Außerschulisches Lernen im Museum: Beispiel des Heinz Nixdorf MuseumsForums in Paderborn
©2010
Examensarbeit
73 Seiten
Zusammenfassung
In der heutigen Zeit ist es für Schüler immer schwieriger, Primärerfahrungen zu sammeln. Vielfach fehlt Eltern die Zeit, die Motivation oder das Gespür für die Notwendigkeit von Erfahrungen ihrer Kinder jenseits von Schule, Computer und Massenmedien. Ihrem Bildungsauftrag folgend sollte die Schule versuchen, den Schülern im entsprechenden didaktischen Rahmen Erfahrungen zu ermöglichen, die für die persönliche Entwicklung von so immenser Wichtigkeit sind wie das aktive Erleben der eigenen Umwelt und Lebenswirklichkeit. Hat die Schule es durch den Besuch außerschulischer Lernorte einmal geschafft, das oft passive Konsumieren von Unterrichtsinhalten durch die Schüler in wahres Interesse zu verwandeln, ergeben sich positive Effekte für den Unterrichtsalltag. Es entsteht auch im Klassenraum ein völlig neues Unterrichtsklima, das nicht nur die Leistungen der Schüler verbessert, sondern auch Lehrern einiges an Belastungen abnehmen und so die Arbeit vereinfachen kann.
Diese Arbeit bietet am Beispiel des Heinz Nixdorf MuseumsForums in Paderborn Lehrerinnen und Lehrern einen Überblick über notwendige Vorüberlegungen sowie die Planung und mögliche praktische Durchführung von Museumsbesuchen im Rahmen des Unterrichts. Es werden aus der zahlreichen Fachliteratur zentrale Ansätze vorgestellt und kommentiert, um eine hohe Praxistauglichkeit zu gewährleisten.
Diese Arbeit bietet am Beispiel des Heinz Nixdorf MuseumsForums in Paderborn Lehrerinnen und Lehrern einen Überblick über notwendige Vorüberlegungen sowie die Planung und mögliche praktische Durchführung von Museumsbesuchen im Rahmen des Unterrichts. Es werden aus der zahlreichen Fachliteratur zentrale Ansätze vorgestellt und kommentiert, um eine hohe Praxistauglichkeit zu gewährleisten.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Der Lehrer nimmt den Bach durch.
Er zeigt ein Bild.
Er zeichnet an die Wandtafel.
Er beschreibt.
Er schildert.
Er erzählt.
Er schreibt auf.
Er diktiert ins Heft.
Er gibt eine Hausaufgabe.
Er macht eine Prüfung.
Hinter dem Schulhaus fließt munter der Bach vorbei.
Vorbei.
Heinrich Schulmann
1
1 Einleitung
Diese Zeilen Heinrich Schulmanns sind vor mehr als 30 Jahren entstanden.
Aber bis heute ist in den Köpfen von Eltern, Lehrern und Schülern
2
das
Bild des lehrerzentrierten Unterrichts wach geblieben. Zwar ist der Unter-
richt schon lange nicht mehr nur lehrerzentriert, aber auch das methodische
Grundproblem hat sich nicht so sehr verändert wie dies wünschenswert wäre:
so schreibt oder zeichnet der Lehrer heute oft nicht mehr an die Wandtafel,
sondern nutzt stattdessen eine Powerpoint-Präsentation über den Bach als
Medium. Trotz der methodischen Probleme, die diese Art der Unterrichtsge-
staltung mit sich bringt, hat sich erst in den letzten Jahren die Erkenntnis
durchgesetzt, dass außerschulische Lernorte, wenn sie bedacht in einer Unter-
richtsreihe eingesetzt werden und so den entsprechenden didaktischen Rah-
men erhalten, eine sehr sinnvolle Ergänzung zum Unterricht im Klassenraum
sind. In der heutigen Zeit ist es für Schüler immer schwieriger, Primärer-
fahrungen zu sammeln. Vielfach fehlt Eltern die Zeit, die Motivation oder
das Gespür für die Notwendigkeit von Erfahrungen ihrer Kinder jenseits von
Schule, Computer und Massenmedien. Ihrem Bildungsauftrag folgend sollte
die Schule versuchen, den Schülern im entsprechenden didaktischen Rahmen
Erfahrungen zu ermöglichen, die für die persönliche Entwicklung von so im-
1
nach: Jürg Schüpbach: Nachdenken über das Lehren: Vorder- und Hintergründiges zur
Didaktik im Schulalltag, Bern: Haupt,
3
2007, S. 42.
2
Im Folgenden wird das generische Maskulinum Schüler genutzt, um sowohl das weibli-
che wie auch das männliche Geschlecht zu repräsentieren. Dieses gilt selbstverständlich
analog für alle weiteren generischen Maskulina.
1
menser Wichtigkeit sind wie das aktive Erleben der eigenen Umwelt und Le-
benswirklichkeit. Hat Schule es durch den Besuch außerschulischer Lernorte
einmal geschafft, das oft passive Konsumieren von Unterrichtsinhalten durch
die Schüler in wahres Interesse zu verwandeln, ergeben sich positive Effekte
auf den Unterrichtsalltag. Es entsteht auch im Klassenraum ein völlig neu-
es Unterrichtsklima, das nicht nur die Leistungen der Schüler verbessern,
sondern auch Lehrern einiges an Belastungen abnehmen und so die Arbeit
vereinfachen kann.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich untersuchen, inwieweit es sich das
Heinz Nixdorf MuseumsForum
3
in Paderborn als außerschulischer Lernort
eignet. Dazu werden folgende Leitfragen herangezogen:
1. Was bedeutet außerschulischer Lernort?
2. Was macht ein Museum aus?
3. Welche Möglichkeiten bietet das Heinz Nixdorf MuseumsForum als au-
ßerschulischer Lernort?
Aus diesen Fragen ergibt sich das weitere Vorgehen. Dazu wird zuerst der Ter-
minus außerschulischer Lernort definiert und in Verbindung zu den Richtlini-
en und Lehrplänen für das Fach Geschichte in der Sekundarstufe II gesetzt.
Es wird die Frage beantwortet, warum sowohl Reformpädagogik als auch heu-
tige Pädagogik außerschulische Lernorte für sinnvoll erachten. Ebenso wird
die Geschichte der Museen skizziert und die unterschiedlichen Museumsar-
ten werden erläutert, um die Frage zu beantworten, warum Museen sich als
außerschulische Lernorte eignen.
Danach wird zunächst das Heinz Nixdorf MuseumsForum in seiner spezi-
ellen Form als museale Institution vorgestellt und beschrieben. Es wird die
Entstehung des Museums und seine Konzeption untersucht. Hierbei bilden
insbesondere die Dauerausstellung und das umfangreiche museumspädago-
gische Angebot einen Schwerpunkt der Erläuterungen.
Anhand der Planung und Durchführung des Besuchs dieses außerschu-
lischen Lernorts wird der Nutzen des HNF als didaktisch sinnvoller, au-
ßerschulischer Lernort untersucht. Es werden Informationen zu rechtlichen
Aspekten, die bei Unterrichtsgängen beachtet werden müssen, gegeben. Die
unterschiedlichen Möglichkeiten des methodischen Einsatzes eines Unter-
richtsgangs innerhalb einer Unterrichtsreihe werden ebenfalls beschrieben.
3
Statt Heinz Nixdorf MuseumsForum wird im Folgenden die der Corporate Identity entspre-
chende Abkürzung HNF gleichbedeutend verwendet.
2
Der methodische Dreischritt findet dabei ebenso Beachtung wie die Frage, in-
wieweit das Heinz Nixdorf MuseumsForum Klassenfahrten beziehungsweise
Besuche durch Schulklassen unterstützt und fördert.
Jedoch muss auch klar sein, dass der Besuch eines außerschulischen Lern-
orts nur eine Ergänzung des Klassenunterrichts sein kann, aber kein Allheil-
mittel für dort auftretende Probleme ist. Auch der Besuch eines außerschuli-
schen Lernorts ist mit Problemen und Grenzen behaftet.
Das abschließende Fazit besteht aus einer Zusammenstellung der her-
ausgearbeiteten Ergebnisse und liefert einen kurzen Ausblick auf zukünftige
Möglichkeiten.
2 Grundlagen
2.1 Begriffserklärungen
Bereits in der Einleitung ist oft die Bezeichnung außerschulischer Lernort
gefallen. Allerdings ist es notwendig, diesen Terminus, insbesondere für die
weitergehende Betrachtung des Stellenwerts von Museen als außerschulische
Lernorte, genauer zu definieren und abzugrenzen. Vordergründig betrachtet
erscheint diese Definition recht einfach. So gibt auch Fritz M. Kaths Ausfüh-
rung wenig konkreten Anhalt:
Der Mensch kann an allen Orten lernen, und diejenigen, an denen
er wirklich lernt, werden für ihn zu Lernorten, unabhängig davon,
ob das Lernen gewollt bzw. gesollt ist oder nicht.
4
Lernen kann selbstverständlich nicht nur in der Schule oder der Universität
stattfinden, sondern natürlich auch außerhalb in der Freizeit, der Familie,
in Museen und sogar im Internet. Folgt man der Annahme des sogenann-
ten lebenslangen Lernens, müssen die Orte, an denen Lernen stattfindet, so-
gar außerhalb der klassischen Bildungseinrichtungen liegen. Allerdings ist
fraglich, ob deshalb jeder Ort außerhalb eines Schulgebäudes automatisch
einen außerschulischen Lernort darstellen kann. Insbesondere in Werbung
und Marketing ist der Begriff des außerschulischen Lernorts in den letzten
Jahren vermehrt anzutreffen. So werden im Rahmen der immer wiederkeh-
renden Forderung nach mehr Lebensnähe beziehungsweise -wirklichkeit in
4
Kath, Fritz M. zitiert nach Silke Traub: Das Museum als außerschulischer Lernort für
Schulklassen. Eine Bestandsaufnahme aus der Sicht von Museen und Schulen mit praxi-
serprobten Beispielen erfolgreicher Zusammenarbeit, Hamburg: Verlag Dr. Kovac, 2003.
3
der Schule und im Unterricht schnell sogar Freizeitparks zu solchen Lernor-
ten, da sie ihren bildenden oder lehrenden Charakter besonders hervorheben.
Allerdings sind Alltagssituationen und Lernorte, die eine aktive Auseinan-
dersetzung der Schüler mit der Thematik nicht fordern, natürlich nicht als
Lernort qualifiziert, so schreibt 1992 das Journal zur Gestaltung des Schulle-
bens und Öffnung von Schule.
5
Es stellt also vor allem die Selbstständigkeit
der Schüler ein wichtiges Kriterium zur Erkennung eines außerschulischen
Lernorts dar. Die Schüler sollen selbsttätig einen Teilbereich des Wissens er-
schließen und gestalten. Eine Interaktion zwischen Schüler und Lernort ist
also unerlässlich.
Es gibt neben diesen noch viele weitere mehr oder weniger differenzierte
Definitionen außerschulischer Lernorte. Ob ein Lernort außerhalb des Klas-
senraums aber einen qualifizierten außerschulischen Lernort darstellt, hängt
nicht nur vom Ort an sich, sondern auch von den gewünschten Lernzielen ab.
Hierzu gibt das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung eine Hilfestel-
lung in Form eines Kriterienkatalogs:
6
Gute außerschulische Lernorte sind in ihrem Nutzen für eine Unterrichts-
reihe nicht auf bestimmte Fragestellungen begrenzt, sondern liefern verschie-
dene Möglichkeiten der Auseinandersetzung, die wiederum bei den Besuchern
Neugier wecken. Durch ihren Aufbau fordern und fördern sie gemeinsames
Lernen. Sie bieten verschiedene Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit
den Fragestellungen, so dass Schüler lernen, mit verschiedenen Verfahren
und Arbeitsformen Antworten zu finden. Die guten, qualifizierten außerschu-
lischen Lernorte fordern von den Schülern einen ernsthaften Umgang mit
dem entsprechenden Thema und lassen Schlüsse zu, ob das Erlernte auf an-
dere Situationen der Lebenswirklichkeit übertragbar ist. An diesen Lernorten
finden sich oftmals Experten, die den Schülern nicht nur Auskunft geben kön-
nen, sondern auch bei ihrem Erlebnis beratend und anleitend zur Seite ste-
hen, ihnen Hintergrundinformationen oder Hilfestellung geben können und
so dazu beitragen, dass neue konkrete Erfahrungen gemacht werden können.
Von besonderer Wichtigkeit ist für das Landesinstitut für Schule und Wei-
terbildung auch die Vorbereitung und didaktische Aufbereitung der außer-
schulischen Erfahrung. Vorgeschlagen werden hier Methoden, die dem me-
thodischen Dreischritt in Kapitel 5.3 entsprechen. So gehört zur Vorberei-
tung neben der Erarbeitung von Recherche- und Beobachtungsverfahren auch
5
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung [Hrsg.]: Journal zur Gestaltung des Schulle-
bens und Öffnung von Schule. Wann ist ein ,,Lernort" ein Lernort?, Soest 1992, S. 2.
6
Ebd.
4
die Einführung in Dokumentations- und Ergebnissicherungstechniken, so-
weit diese nicht bereits bekannt sind. Im Sinne der Selbstkontrolle und Re-
flexion sollte zum Abschluss kritisch hinterfragt werden, was erreicht wurde
und welche Fragen noch offen sind oder welche Verbesserungen bei ähnlichen
Besuchen möglich sein könnten.
Sauerborn und Brühne gehen in ihren Anforderungen noch einen Schritt
weiter. Sie sehen die Möglichkeit, Schülern der Sekundarstufe II gar ein er-
weitertes Ablaufschema an die Hand zu geben, damit diese ihre Erfahrun-
gen durch noch mehr Selbstständigkeit aufwerten können. Dieses erweiterte
Ablaufschema findet sich in Anhang A.
7
Als ein weiteres Ziel des Besuchs
eines außerschulischen Lernorts sehen sie im Sinne der politischen Bildung
die Vorbereitung der aktiven Partizipation an der Gesellschaft. Hierfür bieten
sich natürlich insbesondere politische Institutionen, Schüleraustausch oder
der Besuch eines Museums, das die entsprechenden Möglichkeiten bietet, an.
Im Laufe der stetigen Weiterentwicklung der Gesellschaft und der Päd-
agogik hat sich auch die Bedeutung außerschulischer Lernorte für das Unter-
richtsgeschehen verändert.
2.2 Außerschulische Lernorte in der Reformpädagogik
Die Idee, die Klassenzimmer zum Lernen zu verlassen und so das Erlebnis
Lernen möglich zu machen, ist nicht neu. Schulunterricht folgte viele Jahre,
ja gar Jahrhunderte lang ähnlichen Schemata. Gelehrt wurde hauptsächlich
im Frontalunterricht. Die Lehrer stellten Fragen und versuchten, Buchwissen
durch ständige Wiederholung in die Köpfe der Schüler zu verpflanzen. Den In-
teressen und Bedürfnissen der Schüler wurde dabei sehr wenig Raum gege-
ben. Ihre Aufgabe war es, ohne eigenes Handeln Wissen zu speichern und vie-
les stumpf auswendig zu lernen. Aber bereits zur Zeit der Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert forderten Anhänger der neu aufkommenden Reformpädago-
gik wie Rousseau oder Freinet ,,eine Schule, die nicht nur Unterrichtsinhalte
,vermittelt`, sondern gleichzeitig eine erziehende und eine soziale Funktion
wahrnimmt. [Sie] gehen von einem Schulalltag aus, in dem die intellektuelle
Förderung, die künstlerische Bildung, Sport und Spiel, soziales Lernen und
manuelle Arbeit in einer bestimmten Anordnung sich abwechseln und ergän-
7
vgl. Petra Sauerborn/Thomas Brühne: Didaktik des außerschulischen Lernens, Baltmanns-
weiler: Schneider Verlag Hohengehren,
1
Okt. 2007, S. 32.
5
zen und gleichberechtigt zur Erziehung und Bildung beitragen."
8
Die Schüler
sollten anfangen, nicht nur am Unterricht teilzunehmen, sondern ihn zu erle-
ben. Sie sollten anfangen, sich im Unterricht aktiv mit sich selbst und ihrer
Umwelt auseinander zu setzen. Und wo sollte dies einfacher möglich sein als
in der realen Welt außerhalb des Klassenzimmers? Die Idee vom außerschuli-
schen Lernort war zwar nicht neu, wurde aber lauter und intensiver gefordert
und gefördert als jemals zuvor.
Ein Vertreter der reformpädagogischen Bewegung war der US-Amerika-
ner John Dewey. Er forderte nicht nur außerschulisches Lernen, sondern setz-
te sich auch aktiv dafür ein, dass das Lernen seiner Schüler auf selbst ge-
machten Erfahrungen fußte. Dafür gründete er zusammen mit seiner Frau
1896 eigens eine Laborschule in Chicago. Diese stellt auch das Vorbild für die
von Professor Dr. Hartmut von Hentig gegründete Laborschule in Bielefeld
dar. Dewey forderte eine Abschaffung der Autorität des Lehrers, um ihn zu ei-
nem Mitarbeiter der Schüler bei der Sammlung von Erfahrungen zu machen.
Exkursionen waren an Deweys Schule an der Tagesordnung. Wann immer die
Schüler in der Schule waren, standen ihnen verschiedene Lernumgebungen
wie Bibliotheken, Werkstätten, der Schulgarten und vieles mehr zur Verfü-
gung. Viele dieser Ideen John Deweys tauchen heute unter dem Schlagwort
,,Öffnung von Schule" wieder auf. Hierbei soll sich Schule näher mit ihrem
Umfeld befassen und ,,zur Erfüllung des schulischen Bildungs- und Erzie-
hungsauftrages und bei der Gestaltung des Übergangs von den Tageseinrich-
tungen für Kinder in die Grundschule zusammen[arbeiten] [. . .] und Hilfen
zur beruflichen Orientierung geben."
9
2.3 Außerschulische Lernorte in der heutigen Pädagogik
Die Diskussion um Unterricht und Lernen außerhalb der Klassenzimmer ist
also auch heute noch aktuell. Noch immer haben Schulen, die streng nach den
Konzepten der Reformpädagogen lehren und leben, eine große Schülerschaft.
So können auch diese Schulen mit ihren Ideen und Prinzipien ständig die
Entwicklung der Lehrpläne und Richtlinien beeinflussen. Für das Ministeri-
um für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen zählt zu
8
Cristina Allemann-Ghionda: Ganztagsschule ein Blick über den Tellerrand, in: Neue
Chancen für die Bildung. Jahrbuch 2004, Schwalbach/Ts.: WOCHENSCHAU Verlag, 2003,
S. 206 216, S. 213.
9
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen [Hrsg.]: Schul-
gesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezem-
ber 2009, Düsseldorf 2009, §5.
6
den wichtigen Gesichtspunkten der Weiterentwicklung von Richtlinien und
Lehrplänen auch die Unterstützung des selbstständigen Lernens:
Lernprozesse, die nicht nur auf kurzfristige Lernergebnisse zie-
len, sondern die dauerhafte Lernkompetenzen aufbauen, müssen
gestärkt werden. Es sollten deutlicher Lehr- und Lernsituationen
vorgesehen werden, die selbstständiges Lernen und Lernen in der
Gruppe begünstigen und die Selbststeuerung des Lernens verbes-
sern.
10
Zu diesen bereits aus der Reformpädagogik bekannten Ideen und Vorstel-
lungen kommt eine sich verändernde Lebenswirklichkeit der Schüler hinzu.
Fernsehen, Computer und Internet, die gefühlte Verpflichtung zur ständigen
Kommunikation mit Hilfe von Handy, Internet und sozialen Netzwerken und
vieles mehr prägen den Alltag der Schüler. Es bleibt kaum noch Platz für
Primärerfahrungen in der Natur oder an Originalschauplätzen. Viele Sach-,
Sozial- und Selbsterfahrungen werden häufig nur noch in der Theorie oder
durch Berichte Dritter gemacht. Wozu soll man heute noch die historische
Altstadt besuchen, wenn diese sich genauso gut virtuell bei Google StreetView
betrachten lässt oder ein Facebook-Freund sein Fotoalbum mit Kommentaren
zur Verfügung stellt?
Natürlich darf man den Nutzen dieses technischen Fortschritts nicht un-
terschätzen oder gar unterbewerten, aber trotzdem erfordert handlungsori-
entiertes, wissenschaftspropädeutisches Lernen auch immer die persönliche
Auseinandersetzung mit Informationen. Psychologische Untersuchungen zei-
gen schon lange, dass Lernen nicht nur über einen isolierten Sinn stattfin-
den kann. Vielmehr ist es notwendig, Sinneswahrnehmungen, Gefühle und
Erfahrungen zu verknüpfen, um ein anhaltendes Lernergebnis sicherzustel-
len. Hierfür sind authentische Erfahrungen außerhalb der Lehrbücher und
Lehrer- oder Schülerreferate unabdingbar. Damit also eine praktische Wirk-
lichkeitswahrnehmung und -begegnung stattfinden kann, kommt außerschu-
lischen Lernorten eine besondere Rolle zu:
Exkursionen und Studienreisen, Archiv-, Museums- und Ausstel-
lungsbesuche, Stadtrundfahrten und (z. T. alternative) Stadtrund-
gänge sind Organisationsformen des Geschichtsunterrichtes, die
10
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen [Hrsg.]: Richt-
linien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II Gymnasium/ Gesamtschule in Nordrhein-
Westfalen. Geschichte, Düsseldorf/ Frechen: Ritterbach Verlag, 1999, Vorwort von Gabrie-
le Behler, Ministerin für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Lan-
des Nordrhein-Westfalen.
7
historische Themen durch die Arbeit an und mit möglichst origina-
len historischen Zeugnissen außerhalb der Schule erschließen.
11
Unter diesen außerschulischen Lernorten nehmen Museen, insbesondere im
Geschichtsunterricht, eine besondere Rolle ein, denn
[. . .] in dem Maße, in dem die Präsentation von Objekten Anlass
zu Fragen, von Neugier und Interesse ist und nicht nur die Illu-
sion einer vermeintlich bekannten und feststehenden Geschichte,
entwickeln sich viele Museen auch in einer gewissen Kultur- und
Medienkonkurrenz zu Foren der Geschichtskultur (z. B. in Form
von Vorträgen, Diskussionen, Sonderausstellungen, Exkursionen,
Spiel- und Projekttagen, dem Bereitstellen von Praktikumsplät-
zen), die im Rahmen des Geschichtsunterrichts der gymnasialen
Oberstufe langfristigere und fest institutionalisierte Möglichkei-
ten der Kooperation bieten können.
12
Diese Möglichkeiten der Kooperation von Schule und Museen als außerschu-
lischen Lernorten eröffnen sowohl für Schüler, aber auch für Lehrer, völlig
neue Lehr- und Lernfelder. Didaktisch richtig eingebettet kann ein Museums-
besuch die Effizienz und Nachhaltigkeit einer Unterrichtsreihe sehr positiv
beeinflussen. Um allerdings das passende Museum für einen solchen Besuch
zu finden, ist es notwendig, die Geschichte der Museen und ihre unterschied-
lichen Ausrichtungen zu kennen und entsprechend anzuwenden.
3 Das Museum
3.1 Historischer Überblick und Definition
Um sich eingehender mit dem Museum als außerschulischem Lernort be-
schäftigen zu können, ist es unabdingbar, diese Institution und ihre Geschich-
te zuerst näher zu betrachten. In einem kleinen historischen Abriss wird nun
ein Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Institution Museum
gegeben.
Die Bezeichnung Museum ist dem lateinischen museum entlehnt, was Stu-
dierzimmer oder Ort gelehrter Beschäftigung bedeutet.
13
Dieses geht wieder-
11
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen [Hrsg.]: RuL
Geschichte Sek. II Gym/ Ges (wie Anm. 10), S. 65.
12
Ebd., S. 66.
13
Friedrich Kluge/Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Ber-
lin: Walter de Gryter,
23
1996, S. 567.
8
um hervor aus dem griechischen
mouse~ion
(museion), was Ort der Musenvereh-
rung bedeutet. In der Antike war jede Stätte, an der die griechischen Göttinen
der Kunst und Wissenschaft, die Musen, verehrt wurden ein
mouse~ion
.
14
Aus
der Verbindung eben dieses Musenheiligtums und einer Lehrstätte erklärt
sich auch das
mouse~ion
der platonischen Akademie.
15
An diesem Ort vereinen
sich der Musenkult und die gelehrte Beschäftigung: in der Wandelhalle Peri-
patos wurde beim Umhergehen diskutiert und unterrichtet, denn eben dieses
gemeinsame Forschen und die Musenverehrung waren integraler Bestandteil
der platonischen Schule.
Mit Beginn der Renaissance und der damit verbundenen Wiederentde-
ckung der antiken Ideale und Künste begann auch die Entwicklung erster
(Kunst-)Sammlungen. Nicht nur der Adel, sondern auch die neue Schicht
des Bürgertums begannen, ganz im Sinne der humanistischen Ideale, wieder
Sammlungen von Statuen, Büsten, Bildern und antiken Gegenständen anzu-
legen. Obwohl bereits der Humanist Paolo Giovio 1546 den ersten gedruckten
Museumskatalog über einen Teil seines Hauses herausgebracht hatte, gilt Lo-
renzo de Medici als der erste, der wieder den Begriff Museum für seinen Sta-
tuengarten in Florenz gebrauchte. Neben diesen Statuen besaß er Gemälde,
Edelsteine und Musikinstrumente.
16
Durch die Entdeckung der Neuen Welt
und die von dort mitgebrachten, bisher unbekannten Tiere, Pflanzen, Gestei-
ne oder Kunstobjekte wurden diese Gegenstände nicht mehr nur Teil von Ku-
riosenkabinetten oder Kunst- und Wundersammlungen, sondern wurden ins-
besondere von Wissenschaftlern, Ärzten und Apotheken gesammelt.
17
Das Museum schuf einen Raum, innerhalb dessen die klassischen
Problemata der Naturphilosophie mittels des Sammelns und Ver-
gleichens von Daten sowie der Wiederholung bereits beschriebener
Experimente der Probe unterworfen werden konnten.
18
Im 17. und 18. Jahrhundert beginnt die Zeit der großen bürgerlichen
14
Walter Hasso Groß: Museion, in: Konrat Ziegler [Hrsg.]: Der Kleine Pauly. Lexikon der An-
tike. 5 Bde. in Kassette, Bd. 3, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1979, Sp. 1482
1485, Sp. 1482.
15
Heinrich Dörrie: Peripatetiker, in: Konrat Ziegler [Hrsg.]: Der Kleine Pauly. Lexikon der
Antike. 5 Bde. in Kassette, Bd. 4, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1979, Sp. 639,
Sp. 639.
16
vgl. Friedrich Waidacher: Handbuch der allgemeinen Museologie, Wien: Böhlau, 1993.
17
Paula Findlen: Die Zeit vor den Laboratorien: Die Museen und der Bereich der Wissen-
schaft 15501750, in: Andreas Grote [Hrsg.]: Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt der
Stube Zur Geschichte des Sammelns 14501800, Opladen: Leske + Budrich, 1994,
S. 191207, S. 191.
18
Ebd., S. 194.
9
Sammlungen und ersten Museen. Hier bekommt das Museum aus der Sicht
der Aufklärung und der Befreiung aus der Kant'schen selbstverschuldeten
Unmündigkeit einen völlig neuen Stellenwert. Das Museum wandelt sich
von einem Ort der musealen Leidenschaft und Prestigepflege einiger we-
niger Adliger zu einem Ort der Öffentlichkeit. Das museale Wissen wird
demokratisiert und den Massen zugänglich gemacht. Allerdings sollte man
diese Entwicklung keinesfalls gleichsetzen mit unserer heutigen Vorstel-
lung eines öffentlichen Museums. Das Museum emanzipierte sich im 17.
und 18. Jahrhundert von einem notwendigen Bestandteil jedes größeren
Residenzschlosses zur Institution.
19
Das Museum wurde zunehmend in die
staatliche Organisation eingebunden und seine Stellung und Aufgabe in eben
diesem Staat auch theoretisch erörtert. Es wurden Auswahl- und Restaura-
tionsprinzipen entwickelt und festgelegt. Erste Ansätze von Vermittlungs-
und Didaktikformen hielten ebenfalls Einzug. Das Museum bekam seinen
eigenen, spezifischen Verwaltungsapparat.
20
Im Jahr 1753 wurde in Lon-
don durch einen Parlamentsbeschluss die Bibliothek und wissenschaftliche
Sammlung des Hofarztes Sir Hans Sloane aufgekauft und in das öffentliche
British Museum umgewandelt.
Im späten 18. Jahrhundert bildeten sich im Zuge der immer genauer und
differenzierter werdenden Wissenschaften auch neue Museumsarten heraus.
Neben der Gemäldegalerie entstand auch das Geschichtsmuseum als neue
Form. Nachdem die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts Deutsch-
land erreicht hatte, entstanden ebenfalls die Gewerbemuseen, die Gewerbe-
oder Industrieprodukte zur Schau stellten. Grund für diese Entwicklung ist
mit Sicherheit der veränderte Zeitgeist als Folge der Industrialisierungs- und
Fortschrittseuphorie.
21
Das Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und
Technik, kurz Deutsches Museum, wurde 1903 in München gegründet. Als
Vorbilder dienten dem Gründer Oscar von Miller das British Museum of
Natural History in London und das Conservatoire des arts et métiers in
Paris. Dieses Museum gilt als absolut bahnbrechend für den Typus des Tech-
nikmuseums, da es neben qualitativ sehr hochwertigen Exponaten seinen
Besuchern auch erstmals Interaktivität bot. Die Ausstellung war so geplant
19
vgl. Waidacher: allg. Museologie (wie Anm. 16), S. 86.
20
vgl. Heidi Hense: Das Museum als gesellschaftlicher Lernort. Aspekte einer pädagogischen
Neubestimmung, Frankfurt/ Main: extrabuch Verlag, 1990, S. 27.
21
Friedrich Klemm: Geschichte der naturwissenschaftlichen und technischen Museen, in:
Deutsches Museum [Hrsg.]: Abhandlungen und Berichte 2 (1973), S. 47.
10
worden, dass den Besuchern neben den Objekten auch Bilder, eindringliche
Beschriftungen und Demonstrationsobjekte zur Veranschaulichung der Funk-
tionsweise von Naturvorgängen oder Exponaten geboten werden konnten.
Oscar von Miller hatte ein unterhaltsames, volksnahes und volksbildendes
Museum gefordert, das durch die Rekonstruktion der allgemeinen histori-
schen Situation den Besuchern Hintergrundwissen zu den Exponaten liefern
sollte.
22
Bezeichnend für das heutige Museum ist die weitere Ausdifferenzierung
der Museumsberufe. Nicht nur wurden Museumskonzeptionen professionali-
siert und verwissenschaftlicht, Museen betreiben heute auch aktive Öffent-
lichkeitsarbeit und unterhalten ein eigenes Management. Vor allem in den
letzten Jahrzehnten wurde diskutiert, welchem Funktions- und Wertewandel
sich Museen im 21. Jahrhundert stellen müssen.
23
Welche zentralen Aufgaben ein Museum in der heutigen Zeit erfüllen soll,
beschreibt die Definition des International Council of Museums.
24
Dieser De-
finition
25
zufolge ist ein Museum
eine nicht gewinn-orientierte, permanente Institution im Dienst
der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die der Öffentlichkeit
zugänglich ist, und die materielle und immaterielle Zeugnisse
der Geschichte der Menschheit und ihrer Umwelt zum Zweck
der Bildung, des Studiums und der Freude erwirbt, konserviert,
erforscht, vermittelt und ausstellt.
Da diese Statuten allerdings nicht bindend sind, fordern die Museumsverant-
wortlichen in Deutschland bereits seit Jahren einen Schutz des Museumsbe-
griffs oder zumindest allgemein formulierte Standards. Eine Intiative hierzu
kam unter anderem vom früheren Präsidenten des Deutschen Museumsbun-
des, Wolfgang Klausewitz, der bereits 1978 eine Definition des Museumsbe-
griffs formulierte. Diese Formulierung
26
ähnelt sehr der Definition des ICOM:
22
vgl. Wilhelm Füßl: Oskar von Miller. 18551934. Eine Biographie, München: C.H. Beck,
2005.
23
vgl. Helena Friman: Unkonventionelle Methoden Das Museum als Teil der Stadt, in:
Deutscher Museumsbund e.V. [Hrsg.]: Museumskunde 74 (2009), S. 5356.
24
International Council of Museums wird im Folgenden entsprechend der Corporate Identity
als ICOM abgekürzt.
25
International Council of Museums [Hrsg.]: Statuten, http://icom.museum/statutes.html,
(besucht am 11. 05. 2010), übersetzt aus dem Englischen von O. Kraatz.
26
Wolfgang Klausewitz: Was ist ein Museum?, in: Deutscher Museumsbund e.V. [Hrsg.]: Mu-
seumskunde 43 (1973).
11
1. Ein Museum ist eine von öffentlichen Einrichtungen oder von
privater Seite getragene, aus erhaltenswerten kultur- und
naturhistorischen Objekten bestehende Sammlung, die zu-
mindest teilweise regelmäßig als Ausstellung der Öffentlich-
keit zugänglich ist, gemeinnützigen Zwecken dient und keine
kommerzielle Struktur oder Funktion hat.
2. Ein Museum muß eine fachbezogene (etwa kulturhistorische,
historische, naturkundliche, geographische) Konzeption auf-
weisen.
3. Ein Museum muß fachlich geleitet, seine Objektsammlung
muß fachmännisch betreut werden und wissenschaftlich aus-
gewertet werden können.
4. Die Schausammlung des Museums muß eine eindeutige Bil-
dungsfunktion besitzen.
Demnach sind das Sammeln von Objekten, ihre Erforschung, Konservie-
rung und Präsentation für die Öffentlichkeit die Grundsteine der Museums-
arbeit. Diese grundlegenden Prinzipien sind in Museen gleich welcher Art
möglichst optimal realisiert. Durch das Sammeln und Bewahren des kulturel-
len Erbes der Menschheit ist es den Besuchern möglich, dieses präsentierte
Erbe zu begreifen, zu beurteilen und Zusammenhänge zwischen Vergange-
nem und gegenwärtigen Objekten, Ereignissen oder Phänomenen zu erken-
nen. Insbesondere für heranwachsende Menschen, also Schüler, bieten Muse-
en also Möglichkeiten, diese Zusammenhänge nicht nur in Büchern, sondern
an Zeitzeugnissen zu erkennen und zu erleben und mit auf den Lebensweg zu
nehmen.
3.2 Objektpräsentation im Technikmuseum
Nachdem sich im Zuge der industriellen Revolution der Museumstypus des
Industrie- und Gewerbemuseums herausgebildet hatte, ergab sich nach 1945
in Deutschland ein großes Problem für diese Museen. Im zweiten Weltkrieg
waren viele Industrieanlagen zerstört oder zur Produktion von Rüstungsgü-
tern umgebaut worden. Lange Zeit lag in Deutschland der Fokus eher auf
dem Wiederaufbau und der industriellen Nutzung der erhaltenen Überreste
als auf der Konservierung der historischen Bedeutung von Industrieanlagen
und -geländen. Erst in den 1960er Jahren wurden erste Versuche unternom-
men, die Maschinen und Gebäude und ihre Bedeutung für Gesellschaft und
12
Geschichte zu konservieren.
27
So kam es in den 1970er Jahren auch im Zu-
ge der Neuorientierung der Museen zu einer Welle von Neugründungen ver-
schiedenster Technikmuseen. Diesen Technikmuseen in ihren verschiedenen
Fachgebieten ist jedoch das Problem der Präsentation technischer Exponate
und ihrer Vermittelbarkeit gemein. Die Objekte müssen nicht nur gesammelt
und erhalten werden, sondern Aufforderungscharakter besitzen und die Neu-
gierde des Besuchers wecken. Nur dann kann eine intensive Begegnung und
Auseinandersetzung mit den Objekten stattfinden. Allerdings bleibt die Aus-
wahl der ausgestellten Objekte immer den Museumsfachleuten und den aktu-
ellen Ausstellungskonzeptionen unterworfen. Keine Sammlung kann für alle
Zeiten objektiv und unveränderlich bleiben:
Objekte, die im Museum lagern, sind gesammelt; sie sind aufberei-
tete Präparate. Solcherart sind sie das Ergebnis einer Tätigkeit, in
der historisch wechselnde Auswahlkriterien, Bewertungskategori-
en, Neigungen und Interessen eine Rolle spielen.
28
Vielfach ist die Auswahl der Objekte auch den jeweiligen Möglichkeiten des
Museums unterworfen. So sind viele Exponate in Technikmuseen derart groß,
dass nur eine begrenzte Anzahl davon in den Räumlichkeiten untergebracht
werden können. Das Heinz Nixdorf MuseumsForum zeigt beispielsweise in
seiner Dauerausstellung eine sogenannte Jaquard-Maschine, die über ein
Lochkartensystem einen Webstuhl steuert. Allerdings wäre die Maschine
zusammen mit dem Webstuhl über drei Meter hoch, so dass sie lediglich
ohne den Webstuhl aufgestellt werden konnte, obwohl dies natürlich die
Anschaulichkeit sehr einschränkt.
Allein dieser Umstand führt dazu, dass es keine perfekte Präsentation der
Exponate geben kann. Jede Präsentationsform bringt Vor- und Nachteile mit
sich. Die Ausstellungsmacher stehen also vor der großen Aufgabe, für ihre
Ausstellung und ihr Museum eine Sprache zu entwickeln.
Die Entwicklung einer ,Präsentationssprache` ist deshalb nicht
selten als Problem Nummer Eins der Museumsarbeit bezeichnet
worden. Dass diese Präsentationssprache nicht allein auf der
Abfassung von Texten basieren kann, sondern auch Formen der
27
vgl. Eberhard G. Neumann: Gedanken zur Industriearchäologie: Vorträge Schriften
Kritiken, Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1986, S. 20.
28
Gottfried Korff/Martin Roth [Hrsg.]: Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identi-
tätsfabrik, Frankfurt/ Main: Campus Verlag, 1990, S. 19.
13
visuellen Rhetorik mit einbeziehen muss, ergibt sich aus den
materiellen und medialen Eigentümlichkeiten des Museums.
29
Dies gilt natürlich besonders für Museen wie das HNF, die aufgrund ihrer
Ausrichtung auch auf jüngste Technikgeschichte gezwungen sind, mit Hilfe
der aktuellen technischen und medialen Möglichkeiten eben diese Technolo-
gien darzustellen und begreifbar zu machen. ,,Die bestmögliche Lösung ist
dann gefunden, wenn die Ausstellung die durchaus einen gewissen Unter-
haltungswert, etwa im Sinne des heute oft verwendeten Begriffes ,Infotain-
ment` [haben darf] selbstständiges Erkunden und Entdecken fördert."
30
Die-
ses Erkunden und Entdecken fordert eine besondere Präsentation der Objek-
te. Schließlich verlieren diese Objekte dadurch, dass sie aus ihrer Originalum-
gebung entfernt werden, einen großen Teil ihrer Aura. Diese Aura und damit
der Originalzusammenhang, aus dem das Objekt entfernt worden ist, müssen
von der Präsentation im Museum so gut wie möglich wiederhergestellt wer-
den. Dazu nutzen Museen schon seit dem 19. Jahrhundert Dioramen, die dem
Besucher die Komplexität des Exponats verdeutlichen sollen. Diese Art der
Inszenierung wird auch heute von vielen Technikmuseen verwendet, wobei
allerdings darauf geachtet werden muss, dass die Interpretationsmöglichkei-
ten nicht beliebig werden, sondern durch die Art der Präsentation und die
Begleittexte oder Multimedia-Installationen wissenschaftlich korrekt sind.
31
Auch haben die Kuratoren von Technikmuseen, die sich mit Technik-
geschichte jenseits der Industrialisierung beschäftigen, die Aufgabe, eine
Sammlung anzulegen, die auch in einigen Jahren noch repräsentativ ist
und nicht von subjektiven Einschätzungen dieser sich schnell verändernden
Technologien beeinflusst ist. Für Exponate aus der Zeit der Industrialisierung
geben beispielsweise Korff und Roth von der Forschung erarbeitete Kriterien
für eine Sammlung an, für die neuen Technologien fehlen aber diese Kriterien
noch weitgehend.
32
Erst in den letzten Jahren beginnen sowohl Museen als
auch die Forschung, sich intensiver mit der Problematik der Konservierung
und Präsentation von Technikgeschichte jenseits der Industrialisierung
auseinander zu setzen. Jedes Museum mit seinen speziellen Präsentations-
29
Korff/Roth [Hrsg.]: Das historische Museum (wie Anm. 28), S. 23.
30
Brigitte Lörwald: Die Entstehung von Technikmuseen seit Beginn der Achtziger Jahre als
Folge der Musealisierung von Industrie und Technik, Diss., Universität Paderborn Fach-
bereich 2, Erziehungswissenschaft, 2000, S. 92.
31
vgl. Ursula Winter: Industriekultur: Fragen der Ästhetik im Technik- und Industriemuse-
um, in: Wolfgang Zacharias [Hrsg.]: Zeitphänomen Musealisierung, Essen: Klartext Ver-
lagsgesellschaft, 1990, S. 252256.
32
vgl. Korff/Roth [Hrsg.]: Das historische Museum (wie Anm. 28).
14
formen kann daher als Pilotversuch auf diesem Gebiet gesehen werden, so
dass insbesondere im Bereich dieses Museumstypus Erfahrungen mit be-
stimmten Techniken oder Darstellungsformen untereinander ausgetauscht
und in verschiedenen Foren untersucht und besprochen werden.
33
3.3 Das Museum als außerschulischer Lernort
Nicht nur die Aufgaben des Museums haben sich vor allem im 20. Jahrhun-
dert stark verändert, es herrscht auch seit den 1980er Jahren ein wahrer
Museumsboom, der nicht nur mit einer Vielzahl von Neugründungen ein-
hergeht, sondern der auch für eine veränderte Wahrnehmung der Museen in
den Augen der Öffentlichkeit geführt hat. Das Museum entfernt sich von der
klassischen Form der Exponatpräsentation und richtet sich als Ort der Wis-
sensvermittlung aus. Dies geht, speziell bei den sogenannten Science Centern,
vielen Vertretern konventioneller Museen jedoch zu weit. Sie sehen Museen
zu Freizeitparks verkommen, die ihre Qualität und Seriösität einbüßen. Für
viele Kritiker verschwindet der Unterschied zwischen ,,Elfenbeinturm und
Fußgängerzone".
34
Auf der anderen Seite ist es eben diese Veränderung zu
einem Lernort, die die Qualität eines Museums im 21. Jahrhundert auszeich-
nen wird. Nur wenn Museen es schaffen, sich für ihren Elfenbeinturm einen
Platz zwischen Karstadt und Kaufhof in der Fußgängerzone zu sichern, wer-
den sie in Zukunft als Teil der Gesellschaft erfolgreich sein können.
35
Scheinbar existiert also eine deutliche Diskrepanz zwischen der wissen-
schaftlichen Evaluierung des außerschulischen Lernorts und dem inflatio-
nären Gebrauch dieses Terminus durch verschiedenste Institutionen. Schon
2003 stellte Silke Traub fest, dass kaum erforscht sei, ,,inwieweit Museums-
expertinnen und -experten Museen als Bildungsstätten betrachten und wie
Lehrerinnen und Lehrer ihren Bildungswert einschätzen".
36
Es gibt offen-
sichtlich aufgrund der Vielzahl verschiedener Museen ebenfalls keinen Kon-
sens über die Nutzung des Museums als außerschulischen Lernort und den
damit verbundenen Lernzielen, die von Museumspädagogen unterstützt wer-
33
Hier sei insbesondere die Zeitschrift Museumskunde des Deutschen Museumsbundes
e.V. genannt, in der regelmäßig Erfahrungen mit speziellen Präsentationsformen und -
techniken ausgetauscht werden. Einige dieser Artikel finden auch im weiteren Verlauf
dieser Arbeit Beachtung.
34
vgl. Landschaftsverband Rheinland [Hrsg.]: Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone, Opla-
den: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1996.
35
vgl. Friman: Museum als Teil der Stadt (wie Anm. 23).
36
Traub: Das Museum als außerschulischer Lernort für Schulklassen. Eine Bestandsaufnah-
me aus der Sicht von Museen und Schulen mit praxiserprobten Beispielen erfolgreicher
Zusammenarbeit (wie Anm. 4), S. 5.
15
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783863419929
- ISBN (Paperback)
- 9783863414924
- Dateigröße
- 6.7 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Paderborn
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2
- Schlagworte
- Geschichtsdidaktik Primärerfahrung Schüler aktives Erleben