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Der Sturz des Mubarak-Regimes: Ägypten unter ökonomischem Druck

©2012 Bachelorarbeit 53 Seiten

Zusammenfassung

Weniger als drei Wochen betrug der zeitliche Abstand zwischen den ersten Demonstrationen in Ägypten im Januar 2011 und dem Rücktritt von Staatspräsident Hosni Mubarak, der das Land seit 1981 ununterbrochen regierte. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine ungeahnte Dynamik und Macht der Proteste, die zu einem Politikwechsel in Ägypten führten, dessen Transformation bis heute nicht abgeschlossen ist. Im Kontext des sogenannten Arabischen Frühlings betrachtet, stellt Ägypten einen besonders relevanten Fall der aufkommenden politischen Unruhen in der arabischen Welt dar. Die im Jahr 2010 begonnenen Proteste in Tunesien, breiteten sich in der gesamten Region Nordafrikas und der arabischen Halbinsel wie ein Flächenbrand aus. Die zeitliche Aktualität dieses Themas wird deutlich, wenn man nun Mitte 2012 die unvollständigen Transformationsprozesse dieser Länder betrachtet, deren politische und gesellschaftliche Veränderungen noch im Umbruch befindlich sind. Die Dynamik der Destabilisierung von der Herrschaft einer ganzen Region, die vor kurzem noch undenkbar schien, lässt schnell die Frage nach den Ursachen aufkommen.
Der Fall Ägypten hat nach meinem Verständnis eine besondere Relevanz für die politischen Verhältnisse in der MENA-Region und könnte deshalb insbesondere für eine weitere Ausweitung politischen Protests in anderen Staaten verantwortlich sein. Das Land verfügt mit 80 Millionen Einwohnern über die größte Bevölkerung in der arabischen Welt, ist dort die größte Militärmacht und die zweitgrößte Volkswirtschaft. Die Tradition und Philosophie in Religion und Kultur hat eine bedeutende Ausstrahlung auf andere Staaten in der Region. Besonders die ägyptische Entwicklung politischer Institutionen und Normen finden sich in vielen arabischen Staaten wieder. Im Kontext des Nahostkonflikts hat Ägypten als direkter Nachbar Israels eine dominante Rolle als Vermittler eingenommen. Die genannten Aspekte machen das Land als Untersuchungsgegenstand außerordentlich interessant.
Dieses Buch soll sich mit der Ursachen der Revolution in Ägypten befassen. Dabei stehen vor allem ökonomische Prozesse im Fokus, nicht die Betrachtung der Proteste selbst. Primär richtet sich der Fokus auf die Zusammensetzung des ägyptischen Staatshaushalts, der in seiner Einnahmenstruktur einige Besonderheiten aufweist. Es stellt sich also die Frage, ob es ökonomischen Druck auf das ägyptische Regime gab und ob sich dieser gerade in jüngerer Vergangenheit zugespitzt hat. Proteste, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Theoretische Ansätze

An Erklärungsmodellen zu möglichen politischen Systemtransitionen in der arabischen Welt mangelt es nicht. In der Transitionsforschung existieren diese Modelle seit Jahrzehnten, auch genährt durch die Hoffnung mancher Forscher auf eine weitere Welle der Demokratisierung im arabischen Raum. Deshalb soll hier ein theoretischer Ansatz zur Transitionsforschung kurz skizziert werden. In der modernisierungstheoretischen Vorstellung besteht eine Korrelation zwischen sozioökonomischer Modernisierung, also wirtschaftlicher Prosperität einerseits und demokratischer Partizipation auf der anderen Seite. Es wird also angenommen, das sich demokratische Herrschaftsformen dann herausbilden, wenn ein gewisser Grad ökonomischer Modernisierung in einem Land erreicht ist.[1] Dies hängt mit dem sich daraus entwickelnden höheren Bildungsniveau, der städtischen Urbanisierung und der Herausbildung einer bürgerlichen Mittelklasse zusammen (Schlumberger 2008: 62). Zwischen dem Wunsch nach Selbstentfaltungswerten wie Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung auf der einen Seite und dem aktuellen Modernisierungsstand andererseits, gilt eine Korrelation empirisch als bestätigt (Pickel 2010: 199). Genau diese Werte machen demokratische Herrschaftsformen attraktiv und verschaffen ihnen einen Legitimitätsvorteil vor anderen Systemformen politischer Herrschaft. Dies ist besonders der Fall, wenn ein autoritäres System seine Erzeugung von Legitimität durch sozioökonomischen Erfolg oder eine Ideologie nicht mehr aufrechterhalten kann (Pickel 2010: 200).

In der Forschung zur MENA-Region ist man sich darüber weitestgehend einig, dass die dort vorkommende spezifische Ausprägung autoritärer Herrschaft in neopatrimonialen Regimen besteht (Schlumberger 2008: 110). Der Neopatrimonialismus stellt eine Subtypenbildung des Autoritarismus dar und kann durch seine Hypothesen präziser Aussagen treffen, als es durch eine Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in das c atch-all-concept des Autoritarismus möglich wäre. So wurden nach Schlumberger sämtliche Nicht-Demokratien mangels detaillierter Ausdifferenzierungsmodelle und in der Realität kaum mehr anzutreffender totalitärer Regime, als autoritaristisch eingeordnet. (Schlumberger 2008: 110). Die Verwendung des neopatrimonialen Ansatzes für die Untersuchung des ägyptischen Staates stellt also eine in der Wissenschaft größtenteils anerkannte Theorie bereit, die das politische System Ägyptens recht präzise zu klassifizieren weiß.

Basierend auf der Frage, ob ägyptische Oppositionsbewegungen einen wichtigen Faktor im Demokratisierungsprozess und Regimewandel darstellen können, muss klar zwischen den legalisierten und inoffiziellen, oder außerparlamentarischen Oppositionskräften unterschieden werden. Auf die ägyptische außerparlamentarische soziale Bewegung Kifaya und ihr Mobilisierungspotential wird in Kapitel 5.2 noch eingegangen werden. In Bezug auf die Oppositionsparteien kann laut neueren Studien zum Nahen Osten und Nordafrika von einer sogenannten "autoritären Opposition" gesprochen werden. Auf die Initiativen autoritärer Machthaber kommt es an, das Feld der politischen Opposition so zu strukturieren, dass sie eine Zweiteilung in ein loyalistisches und klar oppositionelles Lager erwirken. Dieses divided environment macht es zunehmend unwahrscheinlich, das eine oppositionelle Politisierung gegen das Regime erfolgen kann (Bank 2010: 25).[2] Holger Albrecht weist nach, dass die ägyptische Opposition das autoritäre System stabilisiert und ihre Funktionen nicht mit Oppositionsparteien eines demokratischen Systems verglichen werden können (Albrecht 2005: 391). Der Nutzen der ägyptischen Opposition äußert sich in ihrem Kontrollmechanismus über die Gesellschaft, der totale Repression unnötig macht. Insbesondere fördert sie jedoch die politische Legitimität der autoritären Machthaber, da sie nach Innen und Außen einen gewissen Grad politischer Freiheit suggeriert. Außenpolitisch führt dies zu einem größeren Erfolg der rent-seeking- Machteliten,[3] da diese nun eher den Erwartungen westlicher Regierungen und internationaler Institutionen entsprechen (Albrecht 2005: 391). Die Oppositionsparteien in Ägypten sind also nicht nur regimestabilisierend, sondern fördert auch das rent-seeking der politischen Akteure und damit das autoritäre politische System.

2.1 Neopatrimonialismus

Die Herrschaftssoziologie Max Webers stellt die Grundlage der patrimonialistischen Theorie dar. Weber unterscheidet verschiedene Herrschaftstypen (legal-rational, traditional, charismatisch) und setzt voraus, das Herrschaft nur dann auf Dauer existieren kann, wenn sie seitens der Beherrschten als legitim betrachtet wird (Bayer/Mordt 2008: 100). Patrimonialismus versteht Weber als eine Spielart traditionaler Herrschaft, bei der alle politischen und administrativen Angelegenheiten vom Herrscher als persönlich behandelt werden. Die politische, ökonomische und militärische Macht ist in der Herrscherperson konzentriert. Das patrimonialistische Konzept fand erstmals bei der Beschreibung von Herrschaft in Afrika Beachtung[4] und wurde unter anderem von Pawelka (1985) und Eisenstadt (1973) in Bezug auf moderne politische Systeme weiterentwickelt (Timm 2010: 103). Als Kern des Neopatrimonialismus konnte eine Hybridität, die gleichzeitige Existenz der patrimonialen Herrschaftslogik und moderner legal-rationaler Elemente festgestellt werden. Durch diese Kombination zweier Herrschaftsformen können weite Teile staatlicher Strukturen auf Basis legal-rationaler Herrschaftsprinzipien funktionieren (Erdmann 2002: 329). So definiert Christopher Clapham Neopatrimonialismus als

"(...) a form of organisation in which relationships of a broadly patrimonial type pervade a political and administrative system which is formally constructed on rational-legal lines. Officials hold positions in bureaucratic organisations with powers which are formally defined, but exercise those powers, so far as they can, as a form not of public service but of private property. Relationships with other likewise fall into the patrimonial pattern of vassal and lord, rather than the rational-legal one of subordinate and superior, and behaviour is correspondingly devised to display a personal status, rather than to perform an official function" (Clapham 1985: 48).

Informelle Praktiken des Patrimonialismus, der personellen Beziehungen, wirken ständig auf die legal-rationalen Systeme und Institutionen ein, manipulieren und verdrehen ihre Logik, ihre Funktionen und ihren Output. Nach Erdmann/Engel erzeugt der dauernde Wechsel zwischen der erwähnten patrimonialen und der legal-rationalen Herrschaftslogik Systemstabilität, da die politische Herrschaft durch 'institutionalisierte Unsicherheit' das Verhalten und die Rolle von staatlichen Institutionen und deren Vertreter unvorhersehbar werden lässt (Erdmann/Engel 2007: 105). Mit diesem Spannungsverhältnis zwischen Formalität und Informalität scheitern staatliche legal-rational aufgebaute Institutionen an ihren Aufgaben und erzeugen dennoch stabile Herrschaft ohne gleichzeitig die Bedingung des Weberschen Legitimitätsglaubens zu erfüllen (Timm 2010: 105). Erdmann/Engel sprechen in diesem Zusammenhang von 'institutionalisierter Informalität' die einen neuen Typ politischer Kultur im neopatrimonialen System schafft (Erdmann/Engel 2006: 19). Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Elite ist segmentiert und trägt unterhalb des Herrschers einen immerwährenden Kampf um Ressourcen aus. Die eigene Stellung wird argwöhnisch verteidigt und lässt sich nur durch personalisierte, informelle Beziehungen halten oder verbessern.

In neopatrimonialen Systemen zirkulieren öffentliche Güter, Ämter, Dienstleistungen und Wählerstimmen und werden in klientelistischen Organisationsstrukturen zwischen Patron und Klient verteilt. Der Patron vergibt Ressourcen und bekommt dafür Loyalität. Die Netzwerke und Abhängigkeiten entlang dieser sozialen Normen werden arabisch als wasta[5] bezeichnet. In der Forschung hat sich der Begriff der Rentier-Mentalität herauskristallisiert (Richter 2004: 21). Die politische Verfügungsgewalt über ökonomische Ressourcen ist der Schlüssel zur Stabilisierung politischer Macht in neopatrimonialen Systemen (Timm 2010: 108). Die Art und Herkunft der Staatseinnahmen spielen dabei eine besondere Rolle. Macht sich das herrschende Regime die Ressourcen des Rentierstaats zu eigen, verfügt es über Allokationspotentiale zur Einbindung abhängiger Klientelnetzwerke und zur Sicherung seiner politischen Herrschaft. Auf den Rentierstaats-Ansatz soll im Kapitel 2.2 eingegangen werden.

Was sagt nun die Theorie des Neopatrimonialismus über die Transitionsfähigkeit und -wahrscheinlichkeit des autoritären Systems aus? Laut Christian Timm wirkt ein neopatrimonialer Herrschaftsmodus negativ auf die Wahrscheinlichkeit einer Regimetransition von einem autoritären zu einem demokratischen Regime (Timm 2010: 106). Der Autor macht jedoch neuralgische stabilitätsbedrohende Faktoren aus, die als Bedrohungspotentiale für neopatrimoniale Regime entstehen können. Durch Dezentralisierung von Herrschaft können sich endogen neue Machtzentren herausbilden und die hierarchisch strukturierte politische Zentralgewalt in Frage stellen. Eine weitere Möglichkeit ist die Entstehung einer authentischen und damit systembedrohenden Opposition.[6] Die präsidiale Nachfolge, ökonomische Krisen und der Kontrollverlust über Klientelnetzwerke können zu Machtwechseln führen. Die Konflikte entfalten sich in neopatrimonialen Systemen primär zwischen konkurrierenden Patronagenetzwerken, bei der die Akteure am grundsätzlichen status quo festhalten. Ein Wandel politischer Institutionen ist somit wenig wahrscheinlich, die systemstabilisierenden Beharrungskräfte des Neopatrimonialismus sind stark ausgeprägt (Timm 2010: 112; Schlumberger 2008: 115).

Peter Pawelka bezeichnet den neopatrimonialen Staat als 'Überlebenskünstler'. Trotz wirtschaftlicher und politischer Liberalisierungstendenzen in den 90er Jahren unter dem Zeichen der Globalisierung, mündete dieser Prozess nicht wie in der Forschung erwartet in eine Demokratisierung der neopatrimonialen Regime der MENA-Region. Jedoch spricht Pawelka von einer zunehmenden Penetration der Politik- und Handlungssphären der orientalischen Regime (Pawelka 2008: 50). Auf der einen Seite fordern internationale Akteure Einfluss auf die Wirtschafts- Finanz- und Sozialpolitik (USA, internationale Organisationen, Gläubigergremien) und üben durch strukturelle Einflüsse des bestehenden Weltwirtschafts- und Finanzsystems Druck aus. Die andere Verteidigungslinie liegt gegenüber der eigenen Gesellschaft. Dort haben sich islamische Institutionen, NGOs und Teile der Privatwirtschaft im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik etabliert.

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Abbildung 1: Penetrierter Neopatrimonialismus seit den 90er Jahren nach Pawelka 2008: 50.

Trotz dieser Einengung vormals etablierter politischer Handlungsfelder neopatrimonialer Regime, kam es seit den 90er Jahren zu keiner Regimetransition im Vorderen Orient. Damit existiert kein empirischer Fall in der Region, der für eine Erklärung der Zusammenbrüche im Zuge der arabischen Revolutionen nutzbar wäre. Laut Schlumberger erklären bisherige empirisch vorliegende Erfahrungen, dass "(...) sie nahezu ausschließlich unter Bedingungen akuten ökonomischen Drucks zusammenbrechen" (Schlumberger 2008: 112). Auch wenn die Details dieser empirischen Erfahrungen nicht aus Schlumbergers Text hervorgehen, ist die These in Hinblick auf den Rentierstaatsansatz ein plausibler Standpunkt.

Da hier also primär die mögliche Präsenz ökonomischen Drucks auf das ägyptische Regime untersucht werden soll, ist die Prüfung der betreffenden Hypothesen in der neopatrimonialen Theorie erforderlich. Laut Erdmann/Engel können neopatrimoniale Systeme plötzlich auftretende ökonomische Krisen und ausbleibende Ressourcenströme dadurch entschärfen, dass sich die politischen Unternehmer auf ihre formal zugeschriebenen Positionen zurückziehen und die Option staatlicher Sanktionsgewalt in Anspruch nehmen. Wenn auch formal-staatliche Institutionen ineffizient in der Produktion öffentlicher Güter sind, muss der Staat im Bereich der formalen Sanktionsfähigkeit durchsetzungsstark bleiben (Erdmann/Engel 2006: 21). Diese These lässt vermuten, dass eine Schwächung formaler staatlicher Institutionen bei gleichzeitigem ökonomischen Druck auf ein neopatrimoniales System zu einer Krise und einer darauf folgenden Transition führen könnte.

2.2 Politökonomischer Ansatz: Der Rentierstaat

Die Unterscheidung der Formen des ökonomischen Mehrprodukts oder surplus in Profit oder Rente[7], geht bis auf den Ökonomen Adam Smith zurück und zieht sich über Ver­treter der politischen Ökonomie wie Karl Marx bis in die Gegenwart. Profit gilt dort als ein grundsätzlich angemessenes Einkommen von Akteuren, die ein unternehmerisches Risiko in ausdifferenzierten Märkten auf sich nehmen. Rente beinhaltet im Gegensatz dazu, eine ausgeprägte Unangemessenheit mit negativen Folgen für die soziale und ökonomische Entwicklung (Richter 2010: 158). Die Erkenntnisse über die kapitalistische Produktionsweise besagen, dass nur bei einem entsprechenden Einsatz von Arbeit und Kapital, Mehrwert, also Überschuss entsteht. Renten entstehen nicht aus dieser Kausalität heraus, ihnen liegen keine gesellschaftlichen Arbeits- oder Investitionsleistungen zugrunde. Der Überschuss muss hier auch nicht wieder in den Produktionsprozess reinvestiert werden, sondern steht der politischen Führung zur freien Verfügung (Richter 2004: 12).

Renten bestehen jedoch nicht nur aus übermäßig hohen Rohstofferträgen, sondern können auch in Form von politischen Renten durch Militär- und Entwicklungshilfe auftreten. Lagerenten wiederum bilden sich durch den Besitz strategischer Transportwege wie zum Beispiel Pipelines, Wasserstraßen oder durch optimale Bedingungen für den internationalen Tourismus. Migrantenrenten entstehen durch die Überweisungen von Geldern von im Ausland befindlichen Arbeitskräften an ihre Verwandten zuhause (Abb. 2).

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Abbildung 2: Unterschiedliche Rentenformen in Entwicklungsländern. Eigene modifizierte Darstellung basierend auf Richter 2010: 161.

Wesentliche Auswirkungen staatlicher Renteneinnahmen sind, dass das herrschende Regime unabhängiger von gesellschaftlichen Forderungen wird. Somit haben Renten eine stabilisierende Wirkung auf die Obrigkeit. Erstens ist der Staat nicht mehr auf Besteuerung seiner Bevölkerung angewiesen. Seit den Anfängen der Rentierstaatstheorie wird er so als Allokationsstaat bezeichnet (Beblawi/Luciani 1987: 65). Zweitens kann er die Distribution von Renten als zentrales Mittel zur Erzeugung politischer Legitimität einsetzen (Richter 2010: 159). In der Rentierstaatstheorie werden hohe Renteneinnahmen als hinreichende Bedingungen für autoritäre Stabilität angesehen.[8] Als Hypothese gilt, dass ein überdurchschnittlich hohes Einkommen mit Exporterlösen aus mineralischen Rohstoffen wie Erdöl eine Demokratisierung verhindert und die Amtszeit autoritärer Herrscher verlängert (Richter 2010: 159; Schlumberger 2008: 120). Die Erzeugung politischer Legitimität und damit von Stabilität findet auf zwei verschiedene Arten statt: erstens durch Kooptation bestimmter strategisch wichtiger sozialer Gruppen die für den Machterhalt des Regimes von zentraler Bedeutung sind. Zweitens erbringt das Regime Wohlfahrtsleistungen, zum Beispiel durch Subvention von Grundnahrungsmitteln und kostenfreie oder günstige Bildungs- und Gesundheitssysteme. Ein dritter Faktor wirkt ebenfalls stabilisierend, jedoch nicht legimitätsfördernd. Durch die Renteneinkünfte stehen Ressourcen für den Aufbau massiver und umfangreicher Sicherheits- und Kontrollapparate zur Verfügung (Schlumberger 2008: 119). Repression stellt somit einen weiteren stabilisierenden Grundpfeiler autoritärer Herrschaft dar.

Die Frage ob ein Staat als Rentierstaat bezeichnet werden kann, ist von dem prozentualen Anteil der Renten an seinen Staatseinnahmen abhängig. Typisch bei einem politischen System im Vorderen Orient ist, das es bei einem Rentenanteil von 40 % am Staatshaushalt als Rentierstaat bezeichnet wird. Aber auch Staaten deren Renteneinnahmen weniger als 40 % des Staatshaushalts ausmachen, fallen unter diese Kategorie. Kennzeichnend bei diesen 'Semi-Rentiers' ist, das auch Teile der Gesellschaft einen wesentlichen Teil der Renteneinnahmen abschöpfen können (Richter 2004: 14). So kann sich die auf der Abbildung 2 gezeigte Migrantenrente dem direkten Zugriff des Staates größtenteils entziehen und geht als direkte Einnahme an die Privathaushalte.

Wie kann nun der politökonomische Ansatz der Rentierstaatstheorie den neopatrimonialen Herrschaftsmodus erklären und fördern? Oliver Schlumberger dazu:

"It is precisely the rent-influenced nature of state revenues which provides patrimonial leaders and, in a sort of trickling-down effect, the respective patrons on lower levels, with the material resources necessary to build up and maintain circles of loyal clients" (Schlumberger 2004: 38).

Der Wettbewerb wirtschaftlicher und politischer Eliten im neopatrimonialen System dient der Herrschaftssicherung. Das Überleben dieser Eliten hängt davon ab, wie gut sie sich selbst an die Quelle der Renten manövrieren und dabei mit Geschick die klientelistischen Netzwerke ausnutzen.[9] Doch der Wettbewerb findet nicht auf einem politischen oder wirtschaftlichen Marktplatz statt sondern auf den "(...)diwans of public administration for the establishment of personalistic ties to patrimonial decision-makers", wie es Oliver Schlumberger treffend formuliert (Schlumberger 2004: 69).

Was haben Renteneinnahmen noch für Auswirkungen auf die politische Ökonomie eines Staates? Durch die hohen Einnahmen kann ein mächtiger Staatsapparat aufgebaut werden, der nicht nur zu einem großen inländischen Arbeitgeber wird, sondern als Hauptakteur sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten kontrolliert und Ressourcen verteilt. Dies ist in allen arabischen Rentierstaaten der Fall, auch dort wo es keine Ära sozialistisch-kollektivistischer Ideologien gab[10] (Schlumberger 2004: 71). Auch in Ägypten stellte der Staat lange Zeit den Hauptarbeitgeber dar und kontrolliert bis heute als aufgeblähter bürokratischer Apparat die wirtschaftlichen Aktivitäten im Inland. Auf die Verhältnisse in Ägypten soll detaillierter im vierten Kapitel eingegangen werden.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Hauptziel staatlichen Verhaltens und seiner Politikformulierung in einem neopatrimonialen Rentierstaat darin besteht, den Zufluss von Renten aufrechtzuerhalten, da diese das Fundament neopatrimonialer Herrschaft darstellen und diese sichern. Eine Verminderung oder ein Ausbleiben des Ressourcenstroms kann zu politischer Instabilität führen. Dies ist vor allem erstens dann der Fall, wenn es dem Herrschaftsregime nicht gelingt, die versiegenden Quellen durch neue zu ersetzen. Zweitens auch dann, wenn daraufhin ein Rückzug auf formale Positionen nicht erfolgreich ist, da deren legal-rationale Institutionen geschwächt oder nicht ausreichend ausgeprägt sind.

3. Politische Entwicklung Ägyptens in der Mubarak-Ära

Das Ägypten unter Mubaraks dreißigjähriger Herrschaft war ein repressives autoritäres Regime. Die von der ägyptischen Regierung lancierten Floskeln von "democratic development (...) deepening of democratic practice, enhancing freedoms and laying down the state of law, institution and respect of human rights" sollten verschleiern, das sich das System Mubarak durch systematischen Wahlbetrug[11], offene und versteckte Gewalt gegen Opposition und Medien und mächtige repressive Kontrollapparate auszeichnete (Marfleet 2009: 15). Dabei herrschte nach Mubaraks Machtübernahme Ende 1981 eine durchaus liberale politische Atmosphäre, die es seit der Revolution von 1952 nicht mehr gegeben hatte. Neben dem größeren Ausmaß an Pressefreiheit versuchte der Nachfolger Anwar as-Sadats vor allem durch die Einbindung oppositioneller Gruppen und Experten in politische Entscheidungsprozesse eine Politik der 'nationalen Dialoge' zu führen[12] (Strohmayer 2007: 207). Mubarak verlängerte jedoch den politischen Ausnahmezustand, der seit dem Attentat auf seinen Vorgänger bestand, immer weiter und behielt die Dominanz der Exekutive im politischen System bei.[13] Strohmayer beurteilt dies als Begrenzung des Willens zur politischen Liberalisierung und Demokratisierung. Mubarak erlaubte zwar einer größeren Anzahl von Spielern eine Beteiligung in der Politik, die Definition und die Überwachung der Spielregeln blieb jedoch dem politischen Machtzentrum vorbehalten (Strohmayer 2007: 207). Sein kooperativer Stil erzeugte Anfang der 80er Jahre eine gewisse positive Aufbruchstimmung und weckte bei liberalen Kräften große Erwartungen.[14] Als zunehmende Bedrohung empfand das Regime das gute Abschneiden islamischer politischer Kräfte bei den Parlamentswahlen Mitte der achtziger Jahre. So konnte die Muslimbruderschaft ihre Mandatszahl von 8 im Jahr 1984 auf 30 im Jahr 1987 steigern. Die Begründung autoritärer Maßnahmen erfolgte nun mit dem Argument, auf diese Weise die Demokratie vor radikalen Kräften schützen zu wollen. In den neunziger Jahren setzte so eine politische Deliberalisierung und die Zunahme polizeilicher Repression ein (Strohmayer 2007: 208). Der Ausbau der staatlichen Exekutivorgane fiel vor allem in den Bereich der Sicherheits- und Polizeiabteilungen. Hunderttausende Einheiten von Sonderpolizeikräften unter direkter Befehlsgewalt der Mubarak-Elite und ein umfassendes Spitzelnetzwerk wurden geschaffen. Auch die Geheimdienste entwickelten sich zu einem aufgeblähtem Apparat paralleler und teilweise konkurrierender Organe (Marfleet 2009: 23). Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA, an denen mehrere Ägypter beteiligt gewesen waren, dienten dem Mubarak-Regime als weitere Rechtfertigung eines "Kampfes gegen den Terror", bei dem Massenverhaftungen und Verurteilungen von Zivilisten vor Militärgerichten gängiger Praxis entsprachen (Stromayer 2007: 213, Kassem 2004: 182). Menschenrechtsgruppen berichteten 2005 von über 16.000 Menschen, davon viele politische Gefangene, die in ägyptischen Gefängnissen ohne Gerichtsurteil und ohne Aussicht auf Freilassung inhaftiert waren. Viele von ihnen waren Misshandlungen ausgesetzt[15] (Arafat 2009: 139).

Durch eine von der Regierungspartei NDP durchgesetzte Verfassungsänderung wurde im Jahr 2005 der Präsident erstmals per Direktwahl vom Volk gewählt und nicht in einem parlamentarischen Nominierungsverfahren. Seit seinem Amtsantritt hatte Mubarak in diesem Verfahren stets eine Zustimmung von mehr als 90 Prozent für sich entscheiden können. Als Beweggründe für die Verfassungsänderung sahen Beobachter den wachsenden innen- und außenpolitischen Druck auf das Regime (KAS 2005-1: 8). Die Ankündigung der Bush-Administration, der arabischen Welt zu mehr Demokratie "verhelfen" zu wollen, übte Druck auf Mubarak aus. Über die mangelnde Unterstützung Ägyptens im Irak-Krieg enttäuscht, machte Bush das Land zum expliziten Ziel seiner Demokratisierungsmission im Nahen Osten.[16] Auch wenn sich Mubarak außenpolitische Einmischung in ägyptische Angelegenheiten vehement verbat, veranlasste ihn der Druck zu Handlungen, die Ägypten als reformwilligen Staat erscheinen lassen sollten. Zum Einen handelte es sich um die erwähnte Verfassungsänderung, zum Anderen flossen demokratische Reformversprechen in sein Wahlprogramm von 2005 ein[17] (Strohmayer 2007: 216). Weitere Gründe für den Reformdruck auf das Mubarak-Regime sahen Beobachter in der zunehmend verschlechterten sozioökonomischen Situation in Ägypten. Auch wenn das Regime mit der parlamentarischen Opposition in den "nationalen Dialog" trat, ließen sich außerparlamentarische Oppositionsbewegungen nicht hinters Licht führen und formierten die Bewegung Kifaya (Genug!) (KAS 2005-1: 8).

Dem Mubarak-Regime muss unterstellt werden, dass die Verfassungsänderung den Zweck hatte, dem Präsidenten eine höhere politische Legitimität zu verschaffen. Durch die kompetitive Direktwahl des Präsidentschaftskandidaten stellte sich Mubarak augenscheinlich einem demokratischen Auswahlverfahren.[18] In der Realität verbesserten sich die Chancen oppositioneller Kandidaten jedoch kaum. Die Oppositionsparteien bezeichneten die erfolgreiche Verfassungsänderung zur künftigen Direktwahl des Präsidenten als "politische Katastrophe" (KAS 2005-1: 10).[19] Laut Blaydes herrscht bei vielen Beobachtern darüber Einigkeit, dass die Verfassungsänderung zum Wahlgesetz eine Erfolgsstrategie zum künftigen Wahlerfolg von Hosni Mubaraks Sohn, Gamal darstellte (Blaydes 2011: 205). Der Regierungspartei NDP wurde somit die absolute Dominanz über die Konditionen und Abläufe künftiger Wahlen zuteil. Gamal Mubarak erzielt so bei einer Präsidentenwahl durch den von der NDP institutionell optimal geebneten Weg eine vermeintlich höhere Legitimität, als es durch eine direkte "monarchische" Amtsübergabe von seinem Vater möglich wäre (KAS 2005-1: 5).

Die blutigen Wahlen von 1995, deren Ausgang nur durch massive Bestechungen und Gewaltakte beeinflusst werden konnten, zeigten die zunehmende Unzufriedenheit der ägyptischen Bevölkerung mit der Regierung und darauffolgend die chaotische und schwache Organisationsstruktur der NDP. Bei den Wahlen von 2000 hatte die Partei mit lokalen NDP-Funktionären zu kämpfen, die lieber ihre lokalen Patronagenetzwerke unterstützten, als Ziele und Ideen der nationalen Führung zu repräsentieren. Diese Inkohärenz führte zu einem schlechten Wahlergebnis. Trotz massivem Wahlbetrug und repressiver Maßnahmen schafften es nur 32 Prozent der NDP-Kandidaten sich erfolgreich durchzusetzen. Die NDP erreichte im Parlament nur deshalb eine Mehrheit, indem sie einige ehemalige NDP-Funktionäre zu sich zurückholte, die als unabhängige Kandidaten aufgetreten waren (Rutherford 2008: 218). Diese Grabenkämpfe innerhalb der Partei zeigen den Aufstieg interner neuer Akteure, die die alte Elite mit ihren Forderungen konfrontierten. Die Strategie der Regierung mit ihren demokratischen Reformversprechen und die Förderung Gamal Mubaraks der zum Repräsentant einer neuen politischen Generation avancierte, ist nicht zuletzt auf die internen Konflikte der Regierungspartei zurückzuführen. Das Aufkommen neuer politischer und wirtschaftlicher Eliten und ihre Bedeutung für die 'alte Garde' des Regimes soll im übernächsten Kapitel genauer behandelt werden.

Der Transparency International Perceptions Index misst seit 1995 die Korruption im öffentlichen Sektor weltweit. Dort steht Ägypten an 112. Stelle von insgesamt 182 Plätzen, weist also eine hohe Korruption auf (Transparency International 2012).[20] Anhand eines sogenannten CPI-Werts, der hohe und niedrige Korruption misst und in dieser Reihenfolge von Eins bis Zehn reicht, sind genaue Ländervergleiche möglich.

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Abbildung 3: Corruption Perceptions Index in Ägypten von 2000 - 2011. Eigene Darstellung aus Daten des Transparency International Perceptions Index.

Anhand der Abbildung lässt sich keine Verbesserung der Korruptionsrate in Ägypten feststellen, der Wert bewegt sich sogar tendenziell eher in Richtung eines niedrigeren Werts und lässt damit die Schlussfolgerung einer ansteigenden Korruption zu. Die korrupten politischen und wirtschaftlichen Eliten sind meist enge Vertraute Hosni Mubaraks oder seines Sohnes Gamal (Arafat 2009: 141). Während unter dem früheren ägyptischen Staatspräsident Gamal Abdel Nasser Korruption hart bestraft wurde, verschwanden derartige Sanktionen in der Mubarak-Ära praktisch komplett (Blaydes 2011: 11). Lokale Korruption und die Zunahme der Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik sind nicht zuletzt auf die sinkenden Renteneinnahmen zurückzuführen.

Eine wichtige Rolle in der politischen Stabilität des ägyptischen Regimes stellen externe Akteure dar, die durch finanzielle Hilfeleistungen einen großen Teil der Renteneinnahmen der Machteliten absichern. Als wichtigster Akteur sind hier die USA zu nennen. Mit ihnen war Mubarak, seit er sie im zweiten Golfkrieg militärisch unterstützte, eng verbunden. Nachdem sein Vorgänger Sadat einen pro-westlichen marktliberalen Kurs eingeschlagen und sich die Missgunst der arabischen Liga zugezogen hatte, schaffte es Mubarak eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen den arabischen Staaten und den westlichen Staaten im Nahostkonflikt einzunehmen (KAS 2005-2: 4). Strohmayer spricht ihm diesbezüglich ein hohes diplomatisches Geschick zu, das Land wieder in das Zentrum der arabischen Welt zurückzubringen und seine regionalpolitische Bedeutung gegenüber Israel und den USA sowie den arabischen Staaten durchzusetzen und zu behaupten (Strohmayer 2007: 288). Diese Freundschaften ließ er sich teuer bezahlen indem er das "window of opportunity" des zweiten Golfkriegs nutzte und seine militärische Hilfe mit der Gegenleistung einer äußerst großen Schuldenstreichung verband[21] (Strohmayer 2007: 288).

Die ökonomische Liberalisierung im Ägypten der 1990er Jahre hatte keinen vergleichbaren Prozess in der politischen Sphäre zur Folge. Die US-Administration war durch die Zusammenarbeit mit dem Mubarak-Regime in den vergangenen Dekaden zu der Überzeugung gelangt, das ihre langfristigen Interessen in der Region durch Mubarak ideal vertreten wurden - ungeachtet seiner Untätigkeit in Bezug auf rechtsstaatliche Reformen. Unter dem Banner des "war on terror" spielte Mubaraks repressives Regime in einem globalen Netzwerk peripherer Folterstätten eine nützliche Rolle unter dem Extraordinary Rendition programme der CIA (Alexander 2009: 146).

Mubaraks außenpolitischer Kurs hatte auch Auswirkungen auf die innenpolitischen Verhältnisse. Die Radikalisierung der islamistischen Bewegung Ägyptens ist eng mit den Aktivitäten des ägyptischen Staates und seiner Partnerschaft zu den USA verknüpft. Viele Islamisten wurden in den 80er Jahren nach dem Attentat auf Sadat inhaftiert. Nach ihrer Freilassung finanzierten und bewaffneten die USA und Saudi-Arabien die islamistischen Kämpfer im Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan . Der Dschihad islamischer Aktivisten fand nach ihrer Rückkehr auch Gehör in der ägyptischen Oppositionsbewegung. Einige der ägyptischen Aktivisten entwickelten sich zu den Mitgründern und Anführern der dschihadistischen al-Quaida (Alexander 2009: 147).

Im Vergleich zu Mubaraks außenpolitischen Erfolgen zuvor, stieß die Invasion des Iraks durch die USA im Jahr 2003 auf massiven Protest in der arabischen Welt und in der ägyptischen Gesellschaft. Mubarak gelang es nicht, seine Rolle von 1991 im zweiten Golfkrieg fortzuführen und musste sich mit zahlreichen ägyptischen Demonstrationen und Protestaktionen auseinandersetzen. Anne Alexander vertritt die Auffassung, das sich hier Mubarak darin bestärkt sah, keine demokratischen Reformen voranzutreiben und insbesondere keinen politischen Raum für die oppositionsdominierenden Islamisten zu gewähren[22] (Alexander 2009: 147).

[...]


[1] Es ist allerdings keinesfalls geklärt, ob sich optimale sozioökonomische Voraussetzungen positiv auf den Prozess der Systemtransformation zu einer demokratischen Herrschaftsform auswirken. Vielmehr könnte die Kausalität auch darin interpretiert werden, das die Voraussetzungen Funktionserfordernisse der Demokratie sind (Schlumberger 2008: 62).

[2] So hatten sämtliche im Parlament vertretenen Oppositionsparteien die Präsidentschaftswahl von 2005 boykottiert um gegen die Wahlrechtsänderungen zu protestieren. Die liberale "Wafd-Partei" schickte dennoch überraschend einen Kandidaten ins Rennen und verstieß damit gegen die Abmachungen mit seinen Kollegen aus den anderen Parteien (KAS 2005-2: 3).

[3] Auf das rent-seeking Verhalten politischer und wirtschaftlicher Akteure wird in den folgenden Kapiteln eingegangen.

[4] Zum traditionalen patrimonialen Staat im vorderen Orient und seiner Herrschaftsstrukturen siehe Pawelka 2008: 39.

[5] Das Wort stammt vom arabischen wasat (Mitte) und bezeichnet Klientelismus auf individueller Ebene um knappe Ressourcen z.B. einen Arbeitsplatz oder eine behördliche Genehmigung (Richter 2004: 21).

[6] Letzteres kommt in neopatrimonialen Regimen äußerst selten vor, da die innerpolitische Konfliktachse nicht zwischen Vertretern unterschiedlicher ideologischer Positionen erfolgt, sondern zwischen Insidern und Outsidern. Durch die hohe Rotation bürokratischer und politischer Ämter wird die Grenze zwischen Insidern und Outsidern permanent verwischt, so dass durch die Kooptation potentieller oppositioneller Kräfte diese Bedrohung für das Regime entschärft werden kann (Timm 2010: 110).

[7] Der Begriff 'Rente' hat in diesem Zusammenhang nichts mit unserem alltäglichen Gebrauch des Wortes als Bezeichnung für eine Alters- oder Sozialrente gemeinsam.

[8] Hier muss allerdings angemerkt werden das in der Forschung durchaus Einwände gegen die Kausalität von Renten und politischem System erhoben wurden. Theoretisch sei es durchaus möglich, das ein Land über hohe Renten verfügt, wie im Fall Israel oder Norwegen, aber ein demokratisches System aufweist. Intervenierende Variablen können die Wirkung von Rente verändern oder abschwächen (Richter 2004: 15; Richter 2010: 162).

[9] 'Rent-seeking' bezeichnet dabei das Verhalten gesellschaftlicher Akteure in modernen Gesellschaften. Diese versuchen noch über den Profit hinaus Vorteile zu erlangen, etwa durch eine dominante Marktposition wie ein Kartell. Es kann aber auch eine bestimmte soziale Position sein die materielle Vorteile verschafft, welche sonst nicht auf dem Markt erlangt werden können (Schlumberger 2004: 68).

[10] So waren in Jordanien vor 20 Jahren mehr als 50 % der Arbeitnehmer bei staatlichen Stellen beschäftigt, obwohl die dortige Wirtschaft primär vom privaten Sektor dominiert war und ist. Diese staatliche Beschäftigungsrate liegt höher als im sozialistischen China der 80er Jahre (Schlumberger 2004: 71).

[11] So beschreibt Alaa Al-Din Arafat vor allem die Präsidentschaftswahl von 2005 und die dort vorgefallenen Manipulationen und Einschüchterungen (Arafat 2009: 119). So auch in den Kairo News der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS 2005-1: 5). Durch den Boykott der Parlamentswahlen von 1990 durch fast alle legalen Oppositionsparteien und die Muslimbrüderschaft, war es bei den Wahlen von 1995 zu den bis dato blutigsten Auseinandersetzungen der nachrevolutionären ägyptischen Geschichte gekommen. Von der Opposition wurde massive polizeiliche Repression und offener Wahlbetrug beklagt (Strohmayer 2007: 212).

[12] In dieser Zeit entstanden neue Parteien und Nichtregierungsorganisationen. Auch die rechtlich nicht anerkannte Muslimbrüderschaft konnte ziemlich unbehelligt agieren (Strohmayer 2007: 207).

[13] Mubaraks Vorgänger Anwar as-Sadat war durch einen islamistischen Soldaten getötet worden. Als Folge erklärte Mubarak den Ausnahmezustand, der immer wieder bis heute erneuert wurde und die repressive Machtausübung des Regimes konsolidierte (Marfleet 2009: 23).

[14] Nach seinem Amtsantritt 1981 stellte er fest: "I believe democracy is the best guarantee of our future...I totally oppose the centralization of power and I have no wish to monopolise the decision making, because the country belongs to all of us and we all share a responsibility of it" (Kassem 2004: 54).

[15] Die Egyptian Organisation for Human Rights (EOHR) berichtet von 532 Fällen polizeilicher Folter zwischen 1993 und 2004, davon 120 mit tödlichem Ausgang. Die realen Fallzahlen sind weit höher, da viele Familien aus Angst vor polizeilicher Repression schweigen. So berichtet das in Kairo ansässige El Nadim Center for Psychological Management and Rehabilitation of Victims in Violence von Foltermethoden wie Elektroschocks, Auspeitschungen, Isolationshaft, Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch (El-Dawla 2009: 123).

[16] So lancierte Bush im Januar 2004 seine Greater Middle East Initiative mit konkreten Vorschlägen zur demokratischen Umgestaltung der Region, ohne die betroffenen Staaten im Vorfeld auch nur konsultiert zu haben (Stromayer 2007: 215). Detailliert dazu vor allem Blaydes 2011: 203.

[17] So die Aufhebung des Ausnahmezustands nach Erlass eines Antiterrorgesetzes, Einschränkungen der Rechte des Präsidenten und Aufwertung derselben bei Regierung und Parlament. Die Einführung einer Frauenquote im Parlament und die Aufhebung restriktiver Bestimmungen im Mediengesetz zählten ebenfalls dazu. Ebd.

[18] "Die allgemeine Enttäuschung, ja stellenweise Empörung, die sich nach Verabschiedung des Wortlauts der Verfassungsänderung breit machte, drohte diesen erhofften Legitimationszuwachs jedoch in Frage zu stellen" (KAS 2005-1: 12). Die Wahlbeteiligung von 2005 mit 28 Prozent zeigt eine politische Apathie der Wähler, wobei hier durch den systematischen Wahlbetrug noch ein niedrigerer Wert anzusetzen ist (Soliman 2011: 161).

[19] Zukünftige institutionalisierte Vorteile für die Regierungspartei NDP ergaben sich aus folgenden neuen Regelungen: Präsidentschaftskandidaten können nur nominiert werden, wenn ihre Partei seit mindestens fünf Jahren existiert und über mindestens fünf Prozent Repräsentation im Parlament verfügt. Darüberhinaus muss der mögliche Kandidat von insgesamt mindestens 250 Mitgliedern der Volksversammlung, dem Shura-Rat und lokalen Räten anerkannt werden. Typischerweise verfügt die NDP über 75 Prozent der Sitze in der Volksversammlung und noch größere Anteile in den anderen Räten. Die Regierungspartei kann also jeden Kandidaten einer Oppositionspartei im Vorfeld ablehnen (Blaydes 2011: 206).

[20] In der MENA-Region hält das Land den 12. Platz von insgesamt 17 Plätzen, ist also ebenfalls recht weit hinten angesiedelt (Ebd.).

[21] Ägypten unterstützte die Operation Desert Storm, bei der irakische Truppen aus Kuwait vertrieben wurden. Dafür erhielt das Land einen Schuldenerlass von 7 Milliarden US-Dollar (Alexander 2009: 142). Saudi-Arabien und die Golfstaaten strichen weitere rund 8 Milliarden US-Dollar öffentlicher Schulden und einige westliche Staaten zeigten sich durch Finanzhilfen erkenntlich. Ägypten konnte dadurch seine Staatsschulden etwa halbieren (Strohmayer 2007: 179).

[22] Aber auch die US-Rhetorik wechselte nach den Wahlerfolgen der Muslimbrüderschaft von "heady rhetoric and strong action in support of democratic transformation throughout the Middle East to a cold realism that counsels warm relations with dictators in exchange for their help on counterterrorism and other strategic matters" Alexander 2009: 148).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955495084
ISBN (Paperback)
9783955490089
Dateigröße
2.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Revolution neopatrimonial Instabilität Herrscher Naher Osten

Autor

Leon Keller, B.A., wurde 1985 in Bremen geboren. Das Studium der Politikwissenschaft und Geschichte schloss er im Jahre 2012 erfolgreich ab. Der theoretische Teil der vorliegenden Arbeit entstand aus der Beschäftigung mit der Autoritarismusforschung während des Studiums. Internationale Beziehungen stellten ebenfalls einen Schwerpunkt im Studium dar, deren Thematik sich der Autor nun vertiefend widmet.
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Titel: Der Sturz des Mubarak-Regimes: Ägypten unter ökonomischem Druck
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