Analyse der Wechselwirkungen von Leistungsbilanzsalden, Währungspolitik und Staatsverschuldung
Zusammenfassung
Diese Studie widmet sich diesen hochaktuellen Fragen. Im Kern geht es um die Verschuldungskrise ganzer Volkswirtschaften: Ausländisches Kapital dient nur in der Theorie der Erhöhung produktiver Investitionen. Tatsächlich bilden sich immer wieder Konsum- und Immobilienblasen, die von einer hohen Staatsverschuldung begleitet sein können, aber nicht müssen. Die Probleme verschärfen sich in einer Welt realwirtschaftlich falscher Wechselkurse, die weder Inflationsdifferenzen noch Leistungsbilanzsalden ausgleichen: Sei es, weil der Wechselkurs abgeschafft wurde (Eurozone), einer Manipulation ausgesetzt ist (China) oder ein ungerechtes Weltwährungssystem einzelnen Akteuren Privilegien verschafft (USA).
Aus diesem Grunde werden nicht nur die Sinnhaftigkeit von Handels- bzw. Leistungsbilanzsalden überprüft, sondern auch die Wirkungen von Auf- und Abwertungen erläutert. Es zeigen sich beispielsweise Effekte, die für Deutschland eine Aufwertung als wohlfahrtsökonomisch sinnvoll werden lassen. Und man beginnt zu verstehen, dass eine äußere und innere Abwertung keine Äquivalente sind, sondern zu Inflation bzw. Depression führen. Insofern verwundert es nicht, wenn der Erhalt des Euro die wirtschaftlichen Probleme in der Südperipherie weiter verschärft.
Ferner werden die Zusammenhänge zwischen staatlicher Verschuldung und der Leistungsbilanz aufgezeigt. Im außenwirtschaftlichen Sinne ist Staatsverschuldung immer dann unproblematisch, wenn der Privatsektor entsprechende Überschüsse aufweist. Wirkt sich Staatsverschuldung auf die privaten Ersparnisse aus und ändern sich die internationalen Kapitalströme? Dieses Buch gibt auch hierzu Antworten, ohne komplexe Modelle zu benutzen.
Wer etwas zu den Hintergründen der Eurokrise erfahren möchte, deutsche Exportüberschüsse kritisch hinterfragt oder die […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.2 Leistungsbilanzsalden im Kreislaufzusammenhang
Bisher wurden die außen wirtschaftlichen Bezüge der Leistungsbilanz im Rahmen einer Zahlungsbilanzanalyse dargestellt. Der Leistungsbilanzsaldo liefert aber auch wichtige Informationen über die binnen wirtschaftliche Situation eines Landes.[1] Hierzu ist ein Blick auf die Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts (Q) notwendig, welches auf den privaten Konsum (C), die privaten Investitionen (I), den öffentlichen Konsum einschließlich der öffentlichen Investitionen (G) sowie für Exporte (X) verwendet werden kann. Die Importe (M) müssen abgezogen werden, da sie in den anderen Komponenten bereits enthalten sind.[2]
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Für das Bruttonationaleinkommen (Y) muss dem Bruttoinlandsprodukt (Q) noch das Faktoreinkommen aus der übrigen Welt hinzugefügt werden:
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wobei (9b) aus (9a) unter Berücksichtigung von (8) und (2) hervorgeht.
Möchte man das verfügbare Einkommen des privaten Sektors YP darstellen, muss man die staatlichen Transfers und Subventionen (TR) hinzurechnen sowie die Steuern und Sozialabgaben (T) subtrahieren:
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Dieses verfügbare Einkommen kann entweder konsumiert (C) oder gespart (S) werden:
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Durch Gleichsetzen von (10) und (11), Berücksichtigung von (9b) und Auflösen nach LB erhält man schließlich:
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Demnach ergibt sich der Leistungsbilanzsaldo aus der Differenz von privater Ersparnis und Investition im Inland sowie dem staatlichen Finanzierungssaldo.[3] Durch Kreditaufnahme im Ausland kann beispielsweise das Budgetdefizit höher sein als das noch verfügbare interne Sparaufkommen. Aber auch die inländischen Investitionen können durch Kapitalimporte die Ersparnisse übersteigen. Salden können also gleichermaßen auf international divergierende Zeitpräferenzraten im Konsum als auch auf unterschiedliche Investitionsmöglichkeiten hindeuten.[4]
Es gibt eine weitere Möglichkeit, den Leistungsbilanzsaldo aus binnenwirtschaftlichen Komponenten heraus zu erklären. Hierzu wird die Summe aus Konsum und Investition im privaten und staatlichen Sektor, d.h. die Gesamtausgaben der Inländer, als inländische Absorption (A) bezeichnet:
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Unter Berücksichtigung von (9b) folgt damit für die Leistungsbilanz:
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Daraus kann man ableiten, dass Länder mit einem Leistungsbilanzdefizit mehr ausgeben (absorbieren), als sie an Einkommen erwirtschaften, während Überschussnationen Konsum- und Investitionsmöglichkeiten ungenutzt lassen. Diese Erkenntnis ist das Fundament für die wertende Aussage, wonach defizitäre Länder „über ihre Verhältnisse leben“ und vice versa.[5] Damit ruft der Absorptionsansatz eine deutlich negative Konnotation im Vergleich zur Kennzeichnung einer defizitären Leistungsbilanz als Investitionsüberhang hervor. Trotzdem sind beide Deutungen äquivalent und durch obige saldenmechanische Zusammenhänge miteinander verbunden.[6]
