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Sexuelle Gewalt an Jungen: Strategien, Folgen und ein konzeptioneller Vorschlag für den Umgang mit sexueller Gewalt

©2012 Bachelorarbeit 61 Seiten

Zusammenfassung

Sexuelle Gewalt ist ein Phänomen der Neuzeit, denn sie wird jeden Tag an tausenden Orten der Welt praktiziert. Dem Thema muss Aufmerksamkeit geschenkt werden, sodass sich einerseits Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch alle anderen Menschen, wie z.B. Eltern mit dieser Thematik auseinandersetzen sollten. Sexuelle Gewalt könnte somit frühzeitig erkannt werden und Kindern würde ein schmerzhafter Leidensweg erspart.
Im Fokus dieses Werkes stehen die Problematiken im Umgang mit sexueller Gewalt, die Strategien der Täter/innen und die Folgen sexueller Gewalt mit besonderem Augenmerk auf die geschlechtsspezifischen Folgen. Die Arbeit mündet in einem konzeptionellen Vorschlag, um eine Möglichkeit bzw. eine Leitlinie aufzuzeigen, wie die Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe mit sexueller Gewalt umgehen könnten. Ziel ist es, die Thematik einerseits wissenschaftlich darzustellen, anderseits soll auch die Emotionalität und die Lebenswelt der Opfer sexueller Gewalt vermittelt werden, um bei dem Leser eine Sensibilität für die Thematik zu schaffen und die Motivation zu wecken aktiv zu werden, um sexuelle Gewalt an Kindern in unserer Gesellschaft zu minimieren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3
wirkungen sexueller Gewalt auf Jungen näher dar, um auf Jungen als mögliche Opfer aufmerksam
zu machen sowie die Fachkräfte bezüglich ihrer Wahrnehmung zu sensibilisieren. Darüber hinaus
wird angestrebt, die Verhaltensweisen und die Emotionalität von Jungen zu begründen und dadurch
ein spezifischeres Verständnis für Jungen als Opfer sexueller Gewalt zu erreichen.
Beim letzten Punkt stelle ich meinen konzeptionellen Vorschlag zum Umgang mit Verdachts-
momenten in der Kinder- und Jugendhilfe dar. Mir geht es darum, durch Standards eine allgemein
gültige Vorgehensweise mit Verdachtsmomenten zu gewährleisten, sodass jede Fachkraft der
Kinder- und Jugendhilfe über ein klares Handlungskonzept verfügt, falls sie den Verdacht hat, dass
bei einem Kind sexuelle Gewalterfahrungen vorliegen könnten.
Insgesamt erhoffe ich mir, dass durch diese Arbeit ein allgemeines Verständnis über die Dynamiken
und Folgen sexueller Gewalt erreicht wird. Jungen als Opfer sollen nicht mehr übersehen werden,
sondern als mögliche Opfer sexueller Gewalt wahrgenommen werden. Des Weiteren werden die
Ansprüche an die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, im Umgang mit sexueller Gewalt
verdeutlicht. Durch meinen konzeptionellen Vorschlag sollen allgemeingültige Standards ge-
schaffen werden, die für jede Fachkraft der Kinder- und Jugendhilfe gelten kann, sodass dem
Gesetzesauftrag im §8 des KJHG besser nachgekommen werden kann.

4
2.
Definitionen und Arten sexueller Gewalt
Die Begriffe sexueller Gewalt werden in den verschiedensten Kontexten verwendet und scheinbar
herrscht eine Einigkeit bezüglich der Bedeutung. Neben sexueller Gewalt wird in den Medien, der
Politik sowie im Alltag auch von sexueller Ausbeutung, sexuellem Missbrauch und sexueller
Misshandlung gesprochen. Unterschiede bezüglich der Verwendung und Bedeutung sind nicht
erkennbar. In dieser Arbeit verwende ich bewusst die Begrifflichkeit sexuelle Gewalt, um darauf
hinzuweisen, dass es sich um eine Gewalttat handelt. Der Aspekt der Gewalt wird bei den Begriffen
sexueller Missbrauch und sexuelle Ausbeutung nicht deutlich, sodass ich diese Begriffe nicht
angemessen finde.
Obwohl scheinbar eine gesellschaftliche Einigkeit bezüglich des Begriffs sexuelle Gewalt herrscht,
gibt es in der Wissenschaft große Uneinigkeit bezüglich der Definitionskriterien, sodass eigentlich
gar keine universale Definition von sexueller Gewalt existiert.
Jede Definition ist in den gesellschaftlichen Kontext eingebettet und verfolgt ein spezielles Ziel.
Hinzu kommt, dass die Bewertungskriterien jedes Wissenschaftlers individuell sind, was sich bei
der Formulierung der vielfältigen Definitionen zeigt.
3
2.1
Definitionskriterien sexueller Gewalt
Im Folgenden orientiere ich mich an Henri Julius und Ulfer Boehme, die die unterschiedlichen
Definitionen sexueller Gewalt in drei verschiedene Dimensionen gliedern:
1.
Normativ / rechtliche Dimension
2.
Klinische Dimension
3.
Forschungsdimension
4
1.
Normativ / rechtliche Dimension
,,In normativen Definitionen werden soziale, kulturelle und politische Werte widergespiegelt. So
erhalten diese Normen ihre explizite Ausformulierung in den Gesetzestexten."
5
Bei dieser Dimension handelt es sich nicht nur um die Definition eines Begriffs, sondern gleich-
zeitig auch um eine Vorschrift, die das Handeln der Menschen bestimmt. Die normative Dimension
impliziert, dass eine Abweichung von dieser Norm sowohl rechtliche, als auch gesellschaftliche
Konsequenzen mit sich bringt.
3
Julius, Henri ; Boehme Ulfert (1997): Sexuelle Gewalt gegen Jungen: Eine kritische Analyse des
ForschungsstandesVerlag für Angewandte Psychologie; Auflage: 2. S. 16 ­ 17.
4
Julius, Henri ; Boehme Ulfert (1997): Sexuelle Gewalt gegen Jungen: Eine kritische Analyse des
Forschungsstandes.Verlag für Angewandte Psychologie; Auflage: 2. S. 18 ­ 23.
5
Damrow, Miriam: Sexueller Kindesmissbrauch (2006): Eine Studie zu Präventionskonzepten, Resilienz und
erfolgreicher Intervention . Juventa Verlag Weinheim und München. S. 47

5
Was vor dem Gesetz als sexuelle Gewalt an Kindern definiert wird, thematisiert der §176 des Straf-
gesetzbuches. Sexuelle Gewalt liegt demnach vor, wenn an einem Kind unter 14 Jahren sexuelle
Handlungen praktiziert werden. Des Weiteren macht sich derjenige strafbar, der ein Kind zwingt, an
sich selbst oder Dritten sexuelle Handlungen vorzunehmen oder durch das Zeigen von porno-
graphischen Material auf das Kind einwirkt.
Zu sexueller Gewalt gehören laut § 176 a), Handlungen ,,(...) die mit einem Eindringen in den
Körper verbunden sind"
6
Des Weiteren ist eine sexuelle Handlung strafbar, wenn sich dadurch für
das Kind gesundheitliche Folgen ergeben.
7
2.
Klinische Dimension
Die klinische Dimension konzentriert sich vor allem auf die Folgen sexueller Gewalt.
Sexuelle Gewalt wird als traumatisches Erlebnis definiert, aus dem psychische Sofort- Früh- oder
Spätfolgen resultieren können.
8
Hier zeigt sich, dass es bei dieser Definition nicht darum geht, die Handlungen, die für sexuelle
Gewalt sprechen zu spezifizieren, sondern, dass einzig und allein die Folgen näher ausgeführt
werden. Was genau unter sexueller Gewalt zu verstehen ist, bleibt bei der klinischen Dimension un-
klar. Klinische Definitionen charakterisieren sich dadurch, dass sie sehr vage und vielfältig formu-
liert sind.
9
3.
Forschungsdimension
Die Forschungsdefinitionen bieten die Grundlage für empirische Untersuchungen. Meist orientieren
sich die Wissenschaftler an den normativ / rechtlichen Definitionen, weil diese wesentlich spezifi-
scher und konkreter formuliert sind, als die klinischen Definitionen.
Bei den Forschungsdefinitionen unterscheidet man zwischen engen und weiten Definitionen sexueller
Gewalt. Die engen Definitionen erfassen nur die Arten sexueller Gewalt, bei dem ein Körperkontakt
zwischen den Täter/innen und dem Opfer stattgefunden hat, während bei weiten Definitionen auch
die sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt berücksichtigt wird.
10
6
Strafgesetzbuch. 13. Abschnitt ­ Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung: §176 a Schwerer sexueller
Missbrauch von Kindern. In: http://dejure.org/gesetze/StGB/176.html am 27.08.2012 um 14:20 Uhr.
7
Strafgesetzbuch. 13. Abschnitt ­ Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung: §176 a Schwerer sexueller
Missbrauch von Kindern. In: http://dejure.org/gesetze/StGB/176.html am 27.08.2012 um 14:20 Uhr.
8
Julius, Henri ; Boehme Ulfert (1997): Sexuelle Gewalt gegen Jungen: Eine kritische Analyse des
ForschungsstandesVerlag für Angewandte Psychologie; Auflage: 2. S. 20.
9
Julius, Henri ; Boehme Ulfert (1997): Sexuelle Gewalt gegen Jungen: Eine kritische Analyse des
ForschungsstandesVerlag für Angewandte Psychologie; Auflage: 2. S. 22.
10
Kindler/Lillig/Blüml/Meyer/Werner (Hg) (2006): Handbuch Kindeswohlgefährdung nach $1666 und Allgemeiner
Sozialer Dienst (ASD) München: Verlag Deutsches Jungendinstitut. Unterstaller Adelheid: Was ist unter sexuellem
Missbrauch zu verstehen.

6
Insgesamt verdeutlichen die unterschiedlichen Definitionsdimensionen die Komplexität, den
Begriff sexuelle Gewalt einheitlich zu definieren.
Julius und Boehme stellen die Problematik der Definitionskriterien sehr anschaulich dar, auf die ich
mich nun im Folgenden beziehe:
1.
Altersbegrenzung
Durch die Altersbegrenzung versuchen viele Wissenschaftler die Begriffe sexuelle Gewalt zu
definieren. Der §176 a) legt z. B. eine Altersbegrenzung von 14 Jahren fest. Doch die psycho-
logische Entwicklung von Kindern ist individuell und kann nur schwer durch eine feste Alters-
begrenzung festgelegt werden.
2.
Art der sexuellen Handlung
Bei der Spezifizierung, welche Handlungen als sexuelle Gewalt definiert werden können, herrscht
ebenfalls in der Forschungslandschaft Uneinigkeit. Der Hauptunterschied besteht zwischen
sexuellen Handlungen mit Körperkontakt und sexuellen Handlungen ohne Körperkontakt, wie z. B.
Exhibitionismus. Aufgrund dieser Divergenz, ist es momentan nicht möglich, sich auf eine uni-
versale Definition zu einigen.
3.
Missachtung des kindlichen Willens
Manche Wissenschaftler versuchen, eine sexuelle Handlung dadurch zu definieren, dass sie gegen
den Willen des Kindes erfolgt. Das Problem bei diesem Definitionskriterium ist, dass Kinder
sexuelle Handlungen nicht als solche realisieren können, sodass sie nicht die Möglichkeit haben,
dieser Handlung zuzustimmen bzw. sie abzulehnen. Einerseits hat das Kind diese Möglichkeit nicht
aufgrund seines Entwicklungsstandes, andererseits verwendet der Täter bestimmte Strategien, auf
die später noch spezifischer eingegangen wird, die eine bewusste Zustimmung zu sexuellen Hand-
lungen unmöglich macht.
4.
Sich sexuell missbraucht fühlen
Ein subjektives Gefühl als Definitionskriterium festzulegen ist meiner Meinung nach problematisch.
Die Opfer sind häufig noch nicht in der Lage ihre Gefühle zu artikulieren. Das liegt einerseits am
Entwicklungsstand des Kindes, andererseits auch daran, dass die Opfer ihre Erfahrungen aufgrund
des Traumas gar nicht kommunizieren können. Solch ein Definitionskriterium entlastet meiner
Meinung nach die Täter und verhindert die vollständige Aufklärung der Gewalt.

7
5.
Zwang und Gewalt
In manchen Definitionen werden Handlungen dann als sexuelle Gewalt definiert, wenn von den
Täter/innen Zwang und / oder Gewalt eingesetzt wird, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu
bringen. Das Kind ist jedoch meist von den Täter/innen emotional abhängig, sodass die Täter/innen
häufig gar keinen Zwang bzw. Gewalt anwenden müssen, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu
bringen. Daraus resultiert, dass dieses Definitionskriterium problematisch ist, weil Zwang und
Gewalt meist nur von Täter/innen angewandt wird, die keine emotionale Beziehung zu ihrem Opfer
haben und somit keine Vertrauensperson für das Kind darstellen. Das wiederum bedeutet, dass
sexuelle Gewalt in der Familie durch dieses Definitionskriterium meist nicht erfasst werden kann.
6.
Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer
Um bestimmen zu können, ob sexuelle Handlungen freiwillig bzw. unfreiwillig praktiziert wurden,
versuchen einige Wissenschaftler durch die Festlegung eines bestimmten Altersunterschiedes
zwischen Täter und Opfer Klarheit zu erlangen.
11
Beispielsweise ,,(...) wurde für Kinder bis zum 12. Lebensjahr ein Altersunterschied von 5 Jahren
bestimmt (...)".
12
Durch die Festlegung dieser Begrenzung können sexuelle Gewalthandlungen
unter Gleichaltrigen nicht mehr erfasst werden.
Aus diesen Problematiken bezüglich der Festlegung von einheitlichen Definitionskriterien resultiert,
dass es nie nur die eine Definition von sexueller Gewalt geben wird, die dann universal gültig ist.
Um ein umfassendes Verständnis der Begrifflichkeiten zu erzielen, ist es wichtig, sich mit den
unterschiedlichen Dimensionen und Definitionskriterien auseinanderzusetzen, um für sich selbst
eine geeignete Vorstellung von den Begriffen zu entwickeln.
Sexuelle Gewalt ist für mich jede Handlung, die einen sexuellen Charakter hat und nicht der
Entwicklungsstufe eines Kindes entspricht. Da das Kind nicht in der Lage ist, wissentlich einer
sexuellen Handlung zuzustimmen, ist sexuelle Gewalt zusätzlich jegliches Ausnutzen eines Autori-
täts- und Machtverhältnisses, das darauf abzielt, das Kind zu sexuellem Körperkontakt zu zwingen,
oder es in Situationen bringt, die einen sexuellen Charakter haben (Zeigen von pornographischen
Material, Exhibitionismus etc.). Dabei spielt nicht der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer
eine Rolle, sondern es geht allgemein um die sexuelle Ausnutzung des Machtgefälles, egal ob das
Kind vermeintlich der Handlung zustimmt und auch wenn keine psychologischen, kognitiven und
emotionale Folgen daraus resultieren.
11
Deegener, Günther: Kindesmissbrauch: Erkennen ­ helfen ­ vorbeugen. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1998. S. 21
12
Siehe Fußnote 8

8
2.2
Arten sexueller Gewalt
Nachdem die Definitionsproblematik von sexueller Gewalt näher thematisiert wurde, soll nun
versucht werden, die Thematik noch spezifischer zu erfassen.
Bisher wurde immer von sexueller Gewalt mit und ohne Körperkontakt gesprochen. Nun soll
geklärt werden, was konkret damit gemeint wird.
1.
Sexuelle Gewalt mit Körperkontakt
Damit sind alle sexuellen Handlungen gemeint, bei denen es zu einem körperlichen Kontakt zwi-
schen den Täter/innen und dem Opfer kommt. Die Penetration, der orale und anale Geschlechts-
verkehr sowie Berührungen der Genitalien zählen dazu. Bei sexueller Gewalt mit Körperkontakt
müssen jedoch nicht immer die Täter/innen einen körperlichen Kontakt zu dem Kind aufbauen.
Er/Sie kann das Kind auch zu sexuellen Kontakten mit anderen Personen, ebenso zu der Unzucht
mit Tieren zwingen.
13
2.
Sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt
Hier werden alle Handlungen eingeschlossen, bei denen es zu keinem direktem körperlichen Kon-
takt zwischen Täter/innen und Opfer kommt. Dazu gehören das Zeigen von pornographischem
Material, Exhibitionismus sowie das Zuschauen bei sexuellen Handlungen.
14
Insgesamt kann jede Art sexueller Gewalt für das Kind traumatisch sein und zu emotionalen,
kognitiven und psychischen Folgen führen.
13
Elliot, Michele (1995): Frauen als Täterinnen sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen
14
Siehe Fußnote 10

9
3.
Problematiken im Umgang mit sexueller Gewalt in der Kinder- und
Jugendhilfe
Die Kinder- und Jugendhilfe hat seit Oktober 2005 einen Kinderschutzauftrag zu erfüllen, der
gesetzlich im §8 des KJHG fixiert wurde. In diesem Gesetz wird der Doppelcharakter der Kinder-
und Jugendhilfe verdeutlicht. Denn einerseits hat sie die Aufgabe, Hilfen anzubieten und anderer-
seits muss der Schutz des Kindeswohls gewährleistet werden. Im Folgenden wird der §8 des KJHG
kritisch dargestellt, um sowohl die Möglichkeiten, als auch die Problematiken, die sich für die
Kinder- und Jugendhilfe ergeben, näher zu erläutern.
Ein gesetzlicher Auftrag wirkt sich immer auf die Handlungen der Professionellen in den Institu-
tionen aus, die versuchen, diesem Schutzauftrag nachzukommen. Aufgrund dessen folgt nach der
kritischen Betrachtung des §8 des KJHG eine Darstellung der Problematiken der Professionellen im
Umgang mit sexueller Gewalt, auf der Basis dieses Schutzauftrages.
3.1
Möglichkeiten und Grenzen §8 des KJHG
Das Jugendamt hat laut dem §8 des KJHG einen Schutzauftrag zu erfüllen, sobald Ansatzpunkte
darauf hinweisen, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegen könnte. Die Einschätzung des
Gefährdungsrisikos für das Kind / den Jugendlichen muss gemeinsam mit mehreren Fachkräften
erfolgen. Des Weiteren sollte das Kind / der Jugendliche und die Erziehungsberechtigten in den Pro-
zess der Festlegung des Gefährdungsrisikos mit einbezogen werden, soweit die Möglichkeit besteht.
Darüber hinaus können Hilfen vom Jugendamt gewährt werden, wenn es diese für angemessen hält.
Sollte das Jugendamt der Ansicht sein, dass das Familiengericht hinzugezogen werden sollte, so
setzt sich das Jugendamt umgehend mit dem Gericht in Verbindung, auch wenn die Erziehungs-
berechtigten nicht an der Festlegung des Gefährdungsrisikos mitwirken können. Liegt eine akute
Kindeswohlgefährdung vor, hat das Jugendamt das Recht, das Kind / den Jugendlichen in Obhut zu
nehmen, um so das Kindeswohl sichern zu können.
Sollten, um das Kindeswohl zu sichern, andere Institutionen hinzugezogen werden, kann das
Jugendamt mit diesen nur in Kontakt treten, wenn die Erziehungsberechtigten dazu die Erlaubnis
erteilen.
Liegt eine akute Gefährdung des Kindeswohls vor, hat das Jugendamt auch hier das Recht, mit den
zuständigen Institutionen ohne die Erlaubnis der Erziehungsberechtigten in Kontakt zu treten.
Ebenso wie das Jugendamt haben die Fachkräfte der Träger und sozialen Dienste die Aufgabe,
Anzeichen von Kindeswohlgefährdung zu erkennen und das Gefährdungsrisiko des Kindes,
zusammen mit mehreren Fachkräften, einzuschätzen. Des Weiteren sollten die Erziehungs-

10
berechtigten sowie das Kind in den Prozess der Gefährdungseinschätzung involviert werden. Bei
einer Kindeswohlgefährdung müssen die Träger und die sozialen Dienste umgehend das Jugendamt
informieren, um Hilfen oder gar die Inobhutnahme des Kindes / des Jugendlichen abzusprechen.
15
Dieser Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung eröffnet der Kinder- und Jugendhilfe eine große
Chance für den Kinderschutz. Einerseits könnte durch die gesetzliche Fixierung des Schutzauftrages
die Sensibilität für Kindeswohlgefährdungen in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
optimiert werden, sodass sich vermuten lässt, dass mehr Kindern geholfen werden kann.
Andererseits sind durch den gesetzlichen Auftrag alle Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen
verpflichtet, diesem Schutzauftrag nachzukommen, sodass angenommen werden kann, dass die
Qualifikationen der Fachkräfte in Form von Supervision und Fortbildungen bezüglich des
Kinderschutzes ansteigen werden und so zum einen eine Sensibilität der Fachkräfte geschaffen wird,
zum anderen spezifische Leistungen zur Sicherung des Kindeswohls angeboten werden und die
Qualität der Leistungen sich aufgrund der Qualifikation der Fachkräfte verbessern könnten. Durch
die Sensibilität, könnten sich die Hilfsangebote in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
erweitern, sodass sich der Zugang zu Hilfen verbessert. Hinzu kommt, dass der Schutzauftrag, die
enge Zusammenarbeit mit der Familie und dem Kind fördert.
16
Der Kinderschutzauftrag ist, wie eben dargestellt, einerseits eine Chance der Kinder- und
Jugendhilfe Einrichtungen, andererseits sind die Anforderungen an die Einrichtungen und an die
Mitarbeiter gestiegen. Bei der Umsetzung des Gesetzes gibt es in der Praxis einige Probleme,
sodass aus den Chancen gleichzeitig auch Problematiken entstehen können.
Eine Chance ist die Förderung der Sensibilität. Denn Sensibilität wird nicht durch eine gesetzliche
Fixierung geschaffen, sondern kann durch Fortbildungen und Supervisionen gewährleistet werden.
Informationen über die Thematik Kindeswohlgefährdung und Kindesschutz sind zwar hilfreich,
doch solange nicht Maßnahmen zum konkreten Umgang besprochen werden, kann eine qualitative
Hilfe nur schwer erreicht werden. Der §8 des KJHG fordert, dass das Jugendamt, bei sogenannten
Anzeichen aktiv werden muss, um das Wohl des Kindes zu sichern. Doch um welche Anzeichen
handelt es sich genau? Ab wann kann aus einem Verdacht ein Tatbestand werden? Genau diese
Fragen müssen die Einrichtungen individuell beantworten sowie Lösungsstrategien entwickeln, um
einen standardisierten Umgang bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, der für alle
beteiligten Fachkräfte gilt, festlegen zu können.
15
Achtes Buch Sozialgesetzbuch ­ Kinder- und Jugendhilfegesetz: §8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung.
http://dejure.org/gesetze/SGB_VIII/8a.html Stand: 23.07.2012 um 15:30 Uhr.
16
Kinderschutz ­ Zentrum Berlin , Kohaupt Georg: ,,Expertise zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung aus Sicht
eines Mitarbeiters der Kinderschutz- Zentren. Münster, Institut für soziale Arbeit e.V. 2006

11
Des Weiteren verdeutlicht dieser Gesetzestext auch das Spannungsverhältnis zwischen Familie und
Jugendamt. Welche Anzeichen deuten konkret darauf hin, dass das Jugendamt das Recht hat, auch
ohne die Erziehungsberechtigten, Hilfen oder gar Inobhutnahme zu veranlassen. Die enge
Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten wird gefragt. Doch was genau kann eine Fachkraft
tun, wenn z. B. sexuelle Gewalt innerhalb der Familie vorliegt?
Da der Familie eine fundamentale Aufgabe per Gesetz zugesprochen wird und weil man das
Spannungsverhältnis zwischen Jugendamt und Familie zu umgehen versucht, kommt es häufig dazu,
dass sich die Hilfen der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen darauf konzentrieren, die Funktio-
nalität der Familie wieder herzustellen, um dadurch das Kindeswohl sichern zu können. Doch
gerade bei sexueller Gewalt in der Familie wird das Kindeswohl nicht gesichert und die sexuellen
Gewalterfahrungen des Kindes verlängern sich.
17
Daraus resultieren die Fragen: ,,Wann genau sollten die Erziehungsberechtigten in den Prozess der
Festlegung des Gefährdungsrisikos mit einbezogen werden und wann nicht? Wann ist die
Einbeziehung der Erziehungsberechtigten hinderlich, um das Kindeswohl zu sichern?"
Außerdem könnte sich durch die gesetzliche Fixierung die Chance ergeben, dass sich der Zugang zu
Hilfen verbessert und ein spezifischeres Hilfsangebot für die Kinder und ihre Erziehungs-
berechtigten entwickelt wird. Der Kinderschutzauftrag wurde im Oktober 2005 gesetzlich festgelegt.
Seitdem sind 7 Jahre vergangen und noch immer gibt es keine ausreichend spezifischen
Hilfsangebote für die männlichen und sehr jungen Opfer sexueller Gewalt. Auch haben zahlreiche
sozialen Dienste zwar die Thematik sexuelle Gewalt in ihrem Leistungsangebot mit aufgenommen,
doch dabei beschränken sich viele Beratungsangebote auf allgemeine Informationen und das
Beratungsgespräch mündet in der Weitervermittlung zu problemzentrierten Einrichtungen.
18
Insgesamt kann man feststellen, dass durch die gesetzliche Fixierung des Kinderschutzauftrages
sich für die Kinder- und Jugendhilfe zahlreiche Chancen ergeben können, aber gleichzeitig auch
Problematiken bei der konkreten Umsetzung dieses Gesetzes in die Praxis erkennbar sind. Daraus
resultiert, dass ein Gesetz allein nicht ausreichend ist, um die Sensibilität, die Qualität und das
Angebot der Leistungen bezüglich des Kinderschutzes zu erhöhen, sondern, dass sich jede
Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe individuell mit dem Gesetzesauftrag auseinandersetzen
muss, um allgemein gültige Standards festlegen zu können, sodass jeder Mitarbeiter über konkrete
Handlungskonzepte bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung verfügt.
17
Weber, Monika; Rohleder, Christiane (1995): Sexueller Missbrauch Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt.
Münster. Votum Verlag S. 44 ­ 45.
18
Weber, Monika; Rohleder, Christiane (1995): Sexueller Missbrauch Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt.
Münster. Votum Verlag, S.55.

12
3.2
Problematiken der Fachkräfte im Umgang mit sexueller Gewalt
Die Umsetzung des Gesetzesauftrages erfolgt durch die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe-
einrichtungen. Sie haben somit die Verantwortung und gleichzeitig auch den Handlungsdruck, die
gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen sowie das Kindeswohl zu sichern.
Die Sicherung des Kindeswohls ist eine Herausforderung an die Fachkräfte der Kinder- und
Jugendhilfeeinrichtungen. Im Folgenden werden die Problematiken der Fachkräfte im Umgang mit
sexueller Gewalt näher in den Fokus gestellt, um sowohl die Grenzen, als auch die Möglichkeiten
bezüglich der Kindeswohlsicherung verdeutlichen zu können.
1.
Unkenntnis über die Dynamik und die Folgen sexueller Gewalt
Trotz zahlreicher Fortbildungen und Supervisionen in der Kinder- und Jugendhilfe zu der Thematik
sexueller Gewalt, können in der Praxis große Unsicherheit und Unwissenheit bezüglich der
Dynamik und den Folgen sexueller Gewalt festgestellt werden. Besonders auffällig ist dabei, dass
die Verhaltensauffälligkeiten der potentiellen Opfer, wie z. B. sexualisiertes Verhalten, zwar als
auffällig wahrgenommen werden, aber nur selten von den Fachkräften mit möglichen sexuellen
Gewalterfahrungen in Verbindung gebracht werden. Dass die Ursachen für bestimmte Verhaltens-
auffälligkeiten, die auf sexuelle Gewalterfahrungen hindeuten, so häufig außer Acht gelassen
werden, zeigt, dass viele Fachkräfte aufgrund mangelnder Berücksichtigung der Thematik innerhalb
der Ausbildung und Weiterbildungsmaßnahmen die Hilfebedürftigkeit betroffener Mädchen und
Jungen häufig nicht wahrnehmen. Ebenfalls lässt sich Unwissenheit bezüglich der geschlechts-
spezifischen Verarbeitungsstrategien und Wahrnehmungsmuster erkennen.
Mädchen mit sexuellen Gewalterfahrungen zeigen meist autoaggressive Tendenzen, erleiden häufiger
psychosomatische Krankheiten und verhalten sich eher zurückhaltend, sodass sie schnell als Opfer
sexueller Gewalt übersehen werden können, weil die Verhaltensauffälligkeiten schwer festzustellen
sind. Die Jungen verhalten sich meist aggressiv und Verhaltensauffälligkeiten werden aufgrund von
delinquenten Verhalten zwar wahrgenommen, doch wegen der geschlechtsspezifischen Wahrnehmung
von Jungen meist nicht mit sexuellen Gewalterfahrungen in Verbindung gebracht.
19
,,Das gesellschaftliche Bild von Männlichkeit, das sich durch Stärke, Unabhängigkeit und Macht
auszeichnet, verhindert jedoch, dass Jungen auch als Opfer, die nicht Gewalt ausüben, sondern
Gewalt erleiden, in den Blick kommen."
20
19
Weber, Monika; Rohleder, Christiane (1995): Sexueller Missbrauch Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt.
Münster. Votum Verlag, S. 40
20
Weber, Monika; Rohleder, Christiane (1995): Sexueller Missbrauch Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt.
Münster. Votum Verlag, S. 40

13
Sexuelle Gewalt wurde und wird häufig nicht wahrgenommen, aufgrund des vorherrschenden Ver-
ständnisses von Gewalt. Fachkräfte assoziieren Gewalt, hauptsächlich mit sichtbarer körperlicher
Misshandlung. Bei sexueller Gewalt allerdings, lassen sich meist keine physischen Verletzungen
feststellen, sodass die Glaubhaftigkeit der Opfer in Frage gestellt werden kann.
21
Insgesamt zeigt sich, dass der Aufklärungsbedarf bezüglich der Dynamiken und Folgen sexueller
Gewalt wichtig ist, damit die Opfer nicht länger übersehen werden, sondern ihnen Hilfen angeboten
werden können, um den Gesetzesauftrag zu erfüllen und damit das Kindeswohl zu sichern. Mehr
Aufklärung könnte somit die Fallzahlen der Opfer sexueller Gewalt reduzieren und gleichzeitig ein
bedarfsgerechtes Hilfsangebot für die Opfer entwickeln. Eventuell werden durch die Aufklärung
auch mehr Opfer motiviert, Hilfen in Anspruch zu nehmen und über ihre Gewalterfahrungen zu
sprechen, sodass sich die Dunkelfeldzahlen verringern könnten.
2.
Subjektive Wahrnehmung der Fachkräfte
Obwohl jede pädagogische Fachkraft versucht, einen Fall objektiv zu beurteilen, spielen im
Arbeitsalltag auch immer subjektive Wahrnehmungsmuster eine bedeutende Rolle. Damit sind
gesellschaftliche Annahmen und Mythen gemeint, die die meisten Menschen für allgemeingültig
halten und nicht hinterfragen, weil diese Annahmen internalisiert wurden.
Gerade bei der Arbeit mit Jungen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, könnten diese
subjektiven Wahrnehmungsmuster hinderlich sein, um einerseits den Jungen als Opfer sexueller
Gewalt wahrnehmen zu können und andererseits, um ihm spezifische Hilfen zukommen zu lassen.
Vor allem im Bereich der männlichen Sexualität sind die Mythen weit verbreitet, sodass die
Fachkräfte einen Fall eventuell eher subjektiv, als objektiv beurteilen.
Jos van den Broek stellt die zentralen Mythen bezüglich der männlichen Sexualität vor und ver-
deutlicht, dass diese gesellschaftlichen Annahmen bei der Aufdeckung sexueller Gewalt an Jungen
hinderlich sind.
1.
Männer haben immer und überall Lust und Geschlechtsverkehr endet immer mit dem
Samenerguss.
2.
Eine Erektion zu haben, bedeutet Lust zu empfinden
3.
Männer ergreifen in der Liebe immer die Initiative und übernehmen die Führung.
22
21
Weber, Monika; Rohleder, Christiane (1995): Sexueller Missbrauch Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt.
Münster. Votum Verlag, S. 41
22
Jos van den Broek ( 1996): Verschwiegene Not: Sexueller Missbrauch an Jungen. Kreuz-Verlag. 3. Auflage S. 15.

14
Aus diesem Bild der Männlichkeit ergibt sich, dass man sich bei einem Jungen oder einem Mann
nicht vorstellen kann, dass er sexuelle Kontakte nicht auf freiwilliger Basis eingegangen ist. Daraus
wiederum resultiert, dass ein Junge oder ein Mann nicht als Opfer wahrgenommen werden kann,
denn dieses würde dem Bild von Männlichkeit widersprechen. Es zeigt sich, dass die traditionellen
Rollenvorstellungen häufig noch die Wahrnehmungsmuster der Menschen und Fachkräfte
bestimmen und somit eine objektive Fallwahrnehmung häufig nicht möglich ist.
23
Eine weitere gesellschaftliche Annahme, aufgrund der traditionellen Rollenmuster, ist, dass Frauen
Kinder generell keine sexuelle Gewalt erleiden lassen. Frauen lieben Kinder, sind fürsorglich,
warmherzig und immer liebevoll zu Kindern. Das auch Frauen Kindern Gewalt antun können, wird
häufig nicht geglaubt.
24
Insgesamt wird deutlich, dass sich die Fachkräfte häufig von traditionellen Rollenmustern und
subjektiven, gesellschaftlich allgemeingültigen Mythen leiten lassen, die die Arbeit mit Opfern
sexueller Gewalt und auch die Aufdeckung der Gewalt behindern könnte. Das bedeutet, dass nicht
nur eine Aufklärung über die Dynamiken und Folgen sexueller Gewalt erfolgen muss, sondern dass
man damit beginnen könnte, die eigenen Annahmen und Wahrnehmungsmuster zu reflektieren, um
eine objektivere und professionelle Arbeit gewährleisten zu können.
3.
Vernetzungsproblematik
Wenn sich ein Opfer mit sexuellen Gewalterfahrungen dazu entscheidet, Hilfen in Anspruch zu nehmen,
ist es nicht selten, dass die Betroffenen von Institution zu Institution weitergereicht werden. Das liegt
einerseits daran, dass viele Dienste der Kinder- und Jugendhilfe, zwar in ihrer Leistungsbeschreibung
angeben, dass sie Hilfen für Opfer mit sexuellen Gewalterfahrungen anbieten, allerdings meist nur über
allgemeines Informationsmaterial verfügen sowie die Betroffenen häufig an andere Institutionen
weiterleiten. ,,Aber auch bei der gemeinsamen Arbeit an einem Fall, ist zu beobachten, daß Institutionen
gerade bei sexuellem Missbrauch häufig gegen- statt miteinander arbeiten. Abgrenzung, Selbst-
darstellung, Mißtrauen und mangelnde Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher
Berufsgruppen und Institutionen kennzeichnen häufig Vernetzungsbemühungen."
25
Aufgrund dieser
Problematik kann eine schnelle und effektive Hilfeleistung meistens nicht gewährleistet werden.
Das Ziel sollte sein, die Vernetzung zwischen den einzelnen Institutionen zu verbessern und die
Zuständigkeiten genau zu regeln, damit die Opfer so schnell wie möglich Hilfe in Anspruch nehmen
können.
23
Jos van den Broek ( 1996): Verschwiegene Not: Sexueller Missbrauch an Jungen. Kreuz-Verlag. 3. Auflage S.15. ff.
24
Enders, Ursula ( 2003): Zart war ich, bitter war´s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. Verlag Kiepenheuer &
Witsch, Köln . S 50
25
Weber, Monika; Rohleder, Christiane (1995): Sexueller Missbrauch Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt.
Münster. Votum Verlag, S. 57.

15
4.
Psychische Herausforderungen an die Fachkräfte im Umgang mit sexueller Gewalt
Bei der Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt stehen die Fachkräfte jedes Mal vor einer Heraus-
forderung, weil man bei dieser Thematik auch seine persönlichen Grenzen erreichen kann. Es ist
somit auch immer eine psychische Herausforderung, wenn die Opfer ihre Leidensgeschichte
kommunizieren und man als Fachkraft versuchen möchte, dem Opfer schnellstmöglich Hilfen zu
gewährleisten. Bei jeder Fachkraft wird bei der Thematik sexueller Gewalt das eigene Grundvertrauen
erschüttert. Es ist häufig unfassbar, dass ein Mensch einem Kind so etwas Furchtbares antun kann.
Eventuell werden durch die Erlebnisse der Opfer, eigene negative Kindheitserfahrungen wieder erlebt.
Bei der Arbeit mit den Opfern entstehen häufig auch Ängste. Die Angst davor, dass so etwas auch den
eigenen Kindern zustoßen kann, oder die Angst, dass man sich solche schrecklichen Erfahrungen
nicht länger anhören kann. Es zeigt sich, dass jeder einzelne Fall eine Herausforderung an die Psyche
jeder Fachkraft darstellt und es teilweise auch zu einer Überforderung kommen kann.
26
Bei einer Zusammenarbeit mit den Opfern sexueller Gewalt ist es immer wichtig, dass die Fachkraft
zwischen sich selbst und dem Opfer eine klare Grenze zieht. Eine Identifikation oder eine zu starke
Konzentration auf das Opfer kann dazu führen, dass man die Gefühle des Opfers so erlebt, als ob es
die eigenen wären. Unreflektierte Handlungen, Traumatisierung sowie die Einschränkung der
eigenen Handlungsspielräume sind die Folge. Nicht selten wird eine Zurückziehung der Aussage
auf Seiten des Opfers, als berufliches Versagen empfunden. Die eigene berufliche Kompetenz wird
in Frage gestellt und es kann schnell zu einer Überlastung kommen.
Damit alle Fachkräfte die psychischen Herausforderungen im Umgang mit sexueller Gewalt
bewältigen können, ist es elementar wichtig, über Gefühle, Ängste und Sorgen in Teamsitzungen,
Supervisionen oder offenen Gesprächsrunden zu sprechen. In keiner Kinder- und Jugendhilfe-
einrichtung darf das Gefühl entstehen, dass eine Fachkraft mit einem Fall alleine gelassen wird.
Jeder Mitarbeiter sollte jeder Zeit die Möglichkeit haben, über die Belastungen zu sprechen, oder
sagen zu können, dass man sich überfordert fühlt.
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Insgesamt zeigt sich, dass es in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen noch Bearbeitungsbedarf
bezüglich der Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt gibt. Mehr Aufklärung über die Dynamik und die
Folgen sexueller Gewalt, eine Reflexion der eigenen Wahrnehmungsmuster, kooperativere
Vernetzungsarbeit sowie gezielte psychologische Hilfen, wie z. B. Supervision und Teamsitzungen
für die Fachkräfte, könnten die Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt verbessern und die
Gewährleistung von effektiver und schnellerer Hilfe ermöglichen.
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Enders, Ursula ( 2003): Zart war ich, bitter war´s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. Verlag Kiepenheuer &
Witsch, Köln . S 181 ­ 191.
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Enders, Ursula ( 2003): Zart war ich, bitter war´s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. Verlag Kiepenheuer &
Witsch, Köln . S 181 ­ 191.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955495701
ISBN (Paperback)
9783955490706
Dateigröße
337 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
2
Schlagworte
sexueller Missbrauch sexualisierte Gewalt Vergewaltigung Missbrauch Kinder Kindesmissbrauch

Autor

Laura Pätzold, Jahrgang 1990, schloss das Studium der Soziologie und Erziehungswissenschaften an der Universität Osnabrück erfolgreich ab. Zurzeit erfolgt eine weitere berufliche Qualifikation durch den Masterstudiengang in Bildung und Soziale Arbeit an der Universität Siegen.
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Titel: Sexuelle Gewalt an Jungen: Strategien, Folgen und ein konzeptioneller Vorschlag für den Umgang mit sexueller Gewalt
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