Häusliche Gewalt: Eine kritische Analyse von Familien türkischer Herkunft
Zusammenfassung
Die häusliche Gewalt widerspricht zwar der deutschen, nicht aber der islamischen Rechtsordnung. Daher ist unter den muslimischen Migrantinnen und Migranten, egal welcher nationaler Herkunft, ein stärkeres Bewusstsein für die Ungültigkeit gewaltfordernder religiöser Normen für das Zivilleben zu fördern.
Häusliche Gewalt verursacht nicht nur großes individuelles menschliches Leid, sondern auch erhebliche, durch die Gesellschaft zu tragende Kosten: für Polizeieinsätze, für die medizinische und/oder psychologische Betreuung der Opfer, für ihre juristische Beratung, für Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Deswegen darf und kann es niemandem egal sein, wenn er oder sie von Fällen häuslicher Gewalt erfährt. Über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge finanziert er oder sie diese Fälle jeweils mit.
Unabdingbar für die Zurückdrängung der häuslichen Gewalt in Migrantenfamilien ist die schnelle und konsequente Anwendung des deutschen Rechts, ohne Verständnis für die ‚Kultur’ oder ‚Tradition’ der Täter. Hier ist vor allem die Justiz gefordert, da die Gesetzeslage eindeutig ist und die Entwicklung der Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik auch das Bemühen der Polizei, das bislang erhebliche Dunkelfeld in diesem Bereich aufzuhellen, beweist.
Im Rahmen eines Projektes hatte ich mit Familien zu tun, in denen mindestens ein Angehöriger Opfer von häuslicher Gewalt war. Auf diese Opfer wird in der folgenden Arbeit näher eingegangen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
3. Häusliche Gewalt gegen türkische Frauen und Kinder
3.1 Die Situation in der Türkei
In der Türkei ist die Situation hinsichtlich der Frauenrechte sehr widersprüchlich. So besteht eine große Diskrepanz zwischen dem, was rechtlich festgelegt wurde und der gelebten Realität. 1985 hat die UNO die CEDAW[1] beschlossen. Die Türkei hat das Abkommen mitunterzeichnet. Als Folge davon mussten in der Türkei eine Reihe von Gesetzen überarbeitet und reformiert werden, so dass heute Frauen in der Türkei gesetzlich den gleichen Schutz und formell die gleichen Rechte wie z.B. in Deutschland haben. Die Formulierung „formell“ deutet schon an, dass bisher die Umsetzung in die Praxis jedoch noch nicht umfassend gelungen ist und es dabei auch ein erhebliches Gefälle zwischen den Regionen von West nach Ost gibt.
Die türkische Gesellschaft ist – ungeachtet aller Gesetze – auch heute noch stark durch Gewalt geprägt. Sie wird als etwas Selbstverständliches hingenommen und von Frauen und Männern nicht hinterfragt. Unglücklicherweise gehört sie zum Alltag. Nach Robert W. Connell (Connell 2006: 104, zit. n. Somersan 2011: 126) können zwei Formen der Gewalt unterschieden werden, die die ständige Gegenwart von Gewalt im Alltag verdeutlichen:
1. Zum einen als ein Mittel der privilegierten Gruppen der Männer gegenüber Frauen um die Herrschaft bzw. Dominanz zu sichern, d.h. Gewaltausübung als Unterdrückungsinstrument und 2. Zum anderen zwischen den Männern, um sich untereinander die Männlichkeit zu beweisen.
Laut Amnesty International werden täglich gegenüber Hunderttausenden von Frauen in der Türkei die Menschenrechte verletzt. Angaben der türkischen staatlichen Familienforschungsinstitution (TCBAAK) zufolge schlagen 25 % aller Männer, also jeder vierte Mann, seine Mutter, Ehefrau, Tochter, Schwester oder andere weibliche Verwandte. Bei Akademikern beträgt dieser Anteil immerhin noch 18% (vgl. Mor Çatı 1996, zit. n. Somersan 2011: 126).
In vielen Fällen beginnen die Verletzungen der Frauenrechte und Misshandlungen in der Familie. Bis heute hat die Familie eine sehr große Bedeutung in der türkischen Gesellschaft. Dies ist ein Grund dafür, dass diese Problematik meistens aus der familiären, d.h. privaten, nicht-öffentlichen, Perspektive betrachtet wird. Auch Frauen, die körperlich in der Verfassung sind, sich zu verteidigen, wagen es nicht sich zu wehren und nehmen die Misshandlungen hin.
Trotz der vielen Kampagnen gegen häusliche Gewalt und Ehrenmorde zeigen die Statistiken, dass Frauen, die sexueller Aktivitäten vor der Ehe oder ehelicher Untreue beschuldigt werden oder über die auch nur Gerüchte wegen bloßen „Herumflirtens“ im Umlauf sind, weiterhin von männlichen Familienangehörigen exekutiert werden (vgl. WWHR 2006: 32f., zit. n. Somersan 2011: 126). Dies macht deutlich, dass für Frauen das Ausleben ihrer sexuellen Bedürfnisse weiterhin faktisch unter Strafe steht und schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlt werden muss. Sogar bei Vergewaltigungen, bei denen die Frauen Opfer sind, werden sie oft als die Schuldigen betrachtet. Im Rahmen einer Studie stimmten 4% von 50 Gerichtsmedizinern, 6% von 85 Psychologen, 10% von 100 Anwälten, 17% von 80 Richtern und Staatsanwälten und 33% von 100 Polizisten dem Satz zu: „Manche Frauen verdienen es, vergewaltigt zu werden.“ (vgl. Kerestecioğlu 2003: 8f., zit. n. Somersan 2011: 128).
Die Frage, ob „das Aussehen und die äußere Erscheinung von Frauen zur Vergewaltigung führen kann“ ergab ähnliche Prozentzahlen (ebd.). Diese Haltung findet man jedoch nicht nur in der Türkei. Es ist leider noch eine weltweit verbreitete Einstellung, dass Frauen an sexuellen Übergriffen wegen ihrer aufreizenden Bekleidung selber schuld seien, wie die Aussage eines Polizisten aus Toronto „Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht schikaniert zu werden“, belegt (AFP-Meldung vom 28.05.2011, zit. n. http://www.spiegel.de/panorama/ gesellschaft/0,1518,765499,00. html).
In der Türkei besteht jedoch zusätzlich noch ein weiteres Problem, das in den strukturell verfestigten, maskulinistischen und hegemonial männlichen Praktiken der staatlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begründet ist. Diese „eingefahrenen Denk- und Handlungsmuster“ führen dazu, dass Verletzungen von Frauenrechten nicht anerkannt und geahndet werden. So versuchen Richterinnen und Richter vor Gericht die misshandelten Frauen zu überreden, zu ihren Männern zurückzukehren. Ähnliche Verhaltensweisen findet man bei Polizistinnen und Polizisten, wenn Frauen auf der Polizeistation Schutz vor ihren gewalttätigen Männern suchen (vgl. Arın 1996, 1998; Levine 1982, zit. n. Somersan 2011: 127).
Aktueller Ausdruck dieser Haltung ist die im türkischen Polizeimagazin, einer Dienstzeitschrift, im Januar 2012 veröffentlichte Ansicht des früheren Abteilungsleiters für Planung und Koordination bei der Generaldirektion für Sicherheit, Dr. Hasan Yağar, wonach „unsere Männer nicht grundlos einen Mord begehen“, ergänzt um die Folgerung, dass türkische Frauen selbst ihre Ermordung provozierten, was die Männer dann ihre Zukunft koste (http://derstandard.at/1330390456380/Gesetz-gegen-Pruegel-Ehemaenner-kommt). Bedenkt man, dass bei der Zahl von 257 ermordeten Frauen in der Türkei 2011 nur die vom eigenen Mann Ermordeten erfasst sind, Morde an Töchtern z.B. dagegen nicht, während in der Berliner Zahl von 5 getöteten Personen 2010 alle Opfer häuslicher Gewalt erfasst sind, so erscheint das Niveau von 1 hG-Mord pro 272.000 Einwohner in der Türkei gegenüber 1 hG-Mord pro 698.000 Einwohner in Berlin immer noch zu niedrig gegriffen zu sein.
Hinzu kommt, dass auch in der Türkei die Armut ganz überwiegend weiblich ist: rund 90% der absolut Armen sind geschiedene, verwitwete oder getrennt lebende Frauen, dabei gibt es keine statistisch messbaren Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen (vgl. Hattatoğlu 2007, zit. n. Somersan 2011: 175).
3.2 Exkurs: Entwicklungsschritte und Stationen der türkischen Frauenbewegung
Das Thema „Häusliche Gewalt“ geriet in Deutschland auch wesentlich durch die Frauenbewegung in die Diskussion. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich die Frauenbewegung in der Türkei gegen die Gewalt gegen Frauen im Alltag zur Wehr setzt und welche Fortschritte dabei erzielt wurden.
Die türkische Frauenbewegung entstand schon Mitte des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich. Allerdings fanden sich auch hier – vergleichbar mit der Entwicklung in Westeuropa – nur die gebildeten Frauen Istanbuls zusammen, fast ausnahmslos dem Bildungsbürgertum oder hofnahen Kreisen entstammend, die sich für die Rechte der Frauen einsetzten und den Zugang zu Bildung und Arbeit für Frauen sowie die Abschaffung der Mehrfrauenehe und der islamischen Gesichtsbedeckung (Peçe) forderten. Es handelte sich dabei um verschiedene Gruppen, die u.a. Frauenzeitschriften herausgaben und sich in unterschiedlich ausgerichteten Frauenorganisationen engagierten. 1908 wurde der erste türkische Frauenverein gegründet. In dieser Zeit setzten sich Schriftstellerinnen wie Fatma Aliye Topuz oder Nezihe Muhiddin nicht nur für die Gleichstellung der muslimischen Frau, sondern auch der Frauen von anderen Religions- und Volksgruppen ein. Wie an der gesamten jungtürkischen Revolution waren auch an den Anfängen der Frauenbewegung Angehörige der armenischen Minderheit weit überproportional beteiligt (vgl. Koç 2009: 1 und Binder 2011: 1). Eine genauere Untersuchung der Gründe für dieses Phänomen steht noch aus, landläufig galten die Armenier jedoch als die am stärksten nach Europa ausgerichtete Bevölkerungsgruppe des Osmanischen Reiches.
Mit der Gründung der türkischen Republik im Jahr 1923 waren zahlreiche Reformen und Modernisierungen verbunden, die auch die Frauenrechte betrafen. So wurde ein Zivilgesetzbuch nach dem Vorbild der Schweiz mit dem Verbot der Vielehe und der Egalisierung des Scheidungs- und des Erbrechts für Mann und Frau eingeführt. Dies brachte für die Frauenbewegung eine Wende: Ein Teil der Frauenbewegung wurde als sogenannter Staatsfeminismus vom Staatsapparat aufgesogen; und die Teile, die sich nicht mit dem Staatsfeminismus vertrugen, wurden verboten. Im gleichen Jahr gründete die Feministin Nezihe Muhiddin die Frauenpartei, die jedoch von der kemalistischen Revolutionsführung als zu radikal eingestuft und verboten wurde. Das politische Ziel der Frauenpartei, aktives und passives Wahlrecht für Frauen, wurde allerdings 1934 durch die kemalistische Staatspartei CHP verwirklicht. Ihr gesellschaftliches Ziel, Frauen das Rederecht in Moscheen zu erkämpfen, ist dagegen bis heute noch eine Utopie. Mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1934 galt die Frau in der Türkei als emanzipiert und befreit. Die Realität sah jedoch, insbesondere außerhalb der Eliten[2], ganz anders aus. Eine vielseitige Entwicklung wurde Frauen nicht zugestanden. Sie wurden vom Staat in erster Linie als Lehrerinnen, Ärztinnen und Krankenschwestern gefördert – Berufe, die mit dem traditionellen Frauenbild der Kinderhüterin und -pflegerin große Schnittmengen haben (vgl. Binder 2011: 1).
Dieser „Staatsfeminismus“ duldete neben sich keinen zivilgesellschaftlichen Feminismus, so dass bis ca. 1975 eine Frauenbewegung oder feministische Organisationen praktisch nicht existierten (vgl. Koç 2009: 2).
Erst nach dem Militärputsch von 1980 wurde die feministische Bewegung wieder stärker. Hintergrund dafür war, dass alle politischen Vereinigungen verboten waren. Als Reflex darauf gründeten Frauen in den Großstädten wie Istanbul, Ankara oder Izmir Lesegruppen, um gemeinsam feministische Literatur aus den USA oder Westeuropa zu lesen. In diesen sogenannten Bewusstseinserhöhungsgruppen hinterfragten die Frauen auch die patriarchalen Verhältnisse in den linken Bewegungen und das Familienkonzept in der Türkei. Dabei wurde auch das geschlechtsspezifische Rollenverhalten untersucht und kritisiert, wodurch abweichend vom Staatsfeminismus Atatürks erstmals das Privatleben als politisches Thema aufgenommen wurde (vgl. ebd.).
Wie Ch. Binder in ihrem Artikel hervorhebt, machten deshalb die Ende der 80er Jahre gegründeten Frauenzeitschriften „Feminist“ und „Kaktüs“ besonders die sexuelle Belästigung und die Gewalt in der patriarchalen Gesellschaft der Türkei zum Thema (vgl. Binder 2011: 2).
Das Thema „Gewalt“ war dabei aus zweierlei Gründen wichtig: Zum einen weil durch das Militär nach dem Putsch verstärkt körperliche und politische Gewalt ausgeübt wurde und zum anderen fand über die Gewalt im Privatleben erstmals eine öffentliche Diskussion statt. Dabei wurde die allgegenwärtige sexuelle Belästigung als Unterdrückungsmechanismus angeprangert (vgl. Koç 2009: 3).
In dieser Zeit, 1987, organsierten Feministinnen die erste Demonstration gegen männliche Gewalt, die den Auftakt zu weiteren Aufrufen gegen sexuelle Belästigung und für die Selbstbestimmung über den weiblichen Körper bildete. Mit diesen Kampagnen sollten die traditionellen, religiösen und patriarchalen Formen des männlichen Ehrenkodexes herausgestellt und bekämpft werden, wie Koç (S. 3) und Binder (S. 2) übereinstimmend hervorheben.
Dies geschah z.B. während nächtlicher Frauenaufmärsche, bei denen die Frauen in Istanbul nur von Männern besuchte Cafés und Bars besetzten, um so auf Orte, die normalerweise von Männern dominiert werden, aufmerksam zu machen. Sichtbares Zeichen dieser Anti-Gewaltkampagnen war die „mor iğne “ (türk.: „violette Nadel“, als Symbol für die aus Schlägen und Tritten resultierenden Hämatome), die an die Frauen verteilt wurde (vgl. Koç 2009: 3).
Mit ihrer umfassenden Kritik an den patriarchalen Strukturen im Staat und in der gesamten Gesellschaft erreichte die zweite Welle der türkischen Frauenbewegung im Gegensatz zur Osmanischen Frauenbewegung mehr Frauen und auch Frauen aus verschiedenen sozialen Gruppen (vgl. ebd.: 4). Al-Rebholz bezeichnet diese lebendige Phase zwischen 1980 und1990 als “ideologische Akkumulation”, in der sich der Feminismus als Bewegung und als Ideologie in der türkischen politischen Öffentlichkeit verankerte (vgl. Binder 2011: 2).
Die internationalen feministischen Debatten in den Folgejahren führten zu einer Ausdifferenzierung der Frauenproblematik mit unterschiedlichen Frauenthemen. Dies hatte auch in der Türkei eine Aufsplitterung in verschiedene Gruppen zur Folge. So gibt es heute je nach Identität eine große Bandbreite von 250 Frauengruppen: von den Radikalfeministinnen, über die autonomen, sozialistischen, muslimischen, kemalistischen bis hin zu kurdischen oder armenischen Feministinnen bzw. Frauenbewegungen (vgl. Koç 2009: 4).
Neben der türkischen Homo-, Bi- und Transsexuellen-Bewegung und der damit zusammenhängenden Kritik an heterosexuellen Normvorstellungen ist auch der muslimische Feminismus ein neues Phänomen, der unter anderem die unreflektierte Übernahme westlicher Feminismusvorstellungen kritisiert und so einen Rückbezug zu den Ansichten der konservativen Feministin F.A. Topuz herstellt.
Trotz dieser Aufspaltung gibt es – wenn auch nur teilweise – eine Frauenbewegung, die über alle Grenzen hinweg zu bestimmten Themen zusammenarbeitet und öffentlich Kritik übt.
Zu diesen Themen gehören:
1. die antimilitaristische Position im Konflikt zwischen der türkischen Armee und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), 2. die Kritik an patriarchalen Strukturen in Familie, Wirtschaft, Armee, Staat und Religion, 3. die Politisierung des Privatlebens mit der Thematisierung von sexueller Belästigung und Gewalt, von sogenannten Ehrenmorden, von Familien- und Kinderplanung, von Haushaltsarbeit und von Sexualität und Abtreibung und 4. die Gründung und staatliche Förderung von Frauenhäusern, wie z.B. der unabhängigen zivilgesellschaftliche Beratungs- und Unterstützungseinrichtung Mor Çatı in Istanbul
(vgl. Koç 2009: 5 und Binder 2011: 3).
Seit den 1990er Jahren dehnte sich der Feminismus auch auf andere Städte aus, so dass die Organisationen nicht nur in den Großstädten wie Istanbul, Ankara und Izmir vertreten waren, sondern auch im Norden wie z.B. am Schwarzen Meer in Samsun, in Ost- und Zentralanatolien in Van und Adana oder im Osten in Diyarbakir.
Der Druck der Frauenbewegung zu weiteren Reformen wurde zusätzlich durch den Druck der Europäischen Union bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei verstärkt. Dies führte zu zahlreichen Gesetzesänderungen. Dabei war die Gleichstellung der Geschlechter im Ehe-, Scheidungs- und Eigentumsrecht einer der wichtigsten Fortschritte. Das Strafrecht wurde dahingehend verändert, dass die weibliche Sexualität nicht mehr als eine Frage der Familienehre behandelt wird (vgl. Binder 2011: 3). Durch Verfassungsänderungen wird der Staat in die Pflicht genommen, alles zu unternehmen um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen (ebd.: 4).
Dies führte u.a. zu Änderungen in der Arbeitsgesetzgebung und zur Einführung von Programmen gegen häusliche Gewalt. Diese Maßnahmen haben die Realität der Frauen in der Türkei jedoch noch nicht grundlegend geändert, weil die gesetzlichen Änderungen im Alltag nur ungenügend umgesetzt werden (vgl. ebd.).
Auf die türkischstämmigen Familien in Deutschland hatte und hat die türkische Frauenbewegung jedoch nur marginale Rückwirkungen, vor allem, weil die Bundesrepublik zu Beginn der türkischen Zuwanderung nicht an möglichst gebildeten und modernen, sondern an körperlich gesunden und billigen zeitweiligen Migrantinnen und Migranten interessiert war. Seit dem Anwerbestopp 1973 vollzieht sich die Zuwanderung aus der Türkei fast ausschließlich im Wege des Familiennachzugs, d.h. die Bundesrepublik setzt das Familienbuch anstelle irgendwelcher qualitativer Einwanderungsbestimmungen. Dies zementiert die soziale Struktur der türkischen Community in Deutschland. Außerdem werden in Deutschland aufgewachsene Mädchen durch ihr Aufenthaltsrecht für zuzugswillige Verwandte und Nachbarn aus der elterlichen Heimat (und damit ihre Jungfräulichkeit für die Familie) besonders wertvoll, einem Aspekt des Themas „Zwangsheirat“, dem bisher meiner Meinung nach noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
3.3 Die Situation türkischer Migrantinnen in Deutschland
Auch wenn viele türkische Migrantinnen und Migranten inzwischen seit Jahrzehnten in Deutschland leben, bleibt für sie im Familienbereich die türkische Rechtsordnung maßgebend, schon weil die Ehen oft in der Türkei geschlossen werden. Dass türkische Zivilgesetzbuch von 1926 ist eine weitgehend unveränderte Übernahme des damaligen Schweizer Rechts. Danach ist lt. Art. 152 der Mann das Familienoberhaupt, die Frau muss ihrem Mann gegenüber gehorsam sein, der Mann hat das Recht, den Wohnort der Familie zu bestimmen. Die Frau darf lt. Art. 159 ohne Erlaubnis des Mannes keine Erwerbstätigkeit aufnehmen (vgl. Öztan 1989: 23ff., zit. n. Toprak 2007: 76). Trotz dieser die Ehemänner privilegierenden Regelungen gilt die staatliche Eheschließung in vielen Familien nur als zweitrangig. Als allein verbindlich wird die Eheschließung in der Moschee nach islamischem Recht, d.h. nach der Scharia, betrachtet. Dieses Rechtssystem, dass im Koran und Aussprüchen des Propheten Mohamed (den Hadithen) wurzelt, weist der Frau eine extrem untergeordnete Rolle zu. Sure 4,34 stellt z.B. die Auszeichnung der Männer vor den Frauen durch Allah fest und gebietet den Männern, ihre Frauen zu ermahnen und zu schlagen, schon wenn sie fürchten, dass diese sich auflehnen könnten. Auch wenn dies der heutigen deutschen Rechtsordnung diametral entgegensteht, ist das die Grundlage des Familienlebens in den allermeisten türkischen Familien in Deutschland. Diese Sicht auf die Familie wird nach meiner Erfahrung übrigens nicht nur von den Jungen und Männern nach Möglichkeit tradiert, sondern auch von einem erheblichen Teil der Frauen (z.B. Schwiegermüttern, Tanten, usw.).
Zum Thema „häusliche Gewalt“ wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend von März 2002 bis September 2004 erstmals eine Untersuchung durch das Interdisziplinäre Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF) der Universität Bielefeld durchgeführt. Die als Befragung von insgesamt 10.000 in Deutschland lebenden Frauen zwischen 16 und 85 Jahren organisierte Untersuchung beschäftigte sich mit den Gewalterfahrungen, dem Sicherheitsgefühl und der psychosozialen und gesundheitlichen Situation der Frauen mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund sowie solcher ohne Migrationshintergrund.
Dabei werden die Untersuchungsergebnisse differenziert dargestellt, um allgemein verbreitete Klischees aufzulösen. Die Verfasserin, Frau Dr. Monika Schröttle, warnt in einem vor dem Berliner Forum Gewaltprävention gehaltenem Vortrag davor, aus der Studie Pauschalisierungen abzuleiten. Dennoch ergibt sich zusammengefasst für Frauen mit türkischer Herkunft folgendes Bild, das vergleichsweise deutlich von den Werten für die Frauen ohne Migrationshintergrund abweicht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zu den Ursachen zählt, dass entsprechend den Ergebnissen der Befragung 30 bis 40% der Frauen türkischer Herkunft schlecht ausgebildet sind und mit Partnern und Kindern bei geringem Einkommen in beengten Wohnverhältnissen leben (vgl. Schröttle 2006: 17f. und 26).
Ihre Freizeit verbringen türkische Migrantinnen sehr viel häufiger in Wohnungen und damit an bevorzugten Orten häuslicher Gewalt: 80 bis 90% fühlen sich sozial gut in den Freundes- und Bekanntenkreis eingebunden, soziale Aktivitäten außerhalb der Wohnung werden ausgesprochen selten wahrgenommen (ebd.: 19).
Eine Ursache für diese Familienfixierung türkischer Migrantinnen dürfte der außerordentlich hohe Anteil an „Importbräuten“ (Kelek 2005: 25 u.ö.) bzw. „Importbräutigamen“ unter denjenigen sein, die in Deutschland eine neue türkische Familie gründen: Der frühere Berliner Innensenator Körting nannte vor ca. fünf Jahren in einer Bürgerversammlung im Wedding eine Quote von rund 70% an Ehen mit einem aus der Türkei nachgezogenem Partner. Diesen in die Fremde Gestoßenen ohne ausreichende Sprach- und Landeskenntnisse bietet die (Groß-) Familie Halt und Hoffnung auf Geborgenheit. Insbesondere die Frauen unter den Zuziehenden werden so durch ihre soziale Situation und Isolation häufig Opfer häuslicher Gewalt.
Rund 54% der Frauen berichteten über körperliche und/oder sexuelle Gewalterfahrungen, davon rund 37% durch die aktuellen oder früheren Beziehungspartner (Schröttle 2006: 20). Die betroffenen Frauen erlebten die Gewalt häufiger und auch schwerer, z.B. durch Würgen, als die Vergleichsgruppen (ebd.: 21).
Inwieweit die Zahlen der beiden nichtdeutschen Gruppen die Realität korrekt widerspiegeln, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Auffällig ist immerhin, dass nach Aussage einiger Interviewerinnen für viele der Migrantinnen „bereits das Wort Sex ein Tabu gewesen“ sei (Kelek 2007: 102). Auch die Frage, ob sie schon einmal Opfer sexueller Übergriffe geworden seien, wertete eine Reihe der Befragten als Beleidigung, denn „so etwas passiere keiner anständigen Frau“ (ebd.).
Auch unter psychischer Gewalt, Drohung, Dominanz und Kontrolle durch den Partner litten türkische Migrantinnen signifikant häufiger als ethnische Deutsche. Je nach Ausprägungsform ergeben sich zwei- bis dreifach höhere Werte. Wenngleich die Studie ausdrücklich vor Klischeebildungen warnt, ist festzustellen, dass sie das Klischee von den gewalttätigen türkischen Ehemännern und den gewalterleidenden türkischen Frauen zu rund 50% bestätigt und diese Zahl wegen der Tabuisierung mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit noch zu niedrig liegt.
Von der Größenordnung her ähnliche Ergebnisse lassen sich einem Bericht des BIG e.V. für das Jahr 2010 entnehmen. Danach liefen bei der BIG-Hotline insgesamt 6.845 Anrufe auf, von denen zwischen 4.782 und 5.704 in die Auswertung einflossen. Setzt man die eindeutig als „deutsch“ klassifizierten Anruferinnen und den Gesamtanteil der Deutschen an der Berliner Bevölkerung zu einander ins Verhältnis und vergleicht dies mit den Zahlen für die eindeutig als „Migrantin“ Klassifizierten, ergibt sich eine relative Gewalthäufigkeit in Migrantenhaushalten von rund 173% des ethnisch-deutschen Durchschnitts (BIG 2011: 31, eigene Berechnungen). Von den 539 Fällen, in denen für die Gesprächsführung wegen mangelnder Deutschkenntnisse der Anruferin eine Sprachmittlerin bzw. ein Sprachmittler zwingend notwendig war, entfielen 24% auf die Sprachkombination Türkisch-Deutsch, 11% auf Arabisch-Deutsch und 9% auf Russisch-Deutsch. Die 17% für Englisch-Deutsch sind zwar sicherlich erwähnenswert, jedoch ist hierbei der Charakter des Englischen als Weltsprache zu beachten (ebd.).
Da Deutschland in der Bevölkerungsstatistik das Staatsbürgerschafts- und nicht das Nationalitätsprinzip beachtet, werden Migrantinnen und Migranten aus den verschiedenen arabischen Ländern unterschiedlichen Kontinenten zugeordnet und fallen wegen der Vielzahl dieser Staaten zumeist unter die „Sonstigen“. Eine verlässliche Angabe zur Gesamtzahl der arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin, die zur Sprachkombination Arabisch-Deutsch ins Verhältnis gesetzt werden könnte, konnte ich unter diesen Umständen nicht ermitteln. Schätzungen, die jedoch den ganzen Mittleren Osten bis Pakistan einbeziehen, sprechen von bis zu 120.000, verglichen mit rund 180.000 Menschen mit türkischem und rund 200.000 Menschen mit ex-sowjetischem bzw. russischen Hintergrund[3]. Auch im Vergleich zu diesen Berliner Gesamtzahlen fällt die Häufung türkischsprachiger Anruferinnen auf: Ihr Anteil an den 539 Anruferinnen ist 1,22-mal so hoch wie ihr Anteil an allen Migrantinnen.
Inwieweit die besonders schlechten Deutschkenntnisse und inwieweit die höhere Gewalthäufigkeit in türkischsprachigen Berliner Familien zu diesem Ergebnis führten, geht aus dem Bericht leider nicht hervor.
Für viele, bewusst oder unbewusst nach dem 4. Gebot Mosis Erzogene ist die Tatsache, dass Söhne ihre Mütter schlagen, wenn sie für den abwesenden oder schwerkranken Vater stellvertretend die Familie regieren und deren Ehre schützen, unvorstellbar. Für türkische Frauen ist es Alltag, da jeder der Familie angehörende Mann, auch der eigene Sohn, das Recht und die Pflicht hat, das „ehrenhafte“ Verhalten jeder Frau der Familie zu kontrollieren und ggfs. zu sanktionieren: „Ich habe schon meine Mutter geschlagen, das musste ich schon machen, weil sie hat mit einem Mann gesprochen. Mein Vater war in Türkei. Und ich habe sie geschlagen, damit sie das nie wieder tut.“ (Toprak 2007: 145). D.h., es gibt für türkische Migrantinnen keine obere Altersgrenze für häusliche Gewalt und selbst, wenn sie den Ehemann überleben, werden sie nicht frei, nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben.
Es gibt auch innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Deutschland Stimmen, die sich gegen die häusliche Gewalt wenden. Dies sind oft Akademikerinnen wie die Rechtsanwältin Seyran Ateş oder die Soziologin Necla Kelek, d.h. Vertreterinnen einer fast verschwindend kleinen Minderheit unter den türkischen Migrantinnen. Sie versuchen, einerseits die deutsche Mehrheitsgesellschaft dafür zu sensibilisieren, häusliche Gewalt in Migrantenfamilien nicht im Rahmen multikultureller Toleranz als Ausdruck beschützenswerter Traditionen hinzunehmen und andererseits die türkische Gesellschaft hierzulande dafür zu sensibilisieren, das Problem überhaupt als Problem wahrzunehmen. Dies gelingt nur ansatzweise, oft ist die Beschimpfung als „Islamfeindin“ und/oder „Türkeifeindin“ (vgl. Ateş 2007: 99f.) die Folge. Selbst der Hinweis, dass Gewalt ein Bestandteil der muslimischen Kultur sei – erst mal unabhängig von der Geschlechterverteilung der Opfer und Täter – kann schon dazu führen, dass der Generalkonsul der Türkischen Republik, eines laizistischen Staates! – eine Podiumsdiskussion zum Thema „häusliche Gewalt“ verlässt (ebd.: 100).
Ein für die Situation türkischer Migrantinnen in Deutschland sehr wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass das Verlassen des Ehemannes durch die Ehefrau kulturell geächtet ist. Es wird als todeswürdiges Verbrechen betrachtet, denn die Frau könnte ja eine Beziehung zu einem anderen Mann haben. Die Trennung setzt also nach Mehrheitsmeinung der türkischen Community die Ehescheidung voraus. Dies bietet den Männern genügend Zeit und Gelegenheit, Druck und Gewalt gegen ihre Frauen auszuüben. Hinzu kommt, dass eine Scheidung eines türkisch-türkischen Paares[4] nach türkischem Recht erfolgen muss. Es gibt zwar die Möglichkeit, eine notarielle Vereinbarung über die Anwendung des deutschen Familienrechts zu treffen, aber das ist kaum bekannt und wird wahrscheinlich gar nicht genutzt. Die Scheidung nach türkischem Recht hat für die Frauen weitere unangenehme Folgen: Ihnen (aber nicht den Kindern) wird automatisch der Familienname des Ehemannes entzogen. Dies ist die Verbindung des staatlichen türkischen zum islamischen Recht, nach dem die Kinder spätestens mit fünf bis sechs Jahren, d.h. wenn der größte Teil des Pflegeaufwandes geleistet ist, in die Gewalt des Vaters übergehen. Dieses religiös begründete angebliche Recht der Männer, sich über ggfs. anderslautende Urteile des die Ehe scheidenden Richters hinwegzusetzen, wird mittels Kindesentführungen, z.B. in die Türkei zu Verwandten, auch durchgesetzt. Eine türkische Migrantin, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann fliehen will, hat also extrem große Bedenken und hohe moralische Hürden zu überwinden, ihren Wunsch auch zu realisieren. Trotzdem sind die Berliner Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen, wie unter 4.2.4 näher dargelegt wird, weit überproportional von Migrantinnen belegt, wobei jeweils die Türkei die erste Stelle unter den Herkunftsländern einnimmt.
3.4 Die Entwicklung der häuslichen Gewalt in Berlin zwischen 2004 und 2010
Erstmals für das Jahr 2004 lieferte die alljährlich erscheinende Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verlässliche Zahlen über Gesamtumfang, häufigste Einzeldelikte und bestimmte Merkmale der Tatverdächtigen der häuslichen Gewalt im Lande Berlin[5]. Insgesamt entwickelte sich das polizeibekannte „Hellfeld“ gemäß der Tabelle auf der folgenden Seite.
Diesem Hellfeld ist lt. Aussage der Koordinatorin für Häusliche Gewalt in der Berliner Polizeidirektion 3 ein Dunkelfeld von rund fünffacher Größe hinzuzufügen. Ebenfalls aus dem Jahre 2004 stammt eine Untersuchung über die häusliche Gewalt in Zürich, die hier an einigen Stellen zu Vergleichszwecken herangezogen wird.
Die Steigerung der Gesamtfallzahlen wird von der Polizei als Ergebnis einer größeren Sensibilisierung bzw. einer partiellen „Aufhellung des Dunkelfeldes“ bewertet, wofür die weitgehend konstante Zahl der Tötungsverbrechen und Tötungsversuche ebenso wie der fast konstante Anteil der Körperverletzungen spricht. Dies heißt, dass sich der Anteil des Hellfeldes am Gesamtkomplex in diesen sieben Jahren von einem Sechstel auf ein Fünftel vergrößert hat.
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Es fällt auf, dass die PKS in allen Jahren einen erheblich höheren Anteil von Frauen unter den Tätern (und ebenfalls einen höheren Anteil von Männern unter den Opfern) aufweist als der BIG-Bericht für 2010: Hier knapp 5%, dort gut 20% mit steigender Tendenz. Die in diesen Jahren um ca. 12% kleiner gewordene Kennziffer der Fälle pro Tatverdächtige/-n belegt ebenfalls, dass das der Polizei bekannte Klientel, d.h. das Hellfeld, größer geworden ist.
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Ein seit 2005 fast konstanter Anteil von rund 35% der Tatverdächtigen beiderlei Geschlechts ist Pass-Ausländer. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der türkischen Staatsangehörigen, der in absoluten Zahlen seit Beginn dominiert, relativ etwas zurückgegangen ist, während die Gruppe der Sonstigen (alle Tatverdächtige außer denen deutscher, türkischer, polnischer, libanesischer und exjugoslawischer Nationalität) signifikant wuchs. Entweder registriert die Polizei tatsächlich nicht mehr nur die „üblichen Verdächtigen“ – oder diese schotten ihre Familien noch stärker als früher ab. Angesichts eines Anteils der türkischen Staatsbürger an der Einwohnerzahl Berlins von 2,95% bestätigt die PKS die starke, mindestens 3,4fache Überrepräsentanz dieser Nationalität im Bereich der häuslichen Gewalt.
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Vergleicht man die Fallhäufigkeit pro 100.000 Einwohner, ergibt sich nach der PKS 2010 für Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft ein Wert von 224,7, für solche mit türkischer Staatsbürgerschaft ein Wert von 1.005,3 (für Personen mit libanesischer Staatsbürgerschaft ein Wert von 1.725,1 – das ist der Spitzwert unter allen aufgeführten Nationalitäten). Die Überrepräsentation der Personen türkischer Staatsangehörigkeit liegt also eher im Bereich des 4,5fachen.
Die Studie aus Zürich kam zu durchaus ähnlichen Ergebnissen: 4,8 Fällen häuslicher Gewalt pro 1.000 rein Schweizer Ehepaaren standen im Stadtgebiet Zürichs 19,2 Fälle pro 1.000 ausländischen Paaren und 29,5 Fälle pro 1.000 gemischtkulturellen Paaren, bei denen der Mann Ausländer war, gegenüber. In Zürich hatten 63,5% der Tatverdächtigen eine ausländische Staatsbürgerschaft (bei 30,5% Anteil an der Wohnbevölkerung), wobei dort Menschen aus dem früheren Jugoslawien sowohl die Einwohner- wie auch die Kriminalitätsstatistik als größte nichtschweizer Gruppe anführen. Personen türkischer Staatsangehörigkeit stellen nach dieser Studie 9,7% der Tatverdächtigen (bei 4,4% Anteil an der ausländischen Bevölkerung). Besonders interessant an dieser Studie ist der Befund, dass es nicht die ausländischen Frauen inländischer Männer sind, die am schwersten unter häuslicher Gewalt leiden, sondern – nahezu im Gegenteil – die inländischen Frauen ausländischer Männer.
Insofern kommt die Autorin der Studie zu dem Schluss, dass „die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und Vertreterinnen anderer beratender Institutionen, [die] immer wieder auf die ungleichen Machtverhältnisse in gemischt-kulturellen Beziehungen hinweisen, […] durch die Polizeidaten keine Bestätigung“ (Steiner 2004: 718) finden.
[...]
[1] CEDAW ist ein Abkommen was unteranderem die „Diskriminierung der Frau“ definiert, die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und die Gleichberechtigung von Mann und Frau herbeiführt. Über 165 Länder haben CEDAW ratifiziert oder sind ihr beigetreten.
[2] So war z.B. der Staatspräsident Atatürk von 1923 bis 1925 mit einer in Großbritannien und Frankreich ausgebildeten Juristin namens Latife Uşşaki verheiratet, die für das Frauenwahlrecht und ein modernes Scheidungsrecht eintrat und ihre gegebenenfalls abweichende Meinung auch in der Öffentlichkeit zum Ausdruck brachte – also eher dem Bild der modernen „Westlerin“ als dem der traditionellen „Orientalin“ entsprach.
[3] Darunter sind nur ca. 50.000 russische Staatsbürger, der große Rest ist (als Spätaussiedler oder jüdische Kontingentflüchtlinge) eingebürgert oder hat eine andere, ex-sowjetische Staatsangehörigkeit.
[4] Auch wenn einer der Partner im Verlaufe der Ehe deutscher Staatsangehöriger wurde, gilt türkisches Recht, weil dies dann das letzte gemeinsame Heimatrecht ist: BGH XII ZB 17/04 vom 20.06.2007 (http://openjur.de/u/78199.html)
[5] Die formelle Aufwertung zu einem eigenen Berichtsschwerpunkt erfolgte mit der PKS 2005.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783863417871
- ISBN (Paperback)
- 9783863412876
- Dateigröße
- 463 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Alice-Salomon Hochschule Berlin
- Erscheinungsdatum
- 2013 (Juli)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Migration Türkische Frauenbewegung Islam Polizei Kriminalstatistik
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing