Doppelhedging von Rohstoffrisiken in KMU: Gefahren einer fehlerhaften Absicherungsstrategie
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.1 Rohstoffklassifizierung und deren Entwicklung
Die Rohstoffmärkte werden den Sachgütermärkten zugeordnet. Aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften bekleiden sie dort eine Sonderstellung. Insbesondere Metallmärkte unterscheiden sich von anderen Sachgütermärkten dadurch, dass Rohstoffe - die in der Erdkruste vorkommen - endlich sind und der Abbau von Erzen mit geringem Metallgehalt vergleichsmäßig teuer ist. Ferner sind die Rohstoffvorkommen regional ungleich verteilt und ihre Gewinnung ist vor allem in infrastrukturell schwachen und unterentwickelten Ländern durch große Unsicherheiten gekennzeichnet. Im Agrar- und Elektrizitätssektor haben Wettereinflüsse, vor allem in Form von Naturkatastrophen, einen eminenten Einfluss auf die Bereitstellung.[1]
Rohstoffe können verschiedenartig klassifiziert werden. Eine Klassifizierung erfolgt hier in Anlehnung an Rohstoffe als Assetklasse, mit dem Fokus auf Industriemetalle (Abbildung 1, farbliche Hervorhebung).
Abbildung 1: Rohstoffklassifizierung
Quelle: eigene, nicht abschließende Darstellung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Rohstoffmärkte folgen einem, auf Angebot und Nachfrage beruhendem, Muster.[2] Das Angebot lässt sich auf den Metallmärkten nicht kurzfristig erhöhen. Der Aufbau eines neuen Bergbaubetriebs ist ein langjähriger und risikoreicher Prozess. Hieraus ergibt sich eine unelastische Angebotsfunktion, welche schnell auf Nachfrageänderungen reagiert, eine hohe Preisfluktuation aufweist und zyklischen Schwankungen unterworfen ist. Beeinflusst wird die Preisbildung auf der Angebotsseite durch die Möglichkeit und Höhe der Lagerhaltung. Dieser Einfluss ist jedoch als kurzfristig zu bewerten. Einen langfristigen Einfluss hingegen nimmt das Recycling ein. Es beeinflusst den Welthandel und erhöht das Angebot.
Auf der Nachfrageseite ist ein Zusammenhang zwischen Bruttoinlandsprodukt und dem Rohstoffverbrauch zu erkennen. Neben dem Wirtschaftswachstum wird die Nachfrageseite durch Substitutionsprozesse kostenintensiver Rohstoffe, veränderter Konsumgewohnheiten und innovativer Produktionsprozesse beeinflusst.[3]
Der Handel von Rohstoffen findet an speziellen Rohstoffbörsen statt. Der größte und meist diversifzierte Handelsplatz ist die Chicago Mercantile Exchange Group (CME Group), mit einem Gesamthandelsvolumen von 3.080.496.844[4] Losen im Jahr 2010. Die CME Group ist ein Zusammenschluss folgender Handelsbörsen:
- Chicago Mercantile Exchange (CME): Agrar (Rind, Butter, Milch,…), Energie, Aktien, Immobilien, Wechselkurse
- Chicago Board of Trade (CBOT): Agrar (Getreide, Soja,…), Aktienindizes, Zinssätze
- New York Commodities Exchange (COMEX): Gold, Silber, Kupfer
- New York Mercantile Exchange (NYMEX): Agrar (Kaffee, Kakao, Baumwolle), Energie, Metalle (HRC Steel Future, Platinum, Uranium).[5]
Im Bereich der Industriemetalle ist die London Metal Exchange (LME), mit einem Handelsvolumen in 2010 von 120.258.119[6] Losen, marktführend.
Abbildung 2: Vergleichende Darstellung: NIMI und DAX
Quelle: eigene Darstellung; Daten: www.westmetall.de; www.onvista.de, abgerufen am 13.05.2011.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 zeigt die Rohstoffpreisentwicklung der Jahre 2005 bis 2011. Um die Brisanz der stark volatilen Rohstoffmärkte darzustellen, wird die prozentuale Veränderung eines fiktiven Industriemetall Index „Notional Industrial Metal Index“[7] mit der Entwicklung des DAX verglichen (Werte des DAX in Klammern).[8]
Die Industriemetalle verzeichneten innerhalb von sechs Jahren einen Wertzuwachs von 136% (62%). Von Anfang 2005 bis Mai 2007 stiegen die Preise aufgrund des starken weltweiten Wirtschaftswachstums[9] kontinuierlich an, brachen jedoch danach innerhalb von vier Monaten um 68% ein (Anstieg von 5%). Nach einem zwischenzeitlichen Tiefpunkt von 191% im Januar 2008, erreichten sie im März 2008 einen Stand von 230%. Im Jahr der Wirtschaftskrise 2009 fielen die Preise innerhalb eines Jahres unter das Niveau von 2005, mit einem Tiefstwert von 92% im März 2009 (86%). Die 6-Jahres-Volatiltät liegt bei 27,5% (18,3%) mit einem Höchstwert von 40,2% im Jahr 2007 (33,8% in 2009) und dem geringsten Wert von 17,95% in 2010 (10,7% in 2006).[10]
2.2 Die Rohstoffe Kupfer und Stahl
Kupfer ist das älteste, bekannte Gebrauchsmetall der Menschheit. Nach Eisen und Aluminium ist es das mengenmäßig dritt meist genutzte Metall. Aufgrund seiner hohen elektrischen Leitfähigkeit und Wärmeleitfähigkeit, plastischen Verformbarkeit und Korrosionsbeständigkeit hat es eine sehr große Bedeutung für technologisch hoch entwickelte Länder. Heutzutage wird es vor allem in stromführenden Teilen in der Elektroindustrie, im Apparatebau, für Dichtungen und in anderen Bereichen verwendet.[11] Eine weitere Eigenschaft von Kupfer ist das Recyceln ohne Eigenschaftsverlust und Qualitätsminderung. 2008 wurden schätzungsweise 35% des weltweiten Kupferbedarfes durch Recycling gedeckt.[12]
Abbildung 3: Rohstoffkursentwicklung von Kupfer im Vergleich zu Aluminium
Quelle: eigene Darstellung, Daten: www.westmetall.de, abgerufen am 13.05.2011.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Betrachtet man die Preisentwicklung des Kupfers, so lassen sich zyklische Preisschwankungen (farbliche Hervorhebung, Abbildung 3) beobachten. Ein wichtiger Indikator für die Preisentwicklung sind die Lagerbestände der autorisierten Lagerhäuser (LME, COMEX).[13] Kupfer reagiert besonders stark auf Angebots- und Nachfrageschwankungen. Die 6-Jahres-Volatiltät liegt bei 31,4% und erreichte im Jahre 2008 einen Höchstwert von 53,73%. Ebenso signifikant ist der Preisanstieg von Kupfer im Zeitraum Februar 2007 bis Mai 2007, mit einem Wertzuwachs von 74%.[14]
Stahl wird definiert als Eisen-Kohlenstoff-Legierung mit einem Kohlenstoffgehalt von weniger als 2%.[15] Im Vergleich zu Kupfer ist es kein homogenes Produkt. Allein in Europa werden nach Din-Norm EN 10027-2 insgesamt 2379 Stahlsorten gelistet. Da Stahl, je nach Anwendungsbereich andere Eigenschaften aufweisen muss und somit mit anderen Legierungen versehen wird, gibt es keinen zu anderen Industriemetallen vergleichbaren Handel an Rohstoffbörsen. Eine Absicherung gegen steigende Preise gestaltet sich somit besonders schwierig. Erste Handelsmöglichkeiten wurden an der London Metal Exchange mit dem „LME Steel Billet“ (Knüppelstahl), im April 2008 eröffnet.
An dem Verlauf des Dow Jones US Iron and Steel Index (Abbildung 4) lässt sich die ebenfalls hoch volatile Preisentwicklung ablesen. Insgesamt haben sich die Preise im Zeitraum von Anfang 2005 bis Anfang 2011 um 94% erhöht. Die 6-Jahres-Volatilität fällt mit 42,39% höher aus als bei Kupfer und liegt mit 70,14% im Jahre 2009 um knapp 17% höher als die höchste Volatilität von Kupfer. Da dieser Verlauf jedoch nicht die spezifische Entwicklung einer bestimmten Stahlart widerspiegelt, kann eine Orientierung an diesem Index oder an dem „LME Steel Billett“ ein hohes Risiko darstellen. Auf die Absicherungsschwierigkeit des Stahlpreises wird in Abschnitt 4.3.1.1 genauer eingegangen.[16]
Abbildung 4: Dow Jones Steel & Iron Index (Price)
Quelle: eigene Darstellung, Daten: www.onvista.de, abgerufen am 13.05.2011.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Risikomanagement von Rohstoffrisiken
Das Risiko der dargestellten, hoch volatilen Rohstoffmärkte, hat einen starken Einfluss auf das unternehmerische Ergebnis. Gesteuert werden kann dies nur durch ein wirksames Risikomanagement. Nach einer Studie von KPMG halten 93% der befragten Unternehmen ein Risikomanagement für wichtig bis sehr wichtig. Weiterhin zeigt die Studie, dass lediglich 33% der Unternehmen ihre Rohstoffstrategie zentral umsetzen.[17]
Um den Risikomanagement-Prozess näher darstellen zu können, wird zunächst das Verständnis des Wortes Risiko präzisiert und das Rohstoffrisiko systematisiert. Abschließend wird die organisatorische Gestaltung in Form der Aufbau- und Ablauforganisation dargestellt.
3.1 Risikoarten für kleine und mittlere Unternehmen
Jedes Unternehmen wird mit einer, dem jeweiligen betriebswirtschaftlichem Kontext entsprechenden, individuellen Risikosituation konfrontiert. Um den Erfolg der Unternehmung gewährleisten zu können, gilt es, im Rahmen des Risikomanagement-Prozesses die jeweiligen Risiken und Chancen zu identifizieren. Mögliche Konsequenzen sind zu bewerten, potenziell erfolgsgefährdende Risiken zu limitieren und schließlich eine ausgewogene Balance zwischen Risiken und Chancen zu finden.[18]
Da der Begriff „Risiko“ in der Literatur nicht eindeutig definiert ist und aufgrund der Vielzahl von Risiken auch nicht allgemeingültig festgelegt werden kann, soll dieser im Folgenden in Anlehnung an Oehler / Unser und der statistischen Sichtweise kurz definiert und erläutert werden.
Der Risikobegriff umfasst eine Entscheidung unter Unsicherheit. Das heißt, weder das Ergebnis ist vollständig determiniert, noch gibt es eine bestimmbare Entscheidungsfolge. Unter Risiko wird weiter die negative Abweichung vom erwarteten Wert verstanden. Dies umfasst zwei Dimensionen: Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit. Die positive Abweichung hingegen wird als Chance interpretiert.[19]
Das Gesamtrisiko eines Unternehmens wird durch eine Vielzahl von Risiken bestimmt. Diese wirken sich global auf mehrere Geschäftsbereiche aus. Im Finanzbereich ist ein Unternehmen unter anderem dem Liquiditäts-, Adressausfall-, Marktpreis-, Betriebs- und Rechtsrisiko ausgesetzt. Im Weiteren soll der Fokus auf das Preisrisiko gelegt werden, da dieses das Betriebsergebnis von KMU maßgeblich beeinflussen kann. Das Preisrisiko ist zunächst dem Beschaffungsrisiko und schließlich dem Marktrisiko zuzuordnen.[20]
Unter Anbetracht der Aufgaben der Abteilungen des Beschaffungsmanagements und des Finanzmanagements zeigen sich bezüglich des Preisrisikos gewisse Überschneidungen beider Aufgabenbereiche. Auf der einen Seite befindet sich das Beschaffungs-Controlling mit der Aufgabe, Produktionsfaktoren für die betriebliche Leistungserstellung kostenoptimal bereitzustellen. Auf der anderen Seite steht das Finanz-Controlling mit der Aufgabe, unter Beachtung des Rentabilitätszieles, die jederzeitige Zahlungsbereitschaft des Unternehmens zu gewährleisten. Im operativen Bereich kommt dem Finanz-Controlling die Aufgabe der laufenden Liquiditätssicherung zu. Diese differenziert sich in die Finanzplanungs-, Realisations- und Kontrollphase. Diese Bereiche gilt es in Form eines einheitlichen finanzwirtschaftlichen Risikomanagement zu koordinieren, um so die aus dem Abschluss von Finanzkontrakten resultierenden Risiken handhaben zu können. Im Folgenden wird der Risikomanagement-Prozess näher erläutert.[21]
3.2 Der Risikomanagement-Prozess
Nach einer Studie der Unternehmensberatung KPMG, gehen 89% der befragten Unternehmen von einem mittelgroßen bis großen Einfluss der Preisschwankungen auf ihre Kostenstruktur aus. Eine deutliche Umsatzbeeinflussung bemerken 76% der Unternehmen. Darüber hinaus erwarten 61% der Unternehmen in Zukunft weiter steigende oder stark steigende Rohstoffpreise.[22] Nach einer Studie von Wildemann sehen die befragten Unternehmen bei den Preisrisiken einen erhöhten Handlungsbedarf und stufen dieses sowohl im Schadensausmaß als auch in der Eintrittswahrscheinlichkeit als hoch ein.[23]
Dass derivative Sicherungsgeschäfte eines funktionierenden finanzwirtschaftlichen Risikomanagement-Prozesses bedürfen, zeigen zahlreiche historische Beispiele: 1986 musste der Volkswagenkonzern aufgrund von manipulierten Devisenarbitragegeschäften, Rückstellungen in Höhe von 473 Millionen DM bilden. Misslungene Spekulationen im Rohöl-Termingeschäft führten bei der Klöckner & Co KGaA zu einem Verlust in Höhe von 700 Millionen DM.[24] Den bekanntesten Fall stellt die Metallgesellschaft Refining & Marketing (MGRM) Corp. dar. Diese konnte ihre Hedging-Strategie nicht aufrecht halten und musste ihre Öltermingeschäfte aufgrund von unerwartet sinkenden Ölpreisen vorzeitig liquidieren. Hierdurch geriet sie Ende 1993 an den Rand des Konkurses und konnte nur mit einem Rettungspaket in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar vor diesem bewahrt werden.[25]
Um auf sich ändernde Rahmenbedingungen eingehen zu können, muss der Risikomanagement-Prozess kontinuierlich überwacht und angepasst werden. Der iterative Prozess kann im finanzwirtschaftlichen Bereich zunächst unter zwei Begriffen, der Risikoanalyse und der Risikopolitik, subsumiert werden. Insgesamt besteht er aus den vier Phasen: Risikoidentifikation und -messung, Risikobewertung, Risikosteuerung, sowie Risikokontrolle (Abbildung 5).[26]
Abbildung 5: Der Risikomanagementprozess
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Identifikationsphase bildet die Grundlage des Risikomanagement-Prozesses. Sie zielt darauf ab, die wesentlichen Risiken möglichst vollständig, strukturiert und detailliert, nach der individuellen Risikodefinition zu erfassen. Fortgesetzt wird der Prozess durch die Bewertung der Risiken gemäß ihrem Verlustpotenzial mit anschließender Klassifizierung. Im Allgemeinen steht eine Vielzahl quantitativer oder qualitativer Verfahren zur Verfügung.[27] Durchgesetzt haben sich Evaluationsmethoden wie Szenarioanalyse, Stress Test oder Value at Risk.[28] Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse werden im Anschluss, risikopolitische Maßnahmen bestimmt, die eine adäquate Risikosteuerung, entsprechend der unternehmensindividuellen Risikostrategie, zulassen. Unterschieden wird zwischen aktiver (vermeiden, vermindern, begrenzen) und passiver (überwälzen, übernehmen) Risikosteuerung.
Eine Risikovermeidung sollte ausschließlich bei existenziellen Risiken stattfinden, da sie das unternehmerische Handeln stark einschränkt. Risikoverminderungen sind Maßnahmen, die darauf abzielen, Eintrittswahrscheinlichkeiten oder negative Folgen zu verringern. Die letzte aktive Steuerungsmöglichkeit bietet die Risikobegrenzung. Sie wird weiter in zwei Handlungsalternativen unterteilt. Dies ist zum einen die Risikostreuung und zum anderen die Risikolimitierung. Die Risikostreuung basiert auf der Portfolio-Theorie von Markowitz,[29] wonach die Summe der Einzelrisiken größer ist, als das Gesamtrisiko des Portfolios. Eine Diversifikation der Einzelrisiken führt nicht zu einer einfachen Addition dieser, sofern die einzelnen Risiken nicht vollständig korrelieren (Korrelationskoeffizient < 1). Negative Korrelationskoeffizienten führen darüber hinaus zu einer gegenseitigen Aufhebung der Risiken. Die Risikolimitierung dient der Bestimmung von Verlustobergrenzen. Diese Grenzen bilden den Toleranzbereich, innerhalb dessen auftretende Verluste von anderen Geschäften kompensiert werden können.
Unter der passiven Steuerung werden Maßnahmen verstanden, die das identifizierte Risiko in ihrer ursprünglichen Form bestehen lassen. Bei der Risikoüberwälzung wird versucht, mittels bedingten oder unbedingten Finanztermingeschäften ein Gegengeschäft einzugehen, um das bestehende Risiko an den Vertragspartner weiterzugeben (siehe Abschnitt 4). Ferner ist eine vertraglich geregelte Weitergabe des Risikos möglich.[30] Auch wenn zwei Drittel der Unternehmen versuchen der Belastung durch steigende Preise mittels Risikoüberwälzung zu entgehen, löst dies das Problem nur auf kurze Sicht. Langfristig werden sie gegenüber absichernden Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil erleiden.[31] Die schwächste Form der Risikosteuerung stellt die Risikoakzeptanz dar. Diese ist nur bei sich gering auswirkenden Risiken realisierbar.
Vervollständigt wird der Risikomanagement-Prozess durch die Kontrolle der eingesetzten Steuerungsmaßnahmen. Die Risikoüberwachung hat die Aufgabe, anhand eines kontinuierlichen Soll-Ist-Vergleichs, Änderungen anzuordnen.[32]
3.3 Aufbau- und Ablauforganisation
Um den Erfolg des Risikomanagement-Prozesses gewährleisten zu können, muss die Aufbau- und Ablauforganisation in der Form gestaltet werden, dass miteinander unvereinbare Tätigkeiten nicht von denselben Mitarbeitern durchgeführt werden. Sämtliche relevante Prozesse, sowie die damit verbundenen Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Kontrollen, einschließlich der Kommunikationswege, gilt es eindeutig zu definieren und zuzuweisen. Eine strikte Funktionstrennung muss bis hin zur Ebene der Geschäftsleitung vollzogen werden.[33]
Die Finanz- und Risikosteuerung des Unternehmens kann entweder zentral, dezentral oder als Mischform organisiert sein. Zu trennen sind die fünf Bereiche: Handel und Treasury (aktive Risikosteuerung), Back Office (Abwicklung und Kontrolle), Rechnungswesen, Risikocontrolling und Revisionsabteilung. Die Funktionstrennung geht so weit, dass sie alle Ebenen des Unternehmens, bis hin zum einzelnen Mitarbeiter, durchziehen sollte. Sollte eine solche Trennung aufgrund der geringen Unternehmensgröße von KMU nicht durchführbar sein, so muss zumindest eine Kontrolle der Aktivität durch die anderen Bereiche implementiert werden.[34]
Dem Treasury kommt die Aufgabe zu, im Rahmen interner Vorgaben, Entscheidungen über den Abschluss von Geschäften zu treffen und die Auftragserteilung zuzuweisen. Es legt die Berechtigten, den Zweck und den Umfang des jeweiligen Geschäftes fest. Zusätzlich ist es zur Erfassung und Dokumentation aller für den Abschluss maßgeblichen Daten verpflichtet. Anschließend sind die Daten vollständig an das Back Office weiterzuleiten.
Nach Erhalt der Informationen erfolgt die Abwicklung des Geschäfts durch das Back Office. Dieses ist für die Geschäftsbestätigung, Abwicklung und alle anschließend anfallenden Abwicklungsaufgaben verantwortlich. Des Weiteren obliegt dem Back Office die laufende Kontrolle der Handelsgeschäfte. Hierunter ist beispielsweise die Überprüfung auf Vollständigkeit, das Einhalten interner Vorgaben oder die Überprüfung marktgerechter Bedingungen zu verstehen.[35]
Das Rechnungswesen ist gemäß § 238 ff. HGB für die vollständige, richtige, zeitgerechte und geordnete Buchführung des Unternehmens, nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, verantwortlich.
Dem Risikocontrolling kommt keine unmittelbare Verantwortung im Tagesgeschäft zu. Es bildet die zentrale Schaltstelle des Risikomanagement- und Risikocontrollingprozesses.[36] Somit trägt es die Zentrale Verantwortung der vollständigen und frühzeitigen Risikoidentifikation, Risikoüberwachung und Risikomessung. Anhand der gesammelten Informationen und kontinuierlichen Bewertungen der Risikosituation des Unternehmens stellt das Risikocontrolling der Unternehmensführung mindestens vierteljährig einen Bericht zur Verfügung. Der Bericht hat unter Einbeziehung der internen Handelsgeschäfte einen Überblick über die Risiko- und Ergebnisentwicklung der mit Marktpreisrisiken behafteten Positionen, bedeutende Limitüberschreitungen, Änderungen wesentlicher Beurteilungsparameter oder Auffälligkeiten bei den Handelspositionen zu enthalten.
Der internen Revision fällt die Aufgabe zu, alle Aktivitäten und Prozesse des Unternehmens anhand eines risikoorientierten Prüfungsansatzes zu kontrollieren. Des Weiteren ist sie an den wesentlichen Projekten des Unternehmens zu beteiligen. Wobei die Revision stets selbstständig, unabhängig und insbesondere in der Wertung von Prüfungsergebnissen, weisungsungebunden agieren muss. Aufgaben, die nicht unter dem Auftrag der Prüfungstätigkeit fallen, darf sie nur beratend ausführen.[37]
4. Hedging als Instrument zur Absicherung gegen Rohstoffrisiken
Bei der Nutzung von Derivaten im Rahmen des Risikomanagements ist ein stetiger Zuwachs der Handelsaktivitäten zu beobachten. Seit den 80er Jahren hat das Handelsvolumen einen exponentiellen Anstieg vollzogen.[38] Dies wird von einer Studie der International Swaps and Derivatives Association (ISDA), aus dem Jahre 2009 bestätigt. Demnach sollen bereits mehr als 94% der 500 weltweit größten Unternehmen Derivative zum Managen von Risiken einsetzen.[39]
Im Folgenden wird der Grundgedanke des Hedging erläutert. Weiterhin wird das natürliche Hedging und das Hedging anhand von derivativen Instrumenten dargestellt.
4.1 Systematisierungsansatz des Hedging
Als Hedging wird der Vorgang der Reduktion oder Elimination einer Risikoposition durch einen oder mehrere Finanzkontrakte oder -titel bezeichnet.[40] Hierzu werden gezielt Gegenpositionen zu einer bestehenden oder noch aufzubauenden Risikoposition eingenommen, sodass die Verluste des originären Geschäftes durch Gewinne des sekundären Geschäftes teilweise oder bestenfalls in Gänze kompensiert werden.[41]
Abzugrenzen ist die Sicherungsabsicht des Hedging gegenüber der Spekulation. Beim Letzteren handelt es sich um die kurzfristige Übernahme eines Preisänderungsrisikos mit erwarteten Wertänderungen von Finanztiteln. Die Erwartungen beruhen auf unzureichend begründeten, subjektiven Annahmen über den Eintritt der zukünftigen Änderungen. Es werden somit bewusst offene Positionen geschaffen oder aufrechterhalten, die in keinem Zusammenhang zu einem leistungswirtschaftlichen Geschäftsprozess stehen.[42]
Die Intention des Hedging ist es demnach, die Abweichung von dem erwarteten Wert zu minimieren, wohingegen bei der Spekulation die Gewinnerzielungsabsicht im Vordergrund steht.
Werden einzelne bestehende oder geplante Grundgeschäfte abgesichert und lassen sich Grund- und Sicherungsgeschäft eindeutig zuordnen, spricht man von einem Micro-Hedge. Der Macro-Hedge hingegen berücksichtigt mehrere Geschäfte und bezeichnet eine Globalsicherung.[43] Zu differenzieren sind weiterhin der Short-Hedge und der Long-Hedge. Ersterer bezeichnet die Verkaufsabsicherung eines sich im aktuellen oder zukünftigen Besitz befindlichen Assets. Der Long-Hedge stellt die Gegenposition dar und bezeichnet die Preisfixierung für einen zukünftigen Kauf.
Darüber hinaus wird zwischen einer statischen und einer dynamischen Hedgingstrategie unterschieden. Bei einer statischen Strategie wird die zu Beginn vorgenommene Absicherung über den gesamten Sicherungszeitraum ohne Veränderungen beibehalten. Sie wird auch als „Hedge-and-Forget-Strategie“ bezeichnet. Eine komplexere Absicherungsstrategie ist mit dem dynamischen Hedging gegeben. Hier muss die Absicherung regelmäßig der Entwicklung des zugrunde liegenden Basisobjektes angepasst werden (siehe Abschnitt 4.4).[44]
4.2 Risikoreduktion durch natürliches Hedging
Beim Rohstoffhandel werden meist die hohen Preisschwankungen als Hauptrisiko identifiziert. Dennoch muss ebenfalls das Wechselkursrisiko beachten werden, da die meisten Rohstoffe in USD gehandelt werden. Somit existiert neben dem Preisrisiko des Rohstoffes, die Gefahr einer negativen Wechselkursentwicklung. Dieses Risiko kann sich je nach Rohstoffart verstärkt oder vermindert auswirken, da Korrelationen zwischen Rohstoffpreis und EUR-USD Wechselkurs beobachtet werden können.[45] Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, ist es das Ziel, durch natürliches Hedging die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben in der Fremdwährung möglichst gering zu halten.
Natürliches Hedging kann ergo, als eine realwirtschaftliche Absicherung ohne zusätzlichen Abschluss von Finanzkontrakten beschrieben werden. Das Risiko der ursprünglichen leistungswirtschaftlichen Transaktion wird durch ein rein leistungswirtschaftliches Gegengeschäft kompensiert. Ziel ist es, negativ korrelierende Risiken zusammenzufassen und hinsichtlich der Beträge und Fälligkeitstermine abzustimmen. Ein Großteil der Risiken soll somit durch realwirtschaftliche Aktivitäten kompensiert werden, sodass lediglich die Differenzbeträge gehedged werden müssen.[46]
Das für den Rohstoffeinkauf relevante Wechselkursrisiko wird auch als Transaction Exposure bezeichnet. Dies definiert sich durch die unmittelbare Auswirkung eintretender Devisenkursänderungen auf die finanzielle Situation des Unternehmens.[47]
Ein natürliches Hedging lässt sich über zwei Ansätze realisieren. Über die Angleichung der Währungskostenstruktur wird versucht eine Kongruenz zwischen Verbindlichkeiten und Forderungen einer fremder Währung zu erreichen. Wird dies nicht vollends erreicht, gibt es die Möglichkeit, Geschäftsaktivitäten in Fremdwährungsländern zu intensivieren oder neu zu erschließen. Weiterhin kann das einkaufende Unternehmen einen in Inlandwährung denominierten Kredit aufnehmen, das Geld sofort in die Fremdwährung tauschen und auf einem ausländischen Konto anlegen. Hiervon werden die Fremdwährungsverbindlichkeiten bedient und somit das Wechselkursrisiko ausgeschlossen. Der zweite Ansatz verfolgt die Strategie, Unternehmensteile in das Fremdwährungsgebiet zu verlagern. Alternativ ist der Aufbau eines hoch diversifizierten Netzwerks aus Zulieferern und Abnehmern möglich.[48]
Probleme bei der Durchführung können sich bei beiden Ansätzen ergeben. Der zweite Ansatz ist mit hohen Kosten verbunden und kann nur über einen langen Zeitraum hinweg realisiert werden. Der erste Ansatz kann nicht durchführbar sein, sofern das Unternehmen die Rohstoffe im Fremdwährungsbereich einkauft, jedoch nur an ein Unternehmen im eigenen Währungsraum verkauft. Eine Angleichung der Währungskostenstruktur wäre nicht möglich. Dieses Problem könnte durch ein natürliches Hedging in der Wertschöpfungskette gelöst werden. Verfügt das KMU über eine starke Verhandlungsmacht gegenüber dem zu beliefernden Großunternehmen, kann das Wechselkursrisiko von diesem übernommen werden. Hierzu schließt das Großunternehmen mit dem Rohstofflieferanten einen Vertrag in Fremdwährung ab und hedged das Wechselkursrisiko durch Forderungen an Endkunden im Fremdwährungsbereich. Das KMU wird direkt von dem Rohstofflieferanten beliefert und ist somit keinem Wechselkursrisiko ausgesetzt. Geliefert werden die Teilfabrikate unter Berechnung der Kosten für die Weiterverarbeitung.[49]
Dieses Konzept kann erweitert werden, sofern das Großunternehmen denselben Rohstoff benötigt wie das KMU. In diesem Fall können zusätzlich Transportkapazitäten zwischen beiden Unternehmen optimiert und eventuell günstigere Einkaufskonditionen erzielt werden. Der Rohstoffhandel wird hier ausschließlich über das Großunternehmen abgewickelt. Dieses führt das natürliche Hedging durch, liefert einerseits die Rohstoffe an das KMU und nutzt die freien Transportkapazitäten, um die Teilfabrikate zu verfrachten.[50] Es ist zu beachten, dass solch eine intensive Kooperation nur unter starken, gegenseitigen Abhängigkeiten zustande kommen kann.[51]
[...]
[1] Vgl. Gocht (1985), S.1.
[2] Vgl. KOM (2011), S.6.
[3] Vgl. Gocht (1985), S.5-9.
[4] Vgl. CME Group (a).
[5] Nicht abschließende Aufzählung, vollständige Auflistung: CME Group (b).
[6] Vgl. LME (a).
[7] Der NIMI setzt sich zusammen aus der gleichen Gewichtung der Metalle: Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zink und Zinn.
[8] Daten: www.Westmetall.de; www.onvista.de, abgerufen am 13.05.2011.
[9] Für einen detaillierteren Einblick vgl. International Monetary Fund (2011), S.181 ff.
[10] Verwendung von logarithmierten Monatsrenditen nach Bruns/Meyer-Bullerdiek (2003), S.10 ff.
[11] Vgl. Seidel (2001), S.215 f.
[12] Vgl. ICSG (2010), S.53.
[13] Vgl. Commerzbank AG (2010), S.169; Siehe dazu auch Deutsche Bank AG (2011a), S.55.
[14] Eigene Berechnungen, Daten: LME.
[15] Siehe DIN EN 10020.
[16] Siehe dazu auch LBBW (2008), S.91 f. oder BA (2010).
[17] Vgl. KPMG (2007), S.10 ff.
[18] Vgl. Reichmann (2006), S.620.
[19] Vgl. Oehler/Unser (2002), S.10 ff.
[20] Vgl. Prätsch et. al. (2007), S.22.
[21] Vgl. Reichmann (2006), S.245 ff.
[22] Vgl. KPMG (2007), S.13, S.25.
[23] Vgl. Wildemann (2006), S.136.
[24] Vgl. Albrecht (2001), S.6-8.
[25] Siehe Edwards/Canter (1995).
[26] Vgl. Oehler/Unser (2002), S.15-17.
[27] Insbesondere in der Beschaffung: vgl. Wildemann (2006), S.148, allgemein: vgl. Reichmann (2006), S.628 ff. und Rosenkranz/Missler-Behr (2005), S.143 ff.
[28] Siehe Basak/Shapiro (2001), vgl. Gordon et al. (1996), S.124 f.
[29] Siehe Markowitz (1952).
[30] Vgl. Bünting (2007), S.407; ausführlich vgl. Kubis/Nickel (2010), S.213-267.
[31] Vgl. KPMG (2007), S.14.
[32] Vgl. Reichmann (2006), S.626-640; Oehler/Unser (2002), S.20-39; Wildemann (2006), S.120-162.
[33] Vgl. Rundschreiben 11/2010 (BA), AT 4.3.1 und BTO.
[34] Vgl. Gebhardt/Mansch (2001), S.168-171.
[35] Vgl. Rundschreiben 11/2010 (BA), BTO 2.2.1 ff.
[36] Vgl. Gebhardt/Mansch (2001), S.176.
[37] Vgl. Rundschreiben 11/2010 (BA), BTR 2.1 f. und BT 2.
[38] Vgl. Bartram (1999), S.71.
[39] Vgl. ISDA (2009).
[40] Vgl. Smith (1998), S.3.
[41] Vgl. Bruns/Meyer-Bullerdiek (2003), S.387.
[42] Vgl. Jokisch/Mayer (2002), S.192 und Mayer-Fiedrich (2009), S.151.
[43] Siehe Häuselmann/Wiesenbart (1990).
[44] Vgl. Hull (2009), S.449 f.
[45] Siehe Baselt/Welter (2010), S.397; siehe Simpson/Evans (2004).
[46] Vgl. Wildemann (2006), S.61 f.
[47] Vgl. Jokisch/Mayer (2002), S.173.
[48] Vgl. Stocker (2006), S.227 und Fillippis (2011), S.217 ff.
[49] Bildliche Darstellung siehe A 1.
[50] Bildliche Darstellung siehe A 2.
[51] Vgl. Hofmann/Wessely (2010), S.127 ff.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783955495381
- ISBN (Paperback)
- 9783955490386
- Dateigröße
- 1.3 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- Risikomanagement Absicherung Liquiditätsrisiko derivatives Finanzinstrument Risikoreduktion
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing