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Wohnimmobilien im Fokus von Investoren und Stadtplanern: Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf den Düsseldorfer Wohnimmobilienmarkt

©2012 Bachelorarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der europäischen Staatsschuldenkrise haben in den letzten drei Jahren zu einer Anlegerflucht in Sachwerte geführt. Die neue Wertschätzung des ‘Betongolds’ als Inflationsschutz, die historisch niedrigen Langfrist-Zinsen und die zuletzt wieder gute konjunkturelle Entwicklung haben dazu geführt, dass zahlreiche Privat-Anleger sich nach Immobilien-Eigentum umsehen. Zusätzlich entdecken auch institutionelle Investoren aus Mangel an Anlage-Alternativen den Wohnimmobilienmarkt neu. Insbesondere in den prosperierenden Großstädten Deutschlands haben diese Tatsachen zu einem hohen Nachfragedruck geführt. Doch das Angebot ist begrenzt. Preise und Mieten stiegen auch in Düsseldorf mitunter in den zweistelligen Prozentwert an. Das hat Folgen für die Stadtentwicklung: Die günstigen Renditeerwartungen im innenstädtischen und innenstadtnahen Hochpreissegment haben zu einer überproportionalen Verstärkung dieses Segments im Vergleich zum niedrigen und mittleren Segment geführt. Das Angebot profitiert dabei von der Reurbanisierung ressourcenstarker Bevölkerungsgruppen. Die angespannte Situation im unteren Mietwohnungssegment hat sich zugespitzt. Dort hält das Angebot am wenigsten mit dem Nachfragewachstum mit. Gerade in den gründerzeitlichen Trend-Vierteln haben diese Effekte die bereits vorhandenen Verdrängungsprozesse der Gentrification (spezifische sozioökonomische Umstrukturierungsprozesse in städtischen Wohngebieten) verstärkt. Es ist zu vermuten, dass auch die sozioräumliche Polarisierung zunehmen wird. Weniger wohlhabende Bürger und besonders Familien sind häufig gezwungen Düsseldorf zu verlassen und im Umland günstigeren Wohnraum nachzufragen. Diese neue Suburbanisierung erhöht den Druck auf die Umlandkommunen neue Flächen bereitzustellen, um vom Düsseldorfer Wachstum profitieren zu können. Zwischen den Umlandstädten existiert ein Konkurrenzkampf um die Neubürger der Region Düsseldorf.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Einflussfaktoren auf den deutschen Wohnimmobilienmarkt und deren Folgen
2.1 Zinsniveau und BIP
2.2 Struktur des Immobilienmarkts
2.3 Emotionalität
2.3.1 Traum vom Eigenheim
2.3.2 Inflationsangst
2.4 Anlagepräferenzen großer Investoren aus dem In- und Ausland
2.5 Gesellschaftliche Trends
2.5.1 Demographischer Wandel
2.5.2 Pluralisierung der Lebensstile, Reurbanisierung und Tertiärisierung
2.5.3 Kommunen zwischen Liberalisierung und Globalisierung

3 Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf den Düsseldorfer Wohnimmobilienmarkt
3.1 Methodisches Vorgehen
3.2 Humangeographische Charakteristik Düsseldorfs
3.2.1 Räumliche Abgrenzung
3.2.2 Neuere städtebauliche Geschichte
3.2.3 Ökonomie
3.2.4 Demographie
3.2.5 Sozialräumliche Struktur
3.2.6 Wohnimmobilienmarkt
3.3 Direkte Auswirkungen auf dem Wohnimmobilienmarkt
3.3.1 Kaufpreisentwicklung & Transaktionsvolumen
3.3.2 Mietpreisentwicklung
3.3.3 Bautätigkeit
3.4 Weitergehende Auswirkungen
3.4.1 Reurbanisierungs-Impulse
3.4.2 Suburbanisierungs-Impulse
3.4.3 Soziale Segregation
3.4.4 Stadtplanerische Entwicklung

4 Zusammenfassung und Fazit

Quellenverzeichnis

Anhang
I.) Auflistung der Interviewpartner
II.) Interview-Leitfaden

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Der Erschwinglichkeitsindex von DB Research, Wohnungspreise und verfügbare Einkommen und der langfristigen Hypothekenzinssatz in %.

Abb. 2 Wohnungsfertigstellungen in Deutschland nach Gebäudearten.

Abb. 3 Ein Beispiel für eine innerstädtische, ehemals industriell genutzte Brache: das ehemalige Gelände der Glashütte Gerresheim in Düsseldorf. Die Patrizia AG, Augsburg, plant dort ab 2014 Wohnbebauung.

Abb. 4 Wanderungssalden der Stadt Düsseldorf mit den Umlandkreisen, der Wohnungsmarktregion und dem Rest im zeitlichen Verlauf.

Abb. 5 Bevölkerungswachstum von Innenstadt, Stadtrand und Innenstadtrand als Indexwert (1990 = 100).

Abb. 6 Anteil der SGBII-Empfänger an der Gesamtbevölkerung bis 65 Jahre, 2008.

Abb. 7 Gegenüberstellung des prognostizierten Wohnungsbedarfs mit dem zeitlichen Verbrauch des ermittelten Wohnungsbau-Flächenpotenzials.

Abb. 8 Preis-Index für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen in Vorkriegs- und Neubauten (jünger als zehn Jahre) in Düsseldorf.

Abb. 9 Entwicklung der Maximal-Mieten im Bestand in Düsseldorf seit 2002. Die Werte ab 2012 sind prognostiziert.

Abb. 10 Fertiggestellte Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden in Düsseldorf ab 2000.

Abb. 11 Durchschnittlicher Kaufpreis für Bauland in Düsseldorf in €/m² ab 1980. Quelle: eigene Darstellung.

Abb. 12 Anzahl der fertiggestellten Wohnungen in den Umlandkreisen ab 2000. Quelle: eigene Darstellung.

Abb. 13 Einwirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Reurbanisierung in Düsseldorf.

Abb. 14 Einwirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Suburbanisierung in Düsseldorf.

Abb. 15 & 16 Stark verdichtete Reihenhausbebauung für junge Familien im Neubaugebiet B in Neuss-Allerheiligen.

Abb. 17 & 18 Das urbane Leben in Flingern erfreut sich einerseits großer Beliebtheit, andererseits erhöht die wachsende Nachfrage nach Wohnraum im Viertel die Immobilienpreise, wogegen die Gegner der Gentrification protestieren.

Abb. 19 Mit den luxuriösen Heinrich-Heine-Gärten entsteht in Heerdt die erste gated community Düsseldorfs.

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Reaktion der Immobilienpreise nach vier Quartalen in Prozent, wenn sich die folgenden makroökonomischen Größen um jeweils ein Prozent verändern.

Tab. 2 Prognostizierte prozentuale Veränderung der Wohnflächennachfrage im Zeitraum 2006 bis 2025.

Tab. 3 Aktuelle Baugebiete und Flächenreserven (z.T. nicht kurzfristig verfügbar), Stand 2009.

Tab. 4 Das Preisniveau auf dem Düsseldorfer Wohnungsmarkt im Überblick.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Der deutsche Wohnimmobilienmarkt befindet sich seit der Finanz- und späteren Wirtschaftskrise – häufig festgemacht am Zeitpunkt der Insolvenz der amerikanischen Lehman Brothers Inc. – im Aufschwung. Spätestens aber die finanziellen Probleme einiger Euro-Länder, die in den Strudel der globalen Finanzkrise geraten waren und so 2010 die europäische Staatsschuldenkrise auslösten, haben in Deutschland einen großflächigen Immobilien-Boom entfacht. Insbesondere der deutsche Wohnimmobilienmarkt erfährt einen deutlichen konjunkturellen Aufschwung und verzeichnet ein merklich steigendes Nachfrageinteresse von Investoren, Eigennutzern und Immobilienfinanzierern (Hagen & Siebs 2011: 25). Diverse Immobilienmarkt-Indizes bestätigen diese Trends (Immobilien Zeitung 2012: 14f). Beispielsweise steigt der Immobilienindex der Bulwien Gesa AG seit Ende 2008 vor allem im Sektor Wohnimmobilien an (Bulwien Gesa AG 2012: 2). Der Immobilienindex IMX von ImmobilienScout24 zeigt etwas differenzierter vor allem ein Preiswachstum bei Wohnneubauten (Häuser und Wohnungen) seit 2008. Darüberhinaus ziehen die Mieten kontinuierlich an (ImmobilienScout24 2012: 5f). Henger et al. (2011: 2) und Gluch & Dorffmeister (2011: 21) prognostizieren aufgrund der Preis- und Nachfrageentwicklung auf dem Wohnimmobilienmarkt bereits wieder eine steigende Neubautätigkeit in diesem Sektor.

Wie ist diese Entwicklung zu erklären?

Eine erste bedeutende Erklärung für diese Entwicklung ist das historisch niedrige Zinsniveau, welches für die Haushalte beim Wohnungskauf ähnlich einer Einkommenserhöhung wirkt (Groos 2012: 33; Just 2010a: 9; Lerbs & Oberst 2011: 61; Henger & Voigtländer 2011: 18). Hagen & Siebs (2011: 29) zeigen auf, dass die auf zehn Jahre festgeschriebenen Zinsen parallel mit dem Einsetzen der Finanzkrise 2008 auf ihr Allzeittief Ende des Jahres 2010 fielen. Hinzu kommen steigende verfügbare Einkommen und nur gering gestiegene Preise, die Immobilien immer erschwinglicher machen (Westerheide 2012: 97). Der Erschwinglichkeitsindex für Wohnimmobilien von Deutsche Bank Research befindet sich momentan in der Nähe seines Allzeit-Tiefs (Just 2010a: 9).

Was den deutschen Immobilienmarkt momentan zusätzlich, gerade für ausländische Investoren, attraktiv macht, ist die Tatsache, dass er im Gegensatz zu anderen Staaten kaum in den Strudel der US-amerikanischen Immobilienkrise geriet (Henger & Voigtländer 2011: 14ff; Lerbs & Oberst 2011: 61f). Die niedrige Volatilität des deutschen Wohnimmobilienmarkts, die strukturelle Robustheit und Preisstabilität werden besonders in einer Phase der Unsicherheit geschätzt (Hardebusch & Thomeczek 2012: 14). Dazu erholte sich die deutsche Wirtschaft nach der Finanzkrise 2008 nach kurzer Rezession rasch. In solchen Wachstumsphasen ist ein immobilienwirtschaftlicher Boom nicht ungewöhnlich (Just 2010a: 3).

Der nächste wichtige Grund ist der Fakt, dass Investoren in unsicheren Zeiten gerne auf dem Immobilienmarkt investieren. Immobilien werden als risikofeste und sichere Investition angesehen. In Anlehnung an das in Krisenzeiten ebenfalls gern gekaufte Gold, werden Immobilien in diesem Zusammenhang gerne als Betongold bezeichnet (Haugwitz 2012: 76; Pörschke 2010: 8; Auer et al. 2012: 4f). Oft wird auch von einer Flucht in Sachwerte gesprochen. Besonders die im Zuge der Finanzkrise geweckte und mit der Eurokrise verstärkte Inflationsangst lässt viele deutsche Anleger in Immobilien investieren (Kabisch & Callies 2011: 820f; Kowar 2010: 518). In den Kapiteln 2.1 bis 2.3 soll nähergehend auf die o.g. Punkte eingegangen werden.

Wo ist eine besonders hohe Nachfrage zu erwarten?

Aus den beschriebenen Gründen erkenntlich liegt der Trend bei Investoren in der Fokussierung auf vermeintlich risikoarmen, metropolitanen Innenstadtlagen, so genannte Core-Lagen (Just 2012: 177). Anlageexperte Markus Witt (zit. nach Haimann & Stocker 2010) sieht, dass „vor allem vermögende private Investoren […] ihr Kapital sicher in Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäuser in Großstädten investieren [wollen].“ Große internationale Investoren beschränken sich meist ganz auf A-Städte (Klassifizierung s. Bulwien Gesa AG 2009). Miet- und Preissteigerungen sind also vor allem in den Großstädten zu erwarten. Hierauf soll näher in Kapitel 2.4 eingegangen werden.

Neben dem Sicherheitswunsch der Investoren sind die Preis- und Mietsteigerungen in A-Städten auch darauf zurückzuführen, dass hier die Wohnflächennachfrage steigt und die Bevölkerung wächst (Demary & Voigtländer 2009: 28f). In Kapitel 2.5 wird die Bedeutung des demographischen Wandels und der Pluralisierung von Lebensstilen, die teilweise mit einer wachsenden Zahl an Single-Haushalten einhergeht, thematisiert. Nicht weniger bedeutend ist aber auch eine auf die Wissensökonomie orientierte Stadtentwicklung mit einer Häufung unternehmensnaher Dienstleistungen, guter weicher Standortfaktoren und einer hohen Kaufkraft (Just 2012: 178; Holm 2012: 247; Richelmann et al. 2011: 14f).

Welche räumlichen Auswirkungen sind zu erwarten?

Die Zunahme der immobilienwirtschaftlichen Fokussierung auf das Hochpreis-Segment in Core-Lagen wirkt sich räumlich aus. Just (2012: 177) sieht die Reurbanisierung zumindest kurzfristig auch als „Ergebnis der geringeren Risikoneigung und der geringeren Fremdkapitalaufnahmemöglichkeit [von Immobilieninvestoren] nach der Krise“ an. Einerseits haben Investoren das Rendite-Potenzial im innerstädtischen Wohnungsbau von Großstädten erkannt und versuchen die gehobene Mittelschicht zu erreichen indem sie sich dabei auf Neubauten im oberen Preissegment beschränken (Frölich von Bodelschwingh & Jekel 2010: 114; Altrock 2005: 377f; Roost 2005: 396). Andererseits versuchen auch die Städte selbst im Zuge eines globalen Konkurrenzkampfs zentrumsaffine, einkommensstarke Bevölkerungsgruppen zu gewinnen und locken hierfür gezielt Investoren (Hauke 2006:52; OECD 2006: 151; Habermann-Nieße 2008: 11). Eng damit verbunden ist die Ansiedlung kreativer und wissenschaftsorientierter Dienstleistungen, dessen Beschäftigte zur Zentrumsaffinität neigen (Beckmann 2008: 10). Die Fokussierung auf das Hochpreissegment verstärkt die Gefahr, dass bei gleichzeitig geringen Neubau-Quoten die Nachfrage nach günstigem Wohnraum nicht mehr befriedigt werden kann (Bulwien Gesa AG 2011: 4; Franke et al. 2008: 64). Farwick (2011: 23) sieht so die Gefahr eines erzwungenen Rückzugs einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen aus der Innenstadt. Auch Familien, die gerade auf angespannten Wohnungsmärkten kaum angemessenen und bezahlbaren Wohnraum finden wandern ins Umland ab (Hirschle & Schürt 2010: 31ff; BBSR 2011a: 4; Brühl et al 2006: 62f). Mitunter spielt auch der weiterhin bedeutende Wunsch nach dem Eigenheim im Grünen eine Rolle (Jost & Poddig 2008: 110). Generell werden somit wirtschafts- und soziogeographische Trends durch Investitionsentscheidungen und Anlagemuster beeinflusst – ein Thema, welches bisher in der geographischen Forschung kaum Berücksichtigung fand.

Warum eignet sich Düsseldorf als Untersuchungsgebiet?

Düsseldorf kann innerhalb Deutschlands zu den wachsenden Städten gezählt werden. Die Bevölkerungszahl ist seit 1999 kontinuierlich gestiegen und wird weiter steigen (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2012). Motor dieser Entwicklung ist die Wirtschaftskraft Düsseldorfs – vor allem in den Branchen Werbung, Unternehmensdienstleistungen, Telekommunikation und Mode (E & V 2010: 2). Die Stadt weist eine hohe Arbeitsplatzdichte und eine sehr hohe Kaufkraft auf (Amt für Statistik und Wahlen 2010a: 18; Wirtschaftsförderungsamt 2012: 11). Diese Charakteristik Düsseldorfs, welche in Kapitel 3.2 näher geschildert wird, ist der Grund dafür, dass auch die nordrheinwestfälische Landeshauptstadt in den Fokus von Immobilien-Investoren geraten ist. Steigende Preise und Mieten sind die Folge. Düsseldorf eignet sich also, um in dieser Arbeit mithilfe eines, in Kapitel 3.1 näher erläuterten, Mix aus qualitativer Forschung und quantitativer Sekundärdatenanalyse der Frage nachzugehen, inwieweit die Finanz- und Wirtschaftskrise entscheidend stadtgeographische Prozesse wie Reurbanisierung, Suburbanisierung, Gentrifizierung oder Polarisierung verstärkt bzw. beeinflusst.

Was soll untersucht werden?

Die Forschungsfragen, die es zu untersuchen gilt, beziehen sich zum Einen auf die Ist-Situation. Liegt momentan eine besondere, vielleicht sogar einmalige Situation auf dem Düsseldorfer Immobilienmarkt vor? Inwieweit heben sich momentane NachfrageImpulse von normalen Konjunkturzyklen ab und inwieweit ist dafür die Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich? Welche makroökonomischen, politischen und sozioökonomischen Einflussfaktoren haben das Nachfragewachstum nach Immobilien ausgelöst und in welcher Weise hat die Finanz- und Wirtschaftskrise diese Einflussfaktoren ihrerseits beeinflusst?

Darüber hinaus soll hinterfragt werden, welche geographischen Trends durch den erhöhten Nachfragedruck auf spezielle Segmente des Wohnimmobilienmarkts beein-flusst werden. Existiert eine parallele Entwicklung von Suburbanisierung und Reurbanisierung und inwieweit wird sie durch die Finanz- und Wirtschaftskrise beeinflusst? Welche Bevölkerungsgruppen befördern warum welche dieser Entwicklungsströme? Trägt der immobilienwirtschaftliche Aufschwung zu einer sozialen Spaltung in der Stadt bei?

2 Einflussfaktoren auf den deutschen Wohnimmobilienmarkt und deren Folgen

Bevor in diesem Kapitel die Gründe für den Wohnimmobilien-Boom wie das Zinsniveau, die Marktstruktur oder die Emotionalität der Marktteilnehmer theoretisch dargelegt werden, um deren aktuelle Wirkung bzw. Bedeutung einordnen zu können, ist es nötig zu definieren welche Krise(n) mit dem Begriff Finanz- und Wirtschaftskrise gemeint ist/sind. Wie bereits in der Einleitung angedeutet, hat sich Finanzkrise nach der Lehman-Pleite 2008 zu einer Wirtschaftskrise ausgeweitet. Diese hat zuerst in Griechenland 2010 eine Staatsschuldenkrise ausgelöst, welche sich nach und nach auch auf andere Euro-Länder übertragen hat. Mittlerweile ist durch gemeinsame Haftungsabkommen die gesamte Euro-Zone – auch Deutschland – direkt bzw. indirekt betroffen (Moeller 2011: 3f). Werden in dieser Arbeit die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise betont, so ist auch die Euro-Staatsschuldenkrise damit gemeint, da sie unmittelbar aus der Finanzkrise hervorging. Alle drei Krisen lassen sich nur schwierig trennen.

2.1 Zinsniveau und BIP

Da Immobilien-Investments auch in Deutschland in der Regel mit hohen Fremdkapitalanteilen um 75-80% finanziert werden, stellen die Zinskosten eine bedeutende Einflussgröße auf die Investitionsentscheidung dar – bedeutender als veränderte Baukosten oder Grundstückspreise (Kühne-Büning 1996: 263). Aufgrund der langfristigen Orientierung der Immobilienwirtschaft ist vor allem der langfristige Zinssatz, der Kapitalmarktzinssatz, von Bedeutung (Gondring 2009: 26). Ist der langfristige Zins niedrig, wirkt dies ähnlich wie eine Einkommenssteigerung der Nachfrager, da sie weniger Geld für die Beschaffung von Fremdkapital bezahlen müssen. Die Nachfrage nach Immobilien erhöht sich, da sie erschwinglicher werden. Diese Erhöhung der Nachfrage spiegelt sich tendenziell in Preissteigerungen für Immobilien wider, da das Angebot in der Regel nicht schnell genug erhöht werden kann (Henger & Voigtländer 2011: 18; Mankiw 2009: 241f). Selbsterklärend führt auch eine Erhöhung der verfügbaren Einkommen – z.B. zurückzuführen auf einen Anstieg des BIP/Kopf – zu denselben o.g. Prozessen. Demary (2008) hat den Einfluss dieser makroökonomischen Größen auf Immobilienpreise für mehrere Industrienationen untersucht und nachgewiesen, dass BIP und Zinsen die bedeutendsten makroökonomischen Größen für den deutschen Immobilienmarkt darstellen. In Deutschland führt demnach die Erhöhung des BIP um 1% innerhalb eines Jahres bei Immobilien zu einem Preisanstieg von 0,8 %. Gleichzeitig wirkt sich die Erhöhung der Realzinsen um 1% mit -0,8% negativ auf die Immobilienpreise nach vier Quartalen aus (s. Tab. 1). Zusammen mit der Wirkung der Geldpolitik der Zentralbanken ist somit wohl die Wirkung des Zinssatzes nicht mehr zu bestreiten. Jedoch muss an dieser Stelle auf das methodische Problem der Studie hingewiesen werden, dass der Realzins theoretisch auch steigt, wenn sich die Inflationsrate bei konstantem Kapitalmarktzinssatz verringert.

Tab. 1: Reaktion der Immobilienpreise nach vier Quartalen in Prozent, wenn sich die folgenden Größen um jeweils ein Prozent verändern. Quelle: verändert nach Demary (2008: 7).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein erhöhter Nachfragedruck erhöht nicht nur die Preise, sondern führt darüber hinaus auch zu einer Angebotserhöhung, sprich zu einer verstärkten Neubautätigkeit (Lee 2008: 294f). Ein gut geeigneter Indikator hierfür ist der Tobins-q-Wert. Er wird „ermittelt als der Quotient aus Marktwert (Eigenkapital plus Fremdkapital) und dem Preis, den man dafür zahlen müsste, wollte man alle realen Vermögensbestandteile neu beschaffen (Wiederbeschaffungspreis)“ (Henger et al. 2011: 3). Das Zinsniveau als Preis des Fremdkapital hat laut Tobins-q demnach auch einen indirekten Einfluss auf die Bautätigkeit. Bei niedrigen Zinsen steigt der Preis und die Bautätigkeit nimmt zu (Milcheva & Sebastian 2012: 79). Korrelationen von Henger et al. (2011) haben diese theoretischen Annahmen auch in der Praxis für deutsche Großstädte inklusive ihres Umlands nachgewiesen.

Blickt man auf die aktuelle Entwicklung der o.g. makroökonomischen Einflussfaktoren (langfristiger Zinssatz, verfügbares Einkommen), so ist eine historisch günstige Situation für den Immobilienerwerb privater Haushalte zu beobachten. Die Schere zwischen historisch niedrigen Zinsen (unter 4% für auf zehn Jahre festgeschriebene Hypothekarkredite) und den im Zuge einer guten Konjunktur steigenden verfügbaren Einkommen geht immer weiter auseinander. Hinzu kommt ein bis 2010 durchschnittlich gesehen stabiles Immobilien-Preisniveau. Diese Faktoren ließen zusammengenommen den Erschwing lichkeitsindex von DB Research kontinuierlich fallen (Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Der Erschwinglichkeitsindex von DB Research (je kleiner der Indexwert desto erschwinglicher die Immobilie), Wohnungspreise und verfügbare Einkommen (1991 = 100; links abgetragen) und der langfristigen Hypothekenzinssatz in % (rechts abgetragen). Quelle: Just (2010a: 9).

Nachdem sich die Bautätigkeit im letzten Jahrzehnt im Sinkflug befand, wird – der Theorie entsprechend – neben steigenden Preisen auch wieder ein leichter Aufwärtstrend in der Bauwirtschaft wahrgenommen und verstärkt prognostiziert (z.B. Henger et al. 2011: 2; Gluch & Dorffmeister 2011: 21ff). Abb. 2 stellt diese Entwicklung dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Wohnungsfertigstellungen in Deutschland nach Gebäudearten. Quelle: Gluch & Dorffmeister (2011: 22).

2.2 Struktur des Immobilienmarkts

Der deutsche Immobilienmarkt hat sich während der Finanzkrise als ausgesprochen krisenfest gezeigt. Das liegt zum Einen an der Dominanz des Vorsichtsprinzips bei Immobilieninvestitionen in Deutschland. Während sich in den frühen 2000er-Jahren in einigen europäischen Ländern die Wohnimmobilienpreise vom Einkommen abkoppelten und im Vergleich deutlich stärker stiegen, war dies in Deutschland nicht der Fall (Henger & Voigtländer 2011: 14f). Dies hatte zur Folge, dass die Anzahl der ausstehenden Wohnimmobilienkredite sich in diesen Ländern außerhalb Deutschlands Mitte der 2000er-Jahre deutlich erhöhte (ebd.: 16). Zum Anderen wirken sich die Dominanz der in den betroffenen Staaten unüblichen langfristigen Zinsbindung und erschwerte Kündigungsmöglichkeiten für Kreditnehmer marktberuhigend aus (ebd.: 27ff). Ähnlich äußert sich auch Mattner (2012: 47), der Preisblasen auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt für unwahrscheinlich hält: „Zu besonnen und konservativ reagieren die Marktteilnehmer, und auch die Finanzierungspolitik der Banken spricht dagegen.“ Eine Folge dessen ist, dass vermehrt beobachtet wird, dass im Zuge der europäischen Staatsschuldenkrise Investoren aus dem europäischen Ausland – vor allem aus Ländern wie Griechenland, Italien oder Portugal – aus Angst vor einer drohenden Inflation ihr Geld versuchen in (deutschen) (Luxus-)Immobilien zu sichern (Rottwilm 2011).

2.3 Emotionalität

Entwicklungen auf Immobilienmärkten lassen sich nicht ausschließlich mit makroökonomischen oder strukturellen Gegebenheiten erklären. Ebenso bedeutend dürften kognitiv-emotionale Entscheidungen und Empfindungen sein, die insbesondere private Investoren treffen bzw. haben.

