Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika: Eine Kosten-Nutzen-Analyse
Zusammenfassung
Aufgrund der maritimen Abhängigkeit ist eine Sicherung der internationalen Seehandelswege für Deutschland von besonderem sicherheitspolitischen Interesse. Die Arbeit schildert nach einer allgemeinen Begriffsbestimmung die Folgen der Piraterie für die deutsche Wirtschaft anhand des Beispiels am Horn von Afrika. Die Selbstschutzmaßnahmen der Reeder, groß angelegte militärischen Operationen und Anti-Piraterie-Maßnahmen einzelner Staaten, im Besonderen der Einsatz der Deutschen Marine, werden ausführlich behandelt. Die praktische Anwendung der K-N-A bestimmt anschließend, welche Kosten der Bundesrepublik Deutschland durch Piraterie und deren Bekämpfung entstanden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2. Piraterie am Horn von Afrika
2.1 Allgemeine Begriffsklärung Piraterie
Diese Arbeit stützt sich auf die Piraterie-Definition der UNO (1970):
Seeräuberei ist jede der folgenden Handlungen:
a) jede rechtswidrige Gewalttat oder Freiheitsberaubung oder jede Plünderung, welche die Besatzung oder die Fahrgäste eines privaten Schiffes oder Luftfahrzeugs zu privaten Zwecken begehen und die gerichtet ist
i) auf Hoher See gegen ein anderes Schiff oder Luftfahrzeug oder gegen Personen oder Vermögenswerte an Bord dieses Schiffes oder Luftfahrzeugs;
ii) an einem Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, gegen ein Schiff, ein Luftfahrzeug, Personen oder Vermögenswerte;
b) jede freiwillige Beteiligung am Einsatz eines Schiffes oder Luftfahrzeugs in Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass es ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug ist;
c) jede Anstiftung zu einer unter Buchstabe a oder b bezeichneten Handlung oder jede absichtliche Erleichterung einer solchen Handlung.
Die Deutsche Marine unterscheidet weiterhin vier Formen von Piraterie (PIZ 2008):
Hafenüberfall
Piraten gehen mit dem Ziel an Bord, Geldmittel und wertvolle Gegenstände zu rauben. Diese Überfälle erfolgen im Hafen beziehungsweise in Hafennähe oder auf Flüssen und werden meist von kleineren Gruppen von Piraten ohne Anbindung an eine größere Organisation durchgeführt.
Schiffsübernahme
Piraten entern das Handelsschiff häufig mit Waffengewalt und übernehmen das Schiff mit dem Ziel, Ladung und Schiff später zu veräußern. Hier steckt eine straff geführte Form des organisierten Verbrechens dahinter, an den häufig korrumpierte staatliche Kräfte beteiligt sind. Die ursprüngliche Besatzung wird in der Regel über Bord geworfen, um keine Zeugen zu hinterlassen.
Seeräuberisch handelnde Terrorgruppen
In der Piraterie existieren auch Verbindungen zu staatlichen und terroristischen Organisationen. Bei staatlichen Organisationen erfolgt eine Beteiligung von Staatsbediensteten der unteren Ränge in Form von Korruption bis zur physischen Beteiligung an Piratenüberfällen. In höheren Bereichen der Hierarchie werden auch Piraterieakte toleriert, wenn sie der Durchsetzung politischer Ziele dienen, etwa der Durchsetzung strittiger Hoheitsrechte. Für terroristische Organisationen ist Piraterie darüber hinaus eine gute Gelegenheit, finanzielle Mittel für die Verfolgung ihrer politischen Ziele zu beschaffen; hierbei handelt es sich meist um reine Beschaffungskriminalität.
Lösegelderpressung
Piraten nehmen die Besatzung eines Schiffes in Geiselhaft und erpressen vom Eigner Lösegeld. Bei dieser Form der Piraterie gehören die Seeräuber zu einer größeren Organisation mit entsprechender Logistik. Die Piraten fungieren hier nur als ausführendes Organ, Verhandlungen und Geldübergabe finden außerhalb des Schiffes statt. Nach Übergabe des Lösegeldes verlassen die Geiselnehmer in der Regel das Schiff und lassen Schiff und Geiseln frei.
2.2 Brennpunkt Somalia
2.2.1 Wandel des Geschäftsmodells
Die ersten beiden Formen von Piraterie, Hafenüberfälle und Schiffsübernahmen, traten vor allem in den 90er Jahren in Süd-Ost-Asien auf. Hier wurden vornehmlich ankernde und vor Reede liegende Schiffe überfallen und ausgeraubt. Die Piraten hatten es meist nur auf die Wertsachen der Besatzungen abgesehen. Größere Raubzüge zielten aber auch auf die Veräußerung der Ladung und des Schiffes.
Die Piraterie in Süd-Ost-Asien ist nicht mit der Piraterie vor Somalia vergleichbar. Die asiatischen Piraten konnten sich zwar auf bereits länger bestehende organisierte und kriminelle Strukturen abstützen, doch sie hatten stets das Problem des gefährdeten Rückzugraums (Vgl. Stehr 2009a). In dem asiatischen Raum, der Malakka-Straße und dem indonesischen Inselreich, gab es stets Anrainerstaaten, die gegen die Piraterie vorgingen. Seit dem Jahr 2001 kooperierten Indonesien, Malaysia und Singapur im Kampf gegen die Piraterie mit ihren See- und Seeluftstreitkräften durch kontinuierliche Patrouillen der gefährdeten Seegebiete. Damit ist es dort den Anrainerstaaten gelungen, die Piraterie spürbar zurückzudrängen.
Die Statistiken belegen den Erfolg. Im Jahr 2004 wurden in der Malakka-Straße und vor Singapur 46 Überfälle gemeldet, wohingegen im Jahr 2008 nur acht Überfälle gemeldet wurden.
In Somalia jedoch können die Piraten auf sichere Basen auf dem Festland zurückgreifen. Daher haben sie auch ihr Geschäftsmodell geändert und konzentrieren sich auf die Anwendung der vierten Form von Piraterie, also auf die Lösegelderpressung. Da die somalischen Piraten bisher überwiegend ungestört auf Raubzüge gehen konnten, ist ein rapider Anstieg der Piraterie am Horn von Afrika seit Jahresbeginn 2008 zu verzeichnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2008 und 2009
Abbildung 1 : Piraterie weltweit
Abbildung 1 zeigt, dass die von dem afrikanischen Kontinent ausgehende Piraterie von 25 Prozent in den Jahren 2004-2005, über 35 Prozent in den Jahren 2006-2007 rapide auf rund 70 Prozent der weltweiten Überfälle[1] gestiegen ist. Dieser Anstieg muss noch genauer interpretiert werden, da für die Erstellung des Diagramms nur die Zahlen für die erste Hälfte des Jahres 2009 vorgelegen haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2008 und 2009
Abbildung 2 : Angriffe somalischer Piraten 2003-2009
Abbildung 2 zeigt die rapide Zunahme der Piraterie seit 2008 speziell am Horn von Afrika. Im Jahr 2008 haben sich die Angriffe[2] vor Somalia und im Golf von Aden im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Bereits im ersten Halbjahr des Jahres 2009 haben die Piraten 144 Schiffe angegriffen. Von den 144 Überfällen waren 27[3] erfolgreich und bis Mitte Juni waren 14 Schiffe mit rund 200 Seeleuten in der Gewalt somalischer Piratenbanden. Diese Anzahl an Überfällen übersteigt bereits die Anzahl des gesamten Vorjahres, obwohl nur das erste Halbjahr, für die Piraten die ertragsarmen Monate, in dem Diagramm berücksichtigt werden konnte. In der Regel herrscht im ersten Halbjahr in den Monaten Mai bis Juni im Indischen Ozean vor der Küste Somalias sehr stürmisches Wetter[4], das ein Auslaufen der Piratenboote verhindert. Für das zweite Halbjahr ist folglich eine weitere Steigerung der Angriffe zu erwarten, sodass für das Jahr 2009 insgesamt 250 Überfälle und rund 50 Entführungen zu verzeichnen sein könnten (Vgl. Stehr 2009a).
Ein weiterer wesentlicher Punkt, der das Ausmaß der Piraterie verdeutlicht, ist die Tatsache, dass viele Überfälle nicht an die Behörden gemeldet werden. Neben den offiziellen Zahlen der gemeldeten Überfälle existiert folglich eine hohe Dunkelziffer[5] von ungemeldeten Überfällen (Vgl. Stehr 2008a). Die Gründe hierfür sind vielfältig.
