Harmonisierung der Rechnungslegung: Der Lösungsansatz der informationsorientierten Kapitalerhaltung
Zusammenfassung
Letztlich ist nach Meinung der Autorin jedoch eine Lösung anzustreben, die sowohl den Investoren als auch den Gläubigern - oder besser zugleich der Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen und der Einhaltung der Kapitalerhaltung - gerecht wird. Denn nur auf diese Weise können kapitalmarktorientierte Unternehmen von der Belastung durch die Aufstellung zweier Jahresabschlüsse, denen unterschiedliche Vorschriften (HGB und IFRS) zugrunde liegen, befreit werden. Zurzeit müssen diese Unternehmen in Deutschland einen Einzelabschluss nach HGB und den Konzernabschluss nach IFRS aufstellen. Die vorliegende Arbeit wird die Wichtigkeit der Integration der Informationsorientierung und der Kapitalerhaltung in einem einzigen Jahresabschluss darlegen, Lösungsvorschläge aufzeigen und die präferierte Lösung der informationsorientierten Kapitalerhaltung genauer betrachten.
Das Konzept der informationsorientierten Kapitalerhaltung hat einen Kompromiss der Informationsfunktion und der Kapitalerhaltung zum Ziel. Möglich wird dieser, indem im Vermögensausweis verstärkt der Informationsfunktion Rechnung getragen wird und der Gewinnausweis den unter Kapitalerhaltungsgesichtspunkten ermittelten ausschüttungsfähigen Gewinn dokumentiert. Zwingendermaßen muss dadurch der strenge Gewinnzusammenhang zwischen Bilanz und GuV aufgegeben werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2. Grundlagen des Jahresabschlusses
2.1 Funktionen des Jahresabschlusses
Der Jahresabschluss soll den Interessen der Jahresabschlussadressaten (siehe Kapitel 2.2 Jahresabschlussadressaten) dienen, aufgrund derer sich seine drei Hauptaufgaben ableiten lassen:
- Dokumentationsfunktion
- Informationsfunktion
- Erfolgsermittlungs- und Zahlungsbemessungsfunktion[1]
a) Dokumentationsfunktion:
Der Jahresabschluss wird auf Basis der Buchführung erstellt. Diese sorgt dafür, dass alle Geschäftsvorfälle entsprechend der gesetzlichen Vorgaben chronologisch, systematisch und lückenlos aufgezeichnet werden. Geschäftsvorfälle beinhalten wirtschaftlich bedeutsame Vorgänge, welche zur Veränderung von Vermögen oder Schulden führen, wie z. B. Güterbewegungen oder Zahlungsvorgänge.[2] Die erste Funktion des Jahresabschlusses ist die Dokumentation sämtlicher Geschäftsvorfälle der abgelaufenen Abrechnungsperiode. Dadurch sind alle wirtschaftlichen Aktivitäten des Vorstandes kontrollierbar und er kann indirekt dahingehend beurteilt werden, ob er das Unternehmen gut oder schlecht geführt hat. Diese Funktion des Jahresabschlusses trägt ebenfalls zum Schutz vor Manipulation durch nachträgliche Änderungen bei.[3]
b) Informationsfunktion:
Ferner soll der Jahresabschluss seine Adressaten über den Verlauf des Geschäftsjahres informieren. Er erfüllt somit die Funktion der Selbstinformation der eigenen Geschäftsleitung sowie die Funktion der Information außenstehender Dritter im Rahmen der externen Rechenschaftslegung. Diese Funktion ist aufgrund der Schutzbedürftigkeit verschiedener (externer) Unternehmensinteressenten von Bedeutung. Dazu gehören die Anteilseigner, Gläubiger, Arbeitnehmer des Unternehmens als interne Adressaten, der Staat sowie die allgemeine Öffentlichkeit insbesondere bei Unternehmen mit besonderer wirtschaftlicher Bedeutung. Der Jahresabschluss unterrichtet seine Adressaten über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. Dabei gibt die Bilanz Auskunft über die Zusammensetzung des Unternehmensvermögens und die Herkunft des Kapitals.[4] Der Jahresabschluss muss im Rahmen der Informationsfunktion so aufgestellt werden, dass ein sachverständiger Dritter sich „ein Bild über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens“[5] verschaffen kann. Dadurch soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, interessenswahrende Entscheidungen zu treffen, z. B. Entscheidungen über den Erwerb von Unternehmensanteilen.[6]
c) Erfolgsermittlungs- und Zahlungsbemessungsfunktion:
Des Weiteren soll mit dem Jahresabschluss der Erfolg eines Unternehmens periodisch ermittelt werden. Dazu stellt die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) Aufwendungen und Erträge gegenüber, wodurch sich der Gewinn oder auch der Verlust eines Geschäftsjahres bestimmen lässt. Durch die Feststellung des tatsächlich erwirtschafteten Gewinns ist eine Kontrolle der Leistungsfähigkeit des Unternehmens möglich. Nach dem Handelsgesetzbuch stellt dieser Gewinn den maximal ausschüttungsfähigen Betrag dar. Er dient daher als Grundlage zur Bemessung ergebnisabhängiger Einkommenszahlungen wie Dividenden- und Erfolgsbeteiligungen. An dieser Stelle kommt die kontroverse Frage auf, wie viel Spielraum dem Unternehmen bei der Ermittlung der Gewinnhöhe gelassen wird. Hierbei handelt es sich um das Thema Bilanzpolitik, welches, wie im Kapitel 3.1 erläutert, vor allem im Handelsrecht besonders umstritten ist. Die Gewinnverteilung an die Anteilseigner wird also auf Basis des Gewinns im Jahresabschluss vorgenommen. Darüber hinaus dient der Einzelabschluss nach HGB aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips für die Steuerbilanz als Grundlage für die Ertragsbesteuerung des Unternehmens.[7]
Die Funktionen des Jahresabschlusses nehmen im HGB und in den IFRS eine unterschiedlich ausgeprägte Rolle ein, wie aus der folgenden Abbildung ersichtlich wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.1: Die Bedeutung der Rechnungslegungsfunktionen im HGB und in den IFRS
Quelle: In Anlehnung an Althoff, Frank (2012): Einführung in die internationale Rechnungslegung: Die einzelnen IAS/IFRS, Wiesbaden, S. 24.
2.2 Jahresabschlussadressaten
Die Bilanzierungsziele und der Bilanzierungszweck der verschiedenen Rechnungslegungskonzeptionen hängen maßgeblich von den Adressaten des Jahresabschlusses ab. Daher werden sie an dieser Stelle genau identifiziert und auch deren Interessen sollen dargestellt werden.
Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt erläutert, werden im Jahresabschluss die Geschäftsvorfälle festgehalten. Diese resultieren meist aus Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten, Kunden, Kreditinstituten, Arbeitnehmern und dem Staat. Diese Gruppen bilden zugleich einen Teil des Kreises der Jahresabschlussadressaten.[8]
Allgemein werden zwei Hauptgruppen von Jahresabschlussadressaten unterschieden: Die internen und die externen Jahresabschlussadressaten.[9]
a) Interne Jahresabschlussadressaten
Manager haben zwei verschiedene Ansprüche an den Jahresabschluss. Oftmals ist ein erheblicher Anteil ihres Gehaltes abhängig von ihrer Leistung und dem Unternehmenserfolg, die meist am Gewinn des Unternehmens gemessen werden. Daher liegt ein möglichst hoher Ausweis des Gewinnes in ihrem Interesse, um ihr eigenes Gehalt durch hohe Bonuszahlungen und Tantiemen zu maximieren.[10]
Zum anderen dient der Jahresabschluss der Geschäftsführung zur Selbstinformation. Neben der internen Rechnungslegung gilt er als Grundlage für unternehmerische Entscheidungen.
Die Arbeitnehmer sind ebenfalls interne Adressaten des Jahresabschlusses. Sie können daraus Rückschlüsse auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes ziehen.[11] Ferner interessiert sie ihre Karrierechancen sowie die Möglichkeit von Gehaltserhöhungen. Ein gut florierendes Unternehmen mit einer konstant hohen Ertragskraft würde daher ihren Erwartungen entsprechen. Darüber hinaus gehören sie zu der Gruppe der Gläubiger, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird.[12]
b) Externe Jahresabschlussadressaten
Zu den externen Bilanzadressaten werden alle Personen und Institutionen gezählt, „deren wirtschaftliche Lage durch die Entscheidungen der Unternehmensleitung beeinflusst werden kann“.[13]
Die erste Gruppe von externen Jahresabschlussadressaten sind Gläubiger. Diese werden wiederum in Kreditgeber wie beispielsweise Kreditinstitute (Banken) und Leistungsgläubiger wie Lieferanten und Arbeitnehmer [vgl. a) interne Jahresabschlussadressaten], die ihre Zahlungen erst einige Zeit nach ihrer Leistungserbringung erhalten, unterteilt.[14]
Kreditgläubiger erwarten in erster Linie, dass die vertraglich vereinbarten Zins- und Tilgungszahlungen termingerecht getätigt werden. Für sie ist es daher wichtig, dass der Jahresabschluss ausreichende Informationen über die Kreditwürdigkeit sowie die künftige Liquiditätssituation seines Schuldners zulässt.[15]
Lieferanten sind ebenfalls an der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens interessiert. Ferner ist ihr Ziel oftmals eine langjährige Geschäftsbeziehung mit dem bilanzierenden Unternehmen, weshalb für sie insbesondere das Fortbestehen des Geschäftspartners von Bedeutung ist. Um den Lieferanten diese Sicherheit zu geben, wäre ein Ausweis, der eine solide Finanz- und Ertragslage vermittelt, von Vorteil.[16]
Allgemein wird allen Gläubigern das Interesse an der Erhaltung der Haftungssubstanz, die im Falle der Insolvenz für die Bedienung ihrer Zahlungsansprüche zur Verfügung steht, zugeschrieben. Je mehr liquide Mittel aufgrund von Gewinnausschüttungen an die Anteilseigner bzw. aufgrund von Ertragssteuerzahlungen an das Finanzamt das Unternehmen verlassen, desto stärker wird die Haftungssubstanz reduziert. Der deutsche Gesetzgeber trägt durch die Ausschüttungsbegrenzung zum Gläubigerschutz bei. Durch eine vorsichtige Bilanzierung werden Gewinne möglichst niedrig ausgewiesen, wodurch der Liquiditätsentzug aus dem Unternehmen durch Ausschüttungen und Steuerzahlungen ebenfalls niedrig ist. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen für Gläubigerforderungen zahlungsfähig ist.[17]
Zu den Anteilseignern zählen meist die Aktionäre eines Unternehmens. Diese verfolgen das Ziel, mit den Aktien
1. hohe Dividendenzahlungen im Moment und
2. große Kurssteigerungen ihrer Aktien in der Zukunft
zu erreichen, um dadurch ihre Gesamtrendite auf die Investition in das Unternehmen zu maximieren. Ihnen bieten die vergangenen Jahresabschlüsse, welche unter anderem die bisherige Ertragsentwicklung aufzeigen, die Möglichkeit, die zukünftige Ertragsentwicklung einzuschätzen. Ihr Wunsch ist eine möglichst aussagekräftige Bilanz, um das Unternehmen richtig beurteilen zu können. Insbesondere Kleinaktionäre mit kurzfristigen Investitionsinteressen hoffen verstärkt auf hohe Dividendenausschüttungen, die aus hohen Gewinnen resultieren.[18] Währenddessen sind Großaktionäre weniger auf die Dividende angewiesen, sondern verdienen vor allem durch Kurssteigerungen. Hohe Gewinnausweise sind für sie steuerlich von Nachteil.[19]
Auch der Staat hegt im Rahmen des Einzelabschlusses ein Interesse am Jahresabschluss. Dabei ist genau genommen die Finanzverwaltung gemeint, welche an einer richtigen Gewinnermittlung des Unternehmens interessiert ist. Der Gewinn stellt die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der gewinnabhängigen Steuern dar. Dem Finanzamt ist es besonders wichtig, dass der Gewinn der richtigen Periode zugewiesen wird und tendenziell besser zu hoch als zu niedrig ausfällt, weil es durch die dadurch ausgelösten Steuerzahlungen profitiert. Dem gegenüber steht das Interesse des bilanzierenden Unternehmens, welches eher auf niedrige Steuerzahlungen bedacht ist und evtl. versucht, Gewinne in spätere Geschäftsjahre zu verschieben.[20]
Ebenso möchte der Staat Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage von Unternehmen ziehen, um seine zukünftigen Einnahmen zu planen und ferner seine Industriepolitik in Form von beispielsweise Wirtschaftsförderung ableiten zu können.
Darüber hinaus tritt der Staat teilweise auch als Vertragspartner mit Unternehmen auf. Dann schlüpft er in die Rolle des Kunden.[21]
Je mehr wirtschaftliche Bedeutung ein Unternehmen innehat, desto stärker rückt es auch in den Fokus der Öffentlichkeit. Besonders große Unternehmen nehmen eine wichtige Rolle innerhalb der Gemeinde und der Region ein. Sie bieten insbesondere Arbeitsplätze und machen den Standort attraktiv für weitere Unternehmen, so dass die Gemeinde verstärkt für den Ausbau der Infrastruktur bereit ist. Des Weiteren profitiert die Gemeinde vom Unternehmen durch die eingehenden Gewerbesteuerzahlungen. Daher sollte das Unternehmen sich mit seinem Jahresabschluss möglichst als erfolgreich und expansiv präsentieren.[22]
Weitere Bilanzadressaten sind Kunden und Wettbewerber.
Kunden haben ähnlich wie die Lieferanten ein Interesse an einer langfristigen Beziehung zum Geschäftspartner und erwarten daher, dass dieser solide aufgestellt ist.
Die Wettbewerber möchten möglichst viele Informationen aus dem Jahresabschluss ziehen, um diese zu ihrem eigenen Vorteil nutzen zu können. Dies steht ganz im Gegensatz zum Interesse des bilanzierenden Unternehmens. Insbesondere wenn der Jahresabschluss eine hohe Ertragskraft signalisiert, werden neue Konkurrenten angelockt, welche ebenfalls auf ein erfolgreiches Geschäft hoffen.[23]
2.3 Grundlegende Unterschiede zwischen HGB und IFRS
2.3.1 Bilanzierungsziele und -zwecke
Das Handelsgesetzbuch (HGB) und die International Financial Reporting Standards (IFRS) greifen auf zwei verschiedene Rechnungslegungsphilosophien zurück. Wie bereits erwähnt, orientieren diese sich an den unterschiedlichen Interessen der Jahresabschlussadressaten. Als zentrale Gruppen haben sich die Anteilseigner und die Fremdkapitalgeber herausgestellt:[24]
Das HGB wird dem kontinentaleuropäischen System zugeordnet, welches durch umfangreiche gesetzliche Vorgaben gekennzeichnet ist. Dadurch wird eine Kontinuität in der Rechnungslegung erreicht. Nachteil jedoch ist die zeitliche Verzögerung bei neuen Anforderungen, da zunächst ein Gesetz erlassen werden muss. Durch die gesetzliche Verankerung sollen vor allem der Gläubigerschutz und die Erhaltung des Unternehmenskapitals gewährleistet werden. Aus den Funktionen des Jahresabschlusses treten deswegen insbesondere die Bemessung der Ausschüttung an die Anteilseigner und die steuerliche Gewinnermittlung in den Vordergrund. Sie stellen nämlich einen Abzug von Kapital aus dem Unternehmen dar. Folglich nehmen steuerliche Aspekte bei der Bilanzierung nach dem kontinentaleuropäischen System eine wichtige Rolle ein.[25]
Dass der Fremdkapitalgeber im deutschen Recht in den Vordergrund rückt, wird aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen in Deutschland plausibel. Traditionell beschaffen deutsche Unternehmen selten ihr Kapital über den organisierten Eigenkapitalmarkt, so dass die Eigentümer der Firmen meist selbst als Geschäftsführer oder in leitender Position der Unternehmen auftreten. Da diese dadurch über genügend interne Informationen verfügen, ist der Jahresabschluss nicht deren Hauptinformationsquelle. Somit kann die externe Rechnungslegung verstärkt auf andere Adressaten wie den Gläubigern ausgerichtet werden.
Für die Gläubiger ist, wie in Kapitel 2.2 bereits erwähnt, das Kreditausfallrisiko besonders wichtig. Um diesem Anliegen zu folgen, muss ein Jahresabschluss Werte offen legen, welche Verlustpotentiale in voller Höhe und Gewinnpotentiale nur in begrenzter Höhe berücksichtigen. Diese Vorgehensweise entspricht dem Prinzip der Vorsicht (siehe Kapitel 5.1.1 Das Vorsichtsprinzip), also Vermögen tendenziell niedrig und Schulden hoch zu bewerten. Es entsteht eine verzerrte Bilanzierung.[26]
Die IFRS folgen der anglo-amerikanischen Rechnungslegungsphilosophie. Diese war ursprünglich in Großbritannien und den USA verbreitet. Die anglo-amerikanische Rechnungslegung regelt Detailfragen in Form von Einzelentscheidungen durch berufsständige Gremien wie z. B. die Börsenaufsicht, Wirtschaftsprüfer und Fachverbände. Hauptadressaten sind nicht wie im HGB die Gläubiger, sondern die Investoren. Ihr Interesse liegt vor allem in der Bereitstellung von entscheidungsrelevanten Informationen, um dadurch eine bessere Entscheidung in Bezug auf ihre Finanzanlagen treffen zu können. Möglichst realistische Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sollen durch hohe Verlässlichkeit, Transparenz und Vergleichbarkeit der Unternehmensabschlüsse generiert werden.[27] Vertreter der IFRS gingen ursprünglich davon aus, dass durch die Vermittlung entscheidungsrelevanter Informationen für Investoren auch die Informationsbedürfnisse anderer Jahresabschlussadressaten ausreichend berücksichtigt würden.[28] Eine Steuerbemessung hat dieser Abschluss nicht zum Ziel. Diese wird separat vorgenommen.
Den Fokus auf den Eigenkapitalgeber als Jahresabschlussadressat zu legen, ist ebenfalls in der Tradition begründet. Im anglo-amerikanischen Raum beziehen Unternehmen in der Regel ihr Eigenkapital über organisierte Märkte. Die Aktionäre verfügen jedoch nicht über die internen Informationsquellen eines Unternehmens und sind daher für ihre Entscheidungsfindung auf den Jahresabschluss angewiesen. Die Eigenkapitalgeber tragen das finanzielle Risiko des Unternehmens und entscheiden aus diesem Grund über dessen Geschäftspolitik mit.
Für Eigenkapitalgeber ist die Chance unbegrenzt, während das Verlustrisiko entweder auf die Einlage bei beschränkter Haftung oder andernfalls auf das Privatvermögen begrenzt ist. Daher richtet sich ihr Informationsbedarf verstärkt auf die Chancen im Unternehmen.[29]
In jüngster Zeit ist eine Entwicklung der IFRS dahingehend zu beobachten, dass neben den Investoren zukünftig die Gläubiger und Kreditgeber mit in den Fokus der Abschlüsse einbezogen werden (siehe Kapitel 2.3.2 Prinzipien der Rechnungslegung).
2.3.2 Prinzipien der Rechnungslegung
Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) stellen die Prinzipien des HGB dar. Sie sind maßgebliche Regeln zur Führung von Handelsbüchern und zur Erstellung des Jahresabschlusses und sollen die Verzerrung und Verfälschung in der Buchführung verhindern. Sie dienen insbesondere der Auffüllung von gesetzlichen Regelungslücken. Aufgrund der GoB soll das Informationsinteresse bestimmter Jahresabschlussadressaten gewahrt werden. Einige der GoB sind im Gesetz, dem HGB, festgehalten. Andere blieben nichtkodifiziert.[30]
In diesem Buch werden ausschließlich die kodifizierten GoB angesprochen, da nur über diese Regeln eindeutige Aussagen getroffen werden können.
Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit
(§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 243 Abs. 2 HGB):
Der Jahresabschluss muss einem sachverständigen Dritten die Möglichkeit geben, sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes ein Bild über die Geschäftsvorfälle und die Lage des Unternehmens zu machen. Dazu muss dieser klar und übersichtlich sein.
Saldierungsverbot (§ 246 Abs. 2 HGB):
Die Verrechnung von Aktivposten der Bilanz mit Passivposten und Aufwendungen der GuV mit Erträgen der GuV ist nicht gestattet.
Grundsatz der Einzelbewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB):
Die Vermögensgegenstände und Schulden sind zum Bilanzstichtag einzeln zu erfassen und zu bewerten.
Grundsatz der Richtigkeit und Willkürfreiheit (§ 239 Abs. 2 HGB):
Der Jahresabschluss wird aus Aufzeichnungen abgeleitet, welche richtig und geordnet vorgenommen werden. Über das Gesetz hinaus verlangt dieser Grundsatz, dass die Posten den Tatbeständen entsprechend bezeichnet sein müssen und solche Werte anzusetzen sind, die am wahrscheinlichsten zutreffen. Eine Bilanzmanipulation ist verboten.
Grundsatz der Vollständigkeit (§ 239 Abs. 2 HGB und § 246 Abs. 1 HGB):
Der Vollständigkeitsgrundsatz schreibt vor, alle buchungspflichtigen Vorfälle im Jahresabschluss zu erfassen. Hierzu zählen sämtliche Vermögensänderungen. Zur Vollständigkeit muss ein Jahresabschluss die Posten Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge enthalten.
Grundsatz der Bilanzidentität (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB):
Die Schlussbilanz eines Wirtschaftsjahres muss mit der Eröffnungsbilanz des Folgejahres hinsichtlich der Werte der Bilanzposten identisch sein.
Grundsatz der Vorsicht (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB):
Nach dem Vorbild des ordentlichen Kaufmannes soll sich das Unternehmen nicht reicher rechnen, als es ist. Es soll vorsichtig bewerten, also bei Unsicherheit soll eine eher pessimistische Bewertung vorgenommen werden.
Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB):
Nur realisierte Gewinne dürfen zum Bilanzstichtag ausgewiesen werden.
Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB):
Gemäß dem Imparitätsprinzip sind vorhersehbare Verluste anders zu behandeln als künftige Gewinne. Verluste müssen, sobald sie mit ausreichender Sicherheit bekannt sind, ergebniswirksam im Jahresabschluss erfasst werden.
Grundsatz der Periodenabgrenzung (§ 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB):
Dieser Grundsatz schreibt vor, dass Aufwendungen und Erträge unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung im Jahresabschluss ausgewiesen werden. Sie sind dem Geschäftsjahr zuzuweisen, in dem sie wirtschaftlich verursacht wurden.
Grundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB):
Bei der Bewertung von Vermögensgegenständen und Schulden ist grundsätzlich von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen. Ein Ansatz von Liquidationswerten ist daher untersagt.
Grundsatz der Stetigkeit (§ 246 Abs. 3 HGB und § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB):
Die Gliederung sowie die Gliederungsbegriffe als auch Ansatz- und Bewertungsmethoden des Jahresabschlusses sind beizubehalten und dürfen nicht einfach über die Jahre geändert werden.[31]
Das International Accounting Standards Board (IASB) hat ebenfalls für den Geltungsbereich der IFRS allgemeine Rechnungslegungsgrundsätze aufgestellt. Diese Grundprinzipien dienen dem Ziel, im Rahmen des sogenannten „True and Fair View“ bzw. der „Fair Presentation“ (Vgl. IAS 1.15) entscheidungsnützliche Informationen im Jahresabschluss bereitzustellen (decision usefulness). Dies soll dadurch erreicht werden, dass die wirtschaftliche Lage des Unternehmens entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen dargestellt wird. Entscheidend ist, dass finanzielle Informationen seit Neustem nicht nur auf die Entscheidungsnützlichkeit für Investoren ausgerichtet sind, sondern jetzt auch den bestehenden Gläubigern und Kreditgebern nützlich sein sollen, um adäquate Entscheidungen treffen zu können.[32]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.2: Grundprinzipien der Rechnungslegung nach IFRS
Quelle: In Anlehnung an Bansbach, Florian; Dornbach, Eike; Petersen, Karl (2012): IFRS Praxishandbuch: Ein Leitfaden für die Rechnungslegung mit Fallbeispielen, 7. Aufl., München, S. 8.
Aus diesem Ziel lassen sich zwei Grundannahmen ableiten. Zentrales Merkmal der IFRS-Rechnungslegung ist die periodengerechte Aufwands- und Ertragserfassung. Diesem wird mit der Grundannahme accrual basis ( = Periodenabgrenzung) Rechnung getragen. Jahresabschlüsse, die diesem Prinzip gerecht werden, bilden Geschäftsvorfälle und andere Ereignisse unabhängig von ihrer Zahlungswirksamkeit zum Zeitpunkt ihres wirtschaftlichen Entstehens ab. Dieser Zeitpunkt wird zukünftig gemäß dem Standardentwurf ED/2011/6 „Revenue from Contracts with Costumers“ dann vorliegen, wenn der Kunde die Kontrolle über ein Gut oder eine Dienstleistung erlangt.[33]
Die zweite Grundannahme des going concern entspricht dem Grundsatz der Unternehmensfortführung aus dem HGB. Der Jahresabschluss ist unter der Annahme aufzustellen, dass das Unternehmen weder seine Tätigkeit in den nächsten 12 Monaten einstellen wird, noch den Umfang der Tätigkeiten einschränken wird.[34]
Aus den Grundannahmen werden qualitative Merkmale abgeleitet, die sich in die Primärgrundsätze und Sekundärgrundsätze untergliedern. Primärgrundsätze sind die Relevanz und die glaubwürdige Darstellung.
Mit dem Merkmal der Relevanz soll der Jahresabschluss insbesondere entscheidungsrelevante Informationen für die Bilanzleser offen legen. Damit trägt dieses Merkmal erheblich zur „decision usefulness“ bei. Der Grundsatz wird mit der Anordnung zur Wesentlichkeit ( = materiality) ergänzt. Diese liegt dann vor, wenn eine Auslassung oder eine fehlerhafte Wiedergabe einer Information zu einer veränderten wirtschaftlichen Entscheidung eines Jahresabschlussadressaten führen würde.
Der Primärgrundsatz der glaubwürdigen Darstellung hält den Jahresabschlussaufsteller zu einer vollständigen Darstellung der Rechnungslegung zugrundeliegenden Informationen und Annahmen an, die frei von Manipulationen oder Verzerrung ist. Die glaubwürdige Abbildung der Sachverhalte wird durch deren Vollständigkeit, durch Neutralität, also der Freiheit subjektiver Verzerrungen, und durch die Freiheit von Fehlern gewährleistet. Mit der letzten Überarbeitung des Rahmenkonzeptes wurde also der vormals enthaltene Grundsatz der Verlässlichkeit ( = reliability) durch den Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung ersetzt, wobei das IASB beide Grundsätze im Grunde für identisch hält.[35]
Die Sekundärgrundsätze umfassen die Vergleichbarkeit, die Nachprüfbarkeit, die Zeitnähe und die Verständlichkeit von Jahresabschlüssen. Daher müssen diese sowohl von Jahr zu Jahr untereinander als auch mit Jahresabschlüssen anderer Unternehmen vergleichbar sein. Dazu müssen die Bilanzierungs- und Bewertungsverfahren stetig sein und neben den aktuellen Werten sind verpflichtend die Vorjahreswerte aufzuführen. Ein Jahresabschluss stellt sich als nachprüfbar heraus, wenn verschiedene sachkundige und unabhängige Beobachter eine grundsätzlich übereinstimmende Auffassung darüber haben, dass Sachverhalte angemessen dargestellt werden. Des Weiteren hat die Berichterstattung zeitnah zu erfolgen. Ferner muss ein Jahresabschluss für den fachkundigen und interessierten Bilanzleser nachvollziehbar und innerhalb eines angemessenen Zeitraumes verständlich sein.[36]
Bei der Beachtung all dieser Grundprinzipien darf eine Nebenbedingung nicht außer Acht gelassen werden. Die Kosten zur Bereitstellung von Informationen dürfen nicht den Nutzen der Jahresabschlussadressaten überschreiten.[37]
Das Ergebnis aus den angeführten Prinzipien und Annahmen des IASB ist die Darstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (true and fair view / fair presentation) eines Unternehmens (IAS 1.15).
3. Notwendigkeit zur Entwicklung neuer Rechnungslegungskonzepte
3.1 Defizite bisheriger Rechnungslegungskonzepte
Sowohl das HGB als auch die IFRS bringen Defizite mit, die ihren eigenen Bilanzzielen entgegenstehen.
Das HGB ist in erster Linie aufgrund der Bildung stiller Reserven zu kritisieren. Stille Reserven „sind Teile des Eigenkapitals, die aus der Bilanz nicht ersichtlich sind“[38]. Sie sind die Folge eines niedrigen Vermögensausweises und eines hohen Schuldenausweises, welche im Vorsichtsprinzip begründet sind. Legale stille Reserven haben verschiedene Ursachen:[39]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.1: Ursachen stiller Reserven in der handelsrechtlichen Rechnungslegung
Quelle: In Anlehnung an Baus, Josef (1999): Bilanzpolitik: Internationale Standards - Analyse, 1. Aufl., Berlin, S. 58.
Stille Reserven ermöglichen die Verfälschung des Vermögensausweises und Manipulation. In erfolgreichen Jahren werden stille Reserven gebildet, wodurch die Zahlungsansprüche an Adressaten gedrückt werden können. Denn deren Bildung geht in der Regel mit einem niedrigeren Gewinnausweis einher. In wirtschaftlich schlechteren Jahren können stille Reserven aufgelöst werden, was zu einem besseren Gewinnausweis oder einer Verringerung des Gesamtverlustes führt. Mit Hilfe stiller Reserven kann demzufolge nicht nur die Gewinnentwicklung im Zeitverlauf geglättet werden, sondern die Adressaten werden auch getäuscht. Die bei der Auflösung stiller Reserven realisierten Vermögenszuwächse führen nämlich zu einer günstigeren Darstellung der Vermögens- und Ertragslage. Darin liegt das Manipulationspotential zur Täuschung der Gläubiger und aller anderen Adressaten begründet. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Gläubiger nicht über den Umfang stiller Reserven informiert werden und diese daher auch nicht in die Beurteilung der Kreditwürdigkeit einbringen können.[40]
Das Anschaffungswertprinzip gehört zu den Vorschriften aus dem HGB, die die Bildung stiller Reserven vorschreiben. Das HGB verbietet einen Wertansatz, der über die Anschaffungskosten hinaus geht, auch wenn der Zeitwert darüber liegt. Diese Regel macht nicht immer Sinn, was das folgende Beispiel verdeutlicht: Warum sollten Aktien, die zu einem früheren Zeitpunkt günstiger erworben wurden, niedriger bilanziert werden als gleichwertige mit einem späteren Zugangszeitpunkt? Hätte man die Aktien zum Beispiel sehr zeitnah zum Bilanzierungszeitpunkt beschaffen, so wäre der Wertansatz in der Bilanz gleich dem Zeitwert. In solchen Fällen könnte ein Ausweis über die Anschaffungskosten hinaus sinnvoll sein, wenn man den Substanzverlust durch Abfluss unrealisierter Gewinne durch eine Ausschüttungssperre verhindern würde.[41]
Ein weiterer Kritikpunkt aus dem Bereich des HGBs besteht in den umfangreichen Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten. Wahlrechte machen dann Sinn, wenn das Unternehmen sie nutzt, um entsprechend seinen individuellen Verhältnissen die besten Informationen für Adressaten bereitzustellen. Tatsächlich werden sie von Unternehmen meist zur Bilanzpolitik eingesetzt. Unter Bilanzpolitik versteht man die zielgerichtete Gestaltung des Jahresabschlusses durch die Unternehmensleitung im Rahmen der Möglichkeiten mit dem Ziel, die Bilanzadressaten möglichst positiv für das Unternehmen zu beeinflussen.[42] Somit können Unternehmen Wahlrechte zur Bildung stiller Reserven in erfolgreichen Geschäftsjahren nutzen, um dadurch die Zahlungsansprüche der Adressaten zu drücken. In einem wirtschaftlich schlechteren Geschäftsjahr führt deren Auflösung dann zu Gewinnen, die ohne deren Bildung gar nicht möglich wären.
Generell stellt sich die Frage, warum gleiche Sachverhalte unterschiedlich bilanziert werden dürfen. Eine solche bewusste Bilanzpolitik ist im IFRS untersagt. Stattdessen ist bei mehreren Bilanzierungsalternativen diejenige zwingend vorgeschrieben, die zur besten Information der Adressaten führt.[43]
Die IFRS weisen zwei gravierende Defizite auf. Mit dem ersten Defizit sind die Nachteile der Fair Value-Bewertung gemeint. Der Fair Value, auch beizulegender Zeitwert genannt, stellt den aktuellen Wert am Bilanzstichtag dar, welcher bei einem Verkauf an einen sachverständigen, vertragswilligen und unabhängigen Geschäftspartner erzielt werden könnte (Vgl. IAS 32.11). Ein Ansatz zum Fair Value berücksichtigt sowohl Wertminderungen als auch Wertmehrungen über den Anschaffungswert hinaus. Die Bilanzwerte werden immer sofort den veränderten Marktverhältnissen angepasst, auch wenn diese nicht von Dauer sind. Daraus folgen stets entsprechende Auf- und Abwertungen. Ergebnis des Fair Value ist eine immanente Ergebnis- und Ausweisvolatilität, welche die Grundstimmung der Gesamtwirtschaft beeinflussen kann. In wirtschaftlich erfolgreichen Jahren wird die positive Stimmung durch Vermögenszuwächse, die alleine auf der Veränderung des Fair Value beruhen, verstärkt. Umgekehrtes passiert in Krisenzeiten. Deswegen ist der Fair Value in den letzten Jahren stark in Kritik geraten. Es wird ihm vorgeworfen, dass er zu beschleunigten und intensiveren Konjunkturausschlägen führt.[44]
Weiterer Kritikpunkt der IFRS ist die Tatsache, dass ein entsprechender Jahresabschluss nicht für Ausschüttungszwecke geeignet ist. Die IFRS lassen den Ausweis unrealisierter Gewinne an einigen Stellen zu, wodurch das vermeintliche Ausschüttungspotential erhöht wird. Es kommt bei deren Ausschüttung zum Substanzverlust und dadurch zur Erhöhung des Insolvenzrisikos. Die Ausschüttung unrealisierter Gewinne ist einer Herabsetzung des Gläubigerschutzes gleichbedeutend.[45] Bei einer Ausschüttung auf Grundlage des IFRS-Abschlusses besteht die Gefahr der Ausschüttung von „Scheingewinnen“. Oftmals gehen diese Gewinne auf das zuvor diskutierte Thema der Fair Value-Bewertung zurück.[46]
3.2 Gründe zur Standardisierung / Harmonisierung der Rechnungslegung
Generell ist seit einigen Jahren der Trend zur Internationalisierung von Unternehmenstätigkeiten zu erkennen. Dieser Trend trifft nicht nur auf die großen und börsennotierten Unternehmen zu, sondern auch immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen ziehen nach. Schon mit dem Import und Export von Gütern beginnt die internationale Ausrichtung eines Unternehmens. Man bedenke, dass Kunden und Lieferanten ebenfalls zu den Jahresabschlussadressaten gehören. Hat ein Unternehmen seinen Fuß auf internationales Terrain gesetzt, so ist es auch sinnvoll, dass der Jahresabschluss für alle Stakeholder verständlich ist. Gerade bei langfristigen Handelsbeziehungen mit dem Ausland ist zur Minimierung des Investitionsrisikos der jeweilige Vertragspartner auf seine wirtschaftliche Lage zu überprüfen, wozu insbesondere die Jahresabschlussanalyse gehört. Mit einem international standardisierten Jahresabschluss könnten sich Unternehmen ihren ausländischen Kunden und den Führungskräften ausländischer Tochtergesellschaften präsentieren und begreiflich machen.[47]
Vermutlich kommt von manch einem Leser jetzt der Einwand, dass genau dieses Konzept schon in Form der IFRS existiert. Wie sich jedoch im vorangegangenen Kapitel herausgestellt hat, berücksichtigen diese noch nicht genug den Gläubigerschutz und ihre Eignung zur Ausschüttungsbemessung ist nicht gegeben. Daher muss eine neue Lösung geschaffen werden. Zudem werden die Vorschriften der IFRS in Deutschland bisher eher selten umgesetzt, da fast alle Einzelabschlüsse und die Mehrheit der Konzernabschlüsse immer noch auf dem HGB basieren.[48]
Immer mehr Firmen wagen den nächsten großen Schritt zu ihrem internationalen Auftritt und führen Direktinvestitionen im Ausland durch. Dadurch entwickeln sich viele Unternehmen zu verflochtenen Konzernen, deren Gesellschaften vergleichbar gemacht und gesteuert werden müssen.[49] Ein einheitlicher Jahresabschluss erleichtert ihnen das Konzerncontrolling sowie die Konzernkonsolidierung. Eine Umbewertung und Überprüfung der Bilanzansätze aus Abschlüssen, die in unterschiedlichen Ländern erstellt wurden, erübrigen sich dadurch. Ausländische Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen müssen keine an konzerneinheitliche Bilanzierungsregeln angepassten Handelsbilanzen II für die Einbeziehung in den Konzernabschluss mehr aufstellen. Kurzum: Die Aufstellung einer Handelsbilanz II entfällt.[50]
Sind Akquisitionen von ausländischen Unternehmen oder Beteiligungen wie z. B. Joint Ventures in Planung, so muss zunächst deren wirtschaftliche Lage und deren Erfolg beurteilt und deren Wert an sich als Grundlage für Übernahmeverhandlungen festgestellt werden. Auch in diesem Fall sind standardisierte Jahresabschlüsse eine große Erleichterung.
Noch ein letzter Punkt, der an dieser Stelle zu erwähnen ist, ist der externe Finanzierungsbedarf. Zu den potentiellen Finanzierungsquellen eines Unternehmens gehören heute verstärkt auch ausländische Kapitalmärkte, die beispielsweise in Form der Kreditaufnahme oder Emission von Anleihen und Aktien in Anspruch genommen werden. Diese möchten insbesondere Informationen über die Bonität, die Renditeerwartungen und die Risiken erhalten, welche sie zumindest teilweise aus den Jahresabschlüssen erschließen.[51]
Die Internationalisierung und damit auch Standardisierung der Rechnungslegung wird auch von der EU sowie von Deutschland selbst vorangetrieben. Die EU-Verordnung Nr. 1606/2002 schreibt seit 2005 kapitalmarktorientierten Mutterunternehmen verpflichtend vor, ihren Konzernabschluss auf Basis der IFRS aufzustellen. Kapitalmarktorientiert sind solche Unternehmen, die Wertpapiere in einem EU-Mitgliedsstaat in einem geregelten Handel anbieten. Eine längere Frist zur Umstellung auf die IFRS bis 2007 haben Unternehmen, die bisher aufgrund eines entsprechenden Börsenlistings ihren Abschluss nach US-GAAP aufgestellt hatten.[52]
Auf Grundlage dieser EU-Verordnung erhielten die Mitgliedsstaaten das Recht, weitere Regelungen bezüglich des Konzernabschlusses von nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen und für alle Einzelabschlüsse aufzustellen, die entweder die Aufstellung nach IFRS verpflichtend vorschreiben oder freiwillig zulassen. Deutschland hat sich diesem Recht auf zwei Weisen angenommen. Zum einen reagierte es mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), das im Mai 2009 in Kraft trat. Dessen Ziel war die moderate Annäherung des Handelsrechtes an die IFRS und die deutliche Erhöhung des Informationsniveaus des handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Es soll eine im Vergleich zu den IFRS vollwertige und wesentlich einfachere sowie kostengünstigere Alternative darstellen. Gleichzeitig sollten jedoch die Eckpunkte des HGBs beibehalten bleiben. Der Ausschüttungsbemessungszweck dominiert daher weiterhin den handelsrechtlichen Jahresabschluss. Somit stellt das BilMoG einen Kompromiss zwischen den IFRS und dem bisherigen HGB dar.[53]
Zum anderen lässt Deutschland den nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen die Wahl zwischen der Aufstellung eines Konzernabschlusses nach HGB oder nach IFRS. Einzelabschlüsse müssen weiterhin nach handelsrechtlichen Regeln aufgestellt werden, wobei die zusätzliche Aufstellung eines IFRS-Einzelabschlusses erlaubt ist.[54]
Welche Rechnungslegungskonzeption im Einzel- und Konzernabschluss in Deutschland vorgeschrieben bzw. wahlweise erlaubt ist, wird aus der Abbildung 3.2 ersichtlich.
Aus dieser Argumentation wird klar, dass viele Unternehmen ein einziges einheitliches, international anerkanntes Rechnungslegungssystem für Konzern- und Einzelabschlüsse fordern. Dieses sollte jedoch die Defizite der bisherigen Regeln nach IFRS und HGB beheben. Die Aufstellung einer Handelsbilanz II soll demnach abgeschafft werden. Im weiteren Verlauf werden Lösungsvorschläge zu dieser Problematik aufgezeigt und bewertet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.2: IFRS-Rechnungslegung in Deutschland
Quelle: In Anlehnung an Althoff, Frank (2012): Einführung in die internationale Rechnungslegung: Die einzelnen IAS/IFRS, Wiesbaden, S. 27.
[...]
[1] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008): Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 23. Aufl., München, S. 712.
[2] Vgl. Schultz, Volker (2011): Basiswissen Rechnungswesen: Buchführung, Bilanzierung, Kostenrechnung, Controlling, 6. Aufl., München, S. 11-12, 76.
[3] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 713.
[4] Vgl. Schultz, Volker (2011), S. 11-12, 76 und Coenenberg, Adolf G.; Haller, Axel; Schultze, Wolfgang (2009): Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Betriebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundsätze - HGB, IFRS, US-GAAP, 21. Aufl., Stuttgart, S. 16.
[5] Auer, Benjamin; Schmidt, Peer (2012): Buchführung und Bilanzierung: Eine anwendungsorientierte Einführung, 1. Aufl., Wiesbaden, S.17.
[6] Vgl. Moxter, Adolf (2003): Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung, Düsseldorf, S. 4-6.
[7] Vgl. Schultz, Volker (2011), S. 11-12, 77 und Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 713-714.
[8] Vgl. Schultz, Volker (2011), S. 11-12.
[9] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 712.
[10] Vgl. Weber, Jürgen; Weißenberger, Barbara E. (2010): Einführung in das Rechnungswesen: Bilanzierung und Kostenrechnung, 8. Aufl., Stuttgart , S. 17-18.
[11] Vgl. Weber, Jürgen; Weißenberger, Barbara E. (2010), S. 17-18.
[12] Vgl. Baus, Josef (1999): Bilanzpolitik: Internationale Standards - Analyse, 1. Aufl., Berlin, S. 18.
[13] Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 717.
[14] Vgl. Weber, Jürgen; Weißenberger, Barbara E. (2010), S. 15.
[15] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 717.
[16] Vgl. Baus, Josef (1999), S. 17-18.
[17] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 717 und Weber, Jürgen; Weißenberger, Barbara E. (2010), S. 15-17.
[18] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 717 und Weber, Jürgen; Weißenberger, Barbara E. (2010), S. 17.
[19] Vgl. Baus, Josef (1999), S. 17.
[20] Vgl. Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 718 und Baus, Josef (1999), S. 18.
[21] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 5.
[22] Vgl. Baus, Josef (1999), S. 19.
[23] Vgl. Baus, Josef (1999), S. 19.
[24] Vgl. Schultz, Volker (2011), S. 110 und Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 22.
[25] Vgl. Schultz, Volker (2011), S. 110.
[26] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 23.
[27] Vgl. Schultz, Volker (2011), S. 111 und Deitermann, Manfred; Rückwart, Wolf-Dieter; Schmolke, Siegfried (2010): Industrielles Rechnungswesen IKR: Finanzbuchhaltung, Analyse und Kritik des Jahresabschlusses, Kosten- und Leistungsrechnung: Einführung und Praxis, 38. Aufl., Braunschweig, S. 514.
[28] Vgl. Baus, Josef (2003): Wohin treibt die deutsche Rechnungslegung?, in: Kremin-Buch, Beate; Unger, Fritz; Walz, Hartmut (Hrsg.): Internationale Rechnungslegung: Aspekte und Entwicklungstendenzen, Band 4, Sternenfels, S. 192.
[29] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 23.
[30] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 139 und Döring, Ulrich; Wöhe, Günter (2008), S. 726-728.
[31] Vgl. Coenenberg, Adolf G.; Haller, Axel; Schultze, Wolfgang (2009), S. 38-46. Alle vorangegangenen kodifizierten Prinzipien des HGB sind dieser Quelle entnommen.
[32] Vgl. Coenenberg, Adolf G.; Haller, Axel; Schultze, Wolfgang (2012): Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Betriebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundsätze - HGB, IAS/IFRS, US-GAAP, DRS, 22. Aufl., Stuttgart, S. 64-65.
[33] Vgl. Eitzen, Bernd von; Zimmermann, Martin (2010): Bilanzierung nach HGB und IFRS, Weil im Schönbuch, S. 164 und Kühne, Mareike; Schleis, Ingo (2012): Geplante Neuregelung der Umsatzrealisierung nach IFRS: Erneuter Standardentwurf des IASB (ED/2011/6 "Revenue from Contracts with Costumers"), in: Die Wirtschaftsprüfung, 65. Jahrgang, Nr. 5/2012, S. 261.
[34] Vgl. Eitzen, Bernd von; Zimmermann, Martin (2010), S. 164.
[35] Vgl. Coenenberg, Adolf G.; Haller, Axel; Schultze, Wolfgang (2012), S. 66-67.
[36] Vgl. Bansbach, Florian; Dornbach, Eike; Petersen, Karl (2012): IFRS Praxishandbuch: Ein Leitfaden für die Rechnungslegung mit Fallbeispielen, 7. Aufl., München, S. 7-8.
[37] Vgl. Althoff, Frank (2012): Einführung in die internationale Rechnungslegung: Die einzelnen IAS/IFRS, Wiesbaden, S. 34.
[38] Baus, Josef (1999), S. 58.
[39] Vgl. Baus, Josef (1999), S. 58.
[40] Vgl. Leffson, Ulrich (1987): Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 7. Aufl., Düsseldorf, S. 86-88 und Baus, Josef (2003), S. 197-199.
[41] Vgl. Baus, Josef (2003), S. 198.
[42] Vgl. Coenenberg, Adolf G.; Haller, Axel; Schultze, Wolfgang (2009), S. 16.
[43] Vgl. Baus, Josef (2003), S. 199-200.
[44] Vgl. Küting, Karlheinz; Lauer, Peter (2010): Der Fair Value in der Krise: Abbild und Wirkung, in: Karlheinz Küting, Norbert Pfitzer und Claus-Peter Weber (Hrsg.): IFRS und BilMoG: Herausforderungen für das Bilanz- und Prüfungswesen, Stuttgart S. 275-282.
[45] Vgl. Haaker, Andreas; Hoffmann, Wolf-Dieter (2009): Eignung der IFRS für Ausschüttungszwecke?, in: PiR, Nr. 6/2009, S. 172.
[46] Vgl. Heinrichs, Joachim (2008): IFRS - Eignung für Ausschüttungszwecke?, in: BFuP, 60. Jahrgang, Nr. 5/2008, S. 422.
[47] Vgl. Colbe, Walther Busse von (2002): Entwicklungsperspektiven der Rechnungslegung in Deutschland: Die deutsche Rechnungslegung vor einem Paradigmawechsel, in: Zfbf, Nr. 54/2002, S. 160 und Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 43.
[48] Vgl. Küting, Karlheinz (2010): Zeitenwende in der Rechnungslegung - Herausforderungen und Chancen, in: Karlheinz Küting, Norbert Pfitzer und Claus-Peter Weber (Hrsg.): IFRS und BilMoG: Herausforderungen für das Bilanz- und Prüfungswesen, Stuttgart, S. 1.
[49] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 43.
[50] Vgl. Colbe, Walther Busse von (2002), S. 160 und S. 169.
[51] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 43-44.
[52] Vgl. Pellens, Bernhard u.a. (2011), S. 51.
[53] Vgl. Baetge, Jörg; Kirsch, Hans-Jürgen; Solmecke, Henrik (2009): Auswirkungen des BilMoG auf die Zwecke des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, in: Die Wirtschaftsprüfung, 62. Jahrgang, Nr. 24/2009, S. 1211 und Haaker, Andreas (2009): Zur Zukunft der Kapitalerhaltung – IFRS und Solvenztest statt HGB-Abschluss?, in: ZfgG, 59. Jahrgang, Nr. 3/2009, S. 207.
[54] Vgl. Althoff, Frank (2012), S. 27.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783863418717
- ISBN (Paperback)
- 9783863413712
- Dateigröße
- 924 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Hochschule Ludwigshafen am Rhein
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Handelsgesetzbuch (HGB) International Financial Reporting Standards (IFRS) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) Realisationsprinzip Solvenztest
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing