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Die Mitwirkungsrechte der deutschen Bundesländer an der Europapolitik des Bundes

©2012 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die Kompetenzen der Bundesländer im Rahmen der Europapolitik der Bundesrepublik im Zeitraum zwischen den innerdeutschen Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht in den Jahren 1992/93 und den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zur Föderalismusreform I.
Analyseleitend für die vorliegende Untersuchung ist die Frage, inwieweit die verschiedenen Modifikationen des Art. 23 GG seit 1992 für die Bundesländer tatsächlich zu einer Erweiterung der Mitbestimmungsrechte an der Europapolitik der Bundesrepublik beigetragen haben.
Dabei wird von der These ausgegangen, dass es sich bei dem Einfluss, den die Bundesländer auf die Europapolitik der Bundesrepublik seit 1992 gewonnen haben, nicht um einen beständigen Zuwachs handelt. Vielmehr handelt es sich um ein beständiges Auf und Ab der Möglichkeiten der Einflussnahme, Kompetenzen und Rechte.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

Die Bundesrepublik mit ihrem föderalen Aufbau und ihrer Einbettung in die Europäische Union kann eigentlich nur adäquat verstanden werden, wenn sie in ihrem historischen Kontext betrachtet wird. Denn die Wurzeln der heutigen Bundesrepublik lassen sich bis auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zurückführen, einem übernationalen Zusammenschluss diverser freier Städte, Herzogtümer und Königreiche. Napoleon I. brachte diesen losen Gebilde der Staaten zum Einsturz und besetzte viele der Länder. Im Befreiungskrieg 1813 – 1815 konnten Österreich, Preußen und Russland Napoleon I. bis hinter den Rhein zurückdrängen und so die Selbstständigkeit der deutschen Staaten wieder herstellen.[1]

Dieser Krieg förderte ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Identifikation mit einem vereinigten Deutschland. Ein vereinigtes Deutschland war allerdings in der nun folgenden Zeit der innerdeutschen Konflikte undenkbar. Während studentische Revolutionäre ein geeintes Deutschland forderten, hielten die absolutistischen Führungen der Länder an ihren Idealen fest. Repressionen erstickten die Bestrebungen zur Gründung eines Gesamtstaates. Auch die Revolution von 1848/49 scheiterte. 1859, als Napoleon III. nach Italien griff, entflammte in Deutschland, angefeuert von der deutsch-französischen Erbfeindschaft, ein neuer Nationalismus. Erst mit dem Ende des deutsch-französischen Kriegs 1870-1871 gegen Napoleon III. wurde in Paris das Deutsche Kaiserreich und somit der erste deutsche Nationalstaat gegründet.[2]

Nach dem zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands war für Westdeutschland eine neue Verfassung[3] von Nöten, diese besiegelte auch zugleich die Teilung Deutschlands. Dem Einfluss der Siegermächte und der Länder in der verfassungsgebenden Parlamentarischen Versammlung ist es geschuldet, dass Deutschland 1949 mit dem Grundgesetz als Bundesstaat konstituiert wurde. Die starken Länder, die formale Begrenzung der Kompetenzen des Bundes und das klare Bekenntnis zu Europa, sowie die damit verbundene Öffnung für zwischenstaatliche Einrichtungen, sind zwei der sechs „Weichenstellungen“, die die Architekten des Grundgesetzes für den politischen Betrieb in der Bundesrepublik Deutschland vorsahen.[4] So steht in der Präambel des Grundgesetzes in der Fassung von 1949:

„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.“[5]

Ergänzend dazu sieht Art. 20 Abs. 1 GG seit 1949 vor, dass „Die Bundesrepublik Deutschland [ist] ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist. Diese Ordnung unterliegt der sogenannten Ewigkeitsklausel nach Art. 79 Abs. 3 GG. Diese sieht vor:

„Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung […] berührt werden, ist unzulässig.“

Mit Blick auf die grundsätzliche Kompetenzverteilung im deutschen Bundesstaat sieht Art. 30 GG vor:

„Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine anderen Regelungen trifft oder zulässt.“

Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Gesetzgebung ist in den Artikeln 70 bis 75 GG normiert; die Ausführung der staatlichen Aufgaben in den Artikeln 83 bis 87 GG.

So schreibt Art. 70 GG beispielsweise vor:

„(1) Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.
(2) Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern bemisst sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung.“

Die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung werden in Art. 71[6] und Art. 72[7] reguliert, während Art. 73 einen konkreten Katalog bezüglich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz für den Bund und Art. 74 einen Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung enthält.

Die Bundesrepublik ist seit 1951 Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Montanunion (EGKS). Daher fühlt sich Deutschland dem europäischen Integrationsprozess seit jeher besonders verpflichtet.

Der seit 1951 fortschreitende Integrationsprozess bewirkt eine stete Übertragung nationaler Souveränitätsrechte an die Europäische Gemeinschaft bzw. die EU. Integration meint in diesem Kontext den „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“[8]. Dies ist in Deutschland insoweit problematisch, da „die Bundesrepublik […] der einzige Mitgliedsstaat der Europäischen Union mit einer ausgeprägten föderativen Struktur [ist], in dem neben dem Bund auch die Länder Qualität von etablierten Gliedstaaten haben.“[9]

Zwar sind auch andere Mitgliedsländer der EU, wie beispielsweise Österreich, föderal aufgebaut, aber das Ausmaß der Gesetzgebungskompetenzen der Länder in der Bundesrepublik ist in der EU einmalig. Diese Besonderheit sorgt dafür, dass Fragen der Kompetenzübertragung, die in anderen Mitgliedsstaaten eher randständig diskutiert werden, in Deutschland eine besondere Brisanz haben. Zu diesen Problemen kommt es immer dann, wenn bei dem Transfer von Kompetenzen nicht Zuständigkeiten des Bundes betroffen sind, sondern Kompetenzen, die formal in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen, und somit deren Gestaltungsspielraum beschnitten wird.

„Dies führt zwangsläufig zu einer Auszehrung des in Art. 20 Abs. 1 GG normierten und durch Art. 79 Abs. 3 GG manifestierten Prinzips der bundestaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn vielleicht niemals jemand wagen würde, den Ländern die Staatsqualität bei einem bestimmten Stand der Integration abzusprechen und sie zu „reinen Verwaltungseinheiten“ zu degradieren.“[10]

Die Länder sind seit jeher bemüht, ihren Einfluss auf die Politik des Bundes zu erhalten. Diese Form des Machterhalts beziehungsweise der Machtstärkung gilt auch und in besonderer Weise für Fragen der Beteiligung an der Europapolitik des Bundes.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen deshalb die Kompetenzen der Bundesländer im Rahmen der Europapolitik der Bundesrepublik im Zeitraum zwischen den innerdeutschen Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht in den Jahren 1992/93 und den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zur Föderalismusreform I. In beiden Verhandlungsprozessen standen die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Länder an der Europapolitik der Bundesrepublik im Fokus.

Analyseleitend für die vorliegende Untersuchung ist die Frage, inwieweit die verschiedenen Modifikationen des Art. 23 GG seit 1992 für die Bundesländer tatsächlich zu einer Erweiterung der Mitbestimmungsrechte an der Europapolitik der Bundesrepublik beigetragen haben.

Dabei wird von der These ausgegangen, dass es sich bei dem Einfluss, den die Bundesländer auf die Europapolitik der Bundesrepublik seit 1992 gewonnen haben, nicht um einen beständigen Zuwachs handelt. Vielmehr handelt es sich um ein beständiges Auf und Ab der Möglichkeiten der Einflussnahme, Kompetenzen und Rechte. So kam es im Zuge der Föderalismusreform I zu Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern, die mit Blick auf die Mitbestimmungsrechte der Länder zumindest ambivalent zu bewerten sind.

Im Anschluss an diese Einleitung wird in Kapitel 2 ein kurzer historischer Rückblick auf die Geschichte der europäischen Gemeinschaft gegeben um die folgenden Geschehnisse in einen Rahmen zu setzen.

In Kapitel 3 wird der Einfluss der Bundesländer auf die Europapolitik der Bundesrepublik vor der Einführung des Art. 23 GG aufgezeigt.

Kapitel 4 liefert einen kurzen Überblick über den Vertrag von Maastricht. Kapitel 4.1 veranschaulicht die innerdeutschen Verhandlungen vor der Ratifikation des Vertrages und zeigt den Zusammenhang zwischen dem Vertrag und Art. 23 GG auf. In Kapitel 4.2 werden die Mitwirkungsrechte der Bundesländer gemäß Art. 23 GG. a. F.[11] erläutert. Der erste Teil dieser Arbeit wird in Kapitel 4.3 von einem Zwischenfazit abgeschlossen.

Teil zwei der Arbeit beginnt mit Kapitel 5, welches die Föderalismusreform I darlegt. Im darauf folgenden Kapitel wird dann auf die Veränderungen des Art. 23 GG eingegangen. Die einfachgesetzlichen Folgeregelungen des Art. 23 GG n.F. werden in 5.2 dargestellt und Kapitel 5.3 zieht ein Zwischenfazit.

Die Arbeit schließt mit einem Fazit und Ausblick.

2. Die Europäische Union

Die Wurzel der Europäischen Union ist die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1950 (unterzeichnet 1951), der so genannten „Montanunion“. Neben der supranationalen[12] Regelung von genau abgegrenzten Bereichen, den zentralen kriegswichtigen Wirtschaftsfaktoren Kohle und Stahl, ging es auch um eine Wiedereingliederung Deutschlands in das politische Europa und die Wiederaufnahme der Außenbeziehungen zu den Nachbarstaaten sowie um eine Aufwertung der Beziehungen zwischen den Gewinner- und Verliererrollen nach dem Zweiten Weltkrieg, hin zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe.[13]

Die Staatsoberhäupter der EGKS Gründerländer Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg unterzeichneten 1957 in Rom Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, der EWG und der Euratom und vertieften und festigten so das positive Verhältnis zwischen den Staaten. Die EWG sollte den Weg zu einer Zollunion und einem gemeinsamen Markt mit freiem Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr ebnen. Die Aufgabe der Euratom war es, die Entwicklung und den Aufbau der Nuklearindustrie in den Mitgliedsstaaten fördern.[14]

Da sich in den Folgejahren die Europäische Integration mehr auf einer wirtschaftlichen Ebene und weniger auf einer politischen Ebene vollzog, unterschrieben Konrad Adenauer und Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Diese Annäherung auf politischer, und damit auch sicherheitspolitischer Ebene, sollte einen Strudel der Integration schaffen, der auch die anderen europäischen Mitgliedsstaaten erfassen sollte. Im Jahr 1969 wurde die Norderweiterung der EU beschlossen. Von den Beitrittskandidaten Großbritannien, Dänemark, Irland und Norwegen traten aber nur die drei Erstgenannten bei. Die norwegische Bevölkerung lehnte einen Beitritt ab.[15]

1986 wurde die einheitliche europäische Akte (EEA) unterzeichnet. Ziele der EEA waren etwa der einheitliche Binnenmarkt, die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat (im Vergleich zur Einstimmigkeit) und die Erweiterung der Kompetenzen der EG in den Bereichen Umwelt-, Forschungs-, Sozial- und Technologiepolitik.[16]

Die politische Bühne Europas wurde durch den Mauerfall 1989 in Berlin nachhaltig verändert. Mit dem Ende des Konfliktes zwischen Ost und West betraten viele neue und junge Nationalstaaten diese Bühne. Europa schien am Scheideweg: Auf der einen Seite stand die Vision des friedlichen, vereinten und prosperierenden Europas, auf der anderen Seite der Albtraum neu aufflammender Konflikte zwischen Nationalstaaten, genährt durch ethnische Spannungen und dem sozialen Ungleichgewicht, welches die mehrheitlich armen osteuropäischen Länder nach Europa brachten.[17] Doch diese Staaten nutzten ihre neu erlangte Freiheit, um sich einem geeinten Europa zuzuwenden und die EG näherte sich mit verschiedenen Abkommen den neuen Staaten an.

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, welcher am 9. und 10. Dezember 1991 in Maastricht verhandelt wurde (Im folgenden Maastrichter Vertrag genannt), begründete eine neue Stufe der Integration zwischen den Mitgliedsländern.[18]

Bevor sich diese Arbeit aber diesem Vertrag zuwendet, wird der Fokus auf die Einflussmöglichkeiten der Bundesländer auf die Europapolitik der Bundesrepublik vor dem Maastrichter Vertrag gerichtet.

3. Die Mitwirkungsrechte der deutschen Bundesländer vor 1992

Bei der Diskussion über die Mitwirkungsrechte der deutschen Bundesländer auf die Europapolitik des Bundes prallen zwei grundlegend verschiedene Auffassungen aufeinander: Zum Einen die der Bundesländer, die möglichst weitreichende Kompetenzen wünschen und zum Anderen die der Bundesregierung, welche in Brüssel Flexibilität und weite Verhandlungsspielräume wünscht. Es muss also ein Verfahren gefunden werden, das beide Seiten zufriedenstellt und welches nicht zu einer Blockadefalle geraten kann.

Vor der Einführung des Art. 23 GG war dieses Verfahren wie folgt geregelt: Die Bundesländer und der Bundesrat hatten in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft Informations-, Mitbestimmungs- und Mittwirkungsrechte. Allerdings waren diese nicht im Grundgesetz verankert, sondern beruhten lediglich auf unverbindlichen Vereinbarungen, parlamentarischer Übung, einfachen Bundesgesetzen oder Absichtserklärungen des Bundes. Folglich lag die Erfüllung dieser Rechte immer im Ermessen der Bundesregierung.[19] Die Bundesländer waren auf das Wohlwollen der Bundesregierung angewiesen und wurden allzu oft vor vollendete Tatsachen gestellt.

Bis 1957 war die einzige Möglichkeit der Länder, beziehungsweise des Bundesrates, eine Unterrichtung über die europäischen Angelegenheiten der Bundesregierung einzufordern in Art. 53 GG Satz 3 geregelt: „Der Bundesrat ist von der Bundesregierung über die Führung der Geschäfte auf dem Laufenden zu halten.“ Die Unterrichtung erfolgte aber in der Regel nicht laufend, sondern nur sporadisch und ermöglichte oft nur eine nachträgliche zur Kenntnisnahme und damit keine aktive Mitgestaltungsmöglichkeit von Seiten der Länder.[20]

Ab 1957 bestimmte das sogenannte Zuleitungsverfahren, wie der Bundesrat in Kenntnis zu setzen sei. Dies regelt Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum EWG-Vertrag.

„Die Bundesregierung hat Bundestag und Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Soweit durch den Beschluß eines Rats innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlußfassung des Rats erfolgen.“[21]

Bis 1985 wurde diese Regelung modifiziert und überarbeitet, es kam aber nie zu einem Ergebnis, das sowohl die Länder als auch die Bundesregierung befriedigen konnte.[22]

1985 wagten die Länder dann einen neuen Schritt, um ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten in der EG auszubauen. Der Vorreiter Hamburg eröffnete im Januar 1985 ein Länderbüro in Brüssel. Diese Büros haben den Charakter eines Frühwarnsystems und dienen der Aufnahme, Vermittlung und Verarbeitung von Informationen. Ein direktes Eingreifen in die Europapolitik der Bundesregierung fand mit diesen Vertretungen nicht statt.[23]

Diese Eigenmächtigkeit der Bundesländer in Sachen der Europapolitik rief auch Kritiker auf den Plan. Im Bundestag sprach man von einer „Nebenaußenpolitik“ an der Bundesregierung in Bonn vorbei.[24] Da die Bundesländer aber dementierten, dass es sich um Botschaften handele, hat sich die Bundesregierung im Laufe der Zeit mit der Existenz der Büros abgefunden.[25]

Mit Einführung der einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 wurde im Gesetz zur EEA (EEAG)[26] in Art. 2 festgehalten:

„(1) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundesrat unbeschadet des Artikels 2 des Gesetzes zu den Verträgen von 25. März 1957 zur Begründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 27. Juli 1957 (BGBl. II S. 753) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die für die Länder von Interesse sein könnten.
(2) Die Bundesregierung gibt vor ihrer Zustimmung bei Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft, die ganz oder in einzelnen Bestimmungen ausschließlich Gesetzgebungsmaterien der Länder betreffen oder deren wesentliche Interessen berühren, dem Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme binnen angemessener Frist.
(3) Die Bundesregierung berücksichtigt diese Stellungnahme bei den Verhandlungen. Soweit eine Stellungnahme ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betrifft, darf die Bundesregierung hiervon nur aus unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Im übrigen bezieht sie die vom Bundesrat vorgetragenen Länderbelange in ihre Abwägungen ein.
(4) Im Falle einer Abweichung von der Stellungnahme des Bundesrates zu einer ausschließlichen Gesetzgebungsmaterie der Länder und im übrigen auf Verlangen teilt die Bundesregierung dem Bundesrat die dafür maßgeblichen Gründe mit.
(5) Ist dem Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, sind, unbeschadet der bereits bestehenden Regelungen, auf Verlangen Vertreter der Länder zu Verhandlungen in den Beratungsgremien der Kommission und des Rates hinzuzuziehen, soweit der Bundesregierung dies möglich ist.
(6) Einzelheiten der Unterrichtung und Beteiligung bleiben einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern vorbehalten.“[27]

Diese Beteiligung des Bundesrates an den EU-Angelegenheiten wurde begrüßt, allerdings gab es an zwei Punkten Kritik. Zum Einen, dass die Angelegenheiten zwischen zwei Verfassungsorganen nur in einem einfachen Bundesgesetz geregelt wurden und zum Anderen, dass diese Rechte keinesfalls ein angemessener Ausgleich für die durch EU-Integration verlorengegangenen Gesetzgebungskompetenzen der Länder darstellten.[28]

Generell wurde durch dieses Gesetz aber klar, dass der Föderalismus in Deutschland ein schwer zu lösendes Problem für die Integration in die Europäische Gemeinschaft darstellt und dass „der Preis für die Integration ein grundlegender Gestaltwandel des Föderalismus vom Kompetenzföderalismus zum so genannten Beteiligungsföderalismus war.“[29]

4. Der Vertrag von Maastricht

Der Vertrag von Maastricht gilt als ein zentraler Wegweiser für Europa. Er begründet die Europäische Union. Dieser erweiterte die bisherigen Beziehungen, die auf politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit beruhten, um die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, (GASP) und die Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik, (PJZS). Die drei Säulen, die Wirtschafts- und Währungsunion, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres tragen das Dach der EU, den Europäischen Rat. Dieses Tempelkonstrukt ist ein Sinnbild des vereinigten Europas.[30]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[31]

Die intergouvernementale Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Inneren- und Justizpolitik umfassen folgende Punkte:

- die Asylpolitik,
- die Einwanderungspolitik,
- die Visapolitik,
- die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen,
- die Bekämpfung von internationalem Drogenhandel, Terrorismus und internationaler Kriminalität,
- den Aufbau des europäischen Polizeiamtes EUROPOL[32]

Doch nicht nur der konkrete Aufgabenkatalog bereitete den Ländern Probleme, auch die Präambel des Vertrages scheint, zumindest aus Ländersicht, problematisch:

„Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union zwischen den Völkern dar, in der die Entscheidungen möglichst nahe bei den Bürgern getroffen werden.“[33]

Der Vertrag ist also nur ein weiter Schritt zu einer immer enger werdenden Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten. Kritikpunkt der Länder ist weniger die direkte Einflussnahme der EU, obwohl diese durch den Vertrag schon gegeben ist, sondern die sichtbaren Tendenzen hin zu einem Europäischen Bundesstaat und einer Degradierung der Länder zu Verwaltungsinstanzen.[34] Diese Furcht, die die Länder schon seit der Gründung der EG begleitete, brach mit dem Ratifizierungsprozess des Maastrichter Vertrages vollends durch.

4.1. Die innerdeutschen Verhandlungen zum Ratifizierungsverfahren des Vertrages von Maastricht

Durch die umfangreichen Änderungen und Erweiterungen des Vertrages von Maastricht und dem weitreichenden Einfluss der GASP und ZJIP auf die nationalen Gefüge in Deutschland musste das Grundgesetz angepasst werden. Diesen Sachverhalt konnten sich die Länder zu Nutzen machen. Grundgesetzänderungen müssen sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Die Länder waren also in der attraktiven Position eines Vetospielers.

Die Gemeinsame Verfassungskommission (GVK), welche im Jahr 1992 gegründet wurde und paritätisch aus Bundestags- und Bundesratsmitgliedern bestand, wurde mit dem Entwurf der Verfassungsänderung betraut.[35] Es stand schnell fest, dass Art. 28 GG[36] sowie Art. 88 GG[37] im Vorfeld des Maastrichter Vertrags geändert werden mussten. Da sich die in Kapitel 2 dargestellten Rechte der Länder bzw. des Bundestags nicht im politischen Alltag bewährt und, zumindest aus Sicht der Länder, als nicht ausreichend erwiesen hatten, sprach die GVK am 26. Juni 1992 die Empfehlung aus, neben der Änderung von Art. 28 und 88 GG, auch Art. 23 neu zu formulieren. Schließlich sah der Vertrag von Maastricht eine erweiterte Kompetenzübertragung vor, welche die originären Gesetzgebungsrechte der Länder auszuhöhlen drohte.[38] Der Bereich Europapolitik, vormals der Außenpolitik zugehörig, tangierte also mehr und mehr die Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.

Art. 23 GG sollte die Rechte von Ländern und Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union stärken und somit die Gesetzgebungsverluste durch die europäische Integration kompensieren.[39] Die Länder stellten von vornerein klar, dass die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag im Bundestag nur dann erfolge, wenn die föderale Grundordnung im Grundgesetz fortentwickelt würde, und ein Einfluss der Bundesländer auf die Europapolitik der Bundesrepublik im Grundgesetz festgeschrieben würde.

„Der Bundesrat unterstreicht seine Auffassung, daß die Verabschiedung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union auf der Grundlage von Artikel 23 GG (neu) eine unabdingbare Vorrausetzung für die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Union durch den Bundesrat darstellt.“[40]

Mit diesem Kuhhandel konnten die Länder die Bundesregierung unter Druck setzen. Helmut Kohl, der damalige Bundeskanzler und ein Verfechter der europäischen Idee, sah sich gezwungen, den Forderungen der Länder nachzugeben, um so die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages voranzutreiben. Schließlich wurde der Vertrag am 7. Februar 1992 nach harten innerdeutschen Verhandlungen in Maastricht von den Mitgliedern der Europäischen Union unterzeichnet.[41]

[...]


[1] Vgl.: Schulze, Hagen (2007): Kleine deutsche Geschichte. Mit Bildern aus dem Deutschen Historischen Museum. Erw. und aktualisierte Ausg., 114. - 120. Tsd. der Gesamtaufl. München: Beck. S. 90ff.

[2] Vgl.: Ebd. S. 117ff.

[3] Die Begriffe „Verfassung“ und „Grundgesetz“ werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwandt.

[4] Zu den vier weiteren Weichenstellungen zählen Rechtstaat, Republik, Demokratie und Sozialstaat vgl. dazu ausführlicher: Schmidt, Manfred G. (2008): Das politische System Deutschlands. Institutionen, Willensbildung und Politikfelder. [Nachdr.]. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, S. 26

[5] http://www.documentarchiv.de/brd/1949/grundgesetz.html (Abgerufen am 13.06.2012)

[6] Im Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden.

[7] Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.

[8] Präambel des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

[9] Donoth, Hans-Peter (1996): Die Bundesländer in der Europäischen Union. Die bundesstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland bei der Verwirklichung der Europäischen Union - eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung des neugefassten Art. 23 GG. Frankfurt am Main: Lang, S. 24.

[10] Donoth, Hans-Peter (1996): Die Bundesländer in der Europäischen Union. Die bundesstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland bei der Verwirklichung der Europäischen Union - eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung des neugefassten Art. 23 GG. Frankfurt am Main: Lang, S. 27.

[11] An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in dieser Arbeit der alte Art. 23 GG in der Fassung vor der deutschen Wiedervereinigung gänzlich unberücksichtigt bleibt. Somit Art. 23 GG a.F. die alte Fassung des Europaartikels vor der Föderalismusreform meint und nicht die Fassung vor 1990. a. F. dient hier zur Abgrenzung zum aktuellen Art. 23 GG

[12] Der lateinische Präfix „supra“ meint: Oberhalb, darüber. Supranational ist eine Instanz über der nationalen Ebene.

[13] Vgl.: Wessels, Wolfgang (2006): Das politische System der Europäischen Union. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 61

[14] Vgl.: Ebd. S. 15.

[15] Vgl.: Ebd. S. 15.

[16] Vgl.: Wessels, Wolfgang (2006): Das politische System der Europäischen Union. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 61. S. 16 ff.

[17] Vgl.: Ebd. S. 28 .

[18] Vgl.: Ebd. S. 29.

[19] Vgl.: Lang, Ruth (1997): Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Artikel 23 Abs. 2 bis 7 GG. Berlin: Duncker & Humblot. S. 31.

[20] Vgl.: Ebd. S. 32.

[21] BGBl. II vom 27.07.1957, S. 753.

[22] Vgl.: Lang, Ruth (1997) S. 32 ff.

[23] Vgl.: Ebd. S. 48.

[24] So der Bundestagsabgeordnete Dr. Hellwig, EA 1987, 297 (302).

[25] Vgl.: Lang, Ruth (1997) S. 50.

[26] BGBl. II vom 24.12.1986

[27] BGBl. II vom 19. Dezember 1986. S. 1102.

[28] Vgl.: Lang, Ruth (1997) S. 66.

[29] Lang, Ruth (1997), S. 67.

[30] Vgl.: Wessels, Wolfgang (2006): Das politische System der Europäischen Union. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 89.

[31] Grafik: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (2011): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. 12. Aufl. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung. S. 30

[32] Vgl.: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (2011): S. 30.

[33] Präambel des Vertrages von Maastricht.

[34] Vgl.: Lang, Ruth (1997) S. 105.

[35] Vgl.: Lang, Ruth (1997) S. 108.

[36] Betr.: Unionsbürgerwahlrecht auf kommunaler Ebene.

[37] Betr.: Europäische Zentralbank.

[38] Vgl.: Lang, Ruth (1997) S. 130 f.

[39] Vgl.: Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000 S. 15.

[40] Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/3540, S. 8.

[41] Vgl.: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (2011) S. 29.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955496081
ISBN (Paperback)
9783955491086
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,5
Schlagworte
Föderalismus Kompetenzzuwachs Politik Europaartikel Föderalismusreform
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