2.3.1 Traum vom Eigenheim

Die Wohneigentumsquote in Deutschland fällt mit rund 43% im europäischen Vergleich sehr niedrig aus. Sie liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Lediglich die Schweiz weist innerhalb Europas eine noch geringere Wohneigentumsquote auf (Just & Schäfer 2009: 3). Ausgehend vom niedrigen Niveau aber hat die Wohneigentumsquote auch in Deutschland in den letzten Jahren ähnlich dynamisch zugenommen wie in anderen europäischen Ländern (Voigtländer 2006: 6f). Der Traum vom Eigenheim ist also auch in Deutschland von Bedeutung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die größer werdende Gruppe der Über-65-Jährigen immer häufiger in den eigenen vier Wänden wohnt (Braun & Pfeiffer 2004: 11). Der Druck zur privaten Rentenvorsorge wächst und deshalb erhöht sich der Anreiz des mietfreien Wohnens im Alter (Voigtländer 2010: 36). Neben Kindern weisen bereits jetzt die 60 bis 65-Jährigen die höchsten Wohneigentumsquoten auf. Junge Familien und junge Alte sind also demnach die, die am ehesten für den Immobilienerwerb in Frage kommen (Braun & Pfeiffer 2004: 8; Just & Schäfer 2009: 15f). Darüber hinaus war in den letzten Jahrzehnten die stabile Preislage für Immobilien mit ein Grund für die geringe Wohneigentumsquote in Deutschland, da die Mieter bei einer Kündigung kaum befürchten mussten, keinen adäquaten Ersatz zu bekommen und so der Anreiz zur Eigentumsbildung fehlte (Voigtländer 2010: 33). Dies kann sich ändern, wenn in Großstädten die Preise weiter steigen und weiterhin hauptsächlich – so wie aktuell – in das hochpreisige Wohnungssegment investiert wird.

2.3.2 Inflationsangst

Aktuell auffällig häufig erwähnt in immobilienwirtschaftlichen Artikeln sind die kaum messbaren „weicheren Entscheidungsfaktoren“ (Just 2010a: 8). Die kaum begrenzte staatliche (Neu-)Verschuldung sowie die Politik des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank schürten in den letzten beiden Jahren unter den Deutschen die Angst vor dem Ende des Euros. Geschichtlich bedingt wirkt gerade in Deutschland eine mögliche Inflation oder gar Hyperinflation beängstigend, was sich nachhaltig auf die Investitionsentscheidungen zahlreicher Privatinvestoren auswirkt (Kabisch & Callies 2011: 820f; Nölke 2010: 803). Betongold gilt in Deutschland weit verbreitet als sicherster Schutz gegen Inflation – noch vor dem echten Gold (Pörschke 2010: 8). Dies ist aber nicht immer zwingend. Experten verweisen in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Lage-Faktors und betonen den höheren Inflationsschutz von Wohnimmobilien gegenüber Gewerbeimmobilien (Schick 2011: 124ff). Gemeinhin gelten innenstädtische Viertel in Wachstumsregionen als besonders inflationssicher, weshalb Anlageexperten 2010 bereits ein zunehmendes Interesse privater Investoren an vermeintlich sicheren Eigentumswohnungen oder Renditeobjekten in Großstädten bemerkten (Just & Clemens 2011; Haimann & Stocker 2010).

Dabei scheint es wichtig anzumerken, dass nicht unbedingt die tatsächliche Inflationsrate von Bedeutung für die Immobiliennachfrage ist, wie eine Studie von Demary (2008) beweist. Wesentlich relevanter erscheint die Angst vor einer potenziellen Inflation – laut einer emnid-Umfrage bei 52% der Deutschen vorhanden (Kabisch & Callies 2011: 821; Kowar 2010: 518). In diesem Zusammenhang weist Bulwien Gesa (2011: 3) indirekt auf die Bedeutung der hohen medialen Aufmerksamkeit hin, was an Self Fulfilling Prophecies erinnert. Da die Kaufentscheidungen von Investoren auf Erwartungshaltungen basieren, nimmt die individuelle (mediale) Wahrnehmung und Interpretation eine bedeutende Rolle ein. Reagieren viele Marktteilnehmer ähnlich, weil sie an eine bestimmte künftige Entwicklung glauben – bspw. dass Innenstadt-Immobilien im Preis steigen – so ist es möglich, dass diese Entwicklung sich erst durch die ähnliche kollektive Reaktion verwirklicht. Mediale Einschätzungen können somit durch den Effekt der „Self Fulfilling Prophecies“ konjunkturelle Entwicklungen verstärken (Beyerle 2012: 67ff).

Zwei Umfragen haben in den letzten Jahren untersucht, inwiefern sich die Inflationsangst auf die Investitionsentscheidung von Immobilieninvestoren auswirkt. Vordergründig kamen die Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen: 88% der von Ernst & Young (2012a) befragten (Makler-)Unternehmen und Investoren stimmten zu, dass die Sorge vor einer Geldentwertung Anleger in den Immobilienmarkt treibt. Bei der Studie von Kippes (2012) bemaßen nur knapp die Hälfte der Befragten der Inflationsangst eine Bedeutung für die Kaufentscheidung der Investoren zu. Die Studie berücksichtigte allerdings nicht den Ort der Makler. Naheliegend erscheint, dass in Wachstumsregionen – potenziell eher nachgefragt von Sicherheit-suchenden Investoren – die Bedeutung der Inflationsangst deutlich höher liegt als anderswo.

2.4 Anlagepräferenzen großer Investoren aus dem In- und Ausland

Die Neigung vermehrt sicherheitsorientiert zu investieren, ist auch bei institutionellen Investoren zu spüren. Verschärfte rechtliche Grundlagen sowie eine spürbar erhöhte Vorsicht bei der Kreditvergabe fördern den risikoarmen, Eigenkapital-dominierten Anlagestil (Just 2012: 177). Versicherungen und andere institutionelle Investoren versuchen folglich ihre Immobilienbestände aufzustocken. Dabei stehen momentan Wohnimmobilien im Fokus, da sie auch in Krisenzeiten einen sicheren Cash-Flow aufweisen und weniger abhängig von konjunkturellen Schwankungen sind wie z.B. Büro- oder Einzelhandelsimmobilien. Besonders Neubauten in urbanen Lagen werden bevorzugt nachgefragt (Schulz-Wulkow 2011: 59f; Jekel et al. 2010: 99). Just (2012: 177) folgert, dass die Finanzkrise so zu einer Fokussierung auf Innenstadtlagen größerer Städte in Wachstumsregionen, s.g. Core-Lagen, geführt hat. Die Städte, mit der größten immobilienökonomischen Bedeutung in Deutschlands, die s.g. A-Städte, stellen Hamburg, München, Berlin, Frankfurt a. M., Köln, Stuttgart und Düsseldorf dar (Klassifikation siehe Bulwien Gesa 2009). Große ausländische Investoren investieren quasi ausschließlich in A-Städten, was auch mit der positiven demographischen Entwicklung dieser Städte zusammenhängt (Demary & Voigtländer 2009: 28). Just & Clemens (2011) geben allerdings zu bedenken, dass dies nicht immer mit den besten Renditen korreliert. Daneben sind dynamische, gentrifizierte Trendviertel attraktiv, da dort durch häufige Mieterwechsel und eine erhöhte Nachfrage schnelle Miet- bzw. Wertsteigerungen erzielt werden können (NCC 2012: 1; Schick 2011: 132). Im Neubau ist seit einiger Zeit ein Wandel vom Mietwohnungs- zum Eigentumswohnungsbau zu erkennen – vor allem in attraktiven Lagen. Der Grund dafür ist, dass der Eigentumswohnungsbau Investoren höhere Renditen ermöglicht (Jekel et al. 2010: 100f).

Immobilien geraten in den letzten Jahren darüber hinaus aus weiteren Gründen in die Gunst institutioneller Anleger: Zum Einen sind für Versicherungen und Pensionskassen die Alternativen für Immobilien als risikoarmes Refinanzierungsgeschäft stark geschrumpft, da selbst bei europäischen Staatsanleihen das Ausfallrisiko steigt (Trampe 2010: 392). Zum Anderen mussten auch die Renditeerwartungen bei Bundesanleihen in den letzten Jahren immer weiter nach unten korrigiert werden, was angesichts teilweise hoher Preissprünge bei Immobilien in Großstädten, die Attraktivität der Immobilie als Anlageobjekt weiter steigen lässt (Kabisch & Callies 2011: 821f). Eine Studie von Ernst & Young (2012b) bestätigt diesen Trend. Demnach würde sich die Immobilienquote von Versicherungen 2012 von 6,3% auf 6,7% erhöhen, wenn sie ihre Pläne verwirklichten. Dabei interessieren sich 65% der 25 befragten Unternehmen für Zukäufe von Wohnimmobilien – vor allem im Core-Segment. Hier ist allerdings das Angebot häufig beschränkt, weswegen bereits Anzeichen vernommen werden, dass sich institutionelle Investoren auch abseits von Core umsehen (Schulz-Wulkow 2011: 61).

2.5 Gesellschaftliche Trends

Nun werden Einflussfaktoren thematisiert, welche durch die Finanz- und Wirtschaftkrise nicht wesentlich beeinflusst wurden, dennoch aber einen bedeutenden aktuellen Einfluss auf den Wohnimmobilienmarkt besitzen.

2.5.1 Demographischer Wandel

Die künftige Wohnflächennachfrage in einer Stadt – zusammengesetzt aus den Teilwerten Bevölkerungsanzahl und altersspezifischer Pro-Kopf-Wohnfläche (Demary & Voigtländer 2009: 16f) – dient vielen Investoren als Grundlage für Investitionsentscheidungen. Das führt dazu, „dass in einer schnell wachsenden Stadt der Wert der Innenstadtlagen rapide zu [nimmt]“ (Just 2008: 486), während schrumpfende Städte Mühe haben, das Interesse von (Bau-)Investoren zu wecken. In Deutschland führt der demographische Wandel zu regional sehr differenzierten Entwicklungen. Es ist damit zu rechnen, dass regionale Unterschiede sich in Zukunft noch verstärken werden (Just 2010b: 58). Während in allen A-Städten laut einer Prognose von Demary & Voigtländer (2009: 28ff) bis 2025 mit einem Anstieg der Wohnflächennachfrage gerechnet wird – zurückzuführen auf ein Bevölkerungswachstum und die wachsende Wohnflächennachfrage im Alter –, fällt die Prognose für B- und C-Städte differenziert aus. Die Wohnflächennachfrage in Hochschulstädten wie Bonn, Münster oder Karlsruhe steigt genauso, wie in den ostdeutschen Wachstumsstädten Dresden und Leipzig. Hingegen schrumpft sie im Ruhrgebiet und in den strukturschwächeren ostdeutschen Städten wie Halle oder Chemnitz (Tab. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Prognostizierte prozentuale Veränderung der Wohnflächennachfrage im Zeitraum 2006 bis 2025. Quelle: eigene Darstellung nach Demary & Voigtländer (2009: 29ff).

2.5.2 Pluralisierung der Lebensstile, Reurbanisierung und Tertiärisierung

Mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft geht auch ein essentieller Wandel der Sozialstruktur einher. Das klassische Klassenmodell, welches noch als Basis für die marxistische Soziologie diente, ist durch die neue Vielzahl von Berufen im tertiären und quartären Sektor längst überholt. Andere, komplexere Modelle wie das SINUS®-Lebensstil-Konzept liegen näher an der Realität.

Das SINUS®-Konzept unterscheidet die Gesellschaft in zehn ähnliche soziale Milieus, welche auf dem Verhältnis von persönlicher Grundorientierung zu sozialer Lage (Ober- bis Unterschicht) beruhen (Berger & Neu 2007: 251f).

Auf den Wandel der Sozialstruktur ist die Wohnungswirtschaft gezwungen zu reagieren, zum Einen in schrumpfenden Regionen dadurch, dass der Nachfrager im Verhältnis zum Anbieter aufgrund der entspannten Angebotslage an Marktmacht gewonnen hat, zum Anderen aber auch in Wachstumsregionen, um der neuen differenzierteren Nachfrage nach Wohnformen gerecht zu werden und sich so innovativ gegenüber der Konkurrenz behaupten zu können. Dabei spielt z.B. das SINUS-Milieu®-Konzept eine Rolle, um die gewünschte Wohnnachfrage – eng verbunden mit dem individuellen Lebensstil – besser analysieren zu können (Jost & Poddig 2008: 106ff).

In Bezug auf die Reurbanisierung – den Trend zurück in die Stadt oder die Wiederentdeckung des Urbanen – lohnt sich der Blick besonders auf o.g. Lebensstil-Konzepte. Der Begriff der Reurbanisierung wird häufig unscharf verwendet. Manchmal wird damit der reine Bevölkerungsgewinn der Gesamtstadt bezeichnet, manchmal die positive Wanderungsbilanz mit dem Umland (Pedlow 2011: 6f). In dieser Arbeit soll mit dem Begriff der Reurbanisierung der vermehrte Wunsch nach Wohnen in der Innenstadt, bzw. vor allem in den innenstadtnahen Bereichen bezeichnet werden. Dies muss sich – z.B. bei einem gleichbleibenden Wohnungsangebot – nicht zwangsläufig durch eine steigende Bevölkerungszahl ausdrücken. Vielmehr beschreibt diese Auffassung des Begriffs die Erhöhung der Nachfrage nach innerstädtischem (Innenstadt + Innenstadtrand) Wohnen.

Insbesondere alte Junge (+55 Jahre) und junge Alte (+65 Jahre) sowie Alleinerziehende, DINKS oder Yuppies, sprich kleinere, häufig besserverdienende Haushalte, die sich von der traditionellen Kleinfamilie unterscheiden oder diese Phase schon hinter sich gelassen haben, fragen innerstädtischen Wohnraum nach (Beckmann 2008: 10; Roost 2005: 392; BBSR 2011b: 2). Rückgreifend auf die SINUS-Milieus® weist Jost (2008: 12) darauf hin, dass die Treiber dieser neuen Nachfrage nach innerstädtischem Wohnen seltener der „Bürgerlichen Mitte“ angehörig sind, sondern viel mehr im Bereich der „Experimentalisten“ oder „Postmateriellen“ zu finden sind. Innerhalb der Stadt finden sie das von ihnen präferierte urbane Milieu als eine Mischung diverser weicher Standortfaktoren, eines bestimmten Modebewusstseins sowie eines spezifischen Konsum- und Freizeitverhaltens (Roost 2005: 392).

Altrock (2005: 378) schlägt die Brücke zur Tertiärisierung: Er weist darauf hin, dass die neue urbane Mittelschicht in „postindustriellen Jobs auf postindustrielle Weise arbeitet.“ Zunehmende arbeitszeitliche und -örtliche Flexibilisierungen verlangen nicht nur einen erhöhten Qualitätsanspruch an das Wohnen, sondern erfordern auch in einem höheren Maße städtische Spezifika (Brake 2011: 72f; Habermann-Nieße 2008: 11). Als typische urbanophile Branche wird gern die Kreativwirtschaft genannt. Deren Mitarbeiter neigen zu urbanen Lebensmustern und legen Wert auf weiche Standortfaktoren und städtische Attraktivität (Florida 2005: 84). Somit lassen sich solche Unternehmen wie auch deren Mitarbeiter gern in zentralen, attraktiven Lagen nieder, was wiederum die Nachfrage nach solchen Lagen überproportional steigen lässt (Holm 2012: 242f). Als weitere Branchen mit einer „Affinität zu städtischen Qualitäten“ (Beckmann 2008: 10) werden Forschung und Entwicklung sowie hochwertige (unternehmensorientierte) Dienstleistungen genannt.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863419332
ISBN (Paperback)
9783863414337
Dateigröße
3.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Note
1
Schlagworte
Staatsschuldenkrise Anlegerflucht Reurbanisierung Gentrification Suburbanisierung

Autor

Raffael Beier wurde 1989 in Düsseldorf geboren. Nach seinem Abitur am Gymnasium Gerresheim in Düsseldorf zog es ihn 2009 nach Bochum, wo er seitdem Geographie an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) studiert. Durch diverse anhaltende Tätigkeiten in seiner Heimatstadt blieb der Autor allerdings auch weiterhin eng vertraut mit der Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Düsseldorf. 2012 wechselt er an der RUB nach absolviertem Bachelor-Studium in das Master-Studium mit der Vertiefungsrichtung Stadt- und Regionalentwicklungsmanagement.
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Titel: Wohnimmobilien im Fokus von Investoren und Stadtplanern: Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf den Düsseldorfer Wohnimmobilienmarkt
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