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Wenn Sport zur Sucht wird: Aspekte des Suchtverhaltens am Beispiel von Ausdauerbelastung

©2011 Bachelorarbeit 41 Seiten

Zusammenfassung

Immer höher, immer schneller, immer weiter. Dies scheint nicht nur das Motto der Olympischen Spiele zu sein, sondern auch des Breitensports im 21. Jahrhundert.
Der Übergang von einer „gesunden“ Sportbindung hin zu einer „krankmachenden“ Sportsucht scheint fließend zu sein. Zudem werden mit sportlicher Aktivität positive Attribute wie vital, jugendlich, gesund, fit und erfolgreich verbunden, was es so schwierig macht, das Sporttreiben im übermäßigen Maße als krankhaft und damit süchtig zu bezeichnen.
Dieses Buch soll einen Eindruck über das Suchtverhalten von Sportsüchtigen vermitteln. Dabei wird sich hauptsächlich auf die Ausdauersucht (bzw. Laufsucht) und nicht auf die Risikosportsucht, Muskelsucht oder die Verbindung von Sportsucht und Magersucht (anorexia athletica) bezogen. Das Ursachengefüge wird analysiert und mögliche Therapiemöglichkeiten aufgezeigt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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2 Verhaltenssucht
Bei der stoffungebundenen Verhaltenssucht werden im Gegensatz zu der stoff-
gebundenen Sucht keine bewusstseinsverändernden Mittel konsumiert. Anstelle
der Droge stehen hier exzessive, verstärkende Verhaltensweisen, die innere
biochemische Prozesse auslösen und so auf die Psyche des Menschen wirken
(,,psychotrop" genannt) (vgl. Grüsser & Thalemann, 2006, S. 19).
Allgemein kann nach Tretter und Müller (2001) jedes menschliche Verhalten zu
einer Sucht führen, da jede Verhaltensweise einen Rauschzustand auslösen
kann. So ist es also möglich, dass ein Verhalten einen Rausch bzw. ein extrem
gutes Gefühl auslösen kann, was zum Anlass genommen wird, dieses Verhal-
ten immer und immer wieder zu wiederholen. Dies führt meist zu einer Art
Exzess, bei dem die Ausführung der Verhaltensweise über einen normalen
Grad hinausgeht (ebd., S.19).
Zu Beginn einer Suchtentwicklung tritt das belohnende Verhalten oft noch in
Form einer positiven Verstärkung auf. Damit ist gemeint, dass die Verhaltens-
weise positive Gefühle hervorrufen soll. In einem späteren Stadium der Verhal-
tenssucht sollen eher ungewollte Emotionen (wie zum Beispiel Stress) durch
die Belohnung beseitigt werden (negative Verstärkung). Zudem werden aktive
Auseinandersetzungen mit dem Problem und vor allen Dingen andere Beloh-
nungssysteme vernachlässigt, da der absolute Fokus auf dem psychischen
Effekt der Suchthandlung liegt. Dieser wird zweckentfremdet, um emotionale
Missstände wie Depressionen oder Stress zu regulieren und ist hauptverant-
wortlich für das Aufrechterhalten und sogar Steigern des Sucht-verlangens bis
hin zur Selbstzerstörung im Endstadium (ebd., S.72-73).
Aber nicht jede exzessiv ausgeführte Verhaltensweise ist auch eine Verhaltens-
sucht. Nach Grüsser und Thalemann (2006) ist erst eine Verhaltens-sucht
gegeben, wenn ein Kontrollverlust über die Häufigkeit und die Dauer (mindes-
tens ein Jahr) der Verhaltensausführung besteht und mit ständiger gedanklicher
Präsenz die Durchführung der Verhaltensweise gesteigert wird, obwohl negati-
ve Konsequenzen drohen.
Bekannte Verhaltenssüchte sind zum Beispiel die Arbeits-, Computer-, Glücks-
spiel-, Kauf-, Sex- und Sportsucht. Ihre in den letzten fünfzehn bis zwanzig

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Jahren gesteigerte Popularität führte jedoch nicht dazu, dass diese Verhaltens-
süchte außer der Glücksspielsucht als eigenständige Störungsbilder in interna-
tional anerkannte Klassifikationssysteme aufgenommen wurden. Lediglich ,,das
Pathologische (Glücks-)Spiel" ist bei den ,,Persönlichkeits- und Verhaltensstö-
rungen als abnorme Gewohnheit und Störung der Impuls-kontrolle" einbezogen
worden (vgl. Grüsser & Thalemann, 2006, S. 20).
In Bezug auf den Sport gibt es verschiedene Ausprägungen der Verhaltens-
sucht, da Sport unterschiedliche Auswirkungen auf den Körper haben kann
(zum Beispiel Muskelaufbau, Gewichtsreduktion, Adrenalinausstoß). Nach
heutigem Kenntnisstand ist Sportsucht beispielsweise in Verbindung mit Risi-
kosportarten bekannt. Hier steht Sport als ,,Grenzsuche" und ,,Erlebnis-
suche" im Vordergrund. Darüber hinaus gibt es Sportsucht aufgrund von
Magersucht (Anorexia athletica), Muskelsucht (Bodybuilding) und Ausdauer-
bzw. Laufsucht (vgl. Castillon, 2007, S. 4). Somit fallen all diese Varianten unter
den Begriff ,,Sportsucht", zeigen jedoch unterschiedliche Motivlagen der Sucht-
erkrankten und verschiedene Auswirkungen auf deren Körper.
Allgemein wird Sportsucht heute folgendermaßen definiert:
,,Das Streben nach Sport bekommt Suchtcharakter, übernimmt die Kontrolle der
eigenen Verhaltenssteuerung und wird dominant. Alle anderen Interessen
werden zur Seite geschoben" (Brandhoff, 2011, S. 1).
Interessant ist allerdings die Entwicklung der Definitionen von Sportsucht
bezüglich ihrer Ursachen, Entstehung und Abgrenzung zu anderen Störungs-
bildern.
1970 wurde von Baekelund erstmalig der Begriff der ,,Sportsucht" verwendet. Er
traf eher zufällig auf dieses Phänomen, da er eigentlich eine Studie zu den
Auswirkungen des Sports auf das Schlafverhalten geplant hatte. Allerdings
weigerten sich viele Sportler, diese Erhebung zu unterstützen, da sie trotz
Aufwandsentschädigung ihr eigenes Trainingsprogramm nicht vernachlässigen
wollten. Daraus leitete Baekelund eine Abhängigkeit ab (vgl. Grüsser & Thale-
mann, 2006, S.97).
Glasser (1976) formulierte sechs Jahre später die erste Definition, die sich
zunächst nur auf die Ausdauerbelastung bei Langstreckenläufen bezog. Sie

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besagt, dass es positive und negative Süchte gibt. Exzessives Sporttreiben ist
demnach eine positive Sucht, da positive Begleiterscheinungen, wie Stärkung
der mentalen Beherrschung, durch den Sport ausgelöst werden. Eine negative
Sucht ist hingegen eine, die dem Menschen Schaden zufügt (zum Beispiel
Drogen). Darüber hinaus beherrscht hier im Unterschied zu der positiven Sucht
das Verlangen nach ,,Mehr" das Leben des Betroffenen (ebd., S.97).
Morgan (1979) entgegnete Glassers Theorie kritisch, indem er aufführte, dass
Sportsüchtige trotz negativer Konsequenzen in sozialen und gesundheitlichen
Bereichen das Sporttreiben fortführen. So kann laut Morgan auch Sportsucht
eine negative Sucht sein, wenn der Sport eine Voraussetzung darstellt, um mit
den alltäglichen Problemen umgehen zu können und Entzugserscheinungen
auftreten, wenn die sportliche Handlung ausgelassen wird (ebd., 97-98;
Beckmann & Elbe, 2008, S. 115).
Diese Definitionen bezogen sich in diesem Zeitraum trotz des recht globalen
Begriffes ,,Sportsucht" nur auf die Ausdauer- bzw. Laufsucht. Auch fortge-
schrittenere Definitionen, welche die Häufigkeit und Dauer des Sporttreibens
berücksichtigten, bezogen sich damals nur auf diesen einen Teilbereich der
Sportsucht. So beschrieben Sachs und Pargman (1979) Sportsucht als eine
psychische und physische Abhängigkeit vom Laufen, die, sofern ihr 24 bis 36
Stunden nicht nachgegangen wird, Entzugserscheinungen (beispielsweise
Angstzustände oder Aggressivität) auslöst (ebd., S. 97-98; vgl. Knobloch, Allmer
& Schack, 2000, S. 193-194).
Im letzten Stadium der Definitionsfindung wird, wie auch bei Veale (1995), die
Sportsucht in eine primäre und sekundäre Suchterkrankung unterteilt. Hierbei
wird allgemein der Fokus auf die psychischen Aspekte gelegt. Dauer- oder
Häufigkeitsangaben sollen hier nicht berücksichtigt werden, da diese laut Veale
kein absoluter Garant für die Diagnostik einer Sportsucht sind. Die primäre
Sportsucht ist ein eigenständiges Störungsbild, welches vorliegt, wenn eine
permanente, kognitive und routinierte Beschäftigung mit dem Sport stattfindet
und bei Nichterfüllung des Trainingspensums Entzugserscheinungen auftreten.
Folgen des exzessiven Sporttreibens sind medizinisch nachweisbare physische
Erkrankungen und psychische Beeinträchtigungen im sozialen Bereich. Zudem

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ist die primäre Sportsucht nicht durch andere psychische Störungen zu erklären.
Im Gegensatz dazu tritt die sekundäre Sportsucht in Verbindung mit einer
Essstörung auf (Kap. 3). Die sekundäre Sportsucht ist gegeben, wenn der
Sportler andere Aktivitäten vernachlässigt, um seinem Trainingsplan routiniert
und stereotypisiert nachzugehen. Darüber hinaus werden trotz des Be-
wusstseins, dass ein extremer, eventuell auch krankhafter Drang zum Sporttrei-
ben besteht, die sportlichen Handlungen ausgeführt, um etwaige Entzugser-
scheinungen zu vermeiden (ebd., 99-101).
,,Sportsüchtige laufen nicht, weil sie Spaß daran haben, sondern einem inneren
Zwang nachgeben. Auf Warnsignale des Körpers hören sie dabei nicht mehr [...]
Wie ein Alkoholiker, der nicht aus Genuss trinkt, sondern aus einem inneren
Zwang" (Frank, 2008, S.1).

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3 Lauf- bzw. Ausdauersucht
Die Ausdauer wird als ,,psychisch-physische Widerstandsfähigkeit gegen
Ermüdung, die sowohl für die mentale Leistungsfähigkeit des Sportlers als auch
für die Belastbarkeit des Organismus eine Rolle spielt" (Beckmann, J. et al.,
2007, S. 37), definiert. Durch das Training dieser Fähigkeit wird u.a. das Herz-
Kreislaufsystem gestärkt, das Immunsystem unterstützt, die Versorgung mit
Sauerstoff gefördert und die Regenerationsfähigkeit nach einer Belastung
trainiert (ebd., S. 37). Um die Ausdauer zu schulen, müssen Sportlerinnen und
Sportler in einem regelmäßigen Training in kleinen Schritten über sich hinaus-
wachsen. Dabei müssen sie Ermüdungstoleranz aufweisen, um über ihre
persönlichen Grenzen zu gehen. Jedoch sollte ein gesundes Maß eingehalten
werden, indem die absoluten Grenzen der Leistungsfähigkeit akzeptiert werden.
Es sind allgemein vier Motive bekannt, weshalb Menschen Ausdauersportarten
ausführen, obwohl sie viel mit Disziplin und Zeitaufwand zu tun haben. Dahin-
gehend können psychologische Gründe (zum Beispiel Stressreduktion, Stär-
kung des Selbstwertgefühls), gesundheitliche Aspekte (zum Beispiel ver-ordnet
durch den Arzt, Steigerung der Fitness, Gewichtsabnahme), soziale Motive
(Verbesserung der visuellen Attraktivität für Partner/in und/oder sonstiges
Umfeld) und leistungsbezogene Gründe (Wettkampf) verantwortlich für das
Ausführen einer Ausdauersportart sein (vgl. Egloff, 2000, S. 147).
Die krankhafte, süchtige Ausführung des Sports ist allerdings nicht durch ein
leistungsbezogenes Motiv zu begründen. Das heißt, dass die Sportsucht ,,ein
suchtartiges Verlangen nach sportlicher Betätigung ohne Wettkampfambitio-
nen" (Autor unbekannt a, 2009, S. 1) darstellt.
Um der Ausdauersucht nachzukommen, bedienen sich die Betroffenen in der
Regel der Sportarten, die eine monotone, gleichbleibende Bewegungsabfolge
besitzen, welche über Stunden hinweg wiederholt werden kann. Dafür bieten
sich das Laufen, Fahrradfahren, Schwimmen (Triathlon), Walken und Skaten an
(ebd., 2009, S. 1).
Die Trainingseinheiten von Ausdauersüchtigen divergieren immens. Stern TV
berichtete im November 2010 von der 20-jährigen Marie, die aufgrund ihrer
Ausdauersucht die Schule abbrechen musste. Zu groß war aus ihrer sub-

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jektiven Sicht der Aufwand geworden, ihren sportlichen Aktivitäten gerecht zu
werden. Die Konsequenz ist nachvollziehbar, wenn man ihr tägliches Sport-
programm betrachtet. Marie ist Mitglied in einem Schwimmverein, läuft Lang-
strecken, fährt Fahrrad und läuft Inline-Skates. Darüber hinaus macht sie zum
Ausgleich Ballett. So kommt die 20-jährige tagtäglich auf ein mindestens
vierstündiges Fitnessprogramm (vgl. Neuland, 2010, S.1).
Das Trainingspensum des jungen Mädchens kann jedoch nicht als re-
präsentatives Muster gelten, sondern nur als Fallbeispiel. Dies liegt daran, dass
die Ursachen, Gründe und Krankheitsverläufe einer Ausdauersucht so viel-
schichtig sind, dass man eine Diagnose eines solchen Phänomens nicht an der
Dauer bzw. Häufigkeit des Sportreibens allein festmachen kann (Kap. 2, s.
Veale u. Kap. 3.2).
Allgemein lässt sich jedoch feststellen, dass bezüglich der Ausdauersucht
geschlechterspezifische ­ und altersbezogene Unterschiede bestehen. Wäh-
rend Frauen in der Regel in ausdauersuchtähnliche Zustände abgleiten, um ihr
Idealgewicht zu erreichen und einen dem Schönheitsideal unterworfenen
,,perfekten", jugendlichen Körper zu gewinnen, zielen Männer meist nicht auf
einen schlankeren, sondern einen männlicheren Körper ab. Hier sind die Motive
auch meist psychischer Natur (vgl. Autor unbekannt b, 2009, S. 1).
Frauen sind besonders im Alter von 15 bis 25 Jahren gefährdet. Mit dem Eintritt
der Pubertät und der damit einhergehenden Identitätsfindung verändern sich
auch die Körperproportionen. Der kindliche Körper wird zu einem fraulichen
Körper. Diese Entwicklung wollen viele Frauen durch Sport verlangsamen und
verlieren dabei teilweise die Kontrolle über diesen Prozess. Einige erkranken
zusätzlich an Magersucht (vgl. Pollmer, Frank & Warmuth, 2003, S. 19). Yates,
Leehey und Shisslak (1983) vermuten hierbei einen gemeinsamen Ursachen-
komplex beider Krankheitsbilder. So meinen sie, ähnliche Symptome und
Denkweisen bei Magersüchtigen und Laufsüchtigen entdeckt zu haben. Diese
Ähnlichkeiten macht Yates (1991) in der gleichnamigen These (,,Yates-
Hypothese") an der Missachtung körperlichen Schmerzes bei beiden Krank-
heiten fest. Zudem sei in beiden Fällen eine extreme Fixierung auf das Motiv
Laufen oder Gewichtsreduktion zu erkennen. Diese Vermutung konnte in der

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Vergangenheit allerdings nicht ausreichend empirisch belegt werden, sodass
wohl doch eine wechselseitige Beeinflussung beider Krankheiten als wahr-
scheinlich gilt (vgl. Alfermann & Stoll, 2010, S. 344).
Slay, Hayaki, Napolitano und Brownell (1998) konnten jedoch auch eine Verbin-
dung zwischen Laufsucht und Magersucht feststellen. Sie führten empirische
Studien mit 240 Läufern und 84 Läuferinnen bezüglich der Laufsucht, Essstö-
rung und Laufmotivation durch. Hierbei fanden sie heraus, dass zwanghafte
Läuferinnen und Läufer zumeist negativ verstärkt werden (Kap. 2). Das heißt,
das Motiv des Sporttreibens ist nicht auf einem Herbei-führen positiver Neben-
erscheinungen begründet, sondern auf der Abwehr von negativen Gefühlen
(Entzugserscheinungen). Darüber hinaus ist das Miss-achten körperlicher
Signale (Krankheiten) spezifisch für beide Suchtverhalten. Interessanterweise
konnte diese Arbeitsgruppe zudem eher eine Verbindung von Magersucht und
Laufsucht bei Frauen feststellen. Daraus formulierten sie die Vermutung, dass
bei laufsüchtigen Frauen ein erhöhtes Risiko der Magersucht besteht.
Auch Fox, Temple und Wigley (1990) forschten über diesen geschlechter-
spezifischen Unterschied und kommen zu dem Ergebnis, dass besonders
Läuferinnen (Mittel- bis Langstrecke) im Alter von 15 bis 25 Jahren gefährdet
sind, an einer Essstörung zu erkranken. Darüber hinaus unterscheiden sie die
Läuferinnen hinsichtlich ihrer Motive. So gibt es danach die ,,Schönheits-
läuferin", die läuft, um ihr Gewicht zu reduzieren und die ,,Konkurrenzläuferin",
die den Vergleich zu Gegnern sucht und einfordert. Sie ist gefährdet, an einer
Magersucht zu erkranken, da sie mit der perfekten Figur einer Ausnahme-
sportlerin auch die Leistungen einer solchen Sportlerin verbindet. Im Gegensatz
dazu wird bei der ,,Schönheitsläuferin" vermutet, dass schon vor dem Ausbruch
der Sportsucht bestimmte Neigungen zu einer Magersucht bestehen, diese
aber durch den Sport nun anders begründet werden (vgl. Alfermann & Stoll,
2010, S. 344; Knobloch, Allmer & Schack, 2000, S. 197).
Auch wenn bis heute die genaue wechselseitige Beeinflussung von Laufsucht
und Magersucht nicht erklärt werden kann, ist doch sicher, dass ein direkter
Zusammenhang zwischen beiden Suchtverhalten besteht. Darum prägten
Pugliese, Lifshitz, Grad, Fort und Marks-Katz (1983) den Begriff ,,Anorexia

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athletica", um das Stadium zu kennzeichnen, in dem beide Krankheitsbilder
vorhanden sind.
Männer zeigen sich hingegen besonders anfällig für die Erkrankung der Aus-
dauersucht im Alter von 40 bis 50 Jahren. In dieser Phase des mittleren Le-
bensalters stehen die Männer meist vor der Herausforderung, nun alleinverant-
wortlich für eine Familie zu sein. Eventuelle Probleme im Beruf und die damit
verbundene Gefährdung dieser verantwortungsvollen Aufgabe können zu
Lebenskrisen führen (vgl. Knobloch, Allmer & Schack, 2000, S. 196).
Frauen wie Männer haben in den jeweiligen Lebensphasen zumeist ein gerin-
ges Selbstwertgefühl, was sie durch das exzessive Laufen, Schwimmen oder
Fahren versuchen auszugleichen (ebd., S.196).
Mit der Laufsucht wird meist auch der Begriff ,,runner´s high" in Verbindung
gebracht. Er bezeichnet einen rauschähnlichen Zustand, welcher beim Sportler
während oder nach einer Ausdauerbelastung das Gefühl der Schwerelosigkeit
und Selbstwirksamkeit hervorruft (ebd., S. 190). Das ,,runner´s high" ist aber
keineswegs nur bei Sportsüchtigen vorzufinden, sondern auch bei Sportlern, die
sich durch den Sport extremen Qualen aussetzen, jedoch keine Abhängigkeit
danach verspüren. Somit kann man bei Gelegenheitsläufern nicht von dieser
Euphorie des ,,runner´s high" sprechen. Hier trifft wohl eher das Gefühl der
Entspannung zu (vgl. Pollmer, Warmuth & Frank, 2003, S. 337). Es ist in
diesem Zusammenhang also von zwei unterschiedlichen Phänomenen zu
sprechen. Pargman (1980) erklärte sich das Phänomen des ,,runner´s
high" durch die körpereigene Endorphinausschüttung (Opiate) bei der Ausdau-
er-belastung, welche für das geringere Schmerz- und Belastungsempfinden
verantwortlich sei und weiterhin einen rauschähnlichen Zustand auslösen könne.
March (2004) und Knobloch, Allmer und Schack (2000) schreiben jedoch, dass
eine Ausdauerbelastung keine Erhöhung des Endorphinspiegels zur Folge habe.
Vielmehr sei zu beachten, dass das ,,runner´s high" öfter in Wettkämpfen als in
Trainingssituationen und hier auch eher in Zielnähe sowie nach Wettkämpfen
auftrete. Dies weise auf eine Verknüpfung des ,,runner´s high" mit motivationa-
len, kognitiven und emotionalen Prozessen hin (vgl. March, 2004, S. 254-255;
Knobloch, Allmer & Schack, 2000, S. 190-191). Das Gefühl der Entspannung

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bei Gelegenheitsläufern erklären sich Pollmer, Warmuth und Frank (2003) durch
die Tageslichtabsorbtion. Die stimmungsaufhellende Wirkung des Sonnenlich-
tes sei nicht nur anhand ausführlicher Studien zur Winterdepression nachge-
wiesen, sondern führe auch bei Sportlern zu einem entspannenden Gefühl.
Demnach habe das Sporttreiben in Fitnessstudios nicht den selben Effekt. Es
sei nämlich nicht nur die Helligkeit, die zu diesem Gefühl führe, sondern auch
die Zusammensetzung der Spektralfarben, die eine stimmungsaufhellende
Wirkung habe. Dies gelinge durch die Verknüpfung der Augen mit dem Hypo-
thalamus, welcher für zahlreiche Prozesse und Regulierungen (zum Beispiel
Schlaf-Wach-Rythmus, Herz-Kreislaufsystem etc.) verantwortlich sei. So leite
dieser die ankommenden Lichtreize u.a. an die sogenannte Zirbeldrüse weiter
und hemme auf diese Weise den Serotoninabbau, welcher maßgeblich Auslö-
ser für Depressionen sei (vgl. Pollmer, Warmuth & Frank, 2003, S. 337-339).
3.1 Wann ist Sport eine Sucht?
De la Torre (1995) beschreibt eine sportliche Aktivität als gesund und sozial
oder pathologisch bzw. abhängig. Diese Tätigkeitszustände sind aber nicht
immer eindeutig zu bestimmen, da sie im Rahmen einer Suchtentwicklung zeit-
weise variieren können. De la Torre beschreibt für diese Zustände drei unter-
schiedliche Sportprofile. Es gibt den ,,gesunden Neurotiker", der aus seiner
leistungsmotivierten Haltung heraus durch den Sport eine konstante Lebens-
verbesserung erreichen möchte. Dem ,,Zwanghaften" bietet Sport die Mö-
glichkeit, präzise und routinierte Abläufe auszuüben, die Kontrolle vermitteln.
Der ,,Süchtige" missbraucht Sport, um emotionale Disharmonien auszugleichen
und ist gleichzeitig durch die Sucht fremdbestimmt und kontrolliert.
Im Folgenden soll mit den Begriffen ,,Ausdauerbindung" und ,,Ausdauer-
sucht" der Unterschied zwischen einer gesunden, wenn auch extremen, aus-
dauer-bezogenen sportlichen Betätigung und einem pathologischen Suchtver-
halten gekennzeichnet werden. Diese Trennung konnte 1997 durch Szabo,
Frenkl & Caputo empirisch belegt werden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2011
ISBN (PDF)
9783955495626
ISBN (Paperback)
9783955490621
Dateigröße
254 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1
Schlagworte
Breitensport Leistungssport Sportbindung Muskelsucht Ausdauersucht
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