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Grenzen der Staatsverschuldung: Theoretische Begründungen und politische Umsetzungen

©2012 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Die Staatsverschuldung ist ein umstrittenes Thema. Obwohl die Diskussion über das Thema der Staatsverschuldung seit langem besteht, ist dieses heute wieder höchst aktuell und zum wichtigsten Punkt der politischen Tagesordnung geworden. In den Nachrichten wird fast täglich über Staaten, die kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, über Sparpakete und über den Zerfall des Euros berichtet.
Im Mai 2010 wurde von der Europäischen Kommission der sogenannte Rettungsschirm, European Financial Stability Facility (EFSF), verabschiedet, welcher 2013 durch den European Stability Mechanism (ESM) abgelöst werden soll. Der EFSF und der ESM sollen Staaten finanziell unterstützen, die Zahlungsschwierigkeiten aufgrund der hohen Verschuldung haben. Griechenland, Irland und Portugal wurden bereits durch den EFSF finanziell unterstützt und sind somit verpflichtet, strikten Sparprogrammen zu folgen. Doch die Schuldenentwicklung sieht in vielen anderen europäischen Staaten nicht viel besser aus. Die durchschnittliche Schuldenquote aller 27 europäischer Mitgliedstaaten betrug im Jahr 2011 82,5 Prozent und überschritt deutlich die Begrenzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts von derzeit 60 Prozent. Damit stellen sich folgende Fragen: Warum gehen Staaten überhaupt eine Staatverschuldung ein, welche Folgen zieht sie nach sich und welche Grenzen bzw. welche Maßnahmen zur Begrenzungen der Staatsverschuldung gibt es?
Die vorliegende Arbeit geht auf die oben genannten Fragen ein und diskutiert diese kritisch. Sie gliedert sich dabei in zwei Teile. Der erste Teil der Arbeit geht auf die Theorie der Staatsverschuldung ein, wobei zunächst die Staatsverschuldung definiert wird. Daraufhin werden die Hauptargumente, die eine Staatsverschuldung rechtfertigen, erläutert, kritisch hinterfragt und auf deren Praxistauglichkeit hin untersucht. Anschließend wird auf die negativen Folgen einer Staatsverschuldung eingegangen. Im zweiten Teil der Arbeit wird auf die politischen Umsetzungen eingegangen. Dabei wird zunächst die Entwicklung der Staatsverschuldung in Europa und in ausgewählten Ländern anhand von Grafiken dargestellt. Darauf werden die bisherigen Maßnahmen zur Begrenzung der Staatsverschuldung erläutert und deren Schwächen dargestellt. Hier sollen insbesondere die politischen Reaktionen auf diese Schwächen deutlich werden. Am Schluss der Arbeit werden die Fakten zusammengefasst und einen Ausblick wird gegeben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Staatsverschuldung ist seit langem ein umstrittenes Thema. Schon im 19. Jahrhundert gingen die Meinungen auseinander. David Ricardo, ein berühmter englischer Wirtschaftswissenschaftler, bezeichnete die Staatsverschuldung als ,,einer der schrecklichsten Geißeln, die jemals erfunden wurde, um eine Nation zu quälen.“[1] Lorenz von Stein, ein deutscher Wissenschaftler, war anderer Meinung. Er sagte, dass ,,ein Staat ohne Staatsschuld […] entweder zu wenig für seine Zukunft [tue] oder […] zu viel von seiner Gegenwart [fordere].“[2]

-bwohl die Diskussion über das Thema der Staatsverschuldung seit langem besteht, ist dieses heute wieder höchst aktuell und zum wichtigsten Punkt der politischen Tagesordnung geworden. In den Nachrichten wird fast täglich über Staaten, die kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, über Sparpakete und über den Zerfall des Euros berichtet.

Im Mai 2010 wurde von der Europäischen Kommission der sogenannte Rettungs­schirm, European Financial Stability Facility (EFSF), verabschiedet[3], welcher 2013 durch den European Stability Mechanism (ESM) abgelöst werden soll[4]. Der EFSF und der ESM sollen Staaten finanziell unterstützen, die Zahlungsschwierigkeiten aufgrund der hohen Verschuldung haben. Griechenland, Irland und Portugal wurden bereits durch den EFSF finanziell unterstützt und sind somit verpflichtet, strikten Sparprogrammen zu folgen. Doch die Schuldenentwicklung sieht in vielen anderen europäischen Staaten nicht viel besser aus. Die durchschnittliche Schuldenquote aller 27 europäischer Mitgliedstaaten betrug im Jahr 2011 82,5 Prozent[5] und überschritt deutlich die Begrenzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts von derzeit 60 Prozent. Damit stellen sich folgende Fragen: Warum gehen Staaten überhaupt eine Staatverschuldung ein, welche Folgen zieht sie nach sich und welche Grenzen bzw. welche Maßnahmen zur Begrenzungen der Staatsverschuldung gibt es?

Ziel der Arbeit ist es, auf die oben genannten Fragen einzugehen und diese kritisch zu diskutieren. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil der Arbeit geht auf die Theorie der Staatsverschuldung ein, wobei zunächst die Staatsverschuldung definiert wird. Daraufhin werden die Hauptargumente, die eine Staatsverschuldung rechtfertigen, erläutert, kritisch hinterfragt und auf deren Praxistauglichkeit hin untersucht. Anschließend wird auf die negativen Folgen einer Staatsverschuldung eingegangen. Am Ende des ersten Teils der Arbeit wird aufgezeigt, dass eine grenzenlose Staatsverschuldung problematisch ist und auch wann eine Grenze der Staatsverschuldung erreicht ist. Im zweiten Teil der Arbeit wird auf die politischen Umsetzungen eingegangen. Dabei wird zunächst die Entwicklung der Staats­verschuldung in Europa und in ausgewählten Ländern anhand von Grafiken dargestellt. Darauf werden die bisherigen Maßnahmen zur Begrenzung der Staatsverschuldung erläutert und deren Schwächen dargestellt. Hier sollen insbesondere die politischen Reaktionen auf diese Schwächen deutlich werden. Am Schluss der Arbeit werden die Fakten zusammengefasst und einen Ausblick gegeben.

2 Theorie der Staatsverschuldung

Dieses Kapitel stellt den ersten Teil der Arbeit dar. Es wird auf die Theorie der Staatsverschuldung eingegangen. Hierbei wird zunächst die Staatsverschuldung definiert. Im Anschluss werden die wesentlichen theoretischen Begründungen für eine Staatsverschuldung erläutert. Es werden die Stabilisierungsfunktion, Steuer­glättung und die intergenerative Lastverschiebung beschrieben und kritisch hinterfragt. Abschließend werden die negativen Folgen der Staatsverschuldung aufgezeigt, um die Grenzen der Staatsverschuldung abzuleiten.

2.1 Definition und Abgrenzung

Unter Staatsverschuldung werden alle Finanzschulden eines öffentlichen Haushalts verstanden. Sie entstehen, wenn die Staatsausgaben größer sind als die Einnahmen aus Steuern bzw. anderen Quellen.[6] Bei der Staatsverschuldung unterscheidet man in explizite und implizite Finanzschulden. Die expliziten Schulden werden auch als verbriefte Schulden bezeichnet. Es sind die Schulden, die durch die Kreditaufnahme entstehen. Die impliziten Schulden sind hingegen Schulden, die dadurch entstehen, dass der Staat seine Versprechungen gegenüber den Bürgern erfüllt, wie beispiels­weise die Rentenversprechungen oder die Pensionsverpflichtungen. Diese Ver­schuldung stellt für die Politik eine ganz besondere Herausforderung dar, da für diese Schulden keine bzw. nicht genügende Rückstellungen zur Verfügung stehen.[7] Diese impliziten Schulden betragen in Deutschland ca. 110 Prozent vom Bruttoinlands­produkt (BIP) und in Irland sogar ca. 1400 Prozent wohingegen die expliziten Schulden nur bei 83 bzw. 90 Prozent liegen.[8] Die expliziten und impliziten Schulden stellen zusammen die Nachhaltigkeitslücke dar. Eine positive Nachhaltigkeitslücke ist langfristig nicht tragbar. So ist eine Steuererhöhung oder eine Ausgabenkürzung langfristig zwingend notwendig.[9] Falls der Staat allerdings diese nicht durchführen würde, müsste der Staat neue Schulden aufnehmen. Der Staat verschuldet sich weiter, solange er noch am Kapitalmarkt Kredite bekommt. Das bedeutet, dass der Staat die impliziten Schulden in explizite Schulden umwandelt. Die expliziten Schulden sind die bedrohlichen Schulden, da wenn der Staat an der Solvenz angezweifelt wird, werden dessen Staatsanleihen verkauft, die Kurse sinken, der Zins steigt und es kann zu einer Vertrauenskrise kommen. Bei den impliziten Schulden kann der Staat kurzfristig nicht in Bedrängnis kommen. Doch der Staat muss langfristig die impliziten Schulden abbauen bevor die Leistungszusagen abgerufen werden und diese sich in explizite Schulden umwandeln. Dies kann durch eine längere Lebensarbeitszeit, Rentenkürzungen oder aber auch durch Strukturreformen, die das Wachstum erhöhen, erreicht werden.[10] Aufgrund der Tatsache, dass die expliziten Schulden weitaus gefährlicher sind als die impliziten Schulden, wird in dieser Arbeit vermehrt auf die expliziten eingegangen.

Als nächstes stellt sich die Frage, wie die Staatsverschuldung messbar ist. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Schuldenquote und die Defizitquote herangezogen, um die Verschuldung der Staaten darzustellen. Die Schuldenquote berücksichtigt nur die expliziten Schulden[11] und stellt den Schuldenstand im Verhältnis zum BIP dar. Diese kann zur Darstellung der Entwicklung der Schulden und der Gesamt­darstellung helfen. Die Defizitquote ist die jährliche Neuverschuldung im Verhältnis zum BIP. In der politischen Diskussion sind dies die geläufigsten Kennzahlen zur Bemessung der Staatsverschuldung.

Eine feststehende maximale oder minimale Grenze für eine mögliche Staats­verschuldung ist nicht definiert. Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen theoretischen Begründungen für eine Staatsverschuldung erläutert und untersucht, inwieweit sich aus diesen eine Grenze herleiten lässt.

2.2 Begründungen für eine Staatsverschuldung

In diesem Kapitel werden die Begründungen der Staatsverschuldung (Stabili­sierungsfunktion, Steuerglättung, intergenerative Lastverschiebung) dargestellt und anschließend kritisch diskutiert.

2.2.1 Stabilisierungsfunktion

Diese Theorie entstand aufgrund der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929-1932, welche einen Zusammenbruch der Investitionen der Unternehmen und eine Massenarbeitslosigkeit verursachte. Keynes schrieb daraufhin sein berühmtestes Werk ,,Theory of Employment, Interest and Money“, in dem er die antizyklische Fiskalpolitik befürwortet. Dies bedeutet, dass der Staat in einer Rezession seine Ausgaben erhöht, um die Nachfrage zu erhöhen. Dadurch soll erreicht werden, dass die Beschäftigung nicht zurückgeht, sondern eine Vollbeschäftigung gesichert wird. Bei dem zu erwartenden Aufschwung soll der Staat in einem Boom dann die Ausgaben wieder reduzieren und einen Haushaltsüberschuss erzielen, um den Defizitüberschuss aus der letzten Rezession zu kompensieren. Durch diese Eingriffe wird nicht nur die Gesamtnachfrage erhöht, sondern es wird auch ein Multiplikator-und Akzeleratoreffekt ausgelöst. Diese Effekte wirken sich verstärkt auf die private Konsum- und Investitionstätigkeit aus.[12] Diese Theorie war der Anfang einer neuen Sichtweise in Hinsicht auf die Staatstätigkeiten, die auf die finanzpolitische Stabilisierung zielte.[13]

Es werden zwei Arten von Instrumenten zur Stabilisierung genutzt und zwar die automatischen Stabilisatoren und die diskretionären Maßnahmen.

Automatische Stabilisatoren sind automatische Mechanismen zur Stabilisierung der Wirtschaft. In einer Rezession liefern sie Impulse, woraufhin Produktion, Ein­kommen und Nachfrage konstant bleiben bei gleichen bzw. steigenden Staats­ausgaben. Im Aufschwung wirken sie hingegen mildernd.[14] Stabilisatoren wären beispielsweise die progressive Steuer und die Arbeitslosenversicherung. Umso höher die Steuersätze bzw. die Arbeitslosenversicherung, desto größer wird auch der daraus resultierende Effekt zur Stabilisierung sein.[15] In einem Aufschwung sinkt die Arbeitslosigkeit und die Gehälter der Arbeiter steigen. Dadurch steigt auch die zu zahlende Steuer. Da die Einkommensteuer progressiv verläuft, nimmt die Steuer sogar überproportional zum Einkommen zu. Durch die geringere Arbeitslosigkeit sinken auch die Ausgaben für die Sozialleistungen. Aufgrund der höheren Steuereinnahmen und der geringeren Staatsausgaben verringert sich die Gesamt­nachfrage und der Aufschwung der Konjunktur wird gedämpft. Im Abschwung sieht es genau andersherum aus. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Löhne sinken, wodurch die Einnahmen aus den Steuern abnehmen. Durch die hohe Arbeitslosigkeit steigen auch die Ausgaben für Sozialleistungen und die Arbeitslosen können weiterhin konsumieren. Aufgrund der geringeren Einnahme aus Steuern und der erhöhten Ausgabe für Sozialleistungen wird die Gesamtnachfrage gesteigert.[16]

Die diskretionären Maßnahmen wird als das aktive Eingreifen der Politik durch Ausgabenerhöhungen oder Steuererleichterungen, um den Abschwung der Konjunktur in einer Rezession zu reduzieren, bezeichnet. Eine Staatsausgaben­erhöhung wirkt sich direkt auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage positiv aus, indem der Staat selbst als Nachfrager für Waren auf dem Markt auftritt. Diese Steigerung der Nachfrage löst nach Keynes Multiplikator- und Akzeleratoreffekte aus, welche die Konsum- und Investitionstätigkeit verstärken. Eine Steuersenkung steigert ebenfalls die Gesamtnachfrage, da durch diese Maßnahme dem privaten Sektor ein größeres Vermögen für Konsum- und Investitionstätigkeiten zur Ver­fügung steht. Um die Maßnahmen umsetzen zu können, muss der Staat auf Budgetüberschüsse, die in Aufschwungzeiten gebildet wurden, zurückgreifen. Sollten keine Überschüsse gebildet worden sein, muss der Staat Kredite aufnehmen. Diese Art von Kreditaufnahmen, um Staatsausgaben zu finanzieren, werden auch als ,,deficit spending‘‘ bezeichnet.[17] Allerdings ist zu beachten, dass die Maßnahmen rechtzeitig eingesetzt werden; sonst kann es zu einer zusätzlichen Destabilisierung führen.[18]

Viele stehen der Theorie der Stabilisierungsfunktion jedoch kritisch gegenüber. Als erstes ist die zeitliche Verzögerung anzuführen: Diese tritt insbesondere bei den diskretionären Maßnahmen auf. Die Verzögerungen werden auch als „Lag“ bezeichnet und werden in zwei Arten von Lags, dem „Inside Lag“ und dem „Outside Lag“ unterschieden. Der Inside Lag ist die zeitliche Verzögerung zwischen dem Erscheinen eines Schocks und dem politischem Eingreifen auf diesen. Der Outside Lag wird als die Zeitverzögerung zwischen der eingeführten Maßnahme und ihrer Wirksamkeit in der Wirtschaft bezeichnet. Diese Verzögerungen treten demnach zu spät ein und können sogar prozyklisch wirken und die Wirtschaft destabilisieren.[19]

Auch der amerikanische Ökonom Milton Friedmann sah keinen Sinn in fiskal­politischen Maßnahmen. Nach seiner Meinung würden in der Phase der Rezession Budgetdefizite, aber im Boom keine Budgetüberschüsse gebildet. Er war der Auf­fassung, dass sie zu Störungen und Instabilität in der Wirtschaft führen.[20]

Als ein weiterer Kritiker weist Robert J. Barro darauf hin, dass eine staatliche Kreditaufnahme, um eine Steuersenkung zu finanzieren, private Investitionen verdrängt. In Kapitel 2.3.1 wird auf diesen Aspekt genauer eingegangen.[21]

Ein nächster Kritikpunkt geht auf das Ricardianische Äquivalenztheorem zurück. Dieser besagt, dass die Wirkung einer Staatsverschuldung und einer Steuersenkung äquivalent sind. Hierdurch haben kreditfinanzierte Maßnahmen keinen Effekt. Dieses Äquivalenztheorem wird in Kapitel 2.3.3 erläutert.[22]

2.2.2 Steuerglättung

Bei dem Ansatz der Steuerglättung stehen die verzerrenden Steuern im Mittelpunkt. Ähnlich wie bei der Stabilisierungsfunktion, die zum Ziel hat, die Konjunktur­schwankungen auszugleichen, versucht der Ansatz der Steuerglättung die Steuern konstant zu halten. Der Staat versucht optimale Steuersätze und die damit verbunden Budgetdefizite herzuleiten, die den Wohlfahrtsverlust minimieren.[23] Beim Auftreten von Konjunkturschwankungen werden, statt die Steuern zu erhöhen, Kredite aufgenommen, um die Schwankung zu glätten. Hieraus ergeben sich zwei Vorteile. Zum einen ist es nicht erforderlich, im Konjunkturverlauf ständig die Steuern zu verändern, welches erhebliche Zusatzkosten durch die Bindung von Personal und Zeit mit sich bringt. Zum anderen wirkt es sich positiv auf die Wirtschaft aus, da durch die Kreditaufnahme Investitionen getätigt werden können und somit die Wirtschaft angekurbelt wird.[24]

Die Steuerglättung wurde sowohl als eine positive als auch eine normative Theorie verstanden. Das bedeutet, dass sie nicht nur erklärt, wie sie entsteht, sondern auch, wie sie angewendet werden sollte. Das Standard-Modell sieht den Staat als einen wohlwollende sozialen Planer, der den Nutzen eines repräsentativen Bürgers maximiert. Der Staat finanziert seine Ausgaben durch eine Einkommenssteuer. Diese Steuern wirken verzerrend, weil sie das Arbeitsangebot beeinflussen. Da der Staat und der repräsentative Bürger einen unendlichen Zeithorizont haben, müssen die Effekte der intergenerativen Lasteffekte und der endlichen Legislaturperioden nicht mehr berücksichtigt werden.[25] Die Nutzenfunktion hängt nicht von den öffentlichen Gütern, sondern vom privaten Konsum und Freizeit des repräsentativen Bürgers ab. Das Ziel der Regierung ist nun, die Steuern konstant zu halten. Da die Budget­restriktion eingehalten werden muss, muss die Steuerhöhe so hoch sein wie die Ausgaben, die exogen gegeben sind. Um die Steuer nun im Zeitablauf konstant zu halten, nimmt der Staat in Rezessionen Kredite auf und im Boom bildet er Überschüsse. Hierdurch minimiert er die Wohlfahrtsverluste der Bürger, die durch eine Steuererhöhung resultieren würden.

Die normative Begründung findet recht viel Zustimmung. In Krisen sollen Defizite und im Boom Überschüsse gebildet werden. Die positive Begründung hingegen weniger. Sie kann nicht den ständigen Anstieg der Staatsverschuldung erklären. In der Realität taucht hier wieder dasselbe Problem wie in der Stabilisierungsfunktion auf. Der Staat bildet keine Überschüsse in guten Zeiten.[26]

2.2.3 Intergenerative Lastverschiebung

Musgrave war der Meinung, dass die Finanzierungsart sich nach dem Nutzen der Investition richten sollte. Bleibt der Nutzen einer Investition für nur eine Periode erhalten, so soll diese auch durch eine Steuererhöhung finanziert werden, damit sie nur die gegenwärtige Generation belastet. Entsteht aber durch die Investitions­ausgabe ein langfristiger Nutzen, der auch künftigen Generationen zugute kommt, so soll sie kreditfinanziert werden. Dadurch wird die Last auf den Nutzungszeitraum gerecht verteilt. Der positive Effekt der Investition auf das zukünftige Produktions­potenzial gleicht die negative Wirkung der Kreditfinanzierung auf Wachstum und das Einkommen aus.[27] Dieses Prinzip ist allerdings nicht der einzige Grund für eine Lastverschiebung. Größere Investitionen kommen nur zustande, wenn die Politiker und die Wähler auch dafür sind. Dieses ist allerdings nur der Fall, wenn die Investition über einen langfristigen Kredit finanziert wird. Sonst müsste die Investition durch Steuern finanziert werden. Solche Investitionen würden keine Mehrheiten bekommen und so nicht zustande kommen.[28]

Scheint die Kernaussage auch einleuchtend zu sein, ist die Umsetzung in die Praxis umso problematischer. Es gibt zwei wesentliche Probleme, einerseits den konkreten Investitionsbegriff und andererseits die korrekte Messung der Produktivitäts- und Nutzensteigerung zu finden. Es stellt sich die Frage, welche Investitionsausgaben Nutzen-wirksam und welche nur konsumtiv sind. Infrastrukturinvestitionen, die als Vorleistung für die private Produktion gesehen werden können, haben in der Regel auch einen positiven Einfluss auf die Kapitalproduktivität privater Investitionen. Ebenso können Lehrtätigkeiten als Investition in Humankapital gesehen werden, wenn von diesen ein positiver Einfluss auf die Produktivität des Faktors Arbeit zu erwarten ist. Mit der Erhöhung der Faktorproduktivität lässt sich in den angeführten Fällen ein in der Zukunft zu erwartender positiver Effekt auf das Volkseinkommen begründen. Mangels der Möglichkeit der Zuordnung und Quantifizierbarkeit dieser Effekte in der Retroperspektive lassen sich die Begründungen nur schwer be- oder widerlegen. In der Praxis ist somit eine Definition oder Abgrenzung von zur Kreditfinanzierung zugelassenen Ausgaben anhand des zukünftigen Nutzens schwierig. Die Schwierigkeit besteht hier nicht nur in der Erfassung des Nutzens öffentlicher Ausgaben, sondern auch in der Erfassung der durch die Kreditaufnahme entstandenen Belastungen.[29] Des Weiteren haben zukünftige Generation oft andere Präferenzen als die gegenwärtige, welches ebenfalls zu einem Problem führt. Beispielsweise gab es in Frankreich eine größere Investition in den Wasserverkehrs­wegebau, der heute nur noch als Touristenattraktion dient und den Steuerzahlern nicht mehr im vorgesehenen Sinne nützt. Wohingegen die Zins- und Tilgungslast wie geplant weiterlaufen.[30]

2.3 Folgen der Staatsverschuldung

Im folgenden Kapitel wird auf die negativen Folgen der Staatsverschuldung sowie deren Grenzen eingegangen.

2.3.1 Verdrängungseffekt und Wachstumsverlust

Der ,,Aggregate Investment Approach“ beschäftigt sich mit dem Verdrängungseffekt und dem Wachstumsverlust. Dieser Ansatz setzt eine Vollbeschäftigung und zur Einfachheit einen konstanten Leistungsbilanzsaldo voraus. Unter diesen Voraus­setzungen kann die Ausgabenerhöhung nur zu Lasten des privaten Konsums oder der privaten Investitionen funktionieren. Im Falle einer Steuerfinanzierung sinken die privaten Konsumtätigkeiten, während bei einer Kreditfinanzierung der Konsum nicht so stark sinkt. Die Lasten gehen dann vermehrt auf die privaten Investitionen.[31] Wenn der Staat vermehrt auf den Kapitalmärkten als Nachfrager auftritt, steigen die Zinsen. Private Investitionen, die bei einem geringeren Zins noch rentabel waren, lohnen sich jetzt nicht mehr und bleiben aus. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als ,,crowding-out-Effekt‘‘.[32] Aufgrund dessen sind bei einer Steuerfinanzierung die privaten Investitionen größer als bei einer Kreditfinanzierung. Da der Kapitalstock sich aus den Nettoinvestitionen ergibt, wird er bei einer inländischen Kredit­aufnahme in Zukunft kleiner sein als bei einer Steuerfinanzierung. Daraus folgt, dass ein geringerer privater Kapitalstock in die Zukunft weitergegeben wird und somit ein geringerer Gesamtkapitalstock, da die Struktur und Höhe der Staatsausgaben als gegeben angenommen werden. Daraus folgt, dass ein Wachstumsverlust verursacht wird. Der Wachstumsansatz wird überwiegend akzeptiert.[33]

Viele empirische Untersuchungen bestätigen, dass eine Kreditfinanzierung das Zinsniveau steigert und somit private Investitionen verdrängt. In den Vereinigten Staaten zeigte die Studie von Laubach[34], dass eine Steigerung der Defizitquote von ein Prozent die Zinsen um 25 bis 30 Basispunkte erhöhen wird. Bei der Studie von Gale und Orszag[35] steigen die Zinsen sogar um 50 bis 100 Basispunkte. In Europa ist der Effekt ebenfalls zu beobachten, allerdings fällt dieser geringer aus. Die Studien ergaben, dass die Zinsen weniger als 10 Basispunkte ansteigen bei einem Anstieg der Defizitquote i.H.v. einem Prozent. Dieses Ergebnis ist aber auch signifikant. In Europa muss allerdings der Übertragungseffekt von fiskalischen Schocks der Nachbarländer berücksichtigt werden. Wird dieser berücksichtigt, steigen die langfristigen Zinsen um 41 Basispunkte.[36] Ebenfalls ist zu beobachten dass, falls die Schuldenquote ansteigt, auch die Zinsen steigen.[37]

Auch die Wachstumseffekte lassen sich empirisch beweisen. In den Studien von Feirreira und Kumar wurde ein negativer Effekt zwischen Wirtschaftswachstum und Staatsverschuldung bewiesen. Feirreira[38] zeigte, dass eine höhere Schuldenquote das Wirtschaftswachstum negativ beeinflusse. Er zeigte ebenfalls die Kehrseite. Ein niedrigeres Wachstum hat eine höhere Verschuldung zur Folge. Kumar und Woo[39] untersuchten auch noch die Korrelation zwischen den beiden Variablen. Es kam heraus, dass eine Schuldenquote überproportional negative Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum hat. Andere argumentierten wiederum, dass eine Wirkung erst ab einem bestimmten Schwellenwert stattfindet. Dieser Wert liegt in manchen Studien bei einer Schuldenquote ab 90 Prozent[40], bei anderen schon zwischen 70 und 80 Prozent.[41]

Trotz der theoretischen und empirischen Zustimmung gibt es auch Kritiker. Wolfgang Scherf behauptet, dass eine Staatsverschuldung keinen Effekt auf die privaten Investitionen habe, sondern nur eine Wirkung auf das Preisniveau und die Unternehmensgewinne. Sie würde sich sogar positiv auf die Investitionen aus­wirken.[42]

Aus dieser Theorie lässt sich ableiten, dass eine Grenze der Staatsverschuldung sinnvoll ist, aber es kann nicht gesagt werden, wo sie liegt.

[...]


[1] Ricardo (1951), S. 197.

[2] Stein (1878), S. 347.

[3] Vgl. www.efsf.europa.eu.

[4] Vgl. www.bundesregierung.de.

[5] Siehe hierzu die Eurostat-Statistiken.

[6] Vgl. Blankart (2008), S. 327.

[7] Vgl. Moore (2011), S. 15 f.

[8] Vgl. Moog/Raffelhüschen (2011), S. 18.

[9] Vgl. Hackermann/Moog/Raffelhüschen (2011), S. 7.

[10] Vgl. Walter/Quitzau (2011), S. 204 ff.

[11] Vgl. Moore (2011), S. 15.

[12] Vgl. Peters (2000), S. 203 ff.

[13] Vgl. Andel (1998), S. 479 f.

[14] Vgl. Heller/Decker (2010), S.137.

[15] Vgl. Dornbusch/Fischer/Startz (2003), S. 266.

[16] Vgl. Tichy (1999), S. 144.

[17] Vgl. Mussel/Pätzold (2008), S. 43 ff.

[18] Vgl. Brümmerhoff (2001), S. 357 ff.

[19] Vgl. Mankiw ( 2003), S. 441 f.

[20] Vgl. Förterer (1979), S. 116.

[21] Vgl. Barro (1986), S. 469.

[22] Vgl. Blankart (2003), S. 235 ff.

[23] Vgl. Perschau (1999), S. 98.

[24] Vgl. Henke (1999), S. 164.

[25] Vgl. Pinho (2004), S. 6.

[26] Vgl. Pinho (2004), S. 6 ff.

[27] Vgl. Musgrave (1958), S. 72 ff.

[28] Vgl. Konrad/Zschäpitz (2010), S. 77 ff.

[29] Vgl. Funke (1995), S. 106 ff.

[30] Vgl. Bajohr, S. 440.

[31] Vgl. Gandenberger (1988), S. 489 f.

[32] Vgl. Mussel (1996), S. 180.

[33] Vgl. Gandenberger (1988), S. 489 f.

[34] Vgl. Laubach (2005).

[35] Vgl. Gale/Orszag (2003).

[36] Vgl. Bernoth (2003), Faini (2006).

[37] Vgl. Paesani (2006).

[38] Vgl. Ferreira (2009).

[39] Vgl. Kumar/Woo (2010).

[40] Vgl. Reinhart/Rogoff (2010).

[41] Vgl. Checherita/Rother (2010).

[42] Vgl. Scherf (2007), S. 27.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955495527
ISBN (Paperback)
9783955490522
Dateigröße
265 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Staatsschulden Verschuldung Schuldenquote Defizitquote Fiskalpakt Steuerglättung
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