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Die Entwicklung moderner wirtschaftswissenschaftlicher Paradigmen im historischen Kontext: Eine Untersuchung zweier ökonomischer Denkschulen

©2012 Bachelorarbeit 69 Seiten

Zusammenfassung

Das vorliegende Buch befasst sich mit einem Vergleich der wirtschaftswissenschaftlichen Theorien 'Keynesianismus' und 'Monetarismus', ihren zugrundeliegenden Annahmen und Hypothesen sowie den darauf basierenden Handlungsempfehlungen an die Wirtschaftspolitik. Hierbei werden unterschiedliche Konsum- und Investitions- sowie ausgewählte Theorien zu menschlichen Verhaltensweisen analysiert. Die Betrachtung der beiden Denkschulen erfolgt unter Berücksichtigung des historischen Kontextes, der für das Verständnis der Theorieentwicklung relevant erscheint. Politische und ökonomische Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die für wesentliche Paradigmenwechsel entscheidende Initialzündungen darstellten, werden im Buch thematisiert und zur Herleitung der ökonomischen Theorien herangezogen. Beide Schulen werden hinsichtlich der Kosten und des Nutzens für die Volkswirtschaft kritisch betrachtet. Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Theorie mit wirtschaftspolitischer Praxis Bestandteil des Buches. In diesem Rahmen werden mögliche Ursachen praktischer Anwendungsprobleme von diskretionärer und regelgebundener Stabilitätspolitik beschrieben.
Zudem wird mit bestehendem Wissen auf derzeitig aktuelle ökonomische Herausforderungen Bezug genommen. Die seit 2009 akute Staatsschuldenkrise in Europa verleiht der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion wieder zunehmend Brisanz. Die Ökonomiegeschichte zeigt, dass die Entwicklung und die Etablierung der betrachteten Theorien maßgeblich durch Krisen beeinflusst wurden. Das wirtschaftliche Umfeld galt als Auslöser des wissenschaftlichen Drangs zur Veränderung, Verbesserung oder Verwerfung von bestehenden Theorien und prägte maßgeblich den Durchbruch neuerer Theorien. Vor diesem Hintergrund werden aktuelle Probleme betrachtet, Lösungsvorschläge geäußert und die Frage untersucht, ob und wie stark die Staatsschuldenkrise die vorherrschende Wirtschaftstheorie und das wirtschaftspolitische Vorgehen beeinflusst.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Der Keynesianismus

2.1 Wesentliche Merkmale und historischer Hintergrund

Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 löste eine tiefgreifende Diskussion innerhalb der Wirtschaftswissenschaften aus. Die Grundannahme des vollkommenen Marktes der bis dahin weit akzeptierten und vorherrschenden klassischen Theorie stieß an ihre Grenzen. Steigende Investitionen und zunehmende Beschäftigung blieben trotz massiver Preis- und Lohnsenkungen aus. Stattdessen kennzeichneten eine geringer werdende Konsum- und Investitionsnachfrage sowie eine steigende Arbeitslosigkeit die ökonomische Situation.[1] In dieser Zeit, die politisch wie wirtschaftlich maßgeblich von der Krise geprägt wurde, entwickelte der englische Ökonom John Maynard Keynes in kritischer Auseinandersetzung zum klassischen Konzept eine neue Theorie mit wirtschaftspolitischen Handlungsanleitungen.[2] Sein Werk „The General Theory of Employment, Interest and Money”, das im Jahre 1936 erschien, löste als neues umfassendes makroökonomisches Modell eine regelrechte Revolution in wirtschaftstheoretischen Kreisen aus. In einem Umfeld vorwiegend klassischen Denkens erhielt die neue Theorie schnell steigende Zustimmung, insbesondere bei jungen Fachökonomen.[3] Die Annahme der klassischen Theorie, dass Märkte aus sich heraus durch Angebots- und Nachfrageprozesse in ein Gleichgewicht mit Vollbeschäftigung finden, wird von Keynes hierbei angezweifelt. Geräumte Märkte werden eher als Ausnahmezustand und nicht als Regelfall betrachtet. Demnach können Gleichgewichtssituationen auftreten, in denen Unterbeschäftigung herrscht. Die Entwicklungen während der Weltwirtschaftskrise haben gezeigt, dass ein Mechanismus aus Lohn- und Preissenkungen nicht zwangsläufig zu den gewünschten Marktzuständen führt.[4] Entgegen dem Say’schem Theorem, nach dem sich das Angebot selbst seine Nachfrage schafft, sieht Keynes eine umgekehrte Kausalität, indem er eine unzureichende Nachfrage als Grund für Unterauslastungen seitens der Unternehmen identifiziert. Die Nachfrage bestimmt demnach also das Angebot.[5] Laut der keynesianischen Theorie sind privater Konsum und Investitionen sowie die Staatsausgaben und Auslandsnachfrage die entscheidenden Determinanten zur Beeinflussung von Preis-, Beschäftigungs- und Einkommensniveau. Sie stellen in der Summe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dar und können auch bei relativ niedrigem Niveau zu einem Marktgleichgewicht führen, bei dem jedoch keine Vollbeschäftigung vorliegt.[6] Der Mechanismus der Preisbildung auf dem Gütermarkt versagt, indem er aus sich heraus keine hinreichende Nachfrage generiert.[7] Die Komponenten der Nachfrage, in denen Keynes im Gegensatz zu klassisch geprägten Ökonomen die relevanten Parameter zur Steuerung gesamtwirtschaftlicher Zielgrößen sah, werden jedoch durch das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer bestimmt.[8] Keynes maß neben objektiven Faktoren auch Erwartungen, Gefühlen, Psychologie oder Unsicherheit eine hohe Bedeutung bei, die in Entscheidungsprozessen maßgeblich zum Ausdruck kommen.[9] Da der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in der keynesianischen Theorie die wesentliche Größe ist, sollen ihre Bestimmungsgründe im Folgenden konkreter untersucht werden. Hierbei werden Konsum-, Spar- und Investitionshypothesen betrachtet. Sie bilden die Basis keynesianischer Denkmuster.

2.2 Hypothesen und Annahmen

2.2.1 Konsumnachfrage

In sämtlichen Analysen des privaten Konsumverhaltens fungiert das verfügbare Einkommen als eine essentielle Variable.[10] Es ist davon auszugehen, dass dies für Konsum- und Sparzwecke verwendet wird. Aufgrund dessen existieren verschiedene Theorien, die das Verwendungsverhalten der Wirtschaftsteilnehmer in Abhängigkeit der Höhe des Einkommens zu erklären versuchen.[11]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die keynesianische Konsumfunktion Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Lorenz, Wilhelm (2011b), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

Auch der Keynesianismus stellt mit der „absoluten Einkommenshypothese“ eine entscheidende Verbindung dessen zur konsumtiven Nachfrage her. Demnach geht mit steigendem Einkommen ein ebenfalls steigender Konsum einher. Jedoch geht Keynes von einer marginalen, fallenden Konsumquote aus.[12] Als maßgeblichen Grund nennt er das „fundamentalpsychologische Gesetz“. Demzufolge nimmt mit steigendem Einkommen auch der Konsum zu, jedoch nicht in gleicher Höhe.[13] Die abnehmende Grenzneigung des Konsums, die hier unterstellt wird, lässt bei einer Betrachtung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens bereits hier die Entstehung einer Nachfragelücke erkennen. Legt man eine solche Konsumverhaltenshypothese zugrunde, kommt es zwangsläufig ab einem gewissen Punkt zur Stagnation, wenn die private Nachfragelücke nicht geschlossen wird.[14]

Die Abbildung verdeutlicht einerseits die abnehmende Konsumquote, andererseits die zunehmende Sparquote bei wachsendem Einkommen. Beide addieren sich zur Summe Eins, da sich die Einkommensverwendung auf Konsum und Sparen verteilt.[15] Strategien zur Schließung der in der keynesianischen Konsumfunktion entstehenden Nachfragelücke sind Bestandteile keynesianischer Stabilitätspolitik und sollen im Verlauf dieser Arbeit genauer betrachtet werden. Eine weitere wesentliche Determinante der aggregierten Nachfrage stellen die Investitionen dar.

2.2.2 Investitionsnachfrage

Investitionen umfassen die Anlage von finanziellen Mitteln mit dem Ziel der Mehrung. Es sollen Gewinne in der Zukunft erzielt werden.[16] Bei Entscheidungen für oder gegen Investitionen sind die dabei entstehenden Kosten maßgeblich zu berücksichtigen. Hierzu zählen Zinszahlungen bei Kreditfinanzierungen und Opportunitätskosten aus dem Verzicht von Investitionsalternativen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Investitionsnachfrage mit sinkenden Kosten, z.B. geringer werdenden Zinsen, steigt.[17] Keynes definiert die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals als einen entscheidenden Faktor bei Investitionsentscheidungen. Diese drückt den voraussichtlichen Ertrag einer weiteren Einheit des Kapitalgutes in Relation zum Angebotspreis aus. Der voraussichtliche Ertrag setzt sich aus zukünftigen Einnahmeüberschüssen zusammen, die während der Lebensdauer des Vermögenswertes erzielt werden.[18] Stellen diese eine höhere Rendite dar, als es der aktuelle Marktzins gewährleisten könnte, lohnt sich die Investition. Mit zunehmendem Volumen ist jedoch eine Abnahme der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu beobachten. Eine steigende Nachfrage nach dem Investitionsgut führt zwangsläufig unter der Annahme eines konstanten Angebots zu steigenden Preisen, das Investitionsgut verteuert sich. Gleichzeitig verringert sich der erzielbare Absatzpreis bei sich vergrößerndem Angebot und gleich bleibender Nachfrage. Schließlich erreicht die Investitionsnachfrage ein Niveau, auf dem die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals annähernd dem Marktzins entspricht.[19] Die wesentliche Unterscheidung zu klassischen Investitionstheorien liegt jedoch in der starken Gewichtung der Erwartungen im Keynesianismus.

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Abb. 2: Die keynesianische Investitionskurve Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Apolte, Thomas u.a. (2007), S.121.

Da zukünftige Erträge lediglich geschätzt werden können, aber auch Veränderungen des Marktzinssatzes, technischer Wandel und deren Auswirkungen auf die Investitionen nur sehr vagen Prognosen unterliegen, wirken hier subjektive Faktoren wie Erwartungen, Gefühle oder Unsicherheit stark beeinflussend. Sie erzeugen Optimismus oder Pessimismus und tragen somit erheblich zu gegenwärtigen Investitionsentscheidungen bei. Die Investitionsfalle beschreibt in diesem Zusammenhang einen Extremfall. Investitionsentscheidungen werden hier ausschließlich durch Erwartungshaltungen determiniert. Der Zinssatz verliert in dieser Situation jeglichen Einfluss auf die realen Variablen des Gütermarktes.[20] Ein hohes Maß an Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft begründet demnach ein besonders starkes Schwankungspotenzial in den Erwartungen der Investoren, das sich in Form von sehr volatilen Investitionsniveaus ausdrückt.[21] Abbildung 2 zeigt schematisch mögliche Veränderungen im Volumen bei gleichem Zinssatz, die ausschließlich auf veränderte Erwartungshaltungen zurückzuführen sind. In der Investitionsfalle liegt gar ein senkrechter Verlauf der Investitionskurve und damit eine Zinselastizität von 0 vor. Keynes betrachtet die gesamtwirtschaftliche Investitionsneigung somit als instabil. Legt man seine Investitionshypothese zugrunde, ist in den starken Schwankungen der Ertragserwartungen eine Ursache für eine hohe Gesamtnachfrage- und somit konjunkturelle Volatilität zu sehen. Der Zins bietet hierfür kein ausreichendes Stabilisierungsinstrument. Laut Keynes ist der Markt allein überfordert, eine Verstetigung zu erzeugen. Es bedarf hierbei zusätzlichen Instrumenten.[22]

2.2.3 Liquiditätspräferenztheorie

Geldangebot und –nachfrage führen auf dem Geldmarkt zu einem Gleichgewicht. Das Geldangebot soll an dieser Stelle als autonome Größe interpretiert werden, da es von der Zentralbank exogen gesteuert wird. Für die Geldnachfrage existieren hingegen verschiedene Bestimmungsgründe. Einkommensteile, die nicht für den Konsum verwendet werden, können in Form von Geld oder verzinslichen Wertpapieren gehalten werden. Es ist demnach eine Aufteilung in liquide und illiquide Mittel möglich.[23] Nach klassischen Überzeugungen wird der gesparte Teil des Einkommens stets investiert, beispielsweise durch den Kauf von Unternehmensanleihen. Das den Unternehmen zur Verfügung gestellte Kapital ist wiederum Bestandteil der effektiven Nachfrage, da es für Investitionen genutzt wird. Klassische Ökonomen begründeten ihre Behauptung mit der Irrationalität der Geldhaltung bei der gleichzeitigen Möglichkeit der ertragsbringenden Anlage.[24] Nach der keynesianischen Liquiditätspräferenztheorie existieren hingegen drei Motive zur Geldnachfrage:

- das Transaktionsmotiv (beinhaltet Einkommens- und Geschäftsmotiv),
- das Vorsichtsmotiv,
- das Spekulationsmotiv.[25]

Das Halten von liquiden Mitteln nach dem Transaktionsmotiv dient der Überbrückung des Zeitraums zwischen Erhalt und Ausgabe des Einkommens. Darüber hinaus ist das Vorsichtsmotiv als präventive Vorbereitung auf spätere, unvorhergesehene Zahlungsströme und als Ausdruck von Unsicherheit bezüglich der Zukunftserwartungen zu deuten. Die Liquiditätshaltung aus jenen Motiven variiert in Abhängigkeit mit der Höhe des Einkommens. Direkte Zusammenhänge mit dem Marktzinsniveau können ausgeschlossen werden.[26]

Ein entscheidender Bestandteil der keynesianischen Geldnachfragetheorie ist das Spekulationsmotiv. Der von Keynes stark betonte Einfluss von Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer rückt hierbei in den Vordergrund.[27] Neben der sicheren Verzinsung festverzinslicher Wertpapiere, haben Wirtschaftsteilnehmer Erwartungen hinsichtlich zusätzlicher Kapitalgewinne oder –verluste, die durch Kursveränderungen entstehen. Wird eine negative Gesamtrendite erwartet, scheint das nach der klassischen Theorie irrationale Halten von Liquidität rational.[28] Das Spekulationsmotiv gewinnt bei sinkenden Zinsen an Bedeutung, da die Wahrscheinlichkeit wieder steigender Zinsen höher eingeschätzt wird. Die Kassenhaltung privater Haushalte nimmt zu, da sich die Gefahr von Kursverlusten bei festverzinslichen Wertpapieren wie beispielsweise Unternehmensbonds erhöht.[29] Der Kapitalmarkt kann in einer solchen Situation als unvollkommen bezeichnet werden, da die von der klassischen Theorie aufgestellte Behauptung, dass die Größen „Sparen“ und „Investitionen“ in einem Markt stets gleich sind und der Zinsmechanismus am Geldmarkt zwangsläufig einen Ausgleich schafft, nicht mehr gilt. Keynes betrachtete eine Situation mit S = I eher als Ausnahme. Entgegen der Hypothese der ständigen Markträumung durch den Zins, zeigt Keynes mit der Liquiditätsfalle modellhaft das Versagen des Marktes in bestimmten Situationen. Die These, dass jener Einkommensanteil, der nicht für konsumtive Zwecke genutzt wird, dem Kapitalmarkt zugeführt und somit Unternehmen für Investitionen zur Verfügung gestellt wird, verliert aufgrund einer unendlichen Zinselastizität der Geldnachfrage an Gültigkeit. Zusätzliches Zentralbankgeld wird von den Wirtschaftsteilnehmern nicht für Wertpapierkäufe genutzt. Es besteht eine vollkommene Liquiditätspräferenz.[30] Jenes Bedürfnis der Geldhaltung offenbart die Gefahr der Instabilität des Geldmarktes, denn der Zinsmechanismus stößt hier an seine Grenzen. Wenn Teile der Ersparnis nicht investiert, sondern aus dem Spekulationsmotiv heraus liquide gehalten werden, sind diese nicht nachfragewirksam. Die klassische Annahme I=S muss auf Grundlage solcher Überlegungen fallen gelassen werden.[31] Dies wäre mit direkten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt verbunden, auf die im Folgenden eingegangen wird.

2.2.4 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit

Entgegen der klassischen Theorie wird das Angebot durch die effektive Nachfrage, bestehend aus Konsum- und Investitionsaktivitäten, determiniert. Unternehmen passen ihr Angebot entsprechend der erwarteten Nachfrage an. Die Interdependenz von Güter- zum Arbeitsmarkt wird dahingehend hergestellt, dass Unternehmen für die Produktion von Gütern Arbeitskräfte benötigen. Die Nachfrage nach dem Faktor Arbeit steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit der erwarteten effektiven Nachfrage.[32] Schließlich sinkt die Produktion bei rückläufiger aggregierter Nachfrage und der Bedarf an Arbeitskräften muss, unabhängig von der Lohnhöhe, ebenfalls abnehmen. Begründungen dafür stützen sich auf die bereits beschriebenen Hypothesen. Beispielsweise können pessimistische Erwartungshaltungen seitens der Unternehmen zu einer verminderten Investitionsnachfrage führen. In der Liquiditätsfalle verursachen die Erwartungen von steigenden Zinsen eine Hortung der Ersparnisse in der Spekulationskasse, finanzielle Mittel stehen ebenfalls nicht für Investitionen zur Verfügung. Darüber hinaus können Wechselkursveränderungen in einer offenen Volkswirtschaft einen Exportrückgang bewirken, was die effektive Nachfrage nach inländischen Produkten ebenfalls dämpft.[33] Die auf Grundlage der keynesianischen Hypothesen entstehende Nachfragelücke führt dazu, dass die Einnahmen der Unternehmen sinken, was zwangsläufig zu einer Ausgabensenkung führen muss.[34] Auf Basis des Grenzproduktivitätstheorems, nachdem Unternehmen gewinnmaximierend handeln, werden Unternehmen solange Arbeitskräfte nachfragen, bis eine zusätzliche Mengeneinheit nicht mehr gewinnbringend ist. Sie orientieren sich dabei am Reallohn, der den Nominallohn im Verhältnis zum gegebenen Preisniveau ausdrückt. Die Arbeitsnachfrage steht also in negativer Kausalität zu dem Reallohn.[35] Demnach kann die Beschäftigungsmenge nur steigen, wenn sich das Reallohnniveau vermindert.[36] In diesem Punkt sind klassische und keynesianische Sichtweisen identisch, jedoch nicht in der Charakterisierung der Reallöhne selbst. Mit dem Postulat einer nach unten bestehenden Nominallohnrigidität wird das klassische Paradigma vollständiger Flexibilität der Löhne, die den Arbeitsmarkt stets ins Gleichgewicht führt, angezweifelt. Diese Starrheit kann unter anderem mit einer Risikoaversion seitens der Arbeitnehmer begründet werden, die eine hohen Grad an Planbarkeit und deshalb längerfristige Tarifkontrakte anstreben, die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbart werden.[37] Die Inflexibilität der Löhne kann bei sinkender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und damit sinkenden Preisen einen Angebotsüberschuss auf dem Arbeitsmarkt hervorrufen, dessen Ursache in zu hohen Reallöhnen liegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Felderer, Bernhard / Homburg, Stefan (2005), S. 135.

Die in Abbildung 4 erkennbare Nachfragelücke drückt sich in der Differenz von Y d1 zu Y d2 aus. Der Gütermarkt befindet sich im Gleichgewicht, jedoch entspricht die aggregierte Nachfrage nicht dem volkswirtschaftlichen Produktionspotenzial, die Unternehmen haben ihre Produktion entsprechend der effektiven Nachfrage rationiert. Allerdings ist der herrschende Reallohn bei gegebenem Preisniveau zu hoch, was aufgrund der Nominallohnrigidität zu einem Überangebot auf dem Arbeitsmarkt führt. Im III. Quadranten ist diese Situation schematisch verdeutlicht. Die Differenz von Nd zu Ns stellt das Ausmaß an Unterbeschäftigung dar. Da ein Gleichgewicht auf dem Gütermarkt herrscht, bleiben situationsändernde Kräfte des Marktes aus. Das Unterbeschäftigungsgleichgewicht hat somit Verharrungspotenzial und es bedarf wirtschaftspolitischer Strategien, um ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht zu erreichen.[38] Solche sollen im Folgenden dargestellt und kritisch betrachtet werden.

2.3 Diskretionäre Stabilitätspolitik

Durch Nachfragelücken entstehende Unterauslastungen der ökonomischen Ressourcen führen zu Wohlfahrtseinbußen, die mit der Abweichung des tatsächlichen Outputs vom Vollbeschäftigungsniveau quantifiziert werden können. Staatliche Stabilitätsmaßnahmen sollen zusätzliche Nachfrage schaffen und so den Outputverlust minimieren beziehungsweise eliminieren.[39] Dafür stehen Instrumente im Rahmen der Fiskal- und Geldpolitik zur Verfügung, die unterschiedliche Mechanismen auslösen. Die Wirkungsanalyse soll die theoretischen Anpassungsvorgänge in einem marktwirtschaftlichen System untersuchen und dabei auch das Unterbeschäftigungsgleichgewicht hinsichtlich verschiedener Ursachen differenziert betrachten.[40] Sinnhaftigkeit und Erfolgsaussichten der fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen sollen vor dem Hintergrund von Nominallohnrigiditäten, aber auch situationsspezifisch, beispielsweise in der Investitions- und Liquiditätsfalle, überprüft werden.

2.3.1 Mechanismus und Multiplikatorwirkung

Eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und schließlich auch einer Zunahme der Beschäftigungsmenge kann durch direkte Steigerung der staatlichen Nachfrage nach Gütern oder indirekt über Steuersenkungen generiert werden, die private Konsum- und Investitionstätigkeit stimulieren.[41] Es wird so eine Rechts-Verschiebung der aggregierten Nachfragekurve erzeugt (Abb. 4: Y d2 à Y d1), was zu einem Preisanstieg führt. Jener Prozess lässt bei starren Nominallöhnen das Reallohnniveau sinken, sodass sich die Nachfrage der Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Dieser wird in einen Gleichgewichtszustand überführt. Da direkte staatliche Nachfrageerhöhungen in vollem Umfang auf dem Gütermarkt wirksam werden, bedarf es hier einer vergleichsweise mäßigen Dosierung, wenn von einem Einkommensmultiplikator größer 1 ausgegangen wird.[42] Die gestiegene aggregierte Nachfrage erzeugt ein höheres gesamtwirtschaftliches Einkommensniveau, was wiederum die private Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern stimuliert und eine weitere positive Einkommensänderung hervorruft. Insgesamt bilden die einzelnen Teilerhöhungen dieses Prozesses, die aufgrund der Hypothese steigender Sparquoten mit wachsendem Einkommen abnehmen, den gesamten Effekt.[43] Eine indirekte Nachfragesteuerung mithilfe von Steuerpolitik erzielt hingegen zunächst eine Allokationsveränderung, indem es zu Vermögensumschichtungen zugunsten des privaten Sektors kommt. Ist die These der marginalen Konsumquote mit einem Wert kleiner 1 Grundlage der Betrachtung, wird die Erhöhung der aggregierten Nachfrage geringer als der quantitative Wert der Steuererleichterung ausfallen. Während direkte staatliche Interventionen am Gütermarkt eine vollständige Nachfragewirksamkeit entfalten, sind es bei steuerpolitischen Instrumenten lediglich Teile entsprechend der privaten Neigung zu Konsum und Investitionen.[44] Der expansiven Wirkung fiskalpolitischer Aktivitäten stehen jedoch auch restriktive Effekte gegenüber.

2.3.2 Situationsabhängige Verdrängungseffekte

Das höhere Einkommensniveau führt zu einer steigenden Nachfrage nach Transaktionskasse. Bei konstanter Geldmenge wird jene Überschussnachfrage auf dem Geldmarkt durch einen Zinsanstieg absorbiert. Liegt ein zinsreagibles Investitionsverhalten vor, kommt es infolge dessen zu einer Verdrängung der privaten Nachfrage. Der expansive Effekt wird somit konterkariert. Dieser Crowding-Out-Effekt ist im Fall eines hohen Zinsniveaus, bei dem die Geldnachfrage aufgrund eines minimalen Spekulationsmotivs vollkommen zinsunelastisch ist, maximal. Hier führen die fiskalpolitischen Maßnahmen zu keinen oder sehr geringen realen Effekten, da die zurückgehende private Nachfrage die Ausdehnung der staatlichen nahezu vollständig kompensiert. Die Veränderungen haben in einer solchen „klassischen“ Situation lediglich allokativen Charakter.[45] In den von Keynes beschriebenen Sonderfällen kommt es hingegen zunächst zu keinen konterkarierenden Effekten. Im Bereich der Investitionsfalle liegt die Zinselastizität der Investitionsnachfrage nahe 0. Ein steigendes Zinsniveau verursacht demnach keinen Rückgang der privaten Investitionen. In der Liquiditätsfalle kommt es hingegen zu keinem Anstieg des Zinsniveaus, was in der nahezu unendlich zinselastischen Geldnachfrage begründet ist. Die beschriebenen multiplikativen Effekte sind hier maximal und es treten keine Crowding-Out-Effekte auf. Die Fiskalpolitik ist somit äußerst wirkungsvoll.[46]

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Abb. 4: Expansive Fiskalpolitik in Sonderfällen Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Wohltmann, Hans-Werner (2005), S. 233f.

Crowding-Out-Effekte können darüber hinaus wechelskursinduziert sein. Der durch die fiskalpolitischen Interventionen ausgelöste Zinsanstieg führt zu verstärkten Kapitalimporten. Unter der Annahme flexibler Wechselkurse und hoher Kapitalmobilität entsteht ein Nachfrageüberschuss der heimischen Währung auf dem Devisenmarkt, der durch eine Veränderung des Wechselkurses absorbiert wird. Die Aufwertung der eigenen Währung führt schließlich zu Exportrückgängen sowie einer Zunahme der Importe und verändert den Außenbeitrag. Die zurückgedrängte ausländische Nachfrage nach inländischen Produkten und die zunehmende inländischen Nachfrage nach ausländischen Produkten stellen kontraktive Effekte zu fiskalpolitischen Maßnahmen dar, deren Wirkung sich mit zunehmender Zinsreagibilität erhöht.[47] Ist die Kapitalmobilität eingeschränkt, steigt auch die fiskalpolitische Effizienz. In einer Währungsunion wie der Eurozone sind dagegen wechselkursbedingte Crowding-Out-Effekte gegenüber den Mitgliedsländern ausgeschlossen. Bei einheitlicher Währung ist die Wirkungsstärke fiskalpolitischer Maßnahmen maßgeblich von der Faktormobilität und dem Differenzierungsgrad der Preise in den verschiedenen Ländern abhängig, der hier die Anpassungsfunktion der Wechselkurse einnimmt. Verfolgt man keine einheitliche, sondern eine länderspezifische Wirtschaftspolitik, so werden nachfragestimulierende Aktivitäten eines Landes unter der Voraussetzung von relativ immobilen Produktionsfaktoren und geringen Preisunterschieden zwischen den Regionen nicht durch Crowding-Out-Effekte konterkariert und sind somit in Bezug auf die Partnerländer der Währungsunion voll wirksam.[48]

2.3.3 Finanzierungsformen der Maßnahmen

Staatliche Interventionen im Rahmen expansiver Fiskalpolitik differieren hinsichtlich ihrer Wirksamkeit durch unterschiedliche Möglichkeiten der Finanzierung. Der Staatsausgabenmultiplikator, der die Änderung des Gleichgewichtseinkommens bei Veränderung der Staatsausgaben ausdrückt, wird von entgegengesetzt wirkende Effekten durchkreuzt.[49] Die Gesamthöhe des Expansionseffekts wird demnach maßgeblich von der Stärke und Ausprägung jener Faktoren abhängen, welche die gewünschten Einkommens- und Beschäftigungseffekte restringieren. Daher ist die Frage der Mittelherkunft eine wesentliche in dem Sinne, dass sie die Effizienz der Mittelverwendung entscheidend beeinflusst. Grundsätzlich sollen zunächst zwei Formen der Finanzierung betrachtet werden:

- Steuerfinanzierung,
- Geldmengenexpansion

Kommt es zu einer Erhöhung der staatlichen Nachfrage und wird diese ausschließlich über Steuermehreinnahmen finanziert, so steht der expansiven Wirkung der erhöhten Staatsausgaben ein restriktiver Effekt aufgrund zurückgehender privater Ausgaben für Konsum und Investitionen gegenüber. Die beiden Effekte müssen saldiert betrachtet werden, um die Gesamtwirkung zu definieren.[50] Erhöhte Steuern lösen entsprechend des Steuermultiplikators einen negativen Prozess aus, mit dem Resultat, dass sich das gesamtwirtschaftliche Einkommen reduziert. Die mit den Mitteln der Steuererhöhung finanzierte staatliche Nachfrageexpansion führt über den Staatsausgabenmultiplikator zu einem positiven Einkommenseffekt. Den saldierten Effekt beschreibt der Budgetmultiplikator auf Grundlage des Haavelmo-Theorems.[51] Aufgrund der höheren staatlichen Konsumneigung werden die Staatsausgaben zu 100 Prozent am Gütermarkt wirksam. Die Erhöhung der aggregierten Nachfrage im Rahmen der verstärkten staatlichen Aktivität löst somit einen positiven Effekt aus, der durch den Steuermultiplikator zwar geschmälert, jedoch nicht vollständig kompensiert wird. Insgesamt resultiert ein positiver Einkommenseffekt.[52]

Dieser kann durch monetäre Aktivitäten verstärkt werden. Durch eine Erhöhung der Geldmenge kommt es auf dem Geldmarkt kurzfristig zu einem Angebotsüberschuss, der eine Senkung des Zinssatzes auslöst. Die dadurch hervorgerufene Stimulierung der privaten Nachfrage verstärkt die Wirkung der Fiskalpolitik, weil beispielsweise Crowding-Out-Effekte durch die monetäre Alimentierung minimiert werden.[53]

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Abb. 5: Einkommenseffekt bei Politikmischung Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Gabler Wirtschaftslexikon (2012c), Hauptframe (siehe Internet­verzeichnis).

Betrachtet man geldpolitische Maßnahmen isoliert, also unabhängig von Fiskalpolitik, so steigt ihre Effektivität mit zunehmender Zinselastizität der Investitionsnachfrage. Da diese in der Investitionsfalle nahe 0 ist, erzeugt sie in einer solchen Situation keine Effekte. Auch in der Liquiditätsfalle, in der eine vollständig zinselastische Geldnachfrage vorliegt, bleibt sie wirkungslos. Im Rahmen diskretionärer Stabilitätspolitik werden somit Fiskal- und Geldpolitik miteinander kombiniert. Die monetäre Unterstützung in Form expansiver geldpolitischer Maßnahmen führt dazu, dass die Zinserhöhung als Folge von staatlicher Nachfrageausdehnung gemildert oder vollständig absorbiert wird. Die positive Wirkung der Fiskalpolitik wird dabei nicht oder zumindest in stark gemilderter Form konterkariert. Die keynesianische Theorie fordert deshalb eine Politikmischung, um den Einkommenseffekt zu maximieren.[54]

Eine separat betrachtete expansive Geldpolitik gilt in einer offenen Volkswirtschaft mit hoher Kapitalmobilität und flexiblen Wechselkursen als sehr wirksam. Der sinkende Zins bewirkt Kapitalabflüsse und führt zu einer Abwertung der heimischen Währung. Die gesteigerte internationale Konkurrenzfähigkeit der inländischen Produkte führt zu einer erhöhten ausländischen Nachfrage nach diesen Gütern. Auch im Rahmen einer Politikmischung sind beschriebene geldpolitische Maßnahmen als sinnvoll zu bezeichnen.[55] Innerhalb einer Währungsunion wie der Eurozone ist die Geldpolitik vor dem Hintergrund der besonderen Situation jedoch spezifisch zu betrachten. Eignung und Einsetzbarkeit auch in Kombination mit Fiskalpolitik sollen zu einem späteren Zeitpunkt im Zusammenhang mit den aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussionen überprüft werden.

2.3.4 Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit

„Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit.“[56]

Unter Einbeziehung rigider Nominallöhne in die gesamtwirtschaftliche Betrachtung ist nach keynesianischer Auffassung eine Reallohnsenkung über ein erhöhtes Preisniveau herzustellen, das über dem Produktivitätswachstum liegt, um somit positive Beschäftigungseffekte zu erzielen.[57] Von den historischen Umständen geprägt, sah Keynes selbst in der Deflation die größte Gefahr, während inflationäre Tendenzen als vergleichsweise weniger problematisch und aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Situation auch nicht als virulent angesehen wurden. Im Rahmen einer Vollbeschäftigungspolitik im Sinne der keynesianischen Lehre wurde davon ausgegangen, dass die Schließung von Outputlücken positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt hervorrufe, ohne höhere Inflationsraten in Kauf nehmen zu müssen.[58] Die Einsicht zur Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Kompromisse zwischen den Zielvariablen gewann nach 1945 zunehmend an Relevanz, als die schwierige Vereinbarkeit von Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, Zahlungsbilanzausgleich sowie Verteilungsgerechtigkeit offenbar geworden war. Der in jenem Zusammenhang gebrauchten Bezeichnung „magisches Viereck“ wohnt bereits die Erkenntnis inne, dass eine gleichzeitige Erreichung aller Ziele unmöglich zu sein scheint.[59] Die keynesianische Wirtschaftspolitik, die primär der Vollbeschäftigung verpflichtet war, akzeptierte folglich höhere Preissteigerungsraten in der Annahme, dass Inflation in einem inversen Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit steht.[60] Graphisch lieferte der britische Wirtschaftswissenschaftler Alban Phillips 1958 mit der später nach ihm benannten Phillips-Kurve die entscheidende Grundlage, indem er die Entwicklung des Nominallohnniveaus in Verbindung zur Arbeitslosigkeit setzte.[61] Später ergänzten die Ökonomen Paul Samuelson und Robert Merton Solow die Kurve, indem sie die Steigerung der Nominallöhne durch die Inflationsrate auf der Ordinate substituierten. Die modifizierte Phillips-Kurve stellte insbesondere in den 1960er Jahren ein relevantes wissenschaftliches Fundament für die Wirtschaftspolitik dar. Die zitierte Aussage des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt im Jahre 1972 kann dafür als Beispiel angesehen werden. Sie ist geprägt von der zu dieser Zeit vorherrschenden keynesianischen Denkweise und drückt den vermeintlichen Zielkonflikt zwischen den Größen „Arbeitslosigkeit“ und „Inflation“ in einer Volkswirtschaft aus. Die Verbindung suggeriert eine wirtschaftspolitische Steuerbarkeit in der Form, dass aus verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten gewählt werden kann. Demnach könnte ein Beschäftigungswachstum um den Preis höherer Inflation erkauft werden.[62] Obwohl es dem Zusammenhang der beiden Größen an theoretischer Fundierung fehlte, die Erklärungen über private Verhaltensweisen liefert, wurde dieser von der Mehrheit der Ökonomen als stabil erachtet.[63] In dem Glauben beschriebener Interdependenzen sollte das Preisniveau über eine gesamtwirtschaftliche Nachfragesteuerung so beeinflusst werden, dass der Arbeitsmarkt stets annähernd eine Vollbeschäftigung aufweist.[64]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Die modifizierte Phillips-Kurve Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Gabler Wirtschaftslexikon (2012e), 1. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

Aufgrund des statistischen Datenmaterials, das auf die Existenz des stabilen Zusammenhangs der beiden Größen schließen ließ, galt das Theorem bis Ende der 1960er Jahre weitgehend als akzeptiert.[65] Aufgrund weiterer wirtschaftlicher Entwicklungen, auf die im Folgenden eingegangen werden soll, geriet das Phillips-Kurven-Konzept jedoch zunehmend in Kritik. Es wurde zum Thema einer umfangreichen wirtschaftstheoretischen Diskussion und zahlreichen empirischen Untersuchungen.[66]

2.4 Scheitern der praktischen Umsetzung

Bis in die 1970er Jahre war der Keynesianismus die vorherrschende Grundlage wirtschaftspolitischen Handelns in den Industriestaaten. Die Existenz marktwirtschaftlicher Instabilitäten wurde kaum bestritten. Wirtschaftliche Amplituden sollte der Staat durch Konjunkturpolitik glätten, indem er die aggregierte Nachfrage mit fiskalpolitischen Interventionen antizyklisch beeinflusst und die Volkswirtschaft in ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht überführt. Eine unterstützende Funktion kam dabei der Geldpolitik zu, die in hoher Abstimmung mit der Fiskalpolitik agieren und Verdrängungseffekte verhindern sollte. Die Dekade der 1970er Jahre kennzeichnete jedoch ein wirtschaftliches Dilemma, das die ökonomische Theorie vor neue Fragen stellte und rückblickend betrachtet den Beginn eines Paradigmenwechsels darstellte.[67]

Tabelle 1: Makroökonomische Zielgrößen 1972 - 1982

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eigene Darstellung, in Anlehnung an: Deutsche Bundesbank (2012a), Abschnitt Makroökonomische Zeitreihen (siehe Internetverzeichnis).

Eine starke Verknappung des Ölangebots durch die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) im Jahre 1973 führte zu einem exogenen Preisschock für viele Staaten. Die dadurch verteuerte Produktion für die Unternehmen drückte sich in einem stark steigenden allgemeinen Preisniveau aus. Die Steigerungsrate allein in der Bundesrepublik Deutschland stieg bereits im Jahre 1973 auf 7,2 % an.[68] Gleichzeitig kam es zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit, die sich von 1,0 % im Jahre 1973 auf 4,0 % im Jahre 1975 in drastischer Weise und innerhalb kurzer Zeit erhöhte.[69] Der inverse Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosenquote auf der Grundlage der modifizierten Phillips-Kurve hielt somit der wirtschaftlichen Praxis nicht stand. Die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt beschloss im Dezember 1974 mit dem „Programm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum bei Stabilität“ ein Maßnahmenpaket mit einem Volumen von etwa 10 Milliarden DM, das ganz im keynesianischen Sinne eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage erzeugen sollte. Steuererleichterungen von 15 Milliarden DM im Rahmen einer am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Steuerreform sowie das zum Ende des gleichen Jahres beschlossene „Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen“ mit einem Budget in Höhe von etwa 6 Milliarden DM stellten weitere fiskalpolitische Interventionen dar.[70] Begleitet wurde die Nachfragesteuerung zunächst von einer expansiven Geldpolitik der deutschen Bundesbank, die den Leitzins im Zeitraum von Oktober 1974 bis September 1975 sukzessive von 6,5 % auf 3,5 % senkte.[71] Die konjunkturpolitischen Maßnahmen erzielten die gewünschten Wachstums- und Beschäftigungseffekte zunächst nicht. Das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland kam einer Stagnation gleich, stieg das Bruttoinlandsprodukt im Jahre 1974 lediglich um 0,9 %.[72] Ein Jahr später verringerte sich die Wirtschaftsleistung sogar um 0,9 %. Die kombinatorische Erscheinung von wirtschaftlicher Stagnation beziehungsweise negativem Wachstum und zunehmender Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig steigenden Inflationsraten trat erstmalig auf. Ein positiver Beschäftigungseffekt, der in der keynesianischen Theorie einer Reallohnsenkung durch Preisniveausteigerungen folgt, blieb aus.[73] Historische Erfahrungswerte, aus denen die wirtschaftspolitisch Handelnden hätten schöpfen können, lagen demnach nicht vor.[74] Die im Rahmen der Konjunktursteuerung aufgelegten Maßnahmen der Bundesregierung zeigten 1976 zwar mit einer Wachstumsrate von 4,9 % eine positive Wirkung, jedoch offenbaren die Werte der Folgejahre den naheliegenden temporären Charakter. So sorgten ein nicht zufriedenstellendes Wachstum von 3,3 % im Jahre 1977 sowie die Raten der anschließenden Jahre bis 1980 für Ernüchterung.[75] Mit dem „Programm für Zukunftsinvestitionen“ wurde im März 1977 erneut der Versuch unternommen, der aktuellen Entwicklung entgegenzuwirken und die vermeintliche Nachfragekompensationsfunktion des Staates nach keynesianischer Auffassung zu erfüllen. Im Rahmen von staatlichem Nachfragemanagement unter anderem in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur, Stadtsanierung, umweltfreundliche Energieversorgung oder Hoch- und Tiefbau sollte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimuliert werden.[76] Insgesamt wurde dafür ein Volumen von 16 Milliarden DM bereitgestellt.[77] Ein dadurch hervorgerufener Arbeitsmarkteffekt lässt sich in Anbetracht der verbesserten Erwerbstätigensituation nicht leugnen. So ist auf eine Verringerung der Arbeitslosenquote von 3,9 % im Jahre 1977 auf 3,3 % im Jahre 1979 zu verweisen. Allerdings bringen jene Zahlen gleichzeitig die weite Entfernung zur Vollbeschäftigung zum Ausdruck, vergleicht man sie mit denen der anfänglichen Jahre der Dekade. Zudem entsteht der Eindruck, dass höhere Inflationsraten, die spätestens ab 1978 wieder erkennbar einsetzten, als Preis für eine Senkung der Arbeitslosenzahl akzeptiert wurden.[78] Zudem ist die Entwicklung der Staatsverschuldung auffällig. Während die Konjunkturprogramme zunächst noch über die Auflösung von Rücklagen sichergestellt werden konnte, kam es mit zunehmendem Fortschreiten der Krise zu einer Kreditfinanzierung. Da die relative Staatsverschuldung drastisch zunahm, verkleinerte sich auch der finanzielle Handlungsspielraum der Bundesrepublik, der die Möglichkeiten weiterer fiskalpolitischer Maßnahmen immer weiter beeinträchtigte.[79] Die Phase steigender Inflationsraten bei gleichzeitig zunehmender Arbeitslosigkeit wurde durch einen zweiten Ölpreisschock im Jahre 1979 weiter verstärkt, sodass die keynesianische Stabilitätspolitik zunehmend als gescheitert betrachtet wurde.

Rückblickend ist dieser Abschnitt der deutschen Wirtschaftsgeschichte insgesamt betrachtet durch Stagnation und explodierende Staatsschulden gekennzeichnet, die auf zunehmend kreditfinanzierte Konjunkturprogramme zurückzuführen sind. Diese aber verloren sukzessive ihre Effektivität, erzielten sie doch kumulativ nur geringe Beschäftigungs- und Wachstumseffekte. Die Einschätzung, dass die staatlichen Aktivitäten im Rahmen der von der Regierung beschlossenen Maßnahmen mehr Schaden als Nutzen stifteten, wurde Anfang der 1980er Jahre zum weitgehend geteilten Konsens in der wirtschaftspolitischen Diskussion.[80] Die Offenbarung der praktischen Grenzen keynesianischer Theorie löste mit der Abwahl Helmut Schmidts als Bundeskanzler 1982 nicht nur einen politischen Wandel aus. Auch in der Wirtschaftstheorie zeichnete sich mit einer Renaissance klassischer Denkweisen ein Paradigmenwechsel ab.

[...]


[1] Vgl. Rogall, Holger (2010), 2. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[2] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 99.

[3] Vgl. Wagner, Helmut (2008), S. 85.

[4] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (2009), 2. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[5] Vgl. Lorenz, Wilhelm (2011a), 5. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[6] Vgl. Keynes, John Maynard (2006), S. 26.

[7] Vgl. Utecht, Burkhard (2011), S. 2.

[8] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 99.

[9] Vgl. Lorenz, Wilhelm (2011a), 2. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[10] Vgl. Görgens, Egon / Ruckriegel, Karlheinz (2007), S. 63.

[11] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 104.

[12] Vgl. Görgens, Egon / Ruckriegel, Karlheinz (2007), S. 65.

[13] Vgl. Keynes, John Maynard (2006), S. 25.

[14] Vgl. Görgens, Egon / Ruckriegel, Karlheinz (2007), S. 65.

[15] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 106.

[16] Vgl. Wirtschaftslexikon24 (2011), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[17] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 119.

[18] Vgl. Keynes, John Maynard (2006), S. 115.

[19] Vgl. Keynes, John Maynard (2006), S.116.

[20] Vgl. Felderer, Bernhard / Homburg, Stefan (2005), S. 139.

[21] Vgl. Lorenz, Wilhelm (2011c), 1.Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[22] Vgl. Willke, Gerhard (2002), S. 75f.

[23] Vgl. Jäggi, Christian (1986), S. 183.

[24] Vgl. Bortis, Heinrich (2012), S. 22 (siehe Internetverzeichnis).

[25] Vgl. VWLer (2012), 3. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[26] Vgl. Keynes, John Maynard (2006), S. 165.

[27] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 125.

[28] Vgl. Jäggi, Christian (1986), S. 186.

[29] Vgl. Lorenz, Wilhelm (2011d), 3.Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[30] Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (2012a), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[31] Vgl. Afhüppe, Sven / Fasse, Markus (1999), S. 3 (siehe Internetverzeichnis).

[32] Vgl. Jung, Mario (2010), S. 65.

[33] Vgl. Wienert, Helmut (2008), S.72.

[34] Vgl. Glötzl, Erhard (1997), 3.Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[35] Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (2012b), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[36] Vgl. Keynes, John Maynard (2006), S. 15.

[37] Vgl. teialehrbuch.de (2012), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[38] Vgl. Felderer, Bernhard / Homburg, Stefan (2005), S. 148.

[39] Vgl. Wagner, Helmut (2008), S. 86.

[40] Vgl. Heertje, Arnold / Wenzel, Heinz-Dieter (2002), S. 301.

[41] Vgl. Grunwald, Jorg-Günther (1977), S. 87.

[42] Vgl. Wagner, Helmut (2008), S. 86.

[43] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 111.

[44] Vgl. Grunwald, Jorg-Günther (1977), S. 89f.

[45] Vgl. Wohltmann, Hans-Werner (2005), S. 234.

[46] Vgl. Hennies, Manfred (2003), S. 459.

[47] Vgl. Moritz, Karl-Heinz / Stadtmann, Georg (2011), S. 78f.

[48] Vgl. Ohr, Renate (1993), S. 42.

[49] Vgl. Smony, Werner (2002), S. 3 im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[50] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 117.

[51] Vgl. Wildmann, Lothar (2007), S. 69.

[52] Vgl. Grunwald, Jorg-Günther (1977), S. 91.

[53] Vgl. Wagner, Helmut (2008), S. 105.

[54] Vgl. Wagner, Helmut (2008), S. 105.

[55] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 182.

[56] Schmidt, Helmut (1972), in: Zeit-Online (2012), 2. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[57] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 162.

[58] Vgl. Großeschmidt, Brita (1976), S. 32.

[59] Vgl. Großeschmidt, Brita (1976), S. 33.

[60] Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (2012d), 2. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[61] Vgl. Kraus, Miriam (2010), 4. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[62] Vgl. Gröschel, Ulrich (1986), S. 19.

[63] Vgl. Belke, Ansgar u.a. (2006), S. 4.

[64] Vgl. Gröschel, Ulrich (1986), S. 20.

[65] Vgl. Belke, Ansgar (2006), S. 4.

[66] Vgl. Rothschild, Kurt (2006), S. 162.

[67] Vgl. Pätzold, Jürgen (2012), 3. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[68] Vgl. Janssen, Hauke (2006), S. 85.

[69] Vgl. Statistisches Bundesamt (2012), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[70] Vgl. Fischer, Gustav (1981), S. 192.

[71] Vgl. Deutsche Bundesbank (2012b), Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[72] Vgl. Gaul, Claus-Martin (2008), S. 13.

[73] Vgl. Apolte, Thomas u.a. (2007), S. 162.

[74] Vgl. Gaul, Claus-Martin (2008), S. 15.

[75] Vgl. Schanetzky, Tim (2007), S. 219.

[76] Vgl. Heuer, Jens Christian (2009), 4. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[77] Vgl. Schanetzky, Tim (2007), S. 218.

[78] Vgl. Gaul, Claus-Martin (2008), S. 15.

[79] Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2005), 5. Abschnitt im Hauptframe (siehe Internetverzeichnis).

[80] Vgl. Julitz, Lothar (1985), S. 852f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863418311
ISBN (Paperback)
9783863413316
Dateigröße
817 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule für Wirtschaft Berlin
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Wirtschaftspolitik Keynesianismus Monetarismus Fiskalpolitik Geldpolitik Konjunktur

Autor

Philipp Glinka, geboren 1989, studierte von 2009 bis 2012 Betriebswirtschaftslehre mit der Fachrichtung Bank an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Als Student dualer Studiengänge hat er praktische Erfahrungen in diversen Bereichen der Bankbranche gesammelt. Insbesondere die Arbeit in der Wertpapierabteilung einer deutschen Privatbank weckte sein Interesse an volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Fasziniert von der wirtschaftstheoretischen Entwicklung und der politischen Umsetzung des 20. Jahrhunderts thematisierte er die Rivalität der ökonomischen Denkschulen in seiner Bachelorarbeit. Die europäische Staatsschuldenkrise und die wieder verstärkte paradigmatische Diskussion in Wissenschaft und Politik waren zudem auschlaggebend für seine Themenwahl.
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Titel: Die Entwicklung moderner wirtschaftswissenschaftlicher Paradigmen im historischen Kontext: Eine Untersuchung zweier ökonomischer Denkschulen
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