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Multitasking im Straßenverkehr: Eine reelle Gefahr?

©2009 Diplomarbeit 66 Seiten

Zusammenfassung

In zahlreichen Studien konnte die negative Auswirkung der Mobiltelefonbenutzung während der Autofahrt als Doppelaufgaben-Interferenz nachgewiesen werden. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert und Telefongespräche während der Fahrt verboten, sofern das Telefongerät dafür mit der Hand aufgenommen oder gehalten werden muss. Obwohl vielfach nachgewiesen wurde, dass es nicht die motorische Komponente ist, die zu einer Erhöhung des Unfallrisikos führt, sondern die kognitive Überlastung während des Telefonierens, erlaubt der Gesetzgeber weiterhin Telefongespräche über eine Freisprechanlage. In dieser Studie wird mit einem multifaktoriellen Versuchsdesign der Frage nachgegangen, inwieweit der Inhalt eines Telefonats (räumlich oder nicht-räumlich) sich auf die Leistung in einer Tracking-Aufgabe auswirkt und welchen unterschiedlichen Einfluss Sprachverstehen gegenüber Sprachplanung und Sprachproduktion auf die Trackingleistung hat.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


6.
Literaturverzeichnis 53
7.
Anhang 58
7.1.
Sätze in Versuchsreihenfolge
58
7.1.1.
Räumlich 58
7.1.2.
Nicht-räumlich 59

1
1.
Zusammenfassung
In zahlreichen Studien konnte die negative Auswirkung der Mobiltelefonbenutzung
während der Autofahrt als Doppelaufgaben-Interferenz nachgewiesen werden. Der
Gesetzgeber hat darauf reagiert und Telefongespräche während der Fahrt verboten,
sofern das Telefongerät dafür mit der Hand aufgenommen oder gehalten werden
muss. Obwohl vielfach nachgewiesen wurde, dass es nicht die motorische Kompo-
nente ist, die zu einer Erhöhung des Unfallrisikos führt, sondern die kognitive Über-
lastung während des Telefonierens, erlaubt der Gesetzgeber weiterhin Telefonge-
spräche über eine Freisprechanlage. In dieser Studie wird mit einem multifaktoriellen
Versuchsdesign (2x2 faktoriell unabhängig für die Sprechaufgabe und 2x4x6 faktori-
ell mit Messwiederholung für die Trackingaufgabe) der Frage nachgegangen, inwie-
weit der Inhalt eines Telefonats (räumlich oder nicht-räumlich) sich auf die Leistung
in einer Tracking-Aufgabe auswirkt und welchen unterschiedlichen Einfluss Sprach-
verstehen, gegenüber Sprachplanung und Sprachproduktion auf die Trackingleistung
hat. Dazu hörten Probanden während einer Trackingaufgabe Aussagen mit räumli-
chem oder nicht-räumlichem Inhalt, die entweder wahr oder unwahr waren. Die
Aufgabe bestand darin, die Aussagen auf Richtigkeit zu überprüfen, gegebenenfalls
zu korrigieren und schließlich die wahre Aussage zu formulieren. Es konnte gezeigt
werden, dass die Ebene der Sprechanforderung (Sprachverstehen, -planung und
-produktion) sich in unterschiedlicher Weise auf den Verlauf des Adaptionsverhaltens
(Trackingleistung) der Probanden auswirkt. Bei der räumlichen Sprechaufgabe unter
Zusatzaufgabenbedingung wurden am meisten falsche Aussagen produziert und
Pausen gemacht, die Sprechgeschwindigkeit war am langsamsten und die Latenz-
zeit am längsten. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen den vielfach benannten
negativen Einfluss der Benutzung eines Mobiltelefons während der Autofahrt. Diese
Studie legt nahe, für weitere Forschungsarbeiten den Inhalt des Gesprochenen und
die Ebene der Sprechanforderung als wichtige Determinanten weiter zu untersuchen.
Schlüsselwörter: Mobiltelefonbenutzung, Doppelaufgaben-Interferenz, kognitive
Überlastung, Sprachverstehen, Sprachplanung, Sprachproduktion, Trackingleistung

2
2.
Einleitung
2.1.
Hinführung zum Thema
Das heutige Leben stellt eine Reihe von Anforderungen an den Menschen, die er in
der Regel in angemessener Art und Weise zu meistern versteht. Doppelaufgabenbe-
lastung und Multitasking sind im menschlichen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Häufig müssen mehrere Dinge gleichzeitig ausgeführt werden, insbesondere im
Beruf, aber nicht nur dort, sondern nahezu überall wird verlangt, dass gewisse Dinge
parallel ausgeübt werden können. Irgendwann gerät aber
selbst ein Mensch mit
höchst ausgebildeten Fähigkeiten und Fertigkeiten an seine Grenzen.
Menschen können sich unterhalten und dabei aufrecht stehen ohne umzufallen.
Ebenso sind sie dazu in der Lage, spazieren zu gehen und dabei zu reden. Bei
diesen alltäglichen Handlungen kommt es nicht zu Beeinträchtigungen. Im Gegen-
satz dazu gibt es aber auch andere hoch automatisierte Handlungen, die bei paralle-
ler Ausführung Fehler in einem oder mehreren Teilbereichen verursachen. An dieser
Stelle sei die Benutzung eines Mobiltelefons während des Autofahrens erwähnt. In
der Literatur sind die Auswirkungen der Mobiltelefonbenutzung auf die Fahrleistung
vielfach dokumentiert (z.B. Redelmeier & Tibshirani, 1997).
2.2.
Theoretischer Hintergrund
Aufgaben, die an den Menschen gestellt werden, kann dieser in der Regel schnell
ausführen, wie etwa das Reagieren auf einen dargebotenen Lichtreiz mit einem
Tastendruck. Für dessen Bearbeitungsablauf wird ein Multispeichermodell ange-
nommen (z.B. Atkinson & Shiffrin, 1968). Dabei gelangt die Information aus der
Umwelt zunächst in einen sensorischen Speicher mit einer extrem begrenzten
Kapazität von wenigen Sekunden, in dem die Modalität der sensorischen Information
festgestellt wird (auditiv, visuell, haptisch, etc.). Von dort aus gelangt die Information
in das Kurzzeitgedächtnis mit einer ebenfalls limitierten Kapazität, das nach Atkinson
& Shiffrin (1968) als temporäres Arbeitsgedächtnis fungiert. Hier wird die eingegan-
gene Information verarbeitet, Kontrollprozesse wie Wiederholungen, Kodierungen
sowie das Generieren von Entscheidungen und Abrufstrategien laufen hier ab. Nach
der Bearbeitung wird die Information mit dem Wissen aus dem Langzeitgedächtnis

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abgeglichen und daraus resultiert schließlich die ausgehende Reaktion auf die
eingegangene Umweltinformation. Man geht davon aus, dass zwischen dem Kurz-
und Langzeitgedächtnis ein Austausch besteht und dass Informationen, die bei-
spielsweise häufig wiederholt oder als wichtig eingestuft werden, in das Langzeitge-
dächtnis gelangen und dort verbleiben. Die Kapazität des Langzeitgedächtnisses
wird als unlimitiert angesehen.
Eine Erweiterung dieses Modells hinsichtlich des Arbeitsgedächtnisses stammt von
Baddeley & Hitch (1974). Das Arbeitsgedächtnis wird als ein System mit limitierter
Kapazität definiert, dessen
Aufgabe die kurzzeitige Speiche-
rung und zielgerichtete Verarbei-
tung von Informationen ist und zur
Ausführung komplexer kognitiver
Aufgaben benötigt wird. Nach
Baddeley & Hitch (1974) besteht
das Arbeitsgedächtnis (siehe Abb.
1) aus drei Komponenten: der
phonologischen Schleife, dem
visuell-räumlichen Skizzenblock
und der zentralen Exekutive. Die phonologische Schleife ist eine Art Kurzzeitspeicher
für sprachliche und sprachähnliche Informationen, der visuell-räumliche Skizzenblock
ist jene Komponente in dem Modell des Arbeitsgedächtnisses, das für die temporäre
Beibehaltung oder Speicherung visueller und räumlicher Informationen verantwortlich
ist. Diese beiden Subsysteme besitzen über die Kurzzeitspeicherfunktion hinaus
einen aktiven Rehearsal-Mechanismus, der durch stetige Wiederholung die Ge-
dächtnisinhalte vor dem ansonsten binnen weniger Sekunden drohenden Verfall
bewahren kann. Als die wichtigste, überwachende und vermittelnde Komponente in
diesem Modell wird die zentrale Exekutive gesehen, die anstatt als Speichersystem
vielmehr als aufmerksamkeitsbasierende Kontrollinstanz arbeitet und für die zielge-
richtete Informationsverarbeitung verantwortlich ist.
Der Frage, welche Rolle die Aufmerksamkeit bei der Kontrolle und Ausführung von
Handlungen spielt, sind Norman & Shallice (1986) nachgegangen. Sie unterscheiden
Abb. 1: Modell des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley &
Hitch (1974)

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in ihrer Theorie des Supervisory Attentional Systems zwei Kontrollmodelle: ein
automatisch ablaufendes, welches sich auf Gewohnheiten stützt und eins, das von
aufmerksamkeitslimitierten Ausführungen abhängt. Jene Handlungen, für die bereits
ein geeignetes Schema angelegt ist, welches in der gegebenen Situation aktiviert
werden kann, vollziehen sich entsprechend der im Schema gespeicherten Weise
automatisch. Routinehandlungen und hochautomatisierte Handlungen laufen nach
Norman & Shallice (1986) in dieser Form unwillkürlich und automatisch ab. Das
System, das zur Ausführung solcher Handlungen verantwortlich ist, wird als Conten-
tion Scheduling (CS) bezeichnet. Kontrollierte und komplexe Aufgaben hingegen, für
deren Ausführung willkürliche Aufmerksamkeit erforderlich ist, bemächtigen sich dem
Supervisory Attentional System (SAS). Das sind Aufgaben, die mit einem vorpro-
grammierten Plan in einem Schema nicht zu lösen sind. Es handelt sich hierbei etwa
um unbekannte oder gefährliche Aufgaben, solche, für die Planung, Koordination,
Entscheidung oder Reflektion erforderlich sind oder bei denen eine Fehlersuche
zielführend ist. Das SAS ist hinsichtlich der Aufmerksamkeitsressourcen limitiert und
wird häufig als Pendant zu der zentralen Exekutiven in Baddeley & Hitch`s Modell
des Arbeitsgedächtnisses von 1974 gesehen (z.B. Matthes-von Cramon & von
Cramon, 2000).
Einzelne Aufgaben können in der Regel mit den zur Verfügung stehenden Mecha-
nismen erfolgreich gelöst und bearbeitet werden. Was aber passiert, wenn zwei
Aufgaben gleichzeitig bearbeitet werden müssen? Es handelt sich hierbei um die
Ausführung von Doppelaufgaben, bei denen zur Bearbeitung beider Aufgaben eine
auf beide Aufgaben geteilte Aufmerksamkeit erforderlich ist. In der Literatur ist
vielfach dokumentiert, dass das gleichzeitige Ausführen zweier Aufgaben zu Leis-
tungseinbußen in mindestens einer der Teilaufgaben führt. Bosshardt, Ballmer und
de Nil (2002) konnten beispielsweise zeigen, dass es unter anderem bei der Ent-
scheidung über Kategorien- oder Reimzugehörigkeit von Wörtern und der Produkti-
on von Sprache zu Interferenzen kommt. ,,Traditionell wird Doppelaufgaben-
Interferenz als Beleg für die Kapazitätsbeschränkung des Informationsverarbeitungs-
systems aufgefasst" (Koch, 2008, S.24). Zur Erklärung der Interferenzphänomene
bei parallel auszuführenden Teilaufgaben werden häufig zwei Arten von Theorien
vorgeschlagen. Auf der einen Seite steht die Annahme von Flaschenhalstheorien, die

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die Leistungslimitierung erklären können, auf der anderen Seite gibt es die Annahme
limitierter kognitiver Ressourcen.
Die Position von Flaschenhalstheorien annehmend (z.B. Welford, 1952) geht man
davon aus, dass die Fülle an Teilaufgaben, die bei Doppelaufgaben gleichzeitig
ausgeführt werden müssen, nicht gleichzeitig bearbeitet werden können. Pashler
(1994) konnte zeigen, dass zwei Reaktionszeitaufgaben, die zeitlich sehr nah beiei-
nander liegen, miteinander interferieren. Die Zeitdifferenz der Darbietung der beiden
Reaktionszeitaufgaben wird als Stimulus-Onset Asynchronie (SOA) bezeichnet. Bei
der Darbietung zweier Reaktionszeitaufgaben mit Variation des SOA ergibt sich kein
Einfluss der SOA-Manipulation auf die Reaktionszeit auf den ersten Stimulus. Bei
zunehmend kürzerem SOA steigt die Reaktionszeit auf den zweiten Stimulus jedoch
immer weiter an. Diese Doppelaufgaben-Interferenz bezeichnet man auch als
Psychologischen Refraktärperioden-Effekt (PRP-Effekt). Nach dem Engpass-Modell
von Pashler (1994) ist davon auszugehen, dass mehrere Aufgaben nicht parallel
ausgeführt, sondern nur nach und nach seriell abgearbeitet werden können, so dass
sich eine Art Warteschlange bildet. Das heißt, jener Teilprozess, der sich am nächs-
ten am Verarbeitungsprozessor befindet, wird auch zuerst bearbeitet (damit sind die
Ergebnisse der Experimente im PRP-Paradigma zu erklären). Die Teilaufgaben, die
sich ansammeln, können also nicht parallel verarbeitet werden, sondern nur nachei-
nander. Dadurch kommt es zu Leistungseinbußen und verzögerter Bearbeitung in
der Teilaufgabe. Pashler (1994) ging in seinen Experimenten von drei klar abgrenz-
baren aufeinanderfolgenden Stufen der Verarbeitung in seinen Reaktionszeitexperi-
menten aus: einer Stufe der
perzeptuellen Verarbeitung,
einer Stufe der Reaktions-
auswahl und schließlich
einer Stufe der Reaktions-
ausführung. Er fand heraus,
dass die Parallelverarbei-
tung auf der Stufe der Reaktionsauswahl ihren Engpass findet (siehe Abb. 2). Die
beiden Aufgaben können nicht parallel ausgeführt werden und somit wird die zweite
Aufgabe solange zurückgestellt, bis die erste auf der Stufe der Reaktionsauswahl
Abb. 2: Schematische Darstellung der Verarbeitungsstufen im Engpass-
Modell von Pashler (1994). Die Reaktionsauswahl der beiden Reakti-
onszeitaufgaben kann nur seriell ablaufen, so dass es zu einer Reakti-
onszeit-verlängerung für den zweiten Stimulus kommt.

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abgearbeitet wurde. Dadurch entsteht ein Flaschenhals, der die Verzögerung der
Reaktionszeit nach sich zieht.
Nach der Theorie kognitiver Ressourcen (z.B. Kahneman, 1973), Navon & Gapher,
1979) ist anzunehmen, dass die gleichzeitig anfallenden Aufgaben sehr wohl gleich-
zeitig bearbeitet werden können, sofern die Kapazitätsgrenzen des Verarbeitungs-
systems nicht überschritten werden. Es herrscht die Vorstellung der Aufmerksamkeit
als einer limitierten, flexibel einsetzbaren Ressource, die auf eine oder mehrere
Tätigkeiten konzentriert werden kann. Je nach Schwierigkeit und Komplexität der
Aufgabe wird mehr oder weniger Aufmerksamkeit benötigt und dementsprechend die
Ressource in unterschiedlichem Umfang belastet. Man geht davon aus, ,,dass jede
Aufgabe eine bestimmte Menge an Aufmerksamkeitsressourcen erfordert, und dass
Doppelaufgaben-Interferenz entsteht, wenn zwei Aufgaben gleichzeitig mehr Res-
sourcen erfordern als aktuell zur Verfügung stehen. In diesem Fall müssten die
Ressourcen aufgeteilt werden" (Koch, 2008, S.24). Je nach Ressourcenzuteilung
und Aufmerksamkeitsverteilung können entweder beide Aufgaben oder nur eine
davon fehlerhaft bearbeitet werden, so dass die Leistung in einer oder sogar in
beiden Aufgaben beeinträchtigt ist.
Die beiden genannten Theorien werden nicht als konkurrierend, sondern eher als
ergänzend angesehen (Navon & Miller, 2002), demnach schließen sich die Annah-
men gegenseitig nicht aus.
Es stellt sich die Frage, wann es bei parallel auszuführenden Aufgaben zu Interfe-
renzen kommt und worin sich diejenigen Aufgaben, die ohne Einbußen gleichzeitig
ausgeführt werden können, von denen unterscheiden, bei denen es zu Interferenzer-
scheinungen kommt. Faktoren, die die Doppelaufgabenleitung negativ beeinflussen,
sind Aufgabenähnlichkeit (z.B. Allport, Antonis & Reynolds, 1972) und Aufgaben-
schwierigkeit (z.B. Sullivan, 1976). Positiv beeinflusst wird die gleichzeitige Ausfüh-
rung von Aufgaben durch Übung (z.B. Spelke, Hirst & Neisser, 1976) und Stimulus-
Response Kompatibilität (z.B. Duncan, 1979).
Allport et al. (1972) konnten zeigen, dass das Lernen von Wörtern während der
Wiederholung einer Prosa Passage zu Interferenzen führt, wohingegen die Gedächt-
nisleistung der Wörter gut ist, wenn das zu behaltende Material aus Bildern besteht.
In einer Untersuchung von Sullivan (1976) sollten Probanden einen Text nachspre-

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chen (schattierte Aufgabe) und gleichzeitig Wörter in einem nicht-schattierten Text
entdecken. Mit steigender Schwierigkeit der schattierten Aufgabe durch eine geringe-
re Redundanz wurden weniger Zielwörter im nicht-schattierten Text erkannt. Duncan
(1997) machte eine Untersuchung über die Störung der räumlichen Kompatibilität
zwischen Stimulus-Ort und Reaktions-Ort. Es stellte sich heraus, dass die Reaktion
auf zwei aufeinanderfolgende Stimuli, die rechts oder links dargeboten werden
können, leichter fällt, wenn sie mit der räumlich kompatiblen Hand gemacht wird. Im
inkompatiblen Fall verlängert sich die Reaktionszeit und die Fehlerrate nimmt zu. Es
ist daraus zu schließen, dass das gleichzeitige Ausführen zweier Aufgaben mehr ist
als die Summe der beiden Aufgaben. Es entsteht durch die zusätzliche Koordination
eine weitere Anforderung, die bei Stimulus-Response Inkompatibilität zu größeren
Interferenzen führt. Im Fall der Stimulus-Response Kompatibilität wirkt sich das
Zusammenwirken positiv auf die Ausführung der Aufgaben aus.
Den positiven Effekt der Übung auf die Ausführung zweier Aufgaben konnten Spelke
et al. (1976) nachweisen. In deren Untersuchung trainierten sie zwei Studenten
dahingehend, gleichzeitig Kurzgeschichten zu lesen und diktierte Wörter zu schrei-
ben. Zunächst war die Leistung hinsichtlich des Behaltens der Kurzgeschichte und
die Lesegeschwindigkeit, sowie der Leserlichkeit der Handschrift und der Fehlerhaf-
tigkeit des Geschriebenen sehr schlecht. Nach einem sechswöchigen Training (eine
Stunde täglich) ließen sich keine Unterschiede in der Lesegeschwindigkeit und
Behaltensleistung mit und ohne Diktat mehr feststellen. Die Handschrift und Fehler-
zahl haben sich ebenfalls verbessert. Anhand dieses Beispiels wird die Auswirkung
von Training auf die Leistungsoptimierung auch im Doppelaufgabenbereich deutlich.
Beim Autofahren handelt es sich um eine solche höchst geübte und höchst automati-
sierte Handlung. Dennoch gibt es zahlreiche Belege dafür, dass die Fahrleistung
durch Gespräche mit einem Mobiltelefon verschlechtert wird (z.B. Redelmeier &
Tibshirani, 1997; Violanti, 1998; Violanti & Marshall, 1996; Strayer, Drews & Johns-
ton, 2003). Redelmeier & Tibshirani (1997) vergleichen die Verschlechterung der
Fahrleistung mit dem Fahren unter Alkoholeinfluss oberhalb der gesetzlichen Promil-
legrenze. In vielen Ländern ist deshalb die Benutzung eines Mobiltelefons während
der Autofahrt verboten. Ebenso in der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß der
Straßenverkehrsordnung gilt folgendes: ,,Dem Fahrzeugführer ist die Benutzung

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eines Mobil- oder Autotelefons untersagt, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den
Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht
und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist" (§ 23 Abs. 1a, StVo). McEvoy,
Stevenson, McCartt, Woodward, Haworth & Palamara (2005) konnten anhand von
statistisch registrierten Unfalldaten in Australien zeigen, dass Gespräche mit einem
Mobiltelefon während der Fahrt das Unfallrisiko um ein vierfaches erhöhen. Hierbei
spielt es keine Rolle, ob das Mobiltelefon in der Hand gehalten oder eine Freisprech-
einrichtung benutzt wird. Dennoch ist in der aktuellen Straßenverkehrsordnung für
die Bundesrepublik Deutschland die Mobiltelefonbenutzung mit einer Freisprechan-
lage gestattet, die Forschungsergebnisse dazu scheinen in den Gesetzen derzeit
keine Beachtung zu finden. Es ist also offensichtlich nicht die physische Ablenkung
durch das Festhalten des Gerätes und die damit verbundene motorische Einschrän-
kung, die dazu führt, dass die Fahrleistung beeinträchtigt wird, sondern vielmehr eine
kognitive Überbelastung, die zu Aufmerksamkeitsdefiziten und Verarbeitungseng-
pässen führt (siehe auch Lamble, Kauranen, Lassko & Sumalla, 1999; McKnight &
McKnight, 1993; Strayer & Johnston, 2001). Auch Nunes & Recarte (2002) konnten
bestätigen, dass die Anforderung durch die kognitive Belastung ein besserer Prädik-
tor für die Verschlechterung der Fahrleistung ist als das Wissen, ob das Mobiltelefon
gehalten wurde oder nicht.
Nichtsdestotrotz beeinflussen Handlungen, die mit Handling zu tun haben, wie
beispielsweise das Wählen einer Telefonnummer, die Fahrleistung negativ (z.B.
Briem & Hedman, 1995; Brookhuis, De Vries & De Waard, 1991). Eine einfache
Telefonkonversation hingegen beeinflusst nach Briem & Hedman (1995) die Fahrleis-
tung nicht. In zahlreichen anderen Studien hingegen konnte gezeigt werden, dass
Arbeitsgedächtnisaufgaben (Alm & Nilsson, 1995), schlussfolgernde Aufgaben
(Brown, Tickner & Sommonds, 1969), etwa ob ein Fahrzeug durch eine Lücke passt,
und Kopfrechenaufgaben (McKnight & McKnight, 1993) zu einer Verschlechterung
der Leistung in einer Fahrsimulation führen. Ebenso stellte sich in weiteren Studien
heraus, dass eine sprachliche Aufgabe dazu führt, dass ein Fahrer stärker vom
vorgegebenen Weg abkommt (Jannes, Lattanzio, O`Toole, Taylor & Pax, 2002),
dass er ein eingeschränktes Sichtfeld hat mit dem Fokus in der Mitte der Sicht, so
dass Reize, die im Randbereich liegen, schlechter erkannt werden (Recarte &

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Nunes, 2000). Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass sich die Reaktionszeit für
das Bremsen verlängert (Irwin, Fritzgerald & Berg, 2000) und dass es zu einem
Anstieg der subjektiv empfundenen mentalen Anstrengung kommt (Haigney, Taylor
& Westerman, 2000).
In einem Telefongespräch sind in der Regel mehrere Komponenten bzw. Ebenen
des Sprechens involviert. In einem Gespräch liegt ein häufiger Wechsel zwischen
Zuhören (Sprachverstehen) und Sprechen (Sprachproduktion) in Verbindung mit
Sprachplanung vor. Die Beziehung zwischen Beidem ist ein zentrales Thema, mit
dem sich die Psycholinguistik beschäftigt (z.B. Bock, 1995). Grundlagenforschung
hat ergeben, dass für die Sprachproduktion und das Sprachverständnis verschiede-
ne Systeme verantwortlich sind und diese unterschiedlich anspruchsvoll sind (Martin,
Lesch & Bartha, 1999). Demnach stellt sich die Frage, ob Verstehen oder Produktion
belastender ist. Bei beiden Aufgaben kommt es in Verbindung mit einer sprachlichen
Zusatzaufgabe zu Interferenzen (z.B. Holmes & Foster, 1970; Ford & Holmes, 1978).
Grundlegend sind drei Überlegungen denkbar: Erstens, Verstehen und Produktion
sind gleich belastend (Bock & Kroch, 1989). Davon ausgehend, dass die linguisti-
schen Anforderungen für das Verstehen und die Produktion dieselben sind, dürfte
keine der Aufgaben belastender sein. Zweitens, Produktion ist belastender als
Verstehen, eine ,,production-plus [Sichtweise]" (Kubose, Bock, Dell, Garnsey, Kramer
& Mayhugh, 2006, S. 45). Die Annahme, dass Produktion belastender ist, wird von
Benedict (1979) gestützt. Der zusätzliche Aufwand durch die motorischen Ausfüh-
rungen (Stimmbänder, Stimmlippen, Kehlkopf, Zunge, Lippen, etc.) führt zu einem
größeren Aufwand gegenüber dem Verstehen (Garnsey & Dell, 1984; Levelt, 1983).
Darüber hinaus spielt die zusätzliche Sprachplanung, die beim Verstehen nicht
erforderlich ist, eine Rolle und führt zu einer weiteren Belastung. Drittens, eine
,,comprehension-plus [Sichtweise]" (Kubose et al., 2006, S.46). Das Verstehen von
Sätzen erfordert einen besonders hohen kognitiven Aufwand, da Wörter unterschied-
liche Bedeutungen haben und das Gehörte somit für ein korrektes Verständnis
segmentiert und kontextuell integriert werden muss, was eine kognitive Anforderung
an das Arbeitsgedächtnis stellt und Aufmerksamkeit erfordert (Cutler & Butterfield,
1992).

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Der Frage, ob Sprachverstehen und Sprachproduktion sich in unterschiedlicher
Weise auf die Fahrleistung auswirken und ob eines der beiden Aufgaben belastender
ist, sind Kubose et al. (2006), sowie Bock, Dell, Garnsey, Kramer & Kubose (2007)
und Strayer & Johnston (2001) nachgegangen. Auf den ersten Blick liefern die
Untersuchungen von Kubose et al. (2006, 2007) eine Antwort auf diese Frage, die im
Gegensatz zu dem steht, was die Untersuchung von Strayer & Johnston (2001)
hervorgebracht hat.
Strayer & Johnston (2001) fanden heraus, dass Gespräche über ein Mobiltelefon
während einer Tracking-Aufgabe die Wahrscheinlichkeit einen Lichtreiz zu verpassen
erhöht und die Reaktionszeit auf einen Lichtreiz verlängert, wohingegen das Anhören
von Radionachrichten bzw. eines Hörbuches derartige Defizite nicht verzeichnet.
Reden scheint also im Vergleich zum Zuhören oder Verstehen belastender zu sein.
Die Ergebnisse von Kubose et al. (2006, 2007) hingegen zeigen, dass Sprachpro-
duktion und ­verstehen von geographischen Analysen über die Gebäudekonstellati-
onen der Universität von Studenten in gleichem Ausmaß zu Defiziten in der Fahrleis-
tung in einer Fahrsimulation führen.
Die unterschiedlichen Anforderungen der Sprachverständnisaufgaben in den vorlie-
genden Untersuchungen könnten eine Erklärung für die gegensätzlichen Ergebnisse
sein: Bei Strayer & Johnston (2001) handelt es sich bei der Basis- und Zusatzaufga-
be um Aufgaben, die unterschiedliche Ressourcen beanspruchen; auf der einen
Seite steht die Trackingaufgabe, die räumliche Anforderungen an die VPN stellt und
auf der anderen Seite die Sprachverständnisaufgabe, die die Aufnahme von nicht-
räumlichen Fakten mit inhaltlichem Gehalt erfordert. Durch die unterschiedliche
Beschaffenheit der beiden Aufgaben (auf der einen Seite die Beanspruchung des
visuell-räumlichen Skizzenblocks und auf der anderen Seite die Beanspruchung der
phonologischen Schleife bei der Analyse) besteht keine kognitive Überbelastung, so
dass beide Aufgaben parallel ausgeführt werden können. Bei Kubose et al. (2006,
2007) hingegen verlangt sowohl die Sprachverständnisaufgabe als auch die Basis-
aufgabe räumliche Kompetenzen (in beiden Fällen geschieht die Analyse über den
visuell-räumlichen Skizzenblock), demnach werden gleiche kognitive Ressourcen
beansprucht und es kommt zu einer kapazitären Überlastung im Arbeitsgedächtnis,
die sich in Leistungsdefiziten niederschlägt.

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Die Ergebnisse, die die Literatur liefert, lassen keinen Zweifel an dem negativen
Einfluss der Mobiltelefonbenutzung während des Autofahrens zu. Es handelt sich bei
dieser Aufgabenkombination um eine klassische Doppelaufgabe. Das Autofahren ist
hinsichtlich der Bedienung (Gas geben, Schalten, Lenken) als höchst geübt und
automatisiert einzuschätzen. Die Aufmerksamkeitsbelastung hierbei ist als gering
anzusehen. Nach dem Modell von Norman & Shallice (1986) wird hierfür primär das
CS beansprucht. In dem Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley & Hitch (1974) wird
der zentralen Exekutive bei dieser Handlung eine geringe Aufmerksamkeitsbelastung
zugeschrieben. In potenziell gefährlichen Situationen hingegen, in denen die automa-
tisierte Handlung vorprogrammiert durch ein Schema nicht zielführend ist, wird nach
dem Modell von Norman & Shallice (1986) das SAS aktiviert. Die Anforderungen an
die zentrale Exekutive nach Baddeley & Hitch (1974) werden gefordert, um zielfüh-
rend handeln zu können. In jenen Situationen also, die ein gewisses Unfallrisiko in
sich tragen, in denen ständig neue Anforderungen an den Fahrer gestellt sind, ist
hinsichtlich des Fahrens eine Beanspruchung der zentralen Exekutive bzw. des SAS
anzunehmen. Während des Sprechens wird die phonologische Schleife beansprucht.
Darüber hinaus für Aufgaben, bei denen ein ganzer Satz gesprochen oder korrigiert
wird, auch die zentrale Exekutive. Hierbei sind eine kognitive Entscheidung oder das
Abwägen von Alternativen erforderlich und dafür wird Aufmerksamkeit benötigt.
Interferenz zwischen dem Fahren und Sprechen wird erwartet, wenn beide Aufgaben
das Arbeitsgedächtnis bzw. die zentrale Exekutive beanspruchen. Nach Oberauer
und Hockl (2003) kommt es besonders dann zu Interferenzen, wenn zwischen dem
Sprechen und der parallel auszuführenden Aufgabe aus dem Gedächtnis Wissen
abgerufen werden muss.
2.3.
Planung des Versuchs
In der vorliegenden Untersuchung soll zum einen überprüft werden, ob der Inhalt des
Sprachmaterials (räumlich vs. nicht-räumlich) Einfluss auf die Leistung einer kontinu-
ierlich räumlich orientierten sensumotorischen Aufgabe nimmt und zum anderen in
welchem Maße sich dieser Einfluss in den Phasen Sprachverstehen, -planung und
-produktion manifestiert.

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In Anlehnung an die Mobiltelefonbenutzung während der Autofahrt liegt zunächst der
Gedanke nah, als räumlich orientierte sensumotorische Aufgabe eine Fahrsimulation
zu wählen. Die Situationen, die bei der Autofahrt besonders gefährlich und risikobe-
haftet sind, sind jene, bei denen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gefordert ist. Die
Reaktion auf Lichtreize wie z.B. eine Ampelanlage oder das Bremslicht des vorher-
fahrenden Fahrzeugs, ein kreuzendes Fahrzeug, all dies sind Momente, in denen der
Fahrer schnell reagieren muss, um eine Gefahr abzuwenden. Dieser Aufmerksam-
keitsfokus ist in einer Fahrsimulation allerdings nicht kontinuierlich erforderlich. Beim
Geradeausfahren werden an den Fahrer keine besonderen Anforderungen gestellt
und das Risikopotenzial für einen Unfall ist relativ gering. Um zu untersuchen,
inwieweit Gespräche die Fahrleistung stören, ist es aber erforderlich, eine Aufgabe
zu stellen, bei der kontinuierlich Aufmerksamkeit gefordert wird und stetig neue
Orientierung gefordert ist, denn genau diese Situationen sind es, die Gefahrenquel-
len in sich tragen.
Aus diesem Grund wird für diese Untersuchung eine Tracking-Aufgabe verwendet,
bei der die Probanden ein sich bewegendes Ziel mit einer Maus verfolgen. Die
Richtungswechsel des Ziels sind hinsichtlich der Bewegungsrichtung nicht antizipier-
bar und erfordern somit eine kontinuierliche Aufmerksamkeitszuwendung und eine
neue Orientierung (kontinuierliche Beanspruchung der zentralen Exekutive bzw. des
SAS), ebenso wie jene potenziellen Gefahrensituationen, in denen die Auswirkungen
von Gesprächen gerade überprüft werden sollen.
2.4.
Planung des Versuchsablaufs
Die Probanden hören Sätze, die sie auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen sollen. Ist
der gehörte Satz inhaltlich korrekt, soll er wiederholt werden, ist er falsch, soll er
korrigiert wiedergegeben werden. Zusätzlich wird über die gesamte Versuchszeit
eine Tracking-Aufgabe ausgeführt.

13
2.5.
Hypothesen
Es ist nach den Annahmen des Doppelaufgaben-Paradigmas zu erwarten, dass die
Doppelaufgabenbelastung sowohl beim Tracking als auch bei der Sprechaufgabe zu
einer Verringerung der Leistung führt (H
1
).
Des Weiteren ist davon auszugehen, dass der Inhalt der Sprechaufgabe einen
Einfluss auf die Leistung in der Tracking-Aufgabe hat. Es wird wegen der inhaltlichen
Ähnlichkeit erwartet, dass insbesondere die räumliche Sprechaufgabe die Trackin-
gleistung verringert (H
2
).
Es ist anzunehmen, dass die Doppelaufgabenphasen Sprachverstehen, Sprachpla-
nung und Sprachproduktion unterschiedlich stark belastend sind und somit zu
unterschiedlich großen Interferenzen mit dem Tracking führen werden. Insbesondere
für die Sprachplanung und Sprachproduktion werden große Interferenzen erwartet
(H
3
).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2009
ISBN (PDF)
9783863419349
ISBN (Paperback)
9783863414344
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Doppelaufgaben-Interferenz Mobiltelefon kognitive Überlastung Trackingleistung Sprachverstehen

Autor

Linda Engelbrecht wurde 1985 in Recklinghausen geboren. Ihr Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum schloss die Autorin im Jahre 2009 mit dem akademischen Grad des Diploms erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen im Bereich der experimentellen Forschung sowie der Lehrtätigkeit. Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit entwickelte sich die Fragestellung zu derThematik des vorliegenden Buches. Nach Abschluss dieser Forschungsarbeit wandte sich die Autorin dem praktischen Arbeitsfeld der Rechtspsychologie zu.
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Titel: Multitasking im Straßenverkehr: Eine reelle Gefahr?
book preview page numper 1
book preview page numper 2
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book preview page numper 6
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