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Postsowjetische Organisierte Kriminalität - Bekämpfung der "Vory v zakone" in Österreich

©2010 Diplomarbeit 60 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Werk behandelt die Problematik der Bekämpfung jenes Teils der russischen organisierten Kriminalität, welcher durch „Diebe im Gesetz“ angeführt und zusammengehalten wird. Neben einem Überblick über die Organisations- und Erscheinungsform dieses Phänomens erfolgt eine Konkretisierung der typischen Probleme im Zusammenhang mit kriminalpolizeilichen Ermittlungen, die sich aufgrund der besonderen Struktur dieser Kriminalitätsform ergeben. An Hand der in Österreich geltenden Rechtslage wird analysiert, welche Ermittlungsmethoden sich bei der Ausforschung und Bekämpfung solcher Organisationen als besonders geeignet und wirkungsvoll erwiesen haben, aber auch welche Probleme dennoch ständiger Begleiter der Ermittlungen sind.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3 Organisierte Kriminalität des postsowjetischen Einflussbereiches

Kriminelle Gruppierungen aus Russland und den ehemaligen Sowjetstaaten bilden, wie man aus zahlreichen Jahresberichten internationaler auf der strategisch-analytischen Ebene mit der Problematik betrauten Organisationen[1] entnehmen kann, eines der Hauptziele bei der Be­kämpfung organisierter Kriminalität. Insgesamt wird der Kampf mit dieser Art von Krimi­nalität als schwierig eingestuft, da nur wenige dieser Gruppierungen eine homogene ethnische Einheit bilden. Darüber hinaus stellt Europol in einem Jahresbericht fest, dass die ROK Einfluss auf alle EU Mitgliedstaaten in nahezu jedem Bereich der Kriminalität ausübt[2].

Im selben Jahresbericht stellt die EUROPOL fest, dass vorrangig Banden aus Süd- und Osteuropa die organisierte Kriminalität in Österreich dominieren. Dieser Umstand begründet sich insbesondere durch die geografische Lage Österreichs. Des Weiteren wird Österreich als „sicherer Hafen“ für russische und italienische Kriminelle beschrieben. Es ist sogar von einer „Unterwanderung“ durch Kriminelle aus der ehemaligen Sowjetunion die Rede[3]. Um dieses Phänomen im Hinblick auf die weiteren Ausführungen zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die Entwicklung Russlands und Georgiens in den letzten Jahrzehnten notwendig.

3.1 Entwicklung in der ehemaligen UdSSR

Bereits in der Enquete zur Beschließung des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Österreich wird von Univ. Prof. Dr. Helmut Fuchs der Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa als wichtigste Ursache der heutigen Formen der OK angeführt[4].

Tatsächlich ist diese Anmerkung keinesfalls von der Hand zu weisen. In den späten 1980er Jahren langte die wirtschaftliche Lage der Sowjetunion an ihrem Tiefpunkt an. Die von Mihail Gorbatschow versuchte Umstellung von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft und die damit einhergehende Privatisierung von Betrieben, in Kombination mit der nie zuvor da gewesenen Möglichkeit des Eigentumserwerbs, erlaubte kriminellen Gruppierungen Gel­der in legale Projekte zu investieren und auf diesem Wege ihre Stellung zu festigen[5]. Die „neu gewonnene Reisefreiheit“ und die Möglichkeit auch im Ausland unkontrolliert Ver­mögen zu veranlagen tat ihr Übriges: die frühere sowjetische „Kriminellenszene“, insbesondere die Institution der „Diebe im Gesetz“, wurde zu einem weltweit wirkenden Syndikat und „der neben dem KGB einzigen funktionsfähigen Institution im ganzen Land“[6].[7]

3.2 Diebe im Gesetz

Für das grundlegende Verständnis der Struktur und der Funktionsweise postsowjetischer krimineller Gruppierungen ist es unerlässlich, den Begriff „Diebe im Gesetz“ zu kennen und zu verstehen. Eine detaillierte Betrachtung der Entwicklung dieser Institution wäre jedoch zu umfassend und würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Deswegen soll dieser Begriff in seinen Grundzügen nur in jenem Umfang erläutert werden, der erforderlich ist, um den weiteren Ausführungen folgen zu können und die typischen Problemstellungen bei der Bekämpfung postsowjetischer organisierter Kriminalität nachvollziehen zu können.

3.2.1 Entstehung

Überlieferungen zufolge geht der Begriff „Diebe im Gesetz“ auf das zaristische Russland zurück. Ein genauer Zeitpunkt oder Ort der Entstehung ist nicht bekannt, wird aber gegen Ende der zwanziger Jahre vermutet[8]. Zu dieser Zeit gingen Behörden dazu über, kriminelle Größen, die über höchstes Ansehen innerhalb der einschlägigen sozialen Strukturen verfügten, heranzuziehen, um die Stimmung innerhalb der staatlichen Gefangenen- und Arbeitslager, der so genannten GULag[9], zu beobachten und zu kontrollieren. Im Gegenzug waren diese kriminellen Autoritäten in der Lage, mit den Aufsehern eine Gesprächs- und Verhandlungsbasis herzustellen und dadurch bessere Bedingungen für alle Inhaftierten, die sich dem Willen der „Diebe“ beugten, zu erwirken. In ihrer Funktion als Kontrollorgan sollten die „Diebe“ Streitigkeiten und Konflikte schlichten und für Ruhe und Ordnung in den Lagern sorgen. Diese „Schiedsrichterrolle“ konnte sich im Laufe der Jahrzehnte auch außerhalb der Haft bewähren und hat auch heute noch als eine der Hauptaufgaben der „Diebe im Gesetz“ große Bedeutung[10].

3.2.2 Krönung der „Diebe“

„Diebe im Gesetz“ werden nach strengen Kriterien ausgewählt und zu solchen „gekrönt“. Der Kandidat durchläuft im Vorbereitungsstadium eine bestimmte „Prüfungszeit“. In diesem Beobachtungszeitraum wird insbesondere festgestellt, ob der Anwärter gute Menschenkenntnis, Loyalität und die Fähigkeit, in schwierigen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren, hat. Darüber hinaus muss er sein bisheriges Leben im Einklang mit den „Diebesgesetzen“[11] geführt haben. Dies setzt vor allem eine kriminelle Vergangenheit voraus. Der zukünftige „Dieb im Gesetz“ muss in seinem Handeln unabhängig und unbeeinflussbar sein und das uneingeschränkte Vertrauen seiner Untergebenen genießen. Ein wesentliches Ausschlusskriterium hingegen, ist etwa die Zusammenarbeit mit staatlichen Organen in der Vergangenheit[12].

Die „Krönung“ eines „Diebes im Gesetz“, manchmal auch als „Taufe“ bezeichnet, ist ein formeller Akt, der in Anwesenheit anderer „Diebe“ vorgenommen wird. Ein Kandidat, der bereits sein Leben lang nach den „Diebesgesetzen“ lebte, muss die Krönung bei bereits bestehenden „Dieben im Gesetz“ beantragen. Alternativ kann auch jemand, der anderen „Dieben“ besonders positiv aufgefallen ist, durch diese nominiert werden[13]. Nach einer Abwägung der geleisteten Dienste und einer genauen Betrachtung der Persönlichkeit des Nominierten wird durch einen Senat von mindestens fünf Dieben im Gesetz (vergleichbar mit einem Tribunalgericht) eine Entscheidung getroffen. Von dieser Mindestzahl kann abgegangen werden, sofern die Umstände es nicht anders zulassen (so etwa in der Haft). Der Kandidat muss einen Eid auf die Befolgung der Diebesgesetze leisten und erhält, sofern er noch keinen hat, einen Spitznamen, mit dem er von nun an gerufen wird. Weiters steht es ihm zu, sich besondere Tätowierungen, die ihn als führendes Mitglied der kriminellen Organisation auszeichnen, stechen zu lassen. Die Nachricht über den neuen „Dieb“ wird sofort in der kriminellen Unterwelt verbreitet. Ab dem Zeitpunkt der „Krönung“ ist der neue „Dieb im Gesetz“ mit allen Rechten ausgestattet, unterliegt aber auch allen Pflichten, die ihn in seiner neuen Stellung treffen[14].

Obwohl dem Ursprungsgedanken entsprechend alle „Diebe“ im Sinne einer Bruderschaft gleichberechtigt sein sollten und formell den gleichen Status haben, gibt es doch Unterschiede im Status der „gekrönten Diebe“. Diese ergeben sich einerseits aus dem Tätigkeits- und Verantwortungsbereich des jeweiligen Diebes, andererseits aus der Größe des „Obschags“[15], dem Einfluss der „Taufpaten“ und natürlich auch aus dem Ruf, den der jeweilige Dieb im kriminellen Milieu erworben hat. In diesem Sinne ergeben sich insbesondere Unterschiede zwischen „Dieben“, die lediglich regionale Verantwortung haben und solchen, die überregionalen, mitunter sogar weltweiten Einfluss ausüben[16].

Einfluss und Macht der „Diebe“ bleiben nicht ohne Folgen. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und dem damit verbundenen wirtschaftlich bedingten Aufschwung der Kriminalität finden immer wieder Persönlichkeiten aus dem kriminellen Milieu im Zuge von Revierstreitigkeiten, Machtkämpfen und Rachezügen den Tod. Waren dies früher Kämpfe zwischen Verfechtern der „Diebestraditionen“ und autonomen Kriminellen aus Tschetschenien sowie Roma- und Sintigruppen[17], kommt es in den letzten Jahren immer häufiger zu blutigen Auseinander­setzungen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen, die der „Diebesidee“ verbunden sind. So wurde im Sommer 2009 einer der bekanntesten Diebe im Gesetz, Vyacheslav Ivankov alias „Japonchik“ (Abb. 1) auf offener Strasse erschossen und erlag schließlich im Oktober 2009 seinen Verletzungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1

Der „Dieb im Gesetz“ Vyacheslav Ivankov alias „Japonchik“ war einer der bekanntesten und einflussreichsten „Diebe“ der letzten Jahrzehnte. Nach Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe in den USA wurde er im Jahr 2007 nach Moskau rücküberstellt, wo er im Sommer 2009 kurz nach seiner Haftentlassung auf offener Straße angeschossen wurde und schließlich seinen Verletzungen erlag.

3.2.3 Das „Diebesgesetz“

Heute ist der „Dieb im Gesetz“ ein einzigartiges kriminologisches Phänomen. Einerseits ist er ein professioneller Krimineller, andererseits ein in seiner Umgebung „ehrenwerter Mann“, der die Gesellschaft vor willkürlicher krimineller Gewalt beschützt und für „Ordnung“ innerhalb der kriminellen Unterwelt sorgt[18]. Um dieses Ansehen zu bewahren, unterwerfen sich „Diebe im Gesetz“ und solche, die es werden wollen, einem strengen Ehrenkodex. In sämtlichen durch russische Wissenschafter untersuchten Materialien wird festgehalten, dass die krimi­nellen „Begriffe“ nicht als festes Regelwerk niedergeschrieben sind, sondern von Generation zu Generation weitergegeben werden. Dabei gelten die „gekrönten Diebe“ sowie Personen, die sich dem „Diebesgedanken“ unterwerfen sowohl als Hüter, als auch als Ausleger der kriminellen Traditionen und Normen[19].

Die einzelnen Punkte des „Diebesgesetzes“ sind in den Überlieferungen äußerst unterschiedlich. Dennoch gibt es einige Attribute, bei denen sich die Literatur einig ist. So gilt das Wort eines „Diebes“, also die durch ihn ausgesprochene Entscheidung, als verbindlich und ist zu befolgen. „Diebe“ müssen mit Respekt behandelt und dürfen nicht beschimpft oder geschlagen werden. Die durch die „Diebe“ betriebene Gemeinschaftskasse, der so genannte „Obschag“ (dazu weiter unten), ist durch regelmäßige Beiträge zu erhalten. Daraus darf kein Geld für persönliche Zwecke entnommen werden. Verstöße gegen das Diebesgesetz werden auf einer Diebesversammlung, einer „Skhodka“, vorgebracht. Die Skhodka ist der einzige Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden können. Dabei versammeln sich „Diebe“, kriminelle Autoritäten und optional auch Anführer anderer, in das jeweilige Thema involvierter, krimineller Gruppierungen[20], um je nach Schwere des Verstoßes, über die Sanktion, die von öffentlichem Tadel bis hin zur Todesstrafe reichen kann, zu entscheiden[21].

3.2.4 Obschag – die Gemeinschaftskasse der „Diebe“

Eine zentrale Rolle im organisatorischen und administrativen Aufbau aller Gruppierungen die der „Diebestradition“ verbunden sind, spielt der „Obschag“. Diese Gemeinschaftskasse wird nach dem „freiwilligen Zwangsprinzip“ gebildet. Öffentlich wird zwar die Freiwilligkeit der Zahlungen verkündet, tatsächlich werden die Mitglieder der Organisation jedoch zu den Zahlungen gezwungen[22].

Ermittler der Zentralstelle zur Bekämpfung organisierter Kriminalität in Österreich gaben der Verfasserin dieser Arbeit im Zuge eines Interviews, soweit es unter Wahrung der Amts­verschwiegenheit möglich war, Einblick in die bisherigen Erkenntnisse betreffend der Finanzierungsabläufe georgischer organisierter Gruppierungen. Demnach werden die aus der Begehung von Straftaten stammenden Gelder nach Maßgabe des hierarchischen Aufbaus der Gruppierung, eingefordert und in weiterer Folge dem für die Gruppierung regional zuständigen Dieb übergeben. Die im „Obschag“ befindlichen Mittel werden in weiterer Folge aufgeteilt. Ein Teil davon wird an die jeweils nächst höhere Instanz übermittelt, wo wiederum eine Umverteilung stattfindet, bis das Geld schließlich in den „zentralen Obschag“ in Russland einfließt, welcher mehrere Hundert Millionen US-Dollar fassen soll[23] und woraus die Finanzierung von Großprojekten wie Unternehmensgründungen, Immobilienerwerb, Bezahlung korrupter Politiker und anderer der Entwicklung der Gruppierung zuträglicher Zwecke, wie auch des internationalen Drogenhandels, erfolgt. Der andere Teil wird verwendet, um hilfsbedürftige Mitglieder der Gruppierung, etwa durch Dotierungen auf Häftlingskonten, Finanzierung von Strafverteidigern, Bezahlung medizinischer Leistungen und sogar Gewährung von verzinsten Krediten, zu unterstützen[24] (Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2

Zur Führung des „Obschags“ und der damit verbundenen Buchhaltung werden vertrauenswürdige Mitglieder auserkoren, wobei ein besonderer Augenmerk darauf gelegt wird, dass die Aufbewahrung des „Obschags“ und der dazu gehörenden Aufzeichnungen durch unterschiedliche Personen erfolgt[25].

Vergehen, die in Zusammenhang mit dem „Obschag“ begangen werden, wie etwa das Verschweigen von Diebsbeute, das Einbehalten von Schutzgeldern oder gar Diebstahl aus dem „Obschag“, werden unabhängig von der hierarchischen Stellung der jeweiligen Person hart bestraft. Je nach Umstand, kann im Zuge einer „Skhodka“ sogar die Todesstrafe beschlossen werden[26].

Der gemeinsame „Obschag“ bildet den Angaben der Ermittler des Bundeskriminalamtes zufolge einen der wenigen Zusammenhänge innerhalb der einzelnen Teilorganisationen sowie der Gruppierungen untereinander, die durch kriminalistische Methoden nachzuweisen sind. Abgesehen davon operiert jede Teilgruppierung für sich autonom. Während die interne Struktur eine streng hierarchische, ja beinahe militärische, ist, treten die einzelnen Mitglieder nach außen hin nicht als Gemeinschaft auf. Auch der verantwortliche „Dieb“ kennt nicht alle unter ihm stehenden Mitglieder. Vielmehr verlässt er sich auf seine „Autoritäten“ zu denen er ständigen Kontakt hat, um über die Vorgänge innerhalb der Organisation auf dem Laufenden zu sein. Dieser Umstand erschwert die Verfolgung insofern, als die einzelnen „Soldaten“ im Falle eines Aufgriffes durch die Behörden keine näheren Angaben zur Struktur der jeweiligen Gruppierung machen können. Persönlich kennen sie in der Regel nur jene Person, die regelmäßig einen Teil der Einkünfte für den „Obschag“ einsammelt.

3.3 Lage in Georgien

Die Institution der „Diebe im Gesetz“ ist auf dem gesamten postsowjetischen Gebiet anerkannt und vertreten. Der Großteil der „Diebe“ kommt jedoch aus dem georgischen Raum. So kam in der Sowjetzeit die Hälfte aller „Diebe im Gesetz“ aus Georgien[27]. Dieser Umstand ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Georgier, im Unterschied zu den russischen Kriminellen, die Anwendung der Diebesgesetze nicht so streng auslegen. So gibt es etwa in der georgischen Unterwelt bereits 20jährige „Diebe im Gesetz“, was unter Russen in der Regel nicht denkbar wäre[28].

Die charismatischen und manipulativen „Diebe“ benutzten die dem Begriff zu Grunde liegende Romantik zielgerichtet, um vor allem Jugendliche in die kriminelle Organisation zu locken. Geblendet vom Schein des reichen Lebens in Freiheit wird oft die Kehrseite der Medaille übersehen. Drogensucht, ansteckende Krankheiten und lange Haftstrafen sind durchaus keine Seltenheit, sondern regelmäßiger Begleiter der Anhänger der „Diebesidee“[29].

Nichts desto trotz war im Georgien der 90er Jahre der Diebesgedanke weittragend und beherrschte die sozialen und politischen Strukturen. So wurde ein „Dieb im Gesetz“ – der Georgier Jaba Iosseliani – im Jahr 1990 Regierungsmitglied und im Jahr 1992 Mitglied des georgischen Parlaments und Vertrauter des Staatschefs Eduard Schewarnadze[30]. Iosseliani war führendes Mitglied der paramilitärischen Gruppierung „Mkhedrioni“. Eines der Mitglieder dieser Gruppierung, der Georgier David Sanikidze, wurde im Juli 1996 im Zentrum von Wien auf offener Straße ermordet. Seine Ermordung war einer der Auslöser dafür, dass die Problematik der postsowjetischen organisierten Kriminalität auch in Österreich zu einem Thema wurde[31].

Im Jahr 2003 kam es in Georgien zu einem Umbruch. Im Zuge der „Rosenrevolution“ wurde Schewarnadze als Staatsoberhaupt verdrängt und seine korrumpierten Strukturen nach und nach zerschlagen[32]. Berichten der georgischen Behörden zufolge wurde ein Großteil jener Mitarbeiter des Innenministeriums, die während der Schewarnadze-Ära am Ruder waren, aus­getauscht. Diejenigen von ihnen, denen Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgewiesen werden konnten, wurden verhaftet und in einem eigens hierfür errichteten Gefängnis des Innenministeriums untergebracht.

Am 01.01.2006 wurde in Georgien ein neues Gesetz, welches im Artikel 223 den Status des „Dieb im Gesetz“ unter einen Strafrahmen von sieben bis zehn Jahren stellt, wirksam[33]. Relevant sind darüber hinaus die Artikel 3 und 4 dieses Gesetzes, die einerseits den Begriff „Criminal Circle“ als „group of people, who act in accordance to the rules adopted and acknowledged by themselves and whose purpose is to gain benefit for themselves or for others by threat, intimidation, coercion, rules of silence, criminal dispute resolutions, recruiting young people, committing crime or encouraging to commit crime“ festlegen und andererseits den Begriff „Thief in Law“ als „member of the criminal circle, who by any means leads or governs the activities of the criminal circle in accordance to its rules“ definieren. Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Macht der „Diebe“ zu reduzieren und ist stark an das amerikanische und italienische Modell, insbesondere an den „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act“ (RICO), angelehnt, dessen wichtigste Neuerung ebenfalls in der Pönalisierung der Mitgliedschaft in einer krimineller Organisation als solche bestand[34].

Mit dieser Entwicklung fing eine Flucht der „Diebe“ aus Georgien an. Die meisten von ihnen verlagerten ihren Tätigkeitsbereich nach Moskau, zumal sie dort den Vorteil der gemein­samen Sprache hatten und teilweise auch über seit dem Zerfall der Sowjetunion übernommene Infrastruktur wie Casinos, Tankstellen, Märkte oder Restaurants verfügten. Weitere primäre Zielländer der georgischen „Diebe“ waren Weißrussland und die Ukraine. Letztere versucht jedoch in den vergangenen Jahren, im Rahmen der geplanten Annäherung an die EU, Herr über die zweifellos vorhandene Korruption zu werden. Deswegen und auch wegen der guten Beziehung zu Georgien fanden dort einige Festnahmen und Auslieferungen auf Grund von internationalen Haftbefehlen statt. So rückt, nach Angabe der Ermittler des Bundeskriminalamtes, vor allem für die jüngere Generation der „Diebe“ und ihrer Anhänger Westeuropa immer mehr in den Mittelpunkt der Interessen.

Österreich hat in diesem Zusammenhang sowohl eine strategisch gute Lage als auch eine Gesetzeslage, die den Kriminellen sehr entgegenkommt. Die medizinische Versorgung ist eine sehr gute, die Haftstrafen sind im Vergleich zu den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gering und die Verhältnisse in der Haft ausgesprochen angenehm. So wird etwa im russischsprachigen Internet, Werbung für das Justizzentrum Leoben als „Das österreichische fünf-Sterne Gefängnis“ gemacht (Abb. 3)[35]. In verschiedenen russischsprachigen Online-Foren wird angepriesen, dass man kostenlose medizinische Versorgung und Zahnersatz bekommt. Bedenkt man, dass für das Erlangen des Status des „Dieb im Gesetz“ anrechenbare Haftzeiten vorzuweisen sind, kann man schon mit wenig Fantasie zu dem Schluss gelangen, dass Österreich bereits allein aus diesem Grund ein gern bereistes Ziel darstellt. Tatsächlich ist diese Überlegung, laut Aussage der Beamten des Bundeskriminalamtes, immer wieder auf Telefonüberwachungen zu hören und fließt oft in die Entscheidung ein, welches Land als Zielland in Europa gewählt wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3

4 Georgische OK in Österreich

4.1 Wissenschaftliche Hintergründe

Die Thematik der postsowjetischen Kriminalität im Allgemeinen und der „Diebe im Gesetz“ im Besonderen ist in Österreich trotz der zweifellosen Aktualität keine weit verbreitete. Beschrieb der deutsche Kriminalitätsbeobachter und Experte der organisierten Kriminalität Rolf Uesseler im Jahr 1993 das Phänomen der OK noch als wissenschaftlich weitgehend unerforscht[36], so kann dem heute, fast zwanzig Jahre später, noch immer nicht viel ent­gegengesetzt werden. Während diese Thematik in Deutschland immer mehr aufgegriffen wird, sind die Publikationen seitens österreichischer Verfasser betreffend organisierter Kriminalität sehr überschaubar. Insbesondere auf dem Gebiet der georgischen OK und der „Diebe im Gesetz“ beschränken sich die Erkenntnisse betreffend der Bekämpfung dieser Kriminalitätsform unter Anwendung österreichischer Rechtsvorschriften bisher ausschließlich auf Erfahrungen der Strafverfolgungsbehörden. Aus diesem Grund beruht im Folgenden die Analyse der Problematik in Wechselwirkung mit den einschlägigen Gesetzesstellen großteils auf Interviews mit Ermittlern der Zentralstelle zur Bekämpfung organisierter Kriminalität in Österreich.

4.2 Entwicklung georgischer OK in Österreich

Russische Organisierte Kriminalität war in Österreich lange Zeit vorrangig im Zusammenhang mit Wirtschafts- und Gewaltkriminalität ein Thema[37]. Erst Anfang des 21ten Jahrhunderts traten nach und nach georgische Einbrecher in das Blickfeld der Ermittler. Vorerst konnten jedoch keine hinreichenden Zusammenhänge festgestellt werden, um das Vorliegen einer kriminellen Organisation zu erkennen, geschweige denn zu beweisen.

4.2.1 „Organisation Glechovich“

Im Jahr 2005 langten bei den Sicherheitsbehörden vermehrt Hinweise auf Bestehen einer organisierten Gruppierung unter Leitung eines georgischen „Diebes im Gesetz“ in Österreich ein. Nach langen, akribischen Ermittlungen des Bundeskriminalamtes in enger Zusammen­arbeit mit regionalen nationalen Dienststellen sowie gelungener internationaler Kooperation der OK-Dienststellen untereinander, insbesondere unter Einbindung der georgischen Sicherheitsbehörden, konnte schließlich im September 2006 der „Dieb im Gesetz“ mit dem Spitznamen „Glechovich“[38] sowie weitere Mitglieder der durch ihn kontrollierten Organisation, festgenommen werden (Abb. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4

In weiterer Folge wurden durch das Urteil 142 Hv 84/08a des LG Wien vom 22.09.2008, welches am 12.01.2009 in Rechtskraft erwuchs, neun Mitglieder dieser aufgedeckten kriminellen Organisation nach Maßgabe der §§ 107, 125, 127, 129, 130, 144 Abs 1, 146, 147, 164, 223 Abs 2, 224 und 278a StGB verurteilt. Des Weiteren wurde durch das Gericht die Existenz der Institution „Dieb im Gesetz“ in Österreich anerkannt und somit auf dem Gebiet der Bekämpfung postsowjetischer organisierter Kriminalität in Österreich ein neuer Maßstab gesetzt. Das Gericht umschreibt diesen Begriff in seinem Urteil wie folgt:

„Diese Funktion in der kriminellen Unterwelt der Sowjetunion kann – trotz einiger Unterschiede – einigermaßen mit der eines Paten in italienischen oder amerikanischen kriminellen Organisationen verglichen werden. Diebe im Gesetz müssen sich an einen bestimmten Ehrenkodex halten, dürfen weder einer geregelten Arbeit nachgehen, noch soziale Unterstützung vom Staat beziehen und werden für Abweichungen von den Regeln von anderen Dieben im Gesetz bestraft. Dafür erhalten sie einen Anteil an der Beute aller ihnen unterstehender Täter und verwalten eine gemeinsame Kasse, aus der beispielsweise auch die Verteidigerkosten für inhaftierte Mitglieder ihrer Organisation bezahlt werden.“ [39]

Durch dieses Urteil wird deutlich aufgezeigt, dass die Institution der Diebe im Gesetz nun auch in Österreich angekommen ist.

[...]


[1] So etwa Interpol und Europol, aber auch UNO und OSCE.

[2] Vgl. Europol, European Union Organized Crime Report (2004) 9.

[3] Ebd 18.

[4] Vgl. Fuchs in Enquete 1995 (1996) 194.

[5] Vgl. Pühringer, Die kriminelle Transformation (2006) 56.

[6] Vgl. Shalikashvili, Diebe im Gesetz (2006) 1.

[7] russ.: wory w zakone, engl.: thiefs in law.

[8] Vgl. Roth P.E., Organisierte Kriminalität in Russland, Kriminalistik 11/2000, 725.

[9] G lawnoje U prawlenije Lag erei.

[10] Vgl. Skoblikow, Über kriminelle Traditionen und Normen, Kriminalistik 1/2006, 46 (47).

[11] Nähere Erläuterung in Kapitel 3.2.3.

[12] Vgl. Shalikashvili, Diebe 78.

[13] Vgl. Skoblikow, Vermögensstreitigkeiten und Schattenjustiz (1991-2001), Kriminalistik 1/2005, 19 (23).

[14] Zusammenfassung unterschiedlicher, bereits zitierter, Quellen.

[15] „Obschag“ ist die Bezeichnung für die schwarze Kasse der „Diebe“. Nähere Erläuterung in Kapitel 3.2.4.

[16] Vgl. Skoblikow, Kriminalistik 1/2006, 46 (48).

[17] Ebd.

[18] Vgl. Shalikashvili, Diebe 10.

[19] Vgl. Skoblikow, Kriminalistik 1/2006, 46 (49).

[20] Vgl. Roth P.E, Kriminalistik 11/2000, 725 (725).

[21] Vgl. Shalikashvili, Diebe 46.

[22] Vgl. Skoblikow, Kriminalistik 1/2006, 46 (51).

[23] Vgl. Shalikashvili, Diebe 34.

[24] Vgl. Skoblikow, Kriminalistik 1/2006, 46 (51).

[25] Shalikashvili, Diebe 34.

[26] Vgl. Skoblikow, Kriminalistik 1/2006, 46 (49).

[27] Vgl. Schmid, Gnadenlose Brüderschaften: Aufstieg der russischen Mafia (1996) 30.

[28] Vgl. Shalikashvili, Diebe 21.

[29] Ebd 82.

[30] Vgl. Roth P.E., Kriminalistik 11/2000, 725.

[31] Vgl. Pretzner, Das organisierte Verbrechen (2000) 37.

[32] http://de.wikipedia.org/wiki/Rosenrevolution (09.11.2010).

[33] „the Law of Georgia on Organized Crime and Racketeering Activities“.

[34] Vgl. Lili di Puppo, Ist der Arm des georgischen Staates lang genug? (24.03.2006). http://www.caucaz.com/home_de/breve_contenu.php?id=126&PHPSESSID=8002e580d7ffc16be0fe6a6889144b2a (09.11.2010).

[35] http://www.newsland.ru/News/Detail/id/239486/ (09.11.2010).

[36] Vgl. Uesseler, Herausforderung Mafia (1993) 19.

[37] Vgl. Pretzner, Verbrechen 54.

[38] georgisch: Bauer.

[39] LG Wien 22.09.2008, 142Hv84/08a.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783863417178
ISBN (Paperback)
9783863412173
Dateigröße
831 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Kepler Universität Linz
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Mafia Ermittlungsmethode Russland postsowjetisch Organisierte Kriminalität Organisiertes Verbrechen

Autor

Elena Scherschneva-Koller wurde 1983 in Moskau geboren. Nach abgeschlossener polizeilicher Grundausbildung und mehreren Jahren praktischer Erfahrung in der Zentralstelle zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sowie der Austrian Financial Intelligence Unit im österreichischen Bundeskriminalamt absolvierte die Autorin das Studium der Rechtswissenschaften an der Johannes Kepler Universität Linz. Neben der freiberuflichen Tätigkeit als Redakteurin für kriminalpolizeiliche und wissenschaftliche Zeitschriften widmet sich die Autorin im Rahmen des Doktoratsstudiums der Rechtswissenschaften der Erforschung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität des postsowjetischen Einflussbereiches sowie der im österreichischen Recht verankerten Ermittlungsbefugnisse zur Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität und der Geldwäscherei.
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