Zum einen wollen die Reedereien bzw. die Kapitäne von angegriffenen Schiffen keine Zeit in Häfen durch langwierige Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden verlieren. Hier gilt die bekannte wirtschaftliche Redewendung Zeit ist Geld. Ist den Piraten beispielsweise ein Überfall gelungen, das Lösegeld bezahlt und das Schiff und die Besatzung wieder frei, so hätte eine Meldung des Vorfalls zur Folge, dass das Schiff zwei Wochen lang in einem Hafen festmachen müsste, um der Polizei die Möglichkeit zu geben, das Schiff zu untersuchen und die Besatzung zu befragen. Dies bedeutet Zeitverlust und Zusatzkosten durch hohe Hafenliegegebühren. Zum anderen scheuen die Reedereien eine Meldung des Überfalls, um die Versicherungen nicht weiter in die Höhe zu treiben. Jeder Überfall, ob gelungen oder abgewehrt, erhöht die Risikoeinschätzung für das Seegebiet und damit die Kosten für Versicherungsprämien. Auf diesen Punkt wird im Kapitel Folgen der Piraterie noch genauer eingegangen.
2.2.2 Land und Regierung
Die Republik Somalia ist ein Küstenstaat am Horn von Afrika und liegt neben seinen Nachbarstaaten Kenia, Äthiopien und Dschibuti. In der Hauptstadt Mogadischu leben 500.000 bis 700.000 Menschen, von denen ein Großteil vor dem seit Jahren anhaltenden Bürgerkrieg geflohen ist. Seit 1988 herrscht in Somalia ein Bürgerkrieg, der die Infrastrukturen, die staatliche Ordnung, Recht und Gesetz zerstört und etwa einer halben Million Menschen das Leben gekostet hat (Vgl. Stehr 2004, S.34). In dem sogenannten Failed-State[6] ist seit dem Jahr 2004 eine Übergangsregierung für fünf Jahre eingesetzt worden. Diese hat es bisher nicht geschafft, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen oder zu befrieden.[7] In den einzelnen Teilen des Landes herrschen vornehmlich bewaffnete islamistische Milizen, die sich an Clan-Strukturen bzw. einzelnen Führungspersonen ausrichten (Vgl. Auswärtiges Amt 2009b). Die Friedensmission UNOSOM, die ab 1992 zur Hauptaufgabe hatte die Konfliktparteien zu Trennen und das Land wieder aufzubauen. Sie scheiterte endgültig im Jahr 1995 am Widerstand der Konfliktparteien, sodass die Friedenstruppen zurückgezogen wurden (Vgl. Stehr 2004, S.34).
Mit der Zerrüttung und dem Chaos im Lande haben sich Kriminalität und Armut ausgebreitet, die auf die angrenzenden Staaten übergreifen könnten.[8] Davon betroffen ist beispielsweise der Jemen, wo sich eine ähnliche Entwicklung wie in Somalia andeutet. Die Bevölkerung Somalias ist zu einem Drittel, d.h. etwa drei Millionen Menschen, auf internationale Hilfslieferungen angewiesen. Etwa 90 Prozent der Hilfslieferungen des WFP werden über den Seeweg geliefert. Die Piratenbanden haben bereits wiederholt Schiffe des WFP überfallen und entführt.
2.2.3 Strategie und Organisation der Piratenbanden
Die Strategie der somalischen Banden besteht darin, sich privat zu bereichern, solange die staatlichen Strukturen Somalias zerfallen sind. Die Machtlosigkeit der somalischen Regierung gibt den Piratenbanden genügend Spielraum, ihre Basen und ihr Geschäftsmodell weiter auszubauen, um ihren Gewinn schließlich weiter zu steigern. Gefahren drohen den Piraten lediglich durch die Bandenkonkurrenz untereinander.
An der 3.300 Kilometer langen Küste Somalias haben mehrere straff organisierte Piratenbanden ihre Hauptquartiere aufgeschlagen[9]. Die Piraten agieren hier nicht verdeckt in kleinen Schlupfwinkeln, sondern stellen ihren neuerworbenen Reichtum zur Schau. Sie bauen repräsentative Häuser, fahren luxuriöse Autos und tragen westliche Mode. „Die Erfolge und die bisher erfahrene Risikolosigkeit des `Business` haben die Banden übermütig gemacht“ (Stehr 2009b), so ein Piraterie-Experte.
Einige Piratenbanden, die jeweils aus etwa 400 Mitgliedern bestehen (Vgl. Ankenbrand 2009), werden, durch eine nachweisbare prozentuale Abfuhr ihrer Einnahmen, von den aufständischen Milizen im Inland geduldet.
Im Gegensatz zu der Piraterie in Süd-Ost-Asien, die immer mit Raubdelikten verbunden war, hat sich vor Somalia das Geschäftsmodell geändert (Vgl. Krohn 2009). Die Piraten versuchen die Handelsschiffe zu entführen, um schließlich hohe Lösegelder für die Freigabe von Schiff und Besatzung zu erpressen. Sie können somit deutlich höhere Gewinne erzielen als durch das Verüben reiner Raubdelikte. Die Professionalisierung des Geschäftsmodells hin zu einer nahezu routinemäßig verlaufenden Lösegeldverhandlung bestätigt, dass die bewaffneten Piraten, die nur als ausführendes Organ der Banden agieren, auf Know-How und eine strukturierte Organisation zurückgreifen.[10] So ist nach Erkenntnissen einer französischen Parlamentskommission die Verteilung der Beute strikt geregelt. Laut dieser ergingen nach einer erfolgreichen Lösegeldverhandlung 30 Prozent des Lösegelds an den Investor, der Boot und Waffen bereitgestellt hat. Die Piraten würden 50 Prozent des Lösegeldes unter sich verteilen und 15 Prozent an die Übersetzer auszahlen. Die restlichen fünf Prozent würden in einen Fonds eingezahlt werden, der für die Familien der getöteten Piraten angelegt worden ist (Vgl. Thibaut 2009). Jede erfolgreiche Schiffsentführung, einhergehend mit einer Lösegeldzahlung, führt so zu einem Anstieg der Liquidität und der Bordmittel der Piraten (Vgl. Möhle 2009). Folglich verfügen die Banden mittlerweile über moderne Schusswaffen, sowie Panzerfäuste und Raketen, die sie auf ihren meist kleinen, wendigen und schnellen Booten mit sich führen. Eine Koordination der Überfälle und eine Vernetzung der Piraten untereinander werden durch moderne Kommunikationsmittel an Bord gewährleistet.
2.2.4 Taktik der Piraten und gefährdete Seegebiete
In der Presse wurde die These aufgeworfen, dass die Überfälle womöglich zentral aus London gesteuert würden. Das International Maritime Bureau hält diese These für unwahrscheinlich, da die Angriffe offensichtlich recht spontan erfolgen würden und die nötigen Informationen für einen Überfall von den Piraten auch vor Ort ergattert werden könnten (Vgl. Thibaut 2009). Dennoch sind die Piraten bekannt dafür, dass sie ihre Ausrüstung und ihre Taktik der Situation und damit der Beute anpassen. Der Reeder Niels Stolberg äußerte sich zu den Piraten wie folgt: „Die Piraten sind mittlerweile hochprofessionell und extrem gut organisiert. Sie beobachten Schiffe und Ladung, beschaffen Informationen und planen minutiös ihre Angriffe“ (Birger 2009). Teilweise verüben die Piraten Täuschungsangriffe, um Notsignale zu provozieren und um die Kriegsschiffe so an einen falschen Ort zu locken, damit die Piraten ihr eigentliches Ziel angreifen können (Vgl. Hermann 2009). Die häufigsten Opfer von Überfällen sind Schüttgut- und Stückgutfrachter, da diese mit einer geringen Geschwindigkeit fahren und sehr niedrige Bordwände haben. Für die Piraten sind sie somit ein optimales Ziel. Containerschiffe werden zwar ebenfalls oft angegriffen, da die Piraten hier noch höhere Lösegeldsummen verlangen könnten, doch aufgrund der höheren Reisegeschwindigkeit und der hohen Bordwände, sind die Containerschiffe bisher nur selten Opfer von Entführung gewesen. Die Abbildung 3 verdeutlicht diese Fälle.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2008 und 2009
Abbildung 3 : Angegriffene Schiffstypen weltweit
Bisher wurden von den Banden pro Überfall bis zu drei kleine Boote gleichzeitig eingesetzt. Experten meinen, es sei künftig damit zu rechnen, dass die Anzahl der eingesetzten Männer und Boote zunehmen wird, um die erhöhten Bordwände und sonstige Selbstschutzmaßnahmen der zivilen Schiffe zu überwinden (Vgl. Stehr 2009b). Nach Erkenntnissen der NATO werden Frachter meist im Morgengrauen oder in der Abenddämmerung angriffen, um den Schutz der Dunkelheit auszunutzen (Vgl. NZZ 2009). Dabei handeln die Piraten meist nach einer bewährten Routine. Sie nehmen das Schiff unter Beschuss, um die zivile Besatzung dazu zu zwingen die Fahrt zu drosseln bzw. aufzustoppen. Gelingt ihnen dieses Manöver, boarden sie das Schiff und fahren es vor die somalische Küste.[11] In den folgenden Tagen wird versucht Kontakt zu der Reederei des Schiffes aufzunehmen, um die Lösegeldforderung durchzugeben. Diese Verhandlungen[12] können sich über Monate hinziehen.[13] In einem solchen Fall, verkaufen die Piraten im zunehmenden Maße Teile der Ladung, um bereits Gewinne zu erzielen.
Um ihr Einsatzgebiet auszuweiten, nutzen die Piraten sogenannte Mutterschiffe. Diese liegen fern ab der Küste[14] und bieten den kleinen Booten, welche für die Überfälle genutzt werden, eine Art Hafen auf See. Von diesen Schiffen aus können die Piraten spontan und dennoch koordiniert operieren. Bei der Entwaffnung von Mutterschiffen wurde bereits festgestellt, dass sich die Piraten auf den verschiedenen Schiffen gegenseitig über potentielle Ziele austauschen und Überfälle absprechen (Vgl. IMB 2009).
Das von den somalischen Piraten bedrohte Seegebiet erstreckt sich folglich von den Küsten Somalias über den Golf von Aden bis hin zum Indischen Ozean in Höhe der Seychellen.
2.3 Folgen der Piraterie
2.3.1 Konsequenzen für deutsche Reeder
Jedes fünfte Schifffahrtsunternehmen ist bereits Opfer von Piratenangriffen geworden (Vgl. PWC 2009, S.4).
Die Abbildung 4 zeigt, dass deutsche Reeder seit dem rapiden Anstieg der Piraterie im Golf von Aden und vor der Küste Somalias am häufigsten Opfer von Piratenangriffen gewesen sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2009
Abbildung 4 : Firmensitz der angegriffenen Schiffe von Januar 08 - Juni 09
Aus diesen Angriffen resultieren mehrere Folgen für die deutschen Reeder. Vornehmlich entstehen ihnen hohe zusätzliche monetäre Kosten. Diese Kosten unterteilen sich in direkte und indirekte Kosten.
Die direkten Kosten entstehen in erster Linie durch die Lösegeldverhandlungen und die sich anschließende Zahlung von Lösegeldern. Die Verhandlungen erfordern von den Reedern das Heranziehen unabhängiger Berater für die Verhandlung sowie für die Übergabe. Außerdem müssen Dolmetscher und Informanten engagiert werden. Weitere Kostenstellen bilden die psychiatrische und medizinische Behandlung der Besatzung nach der Freilassung sowie die Gehaltsfortzahlungen, Darlehenszinsen, Forensische Analysen und Gutachterkosten. Die Kosten für die Lösegelder und die Verhandlungen sind folglich erheblich. Nachdem das Lösegeld gezahlt wurde und das Schiff und die Besatzung wieder freigelassen worden ist, müssen die Reeder noch die angefallenen Ausfallkosten des Schiffes tragen.
Laut einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Price Waterhouse Coopers ist die deutsche Schifffahrtindustrie durch die Weltwirtschaftskrise ohnehin schwer getroffen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: PWC 2009, S.5
Abbildung 5 : Betroffenheit der Reeder von der aktuellen Wirtschaftskrise
Die Abbildung 5[15] zeigt, dass über die Hälfte der deutschen Reeder stark von der Krise betroffen ist.
Nur jede zehnte Reederei gab bei der Umfrage an, nicht von der Krise betroffen zu sein. Weiterhin berichtet PWC, dass über 80 Prozent der deutschen Reeder ihre Finanzierungsmöglichkeiten von Schiffen anpassen müssten, da die Banken und andere Geldgeber stark eingeschränkt seien. Außerdem führe ein Nachfragerückgang im Gütertransport zu niedrigeren Erlösen als erwartet. Fast die Hälfte der deutschen Reedereien habe Auslastungsprobleme und unterhalte somit Schiffe ohne Beschäftigung (Vgl. PWC 2009, S.4). Durch die Weltwirtschaftskrise schaden die zusätzlichen Kosten, die durch die Piraten entstehen, den deutschen Reedern desto mehr.
Weitere direkte Kosten entstehen durch technische Umrüstungen, Sicherheitsschulungen, Routenänderung und weitere Maßnahmen die dem Schutz gegen Piraterie dienen. Laut PWC rechnen nur wenige Unternehmen damit, einen diese Zusatzkosten an ihre Kunden weitergeben zu können.
Die indirekten Kosten entstehen überwiegend durch die steigenden Versicherungskosten. Die Abbildung 6 macht deutlich, dass knapp über die Hälfte der befragten deutschen Reeder mit erhöhten Versicherungsprämien zu kämpfen haben. Auf dieses Thema soll im folgenden Kapitel näher eingegangen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: PWC 2009, S.11
Abbildung 6 : Folgen der Piraterie
Etwa 20 Prozent der Reeder haben Rekrutierungsschwierigkeiten und nehmen große Umwege in Kauf. Nur etwa jede zehnte Reederei gibt allerdings an, private Sicherheitsdienste an Bord zu führen.
Weitere indirekte Kosten entstehen durch eine psychologische Behandlung, die von immer mehr Reedereien für ihre Schiffsbesatzungen gefordert wird. Psychologische Schulungen sollen präventiv Schiffsbesatzungen auf eine mögliche Geiselnahme vorbereiten. Künftig soll eine psychosoziale Notfallversorgung für solche Besatzungen angeboten werden, die bereits Opfer einer Entführung geworden sind und traumatische Symptome aufzeigen (Vgl. Mertz 2009, S.68).
2.3.2 Konsequenzen für Versicherungsgesellschaften
Der Schutz gegen Piraterie, im Rahmen der gängigen maritimen Deckungen, besteht durch die folgenden Arten von Versicherungen: Seekasko, Nebeninteressen, Krieg, Loss of Hire, Protection&Indemnity und Kidnap&Ransom. Die Quelle für die folgenden Angaben ist eine Präsentation des Versicherungsmaklers Junge&Co.[16] aus Hamburg vom elften Mai 2009.
Die Kaskoversicherung bietet grundsätzlichen Versicherungsschutz für das Piraterie-Risiko im Bezug auf Sachsubstanzschäden, den Totalverlust, den Partschaden[17] und die Nehmung[18] durch Seeräuber. Weitere Erstattungen in Havarie-Grosse[19], wie beispielsweise die Zahlung des Lösegeldes, werden stets im Einzelfall geprüft und sind daher möglich.
Die Nebeninteressenversicherung bietet die gleichen Versicherungsmöglichkeiten wie die Kaskoversicherung. Der drohende Totalverlust des Schiffes ist grundsätzlich gedeckt. Eine Verteilung in Havarie-Grosse wird im Exzedentenfall[20] genauso gehandhabt wie bei der Kaskoversicherung.
In der Kriegsversicherung ist die Piraterie noch grundsätzlich ausgeschlossen, daher wird das Gebiet am Horn von Afrika nicht als Kriegsschauplatz bewertet, sondern als ein Ort bei dem es zu einer feindlichen Verwendung von Kriegswerkzeugen kommt.
Für das Einsetzen der Loss of Hire-Versicherung ist ein Sachsubstanzschaden am Schiff als Ursache für die Ausfallzeit die Voraussetzung. Daher erfolgt im Pirateriefall grundsätzlich keine Erstattung, wenn kein Sachsubstanzschaden am Schiff vorliegt.
Die P&I Versicherung deckt grundsätzlich den Tod oder die Verletzung der Crew und der Passagiere. Weitere Deckungen sind wegen der Subsidiarität in den anderen Sparten nicht von der P&I Versicherung zu erwarten.
Eine K&R Versicherung ist an Spezialbedingungen geknüpft und wird auf die jeweilige Besonderheit des Maritimes-Risikos für die Besatzung zugeschnitten. Sie versichert die Gefahren Entführung und Erpressung und zahlt daher die Lösegelder, den Verlust des Lösegeldes bei der Übergabe, unabhängige Berater für die Verhandlung und die Übergabe, Dolmetscher, deren Reisekosten sowie die Unterkunft, psychiatrische und medizinische Behandlungen, Rechtsberatungskosten, Belohnungen für Informanten, die Gehaltsfortzahlung, Darlehenszinsen, Forensische Analysen, Gutachterkosten, Kuren und kosmetische und plastische Chirurgie.[21]
Für Schäden an der Ladung durch die Piraten ist die Reederei beziehungsweise der Warenversicherer zuständig.
Dadurch, dass die Versicherungen aufgrund der Zunahme von Piraterie immer öfter in Anspruch genommen werden müssen, steigen zwangsläufig die Kosten der einzelnen Policen. Beispielsweise haben sich seit Ende 2008 die Prämien für die K&R Versicherung verzehnfacht (Vgl. Heunemann 2009).[22]
Die Versicherungen, welche die deutschen Reeder in Anspruch nehmen, berücksichtigen natürlich auch die Kosten, die ihnen durch ausländische Kunden entstehen. Außerdem sind die Reedereien meist in verschiedensten Ländern zugleich versichert, da kein einzelnes Unternehmen einen Gesamtwert von rund 100 Millionen Euro[23] deckt. Dies hat zur Folge, dass die ansteigenden Versicherungsprämien von allen Reedereien getragen werden müssen, ohne zu berücksichtigen, welcher Kunde bereits Opfer einer Entführung gewesen ist und welcher bisher keine Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen musste.
Laut dem Leiter der Abteilung Risk and Crisis Management der Münchner Result Group profitieren neben den Versicherungen auch Krisenberater-Firmen von der Piraterie. Diese werden zunehmend von Reedern aufgesucht (Vgl. Heunemann 2009).[24] Solche Firmen erstellen ein Krisenhandbuch, welches Schritte, Strategien und Ansprechpartner zusammenfasst und Tipps für die zu fahrende Route gibt. Zudem bieten sie sich als Verhandlungsführer an.
2.3.3 Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft
Die weltweit verflochtene Ökonomie basiert auf dem massenhaften Austausch von Waren. Vor allem die europäischen Volkswirtschaften sind von dem internationalen Import und Export abhängig. Die Bundesrepublik Deutschland hat daher, als moderner Wirtschaftsstandort, Exporteur, Importeur und seefahrende Nation, ein vitales Interesse an der Sicherheit der Seewege (Vgl. Stehr 2004, S.1). Die Piraterie vor Somalia trifft in erster Linie die deutschen Reeder, welche jedoch versuchen, die zusätzlichen Kosten, die ihnen durch die Piraterie entstehen, an ihre Kunden und somit an die deutsche Wirtschaft weiterzugeben. Der Sprecher des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) äußerte sich zur den Folgen der Piraterie für die deutsche Wirtschaft mit den Worten: „Die Piraten werden die Lebensader der Globalisierung nicht schwächen“ (Ankenbrand 2009). Laut dem VDR seien nur sehr wenige Schiffe von Entführungen betroffen und der internationale militärische Einsatz gegen die Piraterie zeige bereits Erfolge.
Dennoch nehmen die Reeder das Thema Piraterie sehr ernst. Schließlich ist die globale Ökonomie durch die Weltwirtschaftskrise bereits schwer getroffen. Die Reeder haben eine starke Verantwortung im Umgang mit der Krise, da sie dafür zuständig sind, den transkontinentalen Güterliniendienst aufrechtzuerhalten und die feststehenden Fahrpläne zu befolgen. Die Logistikketten vieler Unternehmen sind auf rechtzeitige Lieferung von Waren angewiesen, da sie sich auf die Just in Time Lieferung verlassen, um Lagerkosten zu sparen. Vor allem für Projekttransporte für Infrastruktur- oder Energievorhaben ist die Termintreue der Lieferkette enorm wichtig. Schwere Lieferverzögerungen können beispielsweise für einen Gasförderkomplex zu Betriebsausfällen und Konventionalstrafen in dreistelliger Millionenhöhe führen (Vgl. HANSA 2009a).[25] Reeder die sich folglich für eine Meidung des Suezkanals entscheiden und den Umweg um Kapstadt in Kauf nehmen stoßen selten auf Verständnis bei dem Supply-Chain-Management ihrer Kunden (Vgl. Stehr 2009a). Der Umweg um Kapstadt, auf der Asien-Europa Reise, bringt eine Verlängerung von zehn bis 20 Tagen[26] mit sich. Beispielsweise dauert die Fahrt eines durchschnittlichen Handelsschiffes vom Persischen Golf nach Rotterdam durch den Suezkanals etwa 17 Tage. Der Umweg um Südafrika dauert 31 Tage, sodass die ersparte Kanalgebühr durch die Kosten für den längeren Weg für die Reeder um ein Vielfaches[27] aufgewogen wird.
Außerdem gefährden die Piraten auch die Ladung des Schiffes, sofern diese verderbliche oder besonders zeitkritische Ware beinhaltet, obwohl die Piraten meist gar kein Interesse an der Ladung haben. Ganze Ladungen können daher stark an Wert verlieren und führen schließlich zu sehr hohen Kosten, die auch von den Warentransportversicherern getragen werden müssen.[28]
Die zusätzlichen Kosten, durch die Piraterie am Horn von Afrika, werden in erster Linie die Reeder selbst tragen müssen. Doch die zunehmende Meidung des Suezkanals kann sich auch auf die gesamte Wirtschaft auswirken, denn durch die verlängerte Reise entstehen nicht nur den Reedern weitere Kosten.
Da ein Schiff durch den Umweg um das Kap der Guten Hoffnung deutlich länger mit der gleichen Fracht unterwegs ist, müssen auch die Kunden, die anschließend ihre Ware auf den Weg schicken wollen, länger auf den verfügbaren Schiffsraum warten. Je mehr Reedereien sich für die Meidung des Golfs von Aden entscheiden, desto stärker verknappt sich das Schiffsraumangebot. Diese stärkere Verknappung hat zur Folge, dass die Preise für den Schiffsraum und damit für die Frachtraten in die Höhe steigen. Diese Erhöhung der Transportkosten schlägt sich schließlich auf die Endverbrauchspreise nieder (Vgl. Stehr 2009a).
Sollten auch die Versicherungsprämien noch weiter steigen, so werden die Reeder, auch die, die bisher selbst noch kein Opfer von Entführungen geworden sind, gezwungen sein, diese zusätzlichen Kosten auf ihre Kunden abzuwälzen, welche diese wiederum an die Endverbraucher weitergeben.
Diese Phänomene werden noch verstärkt, wenn zusätzlich die Konjunktur der Weltwirtschaft wieder anzieht. Schließlich führt eine erhöhte Nachfrage zu einer verstärkten Verknappung des Schiffsraumangebots und damit zu einem weiteren Anstieg der Frachtraten. Außerdem steigen die Versicherungsprämien je mehr, desto mehr Schiffe Handel betreiben. Das Anziehen der Konjunktur würde daher zur Folge haben, dass Rohstoffe, importierte Industrieprodukte sowie deutsche Exportprodukte teurer werden. Die Piraterie gefährdet dadurch über eine Kette von Ursache-Wirkung-Beziehungen auch deutsche Industriearbeitsplätze.
3.Bekämpfung der Piraterie
3.1 Rechtlicher Rahmen der Bekämpfung
Die Meere, die über 70 Prozent der Erdoberfläche einnehmen, sind, von den schmalen Hoheitsgewässern abgesehen, hoheitsfreier Raum und bieten den Piraten somit einen recht großen Handlungsspielraum. Die UNO, die NATO und die EU versuchen in den maritimen Brennpunkten der Piraterie ein Mindestmaß an Sicherheit, Recht und Ordnung zu gewährleisten. Vor allem das Seegebiet am Horn von Afrika ist ein solcher Brennpunkt, der Regeln und Eingreifrechte für die Bekämpfung der Piraterie bedarf.
3.1.1 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen
Die völkerrechtliche Grundlage für den Rechtsbegriff der Piraterie wurde in der United Nations Convention on the Law of the Sea vom in dem Jahr 1982 erfasst und trat schließlich im Jahr 1994 in Kraft (Vgl. Stehr, S.19). In Deutschland trägt UNCLOS den Titel Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Das SRÜ definiert zwei Rechtsräume in den Weltmeeren. Zum einen gibt es die Hohe See und zum anderen die Hoheitsgewässer. Die Hoheitsgewässer teilen sich wiederum in ausschließlichen Wirtschaftszonen und Küstengewässer.
Auf der Hohen See gilt das Völkerrecht für die Fälle Selbstverteidigung und Nothilfe. Jeder Staat kann darüber hinaus eine Strafverfolgung nach seinem jeweiligen nationalen Straf- und Prozessrecht anordnen, sofern ein überfallenes Schiff diesem Staat angehört (Vgl. Stehr 2004, S.18).
Die Küstenmeere bilden ein zwölf Seemeilen breites Hoheitsgewässer des anliegenden Küstenstaates. In den Küstengewässern gilt das Völkerrecht subsidiär. Hier bestimmt das nationale Recht des Küstenstaates die Rechte für Selbstverteidigung, Hilfeleistung oder Strafverfolgung.
Dem Küstenmeer schließt sich eine 200 Seemeilen breite ausschließliche Wirtschaftszone an, die dem Küstenstaat Rechte zur wirtschaftlichen Nutzung der Meeresressourcen einräumt.
Die geltenden Vorschriften zur Bekämpfung der Piraterie sind in den Artikeln 100 bis 107 des SRÜ festgehalten:
Artikel 100
Pflicht zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Seeräuberei:
Alle Staaten arbeiten in größtmöglichem Maße zusammen, um die Seeräuberei auf Hoher See oder an jedem anderen Ort zu bekämpfen, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht.
Artikel 105
Aufbringen eines Seeräuberschiffs oder –luftfahrzeugs:
Jeder Staat kann auf Hoher See oder an jedem anderen Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug oder ein durch Seeräuberei erbeutetes und in der Gewalt von Seeräubern stehendes Schiff oder Luftfahrzeug aufbringen, die Personen an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs festnehmen und die dort befindlichen Vermögenswerte beschlagnahmen. Die Gerichte des Staates, der das Schiff oder Luftfahrzeug aufgebracht hat, können über die zu verhängenden Strafen entscheiden sowie die Maßnahmen festlegen, die hinsichtlich des Schiffes, des Luftfahrzeugs oder der Vermögenswerte zu ergreifen sind, vorbehaltlich der Rechte gutgläubiger Dritter.
