Möglichkeiten und Grenzen der Thematisierung von Tod und Trauer im Sachunterricht der Grundschule: Dargestellt am Beispiel von Kinderliteratur
Zusammenfassung
Doch wie soll man auf Kinderfragen antworten, auf ihre Trauer reagieren, wenn man sich selbst nie wirklich intensiv mit Tod und Trauer auseinandergesetzt hat und auch nie wirklich gelehrt bekam, was dies bedeutet? Sollten, beziehungsweise müssen denn Kinder schon etwas über den Tod wissen? Verfügen sie über das nötige Verständnis?
Vor allem als zukünftige Grundschulpädagogin wird mir dadurch die Bedeutsamkeit bewusst, sich selbst mit diesen Themen auseinanderzusetzen um Kindern Fragen beantworten zu können, um sie vorzubereiten auf solche schwierigen Situationen und um so ein wesentliches Thema nicht einfach zu verdrängen.
Die vorliegende Studie setzt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Thematisierung von Tod und Trauer im Sachunterricht der Grundschule auseinander. Die Thematisierung soll in diesem Zusammenhang am Beispiel von Kinderliteratur, als mögliche, methodische Chance zur Auseinandersetzung mit den Themen, betrachtet und dargestellt werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.1.1 Gesellschaftliche Entwicklungen in Bezug auf die Themen Tod und Trauer
Die Tabuisierung und die Verdrängung der Themen Tod und Trauer in unserer Gesellschaft wurden und werden durch verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel die Institutionalisierung des Todes, beeinflusst. Das Sterben und der Tod eines Menschen finden heutzutage normalerweise nicht mehr in der eigenen Familie, im eigenen zu Hause statt. Diese Ereignisse und die Aufgaben die dadurch entstehen, werden an Institutionen abgegeben, die die Beschäftigung mit Kranken, Sterbenden und Toten und die Themen Tod und Trauer zu ihrem Beruf gemacht haben. (vgl. IGSL 1999, S.13) Durch die möglicheVerlagerung der Probleme und Aufgaben, die durch alte Menschen, Kranke, Sterbende und Tote entstehen, in Krankenhäuser, in Altersheime, in Seniorenresidenzen und an Bestattungsunternehmen, ist eine persönliche Auseinandersetzung nur noch sehr selten möglich und sicher auch nur noch selten gewollt. In unserer Gesellschaft wird hauptsächlich hinter verschlossenen Türen gestorben. Erwachsene und vor allem auch Kinder kommen so immer weniger in den Kontakt mit den Themen Tod und Trauer. Die Verlagerung des Todesortes und das Abgeben der Organisationsaufgaben in Hinsicht auf einen Verstorbenen haben viele Gründe. Der, im Sterbeprozess und Todesfall, große psychische, körperliche, zeitlich und räumliche, sowie organisatorische Aufwand kann heutzutage von den Verwandten oft nicht mehr getragen werden. Veränderte Sozialstrukturen, weg von der Mehrfamiliengeneration in einem Haus, hin zur Kleinfamilie oder allein erziehende Eltern, lassen die Pflege Sterbender ebenso nicht zu und verhindern somit eine natürliche Auseinandersetzung mit dem Tod. Auch nach dem Tod eines Menschen ist es in unserer Gesellschaft normal geworden, alle weiteren Prozesse und Aufgaben im Zusammenhang mit dem Tod an professionelle Bestattungshäuser abzugeben. Alle Vorbereitungen zur Beisetzung des Toten werden übernommen und müssen nicht mehr selber durchgeführt werden. „Die Bestattung wird zu einer Dienstleistung durch professionelle Helfer, die den Angehörigen jedoch die Möglichkeit nimmt, konkrete Erfahrungen im Umgang mit dem Leichnam zu sammeln.“ (ebd. 2007, S.13) Neben dem Aufwand und der Belastung ist aber auch definitiv die Verdrängung des Sterbens, des Todes, auch des Eigenen, die Angst vor Krankheiten und Trauer aus den Köpfen der Menschen, ein wesentlicher Grund für diese Institutionalisierung. (vgl. Jennessen 2007, S.12 /13)
Durch die gestiegene Lebenserwartung, die modernen medizinischen Möglichkeiten und die umfassende Versorgung wird die Erfahrung des Todes, eines nahe stehenden, wichtigen Menschen, außerdem auch meist erst im Erwachsenenalter erlebt, was die Tendenz zur Verdrängung des Todes verstärkt. (vgl. Hörning/ Leppin 2005, S.5) Deutsche sehen heutzutage im Durchschnitt erst mit über vierzig Jahren zum ersten Mal einen richtigen Leichnam, und selbst dann ist die Auseinandersetzung mit dem Toten nur sehr passiv und distanziert. (vgl. Hinderer/ Kroth 2005, S.9) „Wenn eine Gesellschaft jeden persönlichen Kontakt zum Sterbenden und zum Toten allmählich verliert, braucht sich niemand mehr über die Ausbreitung von Unsicherheiten, Berührungsängsten und Neurosen zu wundern.“ (Daum 2003, S.25)
Ein weiterer Grund für die Tabuisierung und auch Verdrängung der Themen Tod und Trauer in unserer Gesellschaft ist die zunehmende Säkularisierung und der damit verbundene Rückgang von Riten und Bräuchen im Umgang mit Tod und Trauer. Die Säkularisierung, die Ablösung der Menschen, der Gesellschaft aus der kirchlichen Bindung, hat zur Folge, dass es in Bezug auf die Themen Leben und Tod, sowie Trauer keine wirklich allgemein gültigen, gemeinschaftlichen Orientierungen mehr gibt. Das bedeutet, dass ein gemeinschaftlicher Zusammenhalt und eine wegweisende Ausrichtung gegenüber der Thematik nicht mehr vorherrschend sind und jeder Mensch alleine einen Weg finden muss, um Tod und Trauer zu bewältigen. (vgl. Jenessen 2007, S.9) Dazu gehört auch das traditionelle Riten und Bräuche in Vergessenheit geraten und verloren gehen. Rituale und Bräuche in Bezug auf Tod und Trauer stellen eine Möglichkeit dar, dem Verstorbenen zu gedenken und gemeinschaftlich zu trauern. Man kann so den Abschied vorbereiten und gestalten. Rituale und Bräuche geben Stabilität und Halt. (vgl. Witt-Loers 2010, S.109) Heutzutage wird diese Chance der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer kaum noch genutzt. Wurde früher der Leichnam des Toten gewaschen und aufgebahrt, gemeinschaftlich für den Toten gebetet und getrauert, findet heute davon nur noch selten etwas statt. Im Zuge der Säkularisierung wurden vor allem auch kirchliche Zeremonien abgeschafft und ersetzt. Der Prozess des Abschiednehmens vom Toten und des Trauerns hat sich dadurch mehr und mehr privatisiert und findet hinter verschlossenen Türen statt. (vgl. Jenessen 2007, S.9) Wenn jemand verstirbt, stellen die bestehenden Rituale, wie die Trauerfeier und die Beerdigung meist die einzigen Momente, Stunden dar, in denen die Trauer wirklich mit der Öffentlichkeit geteilt und gemeinschaftlich getrauert wird. (vgl. Singerhoff 2006, S.72). Auch schwarze Trauerbekleidung, die ein Zeichen für den schmerzlichen Verlust, den Todesfall, sein sollte, wird heute, wenn überhaupt, meist nicht länger als bis zum Tag der Bestattung getragen. Trauernde werden daher auch nicht mehr wie früher, direkt erkannt und erfahren daher auch weniger Rücksicht und weniger Unterstützung von ihrem Umfeld. (vgl. Jenessen 2007, S.9) Dass auch Menschen anderer kultureller Überzeugungen, wie zum Beispiel die Gothikbewegung, vornehmlich schwarze Kleidung tragen, erschwert die öffentliche Erkennung und Identifikation Trauernder ebenso.
Da unsere Gesellschaft auch durch hohe Leistungsansprüche und Schnelllebigkeit geprägt ist und ein schnelles oft Wiedereinsteigen in den üblichen Alltag verlangt wird, ist es auch nicht möglich, genügend Raum und Zeit zum Trauern zu haben und Rituale und Bräuche wie früher voll auszuleben. (vgl. Witt-Loers 2010, S.18) Dieses Aussterben der öffentlichen, gemeinschaftlichen Rituale in unserer Gesellschaft, die den Trauernden Orientierung, Halt und Ausdruck für Gefühle gaben, führt dazu, dass der Umgang mit Tod und Trauer noch unsicherer wird und die Themen immer mehr verdrängt und tabuisiert werden.
Auch die mediale Überreizung, die Darstellung des Todes im Zusammenhang mit Gewalt, als Unfall, im Krieg, bei Naturkatastrophen und die Präsentation des Todes in Zeichentrickserien, in denen Figuren sterben, um kurz darauf wieder lebendig aufzustehen, hat einen Einfluss auf die Einstellung und die Verdrängung des Todes in unserer Gesellschaft. Die Darstellung eines natürlichen Todes in den Medien scheint nur wirklich im Zusammenhang mit einer berühmten Persönlichkeit interessant zu sein. So wird der Eindruck erweckt, dass der Tod, der in Filmen und dem Fernsehen, aber auch in anderen Medien dargestellt wird, weit weg von uns ist und uns nicht betrifft. Eine emotionale Auseinandersetzung und der richtige Umgang mit Tod und Trauer werden so eher verhindert. Der Tod wird nicht realistisch und/ oder verharmlost dargestellt. (vgl. Hinderer/ Kroth 2005, S.10) Dass durch diese irreführenden Darstellungen in den Medien die Distanz zum Tod wächst, scheint kein Grund zu sein, das zu ändern. Vor allem auch Kindern und Jugendlichen geht durch die Darstellungen des Todes in den Medien ein wesentlicher, unverfälschter Bezug auf diese Themen verloren. Eine kindergerechte Darstellung ist nur selten, fast gar nicht auffindbar. (vgl. Specht-Tomann/ Tropper 2011, S.8)
2.1.2 Kinder durch Tabuisierung vor Tod und Trauer schützen?
Kinder kommen fast täglich in Berührung mit dem Tod und trotzdem findet man kaum Eltern, die ihre Kinder zum Besuch eines Schwerkranken oder zu einer Beerdigung mitnehmen. Eltern wollen ihre Kinder vor Tod und Trauer beschützen. (vgl. Morgan 2003 S.16) Auf kindliche Fragen zu den Themen werden meist nur ausweichende, verharmlosende Antworten gegeben. Eine richtige Reaktion, die richtigen Worte zu finden scheint schwer zu sein und bringt bei Erwachsenen große Unsicherheiten hervor. (vgl. Specht-Tomann/ Tropper 2011, S.8) Die Assoziation von Kindern in Bezug auf den Tod löst in vielen Menschen unangenehme, unpassende Gefühle und Gedanken aus. Unsicherheiten und die Verdrängung des Todes scheinen sich gerade bei Erwachsenen noch zu verstärken, wenn die Thematik mit der kindlichen Erfahrungswelt in Verbindung gebracht wird. Kinder symbolisieren den Anfang des Lebens, Wachstum und Energie, wobei der Tod, das Ende darstellt. (vgl. Jennessen 2007, S.2 /14/15) Kinder sollen von allen negativen Gefühlen, Erfahrungen und Begegnungen ferngehalten werden. Die Kindheit soll schließlich sorglos und unbekümmert verlaufen. Dass auch Kinder bereits Sorgen und Probleme haben, unter anderem auch in Bezug auf Tod und Trauer und mit diesen umgehen müssen, ist vielen bewusst. Anstatt aber darauf einzugehen, werden Kinder lieber weiter verschont und behütet. (ebd. 2007, S.15) Die Meinung, dass Kinder Tod und Trauer nicht verstehen würden und die kindliche Auseinandersetzung Ängste und Belastungen hervorrufen und verstärken würde, hat lange diese Abgrenzung und Verdrängung bestätigt. So werden die Themen auch für Kinder schnell als ungeeignet abgetan, als nicht interessant. „Tatsächlich ist die Thematik Tod, Trauer[…] eine Angelegenheit, die sie [, die Kinder,] sehr beschäftigt.“ (Kaiser 2002, S.202)
Durch die Abgrenzung, die Verschonung der Kinder vor der „schrecklichen“ Wahrheit werden Kindern oft Chancen und Möglichkeiten genommen sich mit den Themen auseinanderzusetzen, sie zu verarbeiten und auch sich zu verabschieden und zu trauern. (Witt-Loers 2009, S.12) Tod und Trauer gehören zur kindlichen Erfahrungswelt dazu. Kinder haben oft weniger Probleme Tod und Trauer zu thematisieren als Erwachsene, da sie unbefangener und natürlicher, mit wenigen Berührungsängsten, damit umgehen können. Das bleibt aber nur solange, bis sie durch die Gesellschaft, durch die Erwachsenen realisieren und lernen, dass Tod und Trauer verdrängt, tabuisiert werden. (vgl. Kienberger 2009, S. 223) Wenn Kindern ein Zugang zur Verarbeitung dieser Themen durch Erwachsene verschlossen bleibt und sie aus diesem wichtigen Lebensbereich ausgeklammert werden, obwohl Kinder sich Kommunikation und Informationen erhoffen, ist das für sie wesentlich schlimmer. Das Verhalten der Erwachsenen ruft in ihnen Unsicherheiten hervor. Kinder stehen mit ihren Fragen, Ängsten und Phantasien alleine da. Wenn Gespräche zu den Themen Tod und Trauer stattfinden, wenn sie meist unsausweichlich geworden sind, wird die Wahrheit in vermeintlich kindgerechte, verharmlosende und für Kinder verständliche Formulierungen verpackt. (vgl. Jennessen 2007, S.15/16) Anstelle der wahren Ausformulierung des Todes, sind Verstorbene „eingeschlafen“, „von uns gegangen“, „im Himmel“, „Engel“. Die Ausdrucksweise „der Verstorbene ist friedlich eingeschlafen“ kann besonders große Ängste bei Kindern hervorrufen. Diese Gleichsetzung von Tod mit Schlaf führt möglicherweise dazu, dass Kinder nicht mehr schlafen wollen, da sie den symbolischen Schlaf, den Tod, und das echte Schlafen nicht unterscheiden können. (vgl. Hinderer/ Kroth 2005, S.9) Auch das konkrete, direkte Verabschieden von dem Sterbenden oder Verstorbenen wird Kindern meistens nicht zugetraut und verwehrt. Kinder sollen den Verstorbenen „[…]in Erinnerung behalten, wie er zu Lebzeiten war“. (Franz 2009, S.133) Der Tod wird für Kinder so nur zunehmend rätselhafter und geheimnisvoller. (vgl. ebd. 2009, S.133) Kinder vor Wahrheiten über Tod und Trauer bewahren zu wollen und diese Themen zu verschweigen und zu verdrängen, scheint zwar gut gemeint zu sein, aber lässt auch Einblicke in das Unverständnis und das wesentliche Unwissen zu, das Erwachsene über kindliches Denken und kindliche Emotionen haben. Um Kindern zuversichtliche, zukunftsweisende Perspektiven auf ihr Leben ermöglichen zu können, muss sich das ändern. (vgl. Daum 2003, S.25) Um einer „geistig-seelischen Entwicklung der Kinder“ nicht im Weg zu stehen, ist eine Beschäftigung mit Tod und Trauer unausweichlich. (Kienberger 2009, S.223) Ist das nicht der Fall, so wird ihnen „[…] die Chance genommen, eigene Gefühle bewusst wahrzunehmen und auszudrücken und in der [weiteren] Auseinandersetzung mit anderen Menschen stabile und enttabuisierte Einstellungen und Verhaltensweisen zu entwickeln.“ (Jennessen 2007, S.15)
2.3 Kindliche Erfahrungen mit den Themen Tod und Trauer
Kinder werden schon früh mit Tod und Trauer konfrontiert und sammeln viele unterschiedliche Erfahrungen. Selbst jüngere Kinder müssen Abschiede, Schmerz und Verluste schon verarbeiten und bewältigen. (vgl. Hinderer/ Kroth 2005, S. 30) Die Erfahrungen, die Kinder in Bezug auf Tod und Trauer machen, haben einen wesentlichen Einfluss auf ihre Vorstellungen vom Tod. Diese Erfahrungen und Einsichten werden durch das Erleben indirekter, direkter und fiktiver Todesereignisse und Todeserlebnisse gemacht. (Plieth 2002, S.39)
Die ersten Erfahrungen, die Kinder mit der Wirklichkeit des Todes machen, sind meist durch die Medien und somit indirekte Erfahrungen. (ebd. 2002, S.40) Ein hoher Fernseh- und mittlerweile auch Computerkonsum bei Kindern ermöglicht das.
Dass Kinder täglich mit Tod und Trauer in den Medien in Berührung kommen, ist heute normal. Die Konfrontation mit Bilder und Eindrücken zu den Themen erfolgt jedoch heutzutage so distanziert, schnell und vielfältig, dass eine emotionale und kognitive Auseinandersetzung nicht möglich ist. So wird beispielsweise der Tod im Spielfilm „[…] glorifiziert, und in den Trickfilmen für Kinder wird er trivialisiert […]“, in den Nachrichten dagegen werden aktuelle, reale Todesgeschehnisse dargestellt. (Wass 2003, S.94) Kinder können in dieser Schnelllebigkeit das Gesehene und Erlebte nicht verarbeiten, die dargestellten Todesereignisse also auch nicht verstehen und nicht betrauern. (vgl. Plieth 2002, S.39 ff.)
Neben den Medien gehören beispielsweise auch durch Kinder aufgenommene Äußerungen Erwachsener zu indirekten Erfahrungen, die Einfluss auf die kindlichen Vorstellungen haben.
