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Was geschieht beim Sterben? Betrachtung eines Tabuthemas unserer Gesellschaft

©2011 Bachelorarbeit 70 Seiten

Zusammenfassung

Obwohl die Phänomene Sterben und Tod in jeder Biographie vorkommen, bedeutet die Auseinandersetzung mit diesem Thema für viele Menschen eine besondere Überwindung. In unserem Kulturkreis scheint die Thematisierung des eigenen Todes oder des Todes von nahe stehenden Personen noch immer mit einem Tabu belegt zu sein. Allerdings können durch dieses Verhalten auch besondere Umstände für betroffene, sterbende Personen oder für deren Angehörige beziehungsweise für behandelndes oder pflegendes Personal entstehen.
Die Fragestellung in dieser Studie bezieht sich auf die Annahme, dass bei einer vermehrten und rechtzeitigen Aufklärungsarbeit zu diesem Thema, weniger Fehlentscheidungen von sterbenden und begleitenden Menschen getroffen werden. Zur Erklärung der Phänomenologie von Sterben und Tod wird interdisziplinär einschlägige Fachliteratur eingesetzt.
Die Untersuchung basiert auf Interviewergebnissen zweier Personen, die professionell im Bereich der Sterbebegleitung tätig sind und Fehlentscheidungen bei sterbenden und begleitenden Menschen hinsichtlich der Begegnung mit Sterben und Tod aufdecken.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Anschauung von Phänomenen
2.1. Totalität als einfließende Komponente
2.2. Verstehen von Vorgängen
2.3. Wie werden Leben und Tod erfahren?
2.4. Das Phänomen des Schlafes

3. Passen Sterben und Tod in die Moderne?

4. Lebensspanne
4.1. Zeitpunkt des Todes
4.2. Sterben zu müssen als Dilemma

5. Angstphänomene bei Sterben und Tod
5.1. Angst von der Geburt bis zum Tod
5.2. Erfahren der schlechten Nachricht
5.3. Unerwarteter Tod
5.4. Wer definiert den Tod?

6. Die „Neue Phänomenologie“ nach Hermann Schmitz als Mittel zur Verständigung

7. Der Begriff der Menschenwürde und der angemessene Umgang mit Toten
7.1. Die Position der Eliminierung
7.2. Tote und Selbstachtung
7.3. Menschliches Subjekt oder menschliches Objekt?
7.4. Organspende

8. Medizinische Interaktionen
8.1. Klinischer Alltag und klinische Ausbildung

9. Kommunikation über Sterben und Tod
9.1. Gemeinsame Sprache
9.2. Sterben und Tod im alltäglichen Bewusstsein

10. Personifizierung von Sterben und Tod

11. Gewaltsamer Tod und Krankheit als gegenwärtiges Kalkül im Mittelalter
11.1. Soziales Verhalten bei Epidemien
11.2. Vorbereitung auf den Tod in früheren Zeiten

12. Methodenteil
12.1. Techniken
12.1.1. Auswertung von gesammelten Daten
12.2. Wichtige Sätze in aufgezeichneten Gesprächen

13. Experteninterviews als angewandte Methode
13.1. Forschungsökonomische Aspekte
13.2. Wer kann als Experte angesehen werden?
13.3. Die Deutung des Expertenwissens
13.4. Was macht Expertenwissen außerdem relevant?

14. Auswertung der Experteninterviews

15. Diskussion
15.1. Entscheidung für eine Tätigkeit als Sterbebegleiter
15.2. Die späte Inanspruchnahme von Hilfsangeboten
15.3. Die Bedeutung der Fehlentscheidungen von Betroffenen und Begleitern innerhalb der letzten Lebensphase
15.4. Kulturelle Einflüsse

Fazit

Zusammenfassung

Obwohl die Phänomene Sterben und Tod in jeder Biographie vorkommen, bedeutet für viele Menschen die Auseinandersetzung mit dem Thema eine besondere Überwindung. In unserem Kulturkreis scheint die Thematisierung des eigenen Todes, oder des Todes von nahe stehenden Personen noch immer mit einem Tabu belegt zu sein.

Allerdings können durch dieses Verhalten auch besondere Umstände für betroffene, sterbende Personen oder für deren Angehörige beziehungsweise für behandelndes oder pflegendes Personal entstehen.

Die Fragestellung in dieser Arbeit bezieht sich auf die Annahme, dass bei einer vermehrten und rechtzeitigen Aufklärungsarbeit zu diesem Thema, innerhalb der Be­völkerung weniger Fehlentscheidungen von sterbenden und begleitenden Menschen getroffen werden. Einschlägige Fachliteratur ist interdisziplinär zur Erklärung der Phänomenologie von Sterben und Tod eingesetzt worden.

Mit Hilfe von Interviewergebnissen zweier Personen, die professionell im Bereich der Sterbebegleitung tätig sind, hat diese Arbeit häufige Fehlentscheidungen bei der Begegnung mit Sterben und Tod bei sterbenden und begleitenden Menschen aufdecken können.

Richtungweisend entstehende Präventivmaßnahmen könnten für viele Betroffene zukünftig von Nutzen sein.

Abstract

Although the phenomena of dying and death occur in every biography, dealing with it means an extraordinary effort for most people. In our cultural environment talking about the own or a close one's death still seems to be a taboo.

This behaviour can cause special circumstances for affected, dying or related persons as well as for nursing and caring staff.

The theme of this dissertation refers to the assumption that a better and early education about this topic will lead to fewer wrong decisions by dying and caring people within the population. To explain the phenomenology of dying and death relevant specialist literature has been used interdisciplinary

Aided by the results of interviews with tow experts in the field of palliative care this dissertation could reveal a lot of wrong decisions in the encounter with dying and death concerning dying and caring people.

Newly developed preventive methods could be helpful for many affected people in the future.

1. Einleitung

Die Thematik von Sterben und Tod stößt innerhalb unserer Gesellschaft vielfach auf Ablehnung (Keil, 2006; Kübler-Ross, 1986). Diese Tabuisierung kann im Sterbefalle eines Menschen zu mannigfachem Fehlverhalten und zu Fehlentscheidungen von sterbenden und begleitenden Personen führen Der Sterbevorgang ist ein Teil des Lebens, der alle Menschen betrifft. Dennoch wird eine Auseinandersetzung mit diesem Teil des Lebens häufig vermieden. Die Hauptfrage dieser Arbeit beschäftigt sich damit, ob eine umfassendere Aufklärung über die Phänomenologie von Sterben und Tod zu einem besser organisierten Umgang mit der letzten Lebensphase von Menschen führen könnte.

Die Kapitel 2. bis 11. sollen unter Verwendung von zahlreichen Literaturrecherchen eine umfassende Erklärung, auf interdisziplinärer Ebene aufzeigen. Die Ergebnisse dieses Arbeitsabschnittes konnten sich teilweise in den Interviews wieder finden, die mit Personen durchgeführt wurden, welche sowohl in der Sterbebegleitung selbst, sowie auch in der Ausbildung von Sterbebegleitern, Erfahrungen sammeln konnten.

Die systematische Literaturrecherche wurde durch eine elektronische Suche mit Hilfe von Datenbanken der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, sowie PSYNDEX durch­geführt. Als Suchbegriffe sind die Bereiche Sterben, Tod, Sterbebegleitung, Phänomenologie von Sterben und Tod, sowie Analyse von Interviews verwendet worden.

Ab dem Kapitel 12. wird der Methodenteil der Arbeit beschrieben.

Mit Hilfe von Auswertungsmethoden nach Birgit Volmerg (1988) werden die gewonnenen Daten auch „tiefenhermeneutisch“ (Volmerg, 1988) betrachtet.

Kapitel 13. erklärt den methodischen Anwendungsbereich der Interviewführung, welcher in Kapitel 14. seine praktische Umsetzung findet.

Der Autor hat hier zur Erfragung von häufig auftretenden Schwierigkeiten und Hinder­nissen bei der Konfrontation mit den Phänomenen von Sterben und Tod Expertinnen­interviews mit Menschen durchgeführt, die eine langjährige und praktische Erfahrung mit der Ausbildung von Begleitpersonen , sowie mit der Betreuung von sterbenden Menschen sammeln konnten. Im Sinne der Vergleichbarkeit dieser Interviews ist die Befragung der Experten mit Unterstützung einer Befragungsliste (Anhang A, Zeile 5-28) als Leitfaden (Bogner & Menz, 2009a) durchgeführt worden. Eine durchgängige und zentrierte Kommunikation sollte mit dieser Unterstützung als Sicherungskonstruktion wirksam sein (Bogner & Menz, 2009 b).

Tonaufnahmen der Interviews, mit Hilfe von Aufnahmegeräten, wurden von den befragten Personen in jedem Falle akzeptiert. So konnte sich der Autor während der Gespräche ganz auf die individuellen Situationen konzentrieren. Nonverbale Reaktionen der Befragten ließen sich auf diesem Wege gut beobachten. Die technisch präzisen und wortgetreuen Aufnahmen der Befragungen erlaubten eine vollständige Transkribierung der gewonnenen Daten (Volmerg, 1988; Bogner & Menz, 2009 b).

Die Erstellung der Arbeit ist mit Hilfe der „Richtlinien zur Manuskriptgestaltung“ (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2007), sowie dem Werk „Abschlussarbeiten und Dissertationen in der angewandten psychologischen Forschung“ (Sonnentag, 2006) unterstützt worden.

2. Anschauung von Phänomenen

Was ist unter dem Begriff des Phänomens zu verstehen? Umgangssprachlich ist eine Verwendung von vielerlei Komponenten möglich. Wie eine Erscheinung auf uns wirkt ist, wie sie uns begegnet. Folgt der Betrachter einem spontan aufgebauten Verständnis, so könnte der Eindruck entstehen, dass die bloße Überschreitung von subjektiven, oder oberflächlichen Wahrnehmungen zum Verständnis von Erscheinungen mancherlei Art führen könne. Die Phänomenologie wäre so lediglich eine Wissenschaft vom Scheinbaren, Subjektiven oder Oberflächlichem (Zahavi, 2007). Allerdings ist die Erscheinung des Todes in unserer Gesellschaft ein erregendes Ereignis, welches bei vielen Menschen Angst und Unbehagen auslöst (Kübler-Ross, 1986; Keil, 2004).

Jedoch soll vielmehr mit Hilfe der Phänomenologie eine philosophische Analyse der Erscheinungen ermöglicht werden, was folgerichtig zu den Möglichkeiten des Verstehens führen sollte, welche den Erscheinungen die Gelegenheit geben können, sich als das zu zeigen, was sie tatsächlich sind (Kauppert, 2008).

Eine Unterteilung in Kategorien von Phänomenen dürfte notwendig sein, zumal bedeutende Unterschiede zwischen physikalischen Erscheinungen, wie in etwa einem Gebrauchsgegenstand, einer Abbildung oder einem Musikwerk und Phänomenen, wie beispielsweise einer gelebten Situation, einer Zahl oder einem Sachverhalt liegen. Diese bedürfen wiederum ganz anderen Betrachtungsweisen als die anfangs genannten Beispiele. Organische Erscheinungen, im Sinne von lebenden Wesen, werden meistens als erforschbar beschrieben. Ob es der Wissenschaft jedoch tatsächlich jemals möglich sein wird eine Pflanze, eine Schnecke oder gar einen Menschen in der tatsächlichen Ausdehnung zu erfassen, kann nur spekulativ beantwortet werden. Wir können die jeweiligen Phänomene nur von ver­schiedenen Seiten mit mehr oder minder starker Aufklärung untersuchen. Der Unterschied zwischen Erscheinung und Wirklichkeit kann kaum gänzlich aufgehoben werden. Gewisse Formen von Erscheinungen sollen trotz aller Erkenntnisse täuschend und irreführend sein (Zahavi, 2007). Nicht umsonst reagieren sterbende Menschen und deren Begleiter oft genug unangepasst, wenn plötzliche Konfrontationen mit Sterben und Tod auftauchen. Eine Notwendigkeit der weiteren Aufklärung sollte von interdisziplinären Forschergemeinschaften nicht ungehört bleiben (Anhang B, Zeile 105-120 und C, Zeile 445-475).

2.1. Totalität als einfließende Komponente

Grundlegende Betrachtungsweisen geben den rationalen Menschen häufig auch ein rationales Bild von Totalität mit auf den Lebensweg. Die Suche nach dem erklärenden, zentrierten Gegenstand kann in ihrem Ursprung aus den realen, gesellschaftlichen Widersprüchen entstehen. Das in der menschlichen Vorstellungskraft vorherrschende Übergewicht der sichtbaren Materie, könnte das Leid im Sinne von Unabwendbarkeit eines negativen Schicksals, entsprechend des Verlierens innerhalb menschlicher Betrachtungs­weisen, ausmachen (Buhren, 2007;Keil, 2006). Der Verlust des Lebens beinhaltet unwieder­bringlich den Verfall der körperlichen Substanz. Situationen, in denen Menschen augen­scheinlich etwas verlieren, erscheinen bedrohlich und können zukunftsweisende Ängste hervorrufen (Tischler, 2004; Anhang B, Zeile 164-177 und C, Zeile 500-528).

2.2. Verstehen von Vorgängen

Für außen stehende Begleiter erscheint das Phänomen des Todes wie ein externer Ablauf. Wenn es gelänge den Ablauf solcher Geschehen in seinen einzelnen Bestandteilen zu betrachten, sowie deren Beziehungen untereinander zu durchschauen, könnte für ihn am Ende wieder ein zusammenhängendes Bild entstehen. So würde ein Vorgang wie das Sterben verständlich zu erklären sein. Menschen sollten sich mehr und mehr für Aufklärungsbereiche einsetzten, die ihnen zunächst in ihrer Erscheinung nicht angenehm sind (Srubar, 2008).

Augenscheinlich bestimmen manchmal tote und sterbende Menschen viele Vorgänge in unserem Empfinden. Sie sind unter Umständen in der Lage, den Lebenden problem­geladene Gefühle aufzuerlegen. Geht man von der natürlichen Evolution aus, so würde das Verständnis vieler Zeitgenossen ausreichen, um die Natur in ihrem Verlauf zu akzeptieren. Der Tod scheint seine Problematik auch auf lebende Menschen zu lenken (Fuchs-Heinriz & Comte, 1995; Anhang B, Zeile 200-240 und C, Zeile 445-470).

Da die endgültige Feststellung des Todes von Angehörigen sehr häufig stark bezweifelt werden soll, könnte eine weiterführende und detailgenaue Aufklärung aller Bevölkerungsgruppen von erheblichem Vorteil sein. Eine professionelle Prävention vor seelischen Traumata sowie Bewältigungsstrategien zur Aufarbeitung von Trauer und Schmerz könnten sehr zur Verbesserung der Lebensqualitäten von Sterbenden und Ihren Angehörigen beitragen (Bingmann, 2009; Anhang C, Zeile 478-483).

Das Anhaften an Grenzen und deren Überwindung, sind hier nicht als Gegensatz zu verstehen, zumal im Bereich des Sterbevorgangs und des Todes der betroffene Mensch innerhalb seiner selbst zu verbleiben scheint. Wahrscheinlich muss jedes Individuum seine Aufgabe ganz allein, sozusagen im Inneren bewältigen. Andererseits sprechen aber auch naturwissenschaftlich, fundamental ausgerichtete Menschen von einem Übergang im Falle des Sterbens (Tischler, 2004), sinngemäß eben von einer Transzendenz. Dem Betrachter könnte so nur seine eigene, lebensphilosophische Auslegung verbleiben.

Hierbei soll es sich nicht nur um Phänomene von speziellen Kulturformen handeln (Keil, 2006; Šuber, 2008).

2.3. Wie werden Leben und Tod erfahren?

Die Erschließung von Erfahrungsräumen kann empirisch auf qualitativer, wie auch auf quantitativer Ebene vielfach gelingen. Michael Kauppert beschreibt die Phänomenologie der Lebenswelt im engeren Sinne so, als dass das Leben, genau wie die Welt als solches, einem jeden Menschen irgendwie bekannt zu sein scheint, obwohl kaum ein Mensch näher beschreiben könnte, was das Leben denn letztendlich zum Leben macht. Auf der kritischen Ebene der Methodik soll es vor allem darum gehen, bereits bestehende Verfahren zur Erforschung konkreter Lebenswelten einzusetzen. Michael Kauppert (2008) erachtet hier, dass auf einen alternativen, methodischen Zugang zum Erfahrungsraum zumindest vorzu­bereiten wäre. Dieser sei innerhalb der menschlichen Erfahrung in sich selbst verankert. Der Erfahrungsraum kann deshalb sprichwörtlich als räumlich zu begreifen sein, weil sich die Erfahrungen zu einer Ganzheit bündelten, in der viele Schichtungen aus früheren Zeiten präsent sein können, ohne dabei über deren Vor- oder Nachher aufzuklären (Kauppert, 2008).

Im Vorher wird dem Sterbenden sowie dem Betrachter die physische Situation vor Augen geführt. Viele chronische und akute Erkrankungen machen durch augenscheinliche Symptome auf sich aufmerksam. Bisweilen hat ein chronisch erkrankter Mensch eine langjährige Leidenszeit mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen bewältigen müssen. Die umgebenden Angehörigen und Mitmenschen haben sich während eines längeren Verlaufes an das Leiden des Betroffenen gewöhnen können. In akuten Sterbefällen wirkt die Situation bisweilen stärker auf die Umgebung, da auch plötzliche Todesereignisse im hohen Lebensalter häufig als unerwartet wahrgenommen werden (Kruse, 1994).

2.4. Das Phänomen des Schlafes

Der Schlaf, so wie er gemeinhin verstanden wird, kann in heutiger Zeit mit Hilfe der Schlafpolygraphie in zahlreichen Laborexperimenten gut beobachtet und beschrieben werden. Wird der Schlaf aber auch in seinem Sein verstanden? Immer sind es ja andere Menschen, nicht der Betrachter, die während ihres Schlafes beobachtet werden. Immer ist es der Schlaf der Anderen, ebenso wie der Tod der Anderen, der gemessen und analytisch betrachtet wird. Interne Erlebnisse werden dem Schlafenden selbst kaum bekannt; von Erlebnissen der Träume einmal abgesehen. Wachheit und Aufmerksamkeit hingegen sind auch vom Wachenden selbst zu beschreiben, wobei Wachheit und Aufmerksamkeit nicht zwangsläufig gleichgesetzt werden müssen. Trotz großer Wachheit kann ein Mensch unaufmerksam und ignorant gegenüber äußeren Reizen sein. Schlaflosigkeit kann sich als quälende Wachheit definieren, wogegen bei extremer Müdigkeit doch um Aufmerksamkeit gerungen werden kann (Bruzina, 2008).

3. Passen Sterben und Tod in die Moderne?

In stillschweigender Erwartung scheint die moderne Gesellschaft auf eine professio­nelle Bewältigung von Sterbebegleitung zu hoffen. Als große Frage bleibt zumeist unaus­gesprochen im Raum stehen: Warum sich mit Begleitung beschäftigen (Anhang B, Zeile 79-106 und C, Zeile 362-387)? Das Problem der Endlichkeit betrifft schließlich zunächst einen Anderen (Kübler-Ross, 1986; Schöniger, 1991). Die anthropologische Grundlage der Notwendigkeit des Sterbens scheint zu selten bewusst zu sein. Wie aber stellt sich unsere Kultur der Frage von menschlicher Endlichkeit? Unsere Gesellschaft benötigt anscheinend entsprechende Eckpfeiler im Sinne einer grundsätzlichen Symbolik. Ansonsten stünde ihr kein gemeinsames Konzept der rationalen Auffassung zur Verfügung. Dieses könnte ein Kennzeichen des gegenwärtigen Zeitempfindens sein. Es mag offenbar eine Indifferenz für die Problematik der individuellen Endlichkeit bestehen. Im Besonderen auf diesen Punkt bezogen muss sich das Individuum in seiner Identität selbst einfinden, da gesellschaftliche Teilbereiche dieser Aufgabe in ihrer Formgebung eher nicht entsprechend vorbereitet sein dürften. Die Tabuisierung und Verdrängung der Sterblichkeit zieht zum anderen auch die Phänomene der Sprachlosigkeit, der Unsicherheit und der Gehemmtheit nach sich (Anhang B und C; Zeile 475-495). Kommunikation erscheint aber trotzdem möglich zu sein, da die soziale Verdrängung nicht gleichzeitig den Ausschluss des Todes aus der Moderne be­deutet. Vielmehr scheint eine neue Sensibilität für dieses Thema zu entstehen, was häufig die Verdrängung des Todes, aber nicht die des Sterbens zu beinhalten scheint. Allerdings beschreiben Nassehi & Pohlmann (1991) eine abnehmende Präsens von Sterben und Tod, was sich durch die häufigen Aufenthalte in Altenheimen und Krankenhäusern zurückführen ließe. Demnach sollen sich Sterbevorgänge immer seltener zuhause ereignen.

Ein Kontakt mit einem Sterbevorgang findet den Beschreibungen nach immer später innerhalb einer menschlichen Biografie statt. In früheren Zeiten hingegen gehörte das Sterben zum Alltagsgeschehen, bei dem auch Kinder nicht ferngehalten worden seien. Nassehi & Pohlmann (1991) bezeichnen das Sterben außerhalb der gewohnten Umgebung als ein Phänomen der Neuzeit, bei dem im modernen Sinne eine Dienstleistung in Anspruch genommen werden kann. Abgesehen von Ereignissen auf Kriegsschauplätzen oder durch Infektionskrankheiten entstandene Epidemien fand das Sterben in der Geschichte eher im Hause statt (Gordis, 2001). Eine größere Unsichtbarkeit der Sterbevorgänge scheint nicht nur in der allgemein höheren Lebenserwartung und veränderten Familienstrukturen zu resultieren (Nassehi & Pohlmann, 1991).

Wir sollten über die Begleitung von Sterbenden nachdenken, weil Sterben nicht mehr zu den selbstverständlichen Lebensvorgängen zu gehören scheint, denn eine Begleitung wird häufig stillschweigend von professionellen Krankenbetreuern erwartet. Sinn und Verstand des Sterbens wird dabei meist dem Betroffenen selbst überlassen, denn Mediziner verstehen ihre Aufgabe wohl eher im Intervenieren gegen den Tod, als in seiner Begleitung. Pflegendes Personal scheint einen entsprechenden Umgang häufig nicht gewohnt zu sein, und für Angehörige gibt es kaum rechtzeitige Hinweise zum Umgang mit schwierigen Situationen des Sterbens (Nassehi & Pohlmann,1991; Anhang B, Zeile 121-137 und C, Zeile 430-444).

Oft scheint Kritik gegen die soziale Praxis von Sterbebegleitung laut zu werden, da eine adäquate Qualität schwierig aufzufinden sei. Der Widerstand gegen ein solches Defizit soll eine wachsende Tendenz aufweisen (Nassehi & Pohlmann, 1991). Jedoch scheint sich das Bild der Sterbebegleitung zu verändern, denn Experten raten unbedingt zu einer rechtzeitigen Organisation von begleitenden Einrichtungen (Anhang C, Zeile 363-375).

4. Lebensspanne

Die Lebensspanne des Menschen scheint nach wie vor nicht genau bekannt zu sein.

In den meisten westlichen Ländern hat diese offensichtlich seit den 1970er Jahren zugenommen. Schätzungen belaufen sich auf 110 bis 120 Jahre. Wahrscheinlich ist die tatsächliche Lebenszeit nicht unerheblich auf genetische Faktoren zurückzuführen. In etwa 25 % der Varianz, so sollen Zwillingsstudien nach Passarge & Horsthemke (2009) ergeben haben, könnten auf genetische Unterschiede zurückzuführen sein. Angeblich können 22 Gene und Proteine unmittelbar auf die Lebensspanne des Menschen einwirken (Passarge & Horsthemke, 2009).

Bei anderen Lebewesen sollen Hunderte von Genen bekannt sein, bei denen eine Mutation in einem einzelnen Gen die Lebensspanne bei verschiedenen Lebewesen verlän­gern kann. Dieses Phänomen zeigt sich bei Tierstämmen von höchst unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Dieses kann sich bei den Nematoda (Fadenwürmer), mit über 20 000 bekannten Arten einem der artenreichsten Tierstämme der Erde, jedoch auch bis zu den Mammalia (Plazentatiere), wie beispielsweise der Hausmaus (Mus musculus), zeigen. Phänomene dieser Art lassen sich der Beschreibung nach aber auch bei Wesenheiten beobachten, welche offensichtlich dem Tierreich nicht verwand erscheinen (Passarge & Horsthemke, 2009). Die Fungi (Pilze) z.B. gehören ebenfalls zu den Eucaryonten , deren Zellen Mitochondrien und ein Zellskelett enthalten. Obwohl die Fungi neben den Pflanzen, Tieren und anderen ein eigenes Reich von Lebewesen bilden, finden sich bei Ihnen ähnliche Zelleigenschaften vor (Windley, 1995). Auch bei der uns geläufigen Bierhefe (Saccharo­myces cervevisiae) aus dem Reich der Fungi sollen genetisch bedingte Ergebnisse zur Verlängerung des Lebensverlaufs entdeckt worden sein (Passarge & Horsthemke, 2009).

4.1. Zeitpunkt des Todes

Bei einer totalen Ischämie (vollständige Unterbrechung der Durchblutung) entfallen die Sauerstoffversorgung, sowie die Ernährungs- und Reinigungsfunktionen in den Körpergeweben. Organfunktionen sollen schon nach einer Latenzzeit von einigen Minuten bei einer totalen Ischämie versagen. An die niedrige Überlebensspanne der Organe bei normaler Körpertemperatur, kann sich eine verlängerte Phase anschließen, in der die Gewebe durch Reanimation (Wiederdurchblutung) bisweilen wiederbelebt werden können. Nach einem irreversiblen Durchblutungsstopp zeigen Gewebe u.U. die von Henßge (2009) genannten „supravitalen Reaktionen“. Diese Phänomene werden innerhalb von Methoden zur Bestimmung von Todeszeitpunkten genutzt. Solche Methoden werden besonders nach offensichtlichen Tötungsdelikten bei den entsprechenden Recherchen eingesetzt. Bei diesen Reaktionen soll es sich um spezielle Restfunktionen von Geweben handeln, wobei der Individualtod zwar bereits eingetreten sein kann, jedoch der Beschreibung nach noch nicht alle Zellen abgestorben seien (Henßge, 2009). Einzelne Gewebsstrukturen können den Angaben zufolge längere Lebenszeiten aufweisen als ein Gesamtorganismus (Henßge, 2009).

Als entscheidendes Beweismittel hat die als zuverlässig geltende, häufig aber unpräzise pathologische Feststellung des Todeszeitpunktes nur selten eine Bedeutung. Allerdings soll diese einen großen Anteil bei der Aufklärung von Morden, besonders auf familiärer Ebene, haben. Wird z.B. ein Mensch tot in seiner Wohnung aufgefunden, dessen Todeszeitpunkt noch in der zeitlichen Nähe des häuslichen Aufenthaltes des Partners liegt, wird dieser möglicher Weise eines Verbrechens verdächtigt. Wird der Todeszeitpunkt hingegen in weiterer, zeitlicher Ferne ermittelt, so kann der Lebenspartner dadurch entlastet werden (Henßge, 2009).

Irreversible Schäden sollen im menschlichen Gehirn eintreten, wenn die Versorgung des Hirngewebes für acht bis zehn Minuten unterbrochen worden ist. Dieter Bingmann (2009) schreibt dem Gehirn innerhalb des Sterbeprozesses eine eigene Stellung zu. Die komplexe Arbeitsweise dieses Organs wirft demnach die Frage nach seinem Versorgungs­bedarf auf (Bingmann, 2009).

4.2. Sterben zu müssen als Dilemma

Kein anderes Gebiet der klinischen Medizin ist dem Sterben und dem Tode näher als die Pathologie. Sie ist angehalten durch Obduktionen die zum Tode führenden Kausalitäten im menschlichen Körper zu ergründen. Den Tod herbeiführende Krankheitsprozesse sollen durch möglichst viele Einzelfälle Aufklärung finden (Bleyl, 1997).

Den Angaben nach sollen aber gerade die Pathologen, trotz ihrer festen metho­dischen Arbeitsweise, durchaus auch Brücken in Richtung der Geisteswissenschaften geschlagen haben. Ihre besondere Nähe zum Tod könnte die Ursache für philosophische Gedanken innerhalb einer streng naturwissenschaftlich orientierten Disziplin ausmachen (Bleyl, 1997).

Bei allen modernen Datensammlungen und biologischen Erkenntnissen kommen trotzdem immer wieder Bestrebungen zutage, die mit den Naturwissenschaften zunächst wenig verwandt erscheinen. Auch Naturwissenschaftler beschäftigen sich nach Bleyl (1998) durchaus mit tragenden Gedankengütern, auch wenn dieses innerhalb ihrer regelmäßigen Erwerbsarbeit nicht unbedingt sichtbar wird (Bleyl, 1997).

Es mag das Dilemma unserer Fähigkeit des Denkens sein, welche uns die eigene Endlichkeit ins Bewusstsein ruft. Seit dem wir denkend in unser Leben getreten sind wird uns bewusst, dass wir auch sterben müssen. Da die mögliche Terminologie zu ungenau ist, können wir immer wieder nur aus der Seite des Lebens berichten. Unbestritten ist das Leben der Pflanzen, Tiere und anderen Lebensreichen auf unserem Planeten ein ungemein komplexes und hoch organisiertes Geschehen mit einer ebensolchen Ordnung. Biologisches Geschehen ist aber auch ein Fortgang in der Zeit. Ein Geschehen in der Zeit, bei dem es kein Danach ohne ein Vorher gibt (Chaline, 1987).

Wenn das Leben als ein hochkomplexer biologischer Prozess mit räumlichen und zeitlichen Dimensionen verstanden wird, bei welchem sich ein komplizierter Organismus als äußerst hoch differenzierte und geordnete Gestalt in einer noch komplexeren Umgebung agiert, so muss auch das Sterben dieses Lebewesens ein Prozess sein, der sich in räumlichen und zeitliche Dimensionen bewegt (Chaline, 1987).

Unser Sterben mag an unser Leben gebunden sein, also sollen wir es erleben. Eben das ist es aber, was bei vielen Menschen Angst hervorrufen kann. Wer Sterbende in irgendeiner Weise begleitet, kann oftmals erkennen, wie der Betroffene von Stunde zu Stunde verfällt. Sterben bekommt manchmal eine Gestalt in der Raum und Zeit erkennbar werden. Nach Schmitz (1995) „stirbt jeder seinen eigenen Tod“. Landläufig wird dabei entweder von einem so genannten schönen Tod gesprochen, wenn dieser ohne Schmerzen, langwieriges Leid und seelische Pein über einen Menschen kommt, oder wir schenken einem Zeitgenossen unser gesamtes Mitgefühl, falls das Gegenteil der Fall sein sollte. Was die Wissenschaft über unseren Tod zu sagen hat erscheint vielfach unbefriedigend. Wissenschaft avanciert zu einem Teilbereich des menschlichen Denkens und Seins, denn das Wo und Wann des Verlustes unserer physischen Koordination konnte uns noch kein Wissenschaftler erschöpfend erklären (Bleyl, 1987).

5. Angstphänomene bei Sterben und Tod

Bei vielen Patienten, die unheilbar erkrankt sind, breiten sich offenbar zukunfts­weisende Ängste aus. Dieses mag ebenso für deren Angehörige gelten. Betroffene können auch Ängste vor unangenehmen Symptomen, wie Atemnot, Schmerz oder Verwirrung entwickeln. Ebenso wird häufig ein Kontrollverlust über den Körper, mit einhergehender Beschneidung der eigenen Würde, in die Befürchtungen einbezogen (Anhang B, Zeile 139-177 und C, Zeile 445-470). Lugton (1995) beschreibt Patienten, welche nicht mehr einzu­schlafen wagten, nur aus Angst, vielleicht nicht mehr aufwachen zu können.

Auch scheinen Angst und depressive Verstimmungen eng miteinander verwoben zu sein, denn der Beschreibung nach sollen sich derartige Verstimmungen mit der Zunahme von körperlicher Hinfälligkeit entsprechend verschlimmern (Lugton, 1995). Mit dem Beginn der Depression jedoch, scheint das Leben schwächer zu werden. Wenn das Sein sich auf Gefahren reduziert, so verändert sich wohl auch die Sicht auf vermeintlich Ungefährliches, so auch auf naturgebundene Geschehen. Den Tod als natürliches Element anzunehmen wie die Geburt, kann vielen Menschen widersinnig erscheinen

(Keil, 2004; Anhang C, Zeile 377-392).

5.1. Angst von der Geburt bis zum Tod

Annelie Keil (2004) hat die Angst als „Partnerin des Lebens“ bezeichnet. Demnach begleitet sie uns von der Geburt bis zum Tod. Wenn wir den Sterbevorgang als einen Teil des Lebens bezeichnen, so wird auch dieser sicherlich dazu gehören. Selbst bei sehnlicher Erwartung des Todes könnte die Angst betroffene Menschen hier begleiten, denn das bevorstehende Geschehen ist den Lebenden nach wie vor unbekannt (Keil, 2004). Welchen Grad die Angst vor unserer Geburt einnehmen kann haben wir offensichtlich vergessen. Wie sich die bewältigte Angst nach vollendetem Sterbevorgang anfühlen mag wissen wir noch nicht. In beiden Fällen soll es sich um eine Form des Übergangs in eine andere Welt handeln (Tischler, 2009).

Auch mit der Geburt kommen wir in eine Welt, die uns in jeder Hinsicht unbekannt ist. Außerdem müssen wir eine sichere Umgebung unter Schmerzen verlassen, welche uns bislang alles Notwendige gegeben hat. Nicht selten bedroht eine Geburt das Leben von Mutter und Kind. Es gibt kaum einen einsehbaren Grund dafür, eine sichere Umwelt zu verlassen. Die Natur verlangt auch bei der Geburt von uns alle verfügbaren Ressourcen (Keil, 2004).

5.2. Erfahren der schlechten Nachricht

Häufig soll sich bei Patienten mit dem Erhalt einer unumkehrbaren Aussicht auf den kommenden Tod eine Art von Unzulänglichkeitsgefühl einstellen (Anhang B, Zeile 179-199 und C, Zeile 520-529). Das individuelle Wissen von Patienten über ihre jeweilige Erkrankung kann eine wesentlich Rolle bei der Bewältigung der Information spielen. Mancher Mensch möchte nicht viel über seine Erkrankung wissen, um etwaigen Ängsten ausweichen zu können, andere aber sind bemüht vieles herauszufinden, um auf Kommendes besser reagieren zu können. Allein die Bezeichnungen Krebs oder Tumor sind oft in der Lage Todesängste auszulösen, obwohl diese nicht zwangsläufig mit dem Tod verbunden sein müssen (Lugton, 2004). Es kann somit wichtiger erscheinen, dass die Einstellung des Betroffenen den Behandelnden und Pflegenden bekannt sein sollte (Anhang B, Zeile 114-133 und C, Zeile 406-419), als das Wissen über die entsprechende Erkrankung, die zum Tode des Patienten führen könnte. Die Feststellung, wann das Finalstadium eines Menschenlebens mit einem chronischen Befund erreicht ist, kann äußerst schwierig sein. Nach einem akuten Ereignis, wie z.B. einem Herzinfarkt oder einer Infektion, sollen Aussagen über einen Lebensendzeitpunkt bisweilen einfacher zu stellen sein (Lugton, 2004).

5.3. Unerwarteter Tod

Nach einem plötzlichen Ableben kann die schockierende Wirkung auf die Angehörigen besondern groß ausfallen. Manchmal werden die Auswirkungen eines solchen Ereignisses erst nach geraumer Zeit oder überhaupt nicht überwunden. Häufig sind auch Hilfestellungen in therapeutischer Form von Nöten, um den Hinterbliebenen eine Bewältigungsstrategie anbieten zu können. Auch Selbsthilfegruppen können in schweren Fällen einen sehr sinnvollen Beitrag zur Verarbeitung leisten. Hierbei sind besonders auch so unverhoffte Phänomene wie plötzlicher Kindstod oder Todesfälle durch Verkehrsunfälle zu bedenken (Lugton, 2004).

5.4. Wer definiert den Tod?

Wann ist ein Mensch wirklich tot? Bis vor gut 30 Jahren hatten fast ausschließlich Mediziner bestimmt, wann ein Mensch tot ist. Eine Kausalität hierfür könnte die Angst vor dem Scheintot gewesen sein, der über viele Jahrhunderte hinweg gefürchtet wurde. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Aufgabe zur Feststellung des Todes den Beschreibungen zufolge endgültig den Ärzten überlassen worden (Stoecker, 1997).

Über lange Zeit war der Tod eben ein so vertrauter und selbstverständlicher Teil des Lebens wie die Geburt. Bis in das 17. Jahrhundert hinein scheinen sich die Menschen kaum die Frage gestellt zu haben, wann ein Mensch tatsächlich tot war.

Die Kriterien zum Beweis des Todes sind bis in die zweite hälfte des 20. Jahrhunderts relativ gleich geblieben. Dieses beinhaltete im Wesentlichen, ob die Atmung und der Blutkreislauf des Betroffenen so lange unterbrochen waren, dass eine Reanimation aus­geschlossen war. Solche Diagnosen werden im Allgemeinen als Herztod beschrieben. Ein am Herztod gestorbener Mensch wird auch heute noch weitläufig als unstrittig tot an­gesehen; oder umgekehrt, dass er noch nicht tot sei, bevor nicht der Herztod eingetreten ist. Allerdings sollen die Mediziner in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch die unbedingte Koppelung von Herztod und Tod in Bedrängnis gekommen sein (Stoecker, 1997).

Die Entwicklung der Intensivmedizin ermöglichte es Körperfunktionen aufrecht zu halten (McCullagh,1993). So konnte eine zusätzliche Möglichkeit der Heilung hinzukommen. Für viele Intensivpatienten ist diese Errungenschaft bis heute ein Segen, allerdings gibt es auch Ergebnisse, deren Erfolg eher zweifelhaft ist. Es betrifft hier Menschen, die einen so genannten „dissoziierten Hirntod“ (Stoecker, 1997) erlitten haben. Dieses Phänomen soll erst durch die Intensivmedizin geschaffen worden sein. Beim dissoziierten Hirntod ist das Gehirn so weit abgestorben, dass es bereits alle seine Funktionen eingebüßt hat. Die Intensiv­behandlung sorgt unterdessen für Funktionen wie die Beatmung, die Ernährung und die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur. Der Untergang des Gehirns ist so zu sagen von dem des übrigen Körpers separiert worden. Ohne den Einsatz der Intensivmedizin würde die Atmung rasch unterbrochen werden und der Körper zum Absterben kommen. Es würde dann keine Menschen mit einem dissoziierten Hirntod geben. Dieser Umstand lässt viele Zeitgenossen zweifeln (Stoecker, 1997).

6. Die „Neue Phänomenologie“ nach Hermann Schmitz als Mittel zur Verständigung

Die so genannte „Neue Phänomenologie“ nach Hermann Schmitz (1995) könnte als Wegbereitung zum Verständnis für Sterben und Tod dienlich sein. Diese Disziplin soll den Angaben zufolge als pragmatisch angeordnete Philosophie entwickelt worden sein. In vielen Fällen konnte sie zur Ergründung von Naturwissenschaften beitragen. Insbesondere werden der Neuen Phänomenologie theoretische wie praktische Fortschritte in den Fächern Psychologie, Psychotherapie sowie in der Medizin zugeschrieben (Schmitz, 2003).

Hermann Schmitz hatte neben den Philosophen der Antike einen Weg gesucht, der deren Lehre, die das menschliche Denken von unwillkürlicher Lebenserfahrung relativ abgetrennt hatten, erneuern sollte. Die Kausalität hierfür sucht Hermann Schmitz in einem Erkenntnisparadigma, welches nach seiner Auffassung die heutigen Naturwissenschaftler übernommen hätten. Dieses Paradigma bezeichnet Schmitz (2003) als „fatale Prägung“, welche nach seiner Darstellung auf drei Punkten aufgebaut ist.

Als „Psychologismus“ bezeichnet Schmitz (2003) jenes Phänomen, das alle Erleb­nisse, die ein Mensch erworben hat, in eine in sich geschlossene Innenwelt verlegt sind, in der diese dann von einer zentralen Kraft verarbeitet werden. Dieses könnte bedeuten, dass negative Thematiken über Sterben und Tod im Geiste von der Vernunft beherrscht werden und nicht in genügender Weise weiter analysiert sein möchten.

Den „Reduktionismus“ hat Schmitz (2003) so bezeichnet, weil nach seiner Meinung die äußere, empirische Welt auf eine kleine Anzahl von Merkmalen reduziert werden könnten. Diese dienen vor allem in den experimentellen Methoden der Naturwissenschaften.

Mit der so genannten „Introjektion“ bezeichnet Hermann Schmitz (2009) das eigentlich Übriggebliebene, was in der Seelenwelt abgelagert wird. Da Gefühle schwierig zu messen sind, werden diese pragmatisch in die Subjektivität befördert. Demnach könnte uns die Forschung über Sterben und Tod aus rein naturwissenschaftlicher Sicht immer wieder an diesem Punkt stranden lassen (Schmitz, 2009).

Die Neue Phänomenologie beschäftigt sich mit den meist unbeachteten Vorkomm­nissen der Lebenswelt. So könnte auch das Sterben und der Tod hier einen Platz behaupten. Zwar bleiben diese Phänomene nicht unbeachtet, aber sie werden nicht gern beachtet, sondern vielfach verdrängt (Anhang B, Zeile 204-205 und C, Zeile 448-455). Die Neue Phänomenologie bietet qualitative Möglichkeiten von grundlegender Bedeutung, denn sie geht davon aus, dass es subjektive Fakten gebe, welche nur von einer einzigen Person wahr­genommen werden können. Objektive Fakten verblieben dagegen unwichtig (Schmitz, 1995).

7. Der Begriff der Menschenwürde und der angemessene Umgang mit Toten

Die Menschenwürde ist ein häufig genanntes Thema, welche in vielerlei Zusammen­hängen diskutiert wird. Die richtige Definition darüber was Menschenwürde vom Inhalt her bedeutet ist aber möglicherweise nicht bei allen Überlegungen präsent. Es gibt Argumente für die Menschenwürde, die sie als universell und auf alle Menschen gleichgerichtet beschreiben. Sie sei ungeachtet von ethnischen und religiösen Einstellungen in gleichem Maße gültig. Zum Anderen könne ein Mensch seine Würde nur absolut haben. Es gäbe kein Mehr oder Weniger, so dass auch keine Unterschiede in der Zuerkennung von Menschen­würde möglich sei (Glahn, 2010).

Darüber hinaus sei die Menschenwürde unveräußerlich und unverlierbar. Sie könne nicht freiwillig abgegeben oder einem Menschen gewaltsam genommen werden. Sie repräsentiere das unveräußerliche Minimum des moralischen Status eines jeden Menschen und sei von niemandem zu nehmen oder abzuerkennen (Glahn, 2010).

Bei dieser Feststellung müssten alle Menschen in besonderer Weise berücksichtigt werden. Demnach besäße der Homo sapiens einen höheren Status als alle anderen Lebe­wesen (Glahn, 2010). Allerdings wehren sich verschiedene Seiten offenbar immer häufiger gegen die Ansicht, dass dem Menschen allein die moralische Berücksichtigung von Ethik zusteht. Hier entstünde eine Teilung der Welt in zwei moralische Teilstrukturen. Der Mensch allein rücke sich somit in die Anspruchshaltung einer Würde. Nach Balzer (1999) hat Kant die Fähigkeit Vernunft ausüben zu können als entscheidendes Kriterium zur Erlangung einer Würde beschrieben. Diese ethische Zweiteilung der Welt würde allerdings von vielen Wissenschaftlern kritisiert und angezweifelt (Balzer, 1999).

Der Begriff der Menschenwürde in der Interaktion, kann erst dann eine entscheidende Rolle erlangen, wenn ein Mensch mit einem anderen in Interaktion tritt. Allerdings soll es fehlerhaft besetzt sein, wenn Würdebeschreibungen sich nur auf einen individuellen Menschen beziehen. Dabei wird leicht übersehen, dass ein Einzelner kaum allein existieren, agieren und reagieren könne (Anhang B, Zeile 130-137 und C, Zeile 430-470). Menschen stehen fast immer in einer Relation von wechselseitiger Annerkennung zueinander. Hieraus lassen sich auch Begründungen für die Existenz von menschlichen Werten ableiten. Die Würde eines Menschen ist das, was verletzt wird, wenn er gedemütigt wird, wobei nicht jede Demütigung mit einer Menschenwürdeverletzung einhergehen muss. Der allgemeine Anspruch besagt, dass Menschen in einer bestimmten Weise zu behandeln wären und zwar im Leben wie im Tod (Margalit, Schmidt & Stern, !997).

Um die Menschenwürde eines Toten verletzen zu können, müsste es demnach möglich sein ihn zu demütigen. Aber sind Tote zu demütigen? Diese Frage scheint zunächst abwegig, da angenommen wird, dass ein Toter weder über die kognitiven noch über die emotionalen Voraussetzungen verfüge. Demnach läge es nahe diese Frage zu verneinen. Allerdings könnte diese Antwort nach Julia Glahn (2010) zu kurz greifen, da die Verletzung der Würde nicht erst dann eintritt, wenn sich ein Mensch das Gefühl einer Demütigung spürt, sondern schon zu dem Zeitpunkt, an dem in Absicht eines Anderen eine Demütigung ausgeführt wird (Glahn, 2010).

Dieser Umstand gibt Zeitgenossen vor, wie sie Menschen zu behandeln haben. Der absolute Verzicht auf eine Demütigung soll hierfür die Voraussetzung sein (Margalit, Schmidt & Stern, 1997).

7.1. Die Position der Eliminierung

Die zeitgenössischen Konzepte von Menschenwürde sollen von teilweise erheblich unterschiedlichen Aspekten ausgehen. Es wird bisweilen die Ansicht vertreten , dass der emo­tional stark belastete Begriff der Würde gänzlich zu eliminieren sei, da er auch als Instrument von Positionen verwendet werde und so kein wirkliches Argument mehr innerhalb von Dis­kussionen darstellen könne. Diese Darlegung erscheit trotz aller Provokation wenig plausibel zu sein. Besonders einander widersprechende Argumente für oder gegen die Menschenwürde können es notwendig machen diesen Begriff nicht zu beschränken (Glahn, 2010).

7.2. Tote und Selbstachtung

Selbstachtung ist, anders als das Selbstwertgefühl, welches vor allem durch Mit­menschen aufgebaut werden kann, eine Einstellung, die Menschen in erster Linie sich selbst gegenüber einnehmen sollen. Die Selbstachtung kann Schaden nehmen, wenn Menschen gedemütigt werden. Diese negative Beeinflussung beinhaltet u. U. mehr als nur eine Verletzung, die das Menschsein in sich angreift. So können auch wohl Tote in ihrer Selbstachtung verletzt werden, obwohl sich auch hier wieder die Frage nach der Fähigkeit zur Ausbildung solcher Empfindungen stellt, haben diese nach allgemeinen Erkenntnissen offenbar keine Reflexionsfähigkeiten und auch kein emotionales Empfinden. Jedoch wird Ähnliches auch immer noch in Bezug auf Menschen im Wachkoma angenommen. Das Dasein an sich wird hierdurch in Frage gestellt. Dieses ist aber allzu leicht auf die biologische Existenz eines Menschen reduzierbar (Balzer, 1999, Glahn, 2010 ; Hohnet, 1990).

7.3. Menschliches Subjekt oder menschliches Objekt?

In einer Terminologie, welche neue Begriffe auswählen und selektieren möchte, sollte mehr geschehen als bloße Funktion. Häufig ist für den Leser nicht erkennbar, aus welcher Perspektive eine Palliativversorgung gesehen wird. Natürlich sind wirtschaftliche Aspekte zu beachten, wenngleich nicht in gleicher Weise terminiert werden sollte wie im Falle von einem Warenkonsum. Leichen befinden sich der Beschreibung nach rechtlich betrachtet in einem Spannungsfeld zwischen einer Sache außerhalb und innerhalb von wirtschaftlicher Ver­wendbarkeit.

Leichen wurden einst als Tester für Guillotinen und später als Probanden eingesetzt. In Zeiten von Leichenknappheit sollen sie selbst zur Bezahlung von Studiengebühren an medizinischen Fakultäten gedient haben. In der Schönheitschirurgie sollen Gewebeteile von Toten Verwendung gefunden haben. Es seien ihnen Golf- und Baseballbälle in die Augen geworfen worden sein, um weniger gefährliche Ballgeschosse entwickeln zu können. Allein für Angehörige ist es vielfach ein enormer Stressfaktor, wenn über die Wirtschaftlichkeit eines erlöschenden Lebens gesprochen wird. Allerdings können Angehörige sich noch entsprechend gegen solche Verfahren einsetzen. Unheilbar Erkrankte hingegen müssen in vielen Fällen eine respektlose Behandlung geschehen lassen, zumal wenn diese auf sich allein gestellt sind (McCullagh, 1993).

7.4. Organspende

Organspende und Transplantation sollen sich in Deutschland einer hohen Akzeptanz erfreuen, denn diese können als eine Form des Sieges gegen zuvor noch unheilbare Erkrankungen gesehen werden. Hohe Erwartungen in die operative Technik werden vielfach von positiven Berichten über die postoperativen Erfahrungen und Lebensberichte der behandelten Patienten erzeugt. Allerdings soll den Angaben zufolge keine uneingeschränkte Akzeptanz gegenüber den dazu nötigen Organspenden bestehen. Eine Ursache dafür kann die immer wieder diskutierte Frage des Lebensendes sein. Organspende als Eingriff dürfte jedoch eine Entscheidung über Leben und Tod einfordern. Viele Spender könnten sich fragen, ob ein Teil von ihnen nach dem Eingriff noch lebt, oder ob sie als ganz verstorben gelten, oder ob man bei einer Lebendspende das Leben mit dem Organempfänger vielleicht sogar teilt. Diese Thematiken werden der Einschätzung nach auch noch lange defizitär bleiben. Ebenso wären religiöse Auffassungen der verschiedensten Glaubensrichtungen in die sozialen Diskussionen mit einzubeziehen. Vielfältige Aufklärungsarbeit, sowie die Anpassung verschiedener Transplantationsgesetze von europäischen Staaten und eine intensivere Vernetzung der Spenderkrankenhäuser können zur Akzeptanz im Bereich der Organspende beitragen (Broelsch, 2009).

Ein Mangel an Spenderorganen soll sich besonders bei betroffenen Säuglingen und Kleinkindern bemerkbar machen. Dadurch ergeben sich immer wieder Diskussionen darüber, ob Organe von Feten mit einem sog. Anencephalus (Fehlen der Großhirnrinde) transplantiert werden sollen. Diese nicht lebensfähigen Föten müssten nach der Geburt künstlich beatmet werden um den Erhalt der Organe zu sichern. Bei einer solchen Maß­nahme wäre es notwendig, dass die Schwangerschaft bis zum Geburtstermin weiter bestehen muss. Außerdem sind eindeutige Beweise eines Hirntodes nachzuweisen. Eine Differentialdiagnose zum Hirntod kann aber meist nicht gestellt werden, da weder eine Nulllinie im EEG noch fehlende Vitalzeichen oder eine fehlende Durchblutung im Gehirn bei Feten mit einem Anencephalus vorkommen sollen. Nach deutscher Rechtsauffassung kann es von daher rechtswidrig sein, Neugeborene mit einem Anencephalus als Organspender vorzusehen (Linderkamp, 1998).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955496746
ISBN (Paperback)
9783955491741
Dateigröße
299 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen
Erscheinungsdatum
2013 (März)
Note
1,3
Schlagworte
Tod Menschenwürde Sterbebegleitung Phänomenologie Interdidsziplinäres Arbeiten Fehlverhalten
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Titel: Was geschieht beim Sterben? Betrachtung eines Tabuthemas unserer Gesellschaft
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