Glücksforschung und ihre Bedeutung für den Wohlstand von Nationen: Über Begriffsbestimmungen, Erhebung subjektiver Daten, Forschungsergebnisse und Implikationen
Zusammenfassung
Die Forschung auf dem Feld des Subjective Well-Being zeigt, dass subjektive wie objektive Daten über Zufriedenheit hohe wissenschaftliche Relevanz besitzen und großen Einfluss auf das Individuum, die Gesellschaft und die Wirtschaft haben. Mittlerweile wurde das Interesse der Politik geweckt und Wirtschafts-Nobelpreisträger wie Daniel Kahneman und Joseph Stiglitz forschen intensiv an diesem Thema.
Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die Methodik der Studies of Happiness und erläutert die gewonnen Erkenntnisse dieser jungen Wissenschaft. Es wird nicht nur eine kurze historische Aufarbeitung des Begriffs ‚Glück‘ vorgenommen, sondern auch die Unzulänglichkeit traditioneller Wohlstandsindikatoren aufgezeigt. Nachdem die Validität der vorhandenen Methoden zur Erhebung von Daten über Zufriedenheit (z.B. Day Reconstruction Method, Experience Sampling Method und U-Index) diskutiert wurde, werden diverse relevante Irrationalitäten und Phänomene der menschlichen Psyche beleuchtet. Begriffe wie der Anticipation Error oder die Hedonic Treadmill werden näher ausgeführt. Außerdem werden Auswirkungen auf verschiedenste Bereiche des Menschen wie z.B. Gesundheit, Religion, Persönlichkeit und Arbeit, aber auch die Wirkung auf Wirtschaft und Politik untersucht. Der letzte Abschnitt behandelt kontroverse Spezialfragen der Forschung wie den Zusammenhang zwischen Geld und Zufriedenheit, und vergleicht die verschiedenen Standpunkte von Spezialisten wie Diener et al., Easterlin et al. und Sacks et al.
Die kompakte Abhandlung über die Erkenntnisse der Wissenschaft zum Thema Happiness macht deutlich, dass Glück längst keine persönliche Sache mehr ist, sondern ein Anliegen der gesamten Gesellschaft einer Nation sein sollte und auch auf globaler Ebene eine immer wichtigere Rolle spielt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.4 National Time Accounting
Krueger et al. (2009) stellen ebenfalls einen alternativen Weg, den Wohlstand einer Gesellschaft zu messen, vor, welcher auf der Verwendung der Zeit und der affektiven (emotionalen) Erfahrung währenddessen basiert. Sie beschreiben ihren Ansatz wie folgt: „National Time Accounting (NTA) is a set of methods for measuring, categorizing, comparing and analyzing the way people spend their time, across countries, over historical time, or between groups of people within a country at a given time.”
Der Vorteil der NTA ist, dass es bereits ähnliche Erhebungen gibt. Das Bureau of Labor Statistics (BLS) hat das American Time Use Survey (ATUS) entwickelt, welches jedoch nicht die emotionalen Erfahrungen erhebt. Deshalb wurde, basierend auf ATUS, das Princeton Affect and Time Survey (PATS) entwickelt, mit dem der sogenannte Evaluated Time Use erhoben werden kann. Vor PATS wurde die Evaluierung und Gruppierung der Aktivitäten von den Forschern übernommen. Dies brachte Nachteile mit sich, wie z.B. Unterschiede in der Erfahrung ein und derselben Aktivität von verschiedenen Personen, mehrere verschiedene Gefühle während einer Aktivität, oder die Veränderung der Bewertung einer Aktivität über die Zeit. Mit der NTA ist es nun möglich, eine subjektive Bewertung der Aktivitäten zu erhalten, die akkurat wiedergeben, wie sich eine Person zu der gegebenen Zeit fühlte. Dabei ist ein großer Unterschied zu gewöhnlichen Erhebungsformen zu beachten: Es wird nun der Nutzen (utility) aus dem Prozess einer Aktivität[1], nicht nur der Output (wie bei Standard-Ökonomiemodellen) gemessen.
Ökonomen waren lange Zeit und sind noch immer skeptisch gegenüber subjektiven Daten, was zur Folge hatte, dass früheren Ansätzen in dieser Richtung keine Beachtung geschenkt wurde. Diese erwiesen sich mittlerweile jedoch als robust und aussagekräftig.
Diese Methode erhebt keine Daten bezüglich Overall Life Satisfaction. Diese Daten, sowie der genaue Unterschied zwischen ihnen, werden im Abschnitt zwei näher behandelt. Das NTA-Konzept bleibt natürlich nicht ohne Kritik. Ein großer Punkt ist sicherlich die angesprochene fehlende Objektivität und die angezweifelte Aussagekraft. Hier haben sich in den Sozialwissenschaften jedoch zahlreiche Methoden zur Überprüfung der Validität etabliert. Während der Vergleich mit Ergebnissen objektiver Daten (z.B. Lebenserwartung) für sich noch nicht aussagekräftig erscheint, bietet dieser durch Kombination mit Experimenten in Laborumgebung (z.B. gezielte Zuführung positiver Affekte und die Beobachtung der Auswirkung auf die Gesundheit) größere Validität. Mit dieser Methodik ließen sich viele Zusammenhänge zwischen negativen bzw. positiven Emotionen und objektiven Kennzahlen, vor allem mittels Longitudinalstudien, nachweisen (z.B. Schwarz & Strack, 1999, Lyzbomirsky, King & Diener, 2005, in Krueger et al., 2009). Selbstbeurteilungen der Befragten bergen noch weitere Probleme, die adressiert werden müssen. Während gegenwärtige Gefühle der Introspektion noch zugänglich sind, sind retrospektive Reporte immer von verschiedenen Bias betroffen. Beispielsweise wurde nachgewiesen, dass die Wetterlage zum Zeitpunkt der Befragung über vergangene Emotionen diese Reporte beeinflusste. Sie fielen schlechter aus, wenn Schlechtwetter herrschte. Dieses Priming kann jedoch durch gezielte Bewusstmachung reduziert werden (Schwarz & Chloe, 1983, in Krueger et al., 2009). Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Tatsache, dass NTA nur die Process Benefits und nicht den Outcome Value erfasst. Diese Problematik betrifft insbesondere Tätigkeiten, die bei der Ausführung negative Emotionen hervorrufen, deren Outcome jedoch positiv ist. Dazu ist zu sagen, dass NTA nur komplementär zu vorhandenen Erhebungsmethoden zu verwenden ist und einen Bereich erfasst, der bisher nicht berücksichtigt wurde. Zusätzlich wurde argumentiert, dass eine Variable nur vergleichbar wird, wenn sie einen definierten Nullpunkt und genau festgelegte Skalenwerte hat, hinzu kommt die individuelle Interpretation der Stärke der Emotionen, die eine kardinale Messung unmöglich scheinen lassen. Der von Krueger et al. entwickelte U-Index[2] umgeht diese Problematik, indem eine ordinale Skala verwendet wird, welche eine einheitliche Interpretation der Intensität überflüssig macht.
Nichtsdestotrotz ist NTA eine vielversprechende Methode zum Erfassen von Subjective Well-Being (SWB) und scheint eine hervorragende Ergänzung zu bestehenden Herangehensweisen an die Thematik.
2 Erhebungsmethoden, Ergebnisse und Mechanismen
Um zu verstehen, wie NTA vom bisherigen Ansatz, SWB zu messen, abweicht, ist eine Unterscheidung in zwei Wahrnehmungen von Happiness nötig, die im Folgenden erläutert werden, bevor auf die genauen Erhebungsmethoden näher eingegangen wird.
2.1 Unterschiedliche Wahrnehmungen – Experiencing-Self vs. Remembering-Self
Bei der Erhebung subjektiver Daten durch Reporte der Interviewten zeigen sich erhebliche Unterschiede, wenn diese zu verschiedenen Zeitpunkten stattfindet. Erhebungen von zur selben Zeit wie der Befragung erlebten emotionalen Erfahrungen ergeben ein anderes Bild der Zufriedenheit einer Person, als bei einer retrospektiven Betrachtung dieser Gefühle (Robinson & Clore, 2002).
Das Accessibility Model of Emotion Report von Robinson & Clore gibt hierfür ein erklärendes Modell, basierend auf kognitiven Prinzipien der Akzessibilität und des Primings. Wenn eine Person eine spezifische Episode in seinem Leben bewerten soll, greift sie zuerst auf die Erfahrung in diesen Momenten zurück. Dies birgt jedoch das Problem, dass diese emotionalen Erfahrungen nur sehr begrenzt zugänglich sind. Kahneman beschreibt die psychologische Gegenwart als ca. drei Sekunden lang. Je länger dieser Moment vorbei ist, desto schwieriger wird es, die akkuraten Informationen zur emotionalen Befindlichkeit in diesem Moment abzurufen. Deshalb wird bei retrospektiven Urteilen auf andere Quellen als Erfahrung zurückgegriffen, nämlich auf episodische Details und semantisches Wissen über Emotionen. Die nachfolgende Grafik von Robinson & Clore (2002) gibt einen Überblick über die Abfolge des Zugriffs auf Erfahrungen bzw. semantisches Wissen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 aus: Robinson & Clore (2002), S. 937
Wenn der Report eine ausreichend aktuelle Episode der Erfahrungen behandelt, kann auf episodische Erinnerungen zurückgegriffen werden, die noch relativ akkurat die tatsächlichen Emotionen widerspiegeln. Globale Reporte, die die Life Satisfaction abfragen, oder prospektive bzw. hypothetische Reporte, greifen jedoch auf semantisches Wissen zurück, da keine episodischen Details vorhanden sind, oder die Episode zu weit zurückliegt, um akkurate Informationen zu den tatsächlichen Emotionen zu erinnern. Bei generellen Fragen über eine Aktivität werden auch generelle Glaubensätze über die Erfahrungen bei dieser Aktivität herangezogen. Diese Glaubensätze können laut Robinson & Clore in Situation-Specific Beliefs und Identity-Related Beliefs unterteilt werden. Erstere umfassen allgemeine Glaubenssätze darüber, wie diverse Situationen Gefühle beeinflussen, z.B. „Urlaube sind angenehm“, „Beschimpfungen führen zu Wut“, etc. Identity-Related Beliefs umfassen Glaubensätze über Emotionen generell, welche auch Stereotype umfassen (z.B. Frauen sind emotionaler als Männer). Tatsächliche Erfahrungen oder episodische Rekonstruktionen werden (weil nicht abrufbar) hierbei nicht herangezogen. Problematisch an diesen Glaubensätzen ist unter anderem, dass diese äußerst selten angepasst werden, da Menschen dazu streben, ihre Vorstellungen stabil zu halten. Diese Beurteilungen dienen also auch dazu, die Erfahrungen in der Zukunft vorherzusagen und werden so als Basis für Entscheidungen herangezogen. Hierzu ergeben sich folgende Kon- bzw. Divergenzen (Belli, Stafford, & Alwin, 2008): Ist die betreffende Episode ausreichend aktuell, ergeben retrospektive Reporte und tatsächliche Erfahrungen gute Übereinstimmungen, da auf episodische Rekonstruktion zurückgegriffen werden kann. Der Einfluss der Erinnerungen auf die Vorhersagen der Zukunft gilt auch vice versa: Menschen tendieren dazu, globale Erinnerungen so zu konstruieren, dass sie mit den Vorhersagen übereinstimmen. Norbert Schwarz (2007) zeigte beispielsweise, dass alte Menschen ihre Jugend immer glücklicher erinnern, als sie tatsächlich war. Obwohl SWB mit dem Alter ansteigt, glauben ältere Menschen, dass sie als junger Mensch glücklicher waren. Die erfahrenen Emotionen in situ zeigen also oft ein anderes Bild, was bedeutet, dass zwar Erinnerung und Vorhersage übereinstimmen, aber nicht die Momenterfahrung korrekt widerspiegeln.
Die prominente „Texas DRM“-Studie von Kahneman et al. (2004) lieferte eindrucksvoll den Beweis, wie weit Vorstellung und Tatsache oft auseinander liegen. Basierend auf den Ergebnissen der Studien von Juster, die die Präferenz von Aktivitäten erhoben und mehrfach repliziert wurden, überprüfte man, ob die Aktivitäten tatsächlich so empfunden werden, wie es in globalen Reporten angegeben wird. Bei diesen (globalen) Umfragen stand die Zeit, die mit den eigenen Kindern verbracht wurde, an der Spitze der angenehmsten Aktivitäten (Belli, Stafford, & Alwin, 2008). Kahneman überprüfte diese Aktivitätenrankings mittels DRM und stellte fest, dass nur noch Aktivitäten wie Lebensmitteleinkauf oder Hausarbeit unangenehmer waren als die Zeit, die mit Kindern verbracht wurde. Dies liegt unter anderem daran, dass bei den ursprünglichen Rankings auf semantische Informationen zurückgegriffen wurden, die besagen, dass die Zeit mit Kindern am schönsten ist. Außerdem ist in diesen Informationen die Überzeugung gespeichert, dass Eltern, die ihre Kinder nicht mögen, Rabeneltern seien[3]. Eine weitere Studie von Norbert Schwarz (Xu & Schwarz, 2007, in Belli, Stafford, & Alwin, 2008) belegte ebenfalls einen Unterschied zwischen Prognose bzw. globalen Reporten und den tatsächlichen Erfahrungen. Es wurden drei verschiedene Gruppen befragt, ob der Typ des Autos Einfluss auf das positive Fahrerlebnis hat. Dabei wurde ein durchwegs positiver Zusammenhang angegeben (wie in Abbildung 2 gezeigt). Bei der Erhebung der tatsächlich erlebten Affekten ließ sich jedoch wenig Zusammenhang feststellen (siehe Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 aus Xu & Schwarz (2007)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 aus Xu & Schwarz (2007)
Kahnemann (2010) erklärt diesen Unterschied, indem er zwei voneinander distinkte Selbst beschreibt: Das Experiencing-Self ist das Ich, welches die Emotionen von Moment zu Moment erlebt, welches also die wirklich erfahrenen Gefühle während einer Aktivität erfasst. Das Remembering-Self wiederum ist das Ich, das auf Erinnerungen basierend Entscheidungen trifft. Für das Remembering-Self spielt auch die wirkliche Länge einer Aktivität keine Rolle, in der Erinnerung hat die Zeit keinen besonderen Stellenwert. Insofern ist die Variable Zeit ein kritischer Faktor zur Unterscheidung des Experiencing-Self und des Remembering-Self. Robinson & Clore (2002) führten drei Studien durch, bei denen die benötigte Zeit zur Erinnerung bestimmter Zeitfenster (z.B. die letzten Stunden, Tage, Wochen, etc.) erhoben wurde. Dabei bestätigten sich die Hypothesen, dass die benötigte Zeit, je weiter der Zeitrahmen gefasst wird, ansteigt, bis schließlich auf semantische Erinnerung zurückgegriffen werden muss, welche keinen Anstieg an benötigter Zeit mehr zur Folge hat. Je weiter also der zu beurteilende Zeitrahmen in der Vergangenheit liegt, desto unzugänglicher sind Details.
Die Distinktheit der Wahrnehmungen der beiden Selfs kann auch in eine Zahl gefasst werden, die Korrelation beträgt ca. 0.5 (Kahneman, 2010). Dies bedeutet also, dass die Antwort auf die Frage, wie glücklich jemand mit seinem Leben ist, noch keinen Aufschluss darüber gibt, wie glücklich diese Person sein Leben lebt. Kahneman (TED Talks, 2010) verdeutlicht die Wichtigkeit der seperaten Erfassung dieser Wahrnehmungen: „Anyone who doesn’t distinguish those notions is going to mess up the studies of happiness.“
Nachfolgend wird nun auf die Erhebungsmethoden, im Speziellen auf Methoden, welche Reporte die auf episodischen Details basieren, erheben, eingegangen und auch zwischen objektiven und subjektiven Daten unterschieden.
2.2 Das Spektrum der Erhebungsmethoden – objektive und subjektive Daten
Frey (2002) unterscheidet die Erhebungsmethoden von SWB hinsichtlich ihrer Erhebung von physiologischen bzw. psychologischen Daten. Während am einen Ende des Spektrums objektive Daten, z.B. durch Gehirnwellenmessung oder ESM[4], erhoben werden, welche durch externe Regeln beurteilt werden können, stehen am anderen Ende globale Self-Reports, die subjektive Daten liefern, da der Proband diese durch seine Kognition und Erinnerung konstruiert und bewertet. Der Vorteil der objektiven Erhebung ist die Vermeidung der auftretenden Bias bei Self-Reports, also z.B. Überbewertung spezifischer Erinnerungen, Rückgriff auf semantisches Wissen, etc.
ESM und Gehirnwellenmessung bieten zwar akkurate Daten über die tatsächlich wirkenden Affekte einer Person, jedoch stellt sich aus erhebungstechnischer Sicht das Problem, dass diese extrem teuer sind und so keine großen Stichproben erlauben. Deshalb wurden weniger kostspielige Methoden wie die Day Reconstruction Method entwickelt, die einen teilweisen Brückenschlag zwischen objektiver und subjektiver Erhebung darstellen, indem sie Self-Reports ausreichend aktueller Episoden abfragen.
Ziel der Erhebung ist nicht nur das Ausmaß von SWB in eine Zahl fassen zu können, sondern vor allem auch, die komplizierten Wechselwirkungen der Einflussfaktoren zu erkennen. Frey (2002, S. 10ff.) nennt 5 Determinants of Happiness:
- Personality Factors: Die Persönlichkeit einer Person hat großen Einfluss auf seine Zufriedenheit, hier spielen unter anderem Ausprägungen wie positive bzw. negative Affektivität, Neurotizismus bzw. Extrovertiertheit oder Locus of Control eine Rolle.
- Socio-Demographic Factors: Hierunter sind Merkmale wie Geschlecht, Alter, Bildung und Beziehungsstatus zusammengefasst, welche ebenfalls Einfluss auf SWB haben.
- Contextual and Situational Factors: Arbeitsplatzbedingungen, die Beziehung zu Kollegen und Freunden, die Situation der persönlichen Beziehung, als auch der Gesundheitszustand übt Einfluss darauf, wie glücklich eine Person ist.
- Economic Factors: Das individuelle Einkommen ist nicht der einzige ökonomische Faktor, der Einfluss auf die Zufriedenheit einer Person hat. Tatsächlich hat das aggregierte Einkommen der Nation, die Inflation und insbesondere auch die Arbeitslosigkeit große Bedeutung für die einzelne Person.
- Institutional Factors: Wie Frey beweist, spielen auch Faktoren wie Demokratisierung und politische Dezentralisierung eine Rolle, vor allem die politische Stabilität des Landes, indem die Person lebt, übt Einfluss aus.
Wie bereits erläutert, liefern globale Reporte andere Ergebnisse als objektive Erhebungsdaten, da die Einflüsse der erwähnten Determinanten nicht ungefiltert, sondern durch verschiedenste Verzerrungen manipuliert werden. Dies ist bei der Erhebung besonders zu berücksichtigen, da einige Effekte, wie z.B. Priming, durch gezielte Maßnahmen ausgeschaltet werden können und so die Aussagekraft der Erhebungen deutlich erhöht wird.
Da die Wissenschaften generell daran zweifeln, dass mittels subjektiver Daten allgemein gültige Aussagen getroffen werden können, gibt es starke Kritik an der Erhebung und Verwendung von SWB-Daten. Jedoch zeigen die folgenden Ausführungen, dass diese Zweifel oft nicht angebracht und teilweise durch gezielte Bereinigungsmethoden ausgeschaltet werden können. Coghill, McHaffie & Yen (2003) zeigten in einer eindrucksvollen Studie die Validität von subjektiven Reporten. In dem Versuch wurde den Probanden ein standardisierter Schmerzreiz zugefügt und die Gehirnaktivität mittels fMRI (functional Magnetic Resonance Imaging) aufgenommen, während die Versuchspersonen den Schmerz auf einer Skala bewerteten. Bei den Ergebnissen zeigte sich, dass die Personen, die den Schmerz höher bewerteten, auch eine größere Gehirnaktivität verzeichneten. Dies lässt darauf schließen, dass der Unterschied zwischen subjektiven Bewertungen auf einer Skala nicht auf einer unterschiedlichen Interpretation der Skala basieren, sondern tatsächlich auf physischen Unterschieden beruhen. Somit wurde ein objektiver Beweis für die Validität von subjektiven Reporten erbracht.
2.3 Experience Sampling Method (ESM)
ESM beschreibt eine Methode der Online Reports, also Reporte über die Erfahrungen in situ. Die Erhebung erfolgt in Echtzeit, indem den Probanden ein PDA zur Verfügung gestellt wird, der in festgelegten Zeitabständen zur Eingabe verschiedener Informationen auffordert. Dabei werden Daten zur gerade ausgeführten Aktivität, der Umwelt (Ort des Aufenthalts, Personen, mit denen interagiert wird, etc.) und den subjektiven Erfahrungen erhoben. Letztere werden durch Abfrage der Präsenz oder Abwesenheit verschiedener Gefühle wie Wut, Freude, Müdigkeit, Angst erhoben. Dies beschränkt sich nicht nur auf Self-Reports der Personen, es können auch physiologische Daten wie z.B. Blutdruck, Kortisol, etc. erhoben werden (Krueger, Kahneman, Schkade, Schwarz, & Stone, 2009). Der Vorteil ist, dass in einer nicht künstlich erzeugten, also vollkommen natürlichen, Situation Daten gewonnen werden können. Außerdem werden die bereits ausgeführten Vorteile von Online Reports genutzt, also verschiedenste Verzerrungen vermieden. Der große Nachteil liegt in den hohen Kosten der Durchführung und der Belastung der Probanden, die eine großflächig angelegte Stichprobensammlung nahezu unmöglich machen.
Aus diesem Grund entwickelten Kahneman et al. die Day Reconstruction Method, welche, wie nachfolgend gezeigt, ähnliche Ergebnisse zu akzeptablen Kosten bringt.
2.4 Day Reconstruction Method (DRM)
Diese Methode setzt auf den Umstand, dass ausreichend aktuelle Episoden relativ detailgetreu erinnert werden und so tatsächlich erlebte Emotionen erhoben werden können. Dazu führt der Proband während der betreffenden Episode ein Tagebuch, indem er Informationen ähnlich wie bei der ESM notiert. Das besondere hierbei ist, dass dieses Tagebuch der betreffenden Person nur dabei hilft, sich zu erinnern. Das heißt, dass am Ende der Episode, z.B. am nächsten Tag, der Proband gebeten wird, Fragebögen[5], basierend auf seinem Tagebuch, auszufüllen. Seine Aufzeichnungen werden zu keinem Zeitpunkt vom Forschungspersonal eingesehen. Dies hat den Sinn, dass die Person detailgetreu ihren Tag aufzeichnen kann, ohne intime Details veröffentlichen zu müssen, somit werden Verfälschungen der Daten vermieden.
Im Gegensatz zur ESM werden zu jeder Aktivität am betreffenden Tag Daten erhoben, jedoch besteht immer noch das Risiko, dass seltener auftretende Aktivitäten nicht aufgezeichnet werden. Bei der Event Reconstruction Method (ERM) wird nicht der Evaluated Time Use erhoben (wie bei der DRM), sondern die affektive Erfahrung zu der letzten Episode der betreffenden Aktivität. Dies bedeutet also, dass der Zeitrahmen sich nicht auf einen Tag beschränkt, sondern sich darüber hinaus bis hin zum letzten Mal, als die Aktivität ausgeübt wurde, erstreckt. Dies birgt natürlich die Gefahr, dass, wenn der Zeitpunkt weit genug in der Vergangenheit liegt, semantische Daten, und nicht wie beabsichtigt die tatsächliche Erfahrung, herangezogen werden, wodurch genau die Bias provoziert werden, die eigentlich vermieden werden sollten.
Ein Hauptziel der bereits erwähnten „Texas DRM“-Studie von Kahneman war, zu überprüfen, ob die DRM die gleichen Ergebnisse erzielt wie Online Reports (also mittels ESM). Diese Studie umfasste eine Stichprobe von 909 Frauen (Krueger, Kahneman, Schkade, Schwarz, & Stone, 2009, S. 31). Dabei wurde unter anderem die Müdigkeit über den Tag mittels ESM und am Tag danach mittels DRM gemessen. Die nachfolgende Grafik zeigt die bemerkenswerte Übereinstimmung der beiden Methoden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 aus Kahneman (2004), S. 1778
Der Graph zeigt, dass zur Mittagszeit die niedrigste Müdigkeit berichtet wurde. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass DRM nicht mit semantischen Informationen, sondern mit tatsächlichen episodischen Details arbeitet, da sie den Prognosen der Befragten widerspricht, die oft vermuteten, dass die Müdigkeit über den Tag linear ansteigt (Belli, Stafford, & Alwin, 2008, S. 132) . Die bisherigen Überprüfungen dieser Methode zeigen also, dass die DRM als kostengünstige Alternative zu teuren Methoden wie ESM verwendet werden kann und erlauben so eine Datensammlung von repräsentativen Stichproben.
2.5 Flourishing Scale (FS), Scale of Positive and Negative Experience (SPANE)
Diener et al. arbeiten derzeit an neuen Methoden, die in ersten Untersuchungen vielversprechende Ergebnisse lieferten (Diener, et al., 2009). Sie dienen einerseits als Komplementär zu bestehenden Methoden, sollen aber auch einige Probleme, die herkömmliche Erhebungsmethoden mit sich bringen, korrigieren. Die FS ist eine kurze Skala mit acht Punkten, welche den Drang zur psychologischen Entfaltung (Flourishing) erfassen soll, der in der Psychologie immer mehr Beachtung geschenkt wird. Basierend auf Ryffs Theorien der psychologischen Bedürfnisse, werden die Annahmen Dieners et al. auch von Csikszentmihalyis „Flow“-Theorien unterstützt, dass Bestimmung und Bedeutung im Leben einen großen Beitrag zur Zufriedenheit der Menschen beiträgt. Deswegen beinhaltet diese Skala Punkte wie „having a purposeful life“, „contributing to the happiness of others“ oder „having rewarding relationships“. Die SPANE beinhaltet auch die Erfassung von generellen Gefühlen (z.B. „positive“ oder „pleasant“). Dies soll das Problem herkömmlicher Erhebungsmethoden lösen, dass durch Abfragen spezifischer positiver oder negativer Gefühle potentielle Verzerrungen der Ergebnisse auftreten. Beispielsweise kann ein Mensch durchwegs positiv gestimmt sein, aber keine der gelisteten spezifischen Gefühle empfunden haben, somit wird dieser unterdurchschnittlich positiv in die Statistik eingehen. Außerdem werden die gelisteten Gefühle üblicherweise alle gleich gewichtet, obwohl ein und dasselbe Gefühl in verschiedenen Kulturen verschieden stark wahrgenommen werden kann. Ein weiteres Problem, das Diener et al. aufzeigen ist, dass populäre Methoden auch Schlagwörter beinhalten, die keine Emotion darstellen, z.B. „active“ oder „strong“. Die SPANE fragt außerdem die Dauer der erlebten Gefühle und nicht deren Intensität ab, da sie stärker mit Life Satisfaction u.Ä. korreliert (Diener, et al., 1991 in Diener, et al., 2009). Der abgefragte Zeitrahmen umfasst vier Wochen, in dem, wie die Autoren angeben, noch episodische Details abgerufen werden können und nicht auf semantische Details zurückgegriffen wird.
In ersten Studien konnte psychometrischer Support für die neuen Methoden gefunden werden, wobei noch weitere Forschung durchgeführt werden muss, bevor diese endgültig verifiziert werden können.
2.6 Verzerrungen und Messprobleme bei Erhebungen zu SWB
Wie schon von Diener et al. angesprochen, gibt es einige Probleme bei der Erhebung von SWB. Darum soll nun ein Überblick über die erkannten Verzerrungen bei Self-Reports gegeben werden.
2.6.1 Kardinal vs. Ordinal – Der U-Index
Bei der Erhebung von subjektiven Daten wie Gefühlen stellt sich immer wieder eine Grundsatzdiskussion ein: Sind Gefühle überhaupt mit Zahlen zu erfassen? Kann man diese auf einer Zahlenskala bewerten bzw. ist dies überhaupt notwendig? Wie unter Punkt 1.4 bereits besprochen, stehen Wissenschaftler der Aussagekraft subjektiver Daten immer wieder skeptisch gegenüber. Vor allem das Einstufen von Emotionen auf einer Zahlenskala scheint unmöglich, da die Skalen individuell interpretiert werden, wodurch ein interpersoneller Vergleich nicht aussagekräftig ist. Dieser Problematik steht die Entwicklung des U-Index gegenüber.
Der U-Index (U für „unpleasant“ oder „undesireable“) misst den Anteil der Zeit, die ein Individuum in einem unangenehmen Zustand verbringt (Krueger, Kahneman, Schkade, Schwarz, & Stone, 2009). Eine Person befindet sich in einem „unangenehmen Zustand“, wenn im überwiegenden Teil des zu messenden Zeitabschnitts negative Emotionen die positiven überwiegen, das intensivste Gefühl muss also negativ gewesen sein, um die gemessene Episode als unangenehm (also „unpleasant“) werten zu können. Um dies zu messen, werden per ESM oder DRM Intensitäten verschiedener Gefühlsdimensionen (positive wie z.B. „glücklich“ oder „freundlich“ und auch negative wie z.B. „depressiv“ oder „verärgert“) abgefragt. Ist nun ein Maximum der negativen Wertungen größer als die der positiven Wertungen, wird die Episode als negativ gewertet und erhöht so den U-Index. Diese Methode fragt ein ordinales Ranking der Gefühle ab, es macht also die Frage, wie eine Person eine Zahlenskala interpretiert, überflüssig, da es keinen Unterschied macht, ob die Probanden das stärkere Gefühl mit 8 und die schwächere Emotion mit 5 oder dieselben Gefühle mit 10 und 7 bewertet (Kahneman & Krueger, 2006). Diese Methode schaltet nicht nur die anfangs erwähnten Probleme der kardinalen Messbarkeit und Vergleichbarkeit aus, sondern hat auch weitere Vorteile. Da der prävalente emotionale Zustand der Menschen positiv ist, bedeutet ein vorherrschendes negatives Gefühl ein bedeutsames Ereignis, das besser erinnert wird. Es braucht nicht mehrere negative Gefühle, um eine Periode unangenehm erscheinen zu lassen (Krueger, Kahneman, Schkade, Schwarz, & Stone, 2009). Der U-Index kann schließlich nicht nur auf individueller, sondern auch auf nationaler Ebene aggregiert und so zum Ländervergleich genutzt werden, wodurch sich sein Anwendungsbereich erweitert.
Natürlich blieb auch dieser Ansatz nicht ohne Kritik. Der Vorteil, dass der U-Index auf ESM und DRM basiert, und somit die tatsächlichen Emotionen aufzeichnet, birgt den Nachteil, dass er nicht berücksichtigt, dass Menschen freiwillig negative Emotionen auf sich nehmen, um am Ende einen gewünschten Output zu erhalten. Beispielsweise trainiert ein Sportler hart, hat evtl. Schmerzen, bzw. trainiert auch, wenn dieser nicht in der Stimmung dazu ist, um am Ende in perfekter Form zu sein, oder den Sieg bei einem Wettbewerb genießen zu können. Dem U-Index gilt also die selbe Kritik wie generell Online Reports, dass diese zwar den Process Benefit, jedoch nicht den Output Benefit berücksichtigen (Cutler, 2009). Nordhaus (2009) argumentiert, dass Menschen die Intensität verschiedener Emotionen zu einem gewissen Zeitpunkt nicht miteinander vergleichen können. Dies würde bedeuten, dass es keinen Sinn macht, wenn ein Doktor seinen Patienten fragt, ob sein gebrochener Fuß mehr schmerzt als seine ausgekugelte Schulter (Krueger, 2009). Der letzte hier aufgeführte Punkt betrifft Hursts (2009) Kritik am U-Index: Menschen suchen sich die Aktivitäten aus, in denen sie aktiv sind. Das bedeutet nicht, dass andere Menschen, die nicht daran teilnehmen, sie auch als z.B. angenehm beschreiben würden.
Ob die adressierten Problempunkte nun, wie im letzten Fall, durch ökonometrischen Methoden bereinigt werden können, oder es systematische Problematiken, wie im ersten Fall, sind, stellt der U-Index, wie auch Nordhaus oder Hurst bestätigen, ein nützliches Instrument zur Messung von SWB dar, trotz kleiner Kritikpunkte und wird daher auch in Zukunft weiter verwendet werden.
[...]
[1] Dow und Juster (1985) prägten hierfür den Begriff „process benefit“ oder „flow of utility“
[2] Der U-Index (U für „unpleasant“) misst die Zeit, die in einem negativen emotionalen Zustand verbracht wird. Eine genauere Definition wird im Abschnitt 2 gegeben.
[3] Die weiteren Verzerrungen, die hier Einfluss haben, werden im betreffenden Abschnitt noch genauer behandelt.
[4] Experience Sampling Method
[5] Für eine genaue Beschreibung der Fragbögen und deren Abfolge siehe Krueger, Kahneman, Schkade, Schwarz, & Stone, 2009, S. 30-31
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783863417390
- ISBN (Paperback)
- 9783863412395
- Dateigröße
- 1.3 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Wirtschaftsuniversität Wien
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Happiness Zufriedenheit Wohlstandsindikatoren Subjective Well-Being Geld Glück The Studies of Happiness