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Lernlandkarten in der Grundschule: Schülerinnen und Schüler auf dem Weg selbstorganisierten Lernens begleiten

©2011 Examensarbeit 36 Seiten

Zusammenfassung

Lernlandkarten sind eine erst seit 2007 in der Fachliteratur diskutierte Methode zum selbstorganisierten Lernen. Für Schülerinnen und Schüler bieten Lernlandkarten die Möglichkeit, individuelle Lernsysteme zu entwickeln und zu verfolgen. Lehrerinnen und Lehrer fördern mit Hilfe von Lernlandkarten Individualität und Selbstverantwortung und schaffen somit ein transparentes Leitsystem zum individuellen Entwicklungsstand. Mit dieser Methode können Lehrerinnen und Lehrer den steigenden Ansprüchen im heterogenen Lernumfeld gerecht werden.
Dieses Buch beschreibt die Einführung von Lernlandkarten am Beispiel einer zweiten Grundschulklasse. Ausgehend von einer zusammenfassenden Darstellung der Literatur hinsichtlich Formen, Anwendung und Zielen von Lernlandkarten, fokussiert diese Studie die Förderung von Transparenz und Selbsteinschätzung als unabdingbare Bestandteile des selbstorganisierten Lernens. Nur wenn Schülerinnen und Schüler wissen, was und wozu sie es lernen und wie das Gelernte in den Gesamtrahmen eingeordnet werden kann, können sie nachhaltig und interessiert lernen. Erst die realistische Selbsteinschätzung befähigt Schülerinnen und Schüler, sich selbst anspruchsvolle und erreichbare Ziele zu setzen.
Empfehlenswert ist dieses Buch für jeden, der an neuen Methoden interessiert ist. Es erläutert eine erprobte Methode, Strukturen im offenen Unterricht anzubieten. Diese geben den Schülerinnen und Schülern auf dem Weg des selbstorganisierten Lernens Orientierung und ermöglichen es, individuelle Erfolge wahrzunehmen. Die Thematik ist für alle Jahrgangsstufen des Primarbereichs relevant und jahrgangsübergreifend einsetzbar.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.4 Ziele

Ziel der Lernlandkarte ist die Selbststeuerung der Lernprozesse durch eine schülerzentrierte Leistungseinschätzung (vgl. Wildt 2009a, S. 4). Dabei gilt als „wichtigste Grundregel: Lernlandkartenarbeit ist kein Selbstzweck. Lernlandkarten sind Selbststeuerungsinstrumente für individuelles und kooperative Lernen“ (Wildt 2009b, S. 30). Dementsprechend ist die Bewusstmachung der Lernfortschritte durch Lernlandkarten wesentlicher Bestandteil der Methode. Das beschriebene Ziel wird durch die Realisierung mehrerer Teilziele erreicht. Dazu zählen:

- Entscheidungshilfe: Durch die Visualisierung erkennen die Schülerinnen und Schüler ihre bisherigen Erfolge. Anhand der vorhandenen Kompetenzen können sie selbständig erkennen, wo noch Lücken sind, welche Themenbereiche bisher am geringsten mit Kompetenzen gefüllt sind oder welche folgenden Kompetenzen auf den bisherigen aufbauen. So setzen sich die Schülerinnen und Schüler neue Lernziele. Hierbei nehmen sie häufig eine Hierarchisierung vor. (vgl. Olling 2009, S. 9f)
- Lernprozesse abbilden: Schüler und Schülerinnen verdeutlichen ihre Lernprozesse anhand der Lernlandkarte. Erreichte Ziele sind sowohl für sie selbst als auch für andere klar zu sehen. Dies ist vor allem von Bedeutung, wenn die Selbsteinschätzung eines Schülers oder einer Schülerin nicht mit der des Lehrers beziehungsweise der Lehrerin übereinstimmt. (vgl. Olling 2009, S. 10)
- Diagnostisches Mittel: Lernlandkarten dienen als Gesprächsgrundlage zwischen Lehrerinnen und Lehrern und den Schülerinnen und Schülern. Die Selbstsicht der Schülerinnen und Schüler steht hierbei im Vordergrund. Sie stellen die Lerngegenstände vor, mit denen sie sich auseinander gesetzt haben. Aufbauend auf den Ergebnissen werden mögliche nächste Entwicklungsstufen – und nicht die Defizite – besprochen. So werden Angst- und Stresssituationen vermieden. Lehrerinnen und Lehrer können dabei die Lernprozesse analysieren sowie die Fortschritte und weiteren Ziele mit den vorherigen Beobachtungen verbinden. Durch Hervorheben veränderter Strukturen können weitere Kommunikationsanlässe geschaffen werden. (vgl. Olling 2009, S. 10)
- Stärkung der Persönlichkeit: Studien im Rahmen des „Lernlabors Lernlandkarten“ haben gezeigt, dass die Lernlandkarte Schülerinnen und Schülern ihren Wissenszuwachs bewusst macht und sich dieses stärkend auf die Persönlichkeit auswirkt. (vgl. Pake & Wildt 2009, S. 13)
- Selbstwahrnehmung fördern: Der Erfolg einer Lernlandkarte kann nur durch ehrliche Selbsteinschätzung gewährleistet werden. Lernlandkarten sind ein Ansatz, diese Fähigkeit zu trainieren. Der Austausch zwischen Schülerin und Schüler mit dem Lehrer oder der Lehrerin über die Selbst- und Fremdeinschätzung führt zu einem objektiveren Bild der individuellen Ergebnisse. (vgl. Scheib 2009, S. 16)

2.5 Einsatz in der Grundschule

Lernlandkarten können in der Schule grundsätzlich in allen Jahrgangsstufen eingesetzt werden. Für die Verwendung in der Grundschule ist die Berücksichtigung folgender Aspekte von Vorteil.

Um den Zweck der Orientierung zu verstehen, ist es bei der Einführung von Vorteil, wenn den Schülerinnen und Schülern bereits der Nutzen üblicher Landkarten bekannt ist. Da die Schülerinnen und Schüler in den ersten Schuljahren noch keinen Überblick über das Ziel- und Kompetenzspektrum haben, sollten die Inhalte in Form von Kompetenzsätzen oder Lernzielen vorgegeben werden und sich in kindgerechter Formulierung an den curricularen Einordnungen orientieren. Zusätzlich bedürfen die Schülerinnen und Schüler beim Lernen mit der Lernlandkarte individueller begleitender Unterstützung durch die Lehrerin oder den Lehrer, da sie sich im Lernentwicklungsprozess befinden und kaum über ein Repertoire an Methoden verfügen.[1] (vgl. Olling 2009, S. 8ff)

Ein Nachteil der Methode in der Grundschule ist der zeitliche Aufwand, eine Lernlandkarte zu gestalten und zu pflegen. Dazu zählt vor allem auch die aufwändige Betreuung in Form von individuellen Gesprächen. In der Studie „Schullabor Lernlandkarte“ ist zudem aufgefallen, dass leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler häufig überfordert mit der Item­auswahl und der Selbsteinschätzung sind. (vgl. Olling 2009, S. 8ff; Pake & Wildt 2009, S. 12ff)

3 Einsatz einer Lernlandkarte in der Grundschule Arsten

In diesem Abschnitt der Arbeit gehe ich auf die spezielle Umsetzung meiner Lernlandkarte in der Grundschule Arsten ein. Die Lernlandkarte wurde in einer zweiten Klasse eingeführt und bezieht sich auf das von mir unterrichtete Fach Mathematik. Bisher fand der Unterricht durch gleichschrittige Themenbehandlung statt, in der nur innerhalb der Aufgaben differenziert wurde. Mit der Einführung der Lernlandkarte und der Heranführung an selbstgesteuertes Lernen, erhoffte ich mir, den Unterricht weiter öffnen zu können und die Schülerinnen und Schüler auf den Weg des selbstorganisierten Lernens vorzubereiten.

3.1 Darstellungsform und Aufbau

Wie oben beschrieben ist eine Lernlandkarte idealerweise ein individuelles Instrument zur Selbststeuerung. Für die erstmalige Verwendung der Methode in der Grundschule „mag es sinnvoll sein, mit wenigen Items zu arbeiten und den Gestaltungsprozess der individuellen Landkarte stärker vorzustrukturieren“ (Josch-Pieper et al. o. J., S. 3). Zudem wird für die Grundschule eine kleinschrittige Einführung empfohlen: „Bei Bedarf können Schüler [und Schülerinnen] in ihrer Arbeit durch eine stärkere und kleinschrittige Anleitung, durch eine begrenzte Auswahl an Lernzielen, durch Entscheidungshilfen bei der Auswahl von Lernzielen und Lernmaterialien etc. individuell gefördert werden“ (Olling 2009, S. 11). Somit werden auch leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler an die Methode herangeführt, da „das komplexe Vorgehen vom Erfassen der Lernziele, über dessen Auswahl bis zur Auseinandersetzung mit dem Lernmaterial und die Reflexion eine große bzw. nicht zu bewältigende Herausforderung [ist]“ (Olling 2009, S. 11). Da meine zweite Klasse noch nicht an die offene Arbeitsform und das selbstorganisierte Lernen herangeführt worden ist, habe ich mich aufgrund der genannten Argumente entschieden, kleinschrittig zu beginnen. Die verwendete Lernlandkarte setzt an gewohnten Formen an und besteht aus einem von mir gestalteten Plakat für die ganze Klasse, einer individuellen Kompetenzsammlung für die Schülerinnen und Schüler (Schatzkiste) und einem die Steuerung des Lernprozesses unterstützenden Tagesplan.

Diese drei Teile sind in idealtypischen Lernlandkarten in einer Darstellungsform vereinigt. Durch die aufgebrochenen Strukturen erhoffte ich mir ein klares Verständnis der Schülerinnen und Schüler für die einzelnen Teile einer Lernlandkarte, so dass im weiteren Verlauf ihrer Schulzeit selbständig vielseitige Lernlandkarten gestaltet und genutzt werden können.

- Plakat: Die Lernlandkarte ist ein DIN-A1-Plakat. Sie stellt das „Mathemeer“ dar, in dem es neun verschiedene Inseln gibt. Acht dieser Inseln stellen die Themenbereiche dar, die in diesem Schuljahr unterrichtet werden, wie zum Beispiel die Einmaleins-Insel. Auf diesen Inseln sind beweglich untergliederte Themenabschnitte befestigt, beispielsweise „Blitzaufgaben“. Zusätzlich gibt es eine Schatzinsel. Durch das Mathemeer fährt ein Schiff mit dem „Mathepiraten“. Das Schiff kann an jeder Insel an einem durch einen roten Klettpunkt gekennzeichneten Hafen anlegen. Durch die Position des Schiffs können die Schülerinnen und Schüler mit einem Blick erkennen, an welchem Themenbereich gearbeitet wird und wie die im Unterricht bearbeiteten Aufgaben zuzuordnen sind. Der gerade bearbeitete Themenabschnitt, dargestellt in Form eines goldenen Zettels, wird auf das Schiff geladen. Somit wird für die Schülerinnen und Schüler auch bezüglich der Subthemen Transparenz geschaffen. Ist ein Themenabschnitt abschließend bearbeitet worden, bringt das Schiff den Zettel auf die Schatzinsel. Dort sammeln sich alle bisher bearbeiteten Themenabschnitte. Diese Sammlung soll motivierend wirken und verdeutlichen, was die Schülerinnen und Schüler schon geleistet haben. Dieser Blick zurück repräsentiert den Istzustand und ist somit neben dem Ausblick auf die kommenden Themen ein zentrales Element der Lernlandkarte (vgl. Gruben 2010, S. 15). Das Ziehen des Schiffs und das Auf- und Abladen der Zettel liegt in der Verantwortung der Schülerinnen und Schüler, als Lehrerin gebe ich nur Impulse.
- Tagesplan: Der Tagesplan wird täglich von mir an die Tafel geschrieben. Er beschreibt das Vorgehen während der Stunde in Form von Themen, Aufgaben und Ziel. Der Tagesplan wird zu Stundenbeginn vom Mathe­piraten vorgestellt. Zur Visualisierung hängt ein größeres Bild des Mathepiraten neben dem Tagesplan. Den Mathepiraten spreche ich mit hanseatischem Akzent und beziehe regelmäßig Schülerinnen und Schüler mit ein. So wird mit dem Tagesplan Stundentransparenz geschaffen hinsichtlich Inhalten, Aufgaben und Zielen. Inhalte und Aufgaben werden von den Schülerinnen und Schülern nach Erledigung abgehakt. Am Ende der Stunde setze ich zur Ergebniskontrolle häufig die Methode Daumenprobe[2] ein, mit der die Schülerinnen und Schüler zu ersten Selbsteinschätzungen aufgefordert werden. Das in der Daumenprobe abgefragte Ziel entspricht dem Wortlaut einer Kompetenzformulierung aus der Schatzkiste.
- Schatzkiste: Jeder Schüler und jede Schülerin hat eine eigene Schatzkiste gebastelt, in der die Kompetenzformulierungen gesammelt werden. Diese habe ich jeweils passend zum Thema in Form von „Ich-kann-Sätzen“ erstellt. Die Schülerinnen und Schüler schätzen ihre Leistungen anhand der Kompetenzformulierung ein. Dabei stehen drei Erreichungsgrade zur Auswahl. Diese werden durch Kästchen mit Smileys dargestellt und von den Schülerinnen und Schülern entsprechend ihrer Einschätzung farbig ausgemalt: „kann ich noch nicht so gut“ (blau L), „kann ich schon, muss ich aber noch ein bisschen weiter üben“ (gelb K) und „kann ich richtig gut“ (grün J). Somit informiert die Schatzkiste als Teil der Lernlandkarte über den Grad des Könnens (vgl. Josch-Pieper 2009, S. 22). Regelmäßig in der Freitagsstunde ist „Schatzkistenarbeit“, bei der die Schatzkiste und die Kompetenzbeurteilungen der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt stehen. Die Stunde ist als Freiarbeit angelegt; dies ist für die Schülerinnen und Schüler eine neue Arbeitsform gewesen. Passend zu jeder Kompetenzaussage stehen Materialien in Form von verschiedenen Arbeitsaufträgen zur Verfügung; diese werden im Klassenraum ausgelegt. Zu den Arbeitsblättern stehen Lösungen zur Selbstkontrolle in einem Ordner bereit.

3.2 Ziele

Meine Ziele, die ich durch die Einführung der Lernlandkarte erreichen möchte, sind Transparenz für die Schülerinnen und Schüler zu schaffen und die Selbsteinschätzung zu fördern.

3.2.1 Transparenz

Transparenz habe ich mir als eines der ersten Ziele ausgewählt, da ich sie als unabdingbar für erfolgreiches Lernen halte. Nur wenn Schülerinnen und Schüler wissen, was und wozu sie es lernen und wie das Gelernte in den Gesamtrahmen Mathematikunterricht eingeordnet werden kann, können sie nachhaltig und interessiert lernen.

Transparenz wird wie oben beschrieben durch die Lernlandkarte in unterschiedlicher Detaillierung geschaffen: mit der vollen Jahresthemenübersicht auf dem Plakat und den Stundeninhalten, -aufgaben und -zielen auf dem Tagesplan. Dieses Vorgehen folgt den Kriterien guten Unterrichts nach Hilbert Meyer (2010, S. 25f): Zielstruktur und inhaltliche Struktur sind Basiselemente des didaktischen Sechsecks, Klarheit ist Qualitätsmaßstab des Unterrichts. Durch die Transparenz im Großen und Kleinen führt ein roter Faden nicht nur durch die Stunde, sondern auch durch die Jahresplanung.

Nachhaltiges Wissen kann nur vermittelt werden, wenn es von den Lernenden als sinnvoll erlebt wird (vgl. Unruh & Petersen 2002, S. 9). „Deshalb brauchen wir eine Unterrrichts­kultur, in der es selbstverständlich ist, dass Lehrer [und Lehrerinnen] ihren Schülern [und Schülerinnen] in jeder Unterrichtsstunde sagen, was genau das Thema des Unterrichts ist, was sie in dieser Stunde lernen können und warum das für sie wichtig ist“ (Unruh & Petersen 2002, S. 9). In meinem Unterricht zeigt der Tagesplan den Ablauf, die Inhalte und das Stundenziel auf. Die persönliche Bedeutung wird darüber hinaus vor allem durch Handlungsorientierung und Alltagsbezug von Aufgaben hergestellt.

Die Bedeutung der Transparenz wird in der Literatur von weiteren Autoren wie Thomas Riecke-Baulecke unterstützt, der in seinem Konzept zur Effizienz von Lehrerarbeit und Schulqualität die Zielklarheit und Transparenz als wesentliche Bestandteile sieht. Motiviertes Lernen ist von diesen Faktoren abhängig; nur durch Klarheit können Schülerinnen und Schüler sich bewusst und zielgerichtet zu Anforderungen verhalten. Seine Hypothese unterstützt mich in meiner Entscheidung, Wert auf die Transparenz zu legen: „Je größer die Transparenz über Anforderungen der Schule, je klarer und expliziter die Begründungen für die schulischen Angebote und je höher die Beteiligungsdynamik der Schülerinnen und Schüler bei der Gestaltung von Unterricht und Schule sind, desto besser sind die Bedingungen für expansive Lernbegründungen und damit wirksame Lernprozesse“ (Riecke-Baulecke 2001, S. 65).

Auch im dritten Teil der Lernlandkarte, der Schatzkiste, spielt die Transparenz eine große Rolle. Durch die Kompetenzformulierungen werden in kindgerechter Sprache kleinschrittige, genau beschriebene Lernziele dargestellt. Somit hat jeder Schüler und jede Schülerin einen Einblick in die konkreten Anforderungen.

3.2.2 Selbsteinschätzung

Die Selbsteinschätzung sehe ich als einen der wichtigsten Bestandteile des selbstorganisierten Lernens, zu dem ich meine Schülerinnen und Schüler für ihren späteren Lernweg befähigen möchte. Aus diesem Grund ist auch die Selbsteinschätzung einer der ersten Schwerpunkte in der Einführung von Lernlandkarten in meiner zweiten Mathematikklasse.

Die Selbsteinschätzung ist bei meiner Lernlandkarte im Bereich der Schatzkistenarbeit integriert. Jeder Schüler und jede Schülerin ist gefordert, die eigene Leistung anhand der Kompetenzformulierungen selbst zu reflektieren und einzuschätzen. Für die Kontrolle, als Hilfe zur Einschätzung und auch zum Üben und Verbessern, stehen freitags in der Freiarbeitsstunde viele Materialien mit der Möglichkeit zur Selbstkontrolle zur Verfügung. Dieses Angebot soll die Schülerinnen und Schüler dazu anregen, sich selbständig anhand ihrer Einschätzungen Arbeit auszusuchen, so dass sie sich in die Welt des selbstverantwortlichen Lernens begeben und ein Gefühl von Eigenverantwortung für das Lernen bekommen.

Sigrid Franz hat sich in ihrem Buch „Unsere Schüler zur Selbsteinschätzung befähigen“ intensiv mit dem selbstreguliertem Lernen und der Selbsteinschätzung als Basis dazu beschäftigt. „Selbsterziehung beginnt mit einer realen Selbsteinschätzung und läßt sich auch nur unter ständiger realer Selbsteinschätzung zum Ziele führen“ (Franz 1987, S. 20). Deshalb ist mein Vorgehen, die Schülerinnen und Schüler mit der Tageszielkontrolle und wöchentlich durch die Schatzkistenarbeit Selbsteinschätzungen üben zu lassen, ein wichtiger Schritt, um die sie auf den Weg des selbstorganisierten Lernens zu bringen. Denn Selbsteinschätzungen müssen geübt werden – die Schülerinnen und Schüler müssen sich selbst kennen, um Selbsteinschätzungen realisieren zu können. Dazu sind ein regelmäßiges Vorgehen und eine intensive Auseinandersetzung wichtig, genauso aber auch eine Rückmeldung. (vgl. Franz 1987, S. 22, 67, 75; Brookhart 2010, S. 60f) Durch die freie Arbeit und die Selbstorganisation der Schülerinnen und Schüler ist es mir als Lehrerin in diesen Stunden besonders gut möglich, mich mit einzelnen Schülerinnen und Schülern intensiv zu beschäftigen. Für Selbsteinschätzungen müssen also Anlässe geschaffen werden, die so konkret formuliert sind, dass die Schülerinnen und Schüler genau wissen, was und mit welchem Maßstab es einzuschätzen ist. Durch diese konkreten Formulierungen ist ein adäquater Vergleich zur Fremdeinschätzung möglich. (vgl. Franz 1987, S. 23, 49f) Genau diese von Franz formulierten Anforderungen werden durch meine konkreten, kindgerechten Kompetenzformulierungen umgesetzt. Wie sich hier zeigt, ist die Transparenz Voraussetzung für die Selbsteinschätzung. Denn nur durch umfangreiche Transparenz wird den Schülerinnen und Schülern eine adäquate Selbsteinschätzung ermöglicht. Die Jahresplanung auf dem Plakat, der Tagesplan mit Inhalten und Zielen, sowie die Kompetenzformulierungen ergeben eine zusammengehörige Einheit. „Je differenzierter der Schüler [oder die Schülerin] die Anforderungen und Beurteilungskriterien kennt, desto besser kann er [oder sie] das Tätigkeitsergebnis analysieren und einschätzen. Diese Anforderungen und Kriterien werden vom Lehrer [oder der Lehrerin] […] bereits vor Beginn und auch während des Prozesses vermittelt oder bewußtgemacht, in dem ein Produkt entsteht“ (Franz 1987, S. 97). Neben meinem Ziel, dass sich die Schülerinnen und Schüler selbständig Ziele aus ihren Selbsteinschätzungen setzen und sich eigenständig aus einem Angebot von Materialien das Richtige dafür aussuchen, hat die Selbsteinschätzung einen weiteren Effekt: Kann ein Schüler beziehungsweise eine Schülerin durch Bemühungen eine schwierige Aufgabe bewältigen und dies in der Selbsteinschätzung ausdrücken, wirkt der Erfolg des selbstorganisierten Lernens motivierend auf die Arbeit und die nächste Selbsteinschätzung. (vgl. Franz 1987, S. 62) In meinem Lernlandkartenkonzept wird dieses für die Schülerinnen und Schüler durch die farbigen Markierungen realisiert: Erfolge werden für jeden Schüler und jede Schülerin sichtbar. Individuelle Erfolge auf verschiedenen Lernniveaus sind möglich.

Zusammenfassend sind für mich Transparenz und Selbsteinschätzung der erste Schritt, um im weiteren Verlauf mit den Lernlandkarten auf selbstorganisiertes Lernen zuzusteuern. Die Schülerinnen und Schüler werden durch diese angeleiteten und einführenden Teilziele an das Gesamtkonzept von Lernlandkarten herangeführt. Besondere Bedeutung hat die Arbeit mit der Schatzkiste; denn hier werden bereits erste selbstorganisierte Schritte erwartet. Analog zur Schatzkistenarbeit schreibt Eiko Jürgens in seiner Erläuterung zum selbstorganisierten Lernen: Dieses beruht „hauptsächlich auf der Fähigkeit, sich Ziele zu setzen, Strategien zur Aufgabenbewältigung planen und anwenden, seine Motivation durch Selbstwirksamkeitsüberzeugung aufrechterhalten und die Erarbeitungsprozesse fortlaufend selbst kontrollieren und reflektieren zu können.“ (Jürgens 2010, S. 62f)

[...]


[1] Diese theoretischen Aspekte für den Einsatz in der Grundschule spiegeln sich in einer Erprobung von Lernlandkarten an der Wartburg-Grundschule wider. Es hat sich gezeigt, dass durch Lernlandkarten die produktiven Lernprozesse in einer heterogenen Umgebung intensiver wahrgenommen und verstärkt werden können. Somit ermöglicht die Lernlandkarte auch in der Grundschule ein hohes Maß an selbstorganisiertem Lernen. In der Einführung wurde ein Bezug zu Straßenkarten im Urlaub hergestellt (Zweck der Orientierung). Aus Kompetenzvorgaben konnten sich die Schülerinnen und Schüler an der Wartburg-Grundschule Lernziele selbständig aussuchen (Kompetenzvorgabe). In einem Gespräch mit der Lehrperson wurde die Auswahl begründet. Im Anschluss an die Arbeitsphase gab es ein weiteres Gespräch, indem das Gelernte verbalisiert wurde. An diesem Beispiel wird die Bedeutung der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernendem in der Grundschule deutlich (unterstützte Selbstreflexion). (vgl. Olling 2009, S. 8ff)

[2] Hierbei werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, sich das Stundenziel noch einmal durchzulesen und zu überlegen, ob sie es heute erreicht haben. Dementsprechend zeigen sie ihre Einschätzung auf der kontinuierlichen Skala zwischen voll erreicht (Daumen oben) und nicht erreicht (Daumen unten).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955496029
ISBN (Paperback)
9783955491024
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Lernlandkarte Transparenz Selbsteinschätzung Selbstorganisiertes Lernen Offener Unterricht

Autor

Julia Wöhner ist Grundschullehrerin an einer privaten Schule für Erziehungshilfe in Baden-Württemberg. Zuvor unterrichtete sie im schwedischen Östersund und während ihres Referendariats an einer Bremer Grundschule. In dieser Zeit führte sie Lernlandkarten als Methode zur Zieltransparenz und Selbsteinschätzung ein. Ihre Schwerpunktfächer sind Mathematik und Sachunterricht mit dem Vertiefungsfach Physik.
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Titel: Lernlandkarten in der Grundschule: Schülerinnen und Schüler auf dem Weg selbstorganisierten Lernens begleiten
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