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Dialogdarstellung für digitale Spiele: Eine Schnittstelle zwischen Game Writer und Entwicklerteam

©2012 Bachelorarbeit 66 Seiten

Zusammenfassung

Für die Erstellung von Dialogen für Videospiele werden unterschiedlichste Softwarelösungen herangezogen. Das Spektrum reicht hier von Dialogeditoren, die speziell für Game Writer entwickelt wurden, bis hin zu Textverarbeitungs- und Tabellenkalkulationsprogrammen. Ein Problem, das diese Werkzeuge teilen, ist die Darstellung von verzweigten Dialogen. Oftmals werden hier Graphen verwendet, die schnell über den zur Verfügung stehenden Platz hinauswachsen und ein Navigieren erschweren. Diese Studie soll hierfür einen Lösungsansatz bieten.
Um dieses Ziel zu erreichen, werden aktuelle Werkzeuge sowie die Rolle des Game Writers in Entwicklerteams analysiert. Auf dieser Grundlage wird ein Konzept für eine Dialogdarstellung entwickelt, die sich für die Erstellung und Evaluation von Dialogen eignet. Darüber hinaus liefert die prototypische Umsetzung des Konzeptes, welche die Kernfunktionalitäten aufweist, einen Machbarkeitsnachweis, um die Anforderungen an eine Visualisierung zu validieren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung
"
Ich erfinde nichts ­ ich entdecke nur etwas neu"
-Franc¸ois Auguste Ren´e Rodin
Game Writer vereinen die alte Tradition des Geschichtenerz¨ahlens mit der modernen
Technologie der heutigen Spieleindustrie. Das Game Writing stellt dabei eine eigene
"
Kunstform" dar, da eine Geschichte in digitalen Spielen nicht einfach linear erz¨ahlt
werden kann. Die Spieler haben das Ruder in der Hand und Game Writer m ¨ussen sich
der Aufgabe stellen, dem Spieler die Geschichte zu erz¨ahlen, ohne zu wissen, was die-
ser als n¨achstes tut. Eine besondere Herausforderung spielt hier die Interaktivit¨at der
Dialoge. Oftmals haben Spieler die M ¨oglichkeit, Entscheidungen in Dialogen zu tre
ffen
und so den Spielverlauf zu beeinflussen. Die Wahlm ¨oglichkeiten in Dialogen k ¨onnen
auch von Game Writern genutzt werden, um eine Illusion von spielerischer Freiheit
bei den Spielern zu erzeugen. Auf diese Weise k ¨onnen nichtlineare Dialoge mit der
Geschichte eine Spiels verkn ¨upft werden, um diese linear zu erz¨ahlen. Da eine einzelne
Dialogzeile keinen Entscheidungsfreiraum bietet, m ¨ussen mehrere Zeilen geschrieben
und miteinander verbunden werden, um zu unterschiedlichen Ausg¨angen eines Dialo-
ges f ¨uhren zu k ¨onnen.
Um diese Aufgabe zu erleichtern, soll in dieser Bachelorarbeit eine Visualisierung ent-
wickelt werden, die es erlaubt verzweigte Dialogstrukturen abzubilden und zu erstellen.
Dar ¨uber hinaus soll die M ¨oglichkeit gegeben sein, w¨ahrend der Entwicklungszeit eines
Spiels die Dialoge mit Hilfe der Visualisierung zu evaluieren. Dies soll die Konsistenz
der Dialoge ­ hinsichtlich des Sprachgebrauchs und der Resultate ­ gew¨ahrleisten.
1.1 Motivation
Das Game Writing ist eine Disziplin, die sich ¨uber den gesamten Entwicklungspro-
zess eines Spiels erstrecken kann und stark beeinflussend auf viele Bereiche der Ent-
wicklung wirkt. Daraus resultiert, dass die eingesetzten Werkzeuge jeden Bereich
mit den n ¨otigen Informationen versorgen m ¨ussen. Aktuelle Dialogeditoren verwen-
den Graphen zur Darstellung der Elemente eines Dialoges. Da es sich dabei jedoch
nicht um platzf ¨ullende Darstellungsformen handelt, wird der verf ¨ugbare Platz schnell
¨uberstiegen. Deshalb m ¨ussen grafische Repr¨asentationen gefunden werden, die eine
durchschaubare Mischung aus Daten, Interaktionsm ¨oglichkeiten und Abh¨angigkeiten
gew¨ahrleisten k ¨onnen. Dar ¨uber hinaus betrachten Dialogeditoren zumeist die Thema-
tik der Evaluation nicht oder nicht ausreichend genug, um eine ad¨aquate Leistung in
diesem Bereich zu erbringen. Zumeist muss die Evaluation manuell erfolgen, indem
die Ansicht von einem Knoten zum n¨achsten verschoben wird, da diese -- aufgrund
1

des begrenzten Platzes -- nicht gleichzeitig dargestellt werden k ¨onnen. Die mangeln-
de ¨
Ubersicht kann sich somit als Fehlerquelle herausstellen und sich negativ auf die
Bewertung und Anpassung von Dialogen auswirken.
1.2 Zielsetzung
In dieser Bachelorarbeit soll eine innovative Darstellungsform entwickelt werden, die
besonders auf die Bed ¨urfnisse von Game Writern zugeschnitten ist. Die Anforderun-
gen, die sich aus der Arbeit in Entwicklerteams ergeben, sollen dabei jedoch nicht
vergessen werden. Die Visualisierung soll nicht nur der Demonstration von Dialo-
gen dienen, sondern eine voll funktionsf¨ahige Arbeitsoberfl¨ache darstellen, die zur
Erstellung und Evaluation von Dialogen genutzt werden kann. Bei der Entwicklung
der Visualisierung werden wissenschaftliche Arbeiten aus den Bereichen Game Wri-
ting und Daten-Visualisierung ber ¨ucksichtigt. Des Weiteren sollen auch Kriterien aus der
Software-Ergonomie beachtet werden, um eine gebrauchstaugliche Arbeitsoberfl¨ache
zu gestalten.
Das entwickelte Konzept soll prototypisch auf Basis der Windows Presentation Founda-
tion (WPF) mit der Programmiersprche C# umgesetzt werden. Durch die Darstellung
von Dialogen aus Spielen soll abschließend ein Machbarkeitsnachweis geliefert und
eine Diskussionsgrundlage f ¨ur eine platzf ¨ullende Visualisierung von Dialogen in Vi-
deospielen gescha
ffen werden.
2

2 Game Writing
Dieses Kapitel besch¨aftigt sich mit dem T¨atigkeitsfeld der Game Writer. Es werden die
Aufgaben, die diese im Entwicklerteam ¨ubernehmen, beschrieben und gezeigt welche
M ¨oglichkeiten zur Verf ¨ugung stehen, um Spielern narrative Inhalte zu vermitteln. Da
sich diese Bachelorarbeit in erster Linie der Darstellung und Bearbeitung von Dialogen
widmet, wird dieses Themenfeld eingehender betrachtet. Abschließend wird die in den
folgenden Kapiteln wichtige verwendete Terminologie festgelegt.
2.1 Der Game Writer im Entwicklerteam
Game Writer kommen im Entwicklungsprozess an vielen Stellen zum Einsatz. In Sport-
spielen formulieren sie beispielsweise die S¨atze der Kommentatoren, in Abenteuerspie-
len sind sie zust¨andig f ¨ur die Ausarbeitung der Dialoge und in Rollenspielen schreiben
sie unter anderem die Beschreibungen f ¨ur Quests und Gegenst¨ande. Inhalt ihrer Arbeit
sind aber auch Benutzerhandb ¨ucher, L ¨osungsb ¨ucher oder die Hintergrundgeschichten
von Charakteren und ganzen Spielwelten [Bat04]. Ein Beispiel daf ¨ur ist der Kodex aus
dem Spiel Dragon Age Origins (BioWare), mit dessen Hilfe der Spieler Informationen ¨uber
die Welt Thedas sammeln und ­ nach eigenem Interesse an der Geschichte ­ lesen kann.
Game Writer sind damit f ¨ur s¨amtliche narrativen Inhalte eines Spieles verantwortlich.
Wie stark ein Game Writer in einem Projekt involviert ist, h¨angt in erster Linie von
der Art des Spiels ab. In Spielen, die stark handlungsgetrieben sind, k ¨onnen sie f ¨ur
die gesamte Handlung des Spiels verantwortlich sein. In anderen Projekten kann
es sich nur um die Ausformulierung und Lokalisation von Texten handeln [Boe11].
Abh¨angig von der Arbeit und der damit verbundenen Verantwortung ist auch die Art
der Besch¨aftigung. Oftmals sind Game Writer Freelancer, die nur an bestimmten Zeit-
punkten des Entwicklungsprozess am Projekt mitarbeiten [Bat04].
Da ein nicht unerheblicher Anteil der Game Writer vor Eintritt in die Spielebranche
als Drehbuchautoren arbeiteten, wird an dieser Stelle kurz die Arbeit beider Berufe
voneinander abgegrenzt. W¨ahrend ein Drehbuchautor eine Idee f ¨ur einen Film nieder-
schreibt und diese an ein Filmstudio schickt, damit der Film produziert wird, suchen
Game Studios nach Game Writern, um eine bestehende Spielidee durch narrative Inhal-
te zu erg¨anzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass zwischen Game Writern und dem
restlichen Team keine Zusammenarbeit stattfindet oder, dass Game Writer keine Verbes-
serungsvorschl¨age einbringen k ¨onnen. Jedoch geschieht dies in der Regel in Absprache
mit Game Designern, Programmierern oder K ¨unstlern(Sound, 2D, 3D etc.) [Inc06].
3

Abb. 2.1: Einfache Darstellung eines Entwicklungsteams aus Sicht der Game Writer
2.1.1 Game Designer
In Abbildung 2.1 sind die Verbindungen des Game Writers zu den weiteren Teammit-
gliedern zu sehen. Je st¨arker die dargestellte Verbindung, desto enger ist die Zusam-
menarbeit und die Beziehung zum Game Writer. Im Entwicklungsprozess haben Game
Writer die st¨arkste Beziehung zum Game Designer. Der Game Designer hat die Vision
vor Augen, wie das endg ¨ultige Spiel einmal aussehen soll [Mar06]. Er ist derjenige, der
den Spaß ins Spiel bringt und f ¨ur gutes Spielerlebnis sorgt. Als einer der zentralen Ent-
scheidungstr¨ager muss er Vorschl¨age des Teams im Hinblick auf die Spielidee und ihre
Durchf ¨uhrbarkeit abw¨agen und Entscheidungen tre
ffen, ob Ver¨anderungen am Game
Design vorgenommen werden. Daraus ergibt sich, dass die Vision des Game Designers
nicht von Anfang bis Ende unver¨anderlich feststeht. Im Entwicklungsprozess m ¨ussen
Anpassungen vorgenommen werden, die sich zum Beispiel aus den technischen Re-
striktionen der Hardware-Plattform, der begrenzten Entwicklungszeit und dem Budget
ergeben.
Die Vision beeinflusst besonders die Arbeit des Game Writers, da sich hierdurch zum
Beispiel sein Schreibstil ergibt. Im Falle eines atmosph¨arisch d ¨usteren Spiels w ¨urde sich
ein blumiger und fr ¨ohlicher Schreibstil negativ auf das Gameplay und besonders auf
die Immersion auswirken. In gleichen Maßen muss der Game Writer das Bild, das der
Game Designer von einer Figur und dessen Charakter hat, ber ¨ucksichtigen, damit der
Spieler anhand der Dialoge und der Geschichte den Archetypus einer Figur erkennen
kann.
Dar ¨uber hinaus muss der Game Writer Informationen erhalten, wie die narrativen Inhal-
te an den Spieler ¨ubermittelt werden sollen. Sind aufwendige Videosequenzen geplant?
Kann auf Scripted-Scenes und Dialoge zur ¨uckgegri
ffen werden? Dies sind einige von
4

vielen Fragen, die einem Game Writer beantwortet werden m ¨ussen.
2.1.2 Programmierer
Quelle: http://masseffect.wikia.com/wiki/Dialogue
Abb. 2.2: Mass-E
ffect - Das Dialog-Wheel
Quelle: http://www.gamearch.com/2010/04/20/vancouver-game-design-expo-2010/
Abb. 2.3: Mass-E
ffect - Aufbau des Dialog-Wheels
Der Programmierer erweckt die Vision des Game Designers zum Leben. Im Gegen-
satz zum Game Writer ist ein Programmierer meist vom ersten Tag der Umsetzung
am Projekt beteiligt und bleibt dies bis zum Tag der Fertigstellung und gegebenen-
falls noch dar ¨uber hinaus. Sein Arbeitsbereich erstreckt sich unter anderem ¨uber die
Umsetzung der Spiellogik, der grafischen E
ffekte, der Integration von Assets und der
Programmierung der k ¨unstlichen Intelligenz. Je nach Gr ¨oße des Projektes und des Ent-
wicklungsteams widmen sich ein einzelner oder aber mehrere Programmierer diesen
Komponenten [Bat04]. Als Schnittstelle zum Game Writer ist besonders die Umsetzung
eines Dialogsystems zu nennen, das letztendlich den Charakteren die Worte des Game
Writers in den Mund legt. Maßgeblich ist hier auch die verwendete Game Engine. Torque
(Garagegames) und Virtools (3DExperience) verwenden beispielsweise eine Skriptsprache
zur Umsetzung der Dialoge, was dazu f ¨uhren kann, dass Programmierer die Texte des
5

Game Writers in die Skriptsprache der Game Engine ¨ubertragen m ¨ussen [OBBC08]. Als
Beispiel f ¨ur die Darstellung eines Dialogsystems in einem Spiel soll hier das Dialog-
Wheel aus dem Spiel Mass E
ffect (BioWare)
1
dienen.
In der Abbildung 2.2 ist das Dialog-Wheel auf die Aussage
"
Looks like a dozen. May-
be more." von Fai Dan zu sehen. Der Spieler kann sich hier zwischen den Aussagen
"
Can i help?",
"
Whats going on?" und
"
Only a dozen?" entscheiden. Dabei ist der Aufbau
des Dialog-Wheels stets der selbe (siehe Abbildung 2.3). In diesem Beispiel kann der
Spieler eine neutrale Aussage (in Abbildung 2.2 gelb markiert) tre
ffen oder sich f ¨ur
eine Antwort entscheiden, die einem Vorbild (engl. Paragon) oder einem Abtr ¨unnigen
(engl. Renegade) entspricht. Die Wahl beeinflusst den sp¨ateren Spielverlauf, da sich der
Spieler so einen bestimmten Ruf erarbeitet, der sich in der Reaktion von Nicht-Spieler-
Charakteren auf ihn widerspiegelt. Je nach Spielsituation und Ausbau der F¨ahigkeiten
des Spielers-Charakters kann die Anzahl der Auswahlm ¨oglichkeiten variieren. F ¨ur den
Game Writer bedeutet dies, dass er bei diesem Dialogsystem f ¨ur bis zu sechs Aus-
wahlm ¨oglichkeiten Dialogzeilen verfassen muss, die zu einer Verzweigung des Dialogs
f ¨uhren.
2.1.3 K ¨unstler
Der 2D- und 3D-K ¨unstler setzt die Idee eines Charakters grafisch um. Der Game De-
signer gibt dabei einen Rahmen vor, wie zum Beispiel die zeitliche Epoche definiert
ist, in der das Spiel anzusiedeln ist, und ob es nur eine menschliche Rasse gibt oder
der Charakter als Teil der Spielwelt einer anderen Rasse entstammt. Der Game Writer
wird diesen Rahmen durch Details f ¨ullen, indem er zum Beispiel eine Hintergrundge-
schichte zu einem Charakter verfasst. Dieser k ¨onnte gem¨aß seiner kriegerischen Natur
im Kampf ein Auge verloren haben, was der K ¨unstler bei der Erstellung des Models be-
achten sollte. Im besten Fall sollte das Aussehen des Charakters dem Bild entsprechen,
welches der Game Writer im Kopf des Spielers erzeugt, da es ansonsten auch hier zu
einer St ¨orung der Immersion kommen kann.
2.2 M ¨oglichkeiten des Storytellings
Game Writern stehen mehrere Stilmittel zur Verf ¨ugung, um Spielern narrative Inhalte
zu vermitteln. Hier soll nun ein kurzer ¨
Uberblick ¨uber die M ¨oglichkeiten gegeben wer-
den.
6

Quelle: http://blog.arunace.com/?attachment
i
d
= 1982
Abb. 2.4: Diablo 3 - Videosequenz (mit Leah)
Quelle: http://diablo.gameplorer.de/bilderstrecken/akt-1-in-bildern/18/
Abb. 2.5: Diablo 3 - Scripted-Scene
2.2.1 Videosequenzen
Ein Mittel, bei welchem die Arbeit des Game Writers der des Drehbuchautoren am
n¨achsten kommt, ist die Videosequenz (in Form eines Game Intros oder einer Cutsce-
ne). Dabei handelt es sich meist um eine hochwertig produzierte film¨ahnliche Szene,
die jedem Spieler auf die gleiche Weise pr¨asentiert wird. Videosequenzen werden be-
sonders bei Schl ¨usselmomenten oder Wendepunkten in einem Spiel verwendet. Dabei
kommt es zu einem Kontrollverlust, was bedeutet, dass Spieler nicht mehr in die Szene
eingreifen k ¨onnen. Eng verwandt mit der Videosequenz ist die Scripted-Scene. Dabei
handelt es sich um eine Sequenz, die mit den Mitteln der Game Engine umgesetzt wird.
1
Bei der Entwicklung der Mass E
ffect-Triologie wurde sehr viel Verantwortung durch Drew Karpyshyn,
der als Game Writer und Romanautor arbeitet, ¨ubernommen. Als Hauptverantwortlicher entwickelte
er das
"
Drehbuch" des Spiels und dar ¨uber hinaus ver ¨o
ffentlichte er drei Romane, welche die Mass
E
ffect-Teile einleiten und miteinander verbinden.
7

Es besteht somit kein grafischer Unterschied zum Rest des Spiels. Die Abbildungen
2.2.1 und 2.5 sollen den grafischen Unterschied zwischen einer Videosequenz und einer
Scripted-Scene verdeutlichen. Auch bei Scripted-Scenes verliert der Spieler die Kon-
trolle ¨uber das Spiel. Allerdings gibt es Spiele, die diesen Kontrollverlust vermeiden. In
Half-Life 2 (Valve) und World of Warcraft (Blizzard) beh¨alt der Spieler weiterhin die Kon-
trolle ¨uber seinen Charakter und kann mit der Umgebung interagieren. Er tri
fft somit
selbst die Entscheidung, ob er der Szene seine Aufmerksamkeit widmet oder nicht. Die
Szenen haben unabh¨angig von den Aktionen des Spielers einen linearen Verlauf. Der
Game Writer kann somit ­ wie bei einem Drehbuch ­ die Dialogzeilen schreiben und
Regieanweisungen geben.
2.2.2 Dialoge
Eine besonders interaktive M ¨oglichkeit des Storytellings sind Dialoge. Damit sind Ge-
spr¨ache im Spiel zwischen dem Spieler und Nicht-Spieler-Charakteren gemeint. Hier
hat der Spieler die M ¨oglichkeit sich innerhalb eines Men ¨us f ¨ur Dialogzeilen zu ent-
scheiden, die sein Charakter ¨außert. In Abbildung 2.6 ist ein solches Men ¨u im Spiel The
Elder Scrolls V: Skyrim (Bethesda Softworks) zu sehen und auch das Dialog-Wheel aus Mass
E
ffect in der Abbildung 2.2 auf Seite 5 stellt ein solches Dialog-Men ¨u dar. Die Beson-
Abb. 2.6: Skyrim - Dialog mit Farengar Heimlich-Feuer
derheit bei Dialogen ist, dass diese sich entsprechend der getro
ffenen Wahl des Spielers
verzweigen. F ¨ur Game Writer bedeutet dies, dass sie nicht einfach einen Dialog Zeile
f ¨ur Zeile niederschreiben k ¨onnen, sondern stattdessen verschiedene M ¨oglichkeiten des
Dialogverlaufs ausarbeiten m ¨ussen. Aus dem Game Design k ¨onnen sich so zum Bei-
spiel verschiedenen Handlungsstr¨ange ergeben, wenn der Spieler in Mass E
ffect sich f ¨ur
8

eine feindselige Aussage statt einer freundlichen entscheidet (siehe Abbildung 2.3 auf
Seite 2.3).
Abbildung 2.7 soll verdeutlichen, wie ein kurzes Gespr¨ach als Graph dargestellt wer-
Abb. 2.7: Dialoggraph - Gespr¨ach zwischen Guybrush und einem Piraten
den kann. Der Pirat (NSC) leitet dabei das Gespr¨ach mit der Dialogzeile
"
Where is the
Gold?" ein. Guybrush (also: der Spieler) hat drei M ¨oglichkeiten, wie er auf diese Aussa-
ge reagiert. Die dritte Wahlm ¨oglichkeit verzweigt dabei ein weiteres Mal. Die getro
ffene
Wahl f ¨uhrt dabei zu unterschiedlichen Ausg¨angen. Die erste Option (
"
I dont know!")
f ¨uhrt dazu, dass Guybrush das Gold kampflos beh¨alt. Durch die zweite Option (
"
Its
over there!") verliert Guybrush das Gold und bei der dritten Option hat der Spieler die
Wahl, ob er gegen den Piraten k¨ampft oder das Gold kampflos abgibt. In einer Video-
sequenz k ¨onnte ein Game Writer sich einfach auf einen der Dialogzweige beschr¨anken.
Durch einen solch verzweigten Dialog kann dem Spieler jedoch das Gef ¨uhl gegeben
werden, dass er den Spielverlauf selbst in der Hand hat. Die Abbildung 2.7 zeigt dabei
einen Dialog, der auf den Spielverlauf einwirkt.
Ein anderes Beispiel f ¨ur verzweigte Dialoge zeigt sich in Abbildung 2.8. Hier hat der
Spieler die M ¨oglichkeit, sich zu Beginn des Dialoges zwischen drei Aussagen zu ent-
scheiden, der Ausgang ist jedoch ­ unabh¨angig von der getro
ffenen Wahl ­ derselbe.
Eine solche Dialogf ¨uhrung stellt ein einfaches Mittel dar, um eine Illusion von Freiheit
f ¨ur einen
"
linearen" Dialog bei den Spielern zu erzeugen. Negativ k ¨onnten sich Dialo-
ge dieser Art auf Spieler auswirken, die aufgrund des Ausgangs eines Gespr¨achs ein
neues Spiel beginnen oder einen alten Spielstand laden, nur um zu erfahren, dass ihre
Entscheidung keine Auswirkungen auf den Spielfluss haben. Deshalb sollte kritisch
abgewogen werden, wann eine solche Dialogstruktur eingesetzt werden kann [Mar06].
Wie die Abbildungen zeigen, haben Gespr¨ache einen Anfang und im interaktivsten Fall
zwei oder mehr Ausg¨ange mit dazugeh ¨origen Zweigen. Game Writer k ¨onnen Spielern
aber auch anbieten, einen Dialog weiter zu durchst ¨obern. Dazu k ¨onnen Game Writer
mit R ¨uckspr ¨ungen arbeiten, die es Spielern erlauben, tiefer in Dialoge einzudringen
9

Abb. 2.8: Dialoggraph - Scheinwahl
und ¨uber R ¨ucksprungknoten an einen vorherigen Punkt im Gespr¨ach zu springen, an
dem bereits eine Entscheidung getro
ffen wurde. In Abbildung 2.9 k¨onnen Spieler so
zum Beispiel an den Anfang des Dialoges zur ¨uckspringen. H¨aufig finden sich diese
R ¨ucksprungknoten bei sehr informationslastigen Spielen, die Spieler dazu einladen,
mehr ¨uber die Hintergrundgeschichte zu lernen. Eine genauere Betrachtung der The-
matik ist unter dem Begri
ff Hubs-And-Spokes Dialogue in der Bachelorarbeit von Katja
Neuwald zu finden [Neu10].
Abb. 2.9: Dialoggraph - Sprung an den Anfang des Dialogs
2.2.2.1 Bedingungen
Bei Bedingungen handelt es sich um Variablen, die vor oder innerhalb von Dialogen
beachtet werden m ¨ussen und einen Dialog beeinflussen k ¨onnen. Hier bedarf es beson-
ders der Zusammenarbeit von Game Writern und Programmierern, um sicherzustellen,
10

Abb. 2.10: Beispielskript - Dialog mit Bedingungen
ob mit Bedingungen gearbeitet werden kann und in welcher Form und Anzahl dies
m ¨oglich ist.
In Abbildung 2.10 werden einige Dialogzeilen eines NSC gezeigt, die gem¨aß der Be-
dingungen ausgew¨ahlt werden. Handelt es sich bei dem Charakter des Spielers zum
Beispiel nicht um einen Krieger, so wird er vom NSC zu einem anderen Ort geschickt.
Handelt es sich um einen Krieger mit einem Level niedriger als zehn, so wird der NSC
ihn abweisen, da er noch zu wenig Erfahrung hat. Im Beispiel werden unter anderem
das Level und die Klasse des Spielers als Bedingungen verwendet. H¨aufig wird aber
auch ¨uberpr ¨uft, ob der Spieler im Besitz eines wichtigen Gegenstands ist oder eine Auf-
gabe erfolgreich erf ¨ullt hat. Die Nutzung von Bedingungen l¨asst ein Spiel intelligenter
erscheinen, da zum Beispiel anders auf den Spieler reagiert wird, wenn er bereits mit
einem NSC in Kontakt getreten ist. F ¨ur Game Writer erh ¨oht dies jedoch ungemein den
Komplexit¨atsgrad und dar ¨uber hinaus m ¨ussen mehr Dialogzeilen geschrieben werden.
Deshalb muss beim Game Design darauf geachtet werden, wie stark mit Variablen gear-
beitet werden soll, damit diese Arbeit in einem kalkulierbaren Rahmen bleibt [Mar06].
11

Da zeitgleich zu dieser Bachelorarbeit die Formulierung, Benutzung und Definition von
Bedigungen und Konsequenzen durch Min-Ki Ko untersucht werden, soll hier diese
kurze Betrachtung der Thematik gen ¨ugen.
12

3 Werkzeuge der Autoren
Bei der in diesem Kapitel vorgestellten Software handelt es sich um eine kleine Auswahl
an Werkzeugen, die von Game Writern eingesetzt werden, um verzweigte Dialoge
zu erstellen. Ein besonderer Fokus liegt bei der Betrachtung auf der Visualisierung
von Dialogen. Die Software kann nach ihrem eigentlichem Einsatzgebiet unterschieden
werden.
Software f ¨ur Game Writer: In diese Gruppe fallen Werkzeuge wie Chat Mapper und
articy:draft, die f ¨ur die Zielgruppe Game Writer entwickelt wurden und damit die
Anspr ¨uche der Zielgruppe an verzweigende Dialoge ber ¨ucksichtigen.
Software f ¨ur (Dreh)Buchautoren: Final Draft und Scrivener geh ¨oren in diesen Be-
reich. Fuß fassen konnten diese Programme durch die beruflichen Wurzeln vieler
Game Writer, die vormals als Schriftsteller, Journalisten oder Drehbuchautoren
arbeiteten.
Software zur Erstellung von Mindmaps: Mindmapping-Tools k ¨onnen aufgrund ih-
rer bevorzugten Baumstruktur genutzt werden, um nicht-lineare Dialoge darzu-
stellen.
Des Weiteren werden Ans¨atze und Umsetzungen aus der Wissenschaft betrachtet, die
zum Beispiel wie ScriptEase bereits eingesetzt werden oder sich wie Calliope-d und Sim-
Dialog in der Entwicklung befinden.
Neben den hier erw¨ahnten Werkzeugen befinden sich noch Inhouse-L ¨osungen von
Game Studios im Einsatz, die speziell auf die Bed ¨urfnisse eines Spiels oder eines Ent-
wicklerteams zugeschnitten sind.
3.1 Chat Mapper
Bei Chat Mapper (Urban Brain Studios) handelt es sich um ein Werkzeug zur Erzeugung
von verzweigten Dialogen ­ speziell f ¨ur die Zielgruppe Game Writer. Dem Anwender
steht zur Erstellung und Bearbeitung der Dialoge eine grafische Benutzeroberfl¨ache
zur Verf ¨ugung. Im Programm wird zwischen Dialogen (in Chat-Mapper: Conversations)
und Dialogaktionen (in Chat Mapper: Dialog) unterschieden. Ein Spiel enth¨alt mehrere
Dialoge und ein Dialog besteht aus mehreren Dialogaktionen. Dialogaktionen werden
als einzelne Elemente
/Knoten visualisiert und in einer baum¨ahnlichen Struktur orga-
nisiert. Dabei entspricht jeder Knoten einer Dialogzeile. Die einzelnen Knoten stellen
dabei Informationen wie die ¨
Uberschrift, den Men ¨utext, die beteiligten Charaktere und
den gesprochenen Text bereit. ¨
Uber ein Property-Fenster lassen sich weitere Eigenschaf-
ten einer Dialogaktion einsehen und bearbeiten. Gem¨aß der baum¨ahnlichen Struktur
13

haben Dialogaktionen mindestens einen Vorg¨anger. Um Verzweigungen darzustellen,
k ¨onnen Gruppen eingef ¨ugt werden, die alternative Dialogaktionen unter sich vereinen.
Zus¨atzlich besteht die M ¨oglichkeit, Dialogaktionen untereinander zu verlinken, um so
am Ende eines Dialogpfads einen Sprung zur ¨uck an eine vorherige Gruppe abbilden
zu k ¨onnen. Da die gew¨ahlte Darstellungsform bereits bei kleinen Dialogen zu großen
Graphen f ¨uhrt, steht ein Overview-Fenster zur Verf ¨ugung, das den aktuellen Dialog in
seiner Gesamtheit ­ aber in verkleinerter Form ­ darstellt.
Neben der Dialogerstellung bietet Chat Mapper auch die M ¨oglichkeit, Charaktere, Ge-
genst¨ande, Orte und Bedingungen zu verwalten. F ¨ur jedes dieser
"
Assets" k ¨onnen
passende Eigenschaften wie Beschreibung, Alter, Geschlecht, Zustand und Kapitel ge-
setzt werden. Dar ¨uber hinaus steht eine Testumgebung f ¨ur die Dialoge zur Verf ¨ugung.
Abb. 3.1: Chat Mapper
In einer Simulation k ¨onnen die Dialogzeilen ¨uber die Men ¨utexte ausgew¨ahlt werden
und es erscheint die Dialogzeile als gesprochener Text unterhalb des Charakterbildes.
Auf diese Weise lassen sich Konversationen beispielhaft durchspielen und fehlerhafte
Verzweigungen ausfindig machen. Die Darstellung des Simulators entspricht einem
einfachen ­ aber zweckm¨aßigen ­ Spiel.
14

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863419264
ISBN (Paperback)
9783863414269
Dateigröße
5.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Game Writing Dialog Visualisierung Software Computerspiel

Autor

Markus Stolzenburg, B.Sc., wurde 1982 in Wesel geboren. Sein Studium der Angewandten Kognitions- und Medienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen schloss der Autor im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad Bachelor of Science erfolgreich ab. Schon früh entwickelte der Autor ein Interesse an der Informatik und digitalen Spielen und konnte umfassende Erfahrungen in beiden Bereichen während seines Studiums sammeln.
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