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Unternehmensethik in der betrieblichen Praxis: Die Verhaltenskodizes von BP und Royal Dutch Shell im Vergleich

©2012 Diplomarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der praktischen Umsetzung unternehmensethischer Maßnahmen zweier weltweit agierender Unternehmen in Form von Verhaltenskodizes oder sog. Codes of Conducts. Hierbei sollen Chancen und Risiken bzw. Stärken und Schwächen dieser noch recht jungen Managementinstrumente illustriert werden. Damit die Maßnahmen, die in den jeweiligen Kodizes verankert sind, nicht zu einer Opferethik führen, müssen zunächst die verschiedenen Dilemmastrukturen erkannt und analysiert werden. Bei den hierbei betrachteten Unternehmen handelt es sich zum einen um BP und zum anderen um Royal Dutch Shell. Beide Unternehmen sind in der gleichen Branche tätig und unterliegen somit den gleichen branchenspezifischen Problemen. Ihre Kerngeschäfte liegen im Bereich der Exploration, Förderung und Weiterverarbeitung von Erdöl bzw. Erdgas. Hierbei soll auf konkrete Probleme beider Wirtschaftssubjekte und deren zugrunde liegenden Dilemmasituationen näher eingegangen werden. Im Anschluss wird die Problemlösung dargestellt, bei der die Verhaltenskodizes eine wichtige Rolle einnehmen. Indem sich die Unternehmen gewissermaßen selbst in die Pflicht nehmen und dadurch in Vertrauen und Reputation investieren, können Dilemmastrukturen erfolgreich überwunden werden. Die Selbstbindung stellt somit kein Opfer dar, sondern eine Investition, bei der sich alle Beteiligten langfristig besserstellen können. Dies ermöglicht einen Perspektivwechsel, indem der eigeninteressierte Unternehmer moralische Belange in den Dienst seines Gewinnkalküls stellt und somit einen zusätzlichen Produktionsfaktor in seine Funktion implementiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


IV
SE
Societas
Europaea
sog.
sogenannt
u. a.
unter anderen
U Unternehmen
VK
Verhaltenskodex
Z. Zeile
zw.
zwischen

V
Abbildungsverzeichnis
Abb. 4-1: Einseitiges Gefangenendilemma in Bezug auf Chancengleichheit
20
Abb. 4-2: Überwundenes einseitiges GD in Bezug auf Chancengleichheit
21
Abb. 4-3: Zweiseitiges GD zw. Unternehmen in Bezug auf Chancengleichheit
22
Abb. 4-4: Überwundenes zweiseitige GD zw. Unternehmen in Bezug auf CG
23
Abb. 4-5: Zweiseitiges GD zw. Unternehmen in Bezug auf CG in einer
Freerider-Situation
24
Abb. 4-6: Einseitiges Dilemma zw. Kunden und Unternehmen
41
Abb. 4-7: Überwundenes einseitiges Dilemma zw. Kunden und Unternehmen
43

1
Einleitung
Gerade im Zeitalter der Globalisierung mit all ihren Facetten wird es immer wichtiger, Moral
und Ethik im unternehmerischen Grundgedanken wieder zu reaktivieren, um dem Ideal eines
ehrbaren Kaufmanns neu gerecht zu werden. So viele Chancen eine Weltwirtschaft mit sich
bringt, so viele Risiken birgt sie. Ein forcierter Industrialismus und eine Zunahme der
Entropie führen mittel- bis langfristig zu einer Selbstzerstörung dieses Systems. Es müssen
vor allem seitens der international agierenden Wertschöpfungsagenten Maßnahmen getroffen
werden, die unternehmensethische Werte in deren Visionen und Strategien zu verankern
geeignet sind. Dabei sollen diese Werte und Maßnahmen für die multinationalen
Unternehmen kein Opfer auf Kosten des Gewinnstrebens darstellen, sondern vielmehr eine
Investition in eine gegenseitige Besserstellung. Viele Wirtschaftszweige haben dieses
Problem bereits erkannt und versuchen über Verhaltenskodizes ihre Ideen und Vorstellungen
gegenüber ihren Stakeholdern zu kommunizieren.
Anhand zweier ausgewählter Unternehmen derselben Branche soll gezeigt werden, inwiefern
Verhaltenskodizes geeignet sind, soziale Dilemmata zu überwinden. Dabei handelt es sich um
BP und Royal Dutch Shell als weltweit agierende Mineralölunternehmen, die in der
Förderung, der Veredelung und dem Verkauf von Mineralöl bzw. Erdöl und Erdöl-Produkten
tätig sind. Erdöl ist einer der bedeutendsten und meistverkauften Rohstoffe überhaupt,
insbesondere, als Treibstoff im Transportwesen, als Rohstofflieferant in der chemischen
Industrie und als Brennstoff in der Wärmeerzeugung kaum wegzudenken. Dank dem enormen
Einfluss des Erdöls bildet die Erdölindustrie eines der größten Industriezweige der Welt.
Generell unterscheiden sich Mineralölunternehmen in zwei Gruppen: Die staatlich
kontrollierten Erdölfördergesellschaften und die privaten, börsennotierten Unternehmen,
wobei die privaten wie BP und Royal Dutch Shell im Erdölgeschäft den kleineren Stellenwert
ausmachen. Die Unternehmen stehen momentan vor dem Problem, dass einerseits die
Nachfrage nach Öl immer weiter zunimmt, diese aber gleichzeitig negativ mit einer Abnahme
der Erdölvorkommen korreliert. Dieses Problem kann jedoch zugleich einen Anreiz oder eine
Chance bedeuten, die aus diesen Geschäften gewonnenen Umsätze in regenerative
Energiequellen zu investieren, wie es BP und RDS bereits tun. Allerdings verursachen sie
beide negative externe Effekte, die der Umwelt schaden. Die Marktform, in der die
Unternehmen agieren, kann als ein Angebotsoligopol bezeichnet werden. Dies bedeutet, dass
eine relative kleine Gruppe von Anbietern einer Vielzahl von Nachfragern gegenübersteht.
Angesichts dessen lassen sich branchenspezifische Probleme wie der Verdacht von
Preisabsprachen, Arbeitsschutz, die Gesundheit der Mitarbeiter und vor allem aber der

2
Umweltschutz erkennen. Als branchenunabhängige Herausforderungen sind der prinzipielle
Umgang mit den Stakeholdern, insbesondere mit den Mitarbeitern, in Bezug auf
Chancengleichheit und Datenschutz, Korruptionsprävention, Kartelle und der Schutz von
Firmenkapital und Vermögenswerten auszumachen.
Folgende Thesen stehen dabei im Fokus der Argumentation des Verfassers vorliegender
Arbeit:
1. Compliance und Integrity
­ Kontrolle schafft Vertrauen.
2. Verhaltenskodizes sind ein geeignetes Managementinstrument zur Überwindung von
Interdependenzen.
3. Falsch formulierte VK fördern Freerider-Situationen.
4. Verhaltenskodizes führen zu einer gegenseitigen Besserstellung aller Beteiligten und sind
somit essenziell für eine langfristige Existenzsicherung.
5. Branchenspezifische Verhaltenskodizes ersetzen individuelle.
6. Risikominimierung und Imageverbesserung sind die eigentlichen Anreize für
Selbstbindungsmaßnahmen.
Der Aufbau gestaltet sich wie folgt: Zunächst wird kurz auf die für die Analyse wichtigen
Tools der Unternehmensethik eingegangen und diese vorgestellt. Dabei liegt der Schwerpunkt
auf der orthogonalen Positionierung und dem Gefangenendilemma. Im Anschluss erfolgt eine
deskriptive Darstellung der beiden Unternehmen, wobei vor allem auf die jeweiligen Inhalte
der Verhaltenskodizes eingegangen wird. Daraufhin soll an ausgewählten Beispielen eine
vergleichende Analyse der getroffenen Maßnahmen vorgenommen werden, wobei auf
konkrete Dilemmastrukturen Bezug genommen wird. Zum Abschluss folgt ein kurzes und
prägnantes Resümee.
1 Tools der Unternehmensethik
Die Unternehmen als korporative Akteure können, wenn sie in der Lage sind, Handlungs- und
Denkblockaden zu überwinden, also ihre Perspektive zu erweitern, Moral als zusätzlichen
Produktionsfaktor nutzen. "There is a natural inclination to direct the search for possible
solutions to the north-east: the win-win semantics postulates that corporate actors should
search for arrangements that will bring their private interest in line with the public interest."
1
1
Pies, Hielscher und Beckmann (2009; S. 380 f. ).

3
Gelingt es dem Unternehmen, aus dem Trade-off zwischen Eigen- und Fremdinteresse
auszubrechen und mittels geeigneter Instrumente, wie es Verhaltenskodizes sein können,
moralische Belange in den Dienst des Gewinnstrebens zu stellen, so realisiert der Unterneh-
mer anstatt eines Nullsummenspiels (win-lose) eine Situation, bei der sich alle Beteiligten
besserstellen können. Dieser Perspektivwechsel in nordöstlicher Richtung, bei der die
Interessenkonflikte überwunden worden sind, wird auch als orthogonale Positionierung
bezeichnet.
2
Historische Beispiele belegen, wie es Unternehmen gelungen ist, solche Win-
win-Situationen zu realisieren. Ein Pionier seiner Zeit ist u. a. Krupp. Indem er seinen
Mitarbeitern öffentliche Güter wie Arbeiterversicherungen oder Fortbildungsprogramme zur
Verfügung gestellt hat, um dadurch soziale Probleme abzufedern und seine MA dauerhaft an
das Unternehmen zu binden, hat er die Leistungsfähigkeit seines Betriebes und somit seinen
Gewinn steigern können. Ford hat seinen MA höhere Löhne gezahlt und somit deren
Motivation verbessert und die Fluktuationsrate verringert, was sich wiederrum positiv auf den
Unternehmensgewinn ausgewirkt hat.
3
Zu erkennen ist, dass sich die Unternehmer einer
moralischen Investition bedienen und diese sich mittel- bis langfristig positiv auf den
Unternehmenserfolg niederschlägt. Entscheidend hierbei ist die jeweilige Bindungstechnik,
die wiederum von der vorliegenden Dilemmastruktur und deren Interaktionspartnern abhängig
ist. Dabei ergeben sich jeweils vier grundsätzliche Strategien:
x Strategie I stellt einen Service für kollektive Bindung dar,
x Strategie II einen Service für individueller Selbstbindung,
x Strategie III eine individuelle Selbstbindung und
x Strategie IV eine kollektive Selbstbindung.
4
Damit die jeweilige Strategie erfolgswirksam ist, müssen zunächst die jeweiligen Dilemma-
situationen erkannt und analysiert werden. Dilemmastrukturen sind Ergebnisse, bei denen sich
die Interaktionspartner aufgrund von Handlungsblockaden und Interdependenzen
schlechterstellen, obwohl es durchaus möglich wäre, ein Ergebnis zu erzielen, bei dem sich
alle Beteiligten besserstellen könnten.
5
Um solche Interaktionen so zu optimieren, dass sich
das Dilemma auflöst, müssen sich die Spielregeln ändern. Auf dieser neu geschaffenen
Grundlage verändern sich die Spielzüge der Spieler derart, dass soziale Dilemmastrukturen
überwunden werden können und sich alle Beteiligten des Spiels dadurch besserstellen. Doch
nicht jede Regel kann universell für alle Spiele angewandt werden. Man muss hierbei
2
Vgl. Pies (2009a; S. 14).
3
Vgl. Pies (2009a; S. 268).
4
Vgl. Küpper (2011; S. 143).
5
Vgl. Pies (2009a; S. 167).

4
zwischen einseitigen und zweiseitigen Dilemmata unterscheiden: Typisch für ein einseitiges
Dilemma ist die asymmetrische Anreizkonstellation. Die Asymmetrie besteht darin, dass nur
einer der beiden Parteien in der Lage ist, die vorab erbrachte Leistung des anderen aufgrund
seiner Handlungsoption ,,Ausbeutung" auszunutzen. Die Literatur spricht dabei auch von
einer negativen Freiheit.
6
Ein weiteres Merkmal einseitiger Spiele sind vertikale Beziehungen
zwischen den Interaktionspartnern, d. h. die Teilnehmer des Spiels sind gewissermaßen
heterogen. Typisch hierfür sind Spielsituationen mit MA und ihren Vorgesetzten, also Spiele,
die durch Hierarchien gekennzeichnet sind. Eine Dilemmasituation ergibt sich im Folgenden,
wenn Spieler 2 die Vorleistung von Spieler 1 durch seine negative Freiheit ausbeutet. Dies
antizipiert Spieler 1, da er damit rechnen muss, dass seine Investition vom Gegenspieler
ausgebeutet wird. Die Folge ist ein stabiles, jedoch pareto-inferiores Gleichgewicht, bei dem
alle Beteiligten unter ihren Möglichkeiten bleiben. Die Lösung scheint trivial: Schränke die
negative Freiheit von Spieler 2 ein und ermögliche damit positive Freiheit. Dies bedeutet, dass
Spieler 2 mittels individueller Selbstbindung seine Ausbeutungsoption durch eine glaubhafte
Selbstverpflichtung unattraktiv macht, sodass Spieler 1 seine Investition tätigt, Spieler 2 diese
jetzt nicht mehr ausnutzt und somit sich alle beteiligten Spieler besserstellen können. Das
Ergebnis ist pareto-optimal und stellt eine Win-win-Lösung dar.
7
Der wesentliche Unterschied
bei einem zweiseitigen Dilemma zum einseitigen besteht darin, dass eine symmetrische
Anreizkonstellation vorliegt und die Spieler gewissermaßen homogen sind. Homogen
bedeutet in diesem Kontext, dass kein hierarchisches Verhältnis vorliegt, also die Interaktion
auf horizontaler Ebene stattfindet. Dies kann z. B. ein Spiel zwischen gleichrangigen MA
sein. In diesen Fall hat sowohl Spieler 1 als auch Spieler 2 die Möglichkeit, von der
Kooperation abzuweichen. Jeder verhält sich so, wie er es von den anderen erwartet, wodurch
ein pareto-inferiores Gleichgewicht initiiert wird. Die Ausgangslage gestaltet sich wie folgt:
Beide Spieler haben die Möglichkeit, entweder zu kooperieren oder zu defektieren, also von
der Kooperation abzuweichen. Aufgrund dieser Handlungsmöglichkeiten ergeben sich vier
denkbare Pay-offs:
x Im ersten Fall halten sich beide Spieler an die vorab vereinbarte Kooperation.
Angesichts der nun vorliegenden negativen Freiheit, von der Kooperation
abzuweichen, ergeben sich drei weitere Ergebnisse.
x Im zweiten Fall hält sich Spieler 1 nicht an die Kooperation.
x Im dritten Fall weichen beide Spieler von der Kooperation ab und
6
Vgl. Pies (2009a; S. 165).
7
Vgl. Pies (2009a; S. 99 f.).

5
x im vierten Fall hat Spieler 2 einen Anreiz, von der Kooperation abzuweichen.
Aus Sicht des Einzelnen besteht jedoch ein Anreiz die Kooperationsalternative des anderen
auszubeuten, in dem er selbst nicht kooperiert und somit individuell einen größeren Nutzen
erzielt, solange die andere Partei sich an die Kooperation hält. Angesichts dieser Bedingungen
werden beide Spieler von der Kooperation abweichen und das pareto-inferiore Gleichgewicht
Fall 3 realisieren.
8
Es kommt zu einer kollektiven Selbstschädigung, bei der eine individuelle
Selbstbindung nicht mehr ausreichend ist, um diese zu überwinden. Denn würde nur einer der
beiden Spieler seine Defektionsstrategie sanktionieren und der andere nicht, so würde
beispielsweise Spieler 1, der sich jetzt aufgrund seiner individuellen Selbstbindung an die
Kooperation hält, sich gleichzeitig schädigen, indem er Spieler 2 zum Nutznießer werden
lässt. Eine Lösung für dieses Dilemma können nur kollektive Selbstbindungen in Form von
Branchenvereinbarungen darstellen. Das bedeutet: Verhaltenskodizes sind ungeeignet, um
zweiseitige Dilemmastrukturen zu überwinden. Sie können jedoch bei richtiger Anwendung
dem Unternehmen zu Vertrauen und Integrität verhelfen. Diese Werte bilden wiederum eine
gute Ausgangslage und das Fundament für Glaubwürdigkeit und Vertrauen, die die Eckpfeiler
für kollektive Arrangements schaffen und somit kollektive Selbstbindungen etablieren
können.
9
Bisher bleibt festzuhalten, dass man zunächst die jeweiligen Dilemmastrukturen der
Unternehmen richtig erkennen muss, um im Anschluss das passende Tool zu wählen, das
diese Strukturen aufzulösen vermag. Dabei spielen Verhaltenskodizes eine entscheidende
Rolle. Diese stellen zunächst eine Einschränkung der negativen Freiheit dar, können jedoch
langfristig eine Investition in positive Freiheit bedeuten. Sie sind proaktive Instrumente für
gezieltes, strategisches Risiko- und Chancenmanagement und sollten nicht nur aufgrund von
sog. ,,bad news" reaktiv gestalten werden, um auch tatsächlich und nicht nur scheinbar einen
Wertschöpfungsbeitrag leisten zu können. Inwiefern die Unternehmen BP und Royal Dutch
Shell einen Verhaltenskodex verstehen, wird im Laufe dieser Ausarbeitung ersichtlich
werden. Sind sie eher defensiv gestaltet, also zielen sie mehr auf den Zweck der
Schadensbegrenzung durch Imageverlust ab, oder sind sie proaktiv und versuchen gezielt,
,,Moral als Produktionsfaktor" in ihre Unternehmensstrategie mit einzubinden und als integrer
Akteur einen entscheidenden Beitrag in unserer heutigen Wissensgesellschaft zu leisten?
Dieser Frage geht die Arbeit im Folgenden nach.
8
Vgl. Pies (2009a; S. 98 f.).
9
Vgl. Pies (2009a; S. 182 f.).

6
2 BP
In diesem Abschnitt wird das Unternehmen ,,British Petroleum" vorgestellt. Dabei soll vorab
ein kurzes Unternehmensprofil aufgestellt und auf unternehmensspezifische Probleme und die
damit einhergehenden Herausforderungen eingegangen werden. Darauf folgt ein kurzer
Exkurs, bei dem generelle Voraussetzungen für einen guten Verhaltenskodex genannt werden.
Im Anschluss geht die Arbeit explizit auf den Verhaltenskodex ein, insbesondere auf die
inhaltlichen Schwerpunkte, den Aufbau und auf den Schwerpunkt, den der Kodex setzt.
2.1 Das Unternehmen BP: Zahlen, Fakten, Hintergründe
Im Jahre 1908 glückte einer kleinen Gruppe von Pionieren im früheren Süden Persiens ein
erster Ölfund, woraufhin William Knox D'Arcy im April 1909 die Anglo Persian Oil
Company ins Leben gerufen hat.
10
Der Markenname BP entstand acht Jahre darauf und ist auf
die British Petroleum Company zurückzuführen. 1935 erfolgte eine Umbenennung in Anglo-
Iranian Oil Company und 1954 in British Petroleum Company.
11
Nachdem ARCO, Vastar
und Burmah Castrol das Geschäft übernommen hatten, agiert der Betrieb seit 2000 als BP mit
dem markanten BP-Helios als Logo.
12
Die Hauptaktivitäten von BP liegen in der Beschaffung und Verarbeitung von Erdöl bzw.
Erdgas, wobei sich seine Tätigkeitsfelder mittlerweile auf CO
2
-arme und regenerative
Energiequellen im Bereich der Biokraftstoffe und Windkraft ausgedehnt haben.
BP ist ein international auftretendes Energieunternehmen. Weltweit realisierte BP 2010 einen
Umsatz von 297 Milliarden US-Dollar und beschäftigte in etwa 80 000 Menschen.
13
Europaweit ist BP mit seinem Tankstellennetzwerk und im Schmierstoffhandel führend,
wobei es unter den Marken Aral (Tankstellen, Schmierstoffe) und Castrol (Schmierstoffe)
bekannt ist. Der Hauptsitz der BP Europa SE ist in Hamburg.
14
Gegenwärtig sieht sich das Unternehmen vor allem von Fragen herausgefordert, die die
Sicherheit seiner Anlagen betreffen. Probleme in der Vergangenheit machen dies deutlich:
Am 2. März 2006 kam es auf dem Ölfeld ,,Prudhoe Bay" in Alaska zu einem Ölleck. 267 000
Gallonen Öl liefen aus und ließen diese Katastrophe zum größten Ölausfluss im nördlichen
Alaska in der Geschichte werden. Verantwortlich dafür war ein mangelnder Korrosionsschutz
10
Vgl. BP (2012c; S. 1).
11
Vgl. BP (2012a; S. 1).
12
Vgl. BP (2012c; S. 1).
13
Vgl. BP (2011; S. 2).
14
Vgl. BP (2011; S. 6).

7
der Anlagen, der zudem auch noch bekannt war.
15
BP betreibt in Houston bei Texas City eine seiner größten Raffinerien, die aber zugleich auch
eine der unsichersten zu sein scheint: 2005 kam es zu einem schweren Betriebsunfall, der
insgesamt 15 Todesopfer und zahlreiche Verletzte zur Folge hatte.
16
Das bislang jüngste Ereignis, das BP und die Welt erschütterte, liegt gerade zwei Jahre
zurück. Im April 2010 kam es auf der Ölplattform ,,Deep Water Horizon" im Golf von
Mexiko zu einer gewaltigen Explosion, deren Folge an eine globale und ökologische
Katastrophe grenzt: Täglich liefen zum Zeitpunkt des Unglücks mehrere Tonnen Öl
ungehindert in das offene Meer. Der US-Bundesstaat Louisiana rief den Notstand aus.
Zahlreiche Fischer und Unternehmen in den Küstenregionen verloren ihre Arbeit. Die
negativen externen Effekte dieses Unglücks sind enorm und in monetären Einheiten kaum zu
beziffern. Auch hier lagen technische Mängel vor.
17
2.2 Der Verhaltenskodex von BP
Exkurs: Die Grundfunktionen eines guten Verhaltenskodex
,,Ein Business Code ist ein unabhängiges Dokument, das von einem Unternehmen und für ein
Unternehmen entwickelt wurde als Richtlinie für die aktuelle und zukünftige Verhaltensweise
seiner Manager und Mitarbeiter."
18
Im Kern gibt diese Definition die wesentlichen Aufgaben
eines vernünftig ausgestalteten Kodex wieder. Ein Kodex ist kein Katalog aus Rechten und
Pflichten. Er gibt lediglich eine Richtlinie für Verhaltensstandards. Er ist nicht statischer,
sondern dynamischer Natur, denn er ist vor allem nicht nur gegenwartsbezogen, sondern
strategisch und langfristig orientiert und sollte von daher anpassungsfähig und flexibel sein.
Die vier Eigenschaften, die einen guten Inhalt auszeichnen, sind:
(1) umfassend
Dies bedeutet, dass ein guter Kodex auf all diejenigen Herausforderungen, mit denen sich das
Unternehmen konfrontiert sieht, eingeht. Das sind u. a. branchenunabhängige wie auch
branchenspezifische Probleme. Ein Chemieunternehmen, das sich nicht mit Umweltprob-
lemen befasst, hat sein Ziel verfehlt. Eine Bank, die Insidergeschäfte ignoriert, hat eine Lücke
15
Vgl. BBC News (2006; S. 1).
16
Vgl. Der Spiegel (2007; S. 1).
17
Vgl. Focus (2010; S. 1) sowie Demonstrare (2010; S. 1).
18
Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 294 Z. 13).

8
im Inhalt ihres Kodex.
19
(2) moralisch vertretbar
Die Tatsache, dass ein Thema erörtert wird, besagt noch lange nichts über dessen Substanz.
Mit anderen Worten sollte die angesprochene Position vertretbar sein, einer moralischen
Prüfung standhalten, und ferner sollte bezüglich der Position allgemeiner Konsens erreicht
werden.
20
(3) authentisch
Ein umfassender und moralisch vertretbarer Code ist noch lange kein guter Code. Solange der
konkrete Bezug zur Unternehmensphilosophie des Unternehmens fehlt, reicht ein einfacher
,,Copy-Paste"-Befehl. Lange Zeit dienten z. B. die Shell Business Principles als Vorlage für
zahlreiche folgende Kodizes. Von daher sollte ein guter Code an die Organisation angepasst
werden: ,,dass er nicht nur etwas aussagt, sondern dass das, was er sagt, auch wesentlich
ist".
21
Der Geist des Unternehmens muss vom Kodex ausgestrahlt werden. Nur dann ist ein
VK auch authentisch.
(4) beherrschbar
Eine vierte und letzte wichtige Eigenschaft eines guten VK ist seine Beherrschbarkeit. Ein
Code kann alle relevanten Belange enthalten, die zudem authentisch und moralisch vertretbar
sind. Ohne deren Eigenschaft der Durchführbarkeit und Praktikabilität ist ein Kodex
unzureichend. Das heißt: Er muss in der Praxis umsetzbar, gut strukturiert, verständlich und
stimmig sein.
22
19
Vgl. Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 295).
20
Vgl. Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 297).
21
Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 300 A. 3 Z. 34).
22
Vgl. Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 301 f.).

9
Der Fokus des Verhaltenskodex von BP liegt auf dem Wert ,,Integrity". Damit ist eine
gezielte Selbststeuerung der MA durch intrinsische Motivation und Schaffung einer
Vertrauenskultur gemeint.
23
,,Große Unternehmen gründen sich auf Vertrauen. Wenn unser
Unternehmen wachsen und gedeihen soll, brauchen wir das Vertrauen unserer Kunden, von
Investoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, des lokalen Umfelds, in denen wir tätig sind,
und im weitesten Sinne der Zivilgesellschaften, deren Teil wir sind."
24
Die Interessengruppen,
die der Verhaltenskodex demnach ansprechen soll, beziehen sich im engeren Sinne auf die
Angestellten, Kunden, Anteilseigner, die Regionen und deren Regierungen, in denen das
Unternehmen tätig ist, und im weitesten Sinne auf die Zivilgesellschaft selbst.
Bindend ist der Kodex jedoch nur für die Mitarbeiter. Die Selbstverpflichtung wird dadurch
erreicht, das jeder einzelne MA bei Verstößen gegen den Kodex mit Disziplinarmaßnahmen
rechnen muss, die bis zur Entlassung führen können: ,,Der Verhaltenskodex ist verbindlich,
ohne jede Ausnahme. Jede und jeder Einzelne bei BP ist dafür verantwortlich, die
Anforderungen des Kodex zu erfüllen. Missachtungen ziehen disziplinarische Maßnahmen
nach sich, die Kündigungen einschließen."
25
Dabei wird ersichtlich, dass Integrität, die Vertrauen generieren soll, ein gesundes Maß an
Compliance voraussetzt. Unter Compliance kann man im engeren Sinne alle Vorkehrungen
eines Unternehmens verstehen, die die gesetzten Standards und Ziele wie z. B. die
Generierung von Vertrauen gewährleisten sollen.
26
Das Compliance-Management bei BP äußert sich in einer Meldepflicht. Die Pflicht zur
Meldung besteht immer dann, wenn der Verdacht auf Verstoß gegen den VK vorliegt. Das
Meldeverfahren kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: Im ersten Schritt sind der/die
unmittelbaren Vorgesetzte/-n oder die Personalabteilung involviert. Zudem wurden
zusätzliche Schiedsstellen wie ,,BP Legal" und die ,,Group Compliance and Ethics"
eingerichtet. Bei ,,Group Compliance and Ethics" handelt es sich um eine unabhängige
Organisation mit Sitz in London, deren Hauptaufgabe in der Sicherstellung und Einhaltung
des Verhaltenskodex liegt. Hat der Meldende jedoch Bedenken, nach der Bekanntgabe von
Verstößen durch seine MA mit Repressalien abgestraft zu werden, gibt es zusätzlich die
Möglichkeit einer anonymen Meldung über die ,,Open Talk"-Hotline oder über
Ombudsstellen. Für den Fall, dass sich der zu Meldende unsicher ist, ob es sich bei dem
Verdacht auch tatsächlich um einen Verstoß handelt, hat BP in seinen Kodex Kontrollfragen
23
Vgl. Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 347).
24
BP (2005; S. 1 Z. 13).
25
BP (2005; S. 1 Z. 1012).
26
Vgl. Wieland, Steinmeyer und Grüninger (2010; S. 18).

10
eingeschaltet, die die Entscheidung des Meldenden vereinfachen sollen:
Ist der betreffende Vorgang legal?
Verletzt er Verpflichtungen oder Zusagen, die Sie eingegangen sind?
Steht er im Einklang mit dem BP Code of Conduct?
Halten Sie es rein gefühlsmäßig für den richtigen Schritt?
Verstößt er gegen die BP-Unternehmenswerte?
Setzt er BP unannehmbaren Risiken aus?
27
Wenn die Fragen 1, 3, 4 mit ,,Ja" und die Fragen 2, 5 und 6 mit ,,Nein" beantwortet werden
können, dann ist die Handlung bzw. die Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt.
Das Ziel dieser Fragen besteht darin, den Sensibilisierungsgrad zu erhöhen. Den Vorgesetzten
wird hierbei eine besondere Rolle unterstellt: Sie sollen mit gutem Beispiel vorangehen und
mit ihrem eigenen, im Sinne des VK, korrekten Verhalten eine Vorbildfunktion übernehmen.
Zusätzlich sollen sie sicherstellen, dass die MA die Anforderungen des Kodex verstehen, die
Einhaltung des VK durch ihre MA überwachen und sie dabei unterstützen, im guten Glauben
Fragen zu stellen und Bedenken zu äußern.
28
Bis hierhin bleibt festzuhalten, dass BP ein
Integrity- und Compliance-Management geschaffen hat, indem mittels diverser Kontroll- und
Disziplinarmaßnahmen Anreize generiert werden, die integres Verhalten der MA
gewährleisten sollen, um langfristig Vertrauen zu schaffen. Für das Management gilt es eine
vertrauensvolle und offene Atmosphäre zu schaffen, in der die MA die Möglichkeit haben
und ermutigt zu werden, Dilemmata und ethische Problemsituationen offen anzusprechen und
zu diskutieren.
Die wesentlichen Punkte des VK sind, beginnend mit den branchen- sowie unternehmens-
spezifischen Risiken, der sog. HSSE(Health, Savety, Security, Environment)-Standard.
Hierbei stehen Aspekte wie die Schaffung eines sicheren Arbeitsumfelds, die Befolgung von
Sicherheitsvorschriften und die Verringerung der negativen Auswirkungen auf die Umwelt im
Vordergrund.
29
BP gibt dabei eine Vielzahl von Richtlinien und Spielregeln vor, an denen
sich die MA orientieren können. Anbei folgt immer ein geeignetes Beispiel eines
fragwürdigen Verhaltens mit der korrekten Antwort darauf. Dies soll dazu dienen, den MA
die Sachverhalte besser zu verdeutlichen und deren Entscheidungsfindung zu vereinfachen.
30
,,Um ihre HSSE-Vorgaben umzusetzen, hat BP das HSSE-Rahmenwerk ,,Getting HSSE right"
als Grundlage für lokale HSSE-Managementsysteme entwickelt. Dieses Rahmenwerk
27
Vgl. BP (2005; S. 7).
28
Vgl. BP (2005; S. 6).
29
Vgl. BP (2005; S. 12).
30
Vgl. BP (2005; S. 1517).

11
erleichtert es den zuständigen Führungskräften, sich auf die wichtigsten HSSE-
Anforderungen zu konzentrieren, erforderliche Ressourcen zu planen und bereitzustellen,
HSSE-Aktivitäten zu steuern und die HSSE-Bilanz kontinuierlich zu verbessern."
31
Um
zusätzlich Transparenz und Vertrauen zu schaffen, veröffentlicht BP jährlich sog. Nachhaltig-
keitsberichte, die über verschiedene ökologische, ethische und ökonomische Kennzahlen und
Umweltbilanzen den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens illustrieren sollen.
32
In den nächsten Punkten des VK geht es um branchenunabhängige Probleme wie z. B. um den
korrekten Umgang mit den Angestellten. ,,BP ist ein global operierender Konzern mit ca.
100 000 Angestellten in über 100 Ländern. Die kulturelle Vielfalt unserer Belegschaft gehört
zu unseren größten Stärken und wir betrachten jeden Mitarbeiter als wichtiges Mitglied
unseres weltweiten Teams."
33
Die Mitarbeiter sind der Motor eines Unternehmens. ,,Alle
Angestellten haben Anrecht auf die Respektierung ihrer Menschenwürde und auf die
Wahrung ihrer Interessen."
34
Um diese Grundsätze zu gewährleisten, verpflichtet der Kodex
das Unternehmen u. a. dazu, Teamarbeit und Diversity zu fördern, gegenseitiges Vertrauen
aufzubauen, eine gleiche und gerechte Behandlung zu gewährleisten, indem niemand
diskriminiert wird, Datenschutz und Vertraulichkeit zu generieren und aktiv gegen Kinder-
und Zwangsarbeit vorzugehen.
35
Dabei geht der Kodex auf jeden dieser Aspekte sehr
detailliert ein. Dies sei am Beispiel ,,Gleichstellung und gerechte Behandlung" verdeutlicht:
Zunächst wird immer ein angestrebter Soll-Zustand beschrieben: ,,BP strebt ein Arbeitsklima
an, das durch gegenseitiges Vertrauen und Respekt gekennzeichnet ist, in dem Diversity &
Inclusion geschätzt werden [...]"
36
Im Anschluss werden dann die Mittel genannt, also die
,,Spielregeln", mit denen das gesetzte Ziel erreicht werden soll. Diese Spielregeln geben den
MA und Vorgesetzten richtungsweisend vor, was zu tun und zu unterlassen ist. Eine
,,Grundregel" lautet z. B. Fachkräfte immer nur auf Basis ihrer Eignung und Qualifikation
einzustellen und zu versuchen gleichzeitig, Kontraktoren oder Dritte, mit denen das
Unternehmen geschäftliche Beziehungen pflegt, von diesen Grundregeln zu überzeugen.
37
Dieser Punkt ist gleichzeitig ein sehr wichtiger, da mit dem Kodex versucht wird,
unternehmensübergreifend alle Vertragspartner mit ins Boot zu holen und von den
unternehmenseigenen Grundsätzen zu überzeugen. Um den Regeln auch Tragweite zu
31
BP (2005; S. 17 Z. 18).
32
Vgl. BP (2012b; S. 4 f.).
33
BP (2005; S. 20 Z. 14).
34
Leisinger (1997; S. 188 A. 2 Z. 13).
35
Vgl. BP (2005; S. 18).
36
BP (2005; S. 20 A. 2 Z. 14).
37
Vgl. BP (2005; S. 20).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863419356
ISBN (Paperback)
9783863414351
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
orthogonale Positionierung Datenschutz Mineralölkonzern Umweltschutz Chancengleichheit Korruption Kartell

Autor

Diplomvolkswirt Christian Freytag, 1983 in Wolfen geboren, schloss sein Studium 2012 an der Martin-Luther-Universität erfolgreich ab. Schwerpunkte seines Studiums waren volkswirtschaftlich geprägte Fächer in Theorie und Politik. Dabei lag der Fokus im Hauptstudium auf dem Bereich Geld und Währung und Controlling. Seine Abschlussarbeit absolvierte er am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik.
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