentliche Elemente der Gedichtanalyse bereits bekannt.

[58] Eine grundlegende und m.E. vernachlässigte Forderung der Klieme-Expertise war die Entwicklung und empirische Fundierung von Kompetenzmodellen, die in Teilkompetenzen und Kompetenzniveaus unterscheiden, siehe dazu Klieme u.a. 2007, S. 71ff.

[59] Auch die Rahmenlehrpläne können sich nicht auf wissenschaftlich fundierte Kompetenzmodelle stützen. Die Unterteilung in Kompetenzbereiche stellt eigentlich lediglich eine Umetikettierung der bisherigen Lernbereiche dar.

[60] Auch die aktuelle Studie zur Lesekompetenz testet grundlegend nach dem Modell von PISA 2001, siehe dazu Klieme u.a. 2010, S. 24ff. Eine neuere Entwicklung stellt das zu den Bildungsstandards entwickelte Kompetenz­stufen­modell des IQB dar, welches aber lediglich eine Anpassung des PISA-Modells an die Bildungsstandards vor­nimmt, ohne die durch die KMK geforderten Aspekte Empathie, Fremdverstehen, Lesefreude und Leseinteresse zu berücksichtigen. So bildet auch das IQB-Modell lediglich Leseverstehen im Sinne der PISA-Testung ab und wird Literatur nicht gerecht. Siehe dazu IQB 2009. Für das Lesekompetenzmodell der PISA-Studie siehe bspw. Artelt u.a. 2004, S. 139ff. und für die berechtigte Kritik daran u.a. Artelt/Schlagmüller 2004, S. 177ff. oder auch Kammler 2006, S. 8ff.

[61] Für den Umgang mit Literatur liegen z.B. die Ansätze von Abraham 2005 und Spinner 2006b vor, die jedoch weder empirisch belegt, noch voll ausdifferenziert sind. Siehe dazu Kammler 2007, S. 11ff.

[62] Für die Kompetenzraster siehe Müller 2006, S. 4, LISUM Berlin-Brandenburg o.J. und LiS Bremen 2009, S. 15ff. Die Anforderungen ergeben sich auf fachlicher Ebene aus den Vorgaben des Rahmenlehrplans, siehe dazu v.a. SenBJS 2006, S. 37f. sowie S. 45 und bezogen auf die fächerübergreifenden Fähigkeiten sind die dargestellten Überlegungen zur Portfolioarbeit grundlegend.

[63] Die Aussagen vier bis sechs entsprechen auch vorwiegend den Anforderungsbereichen zwei und drei, beinhalten also Transfer- und Beurteilungsleistungen. Auch das Identifizieren des Themas oder einer im Text enthaltenen Problem­stellung (Aussage 3) ist allerdings eigentlich recht anspruchsvoll, da dies ja das Textverständnis voraussetzt und bereits eine Transferleistung darstellt, aus diesem Textinhalt eine mögliche Aussageabsicht zu schließen. Diese Schwierigkeit wird von den Schülern wohl unterschätzt. Dies gilt auch für die Aussge sechs, bei welcher sich sechs Schüler recht sicher sind, das Gedicht angemessen beurteilen zu können. Auch hier könnte es sein, dass einige der Schüler eine schlichte Meinungsäußerung mit einer qualifizierten Beurteilung verwechseln.

[64] Im Besonderen bei diesen Fragestellungen und auch bezogen auf andere Antworten können sozial erwünschte Antworten das Ergebnis verfälschen.

[65] Aus diesem Grund ist das Konzept der Volitionen wesentlicher Bestandteil der allseits zitierten Kompetenzdefinition Weinerts, denn es sind jene bewussten und möglicherweise auch anstrengenden Willensbildungen, die aus dem Poten­tial, etwas zu tun, erst eine Kompetenz, es zu tun, werden lassen. Der bewusst gebildete Wille ermöglicht es, trotz wenig ausgeprägter Motivation zu handeln, ist damit neben der Motivation wesentliches Element der Selbststeuerung. Zur Gegenüberstellung von motivationaler und volitionaler Steuerungslage siehe Sokolowski 1997, S. 350ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783863417161
ISBN (Paperback)
9783863412166
Dateigröße
3.5 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1
Schlagworte
Literaturdidaktik Lesekompetenz selbstgesteuertes Lernen Kompetenzraster Leistungsüberprüfung

Autor

Stefan Grzesikowski, Jahrgang 1982, studierte Deutsch sowie Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde an der Universität Potsdam und schloss sein Studium mit der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien erfolgreich ab. Bereits während des Studiums bildeten u.a. Formen offenen Unterrichts und selbstgesteuerten Lernens sowie im Zuge der Diskussion um die Ergebnisse der ersten PISA-Studie auch der Lesekompetenzerwerb Interessenschwerpunkte. Diese konnten im Rahmen des in Berlin absolvierten Vorbereitungsdienstes noch vertieft werden, wie in vorliegender Publikation deutlich wird.
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Titel: Ermöglichen Portfolios einen adäquaten Umgang mit Schülerprodukten? Erprobung des Einsatzes von Portfolioarbeit zum produktionsorientierten Erschließen lyrischer Texte im kompetenzorientierten Deutschunterricht
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