Energie im Spannungsfeld europäischer Politik: Vom Binnenmarkt zu einer Außenpolitik für eine sichere Erdgasversorgung?
Zusammenfassung
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat die Union verschiedenste interne und externe Maßnahmen entwickelt. Die internen Maßnahmen beziehen sich dabei allesamt auf die Vollendung des Energiebinnenmarkts. Seit der Jahrtausendwende wurde zudem vermehrt auf eine Energieaußenpolitik der EU gesetzt und damit Maßnahmen für die externe Ebene geschaffen. Damit wurde auf Unionsebene erkannt, dass die Versorgungssicherheit, die zum Teil durch einen funktionierenden Energiebinnenmarkt gewährleistet werden kann, immer auch mit einer Energieaußenpolitik in Verbindung steht. Als ein Beispiel für diese Außenpolitik wird die Nabucco Erdgaspipeline gewählt. Daran wird deutlich, welche Möglichkeiten die EU in Bezug auf den Pipelinebau im Rahmen ihrer Energieaußenpolitik besitzt und mit welchen Problemen sie dabei konfrontiert wird
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
3 Europäische Energiepolitik
Bevor nun auf die externe und interne Dimension des Ziels Versorgungssicherheit eingegangen wird, wird die Energiepolitik auf europäischer Ebene dargestellt und wichtige Ereignisse für ihre Entwicklung hervorgehoben.
Die Verantwortlichkeiten für die europäische Energiepolitik verteilen sich vor allem auf die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union. In Bezug auf die Kommission ist die Generaldirektion (GD) Energie hervorzuheben, da diese die Ziele des Energietransports, der Versorgung der EU mit wettbewerbsfähiger Energie und der Schaffung eines Rahmens für kontinuierliche und sichere Energieversorgung verfolgt. Dabei entwickelt sie strategische Analysen, fördert den Energiebinnenmarkt und die Energieaußenpolitik und unterstützt den Ausbau der Energieinfrastruktur (vgl. Europäische Kommission 2012a). Hierbei wird jedoch auch ersichtlich, dass diese Aufgabenfelder Querschnittsthemen mit z.B. der GD Wettbewerb oder GD Binnenmarkt sind. Das bedeutet, dass auch diese Generaldirektionen Einfluss auf die Energiepolitik nehmen können.
Innerhalb des Europäischen Parlaments ist der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie für Energiepolitik verantwortlich. Dort stehen auch Punkte wie die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit auf der Agenda (vgl. Europäisches Parlament 2012). Der Rat der Europäischen Union hat hingegen die Aufgabe, die mitgliedsstaatlichen energiepolitischen Meinungen zu koordinieren. Hinzu kommen allerdings auch die Sicherstellung der Energieversorgung zu einem fairen Preis durch einen angemessenen Wettbewerb, die Einhaltung eines Sicherheitsniveaus bei der Versorgung mit Erdgas und die Sicherstellung des funktionierenden Energiebinnenmarkts (vgl. Rat der Europäischen Union 2012). Wie zu erkennen ist, hat jede der drei großen Institutionen Kompetenzen für den Energiebinnenmarkt und die Energieaußenpolitik und es lassen sich keine klaren Abgrenzungen definieren.
Die europäische Energiepolitik war lange Zeit durch den Gedanken eines gemeinsamen Binnenmarkts geprägt. In diesem Zusammenhang wurden seit den 1990er Jahren drei Legislativpakete verabschiedet, die dieses Ziel in die Realität umsetzen sollten. Durch die Osterweiterung der Union 2004/07 und die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten hat sich dieser Fokus jedoch verschoben, bzw. wurde um den Bereich der Energieaußenpolitik erweitert. Damit stand die EU vor dem Problem, dass sie Mitgliedsstaaten hatte, die zu 100% von Erdgasimporten aus Russland abhängig waren (vgl. Pollak 2010: 143). Die Kommission erkannte zu dem Zeitpunkt außerdem, dass eine wirksame Energieaußenpolitik auch immer von einem funktionierenden Energiebinnenmarkt abhängt (vgl. Kommission 2006, zitiert nach Pollak 2010: 143). 2006 erschien daraufhin das Grünbuch „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“, in dem drei Hauptziele, das sogenannte energiepolitische Zieldreieck formuliert wurden: Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit. Für diese Ausarbeitung sind allerdings nur die beiden letztgenannten Punkte relevant. Die Kommission konkretisiert diese beiden Punkte in vier weitere Bereiche:
- Energiesolidarität
- Innovation
- Wettbewerbsfähigkeit und Energiebinnenmarkt
- Eine gemeinsame, europäische Energieaußenpolitik (vgl. Grünbuch KOM(2006) 105)
Die Energiepolitik musste sich immer wieder bestimmten Ereignissen anpassen. Dazu zählen die Osterweiterungen, die Erdgaskrisen Russlands mit der Ukraine 2006/2009 und die sich verknappenden Energieressourcen. Durch diese Entwicklungen rückte das Thema der Energieversorgungssicherheit in den Mittelpunkt der Energiepolitik (vgl. Pollak 2010: 151).
Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass genau genommen nicht die Europäische Union Erdgas von einem Lieferanten bezieht, sondern dass es sich in aller Regel um Energieunternehmen handelt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die EU gar nicht direkt für den Import von Energie zuständig ist, sondern sich dabei auf die Unternehmen verlassen muss. Der Union fällt dabei (nur) die Rolle der Rahmensetzung zu, d.h. dass sie die Bedingungen für den Handel und Import von Erdgas regelt und auf diese Weise zur Energieversorgung beiträgt (vgl. Pollak 2010: 152). Bei der Formulierung der Rahmenbedingungen muss die EU die bereits teilweise erwähnten internen und externen Faktoren beachten. Zu den internen Einflüssen zählen die Regulierung und Entflechtung von Energieunternehmen, die transeuropäischen Energienetze, die Solidarität und Krisenreaktionsmechanismen oder auch das Entry-Exit System, das eigentlich zwischen den internen und externen Faktoren einzuordnen ist. Bei den externen Faktoren muss die EU auf die politische Situation in Drittstaaten, auf bestehende Lieferverträge und ausreichendes Vorhandensein von Energieressourcen achten (vgl. Pollak 2010: 151). Hinzu kommen noch Diversifizierungsabsichten, Energiegemeinschaften und Pipelineprojekte.
Die aktuellsten Entwicklungen zeigen, dass die EU im Bereich der Energieaußenpolitik ihre Rolle neu interpretiert und als handelnder Akteur tätig wird. 2011 wurde die Kommission das erste Mal vom Ministerrat dazu beauftragt, selbstständig einen Energievertrag mit Aserbaidschan und Turkmenistan zu verhandeln (vgl. Buchan 2011: 43). Ein großes Problem bei der Formulierung einer gemeinsamen Energiepolitik stellt jedoch die „heterogene […] Energiesituation der einzelnen Mitgliedsstaaten, insbesondere in Bezug auf Energiemix und Importabhängigkeit“ (Pollak 2010: 152) dar. Dies führt dazu, dass jedes Mitgliedsland andere energiepolitische Interessen verfolgt, woraus eine uneinheitliche Energieaußenpolitik und ein schlecht koordinierter Krisenreaktionsmechanismus resultieren. Für eine einheitliche europäische Energiepolitik ist es deshalb elementar, diese Interessen zu koordinieren. Welche weiteren Veränderungen in jüngster Zeit eingeführt wurden, wird ersichtlich, wenn man die Energiepolitik im Vertrag von Lissabon betrachtet.
3.1 Energiepolitik im Vertrag von Lissabon
Mit dem Vertrag von Lissabon wurde erstmals ein Kapitel für Energie in das Primärrecht der Europäischen Union aufgenommen. Dieser Entwicklung gingen aber lange Diskussionen voraus, da bereits Mitte der 1990er Jahre einige Mitgliedsstaaten und auch das Europäische Parlament die Aufnahme eines entsprechenden Artikels gefordert hatten (vgl. Pollak 2010: 111 f.). Dieser neu geschaffene Artikel 194 „Energie“ formuliert vier energiepolitische Ziele, von denen drei für diese Ausarbeitung von besonderer Relevanz sein werden:
„ a. Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts;
b. Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union;
c. Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie Entwick- lung neuer und erneuerbarer Energiequellen und
d. Förderung der Interkonnektion der Energienetze" (Artikel 194 AEUV) .
Diese Ziele sollen „im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten [und] im Rahmen der Verwirklichung und des Funktionierens des Binnenmarkts“ (Artikel 194 AEUV) verwirklicht werden. Ergänzt wird dieses Kapitel vom Artikel 4 AEUV, in dem festgelegt ist, dass sich die EU im Bereich des Binnenmarkts, der transeuropäischen Netze und der Energie mit den Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit teilt. Davon ausgenommen ist allerdings das Recht des einzelnen Mitglieds, „die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung [selbst] zu bestimmen.“ (Artikel 194 Abs. 2 AEUV). Geprägt wurde der Artikel 194 besonders von den zehn neuen Mitgliedsstaaten, die aufgrund ihrer Abhängigkeit zu Russland darauf drängten, dass die EU eine größere Rolle in den Verhandlungen mit Russland einnehmen solle. Daraufhin fand der Punkt b) „Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union“ den Einzug in das neue Vertragswerk (vgl. Buchan 2012: 40 f.).
Der Artikel 194 AEUV stellt einerseits eine Neuerung im Primärrecht der EU dar, schafft anderseits aber keine völlig neuen Kompetenzen auf europäischer Ebene und somit auch keine einschneidenden Änderungen in der Praxis der Kommission. Vielmehr muss diese im Bereich der nach innen gerichteten Politik weiterhin durch Querschnittsthemen mit anderen Politikbereichen Einfluss auf die Energiepolitik ausüben, um Maßnahmen festlegen zu können. Mögliche Bereiche sind in dem Fall der Binnenmarkt (vgl. Art. 26 AEUV), die Zollunion (vgl. Art. 28, 30, 32 AEUV), Warenverkehrsfreiheit (vgl. Art. 34 ff. AEUV), Tätigwerden bei „gravierenden Schwierigkeiten mit der Versorgung bestimmter Waren“ (Art. 122 AEUV) oder die transeuropäischen Netze (vgl. Art. 170 AEUV). Entgegenkommend für die Gemeinschaft wirkt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der festgelegt hat, dass Erdgas unter bestimmte Waren fällt und demnach den Bestimmungen des Binnenmarkts unterliegt. Damit hat der Rat die Möglichkeit, auf Vorschlag der Kommission über angemessene Maßnahmen zu entscheiden. (vgl. Nötzold 2011: 203 ff.).
Im Bereich der Energieaußenpolitik gibt es im aktuellen Vertragswerk keine genauen Regeln und dementsprechend auch keine grundlegenden Kompetenzveränderungen. Hier ist wiederum aber der Einfluss über Querschnittsthemen mit anderen Politikfeldern möglich. Die Versorgungssicherheit kann demnach zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hinzugezählt werden, in der „sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union“ (Art. 24 AEUV) behandelt werden. Ein weiteres Politikfeld wäre die gemeinsame Handelspolitik, die z.B. den Handel mit Waren (und demnach auch mit Erdgas) beinhaltet (vgl. Art. 207 AEUV). Die EU legt in weiteren Artikeln fest, dass sie eine Politik gestalten möchte, die ihre Sicherheit und Unabhängigkeit auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen wahren kann (vgl. Art. 21 Abs. 2 EUV). Zudem wird im selben Artikel die Kohärenz zwischen dem außenpolitischen Handeln der EU und den übrigen Politikbereichen erwähnt (vgl. Art. 21 Abs. 3 EUV).
3.2 Energieabhängigkeit der Europäischen Union
Doch in welchem Ausmaß ist die Europäische Union nun von ihren Lieferanten abhängig und wer sind diese überhaupt? Die EU war 2001 mit einem Anteil von 13,9% des weltweiten Erdgasverbrauchs nach Nordamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum die weltweit drittgrößte Verbrauchsregion (vgl. Tabelle A).
Tabelle A
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BP Statistical Review 2012
Dabei wird Erdgas hauptsächlich für die Stromerzeugung (32%), in den Haushalten für die Heizung und das Kochen (26%), der Industrie (21%) und für Dienstleistungen (12%) genutzt. Damit hat es einen Anteil von ungefähr 25% am Energiemix der EU. Der Grad der Abhängigkeit ist bei jedem Mitgliedsland allerdings unterschiedlich hoch. Fünfzehn Staaten, besonders die neuen Mitgliedsstaaten, sind von einer nahezu hundertprozentigen Abhängigkeit betroffen. 2007 waren nur noch Dänemark und die Niederlande in der Lage, Erdgas zu exportieren (vgl. SEC(2009) 978). Als Gründe für diese Unterschiede sind insbesondere der nationale Energiemix und die eigene Reserveausstattung zu nennen. Aufgrund dessen bewertet auch jedes Mitglied der EU die notwendige Energiepolitik anders.
Das Problem der Abhängigkeit von Erdgasimporten lässt sich anhand der aktuellen Daten der BP Statistical Review of World Energy June 2012 darstellen. Demnach hielt die EU 2011 nur 0,9% der weltweit verfügbaren Erdgasreserven auf dem eigenen Gebiet. Allerdings wurden im gleichen Jahr 4,7% der jährlichen weltweiten Fördermenge innerhalb der EU erzielt. Besonders prägnant wird das Bild allerdings erst, wenn man sich den Erdgasverbrauch der 27 Mitgliedsstaaten anschaut. Wie in Tabelle B zu sehen ist, hat die EU 2011 nur 34,6% des Verbrauchs durch eigene Fördermengen abdecken können. Daraus lässt sich ableiten, dass gut zwei Drittel des Gesamtbedarfs importiert werden muss.
Tabelle B
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
BP Statistical Review 2012
Abbildung 1
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Eurostat 2012
Für die Importquoten liegen leider nur Daten bis 2010 vor (vgl. Abbildung 1). Diese machen jedoch deutlich, dass die EU zu 26% vom russischen Erdgas abhängig ist, womit Russland den größten Importeur von Erdgas darstellt. Zudem ist zu erkennen, dass Norwegen, Algerien und Katar weitere wichtige Importländer sind.
Im Fall von Russland lässt sich eine besondere Abhängigkeit erkennen, die sich zudem noch erhöht, wenn man die Erdgasmengen hinzuzählt, die nicht aus Russland stammen, jedoch durch russische Pipelines nach Europa transportiert werden. Hierbei geht man von ca. 42% der europäischen Erdgasimporte aus (vgl. International Energy Agency 2008: 62). Dennoch nimmt trotz zunehmender Importe der Anteil an russischem Erdgas seit 2001 (38%), mit Ausnahme des sehr kalten Winters 2007/8, sukzessive ab (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
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Eurostat 2012
Hinsichtlich des zukünftigen Verbrauchs von Erdgas gibt es unterschiedliche Auffassungen. Eine Sichtweise geht jedoch davon aus, dass der Erdgasbedarf in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen wird. Dies wird mit den anvisierten Zielen der Richtlinie 2009/28/EG begründet, in der die EU eine Reduktion der Treibhausgase und des Energieverbrauchs festlegte und zeitgleich einen Anstieg der Erneuerbaren Energien forderte. Sollten dieses und zukünftige Ziele wirklich umgesetzt werden, würden Erdgas sowie alle anderen fossilen Brennstoffe zukünftig nur noch als ein Übergangsprodukt angesehen werden (vgl. Dickel und Westphal 2012: 5). Unterstützt wird diese Annahme auch durch die rückläufigen Verbrauchszahlen innerhalb der EU. Die abnehmende Tendenz ist nur durch die ungewöhnlich strengen Winter nicht vollkommen eindeutig zu erkennen (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3
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BP Statistical Review 2012
Um sich nun aus der bestehenden Abhängigkeit weiter zu lösen, hat die EU theoretisch drei Möglichkeiten. Sie kann entweder die inneren Faktoren, in dem Fall den Binnenmarkt für Energie, stärken, sie kann ihren Fokus vermehrt auf eine Energieaußenpolitik legen, oder sie versucht eine zufriedenstellende Mischung aus beiden Politikrichtungen zu erreichen.
4 Europäische Energieaußenpolitik
Den ersten Versuch einer europäischen Energieaußenpolitik unternahm die Kommission bereits im Jahr 2000. Allerdings wurde dieser als ein Eingriff in die Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten gewertet und war dementsprechend wenig erfolgreich (vgl. Wörz 2011: 108). Das Thema ist allerdings durch die Osterweiterung der EU und die Erkenntnis der Verwundbarkeit durch die Erdgaskonflikte Russlands mit der Ukraine wieder in den Fokus der Politik gerückt (vgl. Pollak 2010: 143). Besonders durch die Erdgaskrisen wurden die einseitigen Lieferabhängigkeiten der osteuropäischen Mitgliedsstaaten ersichtlich. Dies führte zum Ruf nach mehr Solidarität und Polen brachte sogar die Gründung einer "Energie-NATO" ins Spiel (vgl. Wörz 2011: 109). Parallel zu den Streitigkeiten der Ukraine mit Russland und damit im Nachhinein zum richtigen Zeitpunkt, erkannte die Kommission 2006, dass eine kohärente Energieaußenpolitik die Grundlage für eine sichere Energieversorgung darstellt (vgl. Grünbuch KOM(2006) 105: 16). Diese Sicherheit ist folglich von externen Faktoren bestimmt. Dazu zählen die politische Situation im Produktionsland, Lieferverträge mit Energieunternehmen, das Vorhandensein und die Förderfähigkeit von Erdgas und letztendlich auch die Transitrouten durch die diversen Staaten (vgl. Haghighi 2008: 462). Weitere Hindernisse für eine einheitliche Außenpolitik sind in der mangelnden Diversifikation der Lieferanten und der Heterogenität der einzelnen Mitgliedsstaaten zu finden (vgl. Pollak 2010: 155). Das führt dazu, dass die Energieaußenpolitik von Partnerschaften und Energiegemeinschaften, Diversifikationbestrebungen und der Koordination der mitgliedsstaatlichen Abkommen zu Drittstaaten geprägt ist. Die EU muss jedoch international „eine starke, wirksame und auf Fairness beruhende Position vertreten“ (KOM(2011) 539: 2), um die Energiemärkte der Drittstaaten zu fördern und sicherer zu machen. Durch die vor Ort in den Lieferländern erreichte Versorgungssicherheit profitiert die EU dauerhaft von stabilen Partnerschaften und verlässlichen Lieferbeziehungen. Langfristig gesehen könnte die EU so auf einen globalen Energiemarkt hinarbeiten, der sie selber weniger anfällig für eventuelle Krisen machen würde (vgl. KOM(2011) 539: 3).
Um einer einheitlichen Energieaußenpolitik näher zu kommen, hat der Rat der Europäischen Union in seiner Schlussfolgerung vom 8./9.März 2007 noch einmal ausdrücklich die Wichtigkeit der Dialoge und Partnerschaften zwischen den Verbrauchsländern untereinander, den Verbrauchsländern und Erzeugerländern und zu den Transitländern hingewiesen. Dazu gehören:
- Aushandlung eines Folgeabkommens zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland
- Intensivierung der Beziehungen zum kaspischen und zentralasiatischen Raum
- Gewährleistung der Umsetzung des Vertrages über die Energiegemeinschaft
- Nutzung der Instrumente der Europäischen Nachbarschaftspolitik
- Ausbau der Beziehungen zu Algerien, Ägypten und anderen Ländern der Maghreb Region (vgl. Rat der Europäischen Union 2007: 19)
Erschwert werden einige diese Bemühungen jedoch durch die Omnipräsenz Russlands. Wie noch zu erkennen sein wird (siehe Kapitel 4.3.2), ist die russische Regierung nicht nur innerhalb der eigenen Staatsgrenzen dominant, sondern auch außerhalb derer ist es schwer, dieser Großmacht aus dem Weg zu gehen. Durch Verbindlichkeiten und Kooperationen der Lieferländer mit Russland muss dieser Faktor immer mit in die Versorgungssicherheit einbezogen werden, auch wenn der Lieferstaat in Zentralasien oder dem kaspischen Raum liegt (vgl. Wörz 2011: 115).
4.1 Geographie der Energieaußenpolitik
„Geographie ist also eine wichtige Komponente der globalen Ressourcensuche und hat enormen Einfluss auf die strategischen Interessen und Optionen der EU“ (Pollack 2010: 164).
Abbildung 4
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Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 2012
Wie auf Abbildung 4 zu erkennen ist, befinden sich die bedeutenden Erdgasvorkommen innerhalb einer sogenannten "strategischen Ellipse", die sich über Westsibirien, den Kaukasus und die arabische Halbinsel erstreckt. Dadurch ist ersichtlich, dass die Erdgasressourcen weltweit ungleichmäßig verteilt sind. Die Europäische Union muss demnach im Rahmen ihrer Bemühungen für eine sicherere Versorgung die Verteilung und die Erreichbarkeit der Bezugsquellen in ihre Politik einbeziehen. Sie selbst war 2011 mit 1823,65 Mrd. m³ Erdgas im Besitz von nur ca. 0,9% der weltweiten Erdgasreserven und muss daher ihren Bedarf auf globaler Ebene decken. Der Hauptteil der eigenen Vorkommen befindet sich in Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland (vgl. BP Statistical Report 2012 und Abbildung 5).
Abbildung 5
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BP Statistical Review 2012
Die nächstgelegenen Quellen entlang der EU Außengrenzen und somit kostengünstige Lieferanten sind Norwegen (1% der weltweiten Vorkommen), Algerien (2%) und Russland (21%). In Nordafrika (Ägypten und Libyen) befinden sich 2% der bislang gesicherten Vorkommen. Im kaspischen Raum (Aserbaidschan, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan) und damit noch im erweiterten Einzugsbereich der EU befinden sich ca. 5% der weltweiten Vorkommen. Weiterhin wäre auch der arabische Raum mit ca. 21% noch zu den wirtschaftlich sinnvollen Lieferanten zuzuordnen. Letztendlich sind noch der Iran und Irak erwähnenswert (ca. 18%), die jedoch aufgrund von Sanktionen und kriegsähnlichen Zuständen als schwierig einzuschätzen sind (vgl. BP Statistical Review 2012). Je weiter die Bezugsquelle allerdings von der EU entfernt liegt, umso mehr steigen die Transportkosten und der Wettbewerb mit anderen Verbrauchern, wie z.B. den USA oder China. Interessant könnte daher für die Europäische Union die Region der Arktis sein, in der große Vorräte an Erdgas vermutet werden. Durch Ansprüche Dänemarks oder auch im weiteren Sinn Norwegens wäre eine Versorgung aus diesen Vorkommen für die Zukunft von enormer Bedeutung (vgl. Pollak 2010: 166).
Neu ins Spiel kommen Länder wie Katar, Australien, und Trinidad und Tobago, die als „global player“ im Flüssigerdgasmarkt angesehen werden. Da diese Form nicht leitungsgebunden ist, spielt die geographische Lage nur noch eine unterordnete Rolle. Für den Transport kann wie beim Erdöl auf Schiffe gesetzt werden (vgl. KOM(2011) 539: 11).
4.2 Instrumente der Energieaußenpolitik
Die Diversifizierung der Bezugsquellen, der Lieferanten und Transportwege und die Steigerung der Marktintegration zählen zu den Projekten von europäischem Interesse (vgl. Reichert und Voßwinkel 2011: 2). Die Diversifizierung ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und kann nicht immer mit einer Erfolgsgarantie angegangen werden. Um dies deutlich zu machen, wird in Kapitel 4.3 auf das Beispiel der Nabucco Pipeline eingegangen. Um die anfänglich genannten Ziele erreichen zu können, hat die Europäische Union im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte Abkommen und Partnerschaften gebildet. Angefangen von einfachen bilateralen Abkommen zur Sicherung der Versorgung und der Transportwege über Kooperationen mit ganzen Regionen hat die EU versucht, um sich herum ein Netzwerk aller relevanten Akteure für eine sichere Erdgasversorgung zu spannen. Dabei wurden kleine Ländergruppen wie der Westbalkan, aber auch Großmächte wie Russland mit eingebunden. Die neuste Entwicklung ist die Koordinierung der mitgliedsstaatlichen Bemühungen, bilaterale Erdgasabkommen zu schließen. Damit soll ein weiterer Schritt auf dem schon lange angestrebten Weg zu einer gemeinsamen und kohärenten Energieaußenpolitik gemacht werden.
Bei der Betrachtung der folgenden Instrumente lässt sich feststellen: Den gemeinsamen Nenner dieser Maßnahmen stellt überwiegend der Versuch dar, die nicht mitgliedsstaatlichen Märkte und Ressourcen an die Europäische Union heranzuführen und damit nutzbar zu machen.
4.2.1 Diversifizierung der Bezugsquellen
Unter der Diversifizierung versteht die Europäische Union die Ausweitung ihrer Bezugsquellen für Erdgas. Sie ist der Ansicht, dass bis 2020 jede europäische Region einen physischen Zugang zu mindestens zwei unterschiedlichen Erdgasquellen haben sollte (vgl. KOM(2010) 677: 12). Die Diversifikation bezieht sich demnach einerseits auf die Energielieferanten, aber andererseits auch auf die Transportwege. Ein Transportweg in Form einer Pipeline kann zudem von mehreren Ländern beliefert werden, um die Auslastung der Leitung jederzeit zu gewährleisten. Eine mögliche Alternative zur physischen Verbindung stellt der Import von Flüssigerdgas dar, da dieser nicht Leitungsgebunden ist. So wäre es möglich, auch Lieferanten außerhalb der Reichweite von festen Transportnetzwerken zu erreichen und das Erdgas per Schiff zu importieren. Dafür wird aber eine besondere Infrastruktur in Form von Verflüssigungs- und Entflüssigungsterminals in den beteiligten Staaten benötigt.
Ausbau der Pipelines
Aufgrund der bereits skizzierten rückläufigen Produktion von Erdgas innerhalb der EU und dem Bedenken über einseitige Energieversorgung strebt die Union den Bau neuer Pipelines an. Die geplanten Leitungen können in zwei Kategorien eingeteilt werden. Die erste Kategorie stellt Transportwege zu neuen Erdgasquellen dar (z.B. Nabucco für Zentralasien oder die Medgaz-Pipeline für Nordafrika), die zweite Kategorie sind hingegen alternative Routen für bereits bestehende Bezugsquellen (wie z.B. Russland). Die erste Variante erhöht demnach nicht nur die Liefermenge, sondern führt auch zu einer Diversifikation der Erdgasquellen. Die zweite Variante erhöht zwar die Liefermenge, allerdings verändert sie nicht die Anzahl der unterschiedlichen Quellen (vgl. Pollak 2010: 162).
Die Kommission hat in ihrer Mitteilung Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 und danach von 2010 drei verschiedene vorrangige Korridore für die Transportwege festgelegt (vgl. KOM(2010) 677: 12). Einer davon ist der südliche Korridor, in dem auch die Nabucco verlaufen soll. Über diesen Transportweg sollen bis zum Jahr 2020 ca. 10-20% der Erdgasnachfrage der Europäischen Union transportiert werden können (vgl. KOM(2011) 539: 5). Um genau in dieser Region tätig zu werden, hat die EU 2011 erstmals ein Mandat erhalten, damit sie mit den Vertragspartnern, in dem Fall Aserbaidschan und Turkmenistan, über den Bau einer transkaspischen Pipeline verhandeln kann (vgl. KOM(2011) 539: 5). „The Commission would replace national negotiators instead of […] sitting alongside them“ (vgl. Buchan 2012: 43). Die Union tritt dabei als selbstständiger und selbstbewusster Unterhändler für die Mitgliedsstaaten auf. Dies stellt einen Meilenstein in der Energieaußenpolitik der Union dar, da erstmals, vorbehaltlich der Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten, eine gemeinsame und koordinierte externe Energiepolitik betrieben werden kann. Der Bau dieser transkaspischen Pipeline wird als ein Teil für die erfolgreiche Umsetzung der Nabucco Pipeline betrachtet, da sie als direkter Zulieferer für dieses Großprojekt fungieren kann (vgl. Pressemitteilung IP/11/1023).
Flüssigerdgas als Alternative
Die Diversifikation von Lieferquellen kann nicht nur durch Pipelines zu neuen Bezugsquellen abgedeckt werden, sondern ist auch durch den Ausbau des Flüssigerdgasanteils erreichbar. Um diesen Anteil an der EU Erdgasversorgung merklich zu steigern, muss die Union mit den Hauptlieferländern Katar, Australien, und Trinidad und Tobago eine Kooperation anstreben und dabei mit den signifikanten Verbrauchsländern Japan, China und Indien in den Wettbewerb treten (vgl. KOM(2011) 539: 11). Der Vorteil dieser Lieferländer liegt in der überwiegend vorhandenen politischen Stabilität im Gegensatz zu den jetzigen Bezugsländern der EU.
Momentan werden 21 LNG Terminals in der EU betrieben (hauptsächlich Großbritannien, Frankreich, und Spanien) und ermöglichen einen jährlichen Umsatz von ca. 180 Mrd. m³ und damit ca. 40% des jährlichen Erdgasbedarfs. Diese bestehenden Anlagen sollen in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden, wodurch sich die Kapazitäten noch erhöhen sollen. Zudem befinden sich sechs weitere Anlagen im Bau, die eine zusätzliche Kapazität von 31 Mrd. m³ Erdgas bereitstellen sollen. Diese Anlagen werden bis 2016 in Betrieb gehen können (vgl. Gas Infrastructure Europe). Damit würde zwar weiterhin nur ein Teil der Nachfrage der Union abgedeckt werden (447,9 Mrd. m³ 2011, siehe Kapitel 3.2), jedoch würde dies schon ein weiterer Schritt Richtung Versorgungssicherheit sein.
Wie eingangs beschrieben, gehen diese Diversifizierungsbemühungen mit bi- und multilateralen Abkommen mit Drittstaaten und den Nachbarländern der EU einher. Dort werden z.B. die Transitstrecken verhandelt oder Lieferabkommen beschlossen. Aus diesem Grund macht es Sinn, nachfolgend einige dieser Abkommen näher zu erläutern.
4.2.2 Energiecharta
Die europäische Energiecharta soll einen Rahmen für die Zusammenarbeit der europäischen Staaten mit anderen Industrienationen schaffen. Sie umfasst heutzutage 53 Staaten aus Europa, Asien und Australien, sowie Beobachterstaaten aus Afrika, Asien und Amerika. Durch diesen Zuwachs an Teilnehmern kann man daher nicht mehr nur von einem europäischen Ansatz reden. Vielmehr handelt es sich um einen globalen Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit im Energiebereich (vgl. Nötzold 2011: 262). Es wird zudem angestrebt, die Mitgliedschaften auf Nordafrika und den Fernen Osten auszuweiten, um die Staaten in diesen Regionen besser einzubinden (vgl. KOM(2011) 539: 14).
Die Idee für diesen Vertrag wurde erstmals 1990 formuliert und die Energiecharta wurde nach langen Verhandlungen 1994 unterzeichnet. 1998 trat der Vertrag in Kraft (vgl. Energy Charta). Wichtige Ziele sind einerseits der Handel der Energieträger nach den gelten GATT-Bestimmungen und anderseits die Erleichterung des Transits der Rohstoffe. Beim letztgenannten sollen besondere Maßnahmen ergriffen werden, die einer Ungleichbehandlung, wie z.B. Bevorzugung beim Transport von Energieträgern entgegenwirken und die im Fall von Streitigkeiten über die Transitmodalitäten Lieferunterbrechungen ausschließen. Ein weiterer Punkt ist der Schutz von Investitionen und die nicht-Diskriminierung von Investoren (vgl. Europäische Energiecharta 2007).
Ein großes Problem stellt jedoch die Nichtratifizierung des Vertrags in einigen Unterzeichnerstaaten dar, da momentan nur 48 Partner den Vertrag auch tatsächlich ratifiziert haben. Allen voran weigert sich Russland seit der Unterzeichnung, die Energiecharta zu ratifizieren. Russland macht damit klar, dass es zum momentanen Zeitpunkt noch nicht bereit ist, seinen Energiesektor marktwirtschaftlich zu reformieren. Russland könnte durch diesen Schritt z.B. sein Transportmonopol nicht mehr aufrecht erhalten und Streitigkeiten wie im Fall mit der Ukraine wären nicht mehr zulässig (vgl. Nötzold 2011: 262). Die EU sieht es als Vorteil für beide Vertragspartner an, wenn Russland den Vertrag vollständig ratifizieren würde, um seinen Aufgaben im globalen Energiemarkt gerecht zu werden (vgl. KOM(2011) 539: 14).
4.2.3 Weitere Energiepartnerschaften
Die Energiepartnerschaften sind für die EU stabile und langfristige Kooperations- und Dialogmöglichkeiten mit den wichtigsten zukünftigen und potentiellen Liefer- und Transitstaaten (vgl. KOM(2011) 539: 10). Zu diesem „Mosaik aus Dialogen und weitreichenden Kooperationen bilateraler und multilateraler Natur“ (Westphal 2007) gehören die Energiedialoge, die Europäische Nachbarschaftspolitik, die Energiegemeinschaften, sowie regionale Abkommen, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden. Dabei wird sich herausstellen, dass sich sowohl die beteiligten Länder in den verschiedenen Programmen wiederfinden, als auch die Maßnahmen sich wiederholen.
Bilaterale Energiedialoge
Die Europäische Union hat mit einigen Staaten sogenannte Energiedialoge gestartet. Dazu gehören die wichtigsten Lieferanten wie Norwegen, Russland oder der kaspische Raum und die bedeutenden Transitstaaten wie die Ukraine und die Türkei.
Der direkte Nachbar Norwegen wendet seit dem Inkrafttreten des Europäischen Wirtschaftsraums von 1994 bereits einen Großteil der Binnenmarktbestimmungen der EU an. Dabei sind wichtige Themen des Dialogs die Energieversorgungssicherheit, Forschung und die Produktionsmöglichkeiten in der Arktis (vgl. Europäische Kommission 2012e).
Mit dem wichtigsten Erdgaslieferanten Russland wurde bereits im Jahr 1994 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen beschlossen. Durch diesen politischen Rahmen sollten der Handel, die Investitionsmöglichkeiten und die Beziehungen zu Russland gefördert werden. Dieses Abkommen wird als rechtliche Basis für den Energiedialog der EU mit Russland angesehen. Im Jahr 2000 wurde dann die Gründung eines regelmäßigen Energiedialogs beschlossen. Die Ziele dieses Dialogs sind die Verbesserung der Investitionsmöglichkeiten, um auch zukünftige Produktion zu gewährleisten, die Transportinfrastruktur sicherer zu gestalten und auszubauen und den Energiemarkt zu öffnen. Zudem wurde nach der Erdgaskrise 2009 mit der Ukraine ein Frühwarnmechanismus eingeführt, der Lieferunterbrechungen durch Informationspflicht und Konsultationsmechanismen vorbeugen soll (vgl. Europäische Kommission 2012f).
Mit der Ukraine, durch die ca. 20% der Erdgasimporte der Europäischen Union transportiert werden und die damit das wichtigste Transitland der EU darstellt, pflegt die Union seit 2001 eine bilaterale Kooperation. Die bedeutendsten Ziele der Zusammenarbeit sind die Gewährleistung der Leistungsfähigkeit, die Sicherheit und die Verlässlichkeit der ukrainischen Erdgastransportnetzwerke (vgl. Europäische Kommission 2012d). Seit 2009 engagiert sich die EU deshalb in der Modernisierung der ukrainischen Erdgasinfrastruktur und erteilt im technischen aber auch finanziellen Bereich Unterstützung (vgl. European Union External Action 2012).
Europäische Nachbarschaftspolitik
Die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde entwickelt, um Unterschiede zwischen der erweiterten EU nach 2004 und den Nachbarstaaten zu reduzieren und deren Wohlstand, Stabilität und Sicherheit zu stärken. Die Europäische Kommission hat zu diesem Zweck 2004 ein Strategiepapier entwickelt, in dem verschiedene Aktionspläne erarbeitet wurden. Die EU sieht darin die strategischen Energiepartnerschaften als ein wichtiges Element der Nachbarschaftspolitik an, da sie „die Sicherheit der Energieversorgung sowie Sicherheit und Gefahrenabwehr im Energiebereich “ (KOM(2004) 373: 18) umfasst. Weiter wurde von der Kommission in dem Papier vorgesehen, „zusammen mit den Partnerländern eine Reihe an Prioritäten festzulegen, deren Erfüllung sie näher an die Europäische Union heranrückt.“ Diese Prioritäten beziehen sich auf „Handel und Maßnahmen für die Vorbereitung der Partner auf die allmähliche Teilnahme am EU-Binnenmarkt“ (KOM(2004) 373: 3), z.B. in den Bereichen von Energie, Umwelt, Forschung und Innovation (vgl. KOM(2004) 373: 3). Damit wird direkt die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Nachbarländer angesprochen, die zusammen mit Forschung und Innovation zu einer Verbesserung der Energieexporte führen soll. Im Fokus der EU sind Lieferanten oder potentielle Lieferanten, mit denen die Union z.B. eine Optimierung der Energienetzverbindungen anstrebt. Genannt werden in dem Zusammenhang Russland, Algerien, Ägypten und Libyen und die wichtigen Transitländer Ukraine, Weißrussland, Marokko und Tunesien, die allesamt einen verbesserten Zugang zum EU-Energiebinnenmarkt anstreben. Darüber hinaus wird die Bedeutung des südlichen Kaukasus, des kaspischen Meers und Zentralasiens erwähnt (vgl. KOM(2004) 373: 18).
Die Europäische Nachbarschaftspolitik hängt eng mit dem INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe) Abkommen zusammen. Dieses wurde 1996 entwickelt und stellt seit 2001 ein internationales Rahmenabkommen dar, dem 12 Staaten[1] angehören. Es wurden in dem Zusammenhang wichtige Transportwege definiert, Machbarkeitsstudien durchgeführt, bestehende Netze repariert und Speicherkapazitäten finanziert. Damit unterstützt dieses Programm einerseits den Ausbau der transeuropäischen Netzinfrastruktur, anderseits ist es mit Hilfe der Nachbarschaftspolitik ein Instrument, um die Ressourcen der Vertragsstaaten an den EU Energiemarkt zu binden (vgl. Westphal 2007).
Energiegemeinschaft
Mit dem Vertrag zur Gründung der Energiegemeinschaft, der 2006 für zehn Jahre beschlossen wurde, wurde mit dem Hintergrund „der sozioökonomischen Stabilität und der Versorgungssicherheit“ (Pressemitteilung IP/11/1223) ein integrierter Energiemarkt für die EU und ihre Vertragspartner[2] geschaffen. Die Europäische Kommission übernimmt dabei die Koordination dieser Gemeinschaft. Die Ziele der Energiegemeinschaft sind ein stabiler rechtlicher Rahmen um Investitionen, einheitliche Regeln für den Handel mit Energie und die grenzüberschreitenden Verbindungen zu ermöglichen und zu schützen (vgl. Beschluss des Rates 2006/500/EG). Zudem soll in den Ländern der Vertragspartner ein Markt geschaffen werden, der langfristig vollständig in den europäischen Energiebinnenmarkt integriert werden kann. Es wurden hinsichtlich des rechtlichen Rahmens schon erhebliche Fortschritte gemacht, für die Zukunft jedoch muss verstärkt in die Modernisierung der Erdgasverbindungen investiert werden. Momentan verfügt die Energiegemeinschaft über einen Haushalt von 3 Mio. Euro, die zu 98% von der Union gestellt werden (vgl. Pressemitteilung IP/11/1223).
Die Türkei ist aufgrund ihrer geographischen Lage die „Brücke“ in den kaspischen und arabischen Raum, um die dort vorhandenen Erdgasressourcen nach Europa exportieren zu können. Aufgrund schon bestehender oder auch geplanter Pipelines (u.a. Nabucco) hat die EU ein besonderes Interesse, die Türkei in die Energiegemeinschaft zu integrieren (vgl. Europäische Kommission 2012c). Bisher ist ein Beitritt jedoch daran gescheitert, dass die Türkei zeitgleich eine Vollmitgliedschaft in der EU anstrebt (vgl. Buchan 2012: 40). Daher gab es im Juni 2012 ein Treffen des EU Kommissars für Energie, Günther Oettinger, und dem türkischen Minister für EU Angelegenheiten, um über weitere Energieabkommen zu diskutieren (vgl. Europäische Kommission 2012c). Der Stand der Verhandlungen ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.
Regionale Kooperationen
Im Laufe der Zeit hat die Europäische Union mit verschiedenen Regionen der Welt Kooperationen gegründet. Dazu zählen die Zentralasienstrategie, die Schwarzmeersynergien und die Mittelmeerunion.
Bei der Zentralasienstrategie handelt es sich um eine Partnerschaft insbesondere mit Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan aber auch dem Iran, Irak und Afghanistan. Die Erschließung von Erdgasquellen hat diese Länder als Produzenten und Transitstaaten zunehmend in den Fokus gerückt und Lieferungen aus diesen Regionen haben dementsprechend an Bedeutung für die Europäische Union gewonnen. Es soll demnach ein verstärkter Dialog im Rahmen der Baku-Initiative[3] geführt werden. Die EU unterstützt Investitionen in die Infrastruktur, um die Sicherheit der Lieferungen und des Transits zu verbessern. Die Union möchte zudem marktorientiere Rahmenbedingungen schaffen, um die Möglichkeiten aller Akteure zu erhöhen und die Preise bestmöglich zu gestalten (vgl. Auswärtiges Amt 2007: 10 ff.).
Ähnliches gilt ebenfalls für die Schwarzmeersynergien, zu der Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Moldau, Ukraine, Russland, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und die Türkei gehören. Auch hier befinden sich wichtige Produktions- und Transitländer für Erdgas. Wiederholt kommt die Initiative von Baku ins Spiel, mit der die EU den Dialog mit diesen Staaten sucht. Die Anliegen der Union sind die Modernisierung und der Neubau von energiewirtschaftlicher Infrastruktur und die Schaffung eines Energietransportkorridors aus der kaspischen Region und dem Schwarzmeerraum (vgl. KOM(2007) 160: 5 f.).
Die Mittelmeerunion, die 2008 aufbauend auf dem Barcelona-Prozess gegründet wurde, umfasst alle 27 EU Mitgliedsstaaten und 16 Partner aus dem südlichen Mittelmeerraum, Afrika und dem Nahen Osten[4]. Der dafür entwickelte Aktionsplan enthält Maßnahmen für den Zeitraum bis 2013, um die Energieaußenpolitik der EU voranzutreiben. Die Maßnahmen beziehen sich auch bei diesem Programm wieder auf den Ausbau der Infrastruktur, Investitionen und der Integration der Energiemärkte. Die EU wird zu diesem Zweck in dem Zeitraum 3,2 Mrd. Euro zur Verfügung stellen (vgl. Pressemitteilung IP/07/1945). Nach den Revolutionen in Nordafrika nimmt die Bedeutung der Mittelmeerregion für die Energieversorgung wieder zu. Die EU muss sich deshalb aktiv in die Förderung der dortigen Infrastruktur einbinden (vgl. KOM(2011) 539: 6).
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[1] Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan (vgl. INOGATE)
[2] Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und der Kosovo gemäß der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (vgl. Beschluss des Rates 2006/500/EG). Seit neusten gehören auch die Ukraine und Moldau mit zur Energiegemeinschaft (vgl. KOM(2011) 539: 7)
[3] Die Baku-Initiative wurde 2004 ins Leben gerufen und zielt darauf ab, „ to facilitate the progressive integration of the energy markets of this region into the EU market as well as the transportation of the extensive Caspian oil and gas resources towards Europe, be it transiting through Russia or via other routes such as Iran and Turkey“ (Europäische Kommission 2006). Dabei stehen die Entwicklung der regionalen Energiemärkte und die Integration hin zum EU Energiemarkt, die Erhöhung des Investitionsanreizes, die Energieeffizienz und die Sicherung der Energieproduktion und Transporte im Mittelpunkt (vgl. Europäische Kommission 2006).
[4] Ägypten, Albanien, Algerien, Bosnien und Herzegowina, Israel, Jordanien, Kroatien, Libanon, Marokko, Mauretanien, Monaco, Montenegro, die Palästinensische Autonomiebehörde, Syrien, Tunesien und die Türkei (Europäischer Auswärtiger Dienst 2012).
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783955496265
- ISBN (Paperback)
- 9783955491260
- Dateigröße
- 669 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Osnabrück
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2
- Schlagworte
- Nabucco Versorgungssicherheit Energieversorgung EU Europäische Union Pipeline
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing