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Sozialpolitik im Islam: Eine Analyse der Situation im Mittleren Osten

©2012 Bachelorarbeit 40 Seiten

Zusammenfassung

Die Sozialpolitik kann in den westlichen Staaten Europas und den USA auf eine mehr als einhundert Jahre alte geschichtliche Entwicklung zurückblicken. So ist die Sozialpolitik in den meisten Verfassungen der abendländischen Staaten gesetzlich verankert. Die christlichen Werte und die Ideen der Aufklärung sowie die wirtschaftlichen Umbrüche spielen eine wichtige Rolle beim Verständnis der sozialpolitischen Entwicklungen in den abendländischen Staaten. Die Demokratisierung der Gesellschaften war ebenfalls ein entscheidender Aspekt. Des Weiteren sind die verschiedenen Sozialsysteme der westlichen Länder in den Sozial- und Politikwissenschaften analysiert worden und anhand ihrer gesellschaftlichen, politischen und sozialen Eigenschaften in ländertypische Wohlfahrtsregime eingeteilt worden.
Auf der Basis dieser Erkenntnisse stellt sich unweigerlich die Frage, wie die Sozialpolitik in Staaten außerhalb des abendländischen Kulturkreises gestaltet wird. Welche kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignisse haben sie beeinflusst? Diese Staaten sind fast ausschließlich islamische Länder und die islamischen Kulturen sind nicht in dem Maße von den oben erwähnten Einflüssen der Aufklärung, Demokratisierung und Industrialisierung geprägt worden wie die abendländischen Sozialstaaten.
Dem Islam, der nahezu alle Bereiche der Gesellschaft dieser Länder durchdringt, soll hier eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um zu erfahren, inwiefern er die sozialpolitischen Maßnahmen der relevanten Staaten beeinflusst.
Es wird dabei einführend auf die Sozialpolitik nach westlichem Vorbild eingegangen. Als nächstes werden die unterschiedlichen Institutionen und die verschiedenen Formen der Wohlfahrtsstaaten selbst vorgestellt. Im dritten Kapitel wird auf den Islam eingegangen und das Wohlfahrtsverständnis dieser Religion offengelegt. Hierdurch soll eine erste Vorstellung von den kulturellen und religiösen Einflüssen des Islams auf die Sozialpolitik in den islamischen Ländern entstehen. Es wird hier zuerst auf die sozialen Institutionen des Islams eingegangen, wobei die politischen Systeme und deren Motive zur Durchführung sozialpolitischer Maßnahmen untersucht und die wirtschaftlichen und finanziellen Situationen der Staaten erläutert werden, da diese die Grundlage der Finanzierung jeglicher sozialpolitischer Maßnahmen darstellen. Anschließend werden der Iran, Saudi Arabien und die Türkei exemplarisch auf die oben dargestellten Merkmale […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2 Entstehung der westlichen Wohlfahrtsstaaten
Um sich im Folgenden mit der Sozialpolitik in den Staaten des Mittleren Ostens
beschäftigen und diese auch verstehen zu können, bedarf es einer genaueren Betrachtung
der westlichen Staaten, insbesondere die Europas und der Vereinigten Staaten. Diese
Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten haben eine lange und zum Teil auch gemeinsame
Entwicklung vollzogen (vgl. Kaufmann 1997: 22ff.
).
Hierbei ist es wichtig einige
Merkmale, der für den Westen typischen Sozialpolitik, herauszuarbeiten und zu
hinterfragen, welche die Ursprünge und ersten Ansätze dieser Sozialpolitik waren. Des
Weiteren ist es von Belang, welche Ziele sie verfolgten und auf welchen Werten diese
aufgebaut waren. Danach soll dargestellt werden, welche Akteure und Institutionen für die
sozialpolitischen Maßnahmen in diesen Staaten verantwortlich sind. Abschließend wird
gezeigt, anhand welcher Merkmale die verschiedenen Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten
voneinander unterschieden werden können.
2.1 Ursprünge und erste Ansätze der Sozialpolitik des Abendlandes
Aus geschichtlicher Sicht hat die Sozialpolitik der westlichen Staaten ihre Wurzeln im
Mittelalter Europas. Sie basiert dementsprechend auf christlichen Werten, die die
kulturellen Wurzeln dieser Entwicklung sind. So führten die kirchlichen und karitativen
Einrichtungen in den Bereichen der Armenfürsorge die ersten Hilfen für die armen
Bevölkerungsschichten durch (vgl. Ullrich 2005: 17). Die ersten Aktivitäten, die von
Seiten der Staaten bzw. der Herrschenden Europas im Bereich der Sozialpolitik
durchgeführt wurden, können unter anderem auf das 16. Jahrhundert in England, durch die
Festlegung der Armengesetze, zurückgeführt werden. Im 19. Jahrhundert wurde der Staat
in Deutschland, durch die Einführung von Sozialversicherungen, offiziell als Zuständige
Instanz tätig. Es ist wichtig anzumerken, dass die Staaten hierbei erstmals ihre eigene
Verantwortung und Pflicht, hinsichtlich der sozialpolitischen Belange der Bürger,
anerkannten (vgl. Ullrich 2005: 19ff.). Diese historischen Entwicklungen können auch als
die Anfänge der ersten Sozial- oder Wohlfahrtsstaaten gesehen werden.
Ausschlaggebend für die Genese dieser ersten Versuche der Einführung der
Sozialstaatlichkeit waren die christlichen Werte der abendländischen Tradition und die
Aufklärung. So beruhten die auf dem Christentum basierenden Überzeugungen auf
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humanitären Werten, die das Prinzip der Fürsorge, Solidarität und Gerechtigkeit zum Kern
hatten (vgl. Jawad 2007: 27)
.
Somit war auch die Kirche über die letzten Jahrhunderte stets
bestrebt, das Denken und Handeln der Bürger mit diesen Werten zu beeinflussen und
prägte das Verständnis des sozialen Wohlfahrtsstaates in den westlichen Ländern
(
vgl.
Jawad 2007: 41ff.). Die Aufklärung verfolgte ebenfalls die Ziele, wie das Recht eines
jeden auf Gleichheit und Freiheit in einem Staat (Kaufmann 1997: 41ff.)
.
Es wurde
versucht den Bürgern einen Anreiz zur Eigenverantwortung und Engagement zu geben, der
sie aktiv zur Gestaltung der Gesellschaft animieren sollte. Dies wiederum sollte in der
Summe durch den Staat zum Ausdruck kommen (Ullrich 2005: 23).
Des Weiteren hatten die sich verändernden Lebensumstände in den westlichen Ländern,
die im Zuge der Industrialisierung auftraten, einen Einfluss auf das immer stärker
werdende Verlangen der Bürger nach sozialpolitischen Maßnahmen (Bentz 2004: 16). Die
Großfamilienverbände lösten sich durch die Verstädterung immer mehr auf und fielen als
soziale Stütze weg. Die Gruppe derer, die von der Wohlfahrt bzw. der sozialen
Unterstützung anderer abhängig waren, verlagerte sich in Richtung der immer größer und
ärmer werdenden Arbeiterklasse (vgl. Ullrich 2005: 21). Somit waren es nun die Arbeiter,
die nach sozialer Gerechtigkeit verlangten und dies mit Hilfe der Arbeitgeberverbände
kundtaten. Die neu entstandene Arbeiterklasse organisierte sich vermehrt in Vereinen und
Verbänden und propagierte offen die Missstände in der Gesellschaft. Die Regierungen
wurden dadurch unter Druck gesetzt und somit zum Handeln gedrängt.
2.2 Institutionelle Entwicklungen der modernen Wohlfahrtsstaaten
Die kontinuierliche Veränderung der Lebensumstände und der Umwelt durch die
Industrialisierung, Verstädterung und Modernisierung waren, neben dem Christentum und
der Aufklärung, die Hauptantriebe der Herausbildung von Demokratien und
Wohlfahrtsstaaten. Die Bürger versuchten, mit Hilfe von Gewerkschaften und
sozialistischen Parteien, ihre Forderungen nach ausgleichender sozialer Gerechtigkeit
durchzusetzen. Dieser Prozess war die Ursache der Herausbildung der ersten
Interessensgruppen, nämlich der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die notwendig
wurden, um zu friedlichen Konfliktlösungen zu gelangen. Auch der Staat war immer mehr
daran interessiert, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten und ihre Legitimation zu
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sichern, was zur Gründung der ersten bürokratisch organisierten Institutionen führte,
welche auf der Basis der ersten sozialpolitischen Gesetze arbeiteten. Die sukzessive
Einführung verschiedener Sozialversicherungssysteme in den Achtzigern des 19.
Jahrhunderts hatte die Inklusion immer größerer Teile der Bevölkerung zur Folge. Aber
auch immer breitere Felder der Sozialpolitik wurden dem Zuständigkeitsbereich des
Staates zugeordnet (vgl. Ullrich 2005: 23ff.). Kaufmann (1997: 40ff.) bezeichnet diesen
Prozess als ein wichtiges Merkmal der Demokratisierung, Pazifizierung der
Klassengegensätze und der politischen Stabilisierung.
Bei der Einführung der verschiedenen Sozialversicherungssysteme stellt sich stets die
Frage der Finanzierung dieser Systeme. Hierbei ist die Quelle der Finanzmittel, die zur
Finanzierung der Sozialpolitik notwendig ist, von Belang. Die diversen
Sozialversicherungen werden in den westlichen kapitalistischen Ländern hauptsächlich
durch Steuern und Beiträge finanziert. Es ist wichtig zu erwähnen, dass der Sozial- bzw.
Wohlfahrtssektor nicht zentral aufgebaut ist, sondern aus fragmentierten, zum Teil privaten
Dienstleistungssystemen besteht, die neben dem Staat wirtschaften und Leistungen
anbieten (vgl. Kaufmann 1997: 23). Die Voraussetzung eines solchen Systems ist die
demokratische Verfassung eines Rechtsstaates, der die Eigentumsrechte eines jeden
Bürgers garantiert und schützt (vgl. Esping-Andersen 1998: 25). Des Weiteren sind unter
anderem eine liberale Finanz- und Privatwirtschaft maßgebend, die eine wichtige
Grundlage eines funktionierenden und wachstumsgarantierenden Wirtschaftssystems
bilden. Aber auch die funktionierenden Kredit- und Geldmärkte sind, als Teil der
Finanzwirtschaft, fundamental für ein funktionierendes Versicherungssystem, das einen
bedeutenden Teil des Sozialversicherungssystems ausmacht (vgl. Weidnitzer 1998: 11).
Eine hohe Beschäftigungszahl der Arbeiter garantiert hohe Steuereinnahmen eines Staates,
welcher diese zur Finanzierung der Kosten eines solidarischen, universalistischen und vor
allem dekommodifizierenden Wohlfahrtssystems aufwendet (vgl. Esping- Andersen 1998:
46). Hierbei werden die Einnahmen für diverse Sozialausgaben des Staates verwendet. Die
gesetzliche Rentenversicherung ist in den meisten westlichen Ländern, eine auf
Umlageverfahren aufgebaute Versicherung, die sich ebenfalls aus Beiträgen der
Arbeitnehmer, Arbeitgeber und den Zuschüssen des Staates finanziert (vgl. Bäcker und
Bispinck 2008: 442). Neue Alterssicherungsformen, wie betriebliche und private
Alterssicherungen, werden inzwischen alternativ angeboten. Diese Versicherungen sind im
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Vergleich zu der gesetzlichen Alterssicherung kapitalgedeckt, basieren auf Zinsen und
machen somit funktionierende Finanz- und Kapitalmärkte notwendig.
Die Finanzierung der Sozialsysteme durch Steuereinnahmen hat einen weiteren
bedeutsamen Effekt bei der Implementierung der Demokratie. Sie berechtigt die Bürger
des Staates zur Mitsprache bzw. Teilhabe am politischen System. Dadurch wird auch
ersichtlich, dass der Staat hier nicht paternalistisch als Rentierstaat und Alleinversorger
agiert und als Einzelakteur die Einnahmen und Ausgaben verwaltet. Er operiert lediglich
als Schnittstelle zwischen Markt, Staat und Familie (vgl. Esping- Andersen 1998: 36).
2.3 Modelle der Wohlfahrtsstaaten
Als Nächstes soll der abendländische Wohlfahrtsstaat, unter dem Gesichtspunkt der
Unterschiede der verschiedenen Regime, untersucht werden. Obwohl man im Allgemeinen
von westlichen Wohlfahrtstaaten spricht, unterscheiden sie sich doch in den verschiedenen
Ländern bzw. Regionen voneinander. Die Staaten lassen sich jeweils in drei
Wohlfahrtsregime unterteilen, die von Esping-Andersen in liberale-, sozialdemokratische-
und konservativ-korporatistische Wohlfahrtsregime gegliedert wurden (vgl. Esping-
Andersen 1998: 43). Jedes dieser drei Wohlfahrtstaatstypen verfolgt eigene Prinzipien,
wonach sich auch dessen Sozialpolitik richtet und dementsprechende soziale Leistungen
angeboten werden.
Die liberalen Wohlfahrtsstaaten zeichnen sich vor allem durch ihre niedrigen
Transferleistungen und dementsprechenden Umverteilungseffekt aus, die von der
calvinistischen bzw. puritanischen Arbeitsethik geprägt sind. Dadurch wird dem Staat
weniger Verantwortung zugeschrieben. Die normative Grundlage dieser Sozialpolitik liegt
dem Prinzip der Freiheit und des Laissez-faire zugrunde. Weitere wichtige Merkmale sind
der geringe Dekommodifizierungsgrad, d.h. dass der Staat relativ geringe Sozialleistungen
anbietet. Diese werden stattdessen hauptsächlich durch private Sicherungsformen über den
Markt erbracht. Die sozialen Leistungen sind zum großen Teil von den finanziellen
Beiträgen der Bürger abhängig. Somit sind die finanziellen Quellen der Leistungen
weniger von Steuern als viel mehr von den privaten Beiträgenszahlungen der Bürger
abhängig. Dies führt zu einem hohen Stratifizierungsgrad. Die typischen Vertreter dieser
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wohlfahrtsstaatlichen Regime sind unter anderem die USA, Kanada, Großbritannien und
einige weitere Länder (vgl. Esping- Andersen 1998: 43).
Das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime ist von der Sozialdemokratie und den
sozialdemokratischen Parteien geprägt. Es ist sehr dekommodifizierend und
universalistisch ausgerichtet, da der Staat den Markt weitestgehend ersetzt und die sozialen
Leistungen anbietet, wobei diese hauptsächlich durch relativ hohe Steuern finanziert
werden. Der Staat bewirkt dadurch einen sehr hohen Umverteilungseffekt, der ein Zeichen
für eine Politik der Egalisierung auf hohem Niveau ist. Auch werden alle Klassen und
Schichten durch ein einheitliches Versicherungssystem unterstützt, das ebenfalls einen
niedrigen Stratifizierungsgrad verfolgt. Die skandinavischen Länder sind hier die typischen
sozialdemokratischen Länder (vgl. Esping- Andersen 1998: 44 ff.).
Das konservativ-korporatistische Wohlfahrtsregime verfolgt nicht das Prinzip der
Egalisierung, sondern das der Beibehaltung der Statusdifferenzen, welches einen mäßigen
Umverteilungseffekt beinhaltet. Die zentralen Akteure der Wohlfahrtsproduktion sind
hierbei der Staat und die Familie, wobei das Subsidiaritätsprinzip verfolgt wird, wonach
der Staat erst dann stützend eingreift, wenn die Familie als unterstützende Instanz nicht
mehr in der Lage ist, der bedürftigen Person zu helfen. Dieses Modell zeichnet sich durch
die traditionellen Familienformen aus. Des Weiteren beinhaltet die Sozialpolitik sowohl
staatliche Leistungen als auch Leistungen, die durch private Versicherungssysteme
erbracht werden. Dementsprechend wird diese Politik durch Steuern, aber auch Beiträgen
finanziert. Die kontinentaleuropäischen Länder sind Vertreter der konservativ-
korporatistischen Wohlfahrtsregime (vgl. Esping- Andersen 1998: 44). Diese drei
aufgezählten wohlfahrtsstaatlichen Regime sind jedoch keine fixen Modelle, die jeweils
auf ein westliches Land zutreffen müssen. So können auch Staaten Hybridformen mehrerer
Modelle darstellen und gewisse Eigenschaften der Modelle miteinander kombinieren.
3 Wohlfahrtsverständnis im Islam
Um die Wohlfahrtsstaatlichkeit der Staaten des Mittleren Ostens darstellen und verstehen
zu können, bedarf es einer genaueren Betrachtung der Genese und Entwicklung dieser
Staaten. Es ist wichtig, im Falle der westlichen Wohlfahrtsstaaten, die Ursprünge,
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Wurzeln, Kulturen und Werte dieser Länder zu analysieren, um somit ein besseres Bild
und Verständnis für die Sozialpolitik und Wirtschaft dieser Länder zu bekommen. Die
Frage nach den Ursprüngen der Staaten des Mittleren Ostens führt unweigerlich auf die
Frage nach ihren Religionen zurück. Diese Staaten sind islamisch geprägte Staaten.
Dementsprechend hat die Religion einen bedeutenden Einfluss auf die geschichtliche
Entwicklung dieser Länder. Entsprechend der Tatsache, dass das Christentum in den
westlichen Wohlfahrtsstaaten deren Entwicklungen in der Wirtschaft und Sozialpolitik
geprägt hat, lässt den Islam für die Erkenntnisse über die Sozialpolitik und
Wohlfahrtsstaatlichkeit der islamischen Länder von grundlegender Bedeutung erscheinen.
Es ist grundlegend zu wissen, inwiefern der Islam bei der Sozialpolitik der Länder eine
Rolle spielt. Welche Vorgaben und Werte beinhalten die islamischen Gesetze in Bezug auf
die Sozialpolitik bzw. Wohlfahrt?
3.1 Die sozialpolitischen Regelungen nach dem Islam
Entsprechend der Entwicklung der abendländischen Sozialpolitik innerhalb der christlichen
Staaten und Kulturen, die stark durch das Christentum und die Aufklärung geprägt wurde,
spielt der Islam in der Politik der Staaten des Mittleren Ostens eine fundamentale normativ
formende Rolle. Der Islam, der seinen Ursprung im 7. Jahrhundert n. Chr. auf der
arabischen Halbinsel hat, zählt zu den großen Weltreligionen. Er basiert auf dem heiligen
Buch der Muslime, dem Koran, der dem Propheten Mohammed offenbart wurde. Im Zuge
des folgenden Jahrhunderts verbreitete sich die Religion, durch die Feldzüge der
arabischen Moslems, bis in den Südosten Asiens und den Norden Afrikas. Dieser
Entwicklung entsprechend verbreitete sich der Islam auch in den Gebieten der heutigen
Länder, die in den Regionen des Mittleren Ostens und Nordafrikas liegen. Dadurch sind
diese Länder seither sehr stark durch den Islam und seine Gesetze geprägt, die das Leben
der Menschen bestimmen.
3.1.1 Soziale Institutionen nach den Vorgaben des Islams
Das islamische Leben wird durch den Koran und der Sunna, die für die Lebensweise des
Propheten Mohammed steht, gestaltet (vgl. Ismael und Ismael 1995: 23 ff.). Diese
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Grundlagen dienen den Gesellschaften als normative und rechtliche Vorgaben. Hierbei ist
es von Bedeutung zu erkennen, dass der Islam sowohl moralischen als auch politischen
Charakter hat und somit als Religion und politische Ideologie verstanden wird (vgl. Dean
und Khan 1995: 194 ff.). So sind die fünf Säulen des Islams, die als grundsätzliche
Pflichten eines Gläubigen von jedem Moslem eingehalten werden müssen, entscheidend
für das Verhalten der Gläubigen. Diese fünf Säulen des Islams beinhalten das
Glaubensbekenntnis, das tägliche Gebet, den Zakat, das Fasten und die Pilgerfahrt nach
Mekka. Der Koran setzte mit seinen Gesetzen die moralischen und ethischen Standards der
islamischen Gesellschaften und verdeutlichte die Verantwortlichkeit eines Jeden für die
Wohlfahrt der gesamten Gemeinschaft (vgl. Ismael; Ismael 1995: 23). Im Zuge der
sozialen Probleme und Belange der damaligen Zeit entstanden einige wichtige soziale
Institutionen, die sich der Verbesserung der gesellschaftlichen Umstände widmen sollten.
Wie schon erwähnt, war der Zakat, als eine der fünf Säulen des Islams, ein Grundstein der
islamischen Staaten (vgl. Weiss, 1995: 10). In der Praxis der islamischen Gesellschaften
werden jedoch einige weitere Institutionen durch den Koran und die Sunna vorgegeben,
die in der Sozialpolitik dieser Länder eine große Rolle spielen. Als einige der wichtigsten
Institutionen sind hier die Sadaqa, die Waqf und natürlich die Moscheen zu nennen (vgl.
Jawad 2007: 47). Sie alle spielen in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft eine
wichtige Rolle bei der Ausführung der sozialen und wohltätigen Leistungen.
Die Sadaqa steht im arabischen für die Almosen, die im Vergleich zum Zakat freiwilliger
Natur sind und nicht obligatorisch vorgeschrieben sind. Sie muss weder öffentlich noch
durch staatliche Institutionen oder andere Körperschaften durchgeführt werden. Weiteres
Merkmal dieser Spende ist die nicht explizit festgelegte Höhe, die somit nicht einen
prozentualen Anteil des Vermögens betragen muss und zumeist von den Gläubigen an
Nachbarn, Freunde oder Verwandte gespendet wird. Der Empfänger muss hierbei nicht,
wie beim Zakat, ausschließlich dem Islam angehören. (vgl. Schmidt 2011: 7).
Die Institution der Waqf ist explizit islamisch und dient der Aufwendung der Gelder für
zumeist öffentliche Stiftungen zum Aufbau eines sozialen Systems, das die Wohlfahrt der
Bürger sichern soll. Sie ist dementsprechend eine permanente Widmung und Gabe der
Gläubigen, die religiösen und wohltätigen Zwecken dient. Das Verantwortungsbewusstsein
der Gläubigen formt so die öffentliche Einstellung zur Waqf. Diese Institution ist nicht
explizit im Koran verankert, sondern geht auf einen Anhänger des Islams Namens Hazret
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Talha aus Medina zurück, der diese Praxis erstmals durch seine freiwilligen Spenden für
die Allgemeinheit etablierte. Seither hat diese Praxis die soziale, ökonomische und
kulturelle Entwicklung in den islamischen Gesellschaften vorangetrieben und wird unter
den Moslems weltweit durchgeführt. Dadurch werden zahlreiche Institutionen wie
Moscheen, Krankenhäuser, Schulen und weitere soziale Einrichtungen finanziert (vgl.
Richardson 2004: 168f.).
Die Moscheen spielen in allen Ländern eine ebenso zentrale Rolle bei der Organisation
und Durchführung der Wohlfahrtstätigkeiten. Sie dienen sowohl der religiösen als auch
politischen Meinungsbildung in den Gesellschaften und formen dadurch das
sozialpolitische Bewusstsein der Gläubigen (vgl. Underwood 2004: 190f.). Sie sind zum
Teil netzwerkartig organisiert und helfen effizient bei der direkten Verwendung der Zakat-
und Waqfeinnahmen, sowie weiterer wohltätiger Spenden für die Bedürftigen.
3.1.2 Der Zakat als islamische (Almosen-) Steuer
Der Zakat ist für das Verständnis der Sozialpolitik im Islam ausschlaggebend (vgl.
Ostermeier 2006: 21). Er ist eine verpflichtende, aber nichtstaatliche Steuer, die von den
Gläubigen abgeführt werden muss. Er dient der Unterstützung der Armen und Bedürftigen
und soll eine gewisse Umverteilung des Wohlstands bewirken (vgl. Dean und Khan 1995:
193). Die Abgabe des Zakats wird als ein Akt der Frömmigkeit verstanden und bewusst
von den freiwilligen Almosen und Abgaben unterschieden. Er ist auch nicht als ein
altruistischer Akt zu verstehen und von den christlichen Vorstellungen der Sühne zu
trennen. Er ist vielmehr eine religiöse und gottgefällige Tat, die auf Einsicht und Glaube
beruht. Nichtsdestotrotz dient er dem Zweck, die Lücken zwischen Arm und Reich zu
reduzieren und den Wohlstand der Gemeinschaft zu erhöhen (vgl. Dean und Khan 1995:
197 ff.). Die Abgabe des Zakats ist zwar im Koran mitunter detailliert vorgeschrieben,
wirft aber dennoch gewisse Unklarheiten und vielfältige Interpretationsmöglichkeiten auf.
Die Praxis verlangt, dass ein frommer Muslim einen Teil seines Vermögens in Geld oder
aber auch Gegenständen einmal jährlich, zumeist im Fastenmonat Ramadan, als Abgabe in
eine öffentliche Kasse, auf Arabisch Bait al-Mal, oder direkt an die Bedürftigen spendet.
Darunter wurden ursprünglich unter anderem Edelmetalle, landwirtschaftliche Erträge,
Handelswaren sowie Vieh als Bemessungsgrundlagen aufgelistet, die mit
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unterschiedlichen Prozentsätzen besteuert wurden. Daher war die Höhe des zu spendenden
Anteils anfangs nicht genau festgelegt, wurde aber zumeist mit 2,5 Prozent bis 10 Prozent
des Besitzes besteuert. Des Weiteren dürfen diese Steuern nicht durch den Staat
eingesammelt und mit anderen Steuern vermischt werden. Zudem sind die Adressaten des
Zakats im Koran genau festgelegt. Demnach sind es ausschließlich islamische Empfänger,
die vom Zakat profitieren dürfen. Die Zwecke, für die der Zakat aufgewendet werden darf,
sind Arme, Obdachlose, Aufwendungen für Missionierungszwecke und Zakatverwalter,
Hilfen für Schuldner und religiöse Reisende sowie die Aufwendung der Gelder für den
Freikauf von Sklaven und für religiöse Kriege. Dennoch wurden und werden bei der
Verwendung der Gelder die Zwecke und Empfänger der jeweiligen Zeit entsprechend
festgelegt, was eine gewisse freie Interpretationsmöglichkeit zulässt. Demzufolge werden
heutzutage die Gelder auch für öffentliche Einrichtungen wie Religionsschulen,
Krankenhäuser oder die Infrastruktur verwendet, da diese ebenfalls dem Wohl der
islamischen Gemeinde dienen (vgl. Ostermeier 2006: 23 ff.).
3.2 Probleme bei der Anwendung der islamischen Gesetze im Mittleren Osten
Die Anwendung der oben erläuterten islamischen Institutionen zur Sicherung der sozialen
Wohlfahrt der Menschen in den islamischen Staaten war, wie bereits erwähnt, auf die
Lebensverhältnisse des 7. Jahrhunderts und der darauffolgenden Jahrhunderte angepasst
und auch dafür bestimmt. So waren die ersten ausdrücklich islamischen Staaten diese, die
zu den Lebzeiten Mohammeds und der darauffolgenden vier Kalifate existiert haben (vgl.
Dean und Khan 1995: 199 f.). Noch heute werden sie als die einzigen Staaten bezeichnet,
die wahrlich die im Koran und der Sunna vermittelten islamischen Werte und Gesetze
praktiziert haben. So waren zu dieser Zeit sowohl die Religion als auch die Politik
islamisch und somit unter den Gesetzen des Islams vereint. Die Politik, Religion und
Wirtschaft wurden nach den Vorgaben des Islams gelebt. Dementsprechend wurden der
Zakat, die Sadaqa und die Waqf, als Bestandteile der sozialen Sicherung, in den Staaten
angewandt. Hierbei muss bedacht werden, dass die damaligen Staaten und Gebiete, die
islamisch regiert wurden, relativ überschaubar waren und die wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Begebenheiten nicht die Ausmaße und Komplexität der heutigen Staaten
besaßen. Diese Staaten umfassen heutzutage viele Millionen Einwohner und sind durch
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2012
ISBN (PDF)
9783863417277
ISBN (Paperback)
9783863412272
Dateigröße
213 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bielefeld
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
Politik sozialpolitische Maßnahmen Sozialstaat autoritärer Staat Iran Saudi Arabien Türkei

Autor

Sasan Naghashzade, B.A., wurde 1981 in Teheran geboren. Sein Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld schloss der Autor im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Der Autor wurde im Iran geboren und hat demensprechend einige Jahre dort gelebt. Des Weiteren verbrachte er einen Teil seiner Kindheit im Irak und beschäftigte sich immerwährend mit der Politik und der Kultur der Länder des Mittleren Ostens, was ihn während des Studiums dazu veranlasste, die Sozialpolitik dieser Staaten mit der der westlich geprägten Länder zu untersuchen.
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Titel: Sozialpolitik im Islam: Eine Analyse der Situation im Mittleren Osten
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