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Tabakwarenbesteuerung in der Europäischen Union: Eine effizienztheoretische Untersuchung

©2012 Bachelorarbeit 76 Seiten

Zusammenfassung

Die Steuergesetzgebung ist fast täglich Teil der öffentlichen Berichterstattung, weil der Staat damit erstens direkt (und indirekt) in die Vermögensverhältnisse der Bevölkerung eingreift, und zweitens, weil sie gezwungenermaßen einem kontinuierlichen Wandel der staatlichen Politikziele und gesellschaftlichen Gegebenheiten unterliegt. Ökonomen stehen vor dem Problem, dass Eingriffe in das Steuersystem an einer Stelle immer auch Änderungen an anderer Stelle notwendig machen. Zudem dienen Steuern entgegen der etwas kurzsichtigen, aber weitverbreiteten Meinung nicht nur dem staatlichen Einnahmenziel, sondern besitzen auch eine Lenkungswirkung, mit der der Staat das Verhalten seiner Bewohner beeinflussen kann. Gerade bei speziellen Gütersteuern wie der Tabak- oder der Energiesteuer (die auch als Mineralölsteuer bezeichnet wird) stehen diese Wirkungen im Rahmen der ökonomischen Analyse im Mittelpunkt, während aus politischer Sicht häufig einseitig das Einnahmenpotenzial solcher Steuern auf Güter mit unelastisch reagierenden Nachfragen kolportiert wird. Die Theorie der optimalen Besteuerung (oder Optimalsteuertheorie) liefert auf der Basis eines repräsentativen Haushalts das ökonomische Instrumentarium zur Bewertung und Analyse effizienter Güter- und Einkommensteuern. Dieses Instrumentarium bildet das Fundament dieser Abhandlung und wird, nach einem geschichtlichen Überblick über die bekannten Steuerarten, im zweiten Kapitel vorgestellt. Das dritte Kapitel erweitert das Modell um externe Effekte, die z.B. im Tabak- und Alkoholkonsum vorliegen und adressiert weitere Problem- und Fragestellungen wie grenzüberschreitenden Handel und illegale Produktion. Im vierten Kapitel stehen die Konsequenzen im Mittelpunkt, die eine von oligopolistischen Zügen gekennzeichnete Marktstruktur (wie es in der Tabakindustrie der Fall ist) für die Besteuerung hat. Abschließend wird ein Überblick über die (Zigaretten-) Besteuerung in den Mitgliedsstaaten der EU gegeben. Aus den Erkenntnissen und Daten der vorangegangenen Analyse wird ersichtlich, dass die Steuern, die aktuell auf Tabakwaren erhoben werden, aus ökonomischer Sicht überhöht und mit mikroökonomischen Argumenten schwer zu rechtfertigen sind.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung

Die Gestaltung eines optimalen Steuersystems ist aus verschiedenen Gründen eine der beschwerlichsten Aufgaben der Volkswirtschaftslehre. Nicht nur weil der Staat mit seiner Steuergesetzgebung in die Vermögensverhältnisse der Bevölkerung eingreift ist diese fast täglich Teil der öffentlichen Berichterstattung, sondern auch, weil sie einem kontinuierlichen Wandel der staatlichen Politikziele und gesellschaftlichen Gegebenheiten unterliegt. Ökonomen stehen vor dem Problem, dass Eingriffe in das Steuersystem an einer Stelle immer auch Änderungen an anderer Stelle notwendig machen. Zudem dienen Steuern entgegen der etwas kurzsichtigen, aber weitverbreiteten Meinung nicht nur dem staatlichen Einnahmenziel, sondern besitzen auch eine Lenkungswirkung, mit der der Staat das Verhalten seiner Bewohner beeinflussen kann. Gerade bei speziellen Gütersteuern wie der Tabak- oder der Energiesteuer (häufig auch als Mineralölsteuer bezeichnet) stehen diese Wirkungen im Rahmen der ökonomischen Analyse im Mittelpunkt, während aus politischer Sicht häufig einseitig das Einnahmenpotenzial solcher Steuern auf Güter mit unelastisch reagierenden Nachfragen kolportiert wird. Die Wirkung und Bemessung solcher Verbrauchsteuern bilden den Kern dieser Abhandlung und sollen Aufschluss geben über die aktuelle Gestaltung der Tabakbesteuerung in Deutschland und der Europäischen Union. Zur Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe verfügen Ökonomen über ein gewaltiges Instrumentarium. Zum Verständnis dieser Theorie der optimalen Besteuerung ist es hilfreich zunächst einen Blick auf die Geschichte der Besteuerung zu werfen.

Im Rahmen des ersten Abschnitts wird deutlich werden, dass die Entwicklung der Besteuerung in Europa nicht etwa vom Zufall geprägt ist, sondern im Gegenteil sehr eng mit der kulturellen Evolution des Kontinents zusammenhängt. Das Grundgerüst des uns heute bekannten Steuersystems mit seiner Vielzahl verschiedener Steuerarten ist über Jahrhunderte gewachsen. Dabei ist es in Deutschland anderen Entwicklungslinien gefolgt als in anderen europäischen Staaten, Amerika oder dem Orient. Einige Steuern, die in Deutschland heute selbstverständlich Teil des Steuersystems sind, z.B. die Tabak- oder die Biersteuer, haben ihren Ursprung schon im 17. Jahrhundert und früher; die Weinsteuer hingegen hat die Zeiten nicht überdauert.

Die Steuersysteme des Altertums, des Mittelalters oder des Absolutismus’ folgten aber nicht etwa effizienztheoretischen oder wohlfahrtsökonomischen Maximen, sondern dienten noch hauptsächlich dem Einnahmenziel des Staates. Zwar sind erste Lenkungszwecksteuern bereits aus dem 17. Jahrhundert bekannt, doch häufig dienten auch diese unter dem Deckmantel der Namensgebung vornehmlich dem Fiskalzweck (z.B. die preußische Bettensteuer). Wohlfahrtstheoretische Überlegungen fanden erst im 20. Jahrhundert Eingang in die praktische Steuerpolitik, auch wenn Christian Tenzel, ein Halberstädter Steuerrat, bereits 1685 in der Besteuerung von Grundnahrungsmitteln durch Akzisen – oder wie man heute sagen würde: in der Besteuerung von Gütern, der die Besteuerten nur schwierig ausweichen können – eine Goldgrube für die Staatskasse erkannte (vgl. Homburg 2010, S. 35). Daran wird auch deutlich, dass Umverteilungszwecken von Steuern zu dieser Zeit keine bemerkenswerte Beachtung geschenkt wurde. Im Gegenteil müssten aus sozioökonomischer Sicht die Güter des täglichen Bedarfs einer niedrigeren Besteuerung unterliegen, da diese besonders die armen Bevölkerungsschichten, die von einem hohen „Grenznutzen des Geldes“ gekennzeichnet sind, belastet. Solche Verteilungsaspekte der Güterbesteuerung werden im zweiten Kapitel etwas näher betrachtet, wenngleich sie nicht den Schwerpunkt dieser Abhandlung bilden sollen. Tenzels Zusammenhang war dennoch seiner Zeit voraus. Er fand, wenn auch in etwas anderer Form, als Inverse Elastizitätenregel Eingang in die Theorie der Besteuerung, einer Sonderform der Ramsey-Regel, die bereits 1927 in dem Aufsatz „A Contribution to the Theory of Taxation“ von Frank Plumpton Ramsey veröffentlicht wurde. Dem folgenden Abschnitt über die Geschichte der Besteuerung wird eine ökonomische Analyse der Theorie der optimalen Besteuerung folgen. Auf Grundlage dieser Theorie soll untersucht werden, welchen Einfluss die Existenz von Gütern mit externen Effekten – insbesondere im Tabakkonsum (Kapitel 3) – auf die optimale Besteuerung hat.

Das Ziel der vorliegenden Abhandlung ist es anhand der Optimalsteuertheorie unter Berücksichtigung externer Effekte die aktuelle Tabakbesteuerung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu untersuchen und bezüglich der aktuell erhobenen Tabaksteuern und geäußerten Ziele der Europäischen Kommission eine Bewertung abzugeben. Aus diesem Grund wird neben der Analyse optimaler Besteuerung anhand eines Grundmodells mit vollständigem Wettbewerb mit der Regulierung ein weiteres, für die Fragestellung relevantes und essentielles Politikinstrument Gegenstand dieser Untersuchung sein. Nicht zu vernachlässigen sind ferner die Empfehlungen, die die Steuertheorie liefern kann, wenn die Marktform nicht vollständigem Wettbewerb entspricht. Besonders bei der Untersuchung von Tabak­steuern scheint das unerlässlich, wenn die Tabakwarenindustrie als Oligo­pol bezeichnet werden kann (Kapitel 4). Das Vorliegen externer Effekte bei der Produktion ist hingegen nicht Gegenstand dieser Abhandlung.

Da besonders Zigaretten ein Gut darstellen, das in großem Maße Schmuggel und grenzüberschreitendem Handel unterliegt, soll im fünften Kapitel unter anderem der gemeinsame Binnenmarkt thematisiert werden, in dessen Rahmen es in den vergangenen 20 Jahren zu einer zum Teil tief greifenden Harmonisierung der Steuerpolitiken in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gekommen ist. Auch auf dem Gebiet der indirekten und insbesondere der Tabaksteuern zeigen sich in der aktuellen Debatte Bestrebungen diese Harmonisierung weiter voranzutreiben.

1.1 Die Geschichte der Besteuerung

Zur Erhebung von Steuern müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: zum einen muss es einen Staat geben, der als herrschaftliche Organisation die Steuerhoheit besitzt und von den Untergebenen die Steuern eintreibt. Zum anderen müssen Eigentumsrechte wohl definiert sein, damit geldliche (Steuern) oder sachliche (Naturalien) Abgaben überhaupt erhoben werden und einen „[erzwungenen] Übergang eines Eigentums vom Individuum zur Gemeinschaft“ (Homburg 2010, S. 23) darstellen können. Die ersten staatlichen, zentralisierten Machtstrukturen, die das gewährleisten konnten, entstanden ab dem vierten Jahrtausend v. Chr. im Orient mit den Reichen der Sumerer und der Ägypter. Mit ihrer Entstehung kam es zu einem infrastrukturellen und bürokratischen Fortschritt, der die Erhebung von Steuern und damit die Finanzierung beispielsweise von Bewässerungssystemen zur effizienteren Nutzung des Ackerlandes ermöglichte. Diese Entwicklung stellt erstmals in der Geschichte die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter dar. Neben dem Ausbau der Infrastruktur stellte der Staat der Bevölkerung weitere Dienste zur Verfügung, z.B. in Form militärischen Schutzes und der Technologien zur Bewässerung der Felder. Eigentümer des Landes war in diesen orientalischen Kulturen der Despot, also ein Alleinherrscher, der dem größten Bevölkerungsteil, den Bauern, das Land zur Bewirtschaftung überließ und dafür Steuern erhielt (vgl. Massarrat 1996, S. 20 ff.).

In allen bedeutenden Kulturen wurden seither Steuern erhoben. Die Art und Weise, wie Steuern erhoben wurden, wozu sie verwendet wurden und besonders die Einstellung des Volkes zu ihnen unterschieden sich jedoch beträchtlich voneinander. Die Einwohner der griechischen Poleis waren von den Steuern befreit, denn diese widersprachen dem Gedanken der Freiheit ihrer Bürger. Die Staatseinnahmen setzten sich stattdessen aus Kopfsteuern, die von Gastarbeitern geleistet wurden, die keine Bürgerrechte besaßen, Zöllen und anderen Abgaben zusammen. Wohlhabende Bürger erbrachten freiwillige Geldzahlungen und Dienstleistungen, die sogenannten Leiturgien, die unter sozialem Druck jedoch faktisch den Charakter der Freiwilligkeit verloren (vgl. Homburg 2010, S. 26 f.). Im Römischen Reich fanden in regelmäßigen Abständen Volkszählungen statt und es wurde ein Katastersystem eingeführt. So wurde sichergestellt, dass in allen Provinzen die aufkommensergiebigsten Steuern, die Kopf- und die Grundsteuer, ordnungsgemäß erhoben und von jedem in richtiger Höhe eingetrieben werden konnten. Die Steuereinnahmen bildeten das Rückgrat des Römischen Reiches, das durch diese ihre vielen Kriege und Feldzüge finanzieren konnte (vgl. Homburg 2010, S.26 ff.).

Nach dem Zerfall des Römischen Reiches konnten die Nachfolgereiche, z.B. das Frankenreich unter dem Merowingerkönig Chlodwig, die komplizierten bürokratischen Strukturen zur Erhebung direkter Steuern nicht aufrechterhalten. Die direkten Steuern wurden im Laufe der Zeit immer mehr durch indirekte (Verkehr-) Steuern (mit Gebührencharakter) ersetzt, dazu zählten Wegezölle an Brücken, Toren und auf Wasserwegen sowie die Salzsteuer. Daneben trat der Kirchenzehnte zugunsten des Klerus als kirchliche Abgabe, die bis heute in Form der Kirchensteuer weiterbesteht. Im Mittelpunkt stand jedoch die Auffassung, dass die frühmittelalterlichen Reiche Europas Domänenstaaten waren, also nur in Ausnahmefällen Steuern erheben und sich regulär aus den staatlichen Domänen und durch königliche Regalien, Sonderrechte wie das Münz- und Judenregal, finanzieren sollten. Thomas von Aquin schrieb: „Daher sind den Herren Güter zugewiesen, daß sie daraus ihren Unterhalt bestreiten und sich enthalten, ihre Untertanen zu berauben.“ (Homburg 2010, S. 30) Als eine Besonderheit war es der Zentralgewalt im Heiligen Römischen Reich nicht gelungen die Steuerhoheit zurück zu erlangen, die infolge der territorialen Zersplitterung des Reiches in den Händen der Territorialherren lag. Bis in das 20. Jahrhundert wurden in Deutschland von der Zentralgewalt praktisch keine direkten Steuern mehr erhoben und noch im 19. Jahrhundert bestand der größte Teil der Staatseinnahmen Preußens aus den Erträgen der staatlichen Eisenbahnen (vgl. Homburg 2010, S. 28 ff.).

Während also im Orient besonders die widrigen klimatischen Bedingungen den Zentralstaat und die Erhebung von Steuern notwendig machten, entstand diese Notwendigkeit im christlichen Okzident nicht. Auch gab es keinen alleinigen Herrscher, der gleichzeitig Eigentümer allen Landes war. Vielmehr bildete sich, begünstigt durch die geographische Zerklüftung des europäischen Kontinents und besonders durch die aus landwirtschaftlicher Sicht vergleichsweise günstigen klimatischen Bedingungen, der Feudalismus mit einem Ständestaat, territorialer Zersplitterung und Diskontinuität heraus (vgl. Massarrat 1996, S. 29 f.). Steuern, Zölle und sonstige Abgaben wurden nicht von einem einzigen Herrscher bzw. Stand erhoben, sondern gleich von mehreren. Verwendet wurden diese Einnahmen nicht zuletzt für militärische Zwecke. Mit dem aufkommenden Absolutismus stiegen nicht nur die Kosten der Hofhaltung rasant an, sondern gingen die regionalen Herrscher auch zum Unterhalt stehender Heere über. Steuern zur Finanzierung militärischer Ausgaben wurden nun also auch in Friedenszeiten erhoben, während in früheren Epochen zu diesem Zwecke Sonderabgaben erhoben wurden.

Zur Deckung des gestiegenen Finanzbedarfs erhoben die Fürsten in den Territorialstaaten sowie die Reichsstädte ab 1600 in zunehmendem Maße Akzisen, frühe Verbrauchsteuern auf Güter wie Getränke oder Fleisch. Dass Teile der Bevölkerung, besonders Akademiker und der Klerus, von diesen Akzisen befreit wurden, zeigt, dass der Ständestaat noch nicht überwunden war und Gleichheit unter den Menschen noch nicht viel zählte. Gleichzeitig konnte so aber auch der Adel indirekt besteuert werden. Aus dieser Zeit stammt auch die Tabaksteuer, die damals zum Großteil von Adel und Bürgertum entrichtet wurde, die sich den Luxus des Tabakkonsums leisten konnten. So „erhöhten [Verbrauchsteuern] im absolutistischen Zeitalter die Gleichmäßigkeit der Besteuerung“ (Homburg 2010, S. 36). Anfänglich war der Tabakkonsum verboten worden, er wurde jedoch legalisiert, als die Fürsten das Aufkommenspotential der Tabaksteuer erkannten. Die vorherrschende Wirtschaftsordnung dieser Zeit war der Merkantilismus. Ähnlich wie der spätere Sozialismus war er gekennzeichnet von staatlicher Planung und Beschränkungen des Wirtschaftssystems (Zunftwesen). Vorrangiges Ziel war die Vermehrung des Reichtums des Staates, die man durch die Erhöhung des staatlichen Besitzes von Edelmetallen (besonders Gold und Silber) zu erreichen versuchte. Da der Außenhandel in dieser Zeit mit Gold und Silber abgewickelt wurde, erhoben die absolutistischen Staaten hohe Schutzzölle, die durch die Theorie der aktiven Handelsbilanz – wenn auch irrtümlich – theoretisch gerechtfertigt wurden. Zölle waren seinerzeit die staatliche Haupteinnahmequelle (vgl. van Suntum 2005, S. 179 und 260 f.).

Mit dem Beginn des Absolutismus’ und der Aufklärung im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich eine Steuerlehre, die neben dem reinen Fiskalzweck, also dem Zweck der Einnahmenerzielung, auch den Lenkungszweck von Steuern, also die Beeinflussung von Verhaltensweisen der Besteuerten, erkannte und auch ethische Aspekte bei der Besteuerung berücksichtigte. Auf den Tabakkonsum traf das nicht zu, ihm wurde noch eine medizinisch heilsame anstelle einer gesundheitsschädlichen Wirkung zugeschrieben. Steuern wurden seither auch nach ihrem, wenn auch manchmal vorgetäuschten, Verwendungszweck benannt, so z.B. die preußische Bettensteuer oder die Frankfurter Laternensteuer (vgl. Homburg 2010, S. 33). Der Aufklärer und Staatsphilosoph Montesquieu trat für eine vom Staat unabhängige Gesellschaft ein und zählt die hohen Ausgaben für das Militär zu dessen „eingebildeten Bedürfnissen“. Der Staat solle stattdessen „nur den äußerem Rahmen garantieren“ und sich ansonsten „auf das Nötigste beschränken“ (Clostermeyer 1983, S. 106 ff.). In dieser Zeit begründeten besonders angelsächsische Philosophen und Staatstheoretiker wie John Stuart Mill, David Ricardo oder Robert Malthus ein liberales Umdenken. Zu ihnen gehörte auch Adam Smith, der 1776 in seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“ neben der berühmten „unsichtbaren Hand“ auch vier bis heute anerkannte Grundsätze der Besteuerung entwickelte: Gleichmäßigkeit, Bestimmtheit, Bequemlichkeit und Billigkeit (Wohlfeilheit). Smith stellt der Besteuerung bereits eine Gegenleistung in Form staatlichen Schutzes für den Besteuerten gegenüber. Im Rahmen der Äquivalenztheorie „wurden Steuern als Versicherungsprämien für staatlichen Schutz begriffen“ (Homburg 2010, S. 40). Die Aufklärung forderte auch eine Legitimation der Besteuerung und Mitwirkung an der Gesetzgebung durch die Besteuerten. So hatten die französische Revolution und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg ihren Anfang in dadurch motivierten Steuerrevolten. Unmittelbarer Ausfluss dieser Revolten waren Steuergesetze, die eine Besteuerung der Zensiten gemäß ihrer Vermögensverhältnisse verlangten und so den feudalen und absolutistischen Ständestaat auf diesem Gebiet überwinden sollten (vgl. Homburg 2010, S.40 f.).

Im aufkommenden liberalen Zeitalter wurden in immer mehr Staaten Einkommensteuern erhoben. Hintergrund ist die Abkehr vom Äquivalenzprinzip, stattdessen sollte die Leistungsfähigkeit des Besteuerten im Mittelpunkt stehen. Progressive Steuern wurden anfangs als nicht hinnehmbarer Eingriff in die Vermögensverhältnisse der Bevölkerung gesehen. Diese Sichtweise änderte sich erst im Laufe der Zeit. Die Zeitung Edinburgh Review veröffentlichte 1833 die als Edinburgh Regel bekannt gewordene Formel: „Keine Steuer ist eine gerechte Steuer, sofern sie die Individuen nicht in derselben relativen Lage läßt, in der sie sie vorfindet.“ (Homburg 2010, S. 42) In Deutschland hatten die Einzelstaaten weiterhin die Gesetzgebungshoheit über alle direkten Steuern. Das 1871 gegründete Reich hingegen erhielt nur Einnahmen aus Zöllen und Salz-, Tabak-, Zucker- und Branntweinsteuer sowie Matrikularbeiträge der Einzelstaaten zur Deckung des Haushaltsdefizits („Kostgänger der Einzelstaaten“). Während die Binnenzölle nach und nach abgeschafft wurden, wurde die Biersteuer zwischen Reich und Ländern geteilt. Noch heute fließt das Steueraufkommen der Biersteuer den Bundesländern zu. Die erste progressive Einkommensteuer wurde ab 1891 in Preußen erhoben und „diente als Vorbild für die späteren deutschen Einkommensteuergesetze“ (Homburg 2010, S. 44), weitere folgten in anderen Einzelstaaten des Reichs. Zu einer in ganz Deutschland gültigen einheitlichen Einkommensteuer führte erst 1919 die nach dem damaligen Finanzminister Matthias Erzberger benannte Erzbergersche Finanzreform, in der auch die heutige Umsatzsteuer ihren Ursprung hat. Diese Reform führte zu einem starken Anstieg der Steuereinnahmen und war in der Bevölkerung keineswegs unumstritten. Es kam zu z.B. zu Steuerprotesten der Nationalsozialisten, die in der Ermordung Erzbergers gipfelten und zum Bernkasteler Winzeraufstand in dessen Folge die Weinsteuer abgeschafft wurde. Bis heute ist Wein „das einzige alkoholische Getränk, das keiner speziellen Steuer unterliegt“ (Homburg 2010, S. 46). Die Basis des heutigen deutschen Steuersystems wurde bis zu dieser Zeit geschaffen.

Nachdem also im Altertum direkte Steuern eine große Rolle spielten wurden diese im Mittelalter, wohl auch aus erhebungstechnischen Gründen, größtenteils durch Verbrauch- und Verkehrsteuern ersetzt. In dieser Zeit galten Steuern aber nicht (mehr) als primäre, sondern vielmehr außerordentliche Staatseinnahmen. Diese Meinung vom mittelalterlichen Domänenstaat wurde nach und nach verdrängt. Steuereinnahmen gewannen im Laufe der Zeit zunehmend an Bedeutung. Die Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung nahmen eine immer wichtigere Rolle ein und Einnahmen aus Zöllen und Verkehrsteuern wurden zunehmend durch Verbrauchsteuern und direkte Steuern ersetzt.

1.2 Abgrenzung der Steuerarten

Bereits im Römischen Reich wurde die Besteuerung von einer fortschreitenden Verrechtlichung begleitet. Nach der kulturellen Stagnation infolge dessen Zusammenbruchs ist diese erst mit dem Aufkommen der Kameralistik im Zeitalter des Absolutismus’ langsam wiederbelebt worden. Jedoch gehört auch heute noch die Aufgabe, „die Vielzahl der Einzelsteuern […] sinnvoll und widerspruchsfrei zu gruppieren […] zu den beschwerlichsten der Steuerwissenschaft […]“ (Homburg 2010, S.11). Beispielsweise sind die Begriffe Verbrauchsteuer und Verkehrsteuer durch die deutsche Steuergesetzgebung nicht klar definiert (vgl. Homburg 2010, S. 17) und werden im Rahmen dieser Abhandlung nach der von Homburg (2010, S. 12 f.) vorgeschlagenen Definition voneinander abgegrenzt: Im Allgemeinen werden die direkten Steuern, die direkt an der Leistungsfähigkeit der Besteuerten ansetzen (z.B. Vermögensteuer, Einkommensteuer), von den indirekten Steuern (Verkehrsteuern, Verbrauchsteuern), die nur indirekt die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf Umwegen […] belasten“ (Homburg 2010, S.11) unterschieden. Bei direkten Steuern sind Steuerträger und Steuerschuldner ein und dieselbe Person, während bei der indirekten Steuer „Steuerschuldner und Steuerdestinatar verschiedene Personen [sind]“ (Homburg 2010, S. 12). Die indirekte Steuer kann vom Schuldner auf den Steuerträger überwälzt werden. Ob und in welchem Maße das geschieht hängt vor allem von der gegebenen Marktform ab. Verkehrsteuern unterscheiden sich von Verbrauchsteuern dadurch, dass sie eine bloße Belastung von Rechts- oder Realakten darstellen, ohne dass dabei irgendeine Wertschöpfung besteuert würde. Bei mehrmaligem Verkauf eines Grundstücks beispielsweise tritt eine für Verkehrsteuern typische Lawinenwirkung (cascading) auf; während sich der Wert des Grundstücks nicht verändert, wird bei seiner Veräußerung eine Steuerschuld fällig, die bei ausreichend häufigem Verkauf den Grundstückswert übersteigen könnte (vgl. Homburg 2010, S. 13). Die Mehrwertsteuer zählt ebenso zu den Verbrauchsteuern wie z.B. die Energie-, die Tabak- und die Biersteuer. Letztere werden im Folgenden als spezielle Verbrauchsteuern bezeichnet und besitzen die Eigenschaft, dass auf sie selbst (z.B. im Falle der Tabaksteuer) noch die Mehrwertsteuer (MWST) erhoben wird. In Deutschland kostet eine Packung Zigaretten vor Steuern im Durchschnitt 1,04 Euro, zusätzlich fallen (gerundet) ca. 2,82 Euro Tabaksteuer (davon 1,01 Euro in Form einer Wert- und 1,82 Euro in Form einer Mengensteuer) an, so dass die Packung ohne MWST durchschnittlich 3,86 Euro und zuzüglich MWST 4,60 Euro kostet (vgl. Tabelle II).

2.Wohlfahrtsmaximierung und optimale Güterbesteuerung

Adam Smith leitete mit seinem Werk „Wohlstand der Nationen“ 1776 das Ende des bis dahin vorherrschenden Merkantilismus’ ein. Mit der „unsichtbaren Hand“ formulierte er in seinem Beitrag einen ökonomischen Ansatz, der den Beginn des liberalen Zeitalters der Ökonomie markiert und bis heute in vielerlei Hinsicht ein grundlegendes Konzept der Wirtschaftswissenschaft beschreibt. Das merkantilistische Streben des Staates nach der Vermehrung seines Reichtums in Form von Edelmetallen lehnte er ebenso ab wie die zahlreichen staatlichen Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen. Den Reichtum jeder Volkswirtschaft erkannte er stattdessen in der vorhandenen Menge an Gütern und die Triebfeder für wirtschaftliche Aktivität sah er im Eigennutz des Menschen. So versuche jeder Mensch durch sein wirtschaftliches Handeln in erster Linie seinen eigenen Nutzen zu erhöhen und „fördere [so] das Wohl der Gesellschaft“ (vgl. van Suntum 2005, S. 5 und S. 180).

Die „unsichtbare Hand“ führt nach Meinung der klassischen Ökonomen von ganz allein dazu, dass die Individuen untereinander so lange Tauschgeschäfte durchführen, bis letztlich kein Mensch mehr Interesse an einem Tausch habe und damit wirtschaftlich auch nicht mehr besser gestellt werden könne, ohne einen anderen schlechter zu stellen. An diesem Punkt ist aus wohlfahrtsökonomischer Sicht die „beste“ Allokation realisiert. Dementsprechend sollte sich also auch der Staat möglichst gänzlich aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushalten und auf den Wettbewerb vertrauen. Die erste Beschreibung einer solchen effizienten Allokation stammt von Vilfredo Pareto, der als Nachfolger von Léon Walras seit 1893 den Lehrstul für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Lausanne bekleidete, und wird nach ihm auch als Pareto-Optimum bezeichnet (vgl. van Suntum 2005, S. 39).

Viele europäische Staaten knüpften mit ihrer laissez-faire Politik im 19. und frühen 20. Jahrhundert nahtlos an die Vorschläge der Klassiker und Neoklassiker an, ohne zunächst zu erkennen, dass es durchaus zu Konstellationen kommen kann, die entweder überhaupt nicht zu einer solchen effizienten Verteilung führen oder aber zu einer Verteilung, die sie eigentlich als unerwünscht erachten. Denn zum einen sagt das Pareto-Optimum nichts über „Gerechtigkeit“ aus: Es könnte durchaus sein, dass eine Verteilung Pareto-effizient ist, in der von zwei Individuen der eine alles hat, während der andere leer ausgeht. Zum anderen genügt das Vorhandensein vollständiger Konkurrenz als alleiniges Kriterium nicht, damit es auf dem Markt zu einer Pareto-effizienten Allokation kommt. Sind jedoch alle Bedingungen erfüllt, dann entspricht der Marktpreis dem Gleichgewichtspreis und das Angebot eines Gutes genau der Nachfrage nach diesem Gut. Wäre das nicht so und die angebotene und nachgefragte Menge kleiner als die Gleichgewichtsmenge, dann gäbe es mindestens einen Anbieter, der eine weitere Einheit des Gutes zu einem niedrigeren Preis anbieten würde als zu dem Preis, den irgendein Nachfrager dafür zu zahlen bereit wäre. Damit wären der Anbieter und der Nachfrager des Gutes beide besser gestellt; in einem anderen Fall wäre das Gut nicht angeboten oder gekauft worden. Mit anderen Worten entsprechen in diesem Punkt alle Grenzraten der Substitution und der Transformation einander und alle Tauschmöglichkeiten sind ausgeschöpft (vgl. Varian 2011, S. 324 und S. 344 und van Suntum 2005, S. 40).

In der Realität greift der Staat daher in zwei Fällen in das Marktgeschehen ein: Wenn der Marktmechanismus bei vollständiger Konkurrenz zu einem Gleichgewicht führt, dass nicht einer Pareto-effizienten Verteilung entspricht, oder wenn das Marktergebnis zu einer Verteilung der vorhandenen Ressourcen führt, die als sozial ungerecht empfunden wird. Aus ökonomischer Sicht könnte der Staat durch einfache Anwendung individualisierter Pauschalsteuern – sofern die Erhebung möglich ist – die Anfangsausstattung der Marktteilnehmer anpassen und so das Problem der Verteilungsgerechtigkeit lösen. Pauschalsteuern mindern einfach das Einkommen der Haushalte ohne die Relativpreise zu verändern und besitzen lediglich einen Einkommens- nicht aber einen Substitutionseffekt. Dementsprechend wirken sie auch nicht verzerrend. Unter Abstraktion von Transaktionskosten und Informationsdefiziten kann der Staat dann jede beliebige der theoretisch unendlich vielen Pareto-optimalen First-Best-Verteilungen erreichen (vgl. Corneo 2009, S. 19 ff. und Keuschnigg 2005, S. 31 f.).[1]

Das Problem, vor dem der Staat steht, ist zunächst ein reines Informationsproblem, denn die Individuen unterscheiden sich in einer Vielzahl von Charakteristiken und Eigenschaften voneinander. Sie haben ganz verschiedene Wünsche, Geschmäcker oder Fähigkeiten und um tatsächlich eine Pareto-effiziente First-Best-Lösung durch effiziente Pauschalsteuern erreichen zu können, müsste der Staat diese Besonderheiten kennen. Das Problem, dass dabei auftritt, ist, neben dem Kostenproblem der Informationsbeschaffung und der Berücksichtigung der Privatsphäre des Einzelnen, auch eines der Beobachtbarkeit dieser Charakteristiken, insbesondere der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Homburg 2010, S. 185). Der Staat muss daher auf beobachtbare Ersatz-Eigenschaften zurückgreifen, von denen er auf die nicht direkt beobachtbaren Eigenschaften schließen kann: y beschreibe das Einkommen, dass eine Person innerhalb von l Arbeitsstunden mit ihren individuellen Möglichkeiten n und der Arbeitsanstrengung e erwirtschaftet: Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.[2] Die Frage der Steuerbasis ist also eine Frage der Beobachtbarkeit der Variablen (vgl. Atkinson/Stiglitz 1976, S. 57). Wenn der oben skizzierte klassische Fall der Pauschalbesteuerung zur Schaffung einer Pareto-effizienten Allokation aufgrund unvollständiger Information nicht zu verwirklichen ist, stehen dem Staat noch weitere nicht-verzerrende Instrumente zur Verfügung. Wenn vollständiger Wettbewerb aufgrund von Marktversagen nicht zu einer Pareto-effizienten Verteilung führt kann der Staat, wie Arthur Cecil Pigou schon 1920 zeigte, durch verzerrungsfreie Steuern trotzdem eine effiziente Allokation herbeiführen. Das Problem, dass dann auftritt, ist, dass der Staat nicht seine ganzen Einnahmen nur aus dieser nicht-verzerrenden Besteuerung generieren kann und daher zwangsweise auf Second-Best-Steuern zurückgreifen muss (vgl. Sandmo 1976b, S. 38). Wie wir sehen werden ist das Ziel von Second-Best-Steuern dann nicht mehr die Relativpreise durch verzerrungsfreie Steuern unverändert zu lassen, sondern im Gegenteil die Relativpreise „optimal zu verzerren“ (Homburg 2010, S. 156).

Der Schwerpunkt dieser Abhandlung liegt auf einem Problem, das insbesondere den ersten der beiden Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomie, unmittelbaren Resultaten der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, außer Kraft setzt und damit zu Marktversagen führt: Das Vorhandensein externer Effekte. Durch die indirekte Besteuerung, also die Besteuerung von Gütern anhand der Mehrwertsteuer und spezieller Verbrauchsteuern, kann der Staat Einfluss auf die Ressourcenallokation in der Wirtschaft nehmen und auch bei Vorliegen externer Effekte eine effiziente Allokation herbeiführen. Im Folgenden soll zunächst das formale Modell anhand eines repräsentativen Individuums vorgestellt und gezeigt werden, welchen Einfluss die Güterbesteuerung auf die Allokation und das Verhalten der Haushalte hat.

2.1 Das Basis-Modell

In diesem Abschnitt soll zunächst das Modell mit n repräsentativen Individuen betrachtet werden, die stetige, quasikonkave Nutzenfunktionen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten durch Wahl der Mengen der Konsumgüter Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und der auf dem Arbeitsmarkt verbrachten Arbeitsstunden l maximieren. Heterogenität und Verteilungsfragen zwischen den (identischen) Individuen werden also zunächst vernachlässigt. Diese Annahme ermöglicht es, die Analyse zunächst auf Effizienzfragen zu beschränken. Unter 2.4.5 und 2.5 werden weitere Ergebnisse, die sich unmittelbar aus der Analyse dieses Modells ergeben, unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Individuen vorgestellt und intuitiv diskutiert[3]. Die Konsumgüter werden zu Konsumentenpreisen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten nachgefragt und den Lohnsatz bezeichne w. Die Individuen erwirtschaften ein Einkommen in Höhe von Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, das durch staatliche Transfers in Höhe von Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ergänzt werden kann. Zunächst wird keine Einkommensteuer erhoben, Arbeit sei der Numéraire. Die individuellen Budgetbeschränkungen sind dann durch

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (1)

gegeben. Die Konsumentenpreise setzen sich aus den zur Vereinfachung als fix betrachteten Produzentenpreisen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und Steuersätzen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten für das Gut Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenzusammen. Der Steuersatz treibt einen Keil zwischen den Produzenten- und den Konsumentenpreis. Das kann in Form einer Mengensteuer (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten) oder einer Wertsteuer (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten) geschehen. Aus der Inzidenzanalyse folgt, dass beide Steuerarten bei vollständiger Konkurrenz zu den gleichen Ergebnissen führen (vgl. Homburg 2010, S. 104). Im Folgenden werden vom Staat Mengensteuern erhoben, d.h. feste Steuerbeträge je nachgefragter Einheit des jeweiligen Konsumgutes. Das führt zu Steuereinnahmen in Höhe von

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (2)

Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss der Staat durch die Erhebung von Gütersteuern auf die Allokation ausübt. Da Steuern auf Konsumgüter einen Einkommenseffekt besitzen und den Reallohn senken, müssen bei der Untersuchung der Effizienz eines Steuersystems neben den Verzerrungen der Verbrauchsstruktur auch die Wirkungen auf das Arbeitsangebot beachtet werden.

2.2 Das individuelle Maximierungsproblem

Das individuelle Maximierungsproblem bezüglich der Konsummengen und des Arbeitsangebots lautet nun

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (3)

und führt im Ergebnis zu der maximal erzielbaren Wohlfahrt in Abhängigkeit der exogenen Parameter: Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Die Optimierung kann analog zu Christiansen (1984) in zwei Schritten gelöst werden, wenn eine Einkommensteuer erhoben wird. Zunächst maximiert das Individuum seinen Nutzen durch Wahl der konsumierten Mengen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, das Arbeitsangebot wird dabei konstant gehalten. Daraus resultieren die so genannten bedingten Nachfrage- und Angebotsfunktionen. Im zweiten Schritt wird die (daraus resultierende) bedingte indirekte Nutzenfunktion durch Wahl des Arbeitsangebotes maximiert. Das wird besonders später noch von Belang sein, wenn neben der Güterbesteuerung auch eine Einkommensteuer erhoben wird (vgl. 3.3). Die Zielsetzung lautet ein exogenes Steueraufkommen zu generieren und dabei die von den Haushalten erzielte Wohlfahrt in möglichst geringem Maße zu schmälern (siehe 3.3).

Aus den zugehörigen Bedingungen erster Ordnung (BEO) des Maximierungsproblems (3) folgen die (Marshall’schen) Nachfragefunktionen nach den Konsumgütern Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und das Arbeitsangebot Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. Durch Einsetzen in die Nutzenfunktion erhält man die indirekte Nutzenfunktion (vgl. Keuschnigg 2005, S. 458 und Christiansen 1984, S. 200),

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, (4)

also die maximal erreichbare Wohlfahrt in Abhängigkeit der exogenen Parameter, d.h. der Preise und des Einkommens. Die Nutzenmaximierung ergibt:[4],[5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (5)

Damit ist die optimale Verbrauchsstruktur bekannt. Die Grenzraten der Substitution zwischen den Konsumgütern entsprechen genau den Relativpreisen im Optimum, die Lagrangevariable Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten bezeichnet den Grenznutzen des Einkommens.

Es handelt sich um eine duale Optimierung, d.h. anstelle der Maximierung des Nutzens kann auch eine Minimierung der Ausgaben Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, die zu einem vorgegebenen Nutzenniveau führen, vorgenommen werden.[6] Die minimalen Ausgaben für den oben ermittelten Nutzen führen dann zu den Hicks’schen kompensierten Nachfragefunktionen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und zu analogen BEO:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Keuschnigg 2005, S. 459). (6)

Da Zusatzlasten von Gütersteuern infolge von Substitutions- und Einkommenseffekten auftreten, aber die Einkommenseffekte der Güterbesteuerung nicht vermieden werden können, sollen zunächst die Slutsky-Gleichungen entwickelt werden, um Substitutions- und Einkommenseffekte voneinander trennen zu können (vgl. Keuschnigg 2005, S. 150). Unter Beachtung der Eigenschaften der Substitutionseffekte können dann die Wirkungen von Gütersteuern beobachtet und Empfehlungen bezüglich der optimalen Besteuerung ausgesprochen werden.

2.3 Die Slutsky-Gleichungen

Die Preisänderung eines Gutes hat zwei Wirkungen: zum einen ändern sich das relative Preisverhältnis und damit die Möglichkeiten, zu denen das Gut am Markt getauscht werden kann. Zum anderen ändert sich die Kaufkraft des Einkommens der Individuen – das ursprüngliche Einkommen wird infolge einer Preiserhöhung, beispielsweise durch die Erhebung einer Steuer auf ein Konsumgut, nicht mehr ausreichen, damit dasselbe Nutzenniveau wie vor der Preiserhöhung erreicht werden kann. Diese beiden Effekte werden Substitutions- und Einkommenseffekt genannt und können anhand der Slutsky-Zerlegung voneinander getrennt werden.

Man betrachte ein Individuum, das zwei Güter Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten zu Preisen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten nachfragt. Zunächst stellt sich die Frage, wie viel Einkommen I man dem Individuum geben müsste, damit es auch nach einer Preiserhöhung von Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten zu Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten noch das ursprüngliche Nutzenniveau erreichen könnte. Die Preiserhöhung führt dazu, dass die Budgetgerade steiler wird und die ursprüngliche Indifferenzkurve erst dann tangieren wird, wenn man das Individuum durch einen Einkommenstransfer Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür die Preiserhöhung kompensiert. Die Konsumentin wird dann jedoch wegen der veränderten Steigung der Budgetgerade (bzw. der neuen Relativpreise) ein anderes Güterbündel wählen und kann sich besser stellen. Dieser Vorgang wird als (Hicks-)Substitutionseffekt oder als „Änderung der kompensierten Nachfrage“ (vgl. Varian 2011, S. 153) bezeichnet.

Aus der Dualität des Maximierungsproblem folgt, dass die Marshall’sche Nachfrage infolge der Nutzenmaximierung der kompensierten Nachfrage infolge der Ausgabenminimierung entsprechen muss, wenn die Individuen mit einer Ausstattung Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten kompensiert werden. Da die Haushalte mit der kompensierten Nachfrage dann dasselbe Nutzenniveau erreichen, drückt die Ableitung der kompensierten Nachfrage nach dem Preis einfach den Substitutionseffekt aus. Der Substitutionseffekt beschreibt also eine Änderung der kompensierten Nachfrage eines Gutes infolge einer Preisänderung irgendeines Gutes bzw. einer Änderung des Preisverhältnisses. Aus der Ableitung der Nachfrage nach Gut i nach dem Preis des Gutes k folgt (vgl. Keuschnigg 2005, S. 460):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, (7)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (8)

Mit Hilfe der Lösungen des Ausgabenminimierungsproblems (6) und nach geringfügigem Umstellen folgt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten; Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (9)

2.4 Optimale Güterbesteuerung

2.4.1 Optimierung und Ramsey-Regel

Wie oben erwähnt ist nun die staatliche Zielsetzung, durch Wahl der Steuersätze (bzw. durch Wahl der Bruttopreise q) das Steueraufkommen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten zu generieren und dabei die von den Haushalten erzielte Wohlfahrt in möglichst geringem Maße zu schmälern. Wenn der Staat ein bestimmtes (exogenes) Ausgabenziel g durch das Gütersteueraufkommen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten finanzieren will, folgt das (staatliche) Optimierungs- bzw. Optimalsteuerproblem:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (10)

Die partiellen Ableitungen nach den Steuersätzen führen zu folgenden BEO:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, k=1,…,m. (11)

Unter Verwendung von (5) erhält man:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (12)

und damit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Sandmo 1976b, S. 41).[7] (13)

Dieses Ergebnis ist die Ramsey-Regel, die erstmals 1927 von Frank Plumpton Ramsey hergeleitet wurde und erst 43 Jahre später von Baumol und Bradford im Rahmen eines Beitrages zur optimalen Besteuerung bei Vorliegen natürlicher Monopole wiederentdeckt wurde.[8] Alle Nachfragen sollten demnach im gleichen Verhältnis gesenkt werden. Die Lagrangevariable Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten bezeichnet die Grenzkosten der Besteuerung indem sie angibt, wie sich die Wohlfahrt bei einer marginalen Änderung der staatlichen Nebenbedingung verhält (vgl. Homburg 2010, S. 159 und S. 188). Aus (5) und den äquivalenten BEO des staatlichen Optimierungsproblems (10) wird deutlich, dass beide Multiplikatoren positiv sein müssen. Ferner gilt, dass die Grenzkosten der Besteuerung größer als der Grenznutzen des Einkommens sind. Die Besteuerung anhand indirekter Steuern ruft neben der eigentlichen Zahllast durch ihre verzerrende Wirkung eben auch eine Zusatzlast hervor (vgl. Homburg 2010, S. 189).

Die Ramsey-Regel (12) lässt sich noch spezifizieren: Unter Verwendung der Slutsky-Gleichung (9) kann eine erste zentrale Erkenntnis für die Steuertheorie abgeleitet werden. Einsetzen von (9) in (12) führt zu

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (14)

Die Hicks’schen kompensierten Nachfragen folgten aus der Ableitung der Ausgabenfunktion (6). Die Substitutionseffekte selbst folgen dann aus den Ableitungen der kompensierten Nachfragen, oder der zweiten Ableitung der Ausgabenfunktion, die diesen entspricht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Keuschnigg (2005), S. 465). (15)

Die Substitutionseffekte sind daher symmetrisch und es gilt Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. Aus (14) folgt daher

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (16)

Gleichung (16) besagt nun, dass die optimalen Gütersteuern Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten die kompensierten Nachfragen in der Second-Best-Lösung im gleichen Verhältnis senken müssen, da der Klammerausdruck ausschließlich für das betrachtete Gut gilt und damit unabhängig von den übrigen Güternachfragen ist (vgl. Homburg 2010, S. 190). Das bedeutet jedoch nicht, dass auch die Steuersätze einheitlich sein müssen, sondern, dass der Staat, um das vorgegebene Steueraufkommen möglichst effizient ereichen zu können, eine ganz bestimmte Struktur der Steuersätze wählen müsste, die das Verhältnis der nachgefragten Mengen aus der Situation ohne Steuern nicht verändert und damit eine Pareto-effiziente Allokation erzeugt. Offenbar gibt dieses Ergebnis für einschlägige Politikempfehlungen nicht viel her, wenn keine genaueren Angaben über die effiziente Struktur der Steuersätze und somit der Konsumentenpreise gemacht werden können. Darüber hinaus gilt es nur für sehr kleine Steueraufkommen und nur näherungsweise (vgl. Homburg 2010, S. 190 und Sandmo 1976b, S. 42). Im nächsten Abschnitt werden daher weitere Annahmen getroffen, um bezüglich der Differenzierung der Bruttopreise bzw. der Steuersätze genauere Aussagen treffen zu können.

2.4.2 Inverse Elastizitätenregel

Eine solche Annahme ist, dass alle Kreuzpreiselastizitäten zwischen den Gütern Null sind und damit die Nachfrage nach einem Gut nur von seinem eigenen Preis abhängt. Gleichung (13) lässt sich dann folgendermaßen formulieren:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (17)

Die Preiselastizitäten der Marshall’schen Nachfragen seien Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, Erweiterung von (17) um die Preiselastizität und Umstellen erzeugt:[9]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Keuschnigg 2005, S. 155). (18)

Da der Ausdruck auf der rechten Seite bekanntermaßen eine Konstante ist, verlangt Gleichung (18), dass der optimale Steuersatz unmittelbar von der Nachfrageelastizität des zu besteuernden Gutes abhängt (und zwar ausschließlich von ihr, da Kreuzpreiseffekte ausgeschaltet wurden). Je niedriger diese ist, desto höher ist das Gut zu besteuern. Für Güter mit hohen direkten Preiselastizitäten hingegen verlangt die Second-Best-Allokation eine eher zurückhaltende Besteuerung. Hintergrund ist, dass eine niedrige Preiselastizität suggeriert, dass die Individuen der Besteuerung nur schlecht ausweichen können. Dieses Ausweichverhalten schlägt sich in den Substitutionseffekten nieder, die für die Zusatzlast der Besteuerung verantwortlich sind. Sind die Substitutionseffekte gleich Null, so entsteht auch keine Zusatzlast. Das gilt beispielsweise bei perfekten Komplementen. Die Annahme, dass alle Kreuzpreiselastizitäten gleich Null gesetzt sind, ist allerdings sehr restriktiv. In der Realität bestehen Kreuzpreiselastizitäten zwischen allen Gütern, deshalb ist auch das hier abgeleitete Ergebnis allerhöchstens tendenziell für Politikempfehlungen geeignet. Eine solche tendenzielle Empfehlung hätte man aber auch dann schon aussprechen können, als festgestellt wurde, dass die Zusatzlast der Besteuerung einzig von den Substitutionseffekten, also den Änderungen der kompensierten Nachfragen abhängt. Tatsächlich werden in der Realität dennoch viele Verbrauchsteuern auf einzelne Güter mit der Inversen Elastizitätenregel begründet. Später wird dieser Zusammenhang intensiver diskutiert.

2.4.3 Die Corlett-Hague-Regel

Die Corlett-Hague-Regel ist eine weitere Regel, die sich aus der unter 2.4.1 dargestellten Ramsey-Regel ableiten lässt. Sie ist in ähnlicher Form auch unter dem Namen Freizeitkomplementaritätsregel bekannt.

Das Ergebnis, dass aus Abschnitt 2.4.1 abgeleitet wurde, kann für den Zwei-Güter-Fall noch spezifiziert werden. Unter dieser Annahme kann Gleichung (16) auch folgendermaßen (in Matrixschreibweise) formuliert werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, wobei Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (19) (vgl. Homburg 2010, S. 191).

Da die kompensierten Nachfragen für die Güter homogen vom Grad Null sind, addieren sich die kompensierten Lohn- und Preiselastizitäten jeweils zu Null. Daher folgt Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (und analog für das zweite Gut). Da die Substitutionseffekte symmetrisch sind erfolgt nach Einsetzen der kompensierten (Kreuz-) Preiselastizitäten Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und Umstellen die Corlett-Hague-Regel:[10]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Homburg 2010, S. 191). (20)

Wenn Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ist, dann ist das Gut 1 stärker freizeitkomplementär als Gut 2, da das Arbeitsangebot l mit steigendem Preis des Gutes 1 und daher sinkender Nachfrage nach Gut 1 stärker zunimmt, als das für das zweite Gut der Fall ist. Mit anderen Worten sinkt infolge eines Preisanstiegs die konsumierte Freizeit. Aufgrund der negativen Eigenelastizitäten der beiden Güter (vgl. Fußnote 9) bewirkt Gleichung (20), dass eine höhere Preiselastizität des Arbeitsangebotes bezüglich des ersten Gutes eine relativ höhere Besteuerung dieses Gutes verlangt.

Der Nutzen des Individuums steigt mit zunehmender Freizeit, d.h. er sinkt mit zunehmender Arbeitszeit – man spricht daher auch von Arbeitsleid. Der Lohnsatz Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten kann daher auch als Preis der Freizeit interpretiert werden, da man auf ihn für jede Stunde Freizeit verzichtet. Wenn Freizeit teurer wird werden die Individuen mehr Zeit in Arbeit investieren. Wenn dann mit steigendem Freizeitpreis – also sinkender Freizeit - die Nachfrage nach einem Gut abnimmt, so handelt es sich offensichtlich um ein Freizeitkomplement. Aus dem Maximierungsproblem (3) folgt die Identität: Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. Die Grenzrate der Substitution zwischen dem Konsumgut i und der Freizeit ergibt sich aus der Division des Grenznutzens des Gutes i und dieser Identität. Sie entspricht also äquivalent zu den Güterpreisverhältnissen dem Preisverhältnis Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Der Staat kann nun das Informationsproblem, das es unmöglich macht die Freizeit der Haushalte zu besteuern und damit nicht-verzerrende Steuersätze zu erheben, zumindest teilweise umgehen, indem er die Güter besteuert, die sich komplementär zur Freizeit verhalten. So kann die Freizeit auf Umwegen besteuert werden (vgl. Sandmo 1976b, S. 47). Aus Gleichung (20) folgt unter Beachtung der Negativität der direkten Preiselastizitäten Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, dass der optimale Steuersatz umso höher ist, je größer die Preiselastizität des Arbeitsangebots bezüglich des zu besteuernden Gutes ist, bzw. dass das stärker freizeitkomplementäre Gut entsprechend stärker besteuert werden muss. Umgekehrt verhält es sich entsprechend bei Gütern, deren Elastizität des Arbeitsangebots negativ ist (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten). Das Arbeitsangebot wird dann infolge eines Anstieges des Preises von Gut i sinken. Mit der Besteuerung würde der Staat Freizeit also indirekt subventionieren. D.h., dass das Weniger der Konsummenge des Gutes, das das Individuum infolge des gestiegenen Preises konsumiert, durch zusätzlichen Konsum von Freizeit substituiert wird. Analog spricht man in diesem Fall von einem Freizeitsubstitut (vgl. Keuschnigg 2005, S. 156 f.).

Dieser Zusammenhang spielt in der Realität eine große Rolle. Sofern man beispielsweise argumentieren kann, dass Alkohol ein Freizeitkomplement darstellt, kann aus der Freizeitkomplementaritätsregel unmittelbar eine stärkere Besteuerung alkoholischer Güter abgeleitet werden (vgl. Aronsson/Sjögren 2010, S. 162).

Die Regel kann durch die Verwendung eines primalen Ansatzes für alle Güter verallgemeinert werden, während sie bei der hier verwendeten dualen Haushaltstheorie im Rahmen der Corlett-Hague-Regel nur für zwei Güter gilt (vgl. Homburg 2010, S. 192).

2.4.4 Homothetische Präferenzen

Homothetische Präferenzen liegen vor, wenn die Einkommenselastizitäten für alle Güter gleich sind. Mit anderen Worten senkt eine Reduzierung des Einkommens die nachgefragten Mengen nach diesen Gütern um exakt das gleiche Verhältnis. Dieser Zusammenhang folgt aus der Tatsache, dass die Substitutionseffekte, wie oben beschrieben (Gleichung (15)), symmetrisch sind. Gleichung (9) kann dann folgendermaßen formuliert werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten . (21)

Wenn die Einkommenselastizitäten bezüglich aller Güter gleich sind, dann gilt außerdem Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, denn nach Einsetzen in Gleichung (21) erhält man:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Sandmo 1976b, S. 42 f.). (22)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1: Homothetische Präferenzen (Quelle: Sandmo 1976b, S. 43)

Im Fall homothetischer Präferenzen müssten alle Marshall’schen Nachfragen im gleichen Verhältnis gesenkt werden, da dadurch die Relativpreise unverändert bleiben. Wenn aber, wie bereits erläutert, eine First-Best-Lösung aufgrund des Informationsproblems nicht erreichbar ist, da Freizeit nicht besteuert werden kann und die Güternachfragen daher das Arbeitsangebot beeinflussen, kann eine effiziente Lösung nicht durch einheitliche Steuer-sätze erreicht werden, sofern nicht eine weitere (restriktive) Annahme getroffen wird:[11] Bei homothetischen Präferenzen und unter Verwendung einer schwach separablen Nutzenfunktion der Form Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten haben Entscheidungen bezüglich der Aufteilung des Güterkonsums keinen Einfluss auf die Wahl der Freizeit bzw. der Arbeitszeit. Die Steigung der Indifferenzkurven hängt hingegen lediglich von den Güterpreisen ab. Wegen der homothetischen Präferenzen senken in diesem Fall einheitliche Steuersätze die Marshall’schen Nachfragen aufgrund der identischen Einkommenselastizitäten um das gleiche Verhältnis und verzerren die Güterpreise nicht. Die Güterbündel, für die sich die Individuen entscheiden, liegen dann wie in Abbildung 2.1 auf dem durch den Ursprung verlaufenden linearen Einkommensexpansionspfad (vgl. Keuschnigg 2005, S.157 ff.). Die Grenzkosten der Besteuerung entsprechen also genau dem Grenznutzen des Einkommens. First-Best sind einheitliche Steuersätze aber auch in diesem Fall nicht, da wegen der Nichtbesteuerung der Freizeit die Individuen ihre Entscheidung bezüglich des Güterkonsums zwar ordnungsgemäß an den Bruttopreisverhältnissen ausrichten, nicht aber ihre Entscheidung bezüglich des Konsums der Freizeit. Die Steuern senken nämlich auch hier den Reallohn, reduzieren damit das Arbeitsangebot und verzerren die Entscheidung bezüglich des Arbeitsangebots und der konsumierten Freizeit (vgl. Homburg 2010, S. 157).

Dennoch lässt sich eine weitere Empfehlung für optimale Steuersätze gewinnen, wenn man beachtet, dass die Nachfragen bei homothetischen Präferenzen durch einheitliche Steuersätze im gleichen Verhältnis gesenkt werden können. Denn Abweichungen von diesem Ergebnis beruhen dann offenbar auf unterschiedlichen Einkommenselastizitäten. Aus den Gleichungen (9) und (15) folgt nach geringfügigem Umstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (23)

Einsetzen von (23) in die Ramsey-Regel (13) führt zu:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (24)

Wenn der Ausdruck in der Klammer ganz rechts positiv ist, d.h. wenn die Änderung der Nachfrage nach Gut k infolge einer Änderung des exogenen Einkommens I größer ist als die Änderungen der Nachfrage nach den übrigen Gütern i infolge dieser Einkommensänderung, dann ist der gesamte Ausdruck auf der rechten Seite (mit dem negativen Vorzeichen) negativ und im Betrag relativ groß. Wenn ausgehend von Null kleine Steuersätze Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten eingeführt werden, reduziert sich der Ausdruck links zu:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (vgl. Keuschnigg 2005, S. 156). (25)

Eine Änderung des exogenen Einkommens führt also bei Gütern mit einer relativ großen Einkommenselastizität zu einem relativ starken Rückgang der Nachfrage nach diesen Gütern. Wenn nun, wie beschrieben, die Zusatzlast der Besteuerung von den Substitutionseffekten infolge verzerrender Steuern abhängt und Einkommenseffekte keine verzerrende Wirkung besitzen, dann müssen diejenigen Güter stark besteuert werden, bei denen der Einkommenseffekt verhältnismäßig groß ist (vgl. Sandmo 1976b, S. 43 f.).

Die Annahme schwach separabler Nutzenfunktionen führt dazu, dass die Corlett-Hague- bzw. die Freizeitkomplementaritätsregel nicht gilt. Homothetische Präferenzen mögen aus analytischen Gründen praktisch sein – sie erlauben uns weitere Einblicke der Differenzierung nach Einkommenselastizitäten – sind aber nicht sehr realistisch und daher mit Vorsicht zu genießen. Wenn jedoch beispielsweise nicht alle Güter homothetische Präferenzen aufweisen, stattdessen aber eine bestimmte Gruppe von Gütern diese Eigenschaft besäße, dann spricht das Ergebnis für eine einheitliche Besteuerung zumindest dieser Gütergruppe (vgl. Atkinson/Stiglitz 1976, S. 68). Die Analyse in diesem Abschnitt spricht daher insgesamt für differenzierte Steuersätze.

2.4.5 Verteilungsaspekte

Bisher wurden Verteilungsfragen bei der Güterbesteuerung ausgeklammert. Indem per Annahme alle Haushalte identisch waren und durch ein Individuum repräsentiert wurden, konnte die Analyse sich bisher auf Effizienzfragen konzentrieren. Mit Blick auf die Inverse Elastizitätenregel wird jedoch deutlich, dass die bisher abgeleiteten Ergebnisse durchaus mit Verteilungsaspekten in Konflikt stehen können, wenn der Zusammenhang gilt, dass Güter des alltäglichen Bedarfs eine niedrige Preiselastizität besitzen (notwendige Güter). Diesen seien Luxusgüter, nach denen die Nachfrage stärker steigt als das Einkommen, gegenübergestellt; ihre Einkommenselastizität ist größer als eins (übertragbar ist das folgende Argument auf Veblen-Güter, die ebenfalls Einkommenselastizitäten größer als eins besitzen und deren Nachfrage mit steigendem Preis ebenfalls zunimmt). Das unter 2.4.2 abgeleitete Ergebnis empfiehlt eine höhere Besteuerung notwendiger Güter im Vergleich zur Besteuerung von Luxusgütern. Die verallgemeinerte Elastizitätenregel, die zwischen reichen und armen Haushalten unterscheidet, führt hingegen zu dem Ergebnis, dass insbesondere jene Güter hoch besteuert werden sollten, die in verhältnismäßig hohem Maße von reichen Haushalten nachgefragt werden. Die implizite Begründung ist, dass der soziale Grenznutzen des Einkommens der reichen Haushalte niedriger ist. Somit verursacht eine indirekte Besteuerung der reichen Haushalte durch Gütersteuern niedrigere soziale Kosten, während die Besteuerung von notwendigen Gütern die ärmeren Haushalte mit höherem Grenznutzen des Einkommens überproportional belasten würde (vgl. Keuschnigg 2005, S. 160 ff. und Sandmo 1976b, S. 48 ff.).

Eine Gütersteuer besitzt demnach regressive Eigenschaften, wenn sie ärmere Haushalte verhältnismäßig höher belastet als reiche. Diese regressive Wirkung ist aber vollständig vernachlässigbar, wenn sie durch andere, progressive Steuern ausgeglichen wird oder mit Blick auf Umverteilungswirkungen sogar überkompensiert wird. Etwas anders verhält es sich, wenn das besteuerte Gut nicht von allen Haushalten nachgefragt wird. Dann sind die Belastungswirkungen offensichtlich verschieden und können auch nicht einfach durch andere Steuern ausgeglichen werden, da die Zensiten, die das Gut nicht konsumieren, gewissermaßen unberechtigt kompensiert würden. Dieses Problem tritt offenbar bei Tabaksteuern auf, da nicht alle Steuerzahler zu den Rauchern gezählt werden können. Wenn Tabakkonsum am häufigsten in ärmeren Haushalten beobachtet werden kann, worauf Studien tatsächlich hindeuten, dann besitzt die Tabaksteuer eine regressive Wirkung und belastet besonders die ärmeren Bevölkerungsschichten (vgl. Smith 2008, S. 494 f.).

2.5 Einkommensbesteuerung

Es stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die bisherigen Ergebnisse mit einer Einkommensteuer stehen und welche Implikationen sie für diese besitzen. Eine Einkommensteuer hat, wie jede Steuer, Auswirkungen auf das Arbeitsangebot, verzerrt aber, anders als Gütersteuern, die Relativpreise und damit die Struktur der Güternachfrage des Individuums nicht. Bei homothetischen Präferenzen und quasilinearer Nutzenfunktion ist ein einheitlicher Steuersatz auf alle Güter optimal, da er lediglich die Budgetgerade nach innen verschiebt (vgl. Abbildung 2.1) und damit äquivalent ist zu einer proportionalen Einkommensteuer. Mit Blick auf die im vorigen Abschnitt diskutierten Verteilungsaspekte wird sofort deutlich, dass dann ein Steueraufkommen unter Berücksichtigung eines bestimmten Verteilungsziels besser durch eine nicht-lineare Einkommensteuer erreicht werden kann, die keinen Einfluss auf die Verbrauchsstruktur ausübt und damit auch eine niedrigere Zusatzlast aufweist als differenzierte Gütersteuern. Dieses Ergebnis gilt jedoch nur unter den getroffenen, zweifelhaften Annahmen homothetischer Präferenzen und der schwach separablen Nutzenfunktionen. Bei identischen Individuen nähme die Einkommensteuer dann aber die Form einer Kopfsteuer an (vgl. Keuschnigg 2005, S. 162 und Atkinson/Stiglitz 1976, S. 68 und S. 74).

Wenn diese Annahmen nicht gelten, dann besitzen die Ergebnisse der Inversen Elastizitätenregel und des Abschnitts 2.4.5 Gültigkeit und zur Erreichung des Verteilungsziels sollte die Einkommensteuer durch spezielle Gütersteuern ergänzt werden. Dies gilt umso mehr, da die Annahme identischer Individuen nicht besonders realistisch ist und sich die Haushalte durchaus in ihren Ausstattungen unterscheiden. Da der Staat durch die Einkommen-steuer auf diese Vermögen keinen oder nur beschränkten Einfluss hat, kann er die reichen Haushalte durch spezielle Gütersteuern indirekt gemäß der in Abschnitt 2.4.5 dargestellten Empfehlung besteuern und durch die Inverse Elastizitätenregel ein Ausweichen auf niedrigere Einkommen verhindern, zu dem es bei „diffenrenzierter“ Einkommensbesteuerung kommen könnte (vgl. Keuschnigg 2005, S. 163).

Nachdem in diesem Abschnitt die Optimalsteuertheorie dargestellt wurde, soll das Modell im nächsten Abschnitt erweitert werden, um Empfehlungen bezüglich der optimalen Besteuerung von Gütern mit externen Effekten abgeben zu können. Diese liefern ein weiteres wichtiges Argument, das für eine differenzierte Güterbesteuerung spricht. Dazu werden zunächst die externen Effekte, die aus dem Konsum mancher Güter resultieren, charakterisiert und darauf zwei Modellvarianten vorgestellt. Im Rahmen dieser Modelle soll die Besteuerung von externen Effekten beleuchtet werden.

[...]


[1] Diese Lösung wird anschaulich bei Homburg 2010, §32 und §33 (S. 146-152) beschrieben.

[2] Individuelle Möglichkeiten und Anstrengung – die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – spiegeln sich im Lohnsatz wider:

[3] Die Darstellung orientiert sich an Keuschnigg (2005), Homburg (2010) und Sandmo (1976b).

[4] (vgl. Keuschnigg 2005, S. 458).

[5] Zu Beachten ist das Envelopen-Theorem (vgl. Keuschnigg 2005, S. 456 f.): Die nutzenmaximalen Nachfragen sind bereits bestimmt, daher hat der Ausdruck keinen Einfluss auf den Wert der Zielfunktion.

[6] Das Ausgabenminimierungsproblem lautet: . (vgl. Keuschnigg 2005, S. 150)

[7], .

[8] Baumol, William J./Bradford, David F. (1970): Optimal Departures from Marginal Cost Pricing, in: The American Economic Review, Vol. 60, No. 3, Jun. 1970, S.265-283.

[9] Die Preiselastizitäten sind negativ, da die Nachfragen nach normalen Gütern mit steigenden Preisen sinken werden. Annahmegemäß werden Giffen-Güter vernachlässigt. Wären die Preiselastizitäten (wie bei Giffen-Gütern) positiv, verlangt die Inverse Elastizitätenregel negative Steuersätze, also Konsumsubventionen.

[10] beschreiben Änderungen der kompensierten Nachfrage, wenn sich der Bruttopreis ändert, denn ; bezeichne die Lohnelastizitäten der kompensierten Güternachfrage (vgl. Keuschnigg 2005, S. 156) und die Preiselastizitäten des kompensierten Arbeitsangebotes.

[11] Sandmo behauptet: „Note that this also implies uniform taxation, i.e. no change of relative prices within the group of taxed goods.” (Sandmo 1976b, S. 43)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863418878
ISBN (Paperback)
9783863413873
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Besteuerung externer Effekt EU Tabaksteuer Steuer Optimalsteuertheorie
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Titel: Tabakwarenbesteuerung in der Europäischen Union: Eine effizienztheoretische Untersuchung
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