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Homophobie am Spielfeldrand: Spieler im Abseits

©2011 Bachelorarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor hat 'Homosexualität im Profifußball' als Thema seiner Studie gewählt, weil der Profifußball als Synonym für Leistungssport in Deutschland ein Spiegelbild der Gesellschaft darstellen kann. Im Gegensatz zur Politik, in der dies schon lange kein Tabuthema mehr ist, wofür der langjährige amtierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, ein gutes Beispiel bietet, gibt es in der Parallelwelt Fußball nur vereinzelt Profis, die den Mut haben, zu ihrer Sexualität zu stehen. Folgt man den gängigen Statistiken, so müssten sich jedoch auch dort zwischen 5 und 10% der Männer vom eigenen Geschlecht erotisch angezogen fühlen (Blaschke, 2008). Im Laufe der Arbeit wird deutlich, welchen Einfluss der Profifußball auf die Gesellschaft hat und wieso dieser kein Hort der Diskriminierung sein darf.
In der vorliegenden Arbeit werden die möglichen Ursachen untersucht, die zu einem Versteckspiel der Leistungssportler führen, die Idole der Gesellschaft sind und doch die Konsequenzen eines Outings fürchten müssen. Ein passendes Beispiel ist der ehemalige Jugendauswahlspieler Marcus Urban, der in seinem Buch 'Versteck Spieler' die Konflikte darlegt, die einen Menschen begleiten, der nicht zu seiner Sexualität stehen kann, will oder darf. Mit seiner Offenheit stellt er einen Einzelfall dar.
Das Thema Homosexualität wird in verschiedenen Facetten dargestellt werden, besonders mit Bezug auf die Entwicklung, die es in der deutschen Gesellschaft genommen hat. Im Fokus steht dabei vor allen Dingen der männliche Fußballsport. Darauf aufbauend wird der Autor auf das Geschlecht als Konstrukt eingehen, mit besonderem Augenmerk auf die Gender-Forschung, da das vorgefertigte Geschlechterbild einen Einblick darauf geben könnte, weshalb Homosexualität im Fußball im Gegensatz zur Politik und anderen Bereichen der Gesellschaft immer noch ein Tabuthema ist. Auch wird das Erscheinungsbild „Stadion“ genauso Beachtung finden wie das Verhalten der Fans untereinander und im Dialog mit den Spielern auf 'dem Platz'. Wie bereits erwähnt, sollen auch wichtige Meinungsmacher in Fußball und Medien, sogenannte Experten, nicht unberücksichtigt bleiben. Es kann vermutet werden, dass hier eine Ursache für die intolerante Haltung im Profifußball zu suchen ist. Die vielen Kampagnen, die sich dem Thema der Enttabuisierung von Homosexualität in der Fußballwelt verschrieben haben, oftmals unter Mithilfe des Deutschen Fußball Bundes, sind politische Versuche mit diesem Thema umzugehen und werden […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.1 Football Association

Wie Gröbner (2010, S. 2) darstellt, war die Gründung der Football Association (FA) in England 1863 die Geburtsstunde für den modernen Fußball. Als erste Organisation erschuf die FA ein einheitliches und verbindliches Regelwerk, an das sich die Mannschaften zu halten hatten. Sie schuf eine Liga, in der anschließend ein geregelter Spielbetrieb stattfinden konnte. Der FA Cup, der im selben Jahr initiiert wurde, wird unter demselben Namen auch heutzutage noch ausgespielt. Anhand dieser Informationen wird deutlich, dass der moderne Fußball in England entstanden ist. Das Besondere am Fußball war, dass das Spiel von jedem ausgeübt werden konnte. Eisenberg (2004, S. 7 f., zit. in Gröber, 2010, S. 2) betont die zu dieser Zeit stattfindende Metamorphose eines von Region zu Region nach unterschiedlichen Regeln ablaufenden „Kampfspiel[s]“ zu einem organisierten Sport, der die Menschen begeisterte. 1870 wurde der Fußball auch im deutschen Reich populär und mehr und mehr zu einer Alternative zum dort beliebten Turnen. Laut Müller (2009, S. 61) hatte der Fußball in England, wie übrigens später auch im Dritten Reich zur NS-Zeit, ebenfalls einen erzieherischen Hintergrund, nämlich Jugendlichen und Kindern ein neues Körperbewusstsein zu vermitteln, sie in einem Gruppengefüge zu stärken und Disziplin zu lehren. Diese Aspekte flossen auch in die Denkweise der deutschen Bevölkerung ein, wie das nächste Kapitel zeigt.

2.2 Entwicklung in Deutschland

Welchen politischen Stellenwert der Fußball in Deutschland genießt, wurde schon im Deutschen Reich deutlich. Fußball wurde gespielt und genutzt, um die Wehrhaftigkeit der deutschen Männer zu erhöhen. In diesen Zusammenhang passt der Satz aus einem Fußballlehrbuch des Jahres 1914: „Ein Fußballwettkampf hat Ähnlichkeit mit dem Krieg“ (Heinrich, 2000, S. 37, zit. in Gröber, 2010, S. 10). Dem Militär kamen die Begleiterscheinungen des Fußballs, wie zum Beispiel die notwendige Disziplin einer Mannschaftssportart, körperliche Ertüchtigung und der besondere Mannschaftsgeist nicht gerade ungelegen, vor allem in Bezug auf die zunehmende politische Zuspitzung und Kriegslüsternheit in Europa, die letztlich in den Ersten Weltkrieg führte. In der NS-Zeit wurde der Fußball abermals für die Politik missbraucht. Denkbar sind hier Anknüpfungspunkte an die fortschreitende Isolation in und bewusste Separation von großen Teilen Europas und der Welt, was logischerweise zu einer starken emotionalen Bewertung der Nationalmannschaftsspiele führte – der Sieg als Synonym für die Überlegenheit des deutschen Volkes und die Niederlage als große Schmach. Einige Fußballausdrücke sind noch immer militärisch geprägt. Ein Spielzug, der an der Außenlinie entlang läuft, wird beispielsweise als „Flügelangriff“ bezeichnet, ein Ball, der auf das gegnerische Tor gebracht wird, ist ein „Schuss“, wobei ein fester Schuss, der für den Torwart kaum haltbar ist, gar als „Granate“ gilt.

Adolf Hitler, so Brüggemeier (2006) interessierte sich nicht sonderlich für Fußball. Jedoch blieb auch ihm nicht verborgen, welche Perspektive und Möglichkeiten der Sport bot. Gingen vor dem ersten Krieg nur an die tausend Fans ins Stadion, so steigerte sich die Zahl der Fußballbegeisterten danach enorm. Neue Vereine gründeten sich und die Anzahl der Spieler und Mitglieder stieg rasant an. So besuchten das deutsche Länderspiel gegen Italien nach den Olympischen Spielen in Berlin fast 100.000 Fans. Durch die gut besuchte deutsche Meisterschaft wurden neue Gelder und Märkte geschaffen. Die Zeitungen interessieren sich für den Fußball, die auch populäre Sportzeitschrift Kicker entstand. Der DFB war bemüht am Amateursport festzuhalten und verbot in der Folge den Berufsfußball, was jedoch von vielen Vereine nicht beachtet wurde. Sie boten den besten Spielern Gelder oder Materialwerte an, damit diese zu ihnen wechselten. Das steigernde Interesse machte auch vor den Kommunen nicht halt. So wurden neue Sportanlagen oder gar große Stadien gebaut. Fußball in Deutschland war eindeutig auf dem Vormarsch.

2.3 Fußball als Beruf

Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, war es anfangs unerwünscht, dass sich der Fußball als Beruf durchsetzte. Der DFB mühte sich, diesen als Amateursport zu bewahren. Doch es entwickelte sich in Deutschland - und natürlich auch international - eine Eigendynamik, die diesem hehren Ziel entgegenwirkte. Durch den Bau neuer Stadien und der steigenden Zahl von Spielern und Zuschauern erwirtschafteten laut Eisenberg (2004) die Vereine kontinuierlich wachsende Überschüsse. Zu dieser Zeit entstanden auch die bekanntesten Stadien der Welt, wie etwa das Londoner Wembley Stadion. Da die Vereine in organisierten Ligen spielten, die nach ihrer spielerischen Stärke gegliedert wurden, wuchs die Belastung für die Spieler, die neben ihrem Hobby Fußball auch einen richtigen Beruf ausübten, stetig. Der Durchbruch des Berufsfußballs geschah in den meisten Ländern in den dreißiger Jahren. Dies hat laut Eisenberg (2004) verschiedene, teilweise globale Ursachen. Der südamerikanische Fußballverband führte den Berufsfußball ein, damit die Spieler in ihren Vereinen, beziehungsweise Land verweilten. Da England vierzig Jahre vorher den Berufsfußball einführte, war die englische Liga eine aus finanzieller Sicht interessante Alternative zu den einheimischen Vereinen. Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt die Weltwirtschaftskrise dar. Die aufkommende Arbeitslosigkeit zwang die Menschen, sich nach einer weiteren Einkommensmöglichkeit umzusehen und die gute Fußballer versuchten ihr Talent dahingehend zu nutzen, mit Fußballspielen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die erstmals durchgeführte Weltmeisterschaft in Uruguay war der Beginn eines globalen Transfermarktes (Arbeitsmarkt für Fußballer) und steigerte den Bekanntheitsgrad der Spiele. Der Berufsfußball konnte in der Konsequenz mit seinen Verträgen und Gehältern eine vermehrte Emigration der Spieler verhindern.

Auch aus diesem Grund hat sich der Berufsfußball mittlerweile weltweit etabliert. Spitzenspieler schließen langjährige Verträge zu Konditionen ab, die meist deutlich über dem Pro-Kopf-Einkommen des jeweiligen Landes liegen. Freiberg (2009) nennt als Beispiel den portugiesischen Spitzenspieler Cristiano Ronaldo, der vom englischen Team Manchester United für eine Rekordsumme von vierundneunzig Millionen Euro zum spanischen Erstligisten Real Madrid wechselte. Für diese Summe unterschrieb dieser einen Vertrag für sechs Jahre. Kaka, ebenfalls Spieler von Real Madrid wechselte für 65 Millionen Euro den Verein. Diese beiden Beispiele sollen aufzeigen, welche Investitionen heutzutage in der Parallelwelt Fußballsport getätigt werden. Nur aufgrund einer wachsenden medialen Vermarktung der jeweiligen Vereine im Besonderen (Sponsoring) und des Produktes Fußball im Allgemeinen sind eben jene Vereine in der Lage solche Summen zu investieren - die klassischen Einnahmequellen, Zuschauereinnahmen und Merchandising, reichen dafür alleine nicht aus. Im Gegenzug verlangen die Vereine von den Spielern kontinuierlich Höchstleistungen, großen Einsatz und Engagement. In einer Allianz mit der allgegenwärtigen Medienpräsenz entsteht ein aus physischer und psychologischer Sicht gefährlich hoher Druck auf die Spieler. Jene, die ihre Homosexualität verstecken müssen sind diesem Druck oftmals in mehrfacher Hinsicht ausgesetzt und nicht gewachsen. Die Arbeit lässt diese Thematik nicht außer Acht.

3 Forschungslage zum Thema

Nach Tanja Walther-Ahrens (2011, S. 13) hat Sport in Europa eine große Bedeutung, was an der steigenden Zahl der Sportbegeisterten abzulesen ist. Der Sport dient als Freizeit- und auch als Wirtschaftsfaktor. Als „gewichtige und bedeutende gesellschaftliche Institutionen“ (Walther-Ahrens, 2011, S.13) werden Vereine, Verbände und Organisationen bezeichnet. Somit hat der Sport eine wichtige Funktion in der Gesellschaft und Politik und sollte sich wichtigen und aktuellen Fragen und Problemen nicht verschließen. An diesem Punkt geschieht die Verknüpfung zum Profifußball in Deutschland. Laut Theo Zwanziger, Präsident des DFB, ist der Fußball mehr als eine Freizeitbeschäftigung in Deutschland (Walther – Ahrens, 2011, S.8). Mit über sechs Millionen Mitgliedern ist der DFB der größte Sportverband der Welt und eines der einflussreichsten Netzwerke in Deutschland. Dieser Einfluss könnte für ein tolerantes Miteinander und einen respektvollen Umgang genutzt werden. In diesem Zusammenhang ist der thematische Umgang mit dem Aspekt Homosexualität besonders zu nennen. Aufgrund des medialen Interesses sind in den letzten Jahren viele Artikel und Bücher zu diesem Thema erschienen. Zu nennen sind hier zum Beispiel das Buch von Blaschke „Versteck Spieler“, das die Karriere des homosexuellen Spielers Marcus Urban sowie seine Gefühlswelt darstellt. Außerdem engagiert sich Tanja Walther-Ahrens, eine ehemalige Bundesligaspielerin, auf dem Gebiet der Toleranz gegenüber homosexuellen Spieler/innen. Eine häufig gestellte Frage an Interviewpartner ist stets, ob er oder sie einen männlichen Profifußballer in Deutschland kenne; so auch an Katrin Müller-Hohenstein, welche sich täglich mit Fußballer auseinander setzen muss (Moderatorin des aktuellen Sportstudios Im ZDF und Berichterstatterin der Männer-Weltmeisterschaft 2010, ebenfalls ZDF) und die Frage verneinte (Leibfried & Erb, 2011, S. 7). Augenscheinlich herrscht hier jedoch eine zu große Diskrepanz zu den statistischen Kennzahlen, welche nahelegen, dass es auch im Profifußball einen signifikanten Anteil von Homosexuellen geben muss. Daher rührt die fortwährende Befragung sogenannter Insider wie Frau Müller-Hohenstein durch die Medien, denen man am ehesten zutraut, das sprichwörtliche Insiderwissen zu besitzen. Zum Anreiz liefern die Medien selber Namen. Als Beispiel kann hier Philipp Lahm genannt werden. Auch Kommentare wie von jener Corny Littmann, Präsident von Hamburger Fußballvereins FC St. Pauli, dass es seiner Kenntnis nach Homosexuelle auch in der Nationalmannschaft gebe (Leibfried, Erb, 2011, S. 12), steigern das mediale Interesse an dieser Thematik. Des Weiteren berichtet der ehemalige FIFA- Schiedsrichter John Blankenstein, der immer zu seiner Homosexualität stand, von schwulen Spielern in der holländischen Nationalmannschaft. Alles nur erfunden? Schließlich gibt es bisher keine Outings, die dies belegen. Die aktuelle Forschung sich in Büchern wie von Tanja Walther-Ahrens oder Leibried und Erb nach den Gründen, die einen Spieler von einem Outing abhalten. In meiner Arbeit werden die möglichen Ursachen differenziert darlegt.

Weitere Bücher, die den Fußball, Homosexualität und das Geschlecht als Debattierungsansatz vereinen sind z.B. „Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs“ von Gabrielle Klein und Michael Meuser als Herausgeber oder „Arena der Männlichkeit“ von Eva Kreisky und Herausgeber Georg Spitaler. Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle veröffentlichen in ihrem Buch „Tatort Stadion“ Aufsätze, die sich mit Faktoren wie Rassismus oder Sexismus im Fußball auseinandersetzen, denen sich auch Thomas Gröbners Werk „Tatort Stadion, Wandlung der Zuschauergewalt im Profifußball“ widmet. Marion Müller referiert in ihrem Buch „Fußball als Paradoxon der Moderne“ über die Herkunft des Fußballs sowie den Einfluss der Geschlechter. Das Thema Homophobie im Fußball behandelt Daniel Haller in seinem Buch „Homosexualität und Homophobie im Fußball“.

Im nächsten Kapitel der Arbeit wird die gesellschaftliche Relevanz des Themas Homosexualität untersucht und mit der Wirkung von homophoben Äußerungen verknüpft. Einen wichtigen Aspekt nimmt dabei das Coming-out ein, welches sich unmittelbar auf das Wohlbefinden der Menschen auswirken kann.

4 Die gesellschaftliche Relevanz des Themas Homosexualität

Bevor das Thema „Homosexualität im Profifußball“ untersucht wird, ist es zwingend notwendig Homosexualität zu definieren und die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland aufzuzeigen. Zur Nieden (2005, S. 7) berichtet, dass die Grenzen zwischen homosozialen und homosexuellen Männerbindungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Thema wurde, das die Öffentlichkeit polarisierte und zunächst als politisches und gesellschaftliches Problem eingestuft wurde. Die Öffentlichkeit beschäftigt sich seit Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Phänomen Homosexualität. Es wurde diskutiert, ob Homosexualität, also die gleichgeschlechtliche Liebe und Sexualität zwischen Männern oder Frauen, ein psychologisches Rätsel oder eine Spielart der Natur war. Auch die Ausdrücke „Verbrechen“, „Sittenverfall“, „Symptom bedrohlicher völkischer Degeneration und Verweiblichung der Natur“ werden von zur Neiden (2005, S. 7) genannt. Die Nationalsozialisten vertraten auch in diesem Bereich ihre extreme Weltsicht - die männliche Sexualität wurde durch die Verschärfung des bereits seit 1872 geltenden § 175 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs zunehmend verfolgt und bestraft. Der Hintergrund waren Befürchtungen des Staates, der sich durch homosexuelle Bindungen in seiner Existenz bedroht fühlte. In den Gesetzbüchern der Bundesrepublik existierte der Paragraph zunächst weiter. Der Begriff Homosexualität ist laut zur Neiden (2005, S. 8) eine Wortschöpfung, die sexuelle Kontakte zwischen Menschen gleichen Geschlechts beschreibt. Diese Definition entstand Ende des 19. Jahrhunderts und ist noch heute gültig. Weiterhin berichtet zur Neiden (2005, S. 8), dass nach der Jahrhundertwende „Rassenhygieniker“ Vereine gründeten, um eine „Zivilisationskrankheit“ und „rassische Degeneration“ zu verhindern. Psychiater begleiteten die Betroffenen, um Strategien gegen die Homosexualität zu entwerfen. Noch 1952 wurde Homosexualität im ersten DSM unter sexueller Abweichung erfasst (Fiedler, 2004, S. 43), doch allmählich vollzog sich, auch aufgrund aufkeimender gesellschaftlicher Diskussionen ein Wandel. Im dritten DSM, erschienen 1980, war Homosexualität aus dem Themenkomplex psychischer Störungen gestrichen worden. Dieser Verlauf ist sinnbildlich für einen Wandel, der große Teile der Gesellschaft erfasst hat und synchron geht mit dem Autoritätsverlust der traditionell machtvollen Kirchen in Deutschland. Ein Beispiel stellt die Bundestagswahl 2009 dar, aus der die FDP mit ihrem damaligen homosexuellen Bundesvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle und dem besten Wahlergebnis ihrer Historie als großer Gewinner hervorgegangen sind. Ihm bescherte dies den traditionellen Posten eines Juniorpartners in einer Koalition - er wurde Vizekanzler und Bundesaußenminister. Damit vertritt zum ersten Mal in der Geschichte ein bekennender Homosexueller Deutschland außenpolitisch in der Welt.

Im Zusammenhang mit der katholischen Kirche berichtet Fiedler (2004, S. 46) von der „Kongregation für die Glaubenslehre“ des Vatikans, die 2003 erschienen ist. Hier sagt die katholische Kirche der homosexuellen Lebensgemeinschaft den Kampf an, die in vielen Ländern gleichberechtigt mit der „klassischen“ Ehe ist. Dies steht im Widerspruch zu dem oben genannten Wandel. Um diesen fortzuführen und nicht zu bremsen, müsste die Kirche ihre Haltung zu diesem Thema verändern.

1999 widmete sich eine Studie dem Themenkomplex Homosexualität, in der weit über 1000 US-Amerikaner telefonisch befragt wurden, welche Ursachen für Homosexualität sie vermuten.

Die folgende Tabelle zeigt die genannten Antworten (Herek, 2002, zit. in Fiedler, 2004, S. 77):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Tabelle zeigt, dass eine Mehrzahl der Befragten wissenschaftlich nicht begründbare Meinungen über die Entstehung von Homosexualität vertritt. Dies wird deutlich, da die Antwortmöglichkeit „frei gewählter Lebensstils“ in der Auswahl dominiert. Wird diese Möglichkeit nicht erwogen, so sehen die Befragten die Gene oder Umwelteinflüsse als mögliche Faktoren (Fiedler, 2004, S. 77). Stereotypien wie sexueller Missbrauch oder eine Geisteskrankheiten als Ursache für Homosexualität werden immer noch genannt, besonders, wenn Männer sich zu Schwulen äußern, obwohl wie oben beschrieben, Homosexualität in Deutschland zu dieser Zeit schon lange nicht mehr als psychologische Störung galt. Besonders auffällig und interessant ist, dass Frauen seltener Vorurteile und Stereotypien bestätigen; da die Mehrzahl der Stadionbesucher männlich ist (siehe Kapitel 7 Fanverhalten im Stadion), könnte hierin ein Grund für die homophobe Haltung in Stadien zu suchen sein. Nach Seise (2002, zit. in Fiedler, 2004, S. 78) unterscheidet sich die Meinung in Deutschland nicht wesentlich von jener in den USA, welche durch die Studie repräsentativ dargestellt wurde. Demnach lässt eventuell die häufige Nennung „des selbst gewählten Lebensstils“ auf einen toleranteren Umgang mit der Thematik „Homosexualität im Profifußball“ schließen. Dem gegenüber steht allerdings der hohe Wert für ein Unwohlsein in Gegenwart eines homosexuellen Menschen. Hier kann mit Hilfe einer bewussten Aufklärung angesetzt werden. Es ist wichtig, die vorhandenen Klischees in den Köpfen der Menschen abzubauen.

Um die ursprüngliche Fragestellung der Arbeit, die Identifizierung der Ursachen für ein Nicht-Outing zu erreichen, muss zunächst das komplementäre Thema Homophobie genauer beleuchtet werden. Wie definiert sich Homophobie und welche Auswirkung haben die oftmals in ihrem Zusammenhang stehenden, intoleranten Aussagen auf Homosexuelle? Wenn das Thema „Homosexualität im Profifußball“ behandelt und wissenschaftlich untersucht wird, dann ist der nachfolgende Teil unabdingbar.

4.1 Homophobie

Wie schon beschrieben, nimmt das Thema Homophobie im Profifußball einen großen Stellenwert ein. Ein Großteil der homophoben Äußerungen, mit denen sich die Spieler konfrontiert sehen, kommt von den Tribünen der Stadien. Gerd Dembrowksi, ehemaliger Mitarbeiter von zwei Duisburger Fanprojekten und Sprecher von BAFF, berichtet in seinem Aufsatz „Von Schwabenschwuchteln und nackten Schalkern. Schwulenfeindlichkeit im Fußballmilieu“ (2002, S.140 f.) von ebendiesen Aussagen, die ein Outing für die Spieler zu einem gewagten und wohlüberlegten Schritt werden lassen. Homophobe Äußerungen können nicht einzelnen Vereinen zugeordnet werden, im Gegenteil, sie ziehen sich durch alle Stadion und sind auf der ganzen Welt zu finden. Sprechchöre wie „ Schwuler XY“ (XY steht für den Verein oder Spieler) sind keine Seltenheit. Weitere Beispiele sind „Ewald der Schnelle / der Homosexuelle“ oder „Toni Polster, jeder kennt ihn, den Stricher aus Wien“ (2002, S. 140). Auch bekannte Musikstücke werden für homophobe Äußerungen missbraucht. Auf die Beatles Melodie „Yellow Submarine“ wird der Slogan „XY ist Homosexuell“ gesungen. Gerd Dembrowski nennt hier Uwe Kamps als Beispiel. Verwunderlich ist jedoch, dass die homophoben Äußerungen in einem gewissen Wiederspruch zu den emotionalen Ausbrüchen stehen, die die Fans auf dem Rasen sehen und auf der Tribüne leben. Nach einem Tor wird der Torschütze gefeiert, umarmt oder manchmal geküsst. Dembrowski berichtet von einem homosexuellen Fußballfan (2002, S. 141), der anderen homosexuellen Fans, die länger auf Zärtlichkeit verzichten mussten, einen Besuch im Stadion empfahl. Laut diesem Fan ist es nirgendwo einfacher Berührungen mit anderen Männern auszutauschen als auf den Stehrängen. Nach einem Tor wird geherzt und sich umarmt. Dennoch ist Homosexualität ein Tabuthema auf den Rängen. Spieler und Fans des in traditionell violett gekleideten Vereins Tennis Borussia Berlin wurden im September 2000 von den Anhängern des Vereins Union Berlin als „Arschficker“ und „Lila und Weiß ist schwul“ beschimpft. Slogans wie „schwuler, schwuler BVB“ ist ein Gesang, der den Fans von Borussia Dortmund bei fast jedem Spiel entgegen schallt. „Arbeitslos und Homosexuell, das ist der VfL“ ist in die gleiche Kategorie einzuordnen. Rivaldo, der damalige Star Brasiliens wurde beim knappen und wichtigen 1:0 Heimsieg gegen Kolumbien in Qualifikation für die WM 2002 als „Schwuler“ beschimpft. Diego Maradona bediente sich der Homophobie um seine Karriere und Ruhm als Fußballer auszubauen, indem er öffentlich die Frage stellte, wieso Pélé als einer der besten Fußballer und Athleten des Jahrhunderts gefeiert wird, obwohl dieser in einem Interview zugab seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einem Mann gehabt zu haben und er (Maradona) selber für seinen Drogenmissbrauch kritisiert wird. Pélé offenbarte seine Erfahrungen gegenüber dem brasilianischen Playboy. Fraglich ist, weshalb Pélé, der tatsächlich weltweit für seine hohe Fußballkunst und sein authentisches Auftreten gefeiert wurde und respektiert wird, nicht in ebensolchem Maße von der Öffentlichkeit und den Fußballfans mit homophoben Äußerungen traktiert wird. Eventuell ist seine große Beliebtheit ein Faktor, der bei der Aussicht auf ein toleranteres Bild im Stadion eine wesentliche Rolle spielt. Bei den Fans beliebte Spieler könnten so den ersten Schritt wagen.

Haller (2010, S. 4) erklärt, dass der Begriff Homophobie auf den US –amerikanischen Psychotherapeuten George Weinberg zurückzuführen ist, der ihn 1972 einführte. Bereits 1982 definierte der Duden „Homophobie“ als „krankhafte Angst und Abneigung gegen Homosexualität“ (Fiedler, 2004, S.74) und mittlerweile ist der Begriff sowohl im wissenschaftlichen Diskurs, als auch im allgemeinen Sprachgebrauch anzutreffen. Unter Homophobie versteht man laut Walther-Ahrens (2011, S. 28) eine irrationale Angst, welches die Ursache ist für ein ablehnendes Verhalten gegenüber homosexuellen Menschen. Homophobie ist keine Phobie im eigentlichen Sinn, denn sie definiert sich über den Hass, die Abneigung und Feindseligkeit, die den Menschen entgegengebracht wird. Homophobie wird wie auch Rassismus als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ eingestuft. Walther-Ahrens beschreibt in ihrem Buch (2011, S. 28 f.) die Diskriminierung, die homosexuelle Menschen in ihrem Alltag bewusst oder auch unbewusst erleben müssen. Diskriminierung kann weiter differenziert werden. Physische Gewalt ist die offensichtlichste Ausdrucksform. Unter die unbewusste Diskriminierung fallen Situationen, die nicht absichtlich herbeigeführt werden und dennoch verletzend sind oder sein können. Fragen wie „Wann kommt denn deine Frau?“ zu einem homosexuellen Mann oder „Wie heißt denn dein Freund?“ zu einer Frau setzten Heterosexualität bei den Menschen voraus. Daher rührt auch der Verdacht, dass homosexuelle Fußballer zu medienwirksamen oder auch internen Anlässen wie einer Weihnachtsfeier Frauen mitbringen, um ihre Homosexualität zu verbergen. Im Bezug auf Walther-Ahrens gibt es „im öffentlichen Leben eine breite Palette von Reaktionen auf Homosexualität (2011, S. 29), mit anderen Worten, die Öffentlichkeit kennt ganz verschiedene Reaktionen, die von einer absoluten Akzeptanz homosexueller Menschen bis zur hin zu einer Separation von diesen geht, während die häufigste Form, versteckte Ablehnungen, eine Zwischenstufe darstellt. Um hier entgegen zu wirken hat die Europäische Union Gleichstellungsgesetze entworfen, welche seit 2006 geltendes Recht sind und die Antidiskriminierungsrichtlinien im Gesetz der Bundesrepublik Deutschland regeln. Diskriminierung, die auf die Religion, Weltanschauung, Geschlecht, ethische Herkunft oder eben die Sexualität abzielen, sollen durch dieses Gesetz verhindert werden. Formal stellt dies also eine Erweiterung des Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes dar, mit der Folge, dass Homosexuelle und transsexuelle Menschen sich seitdem auf eine rechtlichen Grundlagen berufen können, wenn sie erfahrene Diskriminierung anprangern. Dies ist im § 19 des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes das vom Bundesministerium der Justiz (2006) umgesetzt wird.

Nachdem deutlich wurde welche Relevanz das Thema Homosexualität in der Gesellschaft hat und was genau unter Homophobie zu verstehen ist, werden im nächsten Kapitel Klischees, die im Zusammenhang mit Homosexualität stehen behandelt. Dies ist eminent wichtig, um zu verstehen, welche Assoziationen eventuell die Fans und Funktionäre haben, die sich gegen „Homosexualität im Profifußball“ aussprechen.

4.2 Klischees

Obligatorisch und zweckdienlich ist zunächst die Begriffsdefinition. Unter Klischees versteht man vorgeprägte und unreflektierte Meinungen und Einstellungen gegenüber einer bestimmten Personen- oder Gesellschaftsgruppe, ohne diese genau zu kennen.

Die Klischees, welche sich um die Homosexualität ranken, sind äußerst vielschichtig und nach Walter-Ahrens nur schwer zu identifizieren. Geläufig sind etwa Attribute wie ein stark ausgeprägtes Modebewusstsein und ein stets gepflegtes Äußeres, die vor allem homosexuellen Männern zugeschrieben werden. In modischen Fragen sind sie ein besserer Ansprechpartner als heterosexuelle Männer. Demgegenüber seien homosexuelle Frauen über ihr maskulines Aussehen und ihre wenig feminine Kleidung zu identifizieren. Landläufig scheint es eine Korrelation zwischen Mode und sexueller Orientierung zu geben. „Schwule erkennt man sofort“, diese Aussage trifft Braun (2006, S.26) – vornehmlich zu provozieren. Er bedient dabei ein gängiges Klischee - homosexuelle Männer, die aus Ihrer Sexualität kein Geheimnis, zeigen ein anderes Verhalten als Heterosexuelle. Salopp gesprochen, ließe es sich als tuntig bezeichnen. Jedoch merkt Braun an, dass diese Klischees nicht haltbar sind, denn oft ist es der sehr maskulin wirkende Mann, welcher in Wirklichkeit homosexuell ist und umgekehrt entpuppt sich der „tuntige“ Mann als großer Frauenverführer. Diese Beispiele sollen vergegenwärtigen, dass Klischees in der heutigen Gesellschaft nicht tragbar, manchmal auch unerträglich sind und doch ist eine Behandlung von ihnen im Kontext von „Homosexualität im Profifußball“ unerlässlich. Es entspricht dem menschlichen Naturell die Welt klassifizieren und kategorisieren zu wollen, oftmals unter Zuhilfenahme verbreiteter und unreflektiert übernommener Klischees - hier liegt meines Erachtens ein Quell des Übels.

Das wahrscheinlich gängigste Vorurteil über Schwule zielt auf ihre vermeintliche Weiblichkeit ab. Laut Braun (2006, S. 27) geht dieses Klischee noch weiter. Schwule verhalten sich nicht nur weiblich, sondern sind schwach, Schlappschwänze. Diese Metapher passt nicht zu jenen maskulinen Fußballern, die regelmäßig mit vollem Körpereinsatz um Pokale und Punkte kämpfen, die schönsten Frauen an ihrer Seite haben und im größtmöglichen öffentlichen Interesse stehen. Für die Fans ist es einfach undenkbar, dass ihr Idol in der Mannschaft, womöglich der Torjäger Männer bevorzugen könnte. Braun betont, dass man einen homosexuellen Mann kaum mehr verletzen kann, als ihm seine Männlichkeit abzuerkennen. (2006, S. 27).

Demnach leiden homosexuelle Männer sehr unter diesem Klischee, eine Verknüpfung zu möglichen homosexuellen Spielern ist an dieser Stelle zielführend. Wie schon erwähnt müssen sie ihre sexuelle Neigung verstecken und sich so verhalten, dass sie von Beobachtern als maskulin wahrgenommen werden - ein großer Leidensdruck ist die logische Konsequenz. Der ehemalige Fußballer Marcus Urban bekräftigt diese These in seinem autobiografischen Buch (siehe Kapitel 9).

Um diesen Aspekten noch mehr Gewicht zu verleihen, ist es wichtig, sich mit den positiven Auswirkungen eines öffentlich begangenen Coming-out auf das Individuum zu beschäftigen.

4.3 Coming-Out

Unter einem Coming-out in Bezug auf die eigene Sexualität versteht man laut Braun (2006, S. 14) die Gewissheit, nicht heterosexuell sondern homosexuell zu sein und dies öffentlich zu verbreiten.

Braun (2006, S. 17) berichtet aber auch von einem „inneren Coming-out“, bei dem der Betroffene alle diffusen und teilweise verstörenden Gefühle mit sich selber ausmacht, was letztlich zu einem Kreislauf von Verunsicherungen und aufkommenden Fragen führt. Jeder Mensch geht unterschiedlich mit der Thematik um, doch lässt sich generell eine Tendenz feststellen - selbstbewusste Persönlichkeiten, mit einem positiven Bezug zu ihrem Körper, können besser mit der Situation umgehen als introvertierte, verunsicherte Menschen. Von nicht zu überschätzender Bedeutung sind hier auch regionale, ethnische und religiöse Unterschiede in Bezug auf den Umgang mit Homosexualität. Zu Verweisen ist beispielsweise auf die rigide Handhabung in weiten Teilen der muslimisch geprägten Welt.

In urbanen Gebieten lebende Personen können häufig offener mit ihrer Sexualität umgehen, da Städte anonymer und im Durchschnitt auch toleranter sind als ländliche geprägte Gebiete. Eine Pauschalisierung ist jedoch sicherlich nicht hilfreich, jeder Mensch handelt aus seinem Umfeld heraus. Ein in Deutschland lebender Muslim, der in einem akademischen Umfeld aufgewachsen ist, hat es ohne Zweifel einfacher, sein Coming-out zu praktizieren, als der Sohn eines einfachen Bauern in Iran.

Natürlich nimmt auch das Alter Einfluss auf ein Coming-out. Manche Menschen kommen erst im Erwachsenenalter zu der Erkenntnis homosexuell zu sein. Zu dieser Zeit haben sie eventuell schon eine Familie gegründet und eine Existenz aufgebaut. Da eine Outing in solch einem Moment trivialerwiese das bis dato geführte Leben stark beeinflusst, fällt es noch schwerer, diesen Schritt zu gehen.

Das innere Coming-out ist die Zeit, in der die erotischen Gefühle zum gleichen Geschlecht deutlich werden. Es geht des Öfteren einher mit einer gefühlten Isolation von der Gesellschaft, wobei das Empfinden, sich scheinbar anders zu verhalten als der überwiegende Teil der Gesellschaft, zu Schamgefühlen oder sogar sozialen Problemen führen kann. Ebenfalls spielt dabei die Angst vor Mobbing, fehlendem Respekt oder Unverständnis des sozialen Umfelds eine relevante Rolle.

Braun (2006, S. 14) berichtet von einer im Jahre 2002 durchgeführten Studie, bei der deutlich wurde, dass das Verstehen und Akzeptieren der eigenen Homosexualität noch immer mit derselben Angst, wie vor 30 Jahren, belegt ist.

Weiterführend kann gesagt werden, dass die Identitätsfindung homosexueller Männer und Frauen aus den oben genannten Gründen erschwert wird. Das Ziel des Coming-out ist ein inneres Wohlbefinden und ein entspanntes Verhältnis zu der eigenen Sexualität im Dialog mit der Gesellschaft. Dies kann nur durch ein umfassendes, bewusst und entschieden nach außen getragenes Coming-out geschehen. Dieser Aspekt ist bei homosexuellen Profifußballern nicht gegeben, sie flüchten in eine eigene Scheinwelt, was in letzter Konsequent zu psychischen Problemen sowie Identitätsstörungen führen kann. Kapitel 10 widmet sich dieser Thematik anhand des Leidensweges von Marcus Urban.

Braun (2006, S. 16) listet 6 Punkte auf, mit deren Hilfe man den Erfolg eines Coming-out des Mannes evaluieren kann:

„Ein Coming-out ist dann gelungen,

- wenn du dich wohl fühlst, schwul oder bisexuell zu sein oder als Heterosexueller schwule Anteile zu haben;
- wenn du dich als Schwuler oder Bisexueller in der heterosexuellen Welt gut integriert fühlst;
- wenn du dein eigenes Schwulsein genauso akzeptierst wie die sexuelle Orientierung der anderen – wie auch immer die sein mag;
- wenn du bei der Partnersuche voll und ganz hinter deinen Wünschen stehst;
- wenn du schwule Beziehungen eingehen kannst, ohne dich deines Partners oder deiner Gefühle zu schämen;
- wenn du Spaß an deiner Sexualität hast;“

Natürlich ist das Coming-out ein Prozess, der eine lange Zeit benötigt um verarbeitet zu werden. Auch wenn der oder die Betroffene sicher ist, in seiner/ihrer Identitätsfindung gefestigt zu sein und die eigene Homosexualität nach den oben genannten Punkten akzeptiert zu haben, können immer wieder Situationen auftreten, bei der die eigene Überzeugung ins Wanken gerät. Dies kann zum Beispiel eine öffentliche Situation mit dem Partner sein, bei der deutlich wird, dass Menschen im Umfeld die Homosexualität nicht akzeptieren. Homophobe Diskriminierung belastet die Betroffenen und kann zu einer Verheimlichung der Gefühle führen. Dies lässt sich ebenfalls auf den Profifußball und das Stadionbild übertragen. Die homophoben Äußerungen im Stadion können analog ein Coming-out des Spielers verhindern, nach welchem sie sich unter Umständen angreifbar und verletzlich fühlen. Sie fürchten um ihr Privatleben und ihre Karriere.

Klarheit über die eigenen Gefühle und Sexualität zu erlangen, kann das Ende eines langwierigen und schweren Weges sein. Beispielsweise kann die Tatsache, bisexuell zu sein, also sich zu beiden Geschlechter hingezogen zu fühlen, zunächst zu Verwirrung und Fehlinterpretationen führen – besonders, wenn der Betroffene in einem, eventueller Unwissenheit geschuldeten, Schwarz-Weiß-Denken verhaftet ist und versucht, sich einer sexuellen Vorliebe klar zuzuordnen. Seltener ist der Fall, dass sich ein Mann in eine Frau verliebt, der sich in seiner Identitätsfindung sicher war, homosexuell zu sein. Wie schon geschrieben gehen manche Männer Beziehungen zum weiblichen Geschlecht ein, weil sie nicht wahrhaben wollen, homosexuell veranlagt zu sein. Die Ungewissheit um die eigenen Vorlieben kann sich stark auf das Verhalten und Wohlbefinden eines Menschen auswirken.

Braun (2006, S.20) definiert zwei Orientierungshilfen, wann ein Mensch homosexuell oder bisexuell sein könnte. Wichtig ist es abermals, diese nicht zu pauschalisieren.

- „Wenn du sexuelle Gefühle für Männer hast und dich in Jungs und Männer verliebst, bist du schwul. Dabei kann es durchaus sein, dass du etwas für Mädchen und Frauen fühlst. Allerdings nicht so stark wie für Männer.
- Wenn du sexuelle Gefühle zu Jungs und Männern und gleichermaßen zu Mädchen und Frauen hast, dich in beide Geschlechter verliebst und dich nach Liebe und Sex mit Ihnen sehnst, dann bist du bisexuell. „

Man kann sich vorstellen, dass Menschen, die ihre Homosexualität verstecken, sich selber belügen. Sowohl die Sexualität, als auch eigene Bedürfnisse, welche ebenfalls eine Facette der Persönlichkeiten darstellen und im Leben einen hohen Stellenwert besitzen, werden so vor wichtigen und nahestehenden Personen verborgen. Die Errichtung eines energieraubenden Lügengebildes ist unerlässlich und kann in der Konsequenz zu schweren Traumata führen. Vice Versa: Ein Coming-out kann zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein führen. Das Vortäuschen einer anderen sexuellen Neigung ist nicht mehr notwendig, der Betroffene wird sich im wahrsten Sinne des Wortes seiner selbst bewusst und kann fortan in Übereinstimmung mit seiner Identität agieren. Braun (2006, S. 30) weist jedoch darauf hin, sich vor einem Coming-out mit den zu erwartenden Reaktionen des näheren sozialen Umfeldes zu beschäftigen. Wird beispielsweise befürchtet, dass die Schulfreunde eines homosexuellen Jugendlichen mit homophoben Äußerungen auf das Coming-out reagieren, wäre es wichtig, sich bereits im Voraus mit Freunden oder Eltern zu beraten, sofern diese eingeweiht sind.

Das Kapitel macht deutlich, wie wichtig es für die betroffenen homosexuellen Spieler, ist, sich kontrovers und analytisch mit dem Thema Coming-out auseinander zu setzen. Neben dem Produkt Fußball darf der Mensch nicht in den Hintergrund treten, das Thema Coming-out zeigt die Notwendigkeit auf.

Nicht zu vernachlässigen ist auch eine Vorbildfunktion, die homosexuelle Profifußballer einnehmen könnten. Gerade Jugendliche benötigen bei Konflikten in ihrer Identitätsfindung oftmals Orientierungshilfe. Würden sich ihre sportlichen Vorbilder outen, wäre dies für die betroffenen Jugendlichen ein wichtiges Signal.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783863417215
ISBN (Paperback)
9783863412210
Dateigröße
589 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Düsseldorf
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
Fankultur Homosexualität Profifußball Toleranz Akzeptanz Stadion

Autor

Christian Brügel, B.A., wurde 1982 in Düsseldorf geboren. Sein Studium im Bereich Sozialpädagogik absolvierte der Autor an der FH Düsseldorf und schloss diesen mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts erfolgreich ab. Zahlreiche Besuche von Fußballspielen motivierten Christian Brügel das Tabuthema ‚Homosexualität im Profifußball’ wissenschaftlich zu beleuchten.
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Titel: Homophobie am Spielfeldrand: Spieler im Abseits
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