Fächerübergreifender Geschichtsunterricht am Gymnasium: Konzept einer Unterrichtsreihe zum Einsatz authentischer, fremdsprachlicher Quellen
©2012
Examensarbeit
43 Seiten
Zusammenfassung
Stets war nicht nur die Bedeutung der Quelle für den Geschichtsunterricht, sondern auch die Bedeutung des Begriffs ‚Quelle‘ einem Wandel unterworfen. Der Kernlehrplan Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen bezieht jedoch heute eindeutig Stellung, indem er als ein Ziel des Geschichtsunterrichts definiert, dass Schüler ‚wissen, dass und wie eine Kenntnis der Vergangenheit über die Interpretation von Quellen und die Analyse von Darstellungen gewonnen werden kann‘.
Eine besondere Bedeutung kommt im Geschichtsunterricht auch der Schaffung von Multiperspektivität und der Ermöglichung von Alteritätserfahrungen durch die Schüler zu. Dieses Ziel hängt jedoch sehr stark vom Einsatz entsprechender Quellen ab, die diese Perspektiven und Erfahrungen ermöglichen. Eine ernsthafte und authentische Erfahrung dieser Andersartigkeit kann aber durch die oftmals in Geschichtsbüchern enthaltenen Übersetzungen von fremdsprachlichen Quellen nur sehr schwer oder gar nicht erreicht werden, da eben die Sprache die Grundlage dieser Quellen darstellt.
Die Möglichkeiten des Einsatzes authentischer, fremdsprachiger Quellen im monolingualen (deutschen) Geschichtsunterricht werden in dieser Arbeit beispielhaft untersucht und ein entsprechendes Konzept, das US-amerikanische Propagandaplakate des Zweiten Weltkriegs einsetzt, vorgeschlagen. Des Weiteren werden Stärken und Schwächen anhand der Durchführung in einer neunten Klasse am Gymnasium evaluiert. Dieses Konzept ist ebenfalls geeignet, Anregungen zur praktischen Durchführung von Unterrichtsreihen zu geben, die einen modernen, fächerübergreifenden Geschichtsunterricht zum Ziel haben.
Eine besondere Bedeutung kommt im Geschichtsunterricht auch der Schaffung von Multiperspektivität und der Ermöglichung von Alteritätserfahrungen durch die Schüler zu. Dieses Ziel hängt jedoch sehr stark vom Einsatz entsprechender Quellen ab, die diese Perspektiven und Erfahrungen ermöglichen. Eine ernsthafte und authentische Erfahrung dieser Andersartigkeit kann aber durch die oftmals in Geschichtsbüchern enthaltenen Übersetzungen von fremdsprachlichen Quellen nur sehr schwer oder gar nicht erreicht werden, da eben die Sprache die Grundlage dieser Quellen darstellt.
Die Möglichkeiten des Einsatzes authentischer, fremdsprachiger Quellen im monolingualen (deutschen) Geschichtsunterricht werden in dieser Arbeit beispielhaft untersucht und ein entsprechendes Konzept, das US-amerikanische Propagandaplakate des Zweiten Weltkriegs einsetzt, vorgeschlagen. Des Weiteren werden Stärken und Schwächen anhand der Durchführung in einer neunten Klasse am Gymnasium evaluiert. Dieses Konzept ist ebenfalls geeignet, Anregungen zur praktischen Durchführung von Unterrichtsreihen zu geben, die einen modernen, fächerübergreifenden Geschichtsunterricht zum Ziel haben.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
KAPITEL 2. GRUNDLAGEN
3
nauen Erklärung und Definition bedarf.
6
Daneben eröffnen sich weitere mit
dem Quellenbegriff in engem Zusammenhang stehende Definitionsfragen,
die im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit von Bedeutung sind. Für den
Geschichtsunterricht, aber auch für den Historiker, stellen Quellen die ,,ur-
sprünglichste Information"
7
dar. Eine Forderung an eine Quelle ist die größt-
mögliche zeitliche Nähe der Quelle zum Ereignis, denn die Quelle dient His-
torikern und Schülern als notwendige historische Erinnerung, die erst his-
torische Erkenntnisprozesse ermöglicht. Die Quelle ist das Mittel, das Schü-
lern erlaubt, das Denken und Handeln von Menschen in der Vergangenheit
zu erkennen und zu verstehen. Oftmals werden Quellen mit Hilfe der For-
mulierung des Historikers Paul Kirn definiert: er beschreibt Quellen als ,,alle
Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit
gewonnen werden kann."
8
Dieser Definition folgend dienen für das vorliegen-
de Konzept US-amerikanische Propagandaplakate aus der Zeit des Zweiten
Weltkriegs als Quellen und somit Schlüssel zur Vergangenheit.
Bei diesem Konzept handelt es sich um didaktische Überlegungen, die im
Rahmen der Vermittlung fachlicher Inhalte den Schülern einen Zugang zur
emotionalen Geschichte der Bürger der USA in der Zeit des Zweiten Welt-
kriegs eröffnen. Die Fachliteratur bezeichnet diesen emotionalen und empa-
thischen Zugang zur Geschichte oft als Fremdverstehen. So ordnet auch die
Redaktion von Brockhaus-Warig den Begriff des ,,Fremdverstehens" in der
Ausgabe von 1981 der Psychologie zu und definiert ihn als ,,Verstehen einer
anderen Person durch Einfühlen, Analogiebildung und die Vorstellung, die-
se Handlung selbst durchzuführen." Heute wird dieser Begriff oftmals wei-
ter definiert und steht in engem Zusammenhang mit modernen Fremdspra-
chen. Dies beruht vor allem auf der hermeneutischen Auffassung, dass wir
uns nicht deshalb verstehen, ,,weil wir ein identisches Wesen besitzen, son-
dern weil wir mit dem Anderen in einen Dialog treten können."
9
Dieser Dia-
log jedoch bedarf fundierter Kenntnisse, nicht nur der fremden Sprache, son-
6
Ein detaillierter Aufriss der Bedeutung des Quelleneinsatzes im Geschichtsunterricht so-
wie eine detaillierte Übersicht über Quellengattungen und damit zusammenhängende
Bezeichnungen oder Begriffserläuterungen gibt Hans-Jürgen Pandel in seiner Monogra-
phie Quelleninterpretationen. Auf einen entsprechenden Detailreichtum und einen ent-
sprechenden Umfang wird in dieser Arbeit aber verzichtet, da die unterrichtliche Praxis
im Vordergrund stehen soll.
7
Pandel: Quelleninterpretation (wie Anm. 2), S. 10.
8
Paul Kirn: Einführung in die Geschichtswissenschaft, Berlin
5
1969, S. 29.
9
Lothar Bredella/Herbert Christ: Didaktik des Fremdverstehens im Rahmen einer Theorie
des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in: Lothar Bredella/Herbert Christ [Hrsg.]:
Didaktik des Fremdverstehens, Tübingen: Narr, 1995, S. 819, hier S. 9.
KAPITEL 2. GRUNDLAGEN
4
dern auch der fremden Kultur und deren Wertvorstellungen. Dies wiederum
übertragen auf den Geschichtsunterricht setzt voraus, dass den Schülern be-
reits ein Zugang zur Sprache vorliegt, um überhaupt in einen Dialog mit der
Geschichte einer fremden Kultur, die es zu verstehen gilt, zu ermöglichen. Je
besser ausgeformt diese Grundlagen der Sprache, aber im folgenden auch kul-
turspezifische Wertvorstellungen, sind, desto genauer und detaillierter wird
auch das Fremdverstehen initiiert. Weiter noch als das Verstehen oder Nach-
vollziehen geht die Erfahrung, die eigene Person in die Andersartigkeit zu
übertragen. Derartige Alteritätserfahrungen sind immer auch Ziel des mo-
dernen Geschichtsunterrichts.
10
Auch in diesem Konzept werden die Schüler
Alterität erfahren können und so in die emotionale Welt historischer Ereig-
nisse eintauchen.
2.2 Begründung des Themas
Die Entscheidung, diese Arbeit unter die Überschrift authentischer Quellen
zu stellen, folgt im Großen und Ganzen Hans-Jürgen Pandels Forderung nach
mehr Authentizität im Geschichtsunterricht.
11
Besondere Bedeutung kommt
in diesem Zusammenhang nicht den authentischen Quellen an sich zu, denn
sowohl zur Beschaffenheit, Beschaffung wie zur Nutzung im Unterricht ist
bereits reichlich geforscht und geschrieben worden. Von viel größerer Bedeu-
tung ist der Mehrwert, den diese Quellen dem modernen Geschichtsunterricht
gegenüber übersetzten oder der unterrichtlichen Praxis angepassten Quellen
liefern.
Diese Arbeit fußt im Wesentlichen auf zwei wichtigen Säulen, die jedoch
eng miteinander verbunden sind: zum einen ist dies die Notwendigkeit des
Einsatzes authentischer Quellen im Geschichtsunterricht, da diese oftmals
nicht nur von Schulbüchern, sondern auch von Curricula und Kollegen bei
der Umsetzung derselben wenig Beachtung finden oder ihre Authentizität
durch Übersetzung einbüßen. Zum anderen sollen die Schüler der neunten
Jahrgangsstufe die Methode der Plakatanalyse erlernen.
12
Die Kombination
dieser beiden Aspekte eröffnet den Schülern nicht nur die Möglichkeit eines
Perspektivwechsels, sondern ist auch in der Lage Fremdverstehen zu fördern,
10
vgl. Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Metho-
dik, Seelze-Velber: Kallmeyer,
3
2004, S. 64.
11
Um dem begrenzten Umfang dieser Arbeit Rechnung zu tragen, wird an dieser Stelle auf
eine ausführliche Darstellung von Pandels Argumentation verzichtet, da dies ohnehin le-
diglich eine Wiedergabe seiner Ausführungen wäre. Seine Ausführungen finden sich in
Pandel: Quelleninterpretation (wie Anm. 2).
12
MSW NRW [Hrsg.]: Kernlehrplan Geschichte Sek. I G8 (wie Anm. 4), S. 29.
KAPITEL 2. GRUNDLAGEN
5
Alteritätserfahrungen zu initiieren und den Schülern fachübergreifend den
Nutzen und die Sinnhaftigkeit des Faches Englisch zu verdeutlichen.
13
So
werden in dieser Unterrichtsreihe neben wissenschaftspropädeutischen An-
sätzen auch bereits Grundlagen für die Bearbeitung fremdsprachlicher Quel-
len gelegt.
Das Gymnasium Theodorianum hat durch seine altsprachliche Ausrich-
tung in der modernen Schullandschaft stets eine besondere Rolle gespielt: bis
vor wenigen Jahren war Latein nicht nur die erste, sondern auch die einzige
Fremdsprache, die die Schüler bis zur siebten Klasse erlernen konnten. Heute
wird Englisch zwar ab der fünften Klasse unterrichtet, jedoch mit verringer-
ter Stundenzahl. Nichtsdestotrotz ist heute ein akademischer Werdegang oh-
ne Englischkenntnisse weitgehend ausgeschlossen. Aus diesem Grund legen
die Fachschaften der neuen Fremdsprachen am Gymnasium Theodorianum
hohen Wert darauf, die Praxistauglichkeit ihrer Sprachen zu betonen und den
Schülern die Unterschiede zum eher theoriegeleiteten Umgang mit Sprache,
wie sie ihn im Lateinunterricht erleben, deutlich zu machen. Hierzu eignet
sich die vorliegende Reihe ebenfalls, da die Schüler die Fremdsprache Eng-
lisch zur gezielten Informationsaufnahme verwenden.
Neben ihrer Funktion als Mittel zur Informationsaufnahme und -
übertragung ist Sprache aber auch immer die grundlegendste Kulturtechnik
gewesen und steht somit in enger Wechselwirkung mit jeder Art von Kultur.
Oftmals ist eine spezifische Sprache auch Ausdruck einer besonderen Kultur-
ja, Kultur ist abhängig von einer bestimmten Sprache. Nicht ohne Grund
stellten die Vereinten Nationen das Jahr 2008 als ,,UN-Jahr der Sprachen"
unter eben dieses Motto des Zusammenhangs von Sprache und Kultur.
14
Den
Schülern zu verdeutlichen, dass neben Sprach- auch immer Kulturbarrieren
ein problemloses Zusammenleben in unserer ständig globaler agierenden Ge-
sellschaft verhindern, ist ebenfalls ein Ziel dieser Reihe. Eine fremde Sprache
öffnet immer auch eine Tür in eine fremde Kultur- und nur die Kenntnis der
Sprache und der Kultur ermöglicht ein gegenseitiges Verständnis. Durch die
Verwendung der Fremdsprache Englisch wird bei den Schülern ein Perspek-
tivwechsel eingeleitet, der durch ,,Fremdverstehen" auch neue Bewertungs-
und Handlungsoptionen bietet.
Diese Reihe zielt also auf unterschiedliche Kompetenzebenen ab. Ne-
ben Sachkompetenz zur US-amerikanischen Propaganda werden auch Me-
13
vgl. Bredella/Christ: Didaktik des Fremdverstehens (wie Anm. 9).
14
vgl. Helle Jeppesen: Sprache ist Identität, Deutsche Welle, Feb. 2008,
URL
:
www.dw.de/
dw/article/0,,3137816,00.html
(besucht am 29. 04. 2012).
KAPITEL 2. GRUNDLAGEN
6
thodenkompetenzen, Urteilskompetenz und Handlungskompetenz geschult.
Im Bereich der Methodenkompetenzen steht hier natürlich die Analyse von
Propaganda- und politischen Plakaten im Mittelpunkt. Durch den Einsatz
einer internetgestützten Quellensammlung werden die Schüler ebenfalls er-
neut für den Umgang mit dem Internet als Informationsquelle und den damit
verbundenen Möglichkeiten und Risiken sensibilisiert. Je nach Lernstand im
Bereich der Medienkompetenz der Schüler bietet es sich an, im Verlauf der
Sequenz dieses Vorgehen explizit zu thematisieren und so den Umgang mit
dem Internet als Informationsquelle durch eine Metareflexion zu hinterfra-
gen. Dieses Thema würde jedoch selbst mindestens den Umfang einer weite-
ren schriftlichen Hausarbeit haben und kann somit nicht Teil dieses Konzepts
sein. Es finden sich jedoch mittlerweile bei zahlreichen Verlagen entsprechen-
de Handreichungen für Lehrer, die dieses Thema aufgreifen auch wenn diese
meist nicht explizit digitale Archive thematisieren.
Die Förderung der Urteils- und Handlungskompetenz der Schüler ist in
diesem Konzept eng verzahnt mit der Ausbildung oder Förderung von Fremd-
verstehen oder gar Alteritätserfahrungen. Hier findet sich ein weiterer An-
knüpfungspunkt an die Didaktik der modernen Fremdsprachen, in denen
meist der Begriff des interkulturellen Lernens genutzt wird. Für diese Fremd-
sprachen definiert Herbert Christ ,,interkulturelles Lernen" als
,,[. . . ] ein[en] Lernprozess, in dem nicht der Informationsgewinn
als ausschlaggebendes Kriterium dienen kann, an dem der Er-
folg zu messen wäre, sondern die Veränderung des eigenen Stand-
punkts."
15
Eben diese Veränderung des eigenen Standpunkts ermöglicht den Schülern,
,,historische Phänomene in den Kontexten ihrer jeweiligen Zeit und Gesell-
schaft zu verstehen und [. . . ] ein begründetes Urteil zu formulieren."
16
Diese fächerübergreifende Verbindung insbesondere der Fächer Geschich-
te und Englisch hat in den letzten Jahren einen wahren Boom bilingualer
Unterrichtsmodelle hervorgebracht. Einen Überblick gibt zum Beispiel Mar-
kus Bernhardt.
17
Da am Gymnasium Theodorianum bisher kein bilingualer
15
vgl. Herbert Christ: Fremdverstehen als Bedingung der Möglichkeit interkulturellen Ler-
nens, in: Karl-Richard Bausch/Herbert Christ/Hans-Jürgen Krumm [Hrsg.]: Interkultu-
relles Lernen im Fremdsprachenunterricht, Tübingen: Narr, 1994, S. 3142.
16
MSW NRW [Hrsg.]: Kernlehrplan Geschichte Sek. I G8 (wie Anm. 4), S. 19.
17
vgl. Markus Bernhardt: Fremdverstehen als Bedingung der Möglichkeit interkulturellen
Lernens, in: Jan Hodel/Béatrice Ziegler [Hrsg.]: Forschungswerkstatt Geschichtsdidak-
tik 09. Berichte zur Tagung ,,geschichtsdidaktik empirisch 09", Bamberg: Buchner, 2011,
S. 214223.
KAPITEL 2. GRUNDLAGEN
7
Geschichtsunterricht etabliert ist, findet diese Reihe im Rahmen des einspra-
chigen Geschichtsunterrichts statt. Dies hat den Vorteil, dass die vorliegende
Reihe auch von Kollegen ohne Zweitfach Englisch durchgeführt werden kann
und ermöglicht somit auch einen leichteren Transfer an andere Schulen, die
ebenfalls noch nicht die Vorteile des bilingualen Lernens nutzen können.
2.3 Grenzen dieses Konzepts
In einer ständig enger zusammen rückenden Welt hat die Ausbildung einer so-
zusagen ebenfalls globalisierten Handlungskompetenz der Schüler einen im-
mensen Stellenwert eingenommen. Jedoch, obwohl diese Ziele, alle Schüler
als Bürger einer globalisierten Welt und mit entsprechenden interkulturellen
Fähigkeiten ausgestattet aus der Schule ins Leben zu entlassen, durchaus er-
strebenswert sind, gibt es etliche Faktoren, die das interkulturelle Lernen und
somit Fremdverstehen nicht nur in Bezug auf historische Aspekte, sondern
auch in der Lebenswirklichkeit der Schüler, deutlich einschränken. Auch die-
ses Konzept findet daher seine Grenzen in den Wertvorstellungen der Schü-
ler. Eine Vermittlung von Toleranz
18
und Empathie kann nur dann gelingen,
wenn diese bereits im Elternhaus angebahnt und losgelöst von anderen, egois-
tischen Interessen stattfindet.
19
Um die Mitarbeiter international agierender
Unternehmen in interkulturellen Kompetenzen zu schulen, hat sich beispiels-
weise bereits eine eigene Branche etabliert, die jedoch statt der Vermittlung
von Urteils- und Handlungskompetenzen lediglich einen Knigge für das inter-
nationale Parkett mit entsprechenden Verhaltensregeln und -normen liefert,
um wirtschaftliche Interessen auf internationalen Märkten nicht zu gefähr-
den.
20
Es kann daher selbstverständlich nicht gelingen, im Rahmen dieses
Konzepts eine entsprechende Werteerziehung nachzuholen und die Ausrich-
18
Da der Begriff Toleranz vielfach mit der lediglichen Hinnahme von Andersartigkeit ver-
bunden wird und so der Aspekt des Dialogs ausgeblendet wird, werden neuerdings oft-
mals andere Begriffe genutzt. Fordert das Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
lediglich die ,,Duldsamkeit und [. . . ] Achtung vor der Überzeugung des anderen", so wird
Toleranz heute oftmals als deutlich weiteres Feld gesehen, über das bisher trotz einer
UNESCO-Toleranzdeklaration kein Einvernehmen hergestellt werden konnte. Dement-
sprechend werden in der Literatur zahlreiche Begriffe zur Beschreibung von Toleranz
angeboten. Da diese jedoch nicht allgemein anerkannt und verständlich sind, wird hier
weiterhin der Toleranzbegriff verwendet.
19
vgl. Julia Bruchhausen: Entwicklung eines Konzepts für die Vor- und Nachbereitung der
Fahrten des Europa-Projektes zur Förderung der interkulturellen Kompetenz der Schü-
lerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 am Gymnasium Schloß Neuhaus, Schriftliche
Hausarbeit im Rahmen der Zweiten Staatsprüfung, Studienseminar Paderborn Gymna-
sium/ Gesamtschule, 2006, S. 10.
20
Institut für interkulturelle Kompetenz und Didaktik e.V. [Hrsg.]: Interkulturelles Training,
URL
:
www.iikd.de
(besucht am 04. 05. 2012).
KAPITEL 3. LEHRERFUNKTIONEN
8
tung elterlicher Werteerziehungen zu verändern. Auch bleibt weiterhin frag-
lich, wie entsprechende Werteerziehungen evaluiert und gesichert werden
können und welche langfristige Wirkung erhalten bleibt. Daher kann auch
die Evaluation dieses Konzepts
21
lediglich einen Überblick über vermeintli-
che Lernzuwächse geben und aus den Äußerungen der Schüler schlussfolgern,
inwieweit dieses Konzept seine Lernziele erreicht hat.
Da jedoch in der Zeit der Pubertät viele Jugendliche eine Orientierung su-
chen und eigene oder gesellschaftliche Wertvorstellungen hinterfragen, ist ein
Einsatz dieses Konzepts ungeachtet all dieser Grenzen und Probleme sinn-
voll, da durch die Auseinandersetzung mit und die Versetzung hinein in frem-
de Wertvorstellungen und gesellschaftliche Normen und Werte einer fremden
Kultur nicht nur Handlungs- und Urteilskompetenzen geschult werden, son-
dern auch Handlungsalternativen vorgestellt und so in den Fokus der Schüler
gerückt werden.
3 Lehrerfunktionen
Das vorliegende Konzept für eine Unterrichtssequenz fördert nahezu alle im
Kernlehrplan Geschichte festgelegten fachspezifischen Kompetenzen.
22
Des-
halb ist auch der Lehrer in unterschiedlichen Funktionen gefordert.
23
Insbe-
sondere die Funktionen Erziehen sowie Unterrichten stehen bei dieser Rei-
he im Vordergrund. Durch die fächerübergreifende Anlage der Sequenz kann
durch Lehrer mit der Fächerkombination Geschichte und Englisch jedoch
auch die Funktion des Diagnostizierens übernommen werden, sofern dies für
die Gestaltung des Fachunterrichts Englisch sinnvoll erscheint. Da dieses
Konzept jedoch nicht ausschließlich von Kollegen mit entsprechender Fächer-
kombination durchgeführt werden soll, steht diese Lehrerfunktion nicht im
Fokus dieser Arbeit.
Da dieses Konzept insbesondere die Urteils- und Handlungskompetenz
der Schüler fördert, ist die primäre Funktion des Lehrers im Verlauf der Un-
terrichtssequenz das Erziehen
24
. Durch die Auseinandersetzung mit den spe-
zifischen Werten und Weltanschauungen einer fremden Kultur und das em-
pathische Nachempfinden der Wirkung der Propagandaplakate werden den
Schülern nicht nur Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung, die in den
21
vgl. Kapitel 6: Evaluation der Unterrichtssequenz, Seite 26.
22
vgl. MSW NRW [Hrsg.]: Kernlehrplan Geschichte Sek. I G8 (wie Anm. 4), S. 18-19.
23
vgl. dass. [Hrsg.]: Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften 2011/ 2012, Düs-
seldorf/ Frechen: Ritterbach Verlag, 2012, 20-03 Nr. 21.3 ü.
24
Ebd., 20-03 Nr. 21.3 ü, Erziehen.
KAPITEL 3. LEHRERFUNKTIONEN
9
Jahren der Pubertät und der damit verbundenen Selbstfindung eine besonde-
re Rolle spielen, aufgezeigt, sondern auch neue und zumeist unbekannte kul-
turelle und sozialisierende Einflüsse beleuchtet, die den Schülern über den
Weg des Verstehens und Nachempfindens Grundlagen für Verständnis und
Toleranz von Andersartigkeit im Allgemeinen ermöglichen. Durch die Ausein-
andersetzung mit spezifischen Werthaltungen und kulturellen Unterschieden
erhalten die Schüler zugleich eine Orientierung für ihr eigenes Leben, die
ihnen nicht nur Verständnis und Offenheit gegenüber fremden Kulturen ab-
verlangt, sondern auch Wertmaßstäbe für die eigene Kultur und eigene Hand-
lungsweisen liefert. An dieser Stelle findet der Übergang von der Urteils- zur
Handlungskompetenz statt. Unter dem Aspekt der Globalisierung wird dem
Lehrer neben der Vermittlung von fachlichen Inhalten die Pflicht zugewiesen,
seine Schüler auf ein aktiv teilhabendes Leben in dieser Welt vorzubereiten
und sie durch die Ausfüllung der Lehrerfunktion Erziehen mit den nötigen
Kompetenzen auszurüsten, damit sie in dieser Welt nicht nur bestehen, son-
dern diese auch verstehen können.
Neben der bereits genannten Funktion des Erziehens kommt dem Lehrer
in diesem Konzept ebenfalls die Funktion des Unterrichtens
25
zu. Obwohl mit
diesem Konzept selbstverständlich bereits eine Planungsgrundlage geschaf-
fen wird, trägt jeder Kollege selbst immer noch die Verantwortung für die
Detailplanung und die notwendige Anpassung dieses Konzepts an die eige-
ne Lehr- und Lernsituation. Neben der Planung und Durchführung der Se-
quenz fällt dem Lehrer mit der Förderung des selbstständigen Lernens so-
wie der gegebenenfalls notwendigen Vermittlung entsprechender Lernstrate-
gien eine weitere Ausprägung dieser Funktion zu. Insbesondere in Phasen der
Gruppenarbeit
26
kann der Lehrer außerdem mit bestimmten Fördermaßnah-
men und Unterstützung den Lernerfolg aller Schüler nachhaltig beeinflussen
und sichern. Bereits in der Begründung des Themas
27
ist der Einsatz neuer
Medien als ebenfalls wichtiger Aspekt dieser Unterrichtssequenz postuliert
worden. Auch hier ist es Aufgabe des Lehrers, die neuen Medien sach- und
adressatengerecht einzusetzen. Durch die recht enge Führung der Schüler
beim Einsatz neuer Medien hier insbesondere des Internets als Informati-
onsquelle ist jedoch eine falsche Nutzung nahezu ausgeschlossen. Je nach
Lernstand der Schüler im Rahmen der fächerübergreifenden Medienkompe-
tenz ist eine Reflexion über den Einsatz des Internets anzuraten. Da hierzu
25
MSW NRW [Hrsg.]: BASS (wie Anm. 23), 20-03 Nr. 21.3 ü, Unterrichten.
26
vgl. Kapitel 4: Aufbau der Unterrichtssequenz, Seite 10.
27
vgl. Kapitel 2.2, Seite 4.
KAPITEL 4. AUFBAU DER UNTERRICHTSSEQUENZ
10
jedoch schon entsprechende Fachliteratur zur Reflexion zur Verfügung steht,
wird in dieser Arbeit darauf verzichtet, entsprechendes Material zu evaluie-
ren oder zur Verfügung zu stellen.
Zusammenfassend lässt sich also die Funktion des Lehrers in dieser Se-
quenz durch unterschiedliche Ausprägungen des Erziehens und Unterrichtens
als herausragende Aufgabenfelder beschreiben. Nichtsdestotrotz kann selbst-
verständlich ein moderner, schülerorientierter und nachhaltiger Geschichts-
unterricht nicht unter Auslassung der restlichen Lehrerfunktionen erfolgen.
Diese spielen aber zumindest im Rahmen dieses Konzeptes eine unterge-
ordnete Rolle, sollten jedoch trotzdem nicht vernachlässigt werden. Es emp-
fiehlt sich selbstverständlich, auch diese Sequenz zur Leistungsmessung und
-beurteilung einzusetzen und die Möglichkeiten der überfachlichen Koopera-
tion zu nutzen.
4 Aufbau der Unterrichtssequenz
Einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand gibt neben dem
Standardwerk ,,Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht"
28
auch Johan-
nes Meyer-Hamme in seiner Dissertation, die auch in der Reihe ,,Schriften
zur Geschichtsdidaktik" einen Band füllt.
29
Angelehnt an die Lernformen
Bodo von Borries' unterscheidet er vier unterschiedliche Lernformen im Ge-
schichtsunterricht.
30
Neben dem ,,Gedächtnis- und Reproduktionslernen", bei
dem hauptsächlich das Einprägen von Namen, Zahlen und einfachen Zusam-
menhängen im Vordergrund steht, und dem Imitations- und Modelllernen, bei
dem es darum geht, sich mit einer historischen Persönlichkeit zu identifizie-
ren, ohne dies jedoch kritisch zu reflektieren, sieht Meyer-Hamme zwei wei-
tere Lernformen, denen in diesem Konzept eine entscheidender Bedeutung
zukommt. Im Bereich des Einsichts- und Entdeckungslernens, bei dem es um
Analyse- und Interpretationsleistungen der Schüler geht, ist die Vermittlung
der Methode der Plakatanalyse in dieser Sequenz verortet. Dieser Bereich lie-
fert den Schülern, wie dies auch Mayer, Pandel und Schneider beschreiben,
31
das Handwerkszeug, historisch zu arbeiten. Den vierten und anspruchsvolls-
28
vgl. Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider [Hrsg.]: Handbuch Medien im Geschichtsun-
terricht, Schwalbach/ Ts.: Wochenschau-Verlag,
6
2011.
29
vgl. Johannes Meyer-Hamme: Historische Identitäten und Geschichtsunterricht. Fallstudi-
en zum Verhältnis von kultureller Zugehörigkeit, schulischen Anforderungen und indivi-
dueller Verarbeitung, Idstein: Schulz-Kirchner Verlag,
1
2009.
30
vgl. ebd., S. 79.
31
vgl. Pandel/Schneider [Hrsg.]: Handbuch Medien im GU (wie Anm. 28).
KAPITEL 4. AUFBAU DER UNTERRICHTSSEQUENZ
11
ten Bereich bezeichnet Meyer-Hamme mit der ,,ernsthaften Aushandlung von
Bedeutung". Hier findet nun historische Bildung statt, indem die Schüler Er-
fahrungen machen,
für deren Verarbeitung die bisherigen Figuren des Welt- und
Selbstverständnisses nicht ausreichen, sondern eine Transforma-
tion dieser Figuren notwendig erscheint. [. . . ] Anders formuliert
kann auch von Identitätserweiterung und Identitätsrevision
gesprochen werden.
32
Dieser Bereich wird durch die innerhalb der Plakatanalyse angelegte Ausein-
andersetzung mit der historischen Sichtweise der Bürger der USA angespro-
chen und führt so neben der Erweiterung der Urteilskompetenz der Schüler
zu einer Identitätserweiterung, also zu Fremdverstehen und Alteritätserfah-
rungen.
Der Beginn der Sequenz gibt den Schülern das notwendige Handwerks-
zeug für die Plakatanalyse mit auf den Weg. So werden zuerst bereits in ei-
ner früheren Stunde implizit Plakatanalyseschritte entwickelt, die die Schü-
ler im Lauf der Projektarbeit auf die Propagandaplakate anwenden. An die-
ser Stelle soll auch bereits der Mehrwert authentischer Quellen diskutiert
werden. Außerdem ist es notwendig, den Schülern noch einmal die richtige
Benutzung eines zweisprachigen Wörterbuchs ins Gedächtnis zu rufen oder
mit ihnen zu erarbeiten, um ihnen Möglichkeiten und Gefahren der Überset-
zung zu verdeutlichen. In der dritten Stunde werden die historischen Zusam-
menhänge, die zum Zweiten Weltkrieg führten, wiederholt sowie der Verlauf
des Zweiten Weltkriegs bis zur Niederlage der Deutschen Armeen vor Sta-
lingrad vermittelt. Die eigentliche Analyse und Vorbereitung der Präsenta-
tion der Schülerarbeiten findet in der vierten und fünften Stunde statt. Die
sechste Stunde dient der Zusammenfassung der Ergebnisse und der Initiie-
rung von Fremdverstehen durch explizite Auseinandersetzung mit Wertvor-
stellungen und Emotionen. In der kreativen Hausaufgabe zur siebten Stun-
den vertiefen die Schüler diese Erfahrungen, indem sie aus der Perspektive
eines US-Bürgers zur Zeit des Zweiten Weltkriegs über die Propaganda urtei-
len. Diese Hausaufgabe ist auch geeignet zu zeigen, welche Schüler die Ebene
des Fremdverstehens oder der Alteritätserfahrung erreicht haben. Daher sind
die Ergebnisse dieser Hausaufgabe auch Bestandteil der siebten und letzten
Stunde, die die Sequenz inhaltlich abschließt. Es schließt sich an diese Se-
32
Meyer-Hamme: Historische Identitäten (wie Anm. 29), S. 80.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783863419271
- ISBN (Paperback)
- 9783863414276
- Dateigröße
- 5.3 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Studienseminar für Lehrämter an Schulen Paderborn
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2,7
- Schlagworte
- Geschichtsdidaktik Zweiter Weltkrieg Quelleneinsatz Fremdsprache Alteritätserfahrung Geschichte Propaganda