„Der beiläufig kommunizierte Tod“ ist eine alltägliche Erscheinung, die die Vorstellungen vom Tod wesentlich mitprägt. (ebd. 2002, S.41) Unbewusstes und unüberlegtes Reden über den Tod, über Trauer, über Verstorbene oder Todesannoncen in Gegenwart von Kindern, kann in diesen verwirrende, ängstigende Vorstellungen und Bilder hervorrufen.
Wesentlich gravierendere Erfahrungen machen Kinder in Bezug auf das Erleben direkter Todesereignisse und Todeserlebnisse. Anders als bei indirekten Erfahrungen werden Kinder in diesem Bereich mit der absoluten Endlichkeit des Lebens konfrontiert. (vgl. ebd. 2002, S.47) Diese direkten Todeserlebnisse können auf unterschiedlichste Weise eintreten.
So sind Todesfälle in der eigenen Familie des Kindes, wie beispielsweise der Tod der Eltern, eines Geschwisterkindes oder der Großeltern, aber auch der Tod anderer nahe stehender Menschen, besonders schmerzliche, direkte Erfahrungen.(vgl. Hinderer/ Kroth 2005, S.37) Der Tod eines anderen Kindes, beispielsweise aus der Schule, stellt ebenso eine direkte Verlusterfahrung dar. (vgl. Franz 2009, S.115) Aber auch der Tod des Haustieres und die Trauer um dieses oder der Fund eines toten Tieres auf der Straße werden als direktes Erleben von Todesereignissen angesehen. Alle diese Erlebnisse können Einfluss auf das kindliche Todesbild und die kindlichen Einstellungen haben. (vgl. Plieth 2002, S.48)
Neben indirekten und direkten Erfahrungen mit Todeserlebnissen und der Todeswirklichkeit entwickeln Kinder auch eigene Todeserlebnisse. Diese fiktiven Todesereignisse entstehen in ihrer Phantasie und im Spiel. Schon kleine Kinder beschäftigen sich so im Spiel mit dem Tod und „erschießen sich“, fallen zu Boden und bleiben bewegungslos liegen und sagen, dass sie nun tot sind.(vgl. Niethammer 2008, S.61) Kinder können dadurch einerseits Trauererlebnisse verarbeiten und reflektieren, andererseits können sie sich so auf reale Situationen vorbereiten und nötige und hilfreiche Verhaltensweisen erproben und einüben (vgl. Plieth 2002, S.48)
2.4 Wie Kinder sich den Tod vorstellen – kindliche Todeskonzepte
Unter dem Begriff des kindlichen Todeskonzeptes versteht man die Vorstellung von Kindern über das Sterben und den Tod. Die Vorstellungen beziehen sich dabei auf den eigenen Tod und den Tod anderer. (vgl. Niethammer 2008, S.62)
Zur Entwicklung eines ausgeprägten, ausgereiften Todeskonzeptes, müssen Kinder (sowie auch Erwachsene) verschiedene Subkonzepte verstehen, durchschauen. Dazu gehören:
- die Universalität (das Verständnis bzw. die Vorstellung, das alle Lebewesen vom Tod betroffen sind, der Tod nicht vermeidbar ist)
- die Irreversibilität ( das Verständnis bzw. die Vorstellung, das der Tod endgültig und unwiderruflich ist, ein erneutes zum Leben erwecken ist nicht möglich)
- die Non-Funktionalität ( das Verständnis bzw. die Vorstellung, das alles für das Leben wichtigen körperlichen Funktionen mit dem Tod erlöschen)
- die Kausalität ( das Verständnis bzw. die Vorstellung, das der Tod eine Ursache hat) (vgl. Wittkowski 1991, S. 317; Wass 2003, S.89; Corr, u.a. 2009; 2006, S. 330)
Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Todeskonzeptes von Kindern hilft dabei, zu verstehen und einzuschätzen, welche Vorstellungen, Ansichten, Fragen und Gefühle Kinder in Bezug auf den Tod haben. Das ist im Umgang mit Kindern zu der Thematik sehr hilfreich, da dadurch ein sensibleres Eingehen ermöglicht werden kann. (vgl. Mendl 2006, S.85)
Kinder entwickeln aus bestimmten Erfahrungen[1], aus äußeren und inneren Einflüssen, ihr eigenes Bild, ihr eigenes Konzept vom Tod. (vgl. Plieth 2002, S.38) Neben kulturellen, religiösen und sozialen Einflüssen der nahen Umwelt des Kindes (vgl. Specht-Tomann/ Tropper 2011, S.59), spielen auch eine „[…]normale geistig-seelische Entwicklung[…]“ (ebd. 2011, S.60), sowie die kognitive Entwicklung eine Rolle für die individuellen, kindlichen Vorstellungen. (vgl. Daum 2003, S.25) Die Bedeutung und die Vorstellung des Todes ist demnach auch nicht angeboren, sondern ein Lernprozess, der durch viele verschieden Faktoren beeinflusst wird. (vgl. Plieth 2002, S.38) Trotz dieser sehr individuellen Entwicklung lassen sich in der Literatur verschiedene Ansätze zur Darstellung von kindlichen Todeskonzepten finden.
Vor allem Jean Piaget hat durch seine Forschungen die Ansichten zum Todesverständnis von Kindern geprägt. Sein entwicklungspsychologisches Phasenkonzept, das die geistige und kognitive Entwicklung von Kindern berücksichtigt und dem entsprechend auch die Todesvorstellungen altersabhängig macht, findet sich oft in der Literatur wieder. (vgl. Daum 2003, S.25). Dass altersabhängige Angaben zu Todeskonzepten nicht als allgemeingültig angesehen werden sollten, ist dabei zu erwähnen. Sie dienen der Orientierung. Die Entwicklung jeden Kindes ist unterschiedlich und sehr individuell. (vgl. Witt-Loers 2009, S.16) Dass Entwicklungsschritte in den verschieden Alterstufen übersprungen werden, sich wiederholen oder sich überschneiden, ist möglich. (vgl. Plieth 2002, S.39)
Kinder, die jünger als drei Jahre sind, besitzen normalerweise noch keine konkreten Vorstellungen vom Tod. (vgl. Hinderer/ Kroth 2005, S. 29) Sie können den Begriff „Tod“ kognitiv noch nicht erfassen und verstehen. (vgl. Daum 2003, S.26) Kinder in diesem Alter erleben jedoch bereits bewusst eine Trennung, einen Verlust, vor allem wenn es sich um eine Bezugsperson aus ihrem nahen Umfeld handelt. Das noch nicht ausgebildete Zeitgefühl, sowie die starke Abhängigkeit, vor allem auch emotional, können bei Kindern dieses Alters zu starken Verlustängsten führen. (Specht-Tomann/ Tropper 2011, S.69)
Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren verstehen den Tod zunächst als einen Zustand der vorüber geht, beispielsweise als Schlafen. (vgl. Wass 2003, S.88) Das Lebewesen sterben können ist in diesem Alter zwar schon bekannt, die Unterscheidung zwischen den Bedeutungen „tot“ und „lebendig“ wird jedoch noch nicht wirklich verstanden. Neugierde und Interesse am Tod sind bereits vorhanden. (vgl. Daum 2003, S.26)
Im Alter zwischen sechs und zehn Jahren verstärkt sich dieses Interesse. Kinder beginnen zu verstehen, dass der Tod nicht nur vorübergehend, sondern mit Endgültigkeit gleichzusetzen ist. Beginnend wird auch der eigene Tod anerkannt. Neben dieser Erkenntnis versuchen Kinder nun auch Ursachen für Todesereignisse zu ergründen (vgl. Wass 2003, S.88)
2.5 Das kindliche Todeskonzept im Grundschulalter
Das Grundschulalter, also das Alter zwischen sechs und zehn Jahren, soll in der Betrachtung der Entwicklung kindlicher Todeskonzepte genauere Betrachtung finden und vertief werden, da es das für die weiteren Ausführungen der Arbeit relevant und wichtig ist.
Ab dem Grundschulalter entwickeln Kinder „[…]konkret anschauliche Denkformen“. (Mendl 2006, S.85) Nach und nach erschließen sich die Kinder im Laufe der Grundschulzeit die Subkontexte eines ausgereiften Todeskonzeptes. (vlg. Göllner 2010 S. 149)
Die Kinder können ab Beginn des Schulalters zunehmend zwischen Leben und Tod unterscheiden. Der Tod wird nicht mehr nur als Regungs- und Bewegungslosigkeit angesehen. (vgl. Daum 2003, S.26) Diese Vorstellungen haben sich durch gesammelte Erfahrungen und Erlebnisse in Bezug auf den Tod, durch Abschiede und Verluste bereits entwickelt und werden nun in der weiteren Entwicklung vertieft und geformt. (vgl. Plieth 2002, S.71)
Durch ein aufgebautes, ausgeprägtes Empfinden der Zeit bauen Kinder im Grundschulalter nun zunehmend ein Verständnis für die Endlichkeit bestimmter Prozesse und Zustände auf. So auch für das Leben. Sie erkennen die Irreversibilität des Todes. Diese Endlichkeit des Lebens wird zwar anerkannt und verstanden, in den ersten Jahren der Grundschulzeit meistens [aber] noch als ein „[…]von außen an das Leben herangetragenes Unglück, als Zufall oder Unfall gewertet[…]“ (ebd. 2002, S.71)
Das äußert sich darin, dass Kinder, vor allem noch am Anfang der Grundschulzeit, den Tod oft als Gestalt, als Person oder als Räumlichkeit ansehen (bsw. als Sensenmann, als Gespenst, als Teufel, als Todeskammer). (vgl. ebd. 2002, S.72 f.)
Im Verlauf der Grundschulzeit entwickeln Kinder immer mehr Interesse für die Themen Sterben, Tod und auch für deren Ursachen. Die zunächst bestehenden Annahmen und Überzeugungen, der Tod betrifft nur andere und vor allem nur alte Menschen, lösen sich langsam auf. (vgl. Mendl 2006, S.85) Das, bei Grundschulkindern bereits entwickelte, jedoch noch nicht völlig ausgereifte Bewusstsein für sich selbst, für ihr eigenes Leben führt nun auch dazu, dass Kinder sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst werden. Das ruft in ihnen große Ängste und schmerzliche Emotionen hervor. Der Verlust des eigenen Lebens wird mit großer Furcht wahrgenommen. Um dieser zu begegnen, suchen Kinder Antworten auf Fragen zu Ursachen für den Tod oder beispielsweise auch zum Verbleib nach dem Tod. Diese Fragen im Grundschulalter beziehen sich meist auf das eigene, kindliche Ich. (vgl. Plieth 2002, S.75 ff.) „Der Tod ist für Kinder faszinierend und Furcht einflößend zugleich, da es viel Aufregendes zu entdecken gibt.“ (Franz 2009, S.81) Vor allem im Alter von acht Jahren sollen Kinder besonders empfänglich und offen für die Thematik sein. (vgl. Daum 2003, S.26) Die richtige Unterstützung bei der Beantwortung der Fragen kann bei dem Aufbau und der Entwicklung des kindlichen Todeskonzeptes sehr hilfreich sein und die Chance bieten, Kinder positiv und vor allem auch angstfrei in dieser Hinsicht zu beeinflussen. (vgl. ebd. 2003, S.26)
Kinder, ab dem zehnten Lebensjahr sind nach und nach in der Lage den Tod als ein biologisches Phänomen zu verstehen. Sie erkennen, dass der Tod, der jeden betrifft, auch sie selbst, mit dem Ende aller körperlichen Funktionen und Kräfte gleichzusetzen ist. „Irreversibilität,KausalitätundUniversalität des Todeskönnen dementsprechend in der Altersgruppe der Zehn[jährigen und Älteren] […]als durchaus bekannte und verständliche Phänomene eingestuft werden.“ (Plieth 2002, S.78)
„Grundschulkinder sind von Natur aus neugierig und haben ein naturwissenschaftliches Interesse, wenn sie die Eigenschaften der „Sache“ Tod zu erforschen versuchen. Die Rätselhaftigkeit des Todes regt sie unaufhörlich an, nach Möglichkeiten zu suchen, um dieses Phänomen besser zu verstehen.“ (Franz 2009, S.80/81)
2.6 Trauer bei Kindern
Trauer gehört zum Leben von Menschen dazu. Durch Trauerreaktionen können Menschen, Abschiede, Verluste, Enttäuschungen und Trennungen verarbeiten und bewältigen. (vgl. Specht-Tomann 2011, S.82) Noch vor einigen Jahrzehnten ging man davon aus, dass Kinder, zu Trauerreaktionen, zum Trauern, nicht fähig sind, beziehungsweise wenn, dann nur eingeschränkt. (vgl. Plieth 2002, S.102) Es wurde angenommen, dass Kinder Abschiede, Verluste, Tod und Trennungen nicht so, wie Erwachsene, in ihrer Bedeutung wahrnehmen können. Falls sie doch trauern sollten, geschieht das dann nur über einen kurzen Zeitraum, da sie die Verlusterfahrung schnell vergessen und sich bald von anderen Dingen ablenken lassen. (vgl. ebd. 2002, S.102) Diese Auffassungen kamen auch daher, dass Kinder als nicht voll wahrgenommene, entwickelte Persönlichkeiten angesehen wurden, die nicht in der Lage sind Gefühle zu äußern. Ebenso schützte diese Ansicht auch vor der Einsicht, dass Kinder auch mit schwierigen Themen, wie Tod und Trauer in Kontakt kommen und sich damit auseinandersetzen müssen. Die Verbindung von Kindern mit solchen schlimmen Erfahrungen, war und ist teilweise noch bis heute[2], eine unangenehme Vorstellung.
Dieses Bild von Kindern hat sich jedoch im Wesentlichen bis heute verändert. Kinder trauern auch. (vgl. ebd. 2002 S.102f.) Sie trauern jedoch meist anders als es Erwachsene tun. (vgl. Daum 2003, S.16) Emotionen, Gefühle und Reaktionen, die Kinder bei Trauer äußern, können so vielfältig und individuell sein, wie Kinder selbst. Neben körperlichen Schmerzen, Krankheiten und Krankheitseinbildungen, können auch Weinen, Zurückgezogenheit und Schweigsamkeit, Wut, Aggressionen, oder Verleugnung mögliche Ausdrucksweisen für Trauer bei Kindern sein. Aber auch Schuldgefühle oder die Idealisierung des Toten sind möglich. (vgl. Brocher 1980, S.31) Aber auch durch Rumscherzen und albern sein, können Kinder versuchen, die Last der Trauer zu verarbeiten. (vgl. Ennulat 2011, S. 56)
Ebenso können rasche Gefühlswechsel oder das Überkommen mehrerer Emotionen gleichzeitig normal sein. Auch das Verlassen des Trauerprozesses, die Anpassung an den jeweiligen Moment und an die jeweilige Stimmung in der kindlichen Umgebung, kann bei Kindern auftreten, bis sie wieder Trauergefühle zeigen oder empfinden. (vgl. Specht-Tomann 2011, S.84) „[…][Diese]Sprunghaftigkeit kindlichen Trauerns wirkt als ein natürlicher Schutzmechanismus, der es ihnen nur von Zeit zu Zeit gestattet, Trauer auszudrücken. Sie schützt sie vor Überbeanspruchung.“ (Ennulat 2011, S.59) Verschiedenste Reaktionen und Verhaltensweisen sind möglich, die Erwachsene nicht immer richtig einordnen, nicht immer verstehen können. (vgl. Daum 2003, S.26) Als eine Art Orientierung, dient dabei, auch bei Kindern, die Darstellung des Trauerprozesses in Phasen, die durchlebt werden.[3]
Bis etwa zum sechsten Lebensjahr empfinden Kinder Verluste und Abschiede als sehr verzweifelnd und leidvoll. Oft werden schreckliche Verlusterfahrungen am eigenen, fehlerhaften Verhalten festgemacht, so dass sich Schuldgefühle aufbauen, die auf die weitere Entwicklung des Kindes wesentliche Einflüsse haben können. (vgl. Plieth 2002, S.123) Kinder unter acht Jahren sind dazu auch noch nicht wirklich in der Lage ihre Gefühle und Emotionen, ihre Trauer in Worten zu formulieren, was besonders für die Begleitung trauernder Kinder sehr schwierig ist. (vgl. Brocher 1985, S.31) Erst in der weiteren Entwicklung „[…] des Sprach- und Denkvermögens erlangt das Kind mehr und mehr die Fähigkeit, seine innere Betroffenheit auch nach außen hin qualifiziert darzustellen […] [und ist] dementsprechend auch für andere zunehmend nachvollziehbar.“( Plieth 2002, S.123) Ab dem Grundschulalter, ab dem Zeitpunkt, an dem auch das Todeskonzept von Kindern immer realistischer wird, sind kindliche Trauergefühle geprägt durch das einerseits starke Verlangen nach Verdrängung, andererseits aber durch den Drang nach Wissen über die Realität. Hinzu kommt, dass auch noch in diesem Alter Schuldgefühle entstehen können und die Frage nach der Gerechtigkeit, Einfluss auf die Trauer bei Kindern hat. (ebd. 2002, S.123)
Wie ein Kind schlussendlich trauert, auf Verlust, Abschied und Tod reagiert, hängt einerseits von dem Kind, dessen Entwicklung, den Todesvorstellungen, dem Alter und dessen Persönlichkeit ab. Andererseits haben aber auch äußere Faktoren Einfluss auf die Trauer und dessen Ausdrucksformen. (vgl. Specht-Tomann/ Tropper 2011, S.82f.)
So hat die Enge der Beziehung, zwischen dem Verstorbenen und dem Kind, eine Bedeutung für den Trauerprozess, genauso wie die Art des Todes und die Vorbereitung auf den Tod des Menschen (ein langer Sterbeprozess oder ein unerwarteter Tod) (vgl. Plieth 2002, S.124) Genauso ist auch die Anzahl bereits erlebter Verluste und Abschiede des Kindes ein Faktor der die Trauer mitbestimmt. Hinzukommend hat auch Einfluss auf Kinder, wie weit sie involviert und informiert werden über den Sterb-, den Todes- und den Trauerprozess und wie sich ihr soziales Umfeld damit auseinandersetzt. (vgl. Franz 2009, S.87)
„Über das Gefühl der Trauer lernt ein Kind den Verlust durch Tod zu verstehen.“ (Ennulat 2011, S.63) Damit es jedoch lernt mit diesen Gefühlen richtig umzugehen, dass diese Gefühle normal sind, auch andere diese Gefühle haben, braucht ein trauerndes Kind Unterstützung und Begleitung im Trauerprozess. Fragen der Kinder müssen beantwortet werden, es muss ihnen gezeigt werden, dass sie verstanden und ernst genommen werden. (vgl. ebd. 2011, S.63) Ein Kind kann so erfahren, dass es nicht hilflos ausgeliefert ist in seiner Trauer, was zur förderlichen Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit beitragen kann. (vgl. Tausch-Flammer/ Bickel 1994, S.109)
3. Die Thematisierung von Tod und Trauer in der Grundschule
Für Kinder ist die Schule, neben der Familie und dem zu Hause, einer der wichtigsten und bedeutendsten Lebensbereiche beziehungsweise Lebensorte. Eine lange Zeit des kindlichen Lebens und der kindlichen Entwicklung wird in der Schule verbracht. (vgl. Witt-Loers 2009, S.12) Wenn Tod und Trauer zur täglichen, kindlichen Lebenswelt[4]gehören, Kinder dazu auch Fragen stellen und interessiert sind, ist es nicht erst recht sinnvoll diese Themen in der Schule zu thematisieren, die einen so großen Lebensbereich in der kindlichen Welt einnimmt und den Kindern neue, bis dahin verwehrte Erkenntnisse ihrer Umwelt eröffnen könnte? Welche Notwendigkeit, welche Bedeutung die Themen Tod und Trauer in der Grundschule haben und welche Chancen sich bieten, soll im Folgenden geklärt werden. Des Weiteren soll in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Lehrerrolle im Kontext der Thematisierung von Tod und Trauer in der Grundschule betrachtet werden. Weiterhin sollen die Themen als wichtiger Bestandteil und Lehrstoff des Sachunterrichtes diskutiert werden.
3.1 Relevanz und Bedeutung der Thematisierung von Tod und Trauer im Unterricht der Grundschule
„Greift eine Lehrkraft die Thematik [Tod und Trauer] auf, wird sie feststellen, dass bereits ein Großteil der Kinder Erfahrungen mit dem Tod gemacht hat.“ (Kaiser 2002, S.202) Diese Erfahrungen sind so vielfältig wie die Kinder selbst und sie „[…] gehören elementar zum Leben, sind gleichsam »Urerfahrungen«, die unser Leben von der Geburt bis zum Tod begleiten.“ (Specht-Tomann/Tropper 2011, S.7) Durch, beispielsweise den Tod eines nahe stehenden Menschen, eines Haustieres, der meist den ersten bewussten kindlichen Kontakt mit dem Tod darstellt (vgl. Jennessen 2007, S.25), oder auch durch die Medien, werden Todes- und Trauererlebnisse zu alltäglichen Erfahrungen. Vor allem in den Medien werden Kindern besonders häufig Todesbilder und -ereignisse präsentiert und dargestellt, die, das sei bemerkt, nicht wirklich, zu klaren und verständlichen Todesvorstellungen von Kindern führen können.[5]So wird von Medienexperten davon ausgegangen, dass Kinder in unserer Gesellschaft bis zu ihrem zwölften Geburtstag etwa 14.000 Leichen gesehen haben werden, nur über Medien. (vgl. ebd. 2007, S.25) Auch die mit einem Verlust, mit dem Tod verbundenen Gefühlen, die Trauer, sind bereits im Erfahrungsschatz der Kinder in der Grundschule verankert. (vgl. Kaiser 2002, S.202)
Doch wer fängt die Kinder auf, wenn sie Fragen zu dem Gesehenen haben und Tod und Trauer verarbeiten müssen. Die Medien haben das nicht in ihrem Programm und auch gesellschaftlich werden die Themen eher „totgeschwiegen“ und aus dem Bewusstsein verdrängt. Im vorherigen Kapitel wurde bereits dargestellt, wie sich die Einstellungen zu Tod und Trauer in unserer Gesellschaft entwickelt haben und welche Konsequenzen und Folgen aus der Verdrängung und Tabuisierung resultieren.[6]Kinder sollten jedoch in dieser Hinsicht vor allem von den Erwachsenen ernst genommen werden. Sie sind schließlich diejenigen, die Einzigen, die Kinder, in Bezug auf die Themen und deren Auseinandersetzung, helfen können. (vgl. Kaiser 06.07.2011, S.10) Deshalb sollten diese kindlichen Erfahrungen gerade von Eltern und vor allem auch von Lehrkräften „[…] ernst genommen werden, denn sie bergen zahlreiche Chancen, von Kind auf zu lernen, den Tod als [natürlichen] Teil des eigenen Lebens zu begreifen [und ihn nicht zu verdrängen].“ (Daum 2003, S.25) Aber insbesondere auch die Eltern oder die Familie können und/ oder wollen emotional oft nicht in Gesprächen mit ihren Kindern über diese schmerzlichen Themen sprechen. Sie sind meist dazu nicht in der Lage und eher „Analphabeten im Trauerbeistand.“ (Götze-Ohlrich 2007, S.71)Hier werden die Notwendigkeit und die Relevanz der Thematisierung von Tod und Trauer in der Grundschule deutlich. Durch die pädagogische Auseinandersetzung werden Kinder im Umgang mit den Themen unterstützt und nicht allein gelassen. (vgl. Jennessen 2007, S.15)
Kinder wollen ihre Lebenswelt erkunden und verstehen. Sie stellen Fragen und interessieren sich für vielfältige Sachen, auch für die Themen Tod und Trauer. Vor allem ab dem Grundschulalter, wenn Kinder die absolute Endlichkeit des Lebens zu verstehen beginnen, der Tod nicht mehr abstrakt ist und sie auch später Ursachen und Umstände ergründen wollen, entwickeln sich viele Fragen.[7]Wenn diese Fragen nicht beantwortet werden, das Interesse nicht gestillt wird, füllen Kinder Wissenslücken mit ihrer Fantasie und ihren eigenen Vorstellungen, die in Bezug auf Tod und Trauer meist nicht realistisch sind und Ängste und Sorgen hervorrufen können, sowie ihre seelische und geistige Entwicklung stören können.[8](vgl. Götze-Ohlrich 2007, S.69) Kinder brauchen eine Orientierungshilfe, die sie unterstützt beim kritischen Hinterfragen, Reflektieren, realistischen Verstehen und Verarbeiten dieser Themen ihrer Lebenswelt. (vgl. Franz 2009, S.55) „Hierin liegt eine wichtige Aufgabe für Schule und Unterricht.“ (Daum 2003, S.27) Die Schule kann Kindern helfen, ihre detaillierten Fragen zu beantworten, sie sachlich aufzuklären und zu unterstützen bei der Auseinandersetzung mit diesen existenziellen Themen. Die Kinder können im Unterricht lernen, über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen, Gefühle und Gedanken auszudrücken und sie nicht zu unterdrücken und kulturelle Einblicke in Trauerkultur und Rituale zu bekommen, die ihnen wahrscheinlich sonst verwehrt bleiben würden. (vgl. Itze/ Plieth 2011, S.118) Dabei kann vor allem auch in der Grundschule die noch bestehende, kindliche Unbekümmertheit und Offenheit im Umgang mit dem Tod und mit Trauer, das vielseitige Interesse und der Entdeckungsdrang der Kinder genutzt werden (vgl. Jennessen 2007, S.26), um die Verbannung, die Tabuisierung der Themen aus dem Leben der Kinder zu verhindern.[9]Die Beschäftigung mit diesen Inhalten würde die Wertschätzung des Lebens und aller Lebewesen und eine offene, positive Einstellung zum Tod und auch zum Trauern bei den Kindern unterstützen, vertiefen und begünstigen. Und das könnte somit auch zukünftig einen anderen kulturellen und gesellschaftlichen Umgang mit den Themen und im Zusammenleben ermöglichen. (vgl. Tausch-Flammer/ Bickel 1994, S.14) Durch eine einfühlsame, sensible Beschäftigung mit Tod und Trauer im Unterricht der Grundschule kann aber auch eine bereits mit Ängsten und Sorgen bedachte, kindliche Todesvorstellung und/ oder auch generell die Angst vor dem Tod und vor Trauerreaktionen genommen werden. Auch hier wird das nötige Enttabuisieren und offene Gestalten der Themen in der Grundschule deutlich. (vgl. Jennessen 2007, S.28)
Kindern werden in der Grundschule selbstverständlich vor allem Grundeigenschaften, wie Schreiben, Rechnen und Lesen beigebracht, sowie der Umgang mit gesellschaftlichen Regeln und Normen. Doch die Vermittlung und das Hinführen zu wesentlichen und einflussreichen Thematiken, wie vor allem Tod und Trauer, die die Kinder in ihrer unmittelbaren Lebenswelt betreffen, werden meist noch vernachlässigt. (vgl. Tausch-Flammer/ Bickel 1994, S.14) Aufgrund oder gerade auch wegen der gesellschaftlichen Verschleierung und Tabuisierung von Tod und Trauer lässt sich vermuten beziehungsweise erahnen, dass die bisherige schulische Auseinandersetzung und Thematisierung noch eher sehr selten stattfindet. (vgl. Jennessen 2007, S.28) Das lässt auch darauf schließen, dass die Erkenntnis, über die Verantwortung und die Zuständigkeit in diesem Bereich, in den Schulen noch nicht wirklich gewonnen und anerkannt wurde. (vgl. ebd. 2007, S.2)
Die Grundschule, die es sich unter anderem aber zur Bildungs- und Erziehungsaufgabe macht, die kindliche, individuelle Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und zu unterstützen, an vorhandenes Wissen und Verstehen der Kinder anzuknüpfen und die Lebenswelt der Kinder zu berücksichtigen und sich daran zu orientieren, muss sich dann auch selbstverständlich mit den Themen Tod und Trauer auseinandersetzen. (vgl. LISUM Bbg/ LISUM/ L.I.S.A 2004, S.7f.) Neben Grundfragen und -problemen unserer Gesellschaft sollen auch die Interessen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler, im Schulalltag berücksichtigt und integriert werden. (vgl. ebd. 2004, S.13) So sollen sie im Unterricht und durch die Schule allgemein Kompetenzen aufbauen und dazu befähigt werden, „[…]sich mit sich selbst und der sie umgebenden Welt und den gesellschaftlichen Schlüsselproblemen auseinander zu setzen.“ (ebd. 2004, S.8) Um diesen Vorstellungen, Festlegungen, Aufgaben, die sich die Grundschule in ihrer Erziehungs- und Bildungsaufgabe stellt, auch wirklich gerecht zu werden, müssen so fundamentale, schwierige Themen wie Tod und Trauer, die einen wesentlichen Teil der kindlichen Lebenswelt ausmachen, Beachtung finden im Schulalltag.
[...]
[1]vgl. Kapitel 2.3
[2]vgl. Kapitel 2.1.1
[3]vgl. Kapitel 1.2
[4]vgl. Kapitel 2.1.2
[5]vgl. Kapitel 2.3
[6]vgl. Kapitel 2.1
[7]vgl. Kapitel 2.5, Todeskonzept im Grundschulalter
[8]vgl. Kapitel 2.6
[9]vgl. Kapitel 2.1.1
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783955495244
- ISBN (Paperback)
- 9783955490249
- Dateigröße
- 328 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Humboldt-Universität zu Berlin
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- Grundschulpädagogik Sachunterricht Trauerbewältigung Ethik
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing