Kurzarbeit als Instrument der Mitarbeiterbindung: Eine theoretische Analyse im Rahmen der Finanzkrise
Zusammenfassung
Diese Arbeit liefert eine theoretische Analyse der Auswirkungen von Kurzarbeit auf affektives und normatives Commitment im Rahmen des Drei-Komponenten-Ansatzes von Meyer/Allen (1991). Dabei wird auf die Theorie des sozialen Tauschs nach Homans (1958) und Blau (1964) zurückgegriffen.
Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz von Kurzarbeit einen sozialen Austauschprozess zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern hervorruft. Je nachdem wie die Mitarbeiter Kurzarbeit während der Ein-, Durch- und Rückführungsphase wahrnehmen, verändert sich ihre affektive und normative Bindung zum Unternehmen. Wird Kurzarbeit als Beschäftigungssicherung angesehen, erhöht sich die Mitarbeiterbindung. Gegenteiliges ist der Fall, wenn Kurzarbeit als Ausnahmezustand im Arbeitsverhältnis empfunden wird. Eine solche Wahrnehmung wird erzeugt, wenn der Arbeitgeber versucht auf Kosten der Belegschaft Mitnahmeeffekte zu generieren und das Instrument Kurzarbeit zu missbrauchen. Obendrein können Wahrnehmungsverzerrungen dazu führen, dass Kurzarbeit in einem negativen Licht erscheint.
Aufgrund der Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung lässt sich folgern, dass Kurzarbeit als Einflussfaktor organisationalen Commitments fungiert. Ferner lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass Kurzarbeit mit weiteren Einflussfaktoren der Mitarbeiterbindung korreliert. Die Ausarbeitung kommt zu dem Schluss, dass es Ziel des Arbeitgebers sein sollte, die Mitarbeiter auf den "Pfad der Beschäftigungssicherung" zu führen. Gelingt dies, muss mit Kurzarbeit kein Trade-off zwischen der ökonomischen und psychologischen Wirkung verbunden sein. Vielmehr festigt die positive Wahrnehmung von Kurzarbeit die Vertrauensbasis und Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, wodurch die positiven Auswirkungen einer stärkeren emotionalen und obligatorischen Mitarbeiterbindung zum Tragen kommen. Handlungsempfehlungen für den Einsatz von Kurzarbeit unter dem Gesichtspunkt des Erhalts und Ausbaus der Mitarbeiterbindung werden gegeben und […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2 Stellenwert und Ambivalenz der Kurzarbeit
2.1 Grundlagen
2.1.1 Abgrenzung der unterschiedlichen Formen von Kurzarbeit
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unterscheidet zwischen der „Normalform“ des Kurzarbeitergeldes (Kug) und „Sonderformen“ des Kug. Letztere Gruppe umfasst das im Volksmund unter „Schlechtwettergeld“ bekannte Saisonkurzarbeitergeld, das vor allem in witterungsabhängigen Branchen wie dem Baugewerbe in der Zeit vom 01.12. bis 31.03. zum Einsatz kommt. Außerdem zählt hierzu das Transferkurzarbeitergeld. Dieses kommt bei einem endgültigen Arbeitsausfall etwa durch Betriebsschließungen und Insolvenzen zum Tragen und soll den betroffenen Arbeitnehmern den Übergang in eine neue Beschäftigung erleichtern. Durch die Einbindung in Transfergesellschaften werden Entlassungen vermieden und die Vermittlungsaussichten verbessert (Sell 2009: 5).
Von den Sonderformen abzugrenzen ist die konjunkturelle Kurzarbeit.[1] Um den Einsatz dieses arbeitsmarktpolitischen Instruments zu legitimieren, muss ein erheblicher Arbeitsausfall aufgrund der konjunkturellen Lage oder des Eintretens außergewöhnlicher Ereignisse (z.B. Naturkatastrophen) entstanden sein. Dieser Ausfall muss vorübergehend und für das Unternehmen unvermeidbar sein. Das bedeutet, dass saisonbedingte Auftragseinbrüche oder der Nachfrageeinbruch in bestimmten Branchen die Bedingungen für einen Einsatz von Kurzarbeit nicht erfüllen. Sollte eine gesamtwirtschaftliche Schieflage zu einem Arbeitsmangel führen, müssen Unternehmen zunächst bezahlten Urlaub genehmigen und den Abbau von Überstunden ermöglichen. Erst danach kann Kurzarbeit beantragt werden. Ein solcher Antrag wird allerdings auch nur dann zugelassen, wenn mindestens ein Drittel der Beschäftigten auf mehr als 10 Prozent ihres Gehalts verzichten müssen (§§169ff. SGB III). Die gesetzliche Förderdauer beträgt dann maximal sechs Monate. Während dieses Zeitraums bekommen kinderlose Arbeitnehmer 60 Prozent ihres ausgefallenen Nettoeinkommens. Bei Arbeitnehmern, die ein oder mehrere Kinder zu versorgen haben, steigt dieser Anteil auf 67 Prozent. Die Beiträge zur Sozialversicherung müssen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in vollem Umfang bezogen auf 80 Prozent des Bruttolohns gezahlt werden (BA 2009).
2.1.2 Regelungen der konjunkturellen Kurzarbeit während der Weltwirtschaftskrise
Im Zuge der Finanzkrise hat sich die Bundesregierung für eine Lockerung der Rahmenbedingungen für konjunkturelle Kurzarbeit entschieden. Durch die Gesetzesänderungen im Rahmen des Konjunkturpakets II sind ab dem 1. Februar 2009 zunächst die Voraussetzungen für Kurzarbeit heruntergesetzt worden. So kommt es zu einem Wegfall der ursprünglichen Ein-Drittel-Regelung, sodass auch solche Betriebe Kurzarbeit beantragen können, in denen ein geringerer Anteil der Mitarbeiter von Arbeitsausfällen betroffen ist. Ferner können fortan Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Arbeitnehmern und Zeitarbeitsfirmen Kurzarbeit für ihre Beschäftigten beantragen (Brenke/Rinne/Zimmermann 2010: 11).
Zudem wurde im Laufe der Wirtschaftskrise eine stufenweise Ausdehnung des Bezugszeitraums vollzogen. Nach einer ersten Anhebung von maximal sechs auf zwölf Monate erfolgte im November 2008 eine weitere Verlängerung des KuG auf maximal 18 Monate. Im Mai 2009 wurde die Bezugszeit dann schließlich sogar auf 24 Monate ausgeweitet. Letztere Regelung gilt jedoch nur für Kurzarbeit, die im Laufe des Jahres 2009 aufgenommen wurde. Wer ab Januar 2010 verkürzt arbeiten muss, kann maximal 18 Monate Kurzarbeitergeld beziehen. Diese Regelung gilt bis Ende 2010, sodass bei einem Antrag zum Ende des Jahres Kurzarbeit maximal bis Mitte 2012 ausgeübt werden kann. Weiterhin ist für den Einsatz von Kurzarbeit kein negativer Saldo auf den Arbeitszeitkonten mehr erforderlich. Darüber hinaus soll der Wegfall bürokratischer Hürden den Einsatz von Kurzarbeit schneller und unkomplizierter gestalten. So ist etwa bei einer Unterbrechung von mehr als zwei Monaten keine erneute Beantragung vonnöten (Brenke/Rinne/Zimmermann 2010: 11).
Neben den gelockerten Bezugsvoraussetzungen und dem verlängerten Bezugszeitraum, wurden auch die Finanzierungsmöglichkeiten seitens der BA erweitert. So werden die zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge während der Kurzarbeitszeit ab dem siebten Monat halbiert. Bei der Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter entfällt die Zahlung des Arbeitgeberbeitrags in die Sozialkassen sogar komplett (BA 2010: 28ff.). Nicht zuletzt hat die in diesem Abschnitt beschriebene Vereinfachung des Bezugs von Kurzarbeitergeld zu dessen derzeitiger ökonomischer Bedeutung, aber auch zu dessen Ambivalenzen geführt.
2.2 Ökonomische Bedeutung während der Weltwirtschaftskrise
2.2.1 Gesamtwirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung
„Kurzarbeit ist ein beschäftigungssicherndes Instrument, das man spätestens in der gegenwärtigen Krise hätte erfinden müssen, wenn es nicht schon existierte“ (Scholz 2009: 4).
Mit dem Ausbruch der Finanzkrise hat sich der Stellenwert der Kurzarbeit schlagartig erhöht. Noch nie seit seiner Einführung im Jahre 1976 wurde dieses Instrument so stark in Anspruch genommen wie zuletzt. Um die Folgen des Wirtschaftseinbruchs – neben Irland der stärkste innerhalb der EU mit minus 6,9 Prozent im ersten Quartal 2009 – auf den Arbeitsmarkt abzufedern, unterstützt die Bundesregierung Unternehmen bei der Hortung ihrer Mitarbeiter. Trotz eines erheblichen Arbeitsausfalls aufgrund sinkender Auftragseingänge zeigt eine EU-weite Übersicht zur Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Vergleich von September 2009 zum Vorjahr, dass Deutschland mit 0,5 Prozent den mit Abstand niedrigsten Zuwachs zu verzeichnen hat (BA 2009: 13). Einem Rückgang der Produktion um 7 Prozent im ersten Quartal 2009 steht ein Rückgang des Arbeitsvolumens von nur 2,9 Prozent gegenüber (Bach/Spitznagel 2009: 2).
An der Spitze waren Mitte 2009 mehr als 1,4 Mio. Arbeitnehmer in über 63.000 Betrieben in Kurzarbeit. Insgesamt geht der Jahresdurchschnitt 2009 von etwa 1,1 Mio. Empfängern von Kurzarbeitergeld aus. Prognosen für 2010 sagen ein Mittel von ca. 600.000 Beschäftigten voraus. Die durchschnittliche Ausfallzeit belief sich dabei auf etwa 30 Prozent der normalen Arbeitszeit. Dies entspricht einem Beschäftigungsäquivalent von 350.000 bis 450.000 Arbeitsplätzen. In diesem Umfang entlastet die Kurzarbeit also die Arbeitslosigkeit und sorgt für das eingangs erwähnte und international mit Anerkennung beobachtete „Beschäftigungswunder“ (BA 2009: 11).[2]
Kurzarbeitergeld ist in dieser Form weltweit einmalig. Zehn weitere Länder der EU, darunter u.a. Frankreich und Großbritannien, haben ähnliche Maßnahmen zur Stützung des Arbeitsmarktes (Scholz 2009: 4). Andere westliche Länder, aber auch aufstrebende Entwicklungsländer nutzen oder führen zurzeit entsprechende arbeitsmarktpolitische Instrumente ein, die sich aber untereinander sehr stark unterscheiden (Crimmann/Wießner/Bellmann 2010: 3).
Obschon Kurzarbeit in Deutschland bereits seit 1976 existiert, hat sie bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren. Einzig nach der Wiedervereinigung waren im Zuge der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft etwa 1,6 Mio. Menschen vorübergehend in Kurzarbeit. Eine Krise im verarbeitenden Gewerbe 1993 führte letztmals zu einer verstärkten Nutzung des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes. 760.000 Beschäftigte waren in dieser Zeit davon betroffen. Seit 1997 sind die Bezugszahlen jedoch kontinuierlich gesunken und beliefen sich in 2007, vor dem Konjunktureinbruch, auf etwa 68.000 (Eichhorst/Marx 2009).
Die Entlastung des Arbeitsmarktes finanziert die BA mit dem weltweit höchsten Budget für das Instrument Kurzarbeit.[3] So werden die Aufwendungen für 2009 auf etwa 5 Mrd. € geschätzt; für die Jahre 2010 und 2011 werden weitere 10 Mrd. € prognostiziert. Das ökonomische Kalkül der BA, das trotz der hohen Ausgaben den Einsatz von Kurzarbeit befürwortet, geht davon aus, dass die Zahlung des Kurzarbeitergeldes, die Erstattung der anteiligen Sozialabgaben und die steigenden Bürokratiekosten durch die Entlastung der Arbeitslosenversicherung überkompensiert werden (Creutzburg/Thelen 2010; Crimmann/Wießner/Bellmann 2010: 9).
Ferner geht von der Arbeitsplatzsicherung durch Kurzarbeit auch eine gesamtökonomisch weitreichende Wirkung aus. Vor allem konnte eine Panik durch Massenentlassungen verhindert werden. Eine mit Jobverlusten einhergehende Erhöhung der Sparquote konnte die Bundesregierung somit zumindest teilweise stoppen, sodass sich die negativen Folgen auf die Kaufkraft und das Konsumverhalten – nicht zuletzt gestützt durch weitere Konjunkturmaßnahmen wie etwa der Umweltprämie für Altwagen – weitestgehend ausblieben. Kurzarbeit dient also zur Stärkung bzw. zum Erhalt der Binnennachfrage, die in der aktuellen Krise aufgrund sinkender Exportzahlen für wirtschaftliche Stabilität sorgen soll (Scholz 2009: 4f.).
Auch aus Sicht der Arbeitgeber steht hinter dem Einsatz von Kurzarbeit ein ökonomisches Kalkül. Sell (2009: 3) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „volks- und betriebswirtschaftlich innovative[n] Doppelfunktionalität der Kurzarbeit", da sowohl der Staat, als auch die Privatwirtschaft (Unternehmen und ihre Beschäftigte) von diesem Instrument profitieren können. Im Folgenden sollen die arbeitgeberseitigen Motive zum Einsatz von Kurzarbeit erläutert werden.
2.2.2 Arbeitgeberseitige Motive zum Einsatz von Kurzarbeit
Aufgrund des Auftragsmangels verdienen die Arbeitnehmer im Betrieb mehr als es ihrer marginalen Produktivitätsrate entspricht. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Arbeit. Da der Faktor Arbeit kurzfristig nicht durch Kapital, etwa in Form neuer Maschinen, ersetzt werden kann, müssen die Unternehmen entweder mit Entlassungsmaßnahmen oder einer Reduzierung des Arbeitsvolumens reagieren (Cirmmann/Wießner/Bellmann 2010: 7). Es ergeben sich somit zwei Optionen: Die Mitarbeiter freisetzen und bei Bedarf wieder einstellen, wodurch sich Kosten der Entlassung und Wiedereinstellung ergeben, oder die Mitarbeiter horten, woraus ein erhöhter Koordinationsaufwand und Remanenzkosten resultieren. Crimmann/ Wießner/Bellmann (2010: 35) stellen hierzu fest, dass Unternehmen in Deutschland während der Finanzkrise vorzugsweise „flexibility by hours“ anstatt „flexibility by numbers“ praktizieren - mit anderen Worten also auf Kurzarbeit setzen.
Sell (2009: 3) führt als Hauptgrund für dieses Vorgehen die Überbrückungsfunktion von Kurzarbeit und die damit verbundene Vermeidung von Entlassungskosten an. Hierzu zählen etwa Abfindungszahlungen, Sozialplankosten oder Gerichtskosten in Folge von Kündigungsschutzklagen. Diese Aufwendungen machen aber nur einen Bruchteil der Kosten aus. Viel schwerer wiegt zumeist der Verlust des Humankapitals - unter Umständen sogar direkt an die Konkurrenz. Dieser schlägt finanziell noch viel mehr zu Buche, wenn die Wiedereinstellungs- und Einarbeitungskosten in Betracht gezogen werden. Bedingt durch den demographischen Wandel und den Mangel an Fach- und Führungskräften wird es für Unternehmen immer teurer in Zeiten des Aufschwungs den steigenden Personalbedarf wieder zu decken. Arbeitgeber stehen folglich vor weitreichenden betriebswirtschaftlichen Überlegungen (BA 2009: 15):
- Zeichnet sich eine Verbesserung der Auftragslage ab und ist es deshalb wirtschaftlich, die Stammbelegschaft zu halten?
- Was ist finanziell sinnvoller: Fachkräfte jetzt zu horten oder zu entlassen und nach der Krise erneut zu rekrutieren?
- Wie hoch ist das Angebot ausreichend qualifizierten Personals auf dem Arbeitsmarkt?
Das ökonomische Kalkül der Unternehmen ist folglich eine Abwägung zwischen den Folgekosten von Entlassungen und den Kosten der Kurzarbeit (Scholz 2009: 5). Letztere beliefen sich in 2009 aus Sicht der Unternehmen auf etwa 4,2 bis 6 Mrd. €. Zwar müssen die Unternehmen für die ausgefallenen Arbeitsstunden keine Löhne und Gehälter zahlen, dennoch verbleiben ihnen ein Teil der Lohnnebenkosten - die oben bereits erwähnten Remanenzkosten. Diese können sich auf bis zu 48 Prozent (bei voller Sozialbeitragspflicht und einer tarifvertraglichen Nettolohnsicherung[4] von bis zu 90 Prozent) der normalen Personalkosten pro Ausfallstunde belaufen und richten sich danach, wie hoch der arbeitgeberseitige Zuschuss zum Kurzarbeitergeld ausfällt und wie hoch der Anteil der von der BA übernommenen Sozialbeiträge ist. Bei voller Übernahme der Lohnnebenkosten fallen durchschnittliche Remanenzkosten von 24 Prozent an. Insgesamt machen die verbleibenden Kosten also einen nicht unerheblichen Teil (etwa 0,4 bis 0,6 Prozent) der gesamten Personalkosten aus. Dieser Anteil liegt im produzierenden Gewerbe sogar noch höher (Bach/Spitznagel 2009: 5ff.).
Dem gegenüber stehen allerdings Fluktuationskosten, die sich bei qualifizierten Arbeitskräften auf durchschnittlich 32.000 € und bei gering qualifizierten Arbeitskräften auf etwa 7.000 € belaufen (Bach/Spitznagel 2009; Bach et al. 2009). Dass sich viele Unternehmen dieser hohen Fluktuationskosten bewusst sind, zeigt sich daran, dass eine Vielzahl von Kleinbetrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern verstärkt auf Kurzarbeit setzt, obwohl ihre Arbeitnehmer geringeren Kündigungsschutzvorschriften unterliegen (Creutzburg/Thelen 2010). Eichhorst/Marx (2009) sehen durch den Einsatz von Kurzarbeit sogar den langfristigen Erhalt deutscher Qualitätsstandards und erwarten steigende Innovationsfreude, da die institutionelle Absicherung langfristiger Beschäftigungsverhältnisse Anreize schafft, in spezifisches Humankapital zu investieren.[5]
Die betriebswirtschaftlichen Motive der Arbeitgeber zeigen, dass Kurzarbeit für die Unternehmen während der Weltwirtschaftskrise ein essenzielles Instrument zur Flexibilisierung des Personalbedarfs darstellt. Auch geben die Arbeitsmarktzahlen kaum Anlass dazu, am ökonomischen Erfolg dieses Instruments zu zweifeln. Dennoch bringen Kurzarbeit, und insbesondere die gelockerten Rahmenbedingungen sowie mangelnde Kontrollen seitens der BA, Ambivalenzen mit sich, die von legalen Mitnahmeeffekten bis hin zum gesetzeswidrigen Missbrauch reichen.
2.3 Ambivalenz der konjunkturellen Kurzarbeit
2.3.1 Anreiz zu Mitnahmeeffekten
„Die Kurzarbeit ist mit Blick auf das Arbeitsverhältnis ein Ausnahmezustand mit reduzierter Regelarbeitszeit“ (Sell 2009: 5).
Einer der Hauptkritikpunkte der Kurzarbeit ist, dass sie bei den Arbeitnehmern Angst vor dem Arbeitsplatzverlust schürt und Unternehmen durch die gelockerten Rahmenbedingungen zu Mitnahmeeffekten anreizt. Eine solche „missbräuchliche“ Inanspruchnahme ist nach Sell (2009: 4) jedoch nicht mit den in der Öffentlichkeit diskutierten Missbrauchsfällen gleichzusetzen, sondern beschreibt eine „Verfehlung der eigentlichen Funktionalität dieses Instruments“, die durch immer einfachere Zugangsvoraussetzungen geschaffen wird. Somit entsteht die Gefahr, dass Kurzarbeit zu einer „faktischen Sozialisierung betrieblicher Risiken auf Kosten der Beitragszahlergemeinschaft führt“ und die „scheinbare Interessenidentität von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften“ aufgehoben wird (Sell 2009: 4f.). Mit anderen Worten birgt Kurzarbeit viele Unsicherheiten, weil schwer abzusehen ist, ob sie wieder in Vollbeschäftigung oder letztendlich doch in Entlassungen endet. Für die Mitarbeiter kann sich hieraus ein dauerhafter Ausnahmezustand ergeben (Sell 2009: 5ff.; Deeke 2009: 11f.).
Tritt letzterer Fall ein, müssen der Staat und somit alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten doppelt zahlen: Zum einen das ursprüngliche Arbeitslosengeld und zum anderen das bis zur Entlassung subventionierte Kurzarbeitergeld. Somit wird der effektive Bezugszeitraum, der gleichbedeutend als Belastungszeitraum für die Arbeitslosenversicherung anzusehen ist, von 18 bzw. 24 auf bis zu 48 Monate ausgedehnt (Sell 2009). Bach et al. (2009) sehen die Verlängerung der Bezugsfrist gar als Widerspruch zu den positiveren Arbeitsmarktprognosen für das Jahr 2010, in dem weniger Kurzarbeit gefahren und Arbeitszeitkonten aufgebaut werden sollen. Der selben Meinung sind Reinhardt/Rogoff (2009), die den Erfolg der Kurzarbeit generell nicht vorschnell beurteilen wollen. Ihre Untersuchungen zeigen, dass die negativen Auswirkungen vergleichbarer Finanzkrisen, auf das Produktionsvolumen etwa zwei und auf den Arbeitsmarkt sogar bis zu fünf Jahre dauern. Aus diesem Grund fordert Sell (2009: 6f.), dass die Sozialisierung betrieblicher Kosten nicht über das Maß der bis dato subventionierten Arbeitszeitverkürzungen hinausgehen sollte, um einer Verstärkung der Mitnahmeeffekte vorzubeugen. Scholz (2009) dagegen sieht trotz der gelockerten Rahmenbedingungen eine Begrenzung von Mitnahmeeffekten durch den Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber – eine Partei verzichtet auf einen Teil ihres Gehalts während die andere die Remanenzkosten trägt.
„Kurzarbeit kann - so erfolgreich sie kurzfristig auch ist – einen krisenbedingten Arbeitsplatzabbau allenfalls verschieben, nicht jedoch vollständig verhindern“ (Adamy 2009: 13).
Eichhorst/Marx (2009) argumentieren, dass es durch Kurzarbeit zu einer staatlich subventionierten Verhinderung eines strukturellen Wandels am Arbeitsmarkt kommen kann. Obiges Zitat verdeutlicht diese Problematik. Unumgängliche Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen werden durch Kurzarbeit möglicherweise nur verzögert, führen aber am Ende doch zu Mitarbeiterentlassungen. Dadurch werden neben dem Staat, ebenso die Arbeitnehmer ausgenutzt, indem die Unternehmen ihre Erwartungsunsicherheiten auf die Belegschaft abwälzen (Sell 2009). Eichhorst/Marx (2009: 3) sehen in diesem Zusammenhang die Gefahr von fehlgeleiteten Signalen seitens der Politik, die den Eindruck erweckt, Kurzarbeit könne mittelfristig jegliche Art von Entlassungen vermeiden. Daher bezeichnen sie auch den in Frankreich gebräuchlichen Begriff der „Teilarbeitslosigkeit“ als zutreffender. Kock (1985) kritisiert weiterhin, dass Kurzarbeit als strategisch angelegtes Rationalisierungskonzept eingesetzt wird, das zur Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes und zur Senkung der Personalkosten dient. Die Intention des Arbeitsförderungsgesetzes wird demnach ins Gegenteil verkehrt, da die Anpassung an konjunkturelle und strukturelle Veränderungen des Marktes auf Kosten der Arbeitnehmer und der Arbeitslosenversicherung gehen. Kommt es zu einem solchen „Funktionswandel“ der Kurzarbeit, ist diese gleichbedeutend mit einem „Übergangsstadium in die Arbeitslosigkeit“ (Kock 1985: 23).
Die Mitnahmeeffekte zeichnen sich insgesamt dadurch aus, dass sie sich nach wie vor in einem legalen Rahmen bewegen. Dennoch versuchen viele Organisationen diesen Rahmen bis an den Rand auszuschöpfen wie die kritischen Stimmen verdeutlichen. Aber nicht nur Unternehmen versuchen auf den „Zug“ Kurzarbeit aufzuspringen. Auch private Haushalte, Sportvereine, Ärzte und sogar Kirchengemeinden reichen Anträge auf Kurzarbeit für ihre Mitarbeiter ein. So sind etwa Fälle bekannt, in denen Kurzarbeit für Hausmädchen beantragt wurde, weil ein oder mehrere Haushaltsmitglieder ihrerseits in Kurzarbeit waren und folglich selbst Zeit zur Erledigung der Aufgaben hatten. Eisdielen beabsichtigten Kurzarbeitergeld für den strukturschwachen Winter zu erhalten und ein Eishockeyverein, der die Playoffs verpasst hatte, wollte das Kurzarbeitergeld für seine Spieler während der verlängerten Sommerpause in Anspruch nehmen. Selbst eine Kirchengemeinde stellte den Antrag auf Kurzarbeit für ihre Messdiener mit der Begründung sinkender Gottesdienstbesucher durch die wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Diese Beispiele zeigen, dass sich durch die gelockerten Rahmenbedingungen der Kurzarbeit eine regelrechte „Subventionsmentalität“ entwickelt hat (Adamek/Otto 2009). Obwohl die eben genannten Anträge auf Kurzarbeit allesamt nicht bewilligt wurden, liegt die Ablehnungsquote bei unter einem Prozent (Becker-Wenzel/Judzikowski/Sperling 2009). Hinzu kommt die Überauslastung der BA, der weder genügend Zeit bleibt die Anträge eingehend und mit der notwendigen Sorgfalt zu prüfen, noch die Einhaltung bestehender Bestimmungen flächendeckend zu kontrollieren. Dennoch profitiert der Großteil der Antragssteller immer noch legal vom Kurzarbeitergeld, ein geringerer Teil wiederum betrügt und missbraucht die Kurzarbeit augenscheinlich (Becker-Wenzel/Judzikowski/Sperling 2009; Adamek/Otto 2009).
2.3.2 Anreiz zum Missbrauch
Im Gegensatz zu Mitnahmeeffekten impliziert der Begriff Missbrauch einen Verstoß gegen bestehendes Recht. Dieses illegale Verhalten und die daraus zu befürchtenden rechtlichen Konsequenzen nehmen viele, insbesondere kleine bis mittelständische Unternehmen, billigend in Kauf. So häuft sich die Zahl der Vorfälle, in denen Unternehmen Kurzarbeit anmelden, ihre Mitarbeiter aber dennoch in Vollzeit arbeiten lassen (o.V. 2010).[6] Dabei ist die Ausnutzung häufig weniger offensichtlich. Viele Betriebe treffen offizielle Kurzarbeiterregelungen, fordern ihre Mitarbeiter aber simultan dazu auf, das gleiche Arbeitsvolumen in kürzerer Zeit abzuwickeln. Zwar werden selbst diese Aufforderungen selten laut, dennoch wird unter dem Vorwand der wirtschaftlichen Schieflage eine zusätzliche Drucksituation aufgebaut. Vor allem Firmen ohne Betriebsrat vertrauen darauf, von den wenigen, stichprobenartigen Kontrollen der Kurzarbeit ausgelassen zu werden oder die oftmals nicht hinreichend dafür ausgebildeten Mitarbeiter der BA täuschen zu können. So wird der überwiegende Teil der Verdachtsfälle aufgrund anonymer Hinweise der eigenen Mitarbeiter bekannt, die dann auch erste Ansprechpartner bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind.
Verschiedene Wege des Missbrauchs sind der BA mittlerweile bekannt. Bei der am häufigsten verbreiteten Praktik lässt der Arbeitgeber die Beschäftigten gemäß der beantragten Kurzarbeitszeit ausstempeln, daraufhin an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und, ohne einem Versicherungsschutz zu unterliegen, weiterarbeiten. Auch berichten Mitarbeiter der BA von Fällen, in denen für die Arbeitszeiterfassung zwei Lochkarten benutzt wurden oder die gearbeiteten Stunden im Zeiterfassungssystem zurückgesetzt wurden. In weiteren Fällen wurde bei Krankheit der Mitarbeiter nicht der gesetzliche Lohn fortgezahlt, sondern Kurzarbeit beantragt, um die finanziellen Belastungen des Unternehmens so gering wie möglich zu halten. Außerdem wurde Fällen nachgegangen, in denen die Mitarbeiter, auf Druck des Arbeitgebers, auf Urlaub verzichtet haben und an Stelle dessen für diese Zeit in Kurzarbeit treten mussten. Der Fahrer einer Spedition berichtet davon, sich auf der Kurzarbeit drei Tage ausgeschlafen zu haben, da anstelle der normalen Vergütung während der gesetzlichen Ruhezeiten Kurzarbeitergeld gezahlt wurde (Becker-Wenzel/Judzikowski/Sperling 2009; Adamek/Otto 2009).
Dabei kann der aufgedeckte Missbrauch von Kurzarbeit für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite strafrechtliche Konsequenzen haben. Unternehmen müssen nicht nur damit rechnen, die zu Unrecht bezogenen Leistungen finanziell zurückzuerstatten, sondern sie müssen sich auch einer Anklage wegen Betrugs und dem Erschleichen öffentlicher Leistungen gegenübersehen. Arbeitnehmer, die das Verhalten des Arbeitgebers wissentlich tolerieren und Falschaussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft tätigen, machen sich der Beihilfe des Betrugs strafbar (Brambusch/Dunkel/Gassmann 2009: 2; BA 2010a: 34f.; BA 2010b: 18).
Auch wenn dem konkreten Missbrauch von Kurzarbeit bisher nur in einem Bruchteil aller Fälle nachgegangen wird, vermuten die Staatsanwaltschaften, dass sich diese Zahlen spätestens dann vervielfachen, wenn die Mitarbeiter am Ende doch entlassen werden und Anzeige gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber erstatten. Da die gelockerten Regelungen im äußersten Fall bis Ende Juni 2012 gelten und insbesondere die wirtschaftlich stark angeschlagenen Unternehmen versuchen werden, solange wie möglich Kurzarbeit zu fahren, ist also zu erwarten, dass die Anzeigen wegen Missbrauchs auch weiterhin nicht nachlassen (Brambusch/Dunkel/Gassmann 2009: 2).
Mitnahmeeffekte und Missbrauchsfälle zeigen nunmehr, dass Kurzarbeit durchaus ambivalent angesehen werden muss. So kann durch dieses Instrument nicht nur ein ökonomisches Ungleichgewicht auftreten. Auch kann Kurzarbeit während der Durchführung eine unterschiedliche psychologische Wirkung auf die betroffenen Arbeitnehmer ausstrahlen. Je nachdem, ob diese Wirkung positiv oder negativ ausfällt, beeinflusst sie die Bindung der Mitarbeiter gegenüber dem Arbeitgeber. Dieses psychologische Bindungskonstrukt, das in einschlägiger Literatur unter dem Begriff des organisationalen Commitments diskutiert wird, soll nun im Folgenden erörtert werden.
3 Das dreidimensionale Konstrukt organisationalen Commitments
3.1 Begriffsentstehung und Abgrenzung
Der Begriff des organisationalen Commitments (OC) unterliegt seit den Anfängen der Forschung keiner einheitlichen Definition. Vielmehr fallen die Erkenntnisse über Bedeutung und Auswirkungen in einen fortlaufenden Veränderungsprozess, der insbesondere durch die Arbeiten von Becker (1960), Kanter (1968), Buchanan (1974) und Mowday/Porter/Steers (1979, 1982) geprägt wurde. Als ein Meilenstein im Laufe dieses Prozesses kann der einflussreiche Aufsatz von Meyer/Allen (1991) bezeichnet werden, der OC als psychologisches Konstrukt betrachtet. Dieses Konstrukt bildet die Grundlage der vorliegenden Arbeit.
„Organizational commitment can be defined generally as a psychological link between the employee and his or her organization that makes it less likely that the employee will voluntarily leave the organization. Although early work in the area was characterized by various, and often conflicting, unidimensional views of the construct, organizational commitment is now widely recognized as a multidimensional work attitude” (Meyer/Allen 1996: 252). Dieses in der Definition beschriebene, multidimensionale Konstrukt lässt sich in eine affektive, normative und kalkulative Bindungskomponente unterteilen.
Nach Meyer/Allen (1991) zählen die ersten beiden Bindungskomponenten zur psychologischen Perspektive organisationalen Commitments, wohingegen letztere als ökonomische Sichtweise einzuordnen ist. „Continuance commitment refers to an awareness of the costs associated with leaving the organization. Employees whose primary link to the organization is based on continuance commitment remain because they need to do so” (Meyer/Allen 1991: 67). Gemäß ihrer Definition hängt die kalkulative Mitarbeiterbindung also einzig von den Kosten ab, die ein Verbleib bzw. Wechsel der Organisation verursachen würde. Westphal/Gmür (2009: 203) sprechen aus diesem Grund auch von einer „Bindung mit Zwangscharakter“. Grundlegend ist hierbei die Arbeit von Becker (1960), die im Rahmen der sogenannten Side-Bet-Theorie das ökonomische Kalkül erläutert. Demnach entsteht kalkulatives Commitment aufgrund irreversibel getätigter Investitionen und eines Mangels an alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten. So würde spezifisches Humankapital bei einem Arbeitsplatzwechsel genauso verloren gehen wie die Beziehungen zu den Kollegen oder die erreichte Position im Unternehmen. Auch privat würden Umzugskosten oder die Aufgabe des Freundeskreises zu hohen Nutzeneinbußen führen (van Dick 2004: 47). Folglich erhöhen alle Investitionen, die direkt oder indirekt in Verbindung mit dem aktuellen Arbeitgeber stehen, die Vorteilhaftigkeit des Verbleibs in einer Organisation.
Im Rahmen der Kurzarbeit ergeben sich für einen Arbeitnehmer vor der Einführung zwei Wahlmöglichkeiten: das Unternehmen zu verlassen oder zu bleiben. Der mit dem Übergang in Kurzarbeit verbundene Verbleib geht auf Kosten eines niedrigeren Gehalts. Ein rationaler Arbeitnehmer bewertet die Kosten seiner beiden Wahlalternativen und entscheidet sich für den Verbleib im Unternehmen, wenn der Gehaltsverzicht geringer ist als die Kosten eines Arbeitsplatzwechsels. Letztere beinhalten etwa die Gefahr in Arbeitslosigkeit abzurutschen, Kosten der Arbeitsplatzsuche sowie soziale (Verlust des sozialen Status) und wirtschaftliche (Ungewissheit über zukünftiges Gehalt) Unsicherheiten (Crimmann/Wießner/Bellmann 2010: 9). Da das ökonomische Kalkül in Verbindung mit Kurzarbeit in Kapitel 2 bereits umfassend dargestellt wurde, soll die Betrachtung kalkulativen Commitments im weiteren Verlauf vernachlässigt werden. Vielmehr bedarf es für die Untersuchung der psychologischen Effekte von Kurzarbeit auf die Mitarbeiterbindung einer näheren Betrachtung affektiven und normativen Commitments.
Affektives Commitment ist die meist erforschte Komponente organisationalen Commitments. „Affective Commitment refers to the employee's emotional attachment to, identification with, and involvement in the organization. Employees with a strong affective commitment continue employment because they want to do so” (Meyer/Allen 1991: 67). Diese Definition betont explizit den freien Willen als Basis für die Mitarbeiterbindung. Der emotionale Bund mit dem Unternehmen sorgt dafür, dass die Belange der Organisation auch eine hohe persönliche Bedeutung besitzen und die Arbeitnehmer mit ihrem Arbeitgeber ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit empfinden (vgl. Buchanan 1974; Mowday/Porter/Steers 1982; van Dick 2004). Hohes affektives Commitment bewirkt außerdem, dass Verluste des Unternehmens als die eigenen angesehen werden, verändernden Maßnahmen positiv gegenübergetreten wird und Kultur und Werte der Organisation verinnerlicht und gelebt werden (Eisenberger et al. 1986: 834f.).
Normatives Commitment hingegen „(…) reflects a feeling of obligation to continue employment. Employees with a high level of normative commitment feel that they ought to remain with the organization” (Meyer/Allen 1991: 67). Diese Art von Selbstbindung an die Organisation resultiert ähnlich wie affektives Commitment aufgrund des Gefühls, der Organisation etwas zurückgeben zu müssen. Jedoch beruht dieses Gefühl nicht auf einer emotionalen, sondern auf einer moralisch-ethischen Bindungsebene, auf der sich ein Verpflichtungsempfinden entwickelt (Wiener 1982). Hat der Arbeitgeber z.B. eine Aus- oder Weiterbildung bezahlt, fühlt sich der Arbeitnehmer verpflichtet, diese getätigten Investitionen in Form seiner Treue und Loyalität gegenüber dem Unternehmen zurückzugeben (van Dick 2004). Meyer/Allen (1990: 4) konstatieren, dass sich ein solches Pflichtgefühl sowohl vor dem Eintritt in die Unternehmung („familial/cultural socialization“) als auch danach („organizational socialization“) herausbilden kann.
Affektives und normatives Commitment korrelieren stark positiv miteinander wie Meyer/Allen (1991) in ihren Untersuchungen nachweisen. Dementsprechend haben beide Komponenten auch nahezu identische Einflussfaktoren (siehe Abschnitt 3.3), die lediglich in der Stärke des Zusammenhangs variieren. Eine eindeutige Trennung kann hingegen zum kalkulativen Commitment vollzogen werden. Dieses steht sowohl mit der emotionalen, als auch mit der fortsetzungsbezogenen Bindungskomponente in einem negativen Zusammenhang und wird zudem von anderen Faktoren beeinflusst (Westphal/Gmür 2009).[7] Dementsprechend hat eine Vernachlässigung kalkulativen Commitments keine Auswirkungen auf die weitere Analyse. Ein grundlegendes Konzept auf dem affektives und normatives Commitment basieren, ist die Theorie des Sozialtauschs. Diese soll im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
3.2 Die Theorie des Sozialtauschs
Als theoretische Grundlage für die Entstehung affektiven und normativen Commitments wird vor allem die soziale Tauschtheorie (Social Exchange Theorie) zitiert (vgl. Homans 1961; Blau 1964). Homans (1961: 13) definiert den sozialen Austausch „as an exchange of activity, tangible or intangible, and more or less rewarding or costly, between at least two persons.” Dabei ist zwischen dem sozialen und ökonomischen Tausch in vielerlei Hinsicht zu differenzieren. Letzterer beruht auf einer vertraglichen Vereinbarung, die den jeweiligen Gegenüber dazu verpflichtet, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine festgelegte Gegenleistung zu erbringen. Der ökonomische Tausch stellt folglich die Bedingung, dass der Nutzen quantifizierbar ist und über Geld als Zahlungsmittel abgebildet werden kann. Aufgrund des bindenden Charakters kann eine ökonomische Transaktion sowohl einmalig als auch wiederholt stattfinden (Blau 1964).
Der soziale Austausch hingegen beruht auf keiner expliziten Vereinbarung. Folglich sind sowohl Art als auch Zeitpunkt der Gegenleistung ungewiss. Somit muss die Partei, die in der Austauschbeziehung in Vorleistung getreten ist, auf das reziproke Verhalten der anderen vertrauen.[8] Eine solche Vertrauensgrundlage kann jedoch lediglich bei wiederholter Interaktion zweier Akteure geschaffen werden. Andernfalls wäre es für beide Parteien irrational zu vertrauen, da sie von der jeweils anderen opportunistisch ausgenutzt werden könnten. Dementsprechend ist eine langfristig angelegte Beziehung zweier Parteien, in der sich Gefühle wie Verpflichtung, Dankbarkeit und Vertrauen entwickeln können, Grundlage für den sozialen Austausch (Blau 1964: 92ff.).
Der Sozialtausch kann extrinsisch oder intrinsisch motiviert sein. Erste Form richtet ihr Interesse auf „Güter“ wie Anerkennung und Unterstützung durch den Transaktionspartner, letztere beschreibt eine gemeinsame Aktivität aufgrund des Interesses an einer Beziehung mit der anderen Partei. Partner im Sozialtausch können entweder einzelne Personen, aber auch ganze Personengruppen oder Organisationen (im Sinne einer juristischen Person wie im Falle von Kapitalgesellschaften) sein. Dabei wird der Austauschprozess von der Entwicklungsstufe der Beziehung (Frühstadium, langjährige Beziehung), der Art der Beziehung (innig bis distanziert), der Art und Stärke des Nutzenzuwachses sowie den verursachten Kosten und dem sozialen Kontext (Gleichstellung der Transaktionspartner oder Hierarchiefolge) beeinflusst (Blau 1964: 97ff.).[9]
Im Arbeitsverhältnis kommt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einem auf Dauer angelegten ökonomischen wie sozialen Austauschprozess. Dessen Wirkung ergibt sich explizit und implizit aus dem Arbeitsvertrag zwischen beiden Parteien. Dabei erfüllt der Arbeitnehmer die ihm zugetragene Aufgabe, wofür der Arbeitgeber wiederum an den Arbeitnehmer ein Leistungsentgelt entrichtet. Über diese ökonomische Transaktion hinaus haben beide Parteien aber noch weitere arbeitgeber- bzw. arbeitnehmerseitige Pflichten zu erfüllen. Diese sind in den wenigsten Fällen eindeutig definiert. So muss der Arbeitgeber etwa seiner Fürsorgepflicht nachkommen und für Arbeitssicherheit am Arbeitsplatz sorgen. Der Arbeitnehmer muss sich im Gegenzug treu gegenüber seinem Arbeitgeber verhalten und seine Arbeit mit Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen verrichten. Da der Grad der gegenseitigen Pflichterfüllung an dieser Stelle nur noch schwer zu quantifizieren ist, wird der ökonomische Austausch mehr und mehr zu einem sozialen Austausch. Wahrgenommenes hohes Engagement der einen Partei wird durch ebenfalls hohes Engagement der anderen beantworten. Empfinden die Arbeitnehmer also, dass der Arbeitgeber sich über seine grundlegenden Pflichten hinaus engagiert, Unterstützung bietet und Vertrauen zurückzahlt, erhöht sich für sie die emotionale und obligatorische Bindung zum Unternehmen (Westphal/Gmür 2009). Jäger (2006: 34) fasst zusammen: „Jeder Mensch ist motiviert, seine Beziehung mit anderen ‚profitabel‘ zu gestalten, das heißt, der Nutzen der Beziehung sollte deren Kosten übersteigen. Nur über solche sozialen Austauschtheorien lassen sich die Entstehung und der Fortbestand von sozialen Beziehungen, die in der Mitarbeiterbindung gründen, erklären. Es ist ein Geben und Nehmen von Vertrauen, Anerkennung, Zuneigung, aber auch Werten und Leistung.“ Bisher wurde gezeigt, wie sich die drei Bindungskomponenten unterscheiden und auf welcher Grundlage sie basieren. Um jedoch zu erklären, wie affektives und normatives Commitment erhöht werden können, also der soziale Austausch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern angeregt werden kann, bedarf es eines Blickes auf die Einflussfaktoren der Mitarbeiterbindung.
3.3 Einflussfaktoren des affektiven und normativen Commitments
Die Einflussfaktoren organisationalen Commitments können als eine Art Stellschrauben angesehen werden, mit Hilfe derer das Unternehmen die Bindung seiner Mitarbeiter steuern kann. Kieser (1995: 1445) unterscheidet drei Gruppen von Einflussfaktoren auf organisationales Commitment – personenbezogene, arbeitsbezogene und organisationsbezogene.
Personenbezogene Einflussfaktoren beziehen sich auf demographische Merkmale (z.B. Geschlecht, Alter, Betriebszugehörigkeit) sowie die generelle Arbeitseinstellung und Charaktereigenschaften eines Individuums. Arbeitsbezogene Einflussfaktoren hingegen umfassen die Merkmale der Arbeitssituation und betrachten die Beziehung zu Vorgesetzten und Kollegen. Der Bezug gilt also der spezifischen Arbeitssituation eines Mitarbeiters. Organisationsbezogene Einflussfaktoren wiederum bilden die Kultur und Struktur der Organisation ab und gehen auf die HR-Praktiken ein. Somit liegt der Fokus gegenüber den arbeitsbezogenen Einflussfaktoren auf der Arbeitssituation aller Mitarbeiter im Unternehmen (Kieser 1995). Westphal/Gmür (2009: 210f.) resümieren in ihren Untersuchungen, dass zum einen in Bezug auf die personenbezogenen Faktoren, demographische Merkmale zunehmend durch Variablen zur Arbeitseinstellung und Charaktereigenschaften ersetzt werden, und, dass die Erforschung organisationsbezogener Einflussfaktoren an Bedeutung gewonnen hat.
Die Ergebnisse verschiedener Metaanalysen (vgl. u.a. Mathieu/Zajac 1990; Cohen 1992; Meyer et al. 2002; Westphal/Gmür 2009) zu Einflussfaktoren organisationalen Commitments nach dem Konstrukt von Meyer/Allen (1991) bestätigen, dass affektives und normatives Commitment von den gleichen Einflussfaktoren bestimmt werden (siehe Abschnitt 3.1). Insbesondere der Einfluss von arbeitsbezogenen und organisationsbezogenen Faktoren ist hoch signifikant. So erhöhen sich affektives und normatives Commitment, wenn ein Mitarbeiter ein hohes Maß an Verantwortung und Kompetenzen übertragen bekommt, den Stellenwert seiner Arbeitsrolle für das Unternehmen kennt, stolz auf den Arbeitgeber (durch das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit) ist, und Karriere- und Aufstiegschancen sieht. In Bezug auf die organisationsbezogenen Faktoren ist die Unternehmenskultur Grundstein für hohe Mitarbeiterbindung. Dies impliziert organisationale Gerechtigkeit in der Entscheidungsfindung, Entgeltgestaltung und Beförderungspolitik, eine Kultur des Vertrauens und der Mitarbeiterpartizipation sowie ein gutes Betriebsklima. Hinzu kommt der positive Einfluss von Work-Life Balance Maßnahmen.
Neben den verschiedenen Einflussfaktoren gibt es allerdings auch kovariierende Variablen, die die drei Komponenten des OC in unterschiedlicher Weise beeinflussen und in einem interdependenten Verhältnis zu ihnen stehen. Die Bezeichnung als kovariierende Variable impliziert, dass bisher noch Unklarheiten über die Kausalitäten dieser Variablen zu OC herrschen. So gibt es nach wie vor keine einheitliche Position darüber, ob Motivation, Arbeitszufriedenheit, Identifikation und Involvement als direkte Einflussfaktoren oder Moderatorvariablen fungieren (Meyer et al. 2002: 22). Dementsprechend wird im Folgenden versucht, diese Begrifflichkeiten von OC abzugrenzen und Interdependenzen aufzuzeigen.
Der Begriff der Motivation beschreibt die grundsätzliche Bereitschaft zur Durchführung einer Tätigkeit (Rosenstiel 1992: 214). Dahingegen wird Commitment lediglich als aktivierende Kraft im Motivationsprozess eingeordnet, die eine geringere Situationsabhängigkeit aufweist und auf langfristige Ziele ausgerichtet ist (van Dick 2004: 5). Die Literatur geht von einem wechselseitigen Verhältnis zwischen Motivation und Commitment aus (vgl. Caldwell/ Chatman/O’Reilly 1990; Süß 2006).
Arbeitszufriedenheit ist im Vergleich zu Mitarbeiterbindung spontaner und weniger langfristig ausgelegt (Mathieu/Zajac 1990). Sie beschreibt den positiven Eindruck über die Arbeitssituation (Curry et al. 1986) und den Grad der erfüllten Wünsche im Arbeitsverhältnis (Lersch 1966). Felfe et al. (2005) bestätigen auch hier ein interdependentes Verhältnis mit organisationalem Commitment.
Identifikation bildet die Grundlage für arbeitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen. Somit bringt sie die affektive Komponente des OC in Form verschiedener (kognitiver, affektiver, evaluativer und verhaltensbezogener) Dimensionen zum Ausdruck. Das organisationale Commitment nach der Definition von Meyer/Allen (1991) wird hingegen durch die normative und kalkulative Komponente ergänzt. Daneben liefert nach van Knippenberg (2000) die kognitive Dimension des Identifikationsbegriffs einen weiteren Aspekt zur beiderseitigen Abgrenzung. Affektives Commitment beschreibt (lediglich) die emotionale Bindung zur Organisation, wohingegen Identifikation darüber hinaus geht und die Frage beantwortet, inwieweit die Persönlichkeit einer Person durch die Zugehörigkeit zur Organisation definiert wird. Während OC langfristig angelegt ist, kann sich auch die Identifikation situationsbedingt ändern, z.B. bei Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen, in denen ein gutes bzw. weniger gutes Arbeitsklima herrscht (van Dick 2004: 4ff.).
Involvement stellt eine Form der Identifikation mit einer bestimmten Tätigkeit dar. Van Dick (2004: 7) unterscheidet „work involvement“ und „job involvement“. Erstere Form sieht die Arbeit als zentrales Lebensinteresse, letztere spiegelt die Anstrengungsbereitschaft eines Individuums wider. Buchanan (1974) sieht Involvement als einen Bestandteil organisationalen Commitments. Damit stehen beide Begriffe ebenfalls in einem interdependenten Verhältnis zueinander.
Die Zusammenhänge und wechselseitigen Beeinflussungen von OC mit Motivation, Arbeitszufriedenheit, Identifikation und Involvement zeigen, dass eine Veränderung des OC ebenso weitreichende Folgen für andere Komponenten der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung hat. Der besondere Stellenwert OC gegenüber den eben abgegrenzten Begriffen ergibt sich aufgrund seiner Langfristigkeit. Während Motivation, Arbeitszufriedenheit, Identifikation und Involvement vornehmlich situationsabhängig und von kurzfristigem Charakter sind, sind die Auswirkungen organisationalen Commitments von langfristiger Natur.
3.4 Auswirkungen hoher Mitarbeiterbindung für Unternehmen
Während die Einflussfaktoren organisationalen Commitments die Bindungsstärke determinieren, ist für die Unternehmen unter dem Strich entscheidend, welche Auswirkungen starkes bzw. schwaches Commitment der Mitarbeiter auf Faktoren wie Performance oder Fluktuation hat. Der Einfluss auf diese so genannten Ergebnisfaktoren rechtfertigt schließlich Investitionen in den Auf- und Ausbau der Mitarbeiterbindung. Die positiven Auswirkungen des OC lassen sich in zwei Gruppen untergliedern: der Bindung von Mitarbeiterpotenzialen und der Nutzung von Mitarbeiterpotentialen (Westphal/Gmür 2009: 206).
- Bindung von Mitarbeiterpotentialen
Commitment steht in einem negativen Zusammenhang mit Fehlzeiten, Kündigungsabsicht und tatsächlicher Kündigung; trägt also dazu bei, dass die Mitarbeiter im Unternehmen gehalten werden (vgl. u.a. Somers 1995; Meyer/Allen 1996; Meyer et al. 2002). Dadurch sinken sowohl monetäre (Humankapital bleibt erhalten, Rekrutierungs- und Entlassungskosten werden gesenkt, etc.) als auch sozialpsychologische (Störung des Gruppenzusammenhalts, Angst und Unsicherheit bei verbliebenen Kollegen, etc.) Kosten.
- Nutzung von Mitarbeiterpotentialen
Neben der Bindung von Mitarbeiterpotentialen, fördert OC auch deren Nutzung. So beeinflusst es, wie viel Leistungsbereitschaft und Qualifikation Arbeitnehmer in das Unternehmen einbringen. Mitarbeiter in Unternehmen mit flachen Hierarchien nutzen dann z.B. ihre Freiräume während der Arbeit weniger zugunsten ihrer persönlichen Interessen und engagieren sich stärker im Sinne der Organisation (van Dick 2004: 8). Ferner provozieren affektives und normatives Commitment Organizational Citizenship Behavior (OCB). Damit ist freiwilliges Engagement der Mitarbeiter gemeint, das zu keiner monetären Entlohnung führt, nicht vertraglich verpflichtend ist und der Organisation langfristig dient. Hierzu zählen Eigenschaften wie etwa Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Bereitschaft zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und Hilfsbereitschaft gegenüber den Kollegen (van Dick 2004: 8). Westphal/Gmür (2009: 206) bilanzieren darüber hinaus, dass organisationales Commitment ehrliches bzw. integratives Verhalten fördert und für Gesundheit sowie ein gesteigertes Wohlbefinden der Mitarbeiter sorgt.
Trotz der dargestellten positiven Auswirkungen von organisationalem Commitment, hebt insbesondere Moser (1996: 83ff.) auch mögliche Negativkonsequenzen hervor. Hohes kalkulatives Commitment senkt zwar laut Meyer/Allen (1990) die Fluktuation, wirkt sich aber auch negativ auf die Leistungsbereitschaft und Arbeitszufriedenheit aus. Letztere Einflüsse sind sicherlich nicht im Sinne der Unternehmung, aus theoretischer Sicht jedoch durchaus nachvollziehbar und empirisch nachgewiesen. Nach der Side-Bet-Theorie von Becker (1960) ergibt sich kalkulatives Commitment etwa aus gegenseitigen Investitionen zwischen der Organisation und deren Arbeitnehmern. Führt der Arbeitsplatzwechsel für Mitarbeiter zu Kosten in dem Sinne, dass Arbeitsplatzsicherheit (durch den Kündigungsschutz), betriebliche Leistungen (Betriebsrenten, Sonderzahlungen) und interne Reputation wegfallen, und gibt es zudem wenige Alternativen für einen Jobwechsel, ist der betroffene Arbeitnehmer vom Unternehmen abhängig. Diese Abhängigkeit geschieht nicht nach freiem Willen (affektiv) oder aufgrund des Gefühls der Verpflichtung (normativ), sondern zweckgebunden. Darüber hinaus stellen Meyer et al. (2002) einen negativen Zusammenhang zwischen der kalkulativen Bindungswirkung und OCB fest. Folglich kann für Unternehmen ein geringes fortsetzungsbezogenes Commitment der Mitarbeiter wünschenswerter sein, wenn es um zusätzliches Engagement, Arbeitszufriedenheit und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter geht. Moser (1996: 85) folgert dementsprechend, dass Unternehmen im Sinne der Arbeitsleistung zu einem gewissen Ausmaß irreversible Investitionen einschränken und Arbeitsplatzalternativen zulassen sollten, auch wenn dies gleichbedeutend mit einem Anstieg der Fluktuation sei. Ein solcher Anstieg sollte auch nicht pauschal als negativ bewertet werden, hält man sich die positiven Seiten einer moderaten Fluktuationsrate vor Augen. So dient Fluktuation etwa dazu, weniger leistungsfähige Mitarbeiter freizusetzen und damit Innovationsbereitschaft, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Unternehmung zu erhöhen. Des Weiteren sorgt Fluktuation für interne Mobilität, ermöglicht Karrierechancen und verhindert Betriebsblindheit.
Moser (1996: 86f.) sieht in zu starker organisationaler Bindung auch eine Konkurrenz und einen Störfaktor zu anderen Bindungsformen wie z.B. der Familie oder Gewerkschaften. Die aufwendigen Maßnahmen von Unternehmen Employer Branding zu betreiben und Mitarbeiterbindungsprogramme zu implementieren, führt er diesbezüglich als einen möglichen Grund für immer mehr Scheidungen, weniger Kindern, doppelten Karrieren und abnehmender Gewerkschaftszugehörigkeit in Deutschland an. Weiterhin macht Moser (1996: 86) die Gefahr aus, dass übereifriges Verhalten durch zu starkes Commitment von den Kollegen als überangepasst und „schleimerisch“ angesehen wird und somit die kollegiale Beziehungsebene stört. Zudem kann OC eskalieren und zu Fanatismus werden, indem sich Mitarbeiter in bestimmte Arbeitssituationen zu sehr hineinsteigern und es nicht mehr schaffen vom Beruf abzuschalten. Gesundheitliche Folgen wie das Burn-Out-Syndrom können Konsequenzen dessen sein (Moser 1996: 89).
Trotz der genannten Gefahrenquellen durch zu starkes Commitment überwiegen nach herrschender Meinung die positiven Konsequenzen, die von der Mitarbeiterbindung ausgehen (vgl. Moser 1996, Meyer et al. 2002). Wie unterschiedlich das Instrument Kurzarbeit letztendlich die Mitarbeiterbindung beeinflusst und wie sich diese Einflussnahme durch verschiedene Wahrnehmungen ändert, wird im nächsten Kapitel gezeigt. Dazu werden zwei mögliche Wahrnehmungspfade, Kurzarbeit als „Beschäftigungssicherung“ und Kurzarbeit als „Ausnahmezustand“, einander gegenübergestellt.
[...]
[1] Im Folgenden impliziert der Begriff „Kurzarbeit“ immer die konjunkturelle Kurzarbeit.
[2] Der größte Anteil der Antragssteller von Kurzarbeit kommt mit über 70 Prozent aus dem verarbeitenden und produzierenden Gewerbe. Viele Großunternehmen, aber auch kleine und mittelgroße Betriebe greifen auf Kurzarbeit zurück. So waren unter den 809.680 Kurzarbeitern Ende 2009, 40 Prozent aus Betrieben mit weniger als 100 Mitarbeitern und über 12 Prozent sogar aus Kleinbetrieben mit weniger als 10 Arbeitnehmern (Creutzburg/Thelen 2010).
[3] Das konstant hohe Niveau der Sozialabgabenübernahme durch die BA im ersten Quartal 2010, lässt auf eine weiterhin hohe Nutzung der Kurzarbeit schließen. Im Vergleich zum ersten Quartal 2009 lagen die Ausgaben für Sozialabgaben Anfang 2010 fast 5-mal so hoch (260 Mio. € in 2009 gegenüber 1,2 Mrd. € in 2010) (Creutzburg/Thelen 2010).
[4] Im Normalfall sinken die Lohnkosten für die Unternehmen proportional zur Arbeitszeit. Tarifliche Regelungen können jedoch den Lohn unterproportional zur Arbeitszeitverringerung sinken lassen. Daraus ergeben sich Mehrkosten für die Unternehmen, denn diese müssen die von der BA für die Ausfallzeiten gezahlten Löhne und Gehälter bis auf einen bestimmten Prozentsatz oder "Mindestlohn" aufstocken (Bach/Spitznagel 2009: 3).
[5] Gegen diese Vermutung spricht allerdings die Tatsache, dass wenige Unternehmen ihre Mitarbeiter in Weiterbildungsmaßnahmen entsenden, obschon diese vom Staat durch die volle Sozialabgabenerstattung subventioniert werden (Nahrendorf 2009).
[6] Anfang 2010 belief sich die Zahl der bei der BA eingegangenen Verdachtsfälle auf 846, die sich bei 132 Unternehmen derart verhärtet hätten, dass die Fälle an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Die Überprüfung weiterer Anzeigen steht noch aus. Erste Strafverfahren wurden bisher eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen (o.V. 2010).
[7] Die hohe positive Korrelation zwischen affektivem und normativem Commitment hat einige Wissenschaftler dazu veranlasst, den Nutzen einer separaten Skala zur obligatorischen Bindungswirkung zu erforschen (vgl. etwa Ko/Price/Mueller 1997). Cohen (1996) sieht dennoch genügend Unterscheidungsmerkmale, die eine differenzierte Betrachtung von affektivem und normativem Commitment rechtfertigen. Vor allem führt er diesbezüglich die unterschiedlichen Auswirkungen der beiden Komponenten auf die verschiedenen Ergebnisfaktoren organisationalen Commitments an. Der Differenzierung zwischen affektivem und normativem Commitment schließen sich die Ausführungen dieser Arbeit an. Allerdings sind die in Zusammenhang mit Kurzarbeit stehenden Einflussfaktoren derart deckungsgleich, dass aus Gründen der Übersichtlichkeit eine gemeinsame Analyse in Kapitel 4 erfolgt.
[8] Wie Blau (1964: 113) feststellt, ist gegenseitiges Vertrauen von sich aus schon eine Form des sozialen Tauschs. „[T]he trust required for social exchange is generated by its own gradual expansion in a self-adjusting manner.” Im Rahmen dieser Arbeit wird Vertrauen allerdings als dessen Grundlage angesehen.
[9] Die Austauschbeziehung ist für die Partei von höherer Bedeutung, die weniger Alternativen im Sinne von anderen Beziehungen hat (Blau 1964: 99). Die Kosten, die bei der Erstellung sozialer Erträge für andere entstehen, können als Investitions- oder Opportunitätskosten bezeichnet werden. Dementsprechend sind die Kosten in der Regel geringer, für die Partei, die weniger Alternativen hat (Blau 1964: 101).
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783863419103
- ISBN (Paperback)
- 9783863414108
- Dateigröße
- 1.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Paderborn
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- affektives Commitment normatives Commitment kalkulatives Commitment Beschäftigungssicherung Mitarbeiter Arbeitsmarkt Ausnutzung
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