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Der Einfluss gesellschaftlicher Gruppen auf die internationale Klimapolitik: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland am Beispiel des Kyoto-Protokolls

©2012 Bachelorarbeit 66 Seiten

Zusammenfassung

Der Klimawandel gilt als eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Die auf fossilen Brennstoffen beruhende Wirtschaftsweise führt zu Problemen, die die Erde nachhaltig verändern. Will man dem Klimawandel entgegenwirken sind umfassende Veränderungen notwendig, wobei insbesondere die Kostenfrage eine wichtige Rolle spielt. Nicholas Stern geht der Kostenfrage in seinem viel beachteten Stern-Review nach und kommt zu dem Ergebnis, dass die Kosten, die durch den Klimawandel verursacht werden, deutlich höher sind, als die Kosten zur Bekämpfung des Klimawandels. Dennoch sind die Fortschritte in der internationalen Klimapolitik gering. Das Kyoto-Protokoll ist das bisher einzige Abkommen mit rechtsverbindlichen Reduktionsverpflichtungen. Die USA, einer der größten Treibhausgas Emittenten, nimmt nicht am Kyoto-Protokoll teil und auch die Verhandlungen zur Fortführung des Kyoto-Protokolls verlaufen schwierig.
Die vorliegende Studie untersucht diesen scheinbaren Widerspruch, indem der Nationalstaat nicht als monolithischer Akteur betrachtet wird, sondern als reiner Vertreter nationaler gesellschaftlicher Interessen. Durch dieses Vorgehen kann eine genauere Analyse von Kosten und Nutzen des Klimawandels, sowie deren Wirkung auf gesellschaftliche Gruppen, erreicht werden. Da nicht alle gesellschaftlichen Interessen im gleichen Umfang berücksichtigt werden, können mächtige Partikularinteressen eine für die gesamte Gesellschaft negative Entwicklung aufrechterhalten. Um dies zu untersuchen, werden im vorliegenden Buch die USA und Deutschland anhand des Neoliberalismus von Andrew Moravcsik analysiert und miteinander verglichen. Nach einem kurzen Umriss der naturwissenschaftlichen Forschungslage zum Klimawandel wird dargestellt, welche allgemeinen Bedingungen für die gesellschaftliche Interessendurchsetzung von Bedeutung sind. In den beiden Länderanalysen wird zunächst untersucht, welchen Einfluss das politische System auf die Interessendurchsetzung der gesellschaftlichen Gruppen hat und wie die jeweilige Ausgangslage ist. Hierbei sind die Energieeffizienz, die Quellen der Energiegewinnung sowie die Ressourcen fossiler Rohstoffe von Bedeutung. Daran schließt sich eine Analyse der Interessen der Wirtschaft und der ENGOs an, und die Frage, mit welchen Mitteln versucht wird, diese Interessen durchzusetzen. Im Fall der USA wird noch auf die konservative Bewegung eingegangen. Ferner wird die Einstellung der Bevölkerung zum Thema Umweltschutz, insbesondere des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2 Der Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik

Um den spezifischen Beitrag des Neoliberalismus zur Analyse internationaler Beziehungen herauszustellen, werden zunächst kurz drei bedeutende Theorien anderer Denkschulen in ihren Erklärungslogiken dargestellt.[1] Alle drei Theorien haben gemeinsam, dass ihre Analyseebene eine rein systemische ist. Innerstaatliche Faktoren besitzen demnach keinen Einfluss auf die internationale Politik. Der Neorealismus geht von einer Anarchie des Staatensystems aus. Dadurch werden alle Staaten dazu gezwungen, die eigene Sicherheit als bestimmendes Staatsziel zu verfolgen. (Gu 2010:70-74) Der Institutionalismus teilt dieses Weltbild mit dem Neorealismus, sieht jedoch neben der nationalen Selbsthilfe die Möglichkeit der Kooperation zwischen Staaten, um die Unsicherheit des internationalen Systems abzubauen (:139). Der Konstruktivismus schließlich sieht die Anarchie des Staatensystems als durch die Staaten sozial konstituiert. Diese soziale Konstituierung ist nach dem Konstruktivismus wandelbar. (:233-234)

Der Neoliberalismus[2] dagegen hat zwei Analyseebenen. Neben dem Staatensystem untersucht er auch die nationalstaatliche Interessenbildung und öffnet damit die „black-box“[3] des Staates. Dem Neoliberalismus nach sind nicht Staaten die Hauptakteure der internationalen Politik, sondern Individuen und gesellschaftliche Gruppen. „Liberal theory rests on a ‘‘bottom-up’’ view of politics in which the demands of individuals and societal groups are treated as analytically prior to politics” (Moravcsik 1997:517). Allgemein konkurrieren gesellschaftliche Akteure darum, ihre Interessen in die Staatspräferenzen einzubringen, welche vom Nationalstaat in den internationalen Verhandlungen vertreten werden. Da eine Harmonie von Interessen ausgeschlossen wird, haben die Interessen dieser Akteure eine zentrale Bedeutung in der Theorie. So entstehen aus knappen materiellen Gütern, verschiedenen Grundüberzeugungen und unterschiedlichen politischen Einflussmöglichkeiten Konflikte unter den gesellschaftlichen Akteuren. Moravcsik geht bei den gesellschaftlichen Akteuren davon aus, dass sie risikoscheu sind. Sie versuchen ihre momentanen Gewinne zu schützen und sind gegenüber antizipierten Kosten und Risiken des Gewinnverlusts vorsichtig. Vereinzelt kann es jedoch risikofreudige oder auch irrationale Akteure geben. (:516-517) In diesem Zusammenhang sagt Moravcsik:

(…) where power asymmetries permit groups to evade the costs of redistributing goods, incentives arise for exploitative, rent-seeking behavior, even if the result is inefficient for society as a whole (Moravcsik 1997:517).

Drei Elemente sind für Moravcsik für die gesellschaftlichen Interessen und den Möglichkeiten zur Durchsetzung der Interessen von Bedeutung. Der „ideational liberalism“ betrachtet die nationale soziale Identität und Wertvorstellungen als Quelle für die Interessenbildung der gesellschaftlichen Akteure. Als weitere Quelle verweist er auf den „commercial liberalism“. Hier geht es um wirtschaftliche Interessen, die die gesellschaftlichen Gruppen verfolgen, und versuchen in die Staatspräferenzen einzubringen. Schließlich ist der „republican liberalism“ zu nennen, dessen wichtigste Variable die Ausgestaltung der inländischen politischen Repräsentation ist und damit Einfluss auf die Möglichkeiten der Interessendurchsetzung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen hat. (Moravcsik 1997:524-533) Neben der formalen Struktur der Repräsentationsinstitutionen eines Staates müssen informale Faktoren im Prozess der gesellschaftlichen Interessendurchsetzung berücksichtigt werden. (:518-520) Diesen Vorgang beschreibt Moravcsik folgendermaßen: „Representative institutions and practices constitute the critical ‘‘transmission belt’’ by which the preferences and social power of individuals and groups are translated into state policy” (Moravcsik 1997:518).

Nach der Darstellung der ersten Analyseebene wird nun betrachtet, wie der Neoliberalismus die nationale mit der systemischen Ebene verbindet. Dazu sagt Moravcsik: „The configuration of interdependent state preferences determines state behavior” (:520). Dies bedeutet, dass Staaten bei der Verfolgung ihrer Präferenzen durch die Präferenzen anderer Staaten eingeschränkt sind. Von besonderer theoretischer Bedeutung ist für Moravcsik hierbei das Konzept der „policy interdependence“. Die durch einen Staat verfolgten dominanten gesellschaftlichen Interessen wirken auf ausländische gesellschaftliche Gruppen in dem sie dort Kosten und Nutzen hervorrufen. Diese interdependenten Präferenzen der Staaten können drei Muster annehmen. Zum einen ist es möglich, dass die Präferenzen eines Staates bei unilateraler Verfolgung für andere optimal sind oder unbedeutend. In solch einem Fall ist eine konfliktarme Koexistenz wahrscheinlich. Sind dagegen die Präferenzen gegensätzlich und folgen aus dem Versuch eines Staates seine Präferenzen durchzusetzen zwingend Kosten für andere ausländische dominierende gesellschaftliche Gruppen, so ist eine Kooperation unwahrscheinlich. Solch eine Situation ist von Konflikten und schwierigen Verhandlungen geprägt. Sind die Staatspräferenzen dagegen so gemischt, dass eine gemeinsame Vorgehensweise, im Gegensatz zu einer unilateralen, die Wohlfahrt beider Staaten mehr steigert, so bestehen starke Anreize zur Kooperation. (Moravcsik 1997:520-521)

Die systemische Komponente seiner Theorie baut Moravcsik auf zwei Arten aus. Zum einen argumentiert er, dass inländische gesellschaftliche Gruppen auch durch die transnationale-gesellschaftliche Interaktion beeinflusst werden können. Zum anderen entsteht aus den unterschiedlichen Präferenzen der Staaten eine Struktur auf internationaler Ebene. Innerhalb dieser Struktur müssen sich die Staaten beständig ihrer eigenen Position in Relation zu den anderen Staaten bewusst sein, um die eigenen Strategien zu optimieren. (:521-524)

Für die vorliegende Arbeit sind folgende Aspekte von Bedeutung. Dem „ideational liberalism“ nach ist zu fragen, welche Wertvorstellung die relevanten gesellschaftlichen Gruppen im Bezug auf den Klimawandel haben. Nach dem „republican liberalism” ist zu untersuchen, welche Auswirkung das politische System auf die gesellschaftliche Interessendurchsetzung im klimapolitischen Verhandlungsprozess hat. Moravcsik sagt dazu: „No govern­ment rests on universal or unbiased political representation; every government represents some individuals and groups more fully than others” (:518). Dem „commercial liberalism“ nach ist schließlich zu fragen, welche Gewinne und Verluste durch ein internationales Klimaabkommen für relevante gesellschaftliche Akteure entstehen. Da ENGOs nicht die Kosten eines Klimawandels verhindern wollen, sondern die Umwelt an sich schützen, ist die Bezeichnung „commercial liberalism“ in diesem Fall nicht ganz zutreffend. Neben diesen Quellen ist nach den informellen Faktoren zu Fragen, die die Interessendurchsetzung beeinflussen. Moravcsik geht davon aus, dass [e]ven where government institutions are formally fair and open, a relatively inegalitarian distribution of property, risk, information, or organizational capabilities may create social or economic monopolies able to dominate policy (Moravcsik 1997:518).

Nachdem die theoretische Basis der Arbeit dargestellt ist, wird nachfolgend auf die für die Arbeit relevanten Grundlagen im Bereich der internationalen Klimapolitik eingegangen.

3 Grundlagen der internationalen Klimapolitik

Die Schwierigkeit in der internationalen Klimapolitik eine Lösung zu finden lässt sich mit der „tragedy of the commons“[4] von Garrett Hardin beschreiben. Hiernach sind Allmendegüter[5] der Erde, wie die Qualität der Atmosphäre, begrenzt, aber frei für alle verfügbar. Ein Ausschluss davon ist nur schwer möglich. Wird die Atmosphäre nun durch Freisetzung von THG-Emissionen verschmutzt, werden die Kosten von der Allgemeinheit getragen, während die Gewinne, die durch die Verschmutzung entstehen, dem Verursacher zugutekommen. Da der Zugang ungeregelt ist, besteht kaum ein Anreiz, das umweltschädliche Verhalten einzustellen. Vielmehr läuft ein rationaler Akteur Gefahr Gewinne durch die Verschmutzung der Atmosphäre zu verlieren, da andere Akteure ihm im Verbrauch der Ressource zuvor kommen könnten. Will man diese Situation verändern, muss der Zugang zum Allemendegut geregelt werden. (Fricke 2001:110-112) Im Falle des Klimawandels benötigt es dazu einer globalen Regelung. Eine Lösung kann weiter durch das Trittbrettfahrerproblem erschwert werden (Olson 1998). Entschließen sich einige Staaten, ihre THG-Emissionen zu senken, andere hingegen nicht, können Letztere von den Maßnahmen der ersten Gruppe profitieren und trotzdem weiterhin ihre Treibhausgase ungehindert freisetzen.

Der Stand der Forschung zum Klimawandel wird vom 1988 gegründeten Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zusammengefasst und in den IPCC-Berichten veröffentlicht. Eigene Forschung betreibt das IPCC nicht. Als zwischenstaatlicher Ausschuss[6] haben die Regierungen der Mitglieder Einfluss auf die Arbeit des IPCC. So werden die Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger im politischen Konsens beschlossen. (Oberthür & Ott 2000:28-29) Für die vorliegende Arbeit gibt der zweite IPCC-Bericht vom Dezember 1995 den Stand der Forschung wieder. Darin heißt es: “The balance of evidence suggests a discernible human influence on the global climate” (IPCC 1995:22).

Bisher stieg die Durchschnittstemperatur seit dem Ende des 19. Jahrhunderts um 0,3-0,6 °C. Bis zum Jahr 2100 wird ein Anstieg von 1,0-3,5 °C erwartet. Dies führt zu verschiedenen Veränderungen auf der Erde[7], wie z. B. ein Anstieg des Meeresspiegels, einer Zunahme von extremen Wetterereignissen und der Verschiebung von Klimazonen. (Oberthür & Ott 2000:29-31) Auch wenn zumeist vom globalen Problem des Klimawandels gesprochen wird, wirken sich die Folgen regional jedoch unterschiedlich aus. In den heutigen Industriestaaten werden die Folgen weniger zu spüren sein, als in den Entwicklungsländern. Verstärkt wird dies noch dadurch, dass die Industriestaaten mehr Ressourcen haben und sich dadurch besser an die Folgen eines Klimawandels anpassen können. (:56-57) Als Ursache für den Temperaturanstieg wird eine verstärkte, durch den Menschen herbeigeführte, Zunahme von Treibhausgasen angesehen. CO2 ist dabei das Gas in den Kyoto-Verhandlungen, welches mit 70-72 % den größten Einfluss auf den Temperaturanstieg hat. Die meisten THG-Emissionen entstehen bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung. (:31-35) Die größten Widerstände sind daher vonseiten der Produzenten fossiler Rohstoffe zu erwarten. Eine ausreichende Verringerung von THG kann nur durch eine verringerte Nutzung fossiler Rohstoffe erreicht werden. Andere Wirtschaftszweige geraten hingegen lediglich unter Anpassungsdruck.

Die bisherige Verantwortung für den Anstieg der THG-Konzentration in der Atmosphäre liegt bei den Industriestaaten. Seit 1800 sind die Entwicklungsländer lediglich für 20 % der weltweiten THG-Emissionen verantwortlich. Drei Viertel der Weltbevölkerung in den Entwicklungsländern verursachten Anfang der 90er weniger als ein Drittel der globalen CO2-Emissionen. Anderseits steigen die THG-Emissionen in den Entwicklungsländern rapide an und könnten bis 2020 die der Industriestaaten übersteigen. (:55-56)

In den internationalen Klimaverhandlungen haben sich die Staaten entsprechend dem Neoliberalismus in drei Gruppen mit jeweils ähnlichen Interessenlagen zusammengeschlossen. Die Europäische Union (EU) ist in den Internationalen Klimaverhandlungen ein Vorreiter, wo sie einen gemeinsamen Standpunkt der Mitgliedsstaaten vertritt. (Oberthür & Ott 2000:40) Die JUSSCANNZ-Gruppe[8] besteht aus Japan, den USA, der Schweiz, Kanada, Australien, Norwegen und Neuseeland. Sie treten allgemein gegen rechtlich bindende Verpflichtungen zur THG-Reduktion ein. (:44) Die Entwicklungsländer vertreten ihre Interessen in der G77+China. Die Gruppe umfasst etwa 130 Länder, jedoch sind voneinander abweichende Positionen darunter vertreten. Die Allianz kleiner Inselstaaten (AOSIS) ist besonders durch den Klimawandel gefährdet und fordert daher strenge Maßnahmen zur Treibausgas-Reduktion. Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) sind an einem Klimaabkommen nicht interessiert und versuchen eine Einigung zu behindern. Sie sehen in einem Abkommen ihre Exporte fossiler Rohstoffe gefährdet und damit ihre wirtschaftliche Grundlage. Die übrigen Entwicklungsländer rücken Fragen der Gerechtigkeit in den Vordergrund. Sie wollen sich in ihrer Entwicklung nicht durch Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion einschränken lassen, wenn die Hauptschuld des Klimawandels bei den Industriestaaten liegt. (:52-58) Bevor auf die beiden Länderanalysen eingegangen wird, ist zu noch fragen, wie die allgemeinen Vorrausetzungen gesellschaftlicher Akteure zur Interessendurchsetzung sind.

4 Allgemeine Bedingungen gesellschaftlicher Interessendurchsetzung

Allgemein lässt sich nach der Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olsen sagen, dass spezifische Interessen, die von kleinen Gruppen verfolgt werden, gegenüber allgemeinen Interessen bei der Interessendurchsetzung im Vorteil sind.[9] Kleine Gruppen sind zum einen leichter zu organisieren, da der Beitrag der einzelnen Mitglieder direkt ersichtlich und zum Erreichen des Ziels notwendig ist. Zum anderen ist das durch die Gruppe erstellte Gut meistens nur den Mitgliedern zugänglich. Allgemeine Interessen, wie der Umweltschutz, stellen dagegen Kollektivgüter bereit, die für alle zugänglich sind. Die Bereitschaft an der Bereitstellung des Kollektivguts mitzuwirken ist daher geringer. Hinzu kommt, dass der Einzelne kaum einen nennenswerten Beitrag zum Kollektivgut leistet. Aus einer rationalen Sicht ist es daher richtig, sich nicht an der Bereitstellung des Kollektivguts zu beteiligen. (Olsen 1998)

Vertreter von Umweltschutzinteressen versuchen über Protest, Lobbying und die Bereitstellung von Informationen für Politik und Öffentlichkeit eine politische Entscheidung zu beeinflussen. Von Winter beschreibt Lobbyismus „(…) als ein Tauschgeschäft, bei dem Informationen und politische Unterstützung gegen Interessenberücksichtigung bei der staatlichen Entscheidungsbildung gehandelt werden“ (Winter 2003:41). Als Ziele einer möglichen Einflussnahme sehen die ENGOS dabei die internationalen Verhandlungen, die nationalstaatliche Entscheidungsfindung, Industrievertreter sowie die öffentliche Meinung an. Ihre Möglichkeiten der Einflussnahme steigen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen. Neben einer großen Mitgliederzahl werden Expertenwissen, ein guter Zugang zu politischen Entscheidungsträgern und finanzielle Mittel benötigt. (Gulbrandsen & Andresen 2004:56-58) Weiter ist die öffentliche Meinung nicht nur ein Ziel der Einflussnahme von ENGOs, sondern auch eine wichtige Ressource zur Durchsetzung ihrer Interessen. Die ENGOs sind sowohl beim Protest als auch beim Lobbyismus auf die öffentliche Unterstützung angewiesen. Die Präferenzen der Bevölkerung sind mitentscheidend, welche Interessenvertreter in der Politik ihre Interessen durchsetzen können. (Roose 2006:281-285)

Für die Wirtschaftsinteressen konstatiert Roose: „In der Wirtschaft sind finanzstarke, hoch professionalisierte Verbände aktiv, welche die Umweltverbände in Expertise und Bindekraft ihrer Mitgliedsorganisationen leicht ausstechen“ (Roose 2006:284). Auch die Organisationen der Wirtschaftsinteressen sind bei ihrer Arbeit zur Interessendurchsetzung auf Informationsbereitstellung, Öffentlichkeitsarbeit und Zugang zu politischen Entscheidungsträgern angewiesen. Zusätzlich können sie über Parteienspenden versuchen Einfluss zu nehmen. (Haacke 2006:175-181) Über ihre Mitglieder haben Wirtschaftsorganisationen aber erheblich größere finanzielle Ressourcen und können dadurch gegenüber ENGOs einen größeren Aufwand zur Interessendurchsetzung betreiben. Nach der Darstellung der Grundlagen gesellschaftlicher Interessendurchsetzung wird nun in den beiden folgenden Länderanalysen die gesellschaftliche Interessenlage zur internationalen Klimapolitik herausgearbeitet. Zu beginn der beiden Analysen wird dazu auf die Ausgangslagen der Länder eingegangen.

5 Die Analyse der gesellschaftlichen Interessenlage von Deutschland

5.1 Ausgangslage

Der Anteil Deutschlands an den weltweiten Treibausgasemissionen lag 2005 bei 2,3 %, gegenüber 1990 ist dies ein Minus von 15,8 % (Umweltbundesamt 2011a). Die im Kyoto-Protokoll zu reduzierenden Gase sind von 1990 bis 1998 um 15,6 % zurückgegangen (Eichhammer u.a. 2001:3). Der Anteil der Rückgänge, die durch den Mauerfall entstanden, beträgt in den 90er Jahren nach Weidner & Mez (2008:357) ca. 50 %.[10] Die pro Kopf Emissionen in CO2-Äquivalenten[11] betrugen 1990 15 t und fielen bis 1997 auf 12,86 t, wobei der Durchschnitt der OECD-Staaten 1997 bei 12,5 t lag. (World Resources Institute 2012) Diese Reduzierung wurde zum Großteil durch eine Verbesserung der Energieeffizienz[12] erreicht (Eichhammer u.a. 2001:5-8). Diese verbesserte sich in Deutschland von 1990 mit 599 auf 444 im Jahr 1999. Der Durchschnitt der Industriestaaten liegt 1999 bei 594. (World Resources Institute 2003:258) So konnte trotz Anstieg des BIP der Primärenergieverbrauch[13] gesenkt werden (BMWi 2010:15).

Der Zusammenhang zwischen Primärenergieverbrauch und THG-Emissionen wird durch eine Betrachtung der Energiequellen deutlich. Insgesamt entfielen von Deutschlands THG-Emissionen 1990 79,24 % auf die Verbrennung fossiler Rohstoffe zur Energiegewinnung. Der größte Teil entsteht bei den Unternehmen der Stromerzeugung mit 34,29 %. Weitere große Posten sind das verarbeitende Gewerbe (inklusive Industrieprozesse) mit 21,77 % und der Verkehrssektor mit 13,12 %. (Umweltbundesamt 2011b) Der Primärenergieverbrauch von Deutschland wurde 1997 zu 60 % aus Importen fossiler Rohstoffe gedeckt. Ca. 13 % entfallen auf die Kernenergie. Die erneuerbaren Energien leisteten einen Beitrag von ca. 2,3 %. Lediglich ca. 25 % des Primärenergieverbrauchs in Deutschland beruhten demnach auf der Nutzung eigener fossiler Brennstoffe. (BMWi 2010:15-17)

Deutschlands Ressourcen an fossilen Energieträgern sind abgesehen von Braunkohle gering. Lediglich Steinkohle ist noch in größerem Umfang vorhanden, aufgrund des Weltmarktpreises aber nur mit staatlichen Subventionen wirtschaftlich abbaubar, wie die Tabelle 1 auf der nächsten Seite zeigt. Bei der Förderung ist Deutschland nur bei der Weichbraunkohleförderung international führend mit 178 Mt im Jahr 2005. Hartkohle wurden 24,7 Mt mittels staatlicher Subventionierung abgebaut. Erdgas wurden 19,9 G.m3 gefördert und Erdöl lediglich 3,6 Mt. (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 2005) Braunkohle hat jedoch von allen Energieträgern die schlechteste CO2-Bilanz (Lübbert 1997:20).

Tabelle 1: Reserven und Ressourcen fossiler Rohstoffe in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mt : 1 Megatonne = 106 t

G.m3 : 1 Gigakubikmeter = 109 m3

Reserven sind Vorkommen, die nach dem heutigen Stand der Technik wirtschaftlich abbaubar sind. Bei Ressourcen handelt es sich um die Vorkommen, die zwar nachweislich vorhanden sind aber gegenwärtig noch nicht wirtschaftlich gefördert werden können.

(Eigene Darstellung, Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 2005)

Welche politischen Rahmenbedingungen auf die gesellschaftliche Interessendurchsetzung Einfluss haben, wird nachfolgend gezeigt.

5.2 Politische Rahmenbedingungen im klimapolitischen Verhandlungsprozess

Nach dem Grundgesetz Artikel 65 besitzt der Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz. Damit bestimmt er die allgemeinen Richtlinien der Bundespolitik. Nach dem Ressortprinzip, ebenfalls Artikel 65 GG, leiten die Bundesminister innerhalb dieser Richtlinien ihre Ministerien selbstständig und in eigener Verantwortung. Für die internationale Klimapolitik ist daher zum einen nach dem Einfluss des Kanzlers sowie den relevanten Ministerien zu fragen. Nach Bierling (2005:37-38) ist der Einfluss des Bundeskanzlers auf die Außenpolitik je nach Amtsinhaber verschieden. Für den Untersuchungszeitraum ist mit Helmut Kohl ein außenpolitisch starker Bundeskanzler im Amt (Bierling 2005:48). Neben dem Bundeskanzler sind vor allem das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) wichtig. Das BMU wurde 1986 gegründet und ist bei den internationalen Verhandlungen in der Klimapolitik federführend und daher von besonderer Bedeutung. Das BMWi vertritt im Kabinett Wirtschaftsinteressen und ist daher erster Ansprechpartner von Interessenvertretern aus der Wirtschaft. Von Bedeutung ist hierbei das Kabinettsprinzip nach Artikel 65 GG, wonach Beschlüsse der Regierung vom Kabinett mit Mehrheit gefasst werden müssen. Zwischen diesen beiden Ministerien kam es in der Klimadebatte zu teils deutlichen Auseinandersetzungen. Der damalige Umweltminister Klaus Töpfer (1994 durch Angela Merkel abgelöst) wollte Deutschlands Vorreiter-Rolle in den Klimaverhandlungen festigen, während das BMWi gegen eine detaillierte Reduktionsverpflichtung war und den Umweltminister aufforderte auf Alleingänge zu verzichten, bis es einen Regierungsbeschluss gibt (Spiegel 1994).

Im Verhältnis der Bundesorgane hat die Bundesregierung die zentrale Rolle. Internationale Verträge werden von ihr ausgehandelt und international beschlossen. Da die Zustimmung des Bundestags für die Ratifikation internationaler Abkommen notwendig ist, hat der Bundestag die Möglichkeit der Einflussnahme. Über informelle Verfahren, wie die Bewilligung des Haushaltsbudgets, stehen ihm weitere Möglichkeiten zur Einflussnahme zur Verfügung. Der Bundespräsident hat außenpolitisch lediglich formelle Kompetenzen. Ausgehandelte und ratifizierte Verträge hat er zu unterzeichnen, außer er zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit des Vertrages. (Bierling 2005:28-36) Im Bund-Länder Verhältnis hat der Bund gegenüber den Ländern in der Außenpolitik eine verfassungsrechtliche Dominanz. Nachdem die Regierung ein internationales Abkommen unterzeichnet hat und diesem im Bundestag zugestimmt wurde, können die Länder über den Bundesrat Einfluss ausüben. Die Zustimmung im Bundesrat ist zur Ratifikation des Kyoto-Protokolls notwendig. (:22-23)

Durch das Parteien- und Wahlsystem werden diese möglichen Vetospieler[14] allerdings beschränkt. Der Bundeskanzler wird vom Bundestag gewählt und stützt sich bei seiner Arbeit auf die Mehrheit der Regierungsparteien im Bundestag. Der politische Konflikt wird hauptsächlich zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien ausgetragen. Wird einem politischen Vorhaben der Bundesregierung im Bundestag die Mehrheit verweigert, kann dies zu Regierungskrisen führen. Durch die starke Parteienbindung und Parteiendisziplin verringert sich die Möglichkeit einer Mehrheitsverweigerung durch den Bundestag weiter. Im Bundesrat erlangt dies ebenfalls Bedeutung, da die großen Parteien sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene vertreten sind. Auch hier wird aufgrund der Parteiendisziplin die Möglichkeit einer gegen die Bundesregierung gerichteten Position verringert. Wenn die Mehrheit im Bundesrat aber von den Oppositionsparteien gestellt, wird, können hier langwierige Verhandlungen notwendig werden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Verhältniswahlrecht in Deutschland. Hierdurch konnten die Grünen 1979 erstmals in einen Landtag und 1983 in den Deutschen Bundestag einziehen. Dies brachte zusätzlich die etablierten Parteien unter Anpassungsdruck, welche daher Umweltthemen vermehrt in die eigenen Programme aufnahmen. (Brühl 2007:705) Der ideelle Faktor Umweltschutz stieg dadurch im Parteienspektrum an.

Schließlich ist noch zu fragen, in welcher Form die gesellschaftlichen Gruppen am politischen Entscheidungsprozess beteiligt werden. Dryzek und andere beschreiben Deutschland als „passively exclusive state“. Der Staat bestimmt demnach, welche gesellschaftlichen Gruppen ihre Interessen in den Politikprozess einbringen können. Dieser Einbezug soll in einen Konsens führen, um den Austrag von Konflikten zu vermeiden. Weiter wird vom Staat kein Einfluss auf die gesellschaftlichen Gruppen ausgeübt. Die entstehende Umweltbewegung hatte daher keine Möglichkeit ihre Interessen in den Politikprozess einzubringen. Über die dadurch entstandene Protestbewegung konnte der Staat jedoch unter Druck gesetzt werden. Viele Forderungen fanden daher Eingang in die Politik und mittlerweile hat die Umweltbewegung Zugang zum politischen Entscheidungsprozess. (Dryzek u.a. 2002) Nachdem die politischen Bedingungen in Deutschland dargestellt wurden, wird nun auf die gesellschaftlichen Interessen, beginnend mit den Wirtschaftsinteressen eingegangen.

5.3 Wirtschaftsinteressen

Der BDI gilt als der wichtigste Vertreter in wirtschafts- und steuerpolitischen Entscheidungen und wird daher exemplarisch genauer analysiert (Haacke 2006:173). Als Dachverband mit heute 38 Branchenverbänden sind hier die wichtigsten Interessenfelder abgedeckt: u. a. die fossile Rohstoffgewinnung, die Automobilindustrie und die Unternehmen der Stromerzeugung. Insgesamt sind im BDI 100.000 Unternehmen mit acht Millionen Beschäftigten organisiert. Der BDI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen der Industrie gegenüber den politischen Akteuren und wichtigen gesellschaftlichen Akteuren. Das selbst gesetzte Ziel des BDI ist es, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken sowie das Wirtschaftswachstum zu fördern.

Der BDI erkannte bereits 1989 das Problem eines potenziellen Klimawandels an. Da der Klimawandel ein globales Problem ist, werden einseitige Maßnahmen von Deutschland abgelehnt.

Angesichts der globalen Dimension möglicher Klimarisiken als Folge eines Treibhauseffektes können nationale Einzelmaßnahmen allein keine wirkliche Problemlösung herbeiführen (…) nur gelingen, wenn ein weltweit abgestimmtes paralleles Vorgehen der Industrie- und Entwicklungsländer erreicht wird (zitiert nach Beisheim 2004:122).

Die IPCC-Berichte werden zwar anerkannt, jedoch wird seitens des BDI auf die noch vorhandenen Unsicherheiten verwiesen und daher müssen etwaige Maßnahmen auch im Falle eines nicht vorhandenen Klimawandels sinnvoll sein. Da der Klimawandel ein langwieriger Prozess ist, sieht man jedoch keinen unmittelbaren Problemdruck. Für in der Presse kursierende Horrorszenarien hat man kein Verständnis und betrachtet sie als unverantwortlich. Da man Wettbewerbsnachteile für Deutschland befürchtet, soll zusätzlich die Rolle Deutschlands im EU-Rahmen überdacht werden. (Beisheim 2004:122-125)

Da der BDI den Grundsatz vertritt, „(…) dass die Menschheit durch diese Maßnahmen nicht mit ökologischen und ökonomischen Nachteilen stärker belastet werden darf, als dies von einer Klimaveränderung selbst erwartet werden muß“ (zitiert nach Beisheim 2004:125) tritt der BDI vor allem für marktwirtschaftliche und ökonomische Instrumente zur Reduzierung der THG-Emissionen ein. Freiwillige Vereinbarungen zwischen Industrie und Politik werden gegenüber Ordnungsrechtlichen bevorzugt. Für den BDI sollen THG-Emissionen vor allem durch eine bessere Energieeffizienz, Verstärkung des Energiesparens und einem ausgewogenen Energiemix erreicht werden. Der Energiemix soll dabei auf Atomkraft und regenerative Energiequellen beruhen. Diese Maßnahmen sind für den BDI unabhängig eines Klimawandels nützlich und werden daher bevorzugt. Andere Methoden wie Energiesteuern werden mit der Begründung der Unangemessenheit abgelehnt. Da private Haushalte und Kleinverbraucher nach dem BDI das höchste Energiesparpotential haben, müssen hier auch die ersten Schritte getan werden (Beisheim 2004:126-128)

Der BDI betreibt vor allem Lobbying bei den zuständigen Ministerien, wie dem BMU und dem BMWi. Dabei kommen formelle wie informelle Kontakte zu Medien und Ministerien zum Einsatz. Neben Informationsarbeit werden Workshops und Diskussionsrunden national als auch im Rahmen der Conference of the Parties (COP)[15] veranstaltet. Mit dem BMU wurde z. B. ein Forum zum „Umweltschutz als Wirtschafts- und Standortfaktor“ durchgeführt. (Beisheim 2004:130-142) Bezüglich des Zugangs zu den relevanten politischen Akteuren ist der BDI dafür, die Federführung in den internationalen Verhandlungen auf das Wirtschafts- oder Außenministerium zu übertragen (Bundesverband der Deutschen Industrie 2001:12-13). Für Beisheim zeigt der BDI „(…)seit 1989 eine relativ konsistente Reaktion auf die Probleme, die mit einem potentiellen Klimawandels [sic!] verbunden sind“ (:122). Wahlkampfspenden für Parteien durch die Wirtschaftsverbände bzw. Unternehmen sind in Deutschland aufgrund der staatlichen Parteienfinanzierung von geringerer Bedeutung, aber vorhanden. Sie zeigen laut Haacke ein Einverständnis der Wirtschaftsverbände mit der Parteiposition. (Haacke 2006:181)

Von der Position des BDI stark abweichende Haltungen sind nur in geringem Ausmaß vorhanden (bereits der BDI ist aufgrund seiner verschiedenen Mitglieder kein einheitlicher Block). Gelbspan (1998: 46 & 50) geht in seiner Untersuchung auf die Finanzierung von Arbeiten von US-Klimawandel­skeptikern ein, welche auch vom Deutschen Kohlebergbau unterstützt wurden. Einige Mitglieder des BDI sind auch im World Business Council for Sustainable Development vertreten. Diese weltweite Koalition aus 160 Mitgliedern tritt verstärkt für eine nachhaltige Entwicklung ein. Einige „Grüne“ Unternehmen haben sich in Kooperation mit ENGOs im European Business Council for a Sustainable Energy Future zusammengeschlossen, welcher in Deutschland gegründet wurde. Sie fordern stärker als der BDI eine nachhaltige Energiegewinnung. (Beisheim 2004:135) Im gesamten Bereich des Umweltschutzes waren 1998 3,2 % der Beschäftigten angestellt (Sprenger u.a. 2003:80). Welche Interessen vonseiten der Umweltschützer vertreten werden und wie ihr Verhältnis zu den Forderungen der Wirtschaft ist, wird nachfolgend untersucht.

5.4 Umweltschutzinteressen

In Deutschland waren im Jahr 2002 5,3 Mio. Bürger Mitglieder in Umweltverbänden (Kösters 2004:221). Ca. 6 % der gesamten Bevölkerung waren demnach in Umweltverbänden organisiert. Im Verlauf der 90er Jahre nahmen die Ressourcen der vier größten ENGOs beständig zu. So hatten Greenpeace Deutschland, der Bund für Umwelt und Naturschutz, der Naturschutzbund Deutschland und der World Wide Fund for Nature Deutschland 1997 insgesamt mehr als 1,15 Millionen Mitglieder und ein Budget von 75,6 Millionen Euro. (eigene Berechnung, Quelle: Amm 2007:380-381) Da die hier dargestellten ENGOs jedoch ein großes Tätigkeitsfeld und andere Ausgaben haben, steht der Arbeit am Klimawandel nur ein Teil der Ressourcen zur Verfügung. So hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz 2005 lediglich 54,5 % seiner Ausgaben in Projektarbeit, Lobbying, Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen getätigt (BUND 2005:26).

Von besonderer Bedeutung für die deutschen ENGOs ist das 1992 nach der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio gegründete Forum für Umwelt und Entwicklung. Es dient den deutschen ENGOs als Koordinierungsstelle um Einfluss auf den internationalen Prozess für eine nachhaltige Entwicklung auszuüben. Das Ziel des Forums Umwelt und Entwicklung ist,

(…) der deutschen Öffentlichkeit den Zusammenhang zwischen Umwelt und Entwicklung zu verdeutlichen und für eine Änderung der verschwenderischen Wirtschafts- und Lebensweise in den industrialisierten Ländern einzutreten, die die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören und Millionen Menschen, insbesondere in den Ländern des Südens, ihrer Lebenschancen berauben (Forum und Entwicklung 2012).

Für ein Klimaabkommen in Kyoto fordert das Forum für Umwelt und Entwicklung in einem zehn Punkte Papier unter anderem eine mindestens 20 %ige Reduktion der CO2-Emissionen. Dabei soll für alle Industrieländer ein gleiches Reduktionsziel festgelegt werden. Zur Umsetzung der Ziele werden gemeinsame Politiken und Maßnahmen (PAMs) gefordert. Die Berechnung von Senken[16] in die Minderungsziele wird abgelehnt, Joint Implementation (JI) und einem Emissionsrechtehandel (kurz Emissionshandel) steht man zu Beginn kritisch gegenüber. Da man vor allem die Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl als Ursache der hohen THG-Emissionen ansieht, wird ein Ausstieg aus der Atomenergie gefordert, da diese eine klare ökologische Energiewende verhindert. In Fragen der Nord-Süd Gerechtigkeit wird eine Aufstockung der finanziellen Mittel für den globalen Umweltschutz gefordert, sowie eine Ausweitung des Technologietransfers in die Länder der Dritten Welt. (Forum und Entwicklung 1997) Das Forum Umwelt und Entwicklung sucht vor den COPs den Diskurs mit der deutschen Delegation um die deutsche Position zu diskutieren. Dazu werden Workshops und Hintergrundgespräche organisiert, um Medien und Öffentlichkeit über die neuesten Entwicklungen der nationalen und internationalen Klimapolitik zu informieren. (Beisheim 2004:278) Die vom BDI präferierte Selbstverpflichtung ohne ordnungsrechtliche Maßnahmen wird vom Forum für Umwelt und Entwicklung abgelehnt. (:287-289)

Mit Germanwatch soll noch die Position einer ENGO betrachtet werden, die sich besonders im Klimaschutz engagiert. In den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll schließt sich Germanwatch dem Stand der Wissenschaft an und fordert für die Industrieländer eine 20 %ige CO2-Reduzierung. Für die Verhandlungen wird zum einen eine sichere Einigung bezweifelt, da einige wichtige Vertragsstaaten der UNFCCC kein großes Interesse an einem Abkommen zeigen. Daher wird, wenn es überhaupt zu einer Einigung kommt, das Ziel, Schaden von Mensch und Natur abzuwenden, nicht erreicht. Weiter wird ein möglichst früher Beginn des Verpflichtungszeitraums gefordert, um für das Klima positive Entwicklungen zu begünstigen. Um die Ziele des Abkommens nicht umgehen zu können, wird zum einen der Emissionshandel im ersten Verpflichtungszeitraum abgelehnt und zum anderen soll „hot air“ und „superheated air“[17] nicht an andere Staaten übertragbar sein. In der schwierigen Frage der Einbeziehung von Entwicklungsländern sieht Germanwatch die Industrieländer in der Pflicht, zuerst eigene Emissionsreduktionen durchzuführen. Von den Entwicklungsländern kann mittelfristig nur eine Minderung des Anstiegs, keine Reduzierung des Ausstoßes gefordert werden. Lediglich langfristig soll ein gleicher Pro-Kopf Ausstoß für Industrie- und Entwicklungsländer angestrebt werden. (Germanwatch 1997) Bezüglich des Zugangs zu Entscheidungsträgern in der Politik seitens Vertretern der ENGOs kommt Beisheim (2004:233) in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Zugang als relativ gut, aber institutionell ausbaufähig bewertet wird.

Damit ENGOs ihre Interessen durchsetzen können, ist - wie gezeigt wurde - auch die öffentliche Unterstützung für den Umweltschutz von Bedeutung. Dadurch wird der mögliche Druck, den ENGOs auf die Politik ausüben können, erhöht. Nachfolgend wird daher auf die Einstellung der Bevölkerung zu Umweltthemen eingegangen.

[...]


[1] Zur Theoriedebatte in den Internationalen Beziehungen siehe einführend Gu 2010:27-50.

[2] Einen Einblick in die Kritik am Neoliberalismus gibt Schieder 2010:211-216.

[3] Die black-box beschreibt einen Untersuchungsteil, der nicht in der Analyse berücksichtigt wird.

[4] Zur Kritik der Anwendung der „tragedy of the commons“ auf den Klimawandel siehe Fricke 2001:112-113.

[5] Allemendegüter zeichnen sich durch eine schwierige Ausschließbarkeit von der Nutzung vom Gut und der Rivalität in der Nutzung aus.

[6] Alle Mitglieder der Vereinten Nationen und der Weltorganisation für Meteorologie sind Mitglieder im IPCC.

[7] Zu den folgen des Klimawandels siehe auch Gelbspan 1998:129-161.

[8] Nach Kyoto wird der Zusammenschluss die Umbrella-Gruppe genannt.

[9] Zur Problematik der Anwendung der Logik des kollektiven Handels auf soziale Bewegungen siehe Homann & Suchanek 1992.

[10] Im Jahr 2000 beträgt der Anteil ca. 10,6 % (eigene Berechnung, Quelle: Eichhammer u.a. 2000:10).

[11] CO2-Äquivalente geben den Beitrag eines Treibhausgases am Treibhauseffekt an. CO2 dient als Vergleichswert.

[12] Gemessen durch Tonnen CO2 pro Millionen Dollar des BIP.

[13] Der Primärenergieverbrauch im Inland basiert auf den im Inland gewonnenen Primärenergieträgern und sämtlichen importierten Energieträgern abzüglich der Ausfuhr von Energie (und ohne Hochseebunkerungen). Definition vom Statistischen Bundesamt.

[14] Vetospieler sind alle am Entscheidungsprozess beteiligten Akteure, deren Zustimmung für eine Veränderung des Status quo notwendig ist (Tsebelis 2002).

[15] Siehe hierzu Kapitel 7.

[16] Senken sind Ökosysteme (wie z. B. Wälder), die mehr CO2 aufnehmen als abgeben. Zu den Bestimmungen von Senken im Kyoto-Protokoll siehe Oberthür & Ott 2000:180-183.

[17] „Hot air“ beschreibt eine Verringerung der THG-Emissionen ohne Klimaschutzmaßnahmen z. B. aufgrund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs (wie in Russland und der Ukraine der 90er). „Superheated air“ beschreibt THG-Reduktionen die bereits vor der ersten Verpflichtungsperiode verringert wurden und in den Emissionshandel eingebracht werden sollen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955495237
ISBN (Paperback)
9783955490232
Dateigröße
324 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Umweltschutzinteresse Umweltschutz Klimawandel Wirtschaftsinteresse Naturschutz

Autor

Dennis Diestertich wurde 1982 in Berlin geboren. Aufgrund des Interesses an politischen Sachverhalten entschloss er sich zum Studium der Politikwissenschaft an der FernUniversität Hagen. Während des Studiums entwickelte sich ein besonderes Interesse an umweltpolitischen Themen. Auch privat ist der Autor zu Themen des Umweltschutzes engagiert.
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Titel: Der Einfluss gesellschaftlicher Gruppen auf die internationale Klimapolitik: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland am Beispiel des Kyoto-Protokolls
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