Ein anschauliches Beispiel für die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten von Leistungsbilanzsalden bietet der von der OPEC ausgelöste Ölpreisschock im Jahr 1973. Die Folge waren große Überschüsse der Ölexportländer einerseits und spiegelbildliche Defizite der Industrieländer andererseits. Diese Defizite können mit der geringen Preiselastizität der Importnachfrage erklärt werden. Da Rohöl kurzfristig nicht substituiert werden konnte und sich der Importwert durch den steigenden Weltmarktpreis erhöhte, geriet die Leistungsbilanz ceteris paribus ins Defizit. Sofern man jedoch die Kapitalbilanz als Triebfeder der Leistungsbilanz betrachtet, rücken die Kapitalimporte als Ursache in den Vordergrund. Demnach legten die OPEC-Länder ihre Überschüsse in Form von Wertpapieren oder Beteiligungen in den Industrieländern an und induzierten dort damit ein Leistungsbilanzdefizit. Eine weitere Erklärung greift die saldenmechanische Differenz von Ersparnis und Investition auf. Auf der Suche nach Substitutionsmöglichkeiten für Rohöl leiteten die Industrieländer enorme Investitionen in die Wege, die das interne Sparaufkommen überstiegen und auch damit ein Defizit in der Leistungsbilanz bewirkten.[7] Obwohl für eine Beurteilung von Leistungsbilanzsalden fallweise Untersuchungen unerlässlich sind, existiert eine Theorie, welche die Salden als Ausdruck ökonomischer Effizienz interpretiert. Sie wird im folgenden Abschnitt dargestellt und diskutiert.
2.3 Theorie des Verschuldungszyklus
Die Theorie des Verschuldungs- bzw. Leistungsbilanzzyklus[8] zeichnet – aufbauend auf den Wachstumsprozess einiger Industrienationen in der Vergangenheit – die Entwicklung eines jungen Schuldnerlandes zu einem reifen Gläubigerland idealtypisch nach.[9] Demnach beschaffen sich aufholende Länder aus dem Ausland Kapital, um über ihre internen Ersparnisse hinaus Investitionen tätigen zu können. Die zum Aufbau einer industriellen Basis benötigten Güter wie Maschinen werden importiert und passivieren damit die Handelsbilanz. Die infolge der Auslandskredite entstehenden Nettozinszahlungen erhöhen das Leistungsbilanzdefizit zusätzlich. Sofern der Wachstums- und Industrialisierungsprozess erfolgreich verläuft, entwickelt sich das Land zu einem reifen Schuldnerland. Der geschaffene Exportgütersektor und eine nachlassende Investitionstätigkeit sorgen für einen Handelsbilanzüberschuss, der zunächst noch nicht die Nettozinszahlungen zu kompensieren vermag. Im Zeitverlauf kann aber die Auslandsschuld verringert werden. Bei positiver Leistungsbilanz erfolgt der Übergang zum jungen Gläubigerland. Die wachsenden Nettozinszahlungen aus dem Ausland ermöglichen einen Konsumzuwachs, durch den die Handelsbilanz in ein Defizit gerät, bis die Leistungsbilanz ausgeglichen ist. Dann ist die Phase des reifen Gläubigerlandes erreicht.[10]
Das beschriebene Szenario ist effizient, weil das Kapital in Länder mit geringer Kapitalintensität fließt. Dort werden die Wachstumschancen genutzt, während die Industrieländer von höheren Investitionserträgen und wachsenden Absatzmärkten profitieren. Das Welt-Bruttoinlandsprodukt wird durch eine optimale internationale Kapitalallokation maximiert.[11] In der Realität gibt es jedoch nur wenige Fallbeispiele, die der Theorie des Verschuldungs- bzw. Leistungsbilanzzyklus entsprechen. Häufig werden die USA in ihrer mustergültigen Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert zur Weltwirtschaftsmacht herangezogen.[12] Der Wechsel von der Schuldner- zur Gläubigernation im Jahr 1917 muss jedoch vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs gesehen werden, der die USA zu einem immensen Güter- und Ressourcentransfer nach Europa zur Kriegsunterstützung zwang.[13] Auch die aktuelle Defizitposition der USA oder die chronischen Überschüsse Chinas widersprechen der Theorie. Sie weist unterschiedliche Mängel auf:
Zunächst gibt es keinen Grund, warum sich eine Nettoschuldnerposition langfristig in eine Nettogläubigerposition verwandeln muss, solange die Zinszahlungen an das Ausland über einen Handelsbilanzüberschuss finanziert werden können.[14] Außerdem ist es ein Trugschluss, wenn von einer geringen Kapitalintensität unmittelbar auf eine hohe Kapital produktivität geschlossen wird.[15] Ein niedriges Bildungs- und Qualifikationsniveau der Bevölkerung oder das Fehlen eines wirksamen Schutzes des Eigentumsrechts stellen gewichtige Investitionshemmnisse dar und verhindern damit Kapitalzuflüsse in arme Länder. Abgesehen davon erscheint es ohnehin fraglich, ob die Entwicklungsländer tatsächlich unter einem Kapitalmangel leiden, der sie zur Außenfinanzierung von Investitionen zwänge. Vielmehr weisen sie konstante Sparquoten von selten unter 5% auf.[16] Jedoch mangelt es dort an Institutionen, die vorhandene Ersparnisse zuverlässig in produktive Investitionen umwandeln. Stattdessen werden Devisenreserven angehäuft, die entweder Inflation bringen oder als totes Kapital brachliegen.[17] Somit wäre der Aufbau eines leistungsfähigen Finanzsektors ein wichtiger Schritt in der Entwicklung armer Länder.[18]
Darüber hinaus ist die saldenmechanische Schlussfolgerung falsch, wonach ein Kapitalimport das Investitionsniveau anhebt, denn Kapitalzuflüsse bedeuten abnehmende Sparzwänge und mehr Güter im Verfügungsbereich der Inländer, die zu Mehrkonsum verführen.[19] Es findet also unter Umständen ein Crowding-Out inländischer Investitionen durch Direktinvestitionen des Auslands statt, der dazu führt, dass diese Länder „zu einem integralen Bestandteil der Bewirtschaftungszone der Gläubigerländer“[20] werden. Vermögenswerte werden via Kapitalimport an das Ausland verkauft, während kurzfristig der Konsum erhöht wird. Der saldenmechanische Zusammenhang, wonach bei einem Leistungsbilanzdefizit I – S > 0 gilt, bleibt gültig. Es kann aber nicht nur durch ein steigendes I, sondern auch durch ein sinkendes S zustande kommen.
Diese skeptische Haltung gegenüber Kapitalimporten scheint sich im Falle der Verschuldungskrise der PIGS zu bestätigen. So war für die zunehmende Auslandsverschuldung Griechenlands und Portugals eine rückläufige gesamtwirtschaftliche Spartätigkeit verantwortlich und ermöglichte damit einen höheren Konsum. Lediglich in Spanien und Irland stiegen die Investitionen.[21] Zudem zeigt sich für den Zeitraum von 1970 bis 2009, dass bei einer Bruttoauslandsverschuldung ab 60% das Wirtschaftswachstum von Entwicklungsländern um etwa 2 Prozentpunkte sinkt und sich ab einer Verschuldung von 90% sogar halbiert.[22]
2.4 Bewertung von Leistungsbilanzdefiziten
Da Leistungsbilanzdefizite zusätzliche Konsummöglichkeiten eröffnen, die auf Dauer die nationale Produktivität überfordern können, ist für deren Beurteilung entscheidend, ob mit der wachsenden Auslandsverschuldung auch die inländischen Produktionsmöglichkeiten steigen. Einerseits kann ein Nettokapitalimport auf eine hohe Präferenz für Gegenwartskonsum (niedriges S), andererseits auf relativ günstige Investitionsbedingungen im Inland (hohes I) zurückzuführen sein. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Verwendung der externen Ressourcen für Konsumzwecke negativ zu werten ist.[23] Problematisch ist es, wenn die unmittelbare Verwendung des ausländischen Kapitals für die Beurteilung eines Leistungsbilanzdefizits herangezogen wird. So werden Direktinvestitionen aus dem Ausland häufig positiv gewertet. Dabei ist einzig das aggregierte Investitionsniveau von Relevanz. Denn wie bereits gezeigt, können Auslandskredite an die Stelle inländischer Ersparnisse und damit auch Direktinvestitionen an die Stelle von Investitionen durch Inländer treten. Zudem gilt es, genauer auf die Natur von Direktinvestitionen zu schauen. Zumindest zwischen OECD-Ländern handelt es sich dabei überwiegend um bloße Eigentümerwechsel.[24] Nur insoweit die erzielten Einnahmen der Alteigentümer in neues Realkapital investiert werden, wirken Direktinvestitionen investitionssteigernd.[25] Kritisch sind darüber hinaus Direktinvestitionen im Wohnungsbau, welcher entgegen der Kategorisierung in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) eher dem langlebigen Konsum zuzurechnen ist, weil er mittel- und langfristig keine outputerhöhende Wirkung erzielt. Stattdessen entziehen Wohnungsbauinvestitionen anderen Wirtschaftssektoren Ressourcen und haben häufig Wohnungspreisblasen zur Folge.[26]
Von mancher Seite wird betont, dass sich Leistungsbilanzsalden in eine Vielzahl von individuellen Tausch- und Kaufakten auflösen lassen und damit aus den individuellen Optimierungskalkülen der privaten Haushalte und Unternehmen resultieren. Daher sei es nicht sinnvoll, nach einer gesonderten makroökonomischen Rationalität solcher Entscheidungen zu fragen.[27] Mit dieser Begründung soll die aus makroökonomischer Perspektive geäußerte Kritik an Ungleichgewichten zerstreut werden. „Der Schluss von der mikroökonomischen Rationalität auf makroökonomische Stabilität ist jedoch unzulässig“, so Priewe.[28] Einzelne Wirtschaftsaktivitäten mögen zwar gewinnträchtig sein, aber in ihrer Gesamtheit kann eine wachsende Nettoauslandsverschuldung zu einer übergroßen Belastung für die Volkswirtschaft werden und Anpassungskrisen auslösen.
Jedes Land[29] unterliegt einer intertemporalen Budgetbeschränkung, nach welcher der abdiskontierte Wert des aggregierten Konsums dem abdiskontierten Wert des Einkommens abzüglich der Investition entsprechen muss.[30] Dies ist nur möglich, wenn sich die Leistungsbilanzsalden langfristig ausgleichen. Illustrierbar ist diese Erfordernis anhand eines einfachen Zwei-Perioden-Modells, welches jedoch unterstellt, dass eine Generation über ihre Verhältnisse lebt und die nächste Generation bestrebt oder gezwungen ist, die Verschuldung wieder zurückzuführen.[31] Dieses Szenario ist nicht sonderlich realistisch. Doch auch im Mehr-Perioden-Fall, bei dem es keine zur Rückzahlung bestimmte Endperiode gibt, müssen in der Zukunft Handelsüberschüsse erzielt werden, wenn ein Ponzi-Spiel ausgeschlossen wird, das von den Finanzmärkten dauerhaft nicht akzeptiert würde.[32]
Ab wann eine Nettoauslandsverschuldung aufgrund des zu leistenden Schuldendienstes als kritisch angesehen wird, kann nicht pauschal beantwortet werden. Man kann aber Leistungsbilanzdefizite beispielsweise dann als nachhaltig bezeichnen, wenn die Last der Verschuldung, bezogen auf einen Status quo, nicht weiter steigt. Dazu muss der Schuldendienst in Relation zum Bruttoinlandsprodukt konstant sein. Dies erfordert bei einer Gleichheit von Nominalzins und Wachstumsrate einen Primärleistungsbilanzsaldo von Null (d.h. ein Leistungsbilanzdefizit nur im Umfang der Zinsabflüsse) und bei einem im Vergleich zur Wachstumsrate höheren Nominalzins sogar einen Nettotransfer von Gütern und Dienstleistungen ans Ausland.[33] Defizite der Primärleistungsbilanz sind also langfristig nur dann tragbar[34], wenn die Wirtschaft dauerhaft [35] schneller wächst als der Zins. Diese Einsicht unterstreicht die Notwendigkeit, Nettokapitalimporte vor dem Hintergrund des Einflusses auf das Investitionsniveau der Volkswirtschaft zu bewerten.
2.5 Bewertung von Leistungsbilanzüberschüssen
Seit Jahren wird der deutschen Bevölkerung von Politik und Medien die Vorteilhaftigkeit von Exportüberschüssen gepriesen.[36] Andererseits machte im Frühjahr 2010 die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde Deutschlands Exportstärke für die damals beginnende Verschuldungskrise einzelner Euroländer mitverantwortlich.[37] Damit spielte sie auf die Spiegelbildlichkeit von Leistungs- und Kapitalbilanz an, denn Leistungsbilanzüberschüsse sind immer mit einem identischen Kapitalexport verbunden, anders ausgedrückt: Ein Exportüberschuss kann nur dann erzielt werden, wenn sich andere Volkswirtschaften – sei es in Form der Staaten und/oder des Privatsektors – verschulden.[38] Deshalb wird gegen Deutschland als chronisches Überschussland häufig der Vorwurf erhoben, mit seinem exportlastigen Wachstumsmodell seine Handelspartner in die Verschuldung zu treiben.[39]
Insbesondere die deutsche Lohnzurückhaltung wird kritisiert und als Teil einer neomerkantilistischen Strategie vermutet. In der Tat enthielt die noch als vorwissenschaftlich zu bezeichnende Wirtschaftslehre des Merkantilismus im 17. und 18. Jahrhundert eine Außenhandelstheorie, die das Heil eines Landes in einer aktiven Handelsbilanz sah. Durch einen Exportüberschuss, das heißt die Nettoausfuhr von Waren gegen die Nettoeinfuhr von Gold, sollte eine Vermehrung des Nationalreichtums erreicht werden.[40] Dieser Reichtum zeigte sich zum einen durch Hortung (Schatzbildung), die etwa im Kriegsfall den Kauf von Waren und Dienstleistungen im Ausland für die Versorgung der Truppen ermöglichte.[41] Zum anderen sah man die stimulierenden Wirkungen einer Vermehrung der Geldmenge – in Zeiten des Edelmetallstandards nur möglich durch Minenförderung oder monetär beglichene Handelsüberschüsse – auf Beschäftigung und Produktion, wobei auch die Bedeutung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes betont wurde.[42] Richard Cantillon (1680-1734) erkannte zwar die inflatorischen Folgen eines wachsenden Geldangebots, wies aber auf die Möglichkeit des Sparens und Hortens sowie internationaler Geldtransaktionen hin, was die Preise nicht so stark ansteigen ließe wie die Geldmenge.[43] Einer der größten Kritiker des Merkantilismus war Adam Smith (1723-1790), der dem Geld (und damit auch dem Gold) einzig die Funktion des Zirkulationsmittels und Wertmaßstabs zuwies. Maßnahmen zur Förderung einer aktiven Handelsbilanz nützten lediglich wenigen Produzenten, schadeten dagegen den Konsumenten durch verteuerte Waren und liefen letztlich dem Zweck aller Produktion entgegen, eine größtmögliche Konsumtion zu erzielen.[44] Mit Beginn der Industriellen Revolution setzte sich schließlich die Freihandelslehre durch.
Zwar ist die merkantilistische Politik unmittelbarer Eingriffe in den Handelsverkehr Vergangenheit. Trotzdem erscheinen die Einwände von Smith etwa vor dem Hintergrund des Absorptionsansatzes weiterhin aktuell. Der Hang zu Exportüberschüssen ist auch bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass „Exporte lediglich ein notwendiges Übel zur Finanzierung der Importe (sind)“[45]. Die für fremde Zwecke und nicht zur Deckung eigener Importe erfolgende Produktion von realen Werten[46] wird zumeist damit rechtfertigt, dass Exportüberschüsse eine Vorsorge vor dem demographischen Wandel darstellten. Denn vor dem Hintergrund eines sinkenden Erwerbspersonenpotentials bei steigendem Altenquotienten eröffne die Auflösung der über Kapitalexporte ins Ausland transferierten Ersparnisse zusätzliche Konsummöglichkeiten, die sich dann aus Importüberschüssen ergeben. Insofern dienen Überschüsse der Konsumglättung und unterliegen einem intertemporalen Nutzenmaximierungskalkül.[47]
Die sich aus einer positiven Nettoauslandsposition ergebende Gläubigerstellung birgt jedoch Verlustrisiken in sich, die angesichts von Währungs- und Wirtschaftskrisen oder weltpolitischen Unsicherheiten beträchtlich sind.[48] So sind die Auslandsforderungen durch Inflationierung bzw. Abwertung jederzeit von Entwertung bedroht. Auch das Risiko eines durch Zahlungsunfähigkeit oder -verweigerung verursachten Vermögensverlustes darf nicht unterschätzt werden.[49] Außerdem können Exportüberschüsse nicht nur als Beleg für die Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft interpretiert werden, sondern auch als Indikator für eine mangelnde Rentabilität inländischer Investitionen und damit als Standortnachteil.[50] Unzweifelhaft stehen die vom Exportsektor eingesetzten Produktionsfaktoren wie Arbeit, Kapital und Rohstoffe den inländischen Verwendungszwecken dienenden Wirtschaftszweigen nicht mehr zur Verfügung. Dauerhafte Überschüsse stellen einen Absorptionsverzicht dar, durch den der Inlandskonsum und die inländische Kapitalstockbildung unterhalb ihrer Möglichkeiten bleiben.[51]
Der Verweis auf die Vorsorgefunktion von Exportüberschüssen vor dem Hintergrund des demographischen Wandels wird dann zweifelhaft, wenn die Defizitländer eine ähnliche Bevölkerungsentwicklung aufweisen. Denn ein Leistungsbilanzsaldo bedeutet zunächst einmal nur eine internationale und keine intertemporale Verschiebung von Kaufkraft.[52] Ob die Defizitländer demographisch-ökonomisch fähig[53] oder politisch willens sind, künftig Kaufkraft an die heutigen Überschussländer abzugeben, muss in Frage gestellt werden. Umso schwerwiegender erscheint der Befund eines im Inland herrschenden, teils erheblichen Investitionsstaus im Bildungs- oder Infrastrukturbereich, der die Sinnhaftigkeit von Leistungsbilanzüberschüssen zusätzlich in Zweifel zieht.[54] Somit eröffnet sich für die Politik ein neues Handlungsfeld in Form der Förderung der inländischen Sachvermögensbildung, etwa durch Schaffung besserer Investitionsbedingungen oder einer Änderung der staatlichen Ausgabenstruktur.[55] Eine Politik aber, die durch das Festhalten an einer für Deutschland unterbewerteten Währung[56] seine Exportüberschüsse beibehalten oder gar vergrößern möchte, schadet den Nichtexportgütersektoren und behindert eine eventuell notwendige Anpassung der Wirtschaftsstruktur.[57] So kann etwa in den „Rettungsschirmen“ für den Euro eine Umverteilung von deutschen Steuerzahlern zu deutschen Exporteuren gesehen werden.[58] Damit wird aber nur Partikularinteressen stattgegeben und dem Gemeinwohl geschadet.
Grundsätzlich gilt, dass die Wohlfahrt eines Landes aus der inländischen Verwendung von Gütern und nicht aus der Produktion von Gütern für das Ausland entsteht.[59] In der Phase einer wirtschaftlichen Depression jedoch kann der Kapitalexport und damit ein Exportüberschuss zum „Lebensretter“ werden.[60] Unter den Voraussetzungen einer unterbeschäftigten Wirtschaft und eines zeitweiligen Mangels an effektiver Nachfrage kann eine gesteigerte Exportnachfrage zu einer Stabilisierung der Einkommen führen. Der Außenhandel übernimmt dann eine Ventilfunktion.[61] Demnach wird die durch sinkende Konsum- und Investitionsausgaben entstehende Ersparnislücke (S – I > 0) ins Ausland transferiert und der durch die Rezession entstandene Einkommensrückgang über steigende Exporte wieder kompensiert. Eine Verbesserung der primären Leistungsbilanz allein ist noch keine hinreichende Bedingung, denn sie kann auch monokausal auf ein sinkendes Importvolumen zurückzuführen sein, das sich bei einer erlahmenden Binnenkonjunktur üblicherweise ergibt. Nur dann, wenn der Kapitalexport im Ausland das aggregierte Konsum- und Investitionsniveau hebt, erhöht sich die Nachfrage nach Exportgütern und sorgt somit für eine Stabilisierung.[62] Im übrigen gilt die Ventilfunktion ebenso bei einem kurzzeitigen Boom, dessen Inflationsgefahren durch gesteigerte Importe verringert werden können. Demnach sind Leistungsbilanzungleichgewichte, die lediglich internationale Konjunkturdifferenzen widerspiegeln, durchaus positiv zu sehen.[63] Chronische Überschüsse oder Defizite in den Leistungsbilanzen einzelner Länder bleiben davon unberührt.
[...]
[1] Vgl. Busch/Grömling/Matthes (2011), S. 10.
[2] Deshalb darf aus der Gleichung nicht gefolgert werden, dass Importe das Bruttoinlandsprodukt schmälern. Dies ist nur dann der Fall, wenn Importe an die Stelle von Eigenproduktion treten, wie Konrad (1979), S. 23 nachdrücklich darlegt.
[3] Oder, einfacher ausgedrückt, aus der Differenz der gesamten volkswirtschaftlichen Ersparnis und Investition. Vgl. Busch/Grömling/Matthes (2011), S. 12.
[4] So Rübesamen (1996), S. 298, der den Ersparnis-Investitions-Ansatz auf Grundlage von individuellen intertemporalen Optimierungskalkülen mathematisch modelliert.
[5] Vgl. Busch/Grömling/Matthes (2011), S. 12.
[6] Vgl. Sachs/Larrain (1995), S. 212.
[7] Vgl. Rübel (2002), S. 45.
[8] Wie aus (7) hervorgeht, sind Auslandsverschuldung und Leistungsbilanzsalden zwei Seiten einer Medaille. Bei ersterem handelt es sich um die Bestands-, bei letzterem um die Stromgrößenbetrachtung.
[9] Vgl. Gundlach/Scheide/Sinn (1990), S. 23ff.
[10] Eine graphische Darstellung dieser Theorie findet sich in Abb. 4 (Anhang). Genau genommen muss hier die Rede von der Primärleistungsbilanz statt der Handelsbilanz sein. Denn selbstverständlich kann sich ein Land auch beispielsweise auf den Tourismus spezialisieren, der eine Entwicklung der Dienstleistungs bilanz mit sich bringt.
[11] Vgl. Gundlach/Scheide/Sinn (1990), S. 2.
[12] Dargestellt etwa in Sachs/Larrain (1995), S. 747f. oder Gundlach/Scheide/Sinn (1990), S. 25f.
[13] Vgl. Stadermann (1996), S. 48f.
[14] Vgl. Gundlach/Scheide/Sinn (1990), S. 26f.
[15] Vgl. Sachs/Larrain (1995), S. 748.
[16] Vgl. Hankel/Isaak (2011), S. 179.
[17] Mehr dazu in Abs. 3.1.
[18] Vgl. Hankel/Isaak (2011), S. 146f. sowie Stadermann (1996), S. 63.
[19] Vgl. Stadermann (1996), S. 50.
[20] Ebd., S. 50.
[21] Vgl. Deutsche Bundesbank (2010), S. 21. Weshalb der Investitionsanstieg in Spanien und Irland vor dem Hintergrund eines Immobilienbooms kritisch gesehen werden muss, wird im folgenden Abs. 2.4 erläutert. Mehr dazu vgl. auch Dullien (2010), S. 15ff.
[22] Vgl. Reinhart/Rogoff (2010), S. 16ff. Die Erstellung einer entsprechenden Langzeitstudie für Industrie länder war den Autoren mangels Daten nicht möglich.
[23] Vgl. etwa Caspers (2002), S. 203 oder Rübel (2002), S. 45.
[24] Vgl. Priewe (2011), S. 29.
[25] Genau genommen handelt es sich bei dem Eigentümerwechsel aus Sicht des Inlands um eine Disinvestition, wie Stadermann (1996), S. 62 festhält, denn die Erträge aus dem Vermögenswert fließen künftig ins Ausland ab. Ein Profit entsteht nur dann, wenn das einströmende Kapital so eingesetzt wird, dass die Rendite aus der neuen Investition die abfließenden Erträge überkompensiert.
[26] Vgl. Priewe (2011), S. 29. Eine Wohnungspreisblase ist beispielsweise ursächlich für die Verschuldungsprobleme des spanischen Staates, der infolge ausfallender oder notleidender Kredite zahlreiche Banken zu stützen hat. Zudem sorgt die Krise der aufgeblähten Bauindustrie für rezessive Tendenzen der spanischen Wirtschaft.
[27] So beispielsweise Gundlach/Scheide/Sinn (1990), S. 28.
[28] Priewe (2011), S. 21. Ähnlich dazu Schröder (1989), S. 509: „Mit dem Bild atomistisch strukturierter Märkte im Hintergrund ist der dabei entstehende Fehler zu vernachlässigen.“ Die mikroökonomische Fundierung ist ein hilfreicher Erklärungsansatz für Salden, kann aber nicht ihre Beurteilung ersetzen.
[29] Abgesehen von den USA, die im Besitz der Weltanlagewährung sind und insofern keinem „Diktat der Zahlungsbilanz“ unterliegen, wie Priewe (2011), S. 20 die Budgetrestriktion durch den notwendigen Zahlungsbilanzausgleich nennt. Mehr dazu im Abs. 3.4.2.
[30] Vgl. Sachs/Larrain (1995), S. 219.
[31] Die Nettoverschuldung sowohl am Beginn als auch am Ende der Betrachtung liegt folglich bei null. Vgl. Busch/Grömling/Matthes (2011), S. 14.
[32] Vgl. Sachs/Larrain (1995), S. 222ff.
[33] Vgl. Priewe (2011), S. 24.
[34] An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass in der Realität weniger die technische Trag fähigkeit einer Auslandsverschuldung von Relevanz ist als vielmehr die jeweilige Bereitschaft, den Schuldendienst zu leisten. Diese Bereitschaft geht realistischerweise vor dem Erreichen einer ökonomisch fundierten „Schuldentragfähigkeitsgrenze“ verloren. Mehr dazu siehe Fn. 72.
[35] Das Wirtschaftswachstum in einigen Euro-Mitgliedsstaaten vor Beginn der Krise beruhte in Wahrheit auf einem inflationären Boom, der sich in den Verbraucherpreisen (Konsumboom in Griechenland) oder Vermögenspreisen (Bauboom in Spanien und Irland) widerspiegelte und nicht nachhaltig sein konnte. Die Entwicklung wurde jäh gestoppt, als mit dem Ausbruch der US-Hypothekenmarktkrise die Investitionsentscheidungen neu überprüft wurden, wie Schnabl (2011b), S. 8 konstatiert.
[36] Die einseitige Exportfixierung der Deutschen offenbart sich auch immer wieder bei der Publikation der neuesten Exportdaten in den Zeitungen und Nachrichten. Nur selten erfährt man aus den Meldungen die Entwicklung der Importe bzw. der Handelsbilanz.
[37] Vgl. o.V. (2010b).
[38] Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich die Handels- und Kapitalströme nicht bilateral, sondern nur in der Summe entsprechen müssen. Vgl. Priewe (2011), S. 60 Fn. 17. Demnach könnte ein Land, welches seine Überschüsse überwiegend in bestimmten Ländern realisiert, seine Gläubigerrisiken durch Diversifikation seiner Kapitalanlagen durchaus verkleinern.
[39] Diese Sichtweise rekapituliert Haß (2010), S. 27ff.
[40] Hierzu empfahlen die Merkantilisten wie James Steuart (1712-1780) Verbote der Geld- und Edelmetallausfuhr, Fördermaßnahmen für den Fertigwarenexport wie steuerliche und weitere Subventionen sowie protektionistische Vorschriften und Mengenkontingente auf der Einfuhrseite. So sollten notwendige Rohstoffe und Grundnahrungsmittel zwar ins Land gelassen, die Einfuhr von Veredelungsprodukten jedoch minimiert werden. Vgl. Brandt (1992), S. 44.
[41] Häufig entschieden die Reserven den Ausgang kriegerischer Konflikte, so Bökenkamp (2010), der darauf hinweist, dass die Schatzbildung nur im Edelmetallstandard eine sinnvolle politische Maßnahme sein kann. Im Zeitalter des Papiergeldes (Fiat-Money) dagegen drohen die Devisenbestände jederzeit durch Inflationierung entwertet zu werden.
[42] Vgl. Schmidt (2002), S. 41f.
[43] Vgl. ebd., S. 43. Unter Vernachlässigung des Hortens und Kapitalexports entwickelte David Hume (1711-1776) schon früh die Lehre vom selbsttätigen Ausgleich der Zahlungsbilanz, wonach das Exportüberschussland durch das einströmende Gold ein steigendes Preisniveau zu verzeichnen hat, das eine erhöhte Ein- und verminderte Ausfuhr zur Folge habe. Vgl. Stavenhagen (1969), S. 514. Kritisch zu dieser frühen Quantitätstheorie des Geldes äußert sich Stadermann (1996), S. 56ff.
[44] Vgl. Stavenhagen (1969), S. 515.
[45] Kullas (2011).
[46] Adebahr (1990), S. 64 charakterisiert dauerhafte Exportüberschüsse zutreffend als „langfristige und praktisch unverzinsliche Überlassung von Realleistungen“.
[47] Vgl. Issing/Masuch (1989), S. 5ff.
[48] Die derzeitige Eurokrise verdeutlicht die Gefahren. So bestand das deutsche Nettoauslandsvermögen von knapp 934 Milliarden Euro Ende 2011 unter anderem aus Target-II-Forderungen der Bundesbank in Höhe von über 463 Milliarden Euro, siehe hierzu Deutsche Bundesbank (2012a), S. 98 sowie Deutsche Bundesbank (2012b). Diese gemäß dem Hauptrefinanzierungssatz nur mit 1% verzinsten sowie nicht besicherten Forderungen sind im Verlauf des Jahres 2012 weiter gestiegen. Zwar werden die mit Target-II-Forderungen verbundenen Ausfallrisiken vom gesamten Eurosystem getragen. Der deutsche Haftungsanteil berechnet sich aus dem Kapitalschlüssel der EZB und liegt derzeit bei rund 27%. Da aber im Krisenfall nicht alle Euro-Länder für die ausfallenden Target-Verbindlichkeiten aufkommen können, erhöht sich entsprechend der Haftungsanteil, vgl. CESifo (2012). So oder so steht ein erheblicher Teil des Auslandsvermögens durch die Eurokrise auf dem Spiel.
[49] Darauf weisen beispielsweise Sachs/Larrain (1995), S. 231f. hin. Laut Reinhart/Rogoff (2009), S. 53f. ist sogar eine fehlende Rückzahlungs bereitschaft die weitaus häufigere Ursache von Zahlungsausfällen als eine mangelnde Rückzahlungs fähigkeit. Diese Aussage wird gestützt durch eine Analyse der Zahlungsausfälle von Ländern mit mittlerem Einkommen in den Jahren 1970 bis 2008, nach der mehr als die Hälfte der Zahlungsausfälle bei eigentlich handhabbaren Auslandsschuldenquoten von unter 60% des BIP eintreten. Die Autoren machen dafür „the lack of a supernational legal framework for enforcing debt contracts across borders“ verantwortlich.
[50] Vgl. Rübel (2002), S. 14.
[51] Vgl. Caspers (2002), S. 203f. Überschüsse ergeben nur dann Sinn, wenn die reale Verzinsung des Auslandsvermögens höher ist als von inländischen Investitionen. Ein dann ohne Verschlechterung der Nettoauslandsposition realisierbares Defizit der primären Leistungsbilanz würde ein höheres Konsumniveau ermöglichen als bei einer vorangegangenen Erweiterung der inländischen Produktionsmöglichkeiten.
[52] Vgl. Flassbeck (2000), S. 4.
[53] Wie bereits in Abs. 2.4 festgestellt werden musste, garantieren selbst Direktinvestitionen im Ausland nicht, dass das dortige Investitionsniveau steigt, geschweige denn das künftige Outputniveau.
[54] So stellt der SVR (2010), S. 121 fest, dass die staatlichen Nettoinvestitionen in Deutschland seit dem Jahr 2003 negativ sind, der staatliche Kapitalstock also verschlissen wird. Hamm (2011) weist unter anderem auf Ausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe hin, die allein in die Instandhaltung und Erneuerung der im Kaiserreich erbauten Abwassernetze vieler Großstädte fließen müssten. Insofern müssen die unterlassenen Inlandsinvestitionen in der Vermögensrechnung gegen die Überschüsse in der Leistungsbilanz gerechnet werden. Denn laut Konrad (2006), S. 49 entspricht die Vermögensbildung der Ersparnis, die Ersparnis aber ist nichts anderes als der Leistungsbilanzsaldo zuzüglich der gesamten Nettoinvestitionen: S = LB + I (unter Einschluss des staatlichen Sektors).
[55] Hier scheint eine höhere Investitionsquote dringend geboten.
[56] Mehr dazu in den Abs. 3.3.2 und 3.4.1. Eine anstelle der äußeren Aufwertung denkbare innere Aufwertung durch steigende Löhne kann und darf in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht staatlich durchgesetzt werden. Sie könnte in der gegenwärtigen Situation auch die Eurozone endgültig sprengen, weil die deutsche Wettbewerbsfähigkeit notwendige Bedingung für die Defizitfinanzierung der Südperipherie ist. Mehr dazu im Abs. 3.4.1.
[57] Denn die Ersetzung einer übermäßigen Exportnachfrage durch eine vermehrte Inlandsnachfrage erfordert erhebliche Veränderungen der inländischen Produktionsstruktur, da die Nachfragestrukturen unterschiedlich sind. Dies impliziert kurzfristige Wohlstandsverluste durch Umstellungskosten, wie Adebahr (1990), S. 64 zutreffend festhält. Aber langfristig sollten diese Kosten geringer sein als die Vermögensschäden, die sich aus abwertungs-, insolvenz- oder enteignungsbedingten Verlusten des anwachsenden Auslandsvermögens ergeben können, oder als die volkswirtschaftlichen Schäden, die sich aus einem sinkenden Kapitalstock infolge unterlassener Inlandsinvestitionen ergeben. Eine Abkehr vom Primat exportgeleiteten Wachstums könnte auch geboten sein angesichts eines globalen Strukturwandels im Industriesektor hin zu einer größeren Dienstleistungsorientierung. Das „Exportventil“ schaffe nur temporär Linderung und verhindere derzeit noch den notwendigen Strukturwandel, dem Deutschland vor allem mit einer Deregulierung des Dienstleistungssektors begegnen müsse, so Berthold (2012). Nicht zuletzt wird sich der Strukturwandel ohnehin spätestens dann vollziehen müssen, wenn das Auslandsvermögen für den Inlandskonsum verwendet werden soll – wenn also jene (demographische) Situation eingetreten ist, mit der einige Ökonomen die Rationalität der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse begründen.
[58] Vgl. Berthold (2012).
[59] Vgl. Caspers (2002), S. 204.
[60] Eine frühe Abhandlung über diesen als „sustentativ“ bezeichneten Kapitalexport leistete Preiser (1950).
[61] Vgl. Hesse (1990), S. 45.
[62] Vgl. Priewe (2011), S. 16f. Deshalb würde das Außenhandelsventil nicht bei einer globalen Konjunkturkrise funktionieren, von der alle Länder betroffen sind. Der Kapitalexport ist auch dann nicht sinnvoll, wenn das Ausland an die Grenzen seiner Schuldentragfähigkeit stößt. Dann bleibt nur die Möglichkeit einer höheren Staatsverschuldung (antizyklische Fiskalpolitik), um das Kapitalangebot mit Nachfrage zu befriedigen.
[63] Vgl. Hesse (1990), S. 45.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783955495282
- ISBN (Paperback)
- 9783955490287
- Dateigröße
- 357 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Rostock
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,5
- Schlagworte
- Währungskrieg Eurokrise Zwillingsdefizit Exportüberschuss wirtschaftliches Ungleichgewicht
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing