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Risikofaktor Nachtarbeit: Soziale Ausgrenzung, „Burnout“ und Übergewicht

©2010 Bachelorarbeit 58 Seiten

Zusammenfassung

Seit Beginn der Industrialisierung im 20. Jahrhundert hat sich die Schicht- und Nachtarbeit durch die technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Zwänge im Berufsalltag etabliert. Im gegenwärtigen Zeitalter führen vor allem die 24 Stunden-Dienstleistungen zu einer Zunahme der Schicht- und Nachtarbeit (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V., DGAUM, 2008).
Obwohl die Arbeitsformen sich schnell verändern, hinken die Arbeitszeitstrukturen hinterher. Besonders die Doppelbelastung von bezahlter Tätigkeit und Haushalt wird nur geringfügig durch angepasste Arbeitszeiten subventioniert (Wüthrich, 2003). Jeder fünfte Arbeiter oder Angestellte ist im Nachtdienst bzw. in Wechselschicht tätig und die Tendenz ist steigend. In den Jahren 1995-2000 war eine jährliche Zunahme von etwa 5% zu verzeichnen. Für viele der im Schichtdienst Tätigen ist diese Tatsache zur Normalität geworden. Gleichwohl würde ein Viertel diese Dienstform gerne aufgeben und weitere 23% der Befragten würden gerne weniger in dieser Form arbeiten (Verdi, 2009, Gesund arbeiten-gut leben mit Schichtarbeit).
Laut Statistischem Bundesamt (2005) arbeiteten im ersten Quartal 2004 49% der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland ständig, regelmäßig oder gelegentlich am Wochenende bzw. in Nacht- oder Wechselschicht. Die unterschiedlichen Berufsgruppen aus Industrie und Wirtschaft sind sehr heterogen von Nacht- und Schichtarbeit betroffen. Dabei sind die Gesundheitsberufe (40%), zusammen mit den Fertigungsberufen (43%), am stärksten vertreten. Aktuelle Zahlen belegen, dass 17 Millionen Erwerbstätige in Wechselschicht arbeiten und davon allein 1,9 Millionen Männer und 600.000 Frauen in Nachtarbeit (IPA-Journal, 3/2009).
Da die innere biologische Uhr einen Schlafrhythmus vorgibt, wird in der Zeit von 23.00-7.00 Uhr gegen diesen inneren Mechanismus gearbeitet. Subjektiv mag es unterschiedlich empfunden werden, dennoch kann Nachtarbeit nicht zur Gewohnheit werden, oder gar der Schlaf auf Vorrat erfolgen. Frauen scheinen etwaige Belastungen individuell für sich nicht so erschöpfend zu empfinden wie Männer. Während von ihnen nur ein Viertel die Dienstform Schichtarbeit als kompromittierend angibt, sind es bei den Männern über 50%. In der Umkehrung sehen nur 30% der Männer und über die Hälfte der Frauen die Schichtarbeit nicht als Ballast an (Kröpelin 2009).

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung / Problemstellung

2. Untersuchungsmethoden
2.1 Literaturrecherche
2.2 Empirische Untersuchungen

3. Gesundheitswissenschaftliche Grundlagen
3.1 Begriffsbestimmung Gesundheit
3.2 Definition Schichtarbeit
3.3 Gesetzliche Regelungen der Schichtarbeit
3.3.1 Europäische Rahmenbedingungen
3.3.2 Deutsches Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
3.4 Arbeitszeitmodelle

4. Physiologische Grundlagen
4.1. Arbeiten gegen die innere Uhr
4.2 Risikofaktor Schlafstörung
4.3 Risikofaktor Psyche / „Burn out“
4.4 Präventive Maßnahmen
4.5 Risikofaktoren Essverhalten, Übergewicht, Nikotin und Alkoholkonsum
4.6 Morbiditätsgeschehen bei Pflegekräften
4.7 Unfallrisiken

5. Empirische Untersuchungen
5.1 Krankheitshäufigkeit / Unfallhäufigkeit
5.2 Körperliches Wohlbefinden / körperliche Beschwerden
5.3 Schlafstörungen
5.4 Psychische Probleme
5.5 Alkohol- und Nikotinkonsum
5.6 Essverhalten

6. Schlussfolgerungen

7. Zusammenfassung

8. Anhang (Fragebogen)

9. Literaturverzeichnis

10. Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb.1 Krankheit und -Unfallhäufigkeit

Abb.2 Unfallrisiko nach Arbeitsdauer und -beginn

Abb.3 Erkrankungen und körperliche Beschwerden

Abb.4 Belastung und Erholung

Abb.5 Kinderbetreuung und Erholung

Abb.6 Kinderbetreuung und Schlafstörung

Abb.7 Warnsignale Burnout und psychische Beschwerden

Abb.8 Konsumverhalten

Abb.9 Adipositasklassifikation (Hilbert, 2006)

Abb.10 Essverhalten und Doppelbelastung

Abb.11 Belastung und Schichtdienstaufgabe

1. Einleitung / Problemstellung

Seit Beginn der Industrialisierung im 20. Jahrhundert hat sich die Schicht- und Nachtarbeit durch die technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Zwänge im Berufsalltag etabliert. Im gegenwärtigen Zeitalter führen vor allem die 24 Stunden-Dienstleistungen zu einer Zunahme der Schicht- und Nachtarbeit (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V., DGAUM, 2008). Obwohl die Arbeitsformen eine schnelle Entwicklung nehmen, hängen die Arbeitszeitstrukturen hinterher. Besonders die Doppelbelastung von bezahlter Tätigkeit und Haushalt wird nur geringfügig durch angepasste Arbeitszeiten subventioniert (Wüthrich, 2003). Jeder fünfte Arbeiter oder Angestellte ist im Nachtdienst, bzw. in Wechselschicht tätig und die Tendenz ist steigend. In den Jahren 1995-2000 war eine jährliche Zunahme von etwa 5% zu verzeichnen. Für viele der im Schichtdienst Tätigen ist diese Tatsache zur Normalität geworden. Gleichwohl würde ein Viertel diese Dienstform gerne aufgeben und weitere 23% weniger in der selbigen arbeiten (Verdi, 2009, Gesund arbeiten-gut leben mit Schichtarbeit). Laut Statistischem Bundesamt (2005) arbeiteten im ersten Quartal 2004 49% der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland ständig, regelmäßig oder gelegentlich am Wochenende, bzw. in Nacht- oder Wechselschicht. Die unterschiedlichen Berufsgruppen aus Industrie und Wirtschaft sind sehr heterogen von Nacht- und Schichtarbeit betroffen. Dabei sind die Gesundheitsberufe (40%) zusammen mit den Fertigungsberufen (43%) am stärksten vertreten. Aktuelle Zahlen belegen, dass 17 Millionen Erwerbstätige in Wechselschicht arbeiten und davon allein 1,9 Millionen Männer und 600.000 Frauen in Nachtarbeit ( IPA-Journal, 3/2009). Da die innere biologische Uhr einen Schlafrhythmus vorgibt, wird in der Zeit von 23.00-7.00 Uhr gegen diesen inneren Mechanismus gearbeitet. Subjektiv mag es unterschiedlich empfunden werden, dennoch kann Nachtarbeit nicht zur Gewohnheit werden, oder gar der Schlaf auf Vorrat erfolgen. Frauen scheinen etwaige Belastungen individuell für sich nicht so erschöpfend zu empfinden, wie die Männer. Während von ihnen nur ein Viertel die Dienstform Schichtarbeit als kompromittierend angibt, sind es bei den Männern über 50 %. In der Umkehrung sehen nur 30% der Männer und über die Hälfte der Frauen die Schichtarbeit nicht als Ballast an (Kröpelin 2009).

Der gestörte Rhythmus und der zeitlich geminderte, qualitativ schlechtere Schlaf führen zu einer Menge gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Begleitet werden diese von einem gesteigerten Unfallrisiko und sozialer Ausgrenzung.

Zu den unspezifischen Anzeichen dieser Beeinträchtigungen können Nervosität, Konzentrationsschwäche, vorzeitige Ermüdung, Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden zählen. Verschiedene epidemiologische Studien geben Anhaltspunkte für die ursächliche Beteiligung von Schichtarbeit an Kreislauferkrankungen sowie psychischen Störungen. Als zusätzlich prägende Faktoren sollten aber auch der soziale und familiäre Status, sowie die damit verbundenen Einflussgrößen Übergewicht und Rauchen Beachtung finden (IPA-Journal, 3/2009). Das die innere Uhr mehr bestimmt als nur den Wach- und Schlafrhythmus fanden Chronobiologen der Charité Berlin heraus, die in Tierversuchen mit Mäusen zahlreiche Indizien für den Einfluss auf die Nahrungsverwertung und Appetitgröße fanden. Seit 2007 ist eine weitere Gesundheitsgefährdung durch Nacht-und Schichtarbeit in die Schlagzeilen gekommen. Durch die internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) wurde Schichtarbeit als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Auch Schernhammer et.al (2001) bescheinigten im rotierenden Nachdienst arbeitenden Frauen ein erhöhtes Krebsrisiko, welches nach 30 Berufsjahren als statistisch bewiesen galt. 2003 konnte die gleiche Autorengruppe für vorwiegend im Nachdienst tätige Krankenschwestern ein erhöhtes Darmkrebsrisiko belegen. Das Europaparlament fordert deshalb aus präventiven Gründen das generelle Nachtarbeitsverbot (Klug et.al, 2008). Dennoch ist und bleibt Nacht- und Schichtarbeit gerade in Gesundheit- und Sozialberufen unverzichtbar, da solche speziellen Dienstleistungen rund um die Uhr notwendig sind und abrufbar sein müssen (Schambortski, Wilhelm, 2008). Seit 01.01.1996 müssen auch in Einrichtungen des Gesundheitswesens die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes verwirklicht werden. Eine diesbezüglich durchgeführte demoskopische Untersuchung von 295 Krankenhäusern in Nordrheinwestfalen zeigte in 4 von 5 untersuchten Kliniken eine 7 Tage und länger dauernde Nachtschichtfolge als Regelfall. Zehnstündige Nachtschichten konnten in 2 von 5 Krankenhäusern als gängig verifiziert werden. Die Aufeinanderfolge von Nachdiensten sollte deshalb nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen auf 4 begrenzt werden.

Das Essener Alfred Krupp Krankenhaus führte von 1997-1999 ein Projekt zur Arbeitszeitgestaltung durch. Arbeitszeit wurde hier als eine der wesentlichen Belastungen hervorgehoben. Überstunden, kurze Wechsel als auch Wochenend- und Schichtarbeit werden von den Pflegekräften als belastend und teilweise ursächlich für die Berufsaufgabe genannt (Scesny, Hellert, 1998).

Auf diese grundlegenden Feststellungen aufbauend, sollen in der vorliegenden Arbeit die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, das Morbiditäts- und Unfallgeschehen sowie das veränderte Essverhalten im Nacht- und Schichtdienst von Schwestern und Pflegern aus dem Bereich Anästhesie- und Intensivmedizin eruiert, analysiert und wissenschaftlich diskutiert werden. Ziel der Arbeit ist es, die gesundheitliche Benachteiligung des im Wechsel- und Nachtdienst tätigen Pflegepersonals mit empirischen Daten und dem vorhandenen wissenschaftlichen Fundus zu untermauern, bzw. kontrovers zu diskutieren. Im Rahmen meiner Arbeit sollen folgende Thesen geprüft werden:

1. die in Wechselschicht bzw. Nachtdienst tätigen Schwestern und Pfleger einer Intensivstation / Anästhesieabteilung, unterliegen einem hohen Unfall- und Erkrankungsrisiko
2. die in Wechselschicht bzw. Nachtdienst arbeitenden Schwestern und Pfleger einer Intensivstation / Anästhesieabteilung, sind durch ihre Dienstform einer hohen Belastung ausgesetzt und deshalb gesundheitlich signifikant beeinträchtigt
3. bei Pflegekräften einer Intensivstation/ Anästhesieabteilung, welche im Schichtdienst arbeiten kommt es zu Veränderungen ihres Essverhaltens und einer Erhöhung ihres Genussmittelkonsums

2. Untersuchungsmethoden

2.1 Literaturrecherche

Methodische Probleme der Untersuchungen können sein

- Schichtarbeiter die aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden sind, können nicht mehr befragt werden
- Das Durchschnittsalter steigt stetig an, womit die Wahrscheinlichkeit der Identifizierung körperlicher Beschwerden und Erkrankungen höher liegen kann

Bei den schon zahlreich durchgeführten Studien erscheint es nicht leicht die Belastungen der Schichtarbeiter durch den Schichtdienst zu ergründen. Der „healthy-worker-effect“ stellt so eine Schwierigkeit dar, bei dem sich viele Indizien für eine bessere Gesundheit der Schichtarbeiter gegenüber den Tagarbeitern finden lassen. Bei den ehemaligen Schichtarbeitern wäre mit einer insgesamt schlechteren Gesundheit als bei den noch im Arbeitsleben befindlichen Gruppen zu rechnen, da diese nicht selten ihren Beruf aus diesen Gründen aufgegeben haben. Schichtarbeiter welche länger als 20 Jahre in dieser Dienstform tätig sind, werden als widerstandsfähig eingestuft. In der Gruppe der Nacht- und Schichtarbeiter ist deshalb mit einem kontinuierlichen Aussonderungsprozess zu rechnen, bei dem die gesundheitsbeeinträchtigten Schichtarbeiter dieses Arbeitszeitmodell verlassen (Habich, 2004).

2.2 Empirische Untersuchungen

- quantitative Datenerhebung mittels eines selbst erstellten standardisierten Fragebogens (anonym)
- Befragung von 2 verschiedenen Populationen:
- Gesamtpopulation n:45
- Schwestern und Pfleger der Intensivstation der BG Kliniken Halle (n:29)
- Pflegekräfte der Anästhesieabteilung der BG-Klinik Halle (n:16)
- Fragebogen mit einer Umlaufzeit von 2 Wochen und einem erwarteten Rücklauf von ca. 50%, Rücklauferwartung wurde erfüllt
- Fragebogen wurde im Rahmen einer Stations- bzw. Abteilungsbesprechung ausgegeben und in Form einer Kurzeinführung dem Personal vorgestellt, so dass sofort auftretende Rückfragen beantwortet werden konnten
- Der Fragebogen wurde vom Betriebsrat der Einrichtung in Bezug auf ethische und datenschutzrechtliche Gesichtspunkte geprüft und genehmigt
- Rückgabe der Fragebögen erfolgte über einen verschlossenen Sammelbehälter, um die Anonymität zu wahren
- Fragen zu:
- Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht und Bildungsabschluss
- Soziale Lage: Familienstand, Kinder, familiäre Situation, Wohnsituation,
- Subjektive Gesundheit
- Körperliche Beschwerden, wie Rückenschmerzen, Probleme des Magen-Darm-Traktes etc.
- Bestehende chronische Erkrankungen
- Krankheitshäufigkeit, Arbeitsunfälle
- Arbeitszeit, Belastung am Arbeitsplatz
- Schlafstörungen, vermehrter Schlafbedarf
- Essen: Zeiten, Zusammensetzung der Nahrung
- Alkohol-und Nikotinkonsum
- Bewegung

3. Gesundheitswissenschaftliche Grundlagen

3.1 Begriffsbestimmung Gesundheit

1948 wurde in der Konstitution der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Begriff Gesundheit wie folgt definiert:

- („Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“)

3.2 Definition Schichtarbeit

„Schichtarbeit ist eine Form der Tätigkeit mit Arbeit zu wechselnden Zeiten (Wechselschicht) oder konstant ungewöhnlicher Zeit (z.B. Dauerspätschicht, Dauernachtschicht)“ (Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin e. V., DGAUM,2008). Charakteristisch für Schichtarbeit ist die Ausführung der gleichen Tätigkeit zu verschiedenen Abschnitten des Tages und der Nacht von verschiedenen Arbeitnehmern am gleichen Arbeitsplatz“ (Habich, 2004, S.4).

3.3 Gesetzliche Regelungen der Schichtarbeit

3.3.1 Europäische Rahmenbedingungen

Dass Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich ist, hob das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.01.1992 hervor. Bei dieser Entscheidung wurde das bis dato geltende Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen als missbilligend und benachteiligend aufgehoben. Parallel sah man es als Verpflichtung des Gesetzgebers an, vor allem auf der Basis des Art. 2 Abs. 2 S. 1 des Grundrechts Neuordnungen zu erlassen, welche die Arbeitnehmer vor den gesundheitlichen Auswirkungen der Nachtarbeit schützen. Da auch der europäische Gesetzgeber diese Gefahren erkannt hat und für alle Mitgliedsstaaten einheitliche Mindestanforderungen schaffen wollte, erließ er am 23.11.1993 die Richtlinie 93/104/EG. Inhalt dieser Vorgabe sind Kriterien zur Arbeitszeit und deren Gestaltung, sowie Mindestanforderungen an den Schutz von Arbeitnehmergesundheit und Sicherheit. Den letzten Punkt betreffend, ist für den europäischen Sektor in der Vergangenheit bereits die Richtlinie 89/391/EWG verabschiedet worden. In deren Kernpunkt befinden sich ebenfalls allgemeine Vorschriften zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten, die auch für Nacht- und Schichtarbeiter Anwendung finden. In der Europäischen Gemeinschaft wird die 89/391/EWG auch als Grundrichtlinie bezeichnet. Beide Richtlinien sind vom jeweiligen Mitgliedsstaat in das nationale Recht zu transformieren. Ähnliche gesetzliche Vorschriften gibt es auch auf internationaler Ebene. Das ILO (International Labour Organisation)-Übereinkommen Nr.171 und die ILO-Empfehlung 178 mit dem Schwerpunkt Nachtarbeit sind hier anzuführen. Beim ILO-171 und ILO-155 (Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt) handelt es sich um völkerrechtliche Abkommen. Beide Übereinkommen hatten einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Evolution der europäischen Richtlinie 89/391/EWG, sind aber von Deutschland bisher nicht ratifiziert worden. Da die beiden europäischen Richtlinien, welche zusammen einen einheitlichen Plan zur Gewährleitung der Arbeitnehmergesundheit und des Arbeitnehmerschutzes bilden, auch für uns als europäischen Mitgliedsstaat maßgeblich sind, sollen deren Inhalte hier kurz skizziert werden. Im Art. 1 Abs. 4 RL 93/104/EG wird die Wesensart dieser Arbeitszeitrichtlinie als Richtlinie der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes hervorgehoben. Deshalb wird ungeachtet spezifischer Vorgaben die ganzheitliche Anwendung der 89/391/EWG innerhalb der vorliegenden 93/104/EG festgelegt. So gesehen dient sie der tiefgründigen Formgestaltung der allgemeinen Grundsätze der 89/391/EWG. Im Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie werden einige relevante Schlüsselworte wie Arbeitszeit definiert. Mindestruhezeiten und sonstige Gesichtspunkte der Arbeitszeitgestaltung sind im zweiten Abschnitt hinterlegt. So wird in Art. 2 Nr. 2 RL 93/104/EG von einer außerhalb der Arbeitszeit liegenden ununterbrochenen elfstündigen Mindestruhezeit pro 24 Stunden verwiesen. Aus dieser Ruhezeit resultierend ergibt sich die Festsetzung der maximalen Tagesarbeitszeit auf 13 Stunden inklusive der gesetzlichen Pausen. Dem Arbeitnehmer ist nach Art. 4 RL 93/104/EG bei einer mehr als 6-stündigen Arbeitszeit eine Pause einzuräumen, deren Ausgestaltung den jeweiligen Tarifparteien, bzw. dem staatlichen Gesetzgeber obliegt. Der bei den Mitgliedsstaaten umstrittene Art. 6 limitiert die wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden und verlangt eine gesetzliche oder tarifliche Definition, wobei in Art. 18 Abs.1b), i) RL 93/104/EG unter bestimmten Rahmenbedingungen die Anwendung staatlicherseits negiert werden kann. Außerdem ist dem Arbeitnehmer nach Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie ein Mindesturlaub von 4 Wochen im Jahr einzuräumen, der nur im Fall einer Kündigung oder Vertragsbeendigung finanziell abgegolten werden darf. Präzise Gesetzmäßigkeiten zur Nacht- und Schichtarbeit sind im 3. Abschnitt (Art.12) der RL 93/104/EG beschrieben. Nach dessen Wortlaut heißt es „ Die von den Mitgliedsstaaten nach Art. 12 Nr. 1 RL 93/104/EG zu treffenden Maßnahmen sollen bereits nach dem Wortlaut der Norm einen Schutz der Nacht- und Schichtarbeiter zur Folge haben, der sich auf diejenigen Arbeitsbedingungen bezieht, unter denen die Beschäftigten ihre Tätigkeit verrichten. Damit knüpft der Begriff „Art der Arbeit“ an diejenigen Gefährdungen an, die der verrichteten Tätigkeit innewohnen“ (Habich, 2004, S.79). Bei Gefährdungen aus der „ Art der Arbeit“ handelt es sich zum einen um solche, die sich aus der Dauer und Lage der Nacht-und Schichtarbeit ergeben und eng mit der Störung des Biorhythmus verbunden sind, andererseits um sogenannte zusätzliche gesundheitsgefährdende Faktoren, die als Mehrfachbelastung einen „Verstärker“ darstellen können. Mögliche Abweichungen von den konkret und vorwiegend eindeutig beschriebenen Vorschriften der ersten drei Abschnitte finden sich im 4. Abschnitt (Art. 14-19) der 93/104/EG wieder. So wird in Art. 14 der Vorrang gesonderter gemeinschaftlicher Vorschriften spezieller Berufsgruppen hervorgehoben. In den folgenden Art. 16-19 sind ebenfalls zahlreiche Ausnahmeregelungen zur Höchstarbeitszeit, Ruhezeit und der Nachtarbeitszeitdauer zu finden. Unter Kenntnisnahme der allgemeinen Grundsätze zum Schutze der Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers wird den Mitgliedsstaaten das Abweichen von Art.3, 4, 5, 6, 8 und 16 zugebilligt. Dies ist zutreffend, wenn die Arbeitszeit wegen der individuellen Tätigkeitsmerkmale nicht vorausbestimmt oder gemessen werden kann. Schaffen die Mitgliedsstatten, bzw. Sozialpartner adäquate Rahmenbedingungen für Ruhezeiten und den Arbeitsschutz besonderer Berufsgruppen, so sind nach Art. 17 Abs. 2 RL 93/104/EG ebenfalls Abweichungen zulässig (Habich, 2004). Wenn auch nicht das pflegerische Personal betreffend, soll an dieser Stelle ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahre 2003 angeführt werden, indem der Bereitschaftsdienst des ärztlichen Personals entgegen der bisherigen Vorgehensweise als Arbeitszeit anzurechnen ist. Mit dieser Entscheidung schloss der EuGH eine Lücke in der „ grauen Zone“ des ArbZG (Luecke-Markus, 2008). An diesem Beispiel wird deutlich, wie komplex und schwierig sich die Anpassung europäischen Rechts an die jeweiligen nationalen Erfordernisse gestaltet kann. Trotzdem bleibt es das primäre Ziel der europäischen Gesetzgebung einer breitgefächerten Harmonisierung in den nationalen Umsetzungsprozessen gerecht zu werden (Habich, 2004).

3.3.2 Deutsches Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und Arbeitszeitgesetz (ArbZG)

Wie im vorherigen Absatz angeführt sollen und müssen die europäischen Richtlinien 93/104/EG und 89/391/EWG in nationales Recht umgesetzt werden. Das seit 21.08.1996 gültige Arbeitsschutzgesetz sowie das Arbeitszeitgesetz stellen die entsprechende nationale Rechtsgrundlage dar (Habich, 2004). Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass die vom Europäischen Gerichtshof verabschiedeten Gesetze für jeden Europäer gelten, genau wie das Arbeitsschutzgesetz und das Arbeitszeitgesetz für jeden in Deutschland tätigen Arbeitnehmer. Die größten Spielräume im Rahmen dieser Gesetze entstehen durch Tarifverträge zwischen den entsprechenden Tarifparteien oder die zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarungen (Luecke-Markus 2008). Mit der Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes beabsichtigt der Gesetzgeber bessere Bedingungen für flexible Arbeitszeiten, die Wahrung von freien Sonn- und Feiertagen sowie die Arbeitnehmersicherheit und den Gesundheitsschutz zu garantieren. Das Arbeitsschutzgesetz ist in der Formulierung an die RL 89/391/EWG angelehnt und verankert generelle Vorgaben und Pflichten des Arbeitgebers zum Arbeitsschutz. Damit seitens des Arbeitgebers erforderliche Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ist dieser nach § 5 Abs. 1 ArbSchG zur Beurteilung der Gefährdung, sowie nach § 6 ArbSchG zur deren Dokumentation verpflichtet (Habich, 2004). Nach § 2 Abs. 3, 4 des ArbZG gilt die Zeit von 23.00-6.00 Uhr als Nachtarbeit, wenn die Dienstzeit mindestens 2 Stunden beträgt. In § 6 Abs. 2 ist festgelegt, dass innerhalb von 24 Stunden die Gesamtarbeitszeit von 8 Stunden nicht überschritten werden darf. In Ausnahmefällen ist die Erweiterung für einen begrenzten Zeitraum auf 10 Stunden möglich, wenn durch einen Ausgleich innerhalb eines Kalendermonats, bzw. 4 Wochen eine durchschnittliche Arbeitszeit von 8 Stunden täglich erreicht wird. Alle 3 Jahre und über dem 50 Lebensjahr jährlich steht jedem Arbeitnehmer, der in Nachtschicht arbeitet, eine unentgeltliche arbeitsmedizinische Untersuchung zu. Sollte bei einer arbeitsmedizinischen Untersuchung eine Gefährdung der Arbeitnehmergesundheit diagnostiziert werden oder kann der Beschäftigte aus Gründen familiärer Verpflichtungen keinen Nachtdienst mehr verrichten, steht ihm nach § 6 Abs. 3 das Recht auf einen Tagesarbeitsplatz zu. Für die im Nachdienst geleisteten Stunden sind vom Arbeitgeber eine akzeptable Anzahl freier Arbeitstage und ein Zuschlag auf das zustehende Gehalt zu gewähren (www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/arbzg/gesamt.pdf).

3.4 Arbeitszeitmodelle

Da sich im Gesundheitsbereich die starr geregelten Schichtsysteme ohne die Möglichkeit einer Modifizierung kaum noch durchsetzen lassen, zeichnet sich eine Neigung zu den Arbeitszeitmodellen ab. In der heutigen Zeit ist bei Angestellten einer Klinik die generelle Beschäftigung im Dreischichtsystem als kaum zweckmäßig anzusehen, selbst wenn sie der gleichen Berufsklientel angehören. Um plötzlich eintretende Zwischenfälle erwidern zu können, sollten die Lage und Dauer der Arbeitszeit im entsprechenden Modell angepasst sein. Pauschal eingeteilt werden kann nach kollektiven und individuellen Arbeitszeitmodellen. Vereinbarungen zwischen einem Mitarbeiter und dem Arbeitgeber gelten als individuelle Variante, ein Konsens unter Einbeziehung aller Mitarbeiter einer Abteilung oder des gesamten Unternehmens kann als kollektives Modell definiert werden. Letztere bedürfen in der Regel einer häufigeren Einbeziehung des Betriebs- oder Personalrates und werden nicht selten in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung fixiert.

Individuelle Arbeitszeitmodelle

a. Teilzeitbeschäftigung

- flexible Form der Arbeitszeitgestaltung
- wöchentliche Arbeitszeit liegt unter der eines vergleichbar vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz)
- Teilzeit ist eine einzelvertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
- für den Umfang des Stundensatzes gibt es keinerlei Begrenzung
- Arbeitnehmer bestimmt nicht wann er die vereinbarten Stunden arbeitet

b. Job-Sharing

- Aufteilung eines oder mehrerer Arbeitsplätze auf mehrere Beschäftigte
- auch auf Führungsebene praktizierbar
- Vorteile aus Sicht des Arbeitgebers sind die Steigerung der Produktivität und Leistungsbereitschaft
- Arbeitsbelastung wird auf mehrere Schultern verteilt und somit unter anderem die Zeit der Erholungspausen reduziert
- Voraussetzung ist eine sehr gute Koordination
- Betriebsrat hat bei Einführung des Modells Mitspracherecht

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2010
ISBN (PDF)
9783863418786
ISBN (Paperback)
9783863413781
Dateigröße
2.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Magdeburg
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
2,7
Schlagworte
Wechselschicht Nachtdienst Schichtarbeit Anästhesie Intensivmedizin Pflegekraft Morbiditätsgeschehen
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Karsten Klemz arbeitete nach einem dreijährigen Staatsexamen ‚Krankenpflege’ in verschiedenen Kliniken in Deutschland, fast immer auf Intensivstationen. Seine 20-jährige pflegerische Tätigkeit war gekennzeichnet durch eine stetige persönliche und fachliche Weiterentwicklung. Stets angetrieben von dem Willen für ihn und vor allem für die Menschen, die er pflegte, Neues dazuzulernen, absolvierte er viele Kurse und Weiterbildungen. Auf den verschiedensten Intensivabteilungen konnte er sein praktisches Know-how ständig erweitern. Da auch andere von seinem Gelernten profitieren sollten, arbeitete er lange als nebenberuflicher Pflegedozent. Durch sein 2010 absolviertes Studium in ‘Angewandten Gesundheitswissenschaften’ lernte der Autor über den Tellerrand zu schauen und Fachliches zu hinterfragen. Die Wahl des Themas seiner Bachelorarbeit fiel auf eine Problematik, die der Autor nur zu gut aus seinem Berufsalltag kannte. Unzählige Spät- und Nachtdienste hatte er absolviert und er erinnerte sich gut an die Probleme, die damit verbunden waren. Damit war in ihm der Wunsch geweckt, dieses Thema wissenschaftlich zu bearbeiten. Zudem wollte er die Möglichkeit nutzen die Ergebnisse seiner Arbeit anderen Interessierten zugänglich zu machen.
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