Diese Artikel sind sogenannte Bemühungsverpflichtungen, die den Staaten die Wahl geeigneter Maßnahmen überlassen. Das heißt, dass der Staat nicht verpflichtet ist einem Handelsschiff Schutz zu gewähren. Die Eingriffsrechte für Kriegsschiffe stellen somit Befugnisse und keine Pflichten dar. Diese Befugnisse sind weiterhin nur außerhalb der zwölf Seemeilenzone zulässig.[29] Das Souveränitätsprinzip sorgt dafür, dass die Verfolgung von Tätern durch Kriegsschiffe auf der hohen See mit Beginn der zwölf Seemeilenzone endet.
Allerdings hat der Sicherheitsrat am 2. Juni 2008 eine einstimmige Resolution[30] hervorgebracht, die fremden Nationen erlaubt, auch innerhalb der zwölf Seemeilenzone Somalias Piraterie mit allen erforderlichen Mitteln zu bekämpfen, die sonst nur auf der hohen See erlaubt sind (Vgl. HANSA 2008).[31]
Außerdem fordern die Resolutionen regionale Initiativen der Nachbarstaaten der gefährdeten Gebiete.[32]
Die einstimmige Resolution[33] vom 16. Dezember 2008 erlaubt erstmalig und auf Somalia beschränkt den militärischen Einsatz gegen Piraten an Land.[34]
3.1.2 Befugnisse der Deutschen Marine
Der Artikel 87a des Grundgesetztes weist der Deutschen Marine einen Verteidigungsauftrag zu. Außerhalb dieses Verteidigungsfalles darf die Bundeswehr nur in Sonderfällen eingesetzt werden, sofern das GG dies zulässt. Diese Sonderfälle sind durch ein Urteil[35] des Bundesverfassungsgerichts an ein Mandat eines jeden konkreten Einsatzes gebunden, der dann speziell im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) erarbeitet wird.[36] Einer dieser Sonderfälle ist der GG-Artikel 25 Abs.2, welcher der Bundeswehr erlaubt, sich zur Friedenswahrung einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen, wie es die UNO oder die NATO bieten (Vgl. HANSA 2008). Der Einsatz der Bundeswehr in den Auslandseinsätzen ist somit zulässig, bedarf allerdings außerdem jeweils die Zustimmung des Bundestages.[37]
Die Operation Atalanta der Europäischen Union, die am Horn von Afrika zur Bekämpfung der Piraterie durchgeführt wird, wurde am 18. Dezember 2008 in Angriff genommen. Die Deutsche Marine ist in dieser Operation nach dem GG-Artikel 24 Abs.2 eingesetzt. Das Mandat wurde vom Bundestag verabschiedet und basiert auf der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und einem Mandat der EU. Die Mission wird aus dem Marinehauptquartier der EU in Northwood/ Großbritannien geführt.
Das Mandat ist robust und macht die Deutsche Marine handlungsfähig. Es erlaubt auch die Einschiffung von sogenannten Vessel Protection Teams, die aus Soldaten der Marinesicherungskräfte bestehen und auf Wunsch von Reedern und Kapitänen eingesetzt werden können (Vgl. Feldt 2009).
Die Frage nach der Zuständigkeit bei einer Festnahme von Piraten, bei der Beweissicherung und der Strafverfolgung wurde lange Zeit diskutiert. Diese ist nun durch ein Abkommen der EU mit dem Staat Kenia geklärt.[38]
Eine in der Politik heftig diskutierte Grundgesetzänderung ist für die deutsche Beteiligung an den Operationen folglich nicht notwendig.
3.2 Militärische Bekämpfung auf See
3.2.1 Militärische Operationen
Am Horn von Afrika kontrollieren kontinuierlich rund 30 Kriegsschiffe das Seegebiet, um die von Somalia ausgehende Piraterie zu bekämpfen. Die Einheiten operieren entweder im militärischen Verbund einer Mission oder im nationalen Alleingang. Die Operationen der NATO, der EU und der USA stehen im ständigen Austausch von Informationen und versuchen so Redundanzen zu vermeiden und effektiv gegen die Piraterie vorzugehen.
Die Nordatlantische Allianz geht aktiv gegen die Piraterie am Horn von Afrika vor. Sie hat dazu eine Reihe von Missionen durchgeführt, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.
Die Operation Enduring Freedom geht seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 am Horn von Afrika gegen den internationalen Terrorismus vor. Sie hat daher nicht das Ziel und auch nicht die Befugnis, Piraterie aktiv zu bekämpfen.[39] Während die britische, französische und indische Marine dennoch aktiv gegen die Piraten vorgegangen sind[40], ist der Deutschen Marine, aus verfassungsrechtlichen Gründen, nur ein Eingreifen im Rahmen der Notwehr erlaubt (Vgl. Auswärtiges Amt 2008).
Die NATO-Mission Allied Provider war die erste Mission, die gezielt gegen Piraterie vorgehen sollte. Sie begann im Oktober 2008 und hatte zum Auftrag, die Hilfelieferungen des WFP zu schützen, bis die EU-Mission Atalanta einsatzbereit war.[41] Der Mission lag eine Vollmacht zugrunde, gegen Piraten unabhängig von den Seegrenzen vorzugehen (Vgl. Jenisch 2009).
Deutschland war an dieser Mission nicht beteiligt.
Die Mission Allied Protector löste die Mission Allied Provider im März 2009 ab und erstreckte sich bis Juli.[42]
Obwohl die Bundesrepublik in den letzten Jahren der drittgrößte Truppensteller bei den von der Allianz durchgeführten Operationen gewesen ist (vgl. BMVg 2009a, S.17), war sie auch an dieser Mission nicht beteiligt.
Die Operation Ocean Shield bildete wiederum die Ablösung der Mission Allied Protector im August 2009.[43] Die Mission hat neben der Pirateriebekämpfung auch die Unterstützung der Anrainerstaaten beim Aufbau eigener Fähigkeiten zur Bekämpfung der Piraterie zum Ziel.
Die Deutsche Marine ist an dieser Operation gegenwärtig nicht beteiligt (Vgl. NATO 2009).
Die Combined Task Force 151 ist eine internationale Operation gegen Piraterie, die von den USA geführt wird. Die Task Force operiert seit Januar 2009 und wird von 20 Nationen unterstützt, welche gemeinsam die Piraterie im Golf von Aden und vor der somalischen Küste bekämpfen wollen (Vgl. CUSNC 2009).
Die USA beabsichtigen, die Basen der somalischen Piraten auf dem Festland auszuschalten. Dabei sollen vor allem die Piratennester in den somalischen Hafenstädten Eyl und Hobyo, durch den Einsatz von Spezialeinheiten, vernichtet werden. China und Russland haben signalisiert, einen solchen Schlag ggf. zu unterstützen (Vgl. Ankenbrand 2009).
Neben den USA nehmen auch Kriegsschiffe aus Russland, Indien, Saudi-Arabien, China, Iran[44], Australien und Japan unter jeweils nationalem Kommando an der Bekämpfung der Piraterie teil.
3.2.2 Operation Atalanta
Die Operation Atalanta[45] ist der erste maritime Militäreinsatz der Europäischen Union und hat zum Ziel, die Piraterie am Horn von Afrika einzudämmen und die Schiffe des WFP sowie des allgemeinen Seeverkehrs zu schützen. Die Operation erlaubt das Angreifen, Festhalten und Überstellen von Personen, die in Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen[46] oder bewaffnete Raubüberfälle begangen zu haben, sowie die Beschlagnahme der Seeräuberschiffe, der Ausrüstung und der erbeuteten Güter. Im Rahmen der ESVP wurde ein militärisches Vorgehen gegen die Piraterie am 10. November 2008 beschlossen, sodass der konkrete Marineeinsatz am 8. Dezember 2008 erfolgte (vgl. Jenisch 2009). Das Einsatzgebiet wurde im Mai 2009 von dreieinhalb auf fünf Millionen Quadratkilometer erweitert[47] und umfasst somit eine Zone vor den Küsten Somalias, Dschibutis, Eritreas, des Jemens, Kenias, der Südküste des Omans, Tansanias und den Gewässern um die Seychellen. Das Einsatzgebiet ist somit etwa zehnmal so groß wie Deutschland.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Bundeswehr
Abbildung 7 : Einsatzgebiet Atalanta
Die Operation, die ursprünglich auf die Dauer eines Jahres ausgerichtet war, ist bis zum Dezember 2010 verlängert worden (Vgl. Zeit online 2009a). In dieser Zeit sollen bis zu zwölf Kriegsschiffe und drei Seefernaufklärer zeitgleich patrouillieren. Gegenwärtig operieren sieben[48] EU-Mitgliedstaaten in dem Seegebiet.
Deutschland ist an dieser Operation seit Dezember 2008 beteiligt.
3.3 Bekämpfung der Piraterie durch die Deutsche Marine
3.3.1 Aufgaben und Einsatz
Die Deutsche Marine ist an der NATO-Mission Enduring Freedom und an der EU-Mission Atalanta beteiligt. Da die die OEF allerdings nicht das Primärziel verfolgt, Piraterie zu bekämpfen, soll im Folgenden nur auf die EU-Mission Atalanta in Bezug auf den Einsatz der Deutschen Marine eingegangen werden.
Der deutsche Bundestag hat am 19. Dezember 2008 der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Mission Atalanta zugestimmt. Das Mandat ist zunächst auf zwölf Monate befristet und vorsorglich auf den Einsatz von bis zu 1400 deutschen Soldaten ausgelegt. Deutschland unterstellt der Mission kontinuierlich mindestens eine Fregatte und einen Seefernaufklärer. Zurzeit sind rund 650 Soldaten im Einsatz. Darunter fällt das Bordpersonal der Fregatten, das Flug- und Unterstützungspersonal des Seefernaufklärers sowie Kräfte aus den Bereichen Sicherung, Logistik, Sanitätswesen und des Feldjägerdienstes. Das Bundeskabinett beschloss am 26. Mai 2009, dass sich die Deutsche Marine auch im erweiterten Seegebiet weiterhin an der Mission beteiligen werde. Der Deutsche Bundestag stimmte einer Erweiterung des Operationsgebietes am 18. Juni 2009 zu (Vgl. Auswärtiges Amt 2009a).
Die Deutsche Marine stellt der Mission zahlreiche militärische Fähigkeiten zur Verfügung. Sie leistet neben einer weiträumigen Aufklärung des Einsatzgebietes, der Seeraumüberwachung und der Lagebilderstellung vor allem Führungs- und Führungsunterstützungsaufgaben. Desweiteren gewähren die Einheiten der Deutschen Marine Geleitschutz und die Einschiffung von Sicherungskräften auf zivilen Schiffen. Neben weiteren Fähigkeiten ist es den Einheiten auch möglich, Piraten, nach einer gewaltsamen Beendigung eines Überfalls, in Gewahrsam zu nehmen und die Piraten den zuständigen Strafverfolgungsorganen in Kenia zu überstellen.
Für den Geleitschutz werden Group Transits organisiert, die mehrere Handelsschiffe auf einer festgelegten Route zusammenfassen, um sie dann sicher durch ein gefährdetes Gebiet zu eskortieren. Diese sogenannten Korridore werden allerdings nicht von allen Handelsschiffen in Anspruch genommen. Daher geschieht es immer wieder, dass Schiffe, die den militärisch geschützten Korridor nicht benutzen, von somalischen Piraten gekapert und entführt werden.
3.3.2 Probleme und Herausforderungen des Einsatzes
Während die Kommandanten der Kaiserlichen Marine die klare Instruktion hatten, „Jedes Kriegsschiff hat das Recht und die Pflicht, auf offenem Meere solche Schiffe, bei denen der Tatbestand der Piraterie erhellt, gleichviel unter welcher Flagge sie fahren, anzuhalten und sich ihrer zu bemächtigen“ (Perels 1903, S.114), ist ein solch eindeutiger Befehl zur Bekämpfung der Piraterie heute nicht mehr gegeben. Anweisungen für deutsche Kriegsschiffe hinsichtlich Piraterie gestalten sich heute zurückhaltender und weitaus komplizierter. Obwohl die Deutsche Marine die Fähigkeiten hätte, Piraten nach einem abgewehrten Angriff bis zu ihren Mutterschiffen zu verfolgen und dort festzunehmen, sieht die Bundesregierung von einem solchen Vorgehen ab.[49] Eine aktive Suche nach Mutterschiffen, einhergehend mit einer Festnahme der sich dort befindenden Piraten, wäre laut eines Piraterie-Experten allerdings die einzige Vorgehensweise, die in der Weite des Seegebietes eine Gewähr effektiven Streitkräfteeinsatzes bieten würde (Vgl. Stehr 2009c, S.4). Andere europäische Einheiten haben beispielsweise allein zwischen April und Anfang Mai 2009 vier Mutterschiffe und zahlreiche kleine Boote fernab der somalischen Küste aufgebracht, nachdem sie diese durch eine aktive Suche ausfündig gemacht hatten (Vgl. Stehr 2009a). Die Deutschen Einheiten müssen sich gemäß Mandat des Deutschen Bundestages auf den Geleitschutz und die Abwehr akuter Angriffe begrenzen. Sie dürfen nicht aktiv gegen Piraterie vorgehen.
Die Deutsche Marineführung ist davon überzeugt, dass neben dem maritimen Einsatz noch weitere Maßnahmen nötig sind, um die Piraterie vor Somalias Küsten wirksam und nachhaltig zu bekämpfen. Der Befehlshaber der Deutschen Flotte, Hans Joachim Stricker, schätzt die Situation wie folgt ein: „Militärische Mittel lösen das Piraten-Problem langfristig nicht. Wir gewinnen für die Politik lediglich Zeit, damit sie zu anderen Maßnahmen kommen kann“ (Zeit online 2009b).
3.4 .Selbstschutzmaßnahmen der Reeder
3.4.1 International Maritime Bureau
Das International Maritime Bureau ist eine spezialisierte Abteilung der Internationalen Handelskammer mit Sitz in London. Die Abteilung ist eine Non-Profit-Organisation die seit 1981 Kriminalität auf See bekämpft. Seit 1992 betreibt das IMB ein Meldezentrum für Piraterie, Piracy Reporting Centre, in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur. Das Meldezentrum hat mehrere Aufgaben. Es berichtet täglich über aktuelle Piraterie-Meldungen via Internet und dem Satellitenkommunikationsnetz Inmarsat. Desweiteren unterstützt es Reedereien und Schiffsbesatzungen die Opfer von Überfällen geworden sind. Außerdem veröffentlicht die Abteilung jährlich einen Bericht, Piracy and Armed Robbery against Ships, Annual Report, der sämtliche weltweit gemeldeten Piraterie-Vorfälle des jeweils vorangegangenen Jahres zusammenfasst (Vgl. IMB 2009).
3.4.2 Personelle und technische Aufrüstung
„Deutsche Schiffsunternehmen sind am stärksten von der Piraterie betroffen“ (Rit 2009). Daher ist der Druck, gegen Piraterie vorzugehen, in Deutschland am größten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2009
Abbildung 8 : Firmensitz der angegriffenen Schiffe von Januar 2008-Juni 2009
Die Abbildung 8 macht deutlich, dass Deutschland seit dem prägnanten Anstieg der Piraterie am Horn von Afrika, seit Anfang 2008, am häufigsten Opfer von Piratenüberfällen gewesen ist.
Deutsche Reeder legen daher zunehmend Wert auf Schutzmaßnahmen für ihre Schiffe. [50] Aber zahlreiche empfohlene oder angebotene Maßnahmen stoßen noch auf Skepsis bei den Reedern.
Die US-Sicherheitsfrima Blackwater, die sich in XE umbenannt hat, bietet beispielsweise einen privaten Schutz durch die Einschiffung von bewaffnetem Fremdpersonal an Bord der einzelnen Schiffe mit der Devise Angriff ist die beste Verteidigung. Der Einsatz solch einer Sicherheitsfirma würde die Versicherungsprämien allerdings nicht senken. Zudem lehnen deutsche Reeder vielfach die Einschiffung von Sicherheitskräften auf ihren Schiffen ab. Sie befürchten eine Eskalation der Gewalt an Bord ihrer Schiffe und eine Gefährdung der Schiffsbesatzung, wenn es zu Schießereien zwischen angreifenden Piraten und Sicherheitskräften kommen sollte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2009
Abbildung 9 : Arten der Gewaltanwendung weltweit
Die Abbildung 9 zeigt, dass die Gewaltanwendung, vor allem die Tötungen, in den letzten Jahren sehr zurückgegangen ist, obwohl die Anzahl der Entführungen wiederum sehr stark gestiegen ist. An diesem Umstand möchten die deutschen Reeder festhalten. Ein weiterer Punkt, der gegen die Einschiffung von Schutzpersonal an Bord von Handelsschiffen spricht, ist die Tatsache, dass zivile Schiffe mit bewaffnetem Personal nicht in jeden Hafen einlaufen dürfen. Die Reeder müssten also vor jeder Fahrt genau prüfen, ob die Zielhäfen eine Einfuhr überhaupt erlauben würden.
Einige Reeder jedoch haben das BMVg gebeten, speziell ausgebildete Bundeswehrsoldaten auf Handels- und Kreuzfahrtschiffen einzuschiffen. Diese Bitte wurde jedoch abgelehnt, da der Schutz durch Bundeswehrsoldaten an Bord allein den UN- Hilfsgütertransporten vorbehalten ist. (Vgl. Stockfisch 2009). Der VDR rät daher den Reedern zu passiven Schutzmaßnahmen ihrer Schiffe, d.h. zu entsprechenden technischen Aufrüstungen an Bord.
Am wirkungsvollsten hat sich bisher der simple Einsatz von Stacheldraht, bzw. NATO-Draht[51], gezeigt. Der Draht ist nicht nur in der Anschaffung sehr günstig und leicht an Bord der Handelsschiffe zu verlegen, er wirkt bei Piratenangriffen vornehmlich auch zeitverzögernd, denn die Piraten benötigen viel Zeit, um den Stacheldraht zu überwinden, um an Bord zu gelangen. Diese Zeit kann das Schiff nutzen, um militärische Hilfe anzufordern und gewährt der Besatzung die Möglichkeit, weitere geeignete Maßnahmen zur Abwehr und zum Selbstschutz zu ergreifen. Eine stärkere Form des Drahtes bildet ein elektrischer Zaun[52], der um die Schiffsreling gespannt wird und bereits Enterhaken und Leitern zusetzen soll.
Desweiteren bietet sich der Einbau eines sogenannten Panic-Rooms an, eines verschließbaren Raumes, in dem sich die Besatzung vor den Piraten schützen kann. Der NATO-Draht und der Panic-Room werden bereits als Abwehrinstrumente auf deutschen Schiffen eingesetzt (Vgl. Rit 2009).
Ein weiteres wirkungsvolles Abwehrinstrument stellt der Einbau von Schallkanonen dar.[53] Diese Long Range Acoustic Device Schallkanonen senden akustische Signale[54], die aufgrund ihres hohen Schalldrucks im Nahbereich, zu starken Schmerzreizen führen und mindestens 1000 Meter weit wirken (Vgl. HANSA 2009b). Neben den Schallkanonen werden auch Laserkanonen getestet, die ihre Angreifer bereits in weiter Entfernung blenden sollen.
Der Gebrauch von Wasserkanonen und Feuerwehrschläuchen hat sich auch als sehr effektiv erwiesen. Feuerwehrschläuche gehören zur Ausrüstung eines jeden Handelsschiffes. Die Bremer Reederei Beluga Shipping versucht, die vorhandenen Abwehrinstrumente noch weiter zu optimieren und will künftig auch chemische Reizstoffe mit dem Wasser für die Hochdruckschläuche vermischen (Vgl. Werner 2009).
3.4.3 Schulung der Besatzung und der Mitarbeiter
Zahlreiche Unternehmen bieten Kurse an, um die Besatzungen von Handelsschiffen für eine Fahrt durch pirateriegefährdete Gebiete vorzubereiten. Neben psychologischen Schulungen, die präventiv gegen Traumata vorbeugen sollen, stellen die Unternehmen Verhaltensregeln vor und geben Ratschläge, wie sich die Besatzung bei Abwehrmaßnahmen und im Umgang mit Piraten verhalten sollen. Die Offiziere der Handelsschiffe müssen fünfmal jährlich Seminare besuchen und alle zwei Wochen mit den Mannschaften den Ernstfall üben, sofern eine Reederei solche Schulungen in Anspruch nimmt (Vgl. FTD 2009). Auch Organisationen wie das IMB oder die NATO empfehlen Schutzmaßnahmen wie beispielsweise die Einrichtung von ständigen Ausgucks, die frühzeitig vor Piratenbooten waren oder eine intensive Oberdecksbeleuchtung, um den Eindruck von Wachsamkeit zu erzeugen und potentielle Täter abzuschrecken (Vgl. Stehr 2004, S.86). Die NATO rät zudem, dass Handelsschiffe eine Mindestgeschwindigkeit von 15 Knoten einhalten, denn bislang ist es Piraten nicht gelungen, mit einer solchen Geschwindigkeit mitzuhalten (Vgl. NZZ 2009).
Neben Schulungen für die Besatzung werden auch solche Schulungen für die Mitarbeiter in den Reedereien angeboten. Beispielsweise die Firma Maritime & Underwater Security Consultants ist als beratendes Unternehmen für Reedereien tätig. Das Unternehmen empfiehlt, klare Aufgaben und Verantwortungsbereiche festzulegen, wie nach einer Schiffsentführung die Reaktionen der Reedereien abgestimmt und abgearbeitet werden sollten. So müssen Mitarbeiter ausgewählt werden, die den Kontakt zu den Eignern, den Charterern, den Behörden, den Versicherungen und den Familien der Besatzungen halten und Informationen weitergeben. Außerdem sollte ein Mitarbeiter für die Beantwortung von Pressefragen vorbereitet werden. Neben solchen Veranlassungen vor bzw. während eines Überfalls beschäftigt sich das Unternehmen aber auch mit der Situation nach einer Freilassung der Besatzung und des Schiffes. Meist haben die Piraten den Seeleuten alle Papiere, die Seefahrtsbücher, die Ausweise und das gesamte Bargeld abgenommen, sodass die Mitarbeiter der Reederei konsularische Schritte einleiten müssen, um der befreiten Besatzung die Einreise nach Kenia zu ermöglichen und eine Bargeldversorgung sicher zu stellen (Vgl. Wiese 2009a, S.73).
3.4.4 Routenanpassung
Die wohl extremste Art des passiven Selbstschutzes in die Inkaufnahme eines Umweges. Dennoch machen immer mehr Reeder davon Gebrauch und lassen ihre Schiffe um das Kap der Guten Hoffnung fahren. Bereits gegen Ende des Jahres 2008 gaben vier Reedereien bekannt, dass sie bis auf Weiteres Teile ihrer Flotten nicht mehr durch den Golf von Aden fahren lassen wollten. Die Vier Reedereien Maersk[55], Odjefell[56], Cliiper Projects[57] und Lehman[58] gaben an, vor allem Tanker umzuleiten, da die Containerschiffe im Schnitt am schnellsten fahren können und zusätzlich wegen ihrer hohen Bordwände nur selten Opfer von Entführungen werden (Vgl. Stehr 2009b). Mittlerweile hat auch die größte deutsche Reederei Hapag Lloyd angegeben, Frachter um Südafrika fahren zu lassen.
Langfristig ist die Meidung des Suezkanals jedoch keine Lösung. Die entstehenden Zusatzkosten wurden bereits im zweiten Kapitel erläutert. Die machtlosen Reeder hoffen somit auf den Erfolg der militärischen Bekämpfung der Piraterie und auf die politischen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft.
3.5 Erfolge der Bekämpfung
Trotz der zunehmenden Präsenz von militärischen Einheiten im Seegebiet vor Somalia, stieg in den vergangenen Monaten die Intensität der Piratenüberfälle enorm an. Aufgrund der defensiv ausgerichteten Strategie der internationalen Marineverbände zeigen sich die Piraten insgesamt unbeeindruckt von der Präsenz der Kriegsschiffe. Sie reagierten flexibel und konnten so größtenteils der Seeraumüberwachung ausweichen und ihr Operationsgebiet ausweiten. Militärexperten behaupten, es seihen mindestens 500 Kriegsschiffe notwendig, um das riesige Seegebiet wirklich kontrollieren zu können (Vgl. Wiese 2009b). Dennoch ist seit dem Beginn der EU-Mission Atalanta die Erfolgsquote der Piratenüberfälle deutlich zurückgegangen, da die Piraten immer häufiger gezwungen werden, ihre Angriffe abzubrechen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des IMB Reports 2009
Abbildung 10 : Rückgang der Entführungen
Die Abbildung 10 zeigt das Verhältnis der gescheiterten Angriffe zu den gelungenen Entführungen die auf somalische Piraten zurückgehen.
Die Erfolgsquote der Piraten ist somit von 38 auf 21 Prozent gesunken. Außerdem machen die Reeder zunehmend die Erfahrung, dass die von der Marine begleiteten Konvois tatsächlich abschreckend auf die Piraten wirken. Es ist folglich zu erwarten, dass immer mehr Handelsschiffe den Schutz durch die patrouillierenden Kriegsschiffe in Anspruch nehmen werden und somit die Erfolgsquote der Piraten noch weiter schmälern.
Die Einsatzkräfte haben seit dem Beginn der Mission sämtliche Schiffe des WFP erfolgreich nach Somalia eskortiert (Vgl. Hamburger Messe 2009). Dadurch wurden über 140.000 Tonnen Nahrungsmittel an die somalische Bevölkerung ausgeliefert. Außerdem wurden in den Einsätzen bisher über 50 Piraten festgenommen (Vgl. Auswärtiges Amt 2009a).
Dennoch ist die Piraterie vor Somalias Küsten ein Auswuchs der verfahrenen Lage an Land (Vgl. Geise 2009). Demnach sind neben den militärischen Einsätzen auch zivile Anstrengungen nötig, um die Stabilität im Inland wieder herzurichten.
[...]
[1] Die Zahl der Angriffe umfasst die erfolgreichen sowie die abgewehrten Überfälle.
[2] Die Zahl der Angriffe umfasst die erfolgreichen sowie die abgewehrten Überfälle.
[3] Entführte Schiffe die deutschen Reedern gehören waren im Jahr 2009 bisher die MV Longchamp, MV Patriot, MV Victoria und die MV Hansa Stavanger.
[4] Die Piraten haben mit einem Seegang bis zu sechs Metern zu kämpfen.
[5] Die Dunkelziffer ist doppelt bis vierfach so hoch, wie die offiziell gemeldete.
[6] Als Failed-State wird in seiner allgemeinsten Definition ein Staat bezeichnet, der seine grundlegendsten Funktionen nicht mehr erfüllen kann.
[7] Ende Mai 2009 kontrollierte die Übergangsregierung nur noch etwa ein Drittel der Hauptstadt.
[8] Eine ähnliche Beobachtung machte auch der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in Bezug auf den Irak (Vgl. Stiglitz&Bilmes 2008, S.170).
[9] Die bekanntesten Piratenhochburgen sind die Städte Hobyo und Eyl.
[10] Das Know-How wird vor allem durch erfahrene Bootsführer, ehemalige somalische Anwälte und die Ortsältesten gestellt.
[11] Dort wird das Schiff samt Besatzung meist bei Eyl und Harardere vor Anker gelegt (Vgl. Wiese 2009a).
[12] Die Reeder setzen meist einen unabhängigen Verhandler für sich ein, der keine Entscheidungskompetenz besitzt, sodass sie nicht zu Geldzusagen gezwungen werden können.
[13] Die längste Geiselhaft, die somalische Piraten bisher zu verantworten hatten, endete am 7.Juni 2009, als der nigerianische Schlepper Yenegoa Ocean samt seiner zehnköpfigen Besatzung nach zehn Monaten wieder freigelassen wurde (Vgl.Stehr 2009a).
[14] Bis zu einer Entfernung von 80 Seemeilen.
[15] 101 deutsche Reedereien wurden befragt und sollten ihren Betroffenheitsgrad von der Wirtschaftskrise in einer Skala von 1 – 5 bewerten.
[16] Junge&Co. ist der führende internationale Versicherungsmakler, der auf maritime Wirtschaft spezialisiert ist. Da etwa 75 Prozent der Kunden aus Deutschland stammen, ist Junge&Co. Marktführer in Deutschland und soll das Hauptquelle für das Thema Versicherung in dieser Arbeit dienen.
[17] Ein Partschaden bezeichnet einen Schaden am Schiff oder den Verlust des ganzen Schiffes auf See.
[18] Der Begriff Nehmung bezeichnet die Beraubung und Plünderung von Schiffen.
[19] Havarie-Grosse ist ein Versicherungsausdruck, der die zeitweilige Unterbrechung der Schiffsreise durch einen Schaden des Befrachters beschreibt.
[20] Ein Exzedent ist ein Betrag, der über die ausgesuchte Versicherungssumme hinausgeht.
[21] Das Limit je versicherten Schaden liegt derzeit bei ca. 5 Millionen Euro.
[22] Nach Angaben der Versicherung Aon Risk Services.
[23] Der durchschnittliche Wert von Schiff und Ladung beträgt 100 Millionen Euro.
[24] Die Kosten für die Beanspruchung solcher Firmen belaufen sich auf sechs-stellige Beträge (Vgl. Heunemann 2009).
[25] Im Golf von Aden sind bereits zahlreiche Mehrzweckfrachter, die auch für Projekttransporte eingesetzt werden, entführt worden.
[26] Die Dauer der Reise ist von der Reisegeschwindigkeit des Schiffes abhängig und beträgt in der Regel 15 Tage.
[27] Nach Angaben der International Maritime Organization kostet der Transport rund um Kapstadt 25-30 Prozent mehr.
[28] Beispielsweise der Industrieversicherer Zurich Global Corporate, der bereits selbst einen Fall erlebt hat, bei dem eine Lieferung hochwertiger, verderblicher Produkte aus der chemischen Industrie durch eine Schiffsentführung unterbrochen wurde, erklärt sich teilweise bereit, sich an den Kosten für die Freilassung von Mannschaft, Schiff und Ladung zu beteiligen (Vgl. HANSA 2009a, S.98).
[29] Etwa 80Prozent aller Überfälle werden innerhalb der zwölf Seemeilenzone ausgeübt.
[30] UN Security Council Resolution S/1816 (2008) vom 02.06.2008.
[31] Diese Resolution, die mit der somalischen Übergangregierung erarbeitet wurde, war auf sechs Monate befristet. Eine weitere Resolution[31]vom 2. Dezember 2008 verlängerte die Berechtigung alle Mittel einzusetzen um ein Jahr.
[32] Als Vorbild gilt hier das im Jahr 2006 in Kraft getretene Regional Cooperation Agreement on Combating Piracy and Armed Robbery zwischen Singapur, Indonesien und Malaysia (Vgl. Jenisch 2009). Eine erste Initiative bildet die regionale Verbindung der Küstenwachen Maritime Organisation of West and Central Afrika.
[33] UN Security Council Resolution S/1851 (2008) vom 16.12.2008.
[34] Diese Resolution ist für ein Jahr begrenzt und endet damit im Dezember 2009.
[35] Urteil vom 12. Juli 1994.
[36] Das BMVg ist folglich für die Formulierung der Mandate verantwortlich.
[37] Ein solcher Einsatz ist beispielsweise die NATO Operation Enduring Freedom, die am Horn von Afrika zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus durchgeführt wird. Die Deutsche Marine wird in dieser Mission nach Artikel 5 des NATO-Vertrages eingesetzt. Allerdings beschränkt sich das Mandat auf die Bekämpfung des Terrorismus und grenzt somit eine aktive Bekämpfung der Piraterie, im Rahmen der Operation, aus.
[38] Die gegenwärtige Lösung ist nur eine Zwischenlösung, da sie auf Kenia begrenzt ist und die Staaten, die die Piraten festgesetzt haben auch für die Strafverfolgung in die Pflicht nimmt.
[39] Die Einheiten der Operation, meist fünf Fregatten aus wechselnden alliierten Staaten, sind in ihrem Handeln auf Terrorbekämpfung, Lagebilderstellung auf See, Eigensicherung und Nothilfe beschränkt.
[40] Beispielsweise bei der Befreiung des nordkoreanischen Frachters Dai Hong Dan am 30. Oktober 2007 (Vgl. CUSNC 2007).
[41] Die Mission, die aus NATO-Einheiten der Standing NATO Maritime Group 2 bestand, endete folglich im Dezember 2008, nachdem sie acht Mal Geleitschutz für Schiffe des WFP gestellt hatte.
[42] Der Einsatzverband bestand aus fünf Schiffen der SNMG 1 und hatte erneut zum Auftrag, die Hilfelieferungen des WFP zu geleiten.
[43] Die Mission wurde erneut mit Einheiten aus der SNMG 2 bestückt.
[44] Der Iran beschränkt seinen militärischen Einsatz allerdings auf den Geleitschutz eigener Handelsschiffe (Vgl. IMB 2009).
[45] Der Operationsname entstammt der griechischen Mythologie und bezeichnet eine amazonenhafte Jägerin.
[46] Die Formulierung seeräuberische Handlungen erlaubt den Einheiten nur ein Eingreifen, wenn ein konkreter Überfall ersichtlich ist, d.h. sie dürfen nicht gegen untätige Mutterschiffe vorgehen.
[47] Die Republik der Seychellen bat die EU um Unterstützung bei der Piratenbekämpfung, da die Piraten auch dort tätig geworden sind.
[48] Beteiligt sind Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Niederlande und Schweden.
[49] Der Grund dafür könnte in einem Vorfall Ende des Jahres 2008 liegen, als eine indische Fregatte ein Mutterschiff versenkt hatte, welches Geiseln an Bord führte.
[50] Im Gegensatz zu deutschen Reedern rüsten einige asiatische Reeder ihre Schiffe mit Granatwerfern aus und stellen ihren Besatzungen Molotow-Cocktails zur Verfügung.
[51] NATO-Draht ist deutlich schärfer als regulärer Stacheldraht.
[52] Der vom IMB empfohlene elektrische Zaun hat eine Spannung von 9000 Volt und kostet in der Anschaffung durchschnittlich 16.000 Euro (Vgl. Stehr 2004).
[53] Beispielsweise hat das Kreuzfahrtschiff Queen Mary 2 vier solcher Schallkanonen an Bord.
[54] Akustische Signale im Bereich von 2100-3100 Hertz mit einem maximalen Schalldruckpegel von etwa 150 Dezibel.
[55] Maersk ist eine Reederei aus Dänemark und mit 470 Schiffen derzeit Weltmarktführer.
[56] Odjefell ist eine Reederei aus Norwegen, die 92 Schiffe besitzt und auf den Transport von Chemikalien spezialisiert ist.
[57] Clipper Projects ist eine Reederei aus Dänemark, die 43 Container- und Stückgutfrachter besitzt.
[58] Lehman ist eine Reederei aus Deutschland, die 13 Schüttgut- und Stückgutfrachter besitzt.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783863418830
- ISBN (Paperback)
- 9783863413835
- Dateigröße
- 1.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- maritime Abhängigkeit Atalanta Golf von Aden Piraterie Somalia Pirat
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing