Immaterielle Vermögenswerte: Bilanzpolitische Gestaltungsspielräume in IAS/IFRS-Abschlüssen
©2012
Diplomarbeit
67 Seiten
Zusammenfassung
Die von einem Unternehmen gehaltenen immateriellen Werte nehmen oftmals eine Schlüsselstellung als erfolgsentscheidender Faktor ein. Zugleich finden immaterielle Vermögenswerte, insbesondere bei Unternehmen welche dem Informations-, Dienstleistungs- oder Technologiesektor hinzuzurechnen sind, auch zunehmend Niederschlag in der Unternehmensbilanz. Unlängst erweisen sich immaterielle Vermögenswerte in der Rechnungslegungspraxis aber auch als zentrale Stellschraube der Bilanzpolitik. Die diese Werte typisierende Eigenschaft der Immaterialität wirft oftmals Objektivierungsschwierigkeiten auf und birgt unter anderem die Gefahr eines rein „virtuellen Vermögens“. Die zunehmende Verschiebung der Bedeutung klassischer Substanzwerte, relativ zu den immateriellen Werten eines Unternehmens, stellt somit auch neue Herausforderungen an die Rechnungslegung dar. Welche Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte, sowie Ermessensspielräume sich in IAS/IFRS-Abschlüssen bei immateriellen Vermögenswerten und dem derivativen Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) ergeben und somit die Zielsetzung einer „Fair Presentation“ konterkarieren können, soll hierbei Inhalt des vorliegenden Buches sein.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
IASCF
International Accounting Standards Committee Foundation
IFRIC
International Financial Reporting Interpretations Committee
IFRS
International Financial Reporting Standard(s)
IOSCO
International Organization of Securities Commissions
Jg.
Jahrgang
KapAEG
Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (Kurzform)
KonTraG
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
Nr.
Nummer
NYSE
New York Stock Exchange
o. ¨
A.
oder ¨
Ahnliche(s)
RegE
Regierungsentwurf
s.
siehe
S.
Seite(n)
SEC
Securities and Exchange Commissions
SIC
Standing Interpretations Committee
sog.
so genannte(r/s)
TEUR
Tausend Euro
u.a.
unter anderem
vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
zzgl.
zuz¨uglich
IV
Abk ¨urzungsverzeichnis f ¨ur Zeitschriften und Zeitungen
BB
Betriebs-Berater
DB
Der Betrieb
GmbHR
GmbH-Rundschau
KoR
IFRS
Zeitschrift f¨ur internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungs-
legung
PiR
Praxis der internationalen Rechnungslegung
ST
Der Schweizer Treuh¨ander
V
Beispielverzeichnis
Beispiel 1: Goodwill-Ermittlung anhand der Partial Goodwill-Methode . . . . . . . . . . . . . Seite 27
Beispiel 2: Goodwill-Ermittlung anhand der Full Goodwill-Methode
Fair Value der nicht-beherrschenden Anteile auf einem aktiven Markt . . . . . . . . . . . . . . . Seite 28
Beispiel 3: Goodwill-Ermittlung anhand der Full Goodwill-Methode
Fair Value der nicht-beherrschenden Anteile bei linearer Hochrechnung . . . . . . . . . . . . . Seite 29
Beispiel 4: Partial Goodwill-Methode und Full Goodwill-Methode
¨
Uberbewertung nicht-beherrschender Anteile - aktiver Markt (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 47
Beispiel 5: Partial Goodwill-Methode und Full Goodwill-Methode
¨
Uberbewertung nicht-beherrschender Anteile - aktiver Markt (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 48
VI
1
Einleitung
1.1
Einf ¨uhrende Worte zur Thematik
Die erste Dekade des neuen Jahrtausends zeichnete sich aus globaler Sicht insbesondere
durch ein rasantes Wachstum jener Branchen aus, welche dem Informations-, Dienstleistungs-
und Technologiesektor hinzuzurechnen sind.
1
Ein typisches Charakteristikum solcher Bran-
chen ist dessen, gemessen an der Bilanzsumme, hoher Anteil an gehaltenem immateriellen
Verm¨ogen in der Unternehmensbilanz.
2
Unl¨angst kommt immateriellem Verm¨ogen aber
auch branchen¨ubergreifend h¨aufig eine Schl
¨usselstellung, als erfolgsentscheidender Faktor,
zu.
3
Die zunehmende Verschiebung der Bedeutung klassischer Substanzwerte, relativ zu
immateriellen Werten, stellt auch neue Herausforderungen an die Rechnungslegung dar.
4
Die diese Werte typisierende Eigenschaft der Immaterialit¨at begr¨undet jedoch auch die
oftmals bestehenden Objektivierungsschwierigkeiten solcher Werte, welche Bilanzierungs- und
Bewertungsspielr¨aume er¨offnen k¨onnen. So betitelte Moxter bereits fr¨uh immaterielle Werte
als die
"
ewigen Sorgenkinder des Bilanzrechts"
5
. Den aktivierten immateriellen Werten stehen
in der Regel keine zeitlich unmittelbar korrespondierenden Ertr¨age gegen¨uber, welches diese
h¨aufig als
"
unsichere Werte" erscheinen l¨asst.
6
Bleiben die aus diesen Werten erhofften Ertr¨age
hingegen g¨anzlich aus, bergen sich potentielle Gefahren aus einem solchen, rein
"
virtuellen
Verm¨ogen".
7
Zu beobachten ist zudem eine immer st¨arker werdende internationale Verzahnung des
Finanzmarktsektors, welches sich in einer vermehrt grenz¨uberschreitenden Kapitalbeschaf-
fungspraxis global operierender Unternehmen, sowie einer zunehmenden Relativierung
geographischer Entfernungen f¨ur die Investitionsentscheidung verschiedener Kapitalgeber
manifestiert.
8
Insbesondere verlangt diese, sich auf vielen Ebenen vollziehende, globale
Vernetzung nach einheitlichen Rechnungslegungsstandards, prim¨ar um dem gestiegenen
Informationsbedarf der verschiedenen Abschlussadressaten kapitalmarktorientierter Unterneh-
men nach international vergleichbaren Einzel- und Konzernabschl
¨ussen gerecht zu werden.
Unterschiedliche Rechnungslegungssysteme haben u.a. zur Folge, dass der Ergebnis- und
Eigenkapitalausweis eines Unternehmens, abh¨angig von den angewandten Rechnungslegungs-
1
Vgl. BEHR / LEIBFRIED (2001), ST, S. 1127 ff.
2
Vgl. LUTZ-INGOLD (2005), S. 1.
3
Vgl. DOBLER / KURZ (2007), KoR
IFRS
, S. 485; VELTE (2008), S. 1 ff.; LUTZ-INGOLD (2005), S. 1 f.;
HEUSER / THEILE (2009), S. 152; MOSER (2011), S. 29-30. Insbesondere l¨asst sich eine ¨uber dem Buchwert
liegende Marktkapitalisierung oftmals auf nicht-aktivierte immaterielle Verm¨ogenswerte zur¨uckf¨uhren. Vgl. hierzu
auch ACHLEITNER / BEHR / SCH ¨
AFER (2009), S. 91 f.
4
Vgl. ACHLEITNER / BEHR / SCH ¨
AFER (2009), S. 92; CLAUSS (2012), S. 3.
5
Vgl. MOXTER (1979), BB, S. 1102.
6
Vgl. VELTE (2008), S. 1 f.
7
Vgl. LUTZ-INGOLD (2005), S. 3.
8
Vgl. WAGENHOFER (2009), S. 28-29.
1
vorschriften, stark divergiert.
9
Dies ist h¨aufig bei Unternehmen zu beobachten, welche Cross
Border Listings aufweisen. Urs¨achlich f¨ur solche Divergenzen sind vor allem die unterschiedli-
chen Zielsetzungen der jeweiligen Rechnungslegungssysteme, sowie Unterschiede hinsichtlich
der M¨oglichkeit Bilanzierungs- und/oder Bewertungswahlrechte und Ermessensspielr¨aume
aus¨uben zu k¨onnen.
10
Mit der Implementierung der International Accounting Standards / International Finan-
cial Reporting Standards (IAS/IFRS) in der Europ¨aischen Union (EU) durch den Erlass der
Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 (sog.
"
IAS-Verordnung") am 19. Juli 2002 erfolgte ein großer
Schritt in Richtung Harmonisierung der Rechnungslegung.
11
F¨ur Gesch¨aftsjahre beginnend ab
dem 1. Januar 2005 besteht nunmehr f¨ur kapitalmarktorientierte
12
Unternehmen mit Sitz in
der EU die Verpflichtung, Konzernabschl¨usse fortan entsprechend den IAS/IFRS-Vorschriften
(IAS/IFRS-Abschluss) zu erstellen.
13
Existierten vormals noch Befreiungen von dieser Pflicht,
sind nunmehr seit dem 1. Januar 2007 konsolidierte Abschl¨usse kapitalmarktorientierter Unter-
nehmen mit Sitz in der EU ausnahmslos gem¨aß den IAS/IFRS-Vorschriften aufzustellen.
14
In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurde die
"
IAS-Verordnung" mit der Verabschie-
dung des Bilanzrechtsreformgesetzes (BilReG) am 29.10.2004 und der damit einhergehenden
Erg¨anzung des Handelsgesetzbuches (HGB) um
§315a HGB in nationales Recht umgesetzt.
15
Neben der nunmehr bestehenden IAS/IFRS-Pflicht f¨ur Konzernabschl¨usse kapitalmarkt-
orientierter Unternehmen, besteht f¨ur nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen mit Sitz
in der BRD gem¨aß
§315a Abs. 3 HGB ein IAS/IFRS-Wahlrecht mit befreiender Wirkung
(f¨ur den HGB-Konzernabschluss). Einzelabschl¨usse sind weiterhin f¨ur alle Unternehmen
entsprechend den HGB-Vorschriften zu erstellen. Die zus¨atzliche Erstellung eines IAS/IFRS-
Einzelabschlusses ist jedoch f¨ur alle Unternehmen optional.
16
Fundamentale Unterschiede
zwischen beiden Rechnungslegungssystemen ergeben sich aus der Tatsache, dass die IAS/IFRS
der, vor allem im angels¨achsischen Raum verbreiteten
"
case law" (Fallrecht) ¨ahnelt, das HGB
hingegen als
"
code law" (kodifiziertes Recht), welche vornehmlich im kontinentaleurop¨aischen
Rechtskreis angesiedelt ist, ausgestaltet ist.
17
9
Vgl. WAGENHOFER (2009), S. 20 f.
10
Vgl. HEUSER / THEILE (2009), S. 4 ff.
11
Verordnung (EG) Nr. 1606/2002. Zur Entstehungsgeschichte der IAS/IFRS-Rechnungslegung siehe A.3 (An-
hang), S. 43-46.
12
Genauer: Sofern eine Wertpapierzulassung zum Handel in einem regulierten Markt eines EU-Mitgliedsstaates
besteht oder angestrebt wird.
13
Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002.
14
Art. 4 und Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002; vgl. auch REINKE (2009), S. 7.
15
BGBl. I 2004, S. 3166 ff.;
§315a HGB; vgl. auch CLAUSS (2012), S. 11.
16
§325 Abs. 2a HGB i.V.m. §325 Abs. 2b HGB.
17
Das deutlich umfangreichere IAS/IFRS-Regelwerk ist auf diesen Umstand zur¨uckzuf¨uhren, da es als
"
case
law", im Unterschied zum
"
code law", welches aus der Formulierung genereller Normen besteht, aus zahlrei-
chen Einzelfallentscheidungen der Vergangenheit abgeleitet wird (z.B. Pr¨azedenzurteile). Vgl. hierzu u.a. LUTZ-
INGOLD (2005), S. 33, S. 149; REINKE (2010), S. 9; HEUSER /THEILE (2009), S. 1 ff.
2
1.2
Problemstellung
Prim¨ares Ziel der IAS/IFRS-Rechnungslegung hinsichtlich der zu erstellenden Abschl¨usse ist
das Bereitstellen von Informationen ¨uber die Verm¨ogens-, Finanz- und Ertragslage eines Unter-
nehmens f¨ur dessen unterschiedliche Abschlussadressaten (
"
Decision Usefullness-Konzept").
18
Diese Zielsetzung manifestiert sich auch in dem dominierenden Grundsatz der IAS/IFRS-
Rechnungslegung, der so genannten
"
Fair Presentation", welche einen, den tats¨achlichen
wirtschaftlichen Verh¨altnissen entsprechenden Abschluss verlangt. Dieser Grundsatz ist zwar
in den Rechnungslegungsvorschriften des HGB auch enthalten, tritt jedoch nach h.M. hinter
das
"
Vorsichtsprinzip" zur¨uck, welches Auswuchs der Zielsetzung der Aussch¨uttungs- und
Steuerbemessungsfunktion des HGB-Abschlusses ist.
19
Das erkl¨arte Ziel der
"
Fair Presentation" von Verm¨ogens-, Finanz- und Ertragslage eines
Unternehmens in IAS/IFRS-Abschl¨ussen l¨aßt hoffen, dass bilanzpolitischen Spielr
¨aumen zum
Schutz der Abschlussadressaten nunmehr Einhalt geboten worden ist. Ein die tats¨achlichen
wirtschaftlichen Verh¨altnisse abbildender Abschluss sollte implizieren, dass die M¨oglichkeiten
abschlusspolitische Potenziale auszusch¨opfen gemindert worden sind.
Inwiefern bilanzpolitische Gestaltungsspielr¨aume auch IAS/IFRS-Abschl¨usse verzerren
k¨onnen und somit die Zielsetzung einer
"
Fair Presentation" konterkarieren, soll im Rahmen
dieser Arbeit exemplarisch anhand einer Analyse der immateriellen Verm¨ogenswerte des
IAS 38 (Immaterielle Verm¨ogenswerte), sowie der im Rahmen einer Unternehmensak-
quise im Sinne des IFRS 3 (Unternehmenszusammenschl¨usse) erworbenen immateriellen
Verm¨ogenswerte und dem derivativen Gesch¨afts- oder Firmenwert untersucht werden. Dabei
soll eine m¨oglichst pr¨azise ¨
Ubersicht ¨uber etwaige Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte,
sowie jene Ermessensspielr¨aume gegeben werden, welche sich im Hinblick auf immaterielle
Verm¨ogenswerte als Stellschraube der Bilanzpolitik erweisen. Eine Untersuchung immateri-
eller Verm¨ogenswerte erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders sinnvoll, da eben
diese, wie eingangs erw¨ahnt, h¨aufig gr¨oßeren Objektivierungsschwierigkeiten unterliegen als
materielle Verm¨ogenswerte.
1.3
Gang der Untersuchung
Die einem Unternehmen zur Verf¨ugung stehenden immateriellen Posten k¨onnen sehr unter-
schiedlicher Natur sein. Zu den immateriellen Posten z¨ahlen u.a. Software, Patente, Lizenzen,
Urheberrechte, Markennamen, Kundenlisten, aber auch Humankapital (z.B. spezifisches Mitar-
18
F.9 i.V.m. IAS 1.9 [F: Framework]. Zur Einordnung des Framework in das Gesamtkonzept der IAS/IFRS-
Rechnungslegung s. Abschnitt 2.
19
§264 Abs. 2 HGB, §252 Abs. 1 S. 4 HGB; vgl. auch HEUSER / THEILE (2009), S. 4 ff.
3
beiterwissen), oder aber Standortvorteile eines Unternehmens.
20
Unterdessen finden nicht alle
immateriellen Posten Eingang in die Bilanz eines Unternehmens. Nicht bilanzierungsf¨ahige im-
materielle Posten erh¨ohen zwar unter Umst¨anden den origin¨aren Gesch¨afts- oder Firmenwert
eines Unternehmens, sind jedoch nicht Teil dessen Aktiva. Eine n¨ahere Betrachtung jener Kri-
terien, welche ausschlaggebend sind f¨ur die Aktivierungsf¨ahigkeit eines immateriellen Postens,
sowie eine Untersuchung der Zugangsbewertungsvorschriften f¨ur ansatzf¨ahige Verm¨ogenswerte
erfolgt hierbei in Abschnitt 2 (Immaterielle Verm
¨ogenswerte nach IAS/IFRS) und Abschnitt 3
(Ansatz- und Zugangsbewertungsvorschriften). Unter der Pr¨amisse, dass Verm¨ogenswerte oft-
mals im Zeitverlauf einem Wertverfall unterliegen, m¨ussen Methoden herangezogen werden,
welche eine Abbildung der Buchwerte der Verm¨ogenswerte nahe deren tats¨achlichen Wert
erm¨oglicht. Diesem Folgebewertungsaspekt widmen sich Abschnitt 4 (Folgebewertung) und
Abschnitt 5 (Impairment-Test gem
¨aß IAS 36), welche zugleich thematisch eine Einheit bilden.
In der, auf den Hauptteil folgenden, kritischen W¨urdigung abschlusspolitischer Gestaltungs-
spielr¨aume bei immateriellen Verm¨ogenswerten in Abschnitt 6 (Abschlussbetrachtung) sollen
sodann die wesentlichen, die IAS/IFRS-Rechnungslegung typisierenden, bilanzpolitischen Ele-
mente in einen Kontext mit dessen Zielsetzungen der
"
Fair Presentation" und dem
"
Decision
Usefullness-Konzept" gesetzt werden.
2
Immaterielle Verm¨ogenswerte nach IAS/IFRS
In der Literatur besteht h¨aufig keine konsistente Begriffsverwendung f¨ur die immateriellen
Posten eines Unternehmens. Unterdessen werden Begriffe wie immaterielle G
¨uter, immateriel-
le Werte, immaterielles Verm¨ogen, Intangibles, Intangible Capital, oder aber auch Intellectual
Capital und einige weitere nahezu synonym verwendet.
21
Verwendung finden soll in dieser
Arbeit jedoch nur der bilanzrechtliche Begriff
"
immaterielle Verm¨ogenswerte" des IAS/IFRS-
Regelwerkes.
22
Steht die Verm¨ogenswerteigenschaft hingegen noch zur Disposition, oder aber
ist eine Klassifizierung als Verm¨ogenswert auf Grund geltender Bilanzierungsvorschriften
nicht m¨oglich wird auf den im IAS/IFRS-Regelwerk gebr¨auchlichen Begriff
"
immaterieller
Posten" zur¨uckgegriffen.
23
Ferner beschr¨ankt sich diese Arbeit auf die Behandlung jener immaterieller Verm¨ogenswerte,
welche Teil des langfristigen Verm
¨ogens
24
(IAS/IFRS) sind, und somit in den Anwen-
20
Vgl. ARBEITSKREIS
"
IMMATERIELLE WERTE IM RECHNUNGSWESEN" DER SCHMALENBACH-
GESELLSCHAFT F ¨
UR BETRIEBSWIRTSCHAFT E.V. (2001), DB, S. 991.
21
Vgl. u.a. WULF (2008), S. 19; W ¨
OHRMANN (2009), S. 11.
22
Analog im Falle einer Bezugnahme auf die HGB-Rechnungslegung: Immaterieller Verm
¨ogensgegenstand.
23
Deutsche, vom IASB authorisierte, Fassung des IAS 38.
24
Das langfristige Verm
¨ogen ergibt sich hierbei aus einer Negativabgrenzung des kurzfristigen Verm¨ogens (IAS
1.60-68). Sofern im Rahmen dieser Arbeit eine Bezugnahme auf die immateriellen Verm¨ogensgegenst¨ande des
HGB erfolgt, bezieht sich diese auf die immateriellen Verm¨ogensgegenst¨ande des Anlageverm¨ogens.
4
dungsbereich des IAS 38 (Immaterielle Verm¨ogenswerte) fallen,
25
oder aber den aus einem
Unternehmenszusammenschluss im Sinne des IFRS 3 (Unternehmenszusammenschl¨usse)
erworbenen derivativen Gesch¨afts- oder Firmenwert darstellen. Immaterielle Verm¨ogenswerte
des kurzfristigen Verm
¨ogens (IAS/IFRS) finden dementsprechend keine Ber¨ucksichtigung,
da diese im Kontext einer Untersuchung abschlusspolitischer Potentiale von untergeord-
neter Bedeutung sind. Eine Bezugnahme auf die bilanzielle Behandlung immaterieller
Verm¨ogensgegenst¨ande im HGB soll indessen nur erfolgen, sofern wesentliche Abwei-
chungen zu der IAS/IFRS-Rechnungslegung erkennbar sind. Mit dem Inkrafttreten des
BilMoG am 29.5.2009 ergibt sich ohnehin eine nahezu deckungsgleiche Regelung mit der
IAS/IFRS-Rechnungslegung hinsichtlich der Ansatz- und Zugangsbewertungsvorschriften
f¨ur immaterielle Verm¨ogensgegenst¨ande.
26
Hinsichtlich der in dieser Arbeit verwendeten
Terminologie soll weitestgehend den Begriffen der vom IASB authorisierten deutschen Fas-
sung des IAS/IFRS-Regelwerkes Vorzug gegeben werden.
27
Eine Untersuchung immaterieller
Verm¨ogenswerte im Rahmen der IAS/IFRS-Rechnungslegungsvorschriften bedingt jedoch ein
genaueres Verst¨andnis des Aufbaus des IAS/IFRS-Regelwerkes, welcher daher im Folgenden
kurz skizziert werden soll.
Das IAS/IFRS-Regelwerk unterliegt einer dreistufigen Unterteilung (IAS 1.7). Den allgemeinen
Rahmen, innerhalb dessen sich die IAS/IFRS-Standards und dessen Interpretationen bewegen,
bildet hierbei das Framework. Das Framework formuliert die allgemeinen Zielsetzungen der
Rechnungslegung und definiert unter anderem die elementaren Bestandteile einer Bilanz (z.B.
Verm¨ogenswerte, Schulden).
28
Stufe zwei bilden die einzelnen IAS/IFRS-Standards.
29
Erg¨anzt
werden die IAS/IFRS-Standards auf der dritten Stufe durch die Interpretationen des Standing
Interpretations Committee (SIC) und des International Financial Reporting Interpretations
Committee (IFRIC). Ziel der Interpretationen ist es, Hilfestellungen zu bieten, sofern Aus-
legungsprobleme hinsichtlich einzelner Standards in der Rechnungslegungspraxis erkennbar
sind. Insbesondere sollen die Interpretationen des SIC und IFRIC zu einer einheitlichen
Auslegung der IAS/IFRS-Standards beitragen.
30
25
Siehe hierzu auch Abschnitt 2.2.
26
Vgl. BGBl. I 2009, S. 1102 ff. Unterschiede zwischen der IAS/IFRS-Rechnungslegung und der HGB-
Rechnungslegung bestehen vor allem hinsichtlich der Folgebewertung immaterieller Verm¨ogensgegenst¨ande. Sie-
he hierzu Abschnitt 4 und Abschnitt 5.
27
Ein R¨uckgriff auf Begriffe aus dem HGB oder aus den Grunds¨atzen ordnungsm¨aßiger Buchf¨uhrung (GoB)
soll hierbei nur erfolgen, sofern dies einem erleichterten Verst¨andnis bestimmter Sachverhalte zutr¨aglich ist.
28
Vgl. u.a. BUCHHOLZ (2011), S. 7; CLAUSS (2012), S. 10.
29
Bilanzausweis- und Gliederungsfragen werden hierbei in IAS 1 behandelt. Regelungen zu den einzelnen bi-
lanziellen Sachverhalten werden von IAS 2-41, sowie von IFRS 1-8 abgedeckt (Stand: 5. Juni 2012).
30
Vgl. CLAUSS (2012), S. 10.
5
2.1
Begriffsbestimmung
In IAS 38.8 wird der immaterielle Verm¨ogenswert definiert als
"
identifizierbarer, nicht-
monet¨arer Verm¨ogenswert ohne physische Substanz". Mangels einer abschließenden
Aufz¨ahlung derjenigen G¨uter, welche unter den Begriff der immateriellen Verm¨ogenswerte
subsumiert werden k¨onnen, bedarf es daher einer rekursiven Ann
¨aherung an den Begriff des
immateriellen Verm¨ogenswertes.
2.1.1
Verm¨ogenswert
Ein Verm¨ogenswert wird in IAS 38.8 definiert als
"
eine Ressource, die aufgrund von Er-
eignissen der Vergangenheit von einem Unternehmen beherrscht wird und von der erwartet
wird, dass dem Unternehmen durch sie k¨unftiger wirtschaftlicher Nutzen zufließt". Bedingt
durch die subsidi¨are Stellung des Frameworks, dessen Bestimmungen grunds¨atzlich keinem
Standard vorzuziehen sind (F.2-3), sowie der nahezu identischen Verm¨ogenswertdefinition des
F.49a und den, mit denen des IAS 38 ¨ubereinstimmenden, flankierenden Ausf¨uhrungen zu
Verm¨ogenswerten (F.53 ff.), ist es an dieser Stelle ausreichend die Verm¨ogenswerteigenschaft
anhand des IAS 38 zu pr¨ufen.
31
Im Vordergrund einer solchen Pr¨ufung stehen hierbei vor allem
die
"
Beherrschung" und der
"
k¨unftige wirtschaftliche Nutzen".
Beherrschung im Sinne des IAS 38.13-16 liegt vor, wenn das Unternehmen ¨uber einen
Verm¨ogenswert die Verf¨ugungsgewalt besitzt, d.h., wenn es
"
in der Lage ist, sich den
k¨unftigen wirtschaftlichen Nutzen, der aus der zu Grunde liegenden Ressource zufließt, zu
verschaffen, und es den Zugriff Dritter auf diesen Nutzen beschr¨anken kann"
32
. Zu beachten
ist hierbei jedoch, dass es f¨ur einen Posten - unter der Pr¨amisse, dass dieser in der Lage ist
k¨unftig wirtschaftlichen Nutzen generieren zu k¨onnen - nicht notwendigerweise ein juristisch
durchsetzbares Recht (z.B. Patent, Lizenz) erfordert, damit dieser als Verm¨ogenswert klas-
sifiziert werden kann (IAS 38.13).
33
Entscheidendes Kriterium f¨ur das Vorhandensein von
Verf¨ugungsgewalt ist somit nur, dass das Unternehmen in der Lage ist, ¨uber den betrachteten
Posten und dessen k¨unftigen wirtschaftlichen Nutzen
"
verf¨ugen" zu k¨onnen, dergestalt, dass
es Dritte von der Nutzung ausschließen kann (wirtschaftliche Betrachtungsweise).
34
Solche
"
Ausschlussm¨oglichkeiten" sind insbesondere gegeben bei sog.
"
Betriebsgeheimnissen", bspw.
einer unternehmensintern verwendeten
"
Geheimrezeptur" oder einem unternehmensintern
entwickelten anderweitigen Herstellungsverfahren, aus dessen Nutzung Wettbewerbsvorteile
31
Die Subsidiarit¨at des Frameworks kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn einzelne Standards abwei-
chende Regelungen enthalten. Entsprechend den Zielsetzungen des Standardsetters ist jedoch i.d.R. davon auszu-
gehen, dass sich die Bestimmungen des Frameworks in den einzelnen Standards wiederspiegeln. Vgl. hierzu F.2-3,
sowie ACHLEITNER / BEHR / SCH ¨
AFER (2009), S. 65; LUTZ-INGOLD (2005), S. 155.
32
IAS 38.13.
33
F.57; vgl. auch HEUSER / THEILE (2009), S. 72 ff., S. 150.
34
Ebenda.
6
(wirtschaftlicher Nutzen) erwachsen k¨onnen.
35
Einhergehend kann unter Umst¨anden ein
Verm¨ogenswert auch dann vorliegen, wenn ein Dritter die Eigentumsrechte an diesem be-
sitzt.
36
Als prominentes Beispiel nennt das Framework hierbei Leasingverh¨altnisse (F.57).
So kann der Leasingnehmer f¨ur die Dauer des Leasingverh¨altnisses in aller Regel ¨uber den
Leasinggegenstand (Fuhrpark, Grundst¨uck, maschinelle Anlage)
"
verf¨ugen" und sich den
wirtschaftlichen Nutzen aus diesem sichern.
Ein wirtschaftlicher Nutzen kann hierbei ganz grunds¨atzlich gem¨aß IAS 38.17 (analog:
F.53 ff.) aus Erl¨ossteigerungen, aus Kosteneinsparungen oder aber aus der Umwandlung
von (immateriellen) Verm¨ogenswerten in Zahlungsmittel oder Zahlungsmittel¨aquivalente
resultieren.
37
Der wirtschaftliche Nutzen eines Verm¨ogenswertes muss hierbei jedoch nicht
zwangsl¨aufig alleinig aus der Nutzung dieses Verm¨ogenswertes resultieren, sondern kann eben-
so erst in Folge einer Kombination mehrerer Verm¨ogenswerte entstehen (F.55a). Insbesondere
bei immateriellen Verm¨ogenswerten welche der unternehmensinternen Nutzung dienen, kann
in aller Regel davon ausgegangen werden, dass diese grunds¨atzlich nur in Kombination mit
anderen materiellen oder immateriellen Verm¨ogenswerten wirtschaftlichen Nutzen generieren
k¨onnen (z.B. unternehmensintern entwickelte, nicht zur kommerziellen Nutzung vorgesehene,
Software).
38
IAS 38.8 verlangt zudem, dass die in Rede stehende Ressource auf Grund bereits ver-
gangener Ereignisse in die Verf¨ugungsgewalt des Unternehmens gelangt sein muss um einen
Verm¨ogenswert darzustellen. Diese Bestimmung soll die Begr¨undung eines Verm¨ogenswertes
durch bloße Abgabe einer Absichtserkl¨arung ¨uber diesen zuk¨unftig verf¨ugen zu k¨onnen - z.B.
durch monet¨aren Erwerb - verhindern (F.58).
2.1.2
Immaterieller Verm¨ogenswert im Sinne des IAS 38
Grunds¨atzliche Voraussetzung f¨ur das Klassifizieren eines Postens als immaterieller
Verm¨ogenswert ist das Vorliegen eines Verm¨ogenswertes im Sinne des IAS 38.8. Liegt
ein Verm¨ogenswert vor, muss gepr¨uft werden, ob dieser identifizierbar, nicht-monet¨arer Natur
und ohne physische Substanz ist, um in den Anwendungsbereich von IAS 38 zu fallen. Die
Forderung nach Identifizierbarkeit zielt darauf ab, immaterielle Verm¨ogenswerte eindeutig vom
origin¨aren Gesch¨afts- oder Firmenwert abzugrenzen (IAS 38.11). Eine hinreichende, jedoch
nicht notwendige Bedingung f¨ur das Vorliegen eines identifizierbaren Verm¨ogenswertes ist
die Separierbarkeit. Dies bedeutet, dass der vorliegende Verm¨ogenswert vom Unternehmen
getrennt und verkauft, ¨ubertragen, lizenziert, vermietet oder getauscht werden kann (IAS
35
Vgl. u.a. MOSER (2011), S. 29-30; HEUSER / THEILE (2009), S. 150.
36
F.57; vgl. auch HEUSER / THEILE (2009), S. 72 f.
37
Vgl. W ¨
OHRMANN (2009), S. 29.
38
Siehe hierzu auch die Ausf¨uhrungen zu
"
Verbundg¨utern" und
"
materialisierten immateriellen G¨utern" in Ab-
schnitt 2.1.2.
7
38.12 (a)). Ebenso gilt jedoch ein Verm¨ogenswert als identifizierbar, wenn er
"
aus vertragli-
chen oder anderen Rechten entsteht, unabh¨angig davon, ob diese Rechte vom Unternehmen
[...] ¨ubertragbar oder separierbar sind"
39
. Verm¨ogenswerte, welche diesem so genannten
Contractual-Legal-Kriterium
40
gen¨ugen, erf¨ullen somit ebenso das Kriterium der Identifizier-
barkeit, obgleich die M¨oglichkeit einer alleinigen Abkopplung des Verm¨ogenswertes vom
Unternehmen nicht gegeben ist.
Zudem muss der betrachtete Verm¨ogenswert nicht-monet¨arer Natur sein, um als immate-
rieller Verm¨ogenswert zu gelten. IAS 38.8 liefert hierzu nur eine positive Definition monet¨arer
Verm¨ogenswerte als
"
im Bestand befindliche Geldmittel und Verm¨ogenswerte, f¨ur die das
Unternehmen einen festen oder bestimmbaren Geldbetrag erh¨alt". Finanzielle Verm¨ogenswerte
scheiden somit aufgrund ihrer Beschaffenheit als monet¨are Verm¨ogenwerte, f¨ur welche das
Unternehmen einen festen oder zumindest bestimmbaren Betrag erh¨alt, als immaterielle
Verm¨ogenswerte im Sinne des IAS 38 aus. Der zudem vom Standardsetter vorgesehene explizi-
te Ausschluss finanzieller Verm¨ogenswerte durch die Bestimmungen des IAS 38.2 (b) und IAS
38.3 (e) mag hierbei vordergr¨undig redundant erscheinen, erf¨ahrt jedoch insbesondere durch
den Umstand Berechtigung, dass bestimmten finanziellen Verm¨ogenswerten unkalkulierbare
Wertschwankung inh¨arent sein k¨onnen (z.B. Aktien, welche Kursschwankungen unterliegen).
41
Schwieriger gestaltet sich im Einzelfall die Beurteilung nach dem Vorhandensein bzw.
Nichtvorhandsein einer physischen Substanz eines Verm¨ogenswertes. Abgrenzungsprobleme
zwischen materiellen Verm¨ogenswerten und immateriellen Verm¨ogenswerten entstehen bei
jenen Verm¨ogenswerten, welche sowohl immaterielle als auch materielle Elemente aufweisen.
Entscheidungskriterium ist hierbei
"
welches Element wesentlicher ist"
42
. Hierbei kann es
hilfreich sein, die zur Disposition stehenden Verm¨ogenswerte in Verbundg¨uter und materia-
lisierte immaterielle Verm¨ogenswerte zu unterteilen.
43
IAS 38.4 benennt als Beispiel f¨ur ein
Verbundgut u.a. eine computergesteuerte Werkzeugmaschine, welche ohne die entsprechende
Software nicht betriebsf¨ahig ist. Wesentliches Element stellt hierbei die zur Produktion und
somit der Hauptgesch¨aftst¨atigkeit dienenden Werkzeugmaschine dar. Verbundg¨uter sind
somit den materiellen Verm¨ogenswerten hinzuzurechnen, welche dem Standard IAS 16
(Sachanlagen) unterliegen. Ein immaterieller Verm¨ogenswert, welcher beispielsweise auf einer
Compact Disc gespeichert ist (z.B. Software, Rechtsdokument, o. ¨
A.), stellt hingegen einen
materialisierten immateriellen Verm¨ogenswert dar, da die materielle Komponente hierbei
lediglich als
"
Tr¨agermedium" fungiert. Stellt man hierbei auf die Wesentlichkeit ab, ist ein
solcher Verm¨ogenswert als immaterieller Verm¨ogenswert im Sinne des IAS 38 einzustufen.
39
IAS 38.12 (b).
40
Vgl. LUTZ-INGOLD (2005), S. 165.
41
Vgl. u.a. HEYD / LUTZ-INGOLD (2005), S. 35; W ¨
OHRMANN (2009), S. 32.
42
IAS 38.4; vgl. u.a. auch WAGENHOFER (2009), S. 217.; ACHLEITNER / BEHR /SCH ¨
AFER (2009), S. 95.
43
Vgl. LUTZ-INGOLD (2005), S. 7 f.
8
2.2
Abgrenzungen
Auf bestimmte G¨uter, welche zwar der Definition eines immateriellen Verm¨ogenswertes
gen¨ugen, jedoch von IAS 38.2-3 ausgeschlossen werden, findet IAS 38 keine Anwendung. Be-
triebswirtschaftlich bedeutsame Beispiele sind hier vor allem immaterielle Verm¨ogenswerte,
welche
"
zum Verkauf im normalen Gesch¨aftsgang gehalten werden"
44
(sog. kurzfristige
Verm¨ogenswerte), langfristige immaterielle Verm¨ogenswerte welche als
"
zur Ver¨außerung ge-
haltene langfristige Verm¨ogenswerte"
45
gelten und der im Rahmen eines Unternehmenszusam-
menschlusses erworbene derivative Gesch¨afts- oder Firmenwert (IAS 38.3 (f)), welcher in den
Anwendungsbereich des IFRS 3 (Unternehmenszusammenschl¨usse) f¨allt. Ebenso fallen u.a.
finanzielle Verm¨ogenswerte, latente Steueranspr¨uche, Leasingvertr¨age, oder Verm¨ogenswerte,
die aus Leistungen an Arbeitnehmern resultieren in den Anwendungsbereich anderer Standards
hinein (IAS 38.2-3). Somit l¨asst sich feststellen, dass IAS 38 vor allem Anwendung auf im-
materielle Verm¨ogenswerte findet, welche einem Unternehmen zur l
¨angerfristigen, unterneh-
mensinternen Nutzung dienen (sog. langfristige Verm¨ogenswerte).
46
3
Ansatz- und Zugangsbewertungsvorschriften
3.1
Ansatzkonzeption (IAS/IFRS-Rechnungslegung)
Der Bilanzansatz bestimmter Posten vollzieht sich in der IAS/IFRS-Rechnungslegung in einem
zweistufigen Prozess.
47
Dieser Prozess l¨asst sich unterteilen in eine Pr¨ufung der abstrakten
Aktivierungsf¨ahigkeit und eine Pr¨ufung der konkreten Aktivierungsf¨ahigkeit.
48
Die Erf¨ullung
der abstrakten Aktivierungsf¨ahigkeit als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung
f¨ur einen Bilanzansatz als immaterieller Verm¨ogenswert im Sinne des IAS 38, geht einer
¨
Uberpr¨ufung der konkreten Aktivierungsf¨ahigkeit konsequenterweise voraus. Ist abstrakte
und/oder konkrete Aktivierungsf¨ahigkeit nicht erf¨ullt, ist ein Bilanzansatz grunds¨atzlich
ausgeschlossen.
49
Ansatzwahlrechte kennt die IAS/IFRS-Rechnungslegung - im Unterschied
zur HGB-Rechnungslegung - unterdessen nicht. Ist ein Verm¨ogenswert sowohl abstrakt als
auch konkret aktivierbar, sieht der Standardsetter hierf¨ur grunds¨atzlich ein Ansatzgebot vor.
50
44
IAS 38.3 (a).
45
IAS 38.3 (h).
46
Vgl. VELTE (2008), S. 154.
47
Vgl. u.a. COENENBERG / HALLER / SCHULTZE (2009), S. 86; BAETGE / KIRSCH / THIELE (2009), S.
178; WULF (2008), S. 29 ff.; LUTZ-INGOLD (2005), S. 155 ff.
48
Eine ¨ahnliche Einteilung findet sich auch in der HGB-Rechnungslegung wieder. Die konkrete Aktivie-
rungsf¨ahigkeit leitet sich in der HGB-Rechnungslegung nach h.M. aus
§246 Abs. 1 S. 1 HGB ab, welcher einen
Ansatz - nach GoB - abstrakt aktivierbarer Verm¨ogensgegenst¨ande vorsieht, sofern keine gesetzlichen Vorschriften
eine anderweitige Regelung vorsehen. Vgl. hierzu erl¨auternd BAETGE / KIRSCH / THIELE (2009), S. 154 ff.
49
Durch die subsidi¨are Stellung des Frameworks (F.2-3) w¨are unterdessen eine Aktivierung trotz fehlender ab-
strakter Aktivierungsf¨ahigkeit (Verm¨ogenswerteigenschaft) theoretisch m¨oglich, sofern ein Standard den Ansatz
eines bestimmten Postens vors¨ahe, welcher kein Verm¨ogenswert im Sinne des F.49a i.V.m. F.53 ff., oder des in
Rede stehenden Standards darstellt. Vgl. hierzu HEUSER / THEILE (2009), S. 76-77.
50
Vgl. MOSER (2011), S. 228-229.
9
Unterdessen herrscht in der Literatur Uneinigkeit hinsichtlich der inhaltlichen Abgren-
zung der abstrakten und konkreten Aktivierungsf¨ahigkeit in der IAS/IFRS-Rechnungslegung.
So sehen u.a. Baetge / Kirsch / Thiele die abstrakte Aktivierungsf¨ahigkeit eines immateriellen
Verm¨ogenswertes als erf¨ullt an, sofern dieser den Definitionskriterien des IAS 38.8-17
entspricht (allg.: F.49a i.V.m. F.53 ff.).
51
Konkrete Aktivierungsf¨ahigkeit ist demnach - als
zweiter Pr¨ufungspunkt der Aktivierbarkeit - anhand der Erf¨ullung der allgemeinen Ansatz-
kriterien des IAS 21-23 (allg.: F.83 ff.), unter Ber¨ucksichtigung der je nach Zugangsart des
immateriellen Verm¨ogenswertes geltenden speziellen Ansatzvorschriften des IAS 38, sowie
unter Ber¨ucksichtigung etwaiger Ansatzverbote zu beurteilen. Kontr¨ar hierzu sehen Heyd
/ Lutz-Ingold und Wulf die abstrakte Aktivierungsf¨ahigkeit als erf¨ullt an, sofern sowohl
die Definitionskriterien des IAS 38.8-17, als auch die allgemeinen Ansatzkriterien des IAS
38.21-23 erf¨ullt sind.
52
Die Erf¨ullung der konkreten Aktivierungsf¨ahigkeit leiten sowohl Heyd
/ Lutz-Ingold als auch Wulf aus der Erf¨ullung der in den jeweiligen Standards kodifizierten
spezielleren Ansatzvorschriften ab, unter Ber¨ucksichtigung etwaiger Ansatzverbote. Obgleich
beide Ansatzkonzepte grunds¨atzlich plausibel erscheinen, soll dieser Spitzfindigkeit indessen
nicht weiter nachgegangen werden und im Folgenden - wertneutral - der u.a. von Baetge /
Kirsch / Thiele vertretenen Auffassung der Vorzug gegeben werden.
3.1.1
Abstrakte Aktivierungsf¨ahigkeit (IAS/IFRS)
Um der abstrakten Aktivierungsf¨ahigkeit gen¨ugen zu k¨onnen muss der in Rede stehende
Posten die Definitionskriterien des IAS 38.8-17 f¨ur das Vorhandensein eines immateriellen
Verm¨ogenswertes im Sinne des IAS 38 kumulativ erf¨ullen k¨onnen. Zu pr¨ufen ist somit, ob es
sich bei dem betrachteten Posten um einen Verm¨ogenswert handelt, welcher zudem identifizier-
bar, nicht-monet¨arer Natur und ohne physische Substanz ist.
53
Aktivierungsf¨ahigkeit und somit
Eingang in die IAS/IFRS-Bilanz als immaterieller Verm¨ogenswert im Sinne des IAS 38 erh¨alt
ein immaterieller Verm¨ogenswert jedoch nur, sofern nebst der abstrakten Aktivierungsf¨ahigkeit
auch die konkrete Aktivierungsf¨ahigkeit erf¨ullt sind.
3.1.2
Konkrete Aktivierungsf¨ahigkeit (IAS/IFRS)
Die Erf¨ullung der konkreten Aktivierungsf¨ahigkeit im Sinne der IAS/IFRS-Rechnungslegung
setzt voraus, dass ein immaterieller Verm¨ogenswert die allgemeinen Ansatzkriterien des IAS
38.21-23, unter Ber¨ucksichtigung der jeweils geltenden spezielleren Vorschriften f¨ur gesondert
angeschaffte (IAS 38.25-32), unternehmensintern erstellte (IAS 38.51-67), aus Unterneh-
51
Vgl. u.a. BAETGE / KIRSCH / THIELE (2009), S. 178 ff.; COENENBERG / HALLER / SCHULTZE (2009),
S. 86; VELTE (2008), S. 154-157 ff.; JANSSEN (2007), S. 54 ff.; ACHLEITNER / BEHR / SCH ¨
AFER (2009), S.
97.
52
Vgl. HEYD / LUTZ-INGOLD (2005), S. 23-50; WULF (2008), S. 27-35.
53
Siehe hierzu erl¨auternd Abschnitt 2.1.1 und Abschnitt 2.1.2.
10
menszusammenschluss (IAS 38.33-43), Tausch (IAS 38.45-47), oder durch Zuwendung der
¨offentlichen Hand (IAS 38.44) erworbene, immaterielle Verm¨ogenswerte erf¨ullt und zudem
kein explizites Ansatzverbot einem Ansatz entgegensteht. Im Folgenden sollen zun¨achst die
allgemeinen Ansatzkriterien des IAS 38.21-23 untersucht werden, ehe in den Abschnitten 3.1.3
- 3.1.5 eine ausf¨uhrliche Beleuchtung der speziellen Ansatzkriterien f¨ur gesondert angeschaffte,
unternehmensintern erstellte und aus Unternehmenszusammenschluss erworbene immaterielle
Verm¨ogenswerte erfolgt. Auf eine n¨ahere Betrachtung jener immaterieller Verm¨ogenswerte,
welche im Rahmen eines Tausches, oder durch Zuwendung der ¨offentlichen Hand erworben
wurden, soll unterdessen aus Gr¨unden der ¨
Ubersichtlichkeit verzichtet werden.
Die allgemeinen Ansatzkriterien des IAS 38.21-23 verlangen, dass der erwartete k¨unftige
wirtschaftliche Nutzen aus der Nutzung des Verm¨ogenswertes als wahrscheinlich gilt (IAS 21
(a)), und dessen Anschaffungs- oder Herstellungskosten verl
¨asslich ermittelt werden k¨onnen
(IAS 21 (b)). W¨ahrend der Begriff der Verl¨asslichkeit im Framework genauere Erl¨auterung
erf¨ahrt, mangelt es jedoch an einer entsprechenden Konkretisierung dessen, ab wann ein
k¨unftiger wirtschaftlicher Nutzen als
"
wahrscheinlich" gilt.
Eine verl¨assliche Bewertung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Sinne des F.86
i.V.m. F.31-38 ist gegeben, sofern von einer neutralen und somit willk¨urfreien Bestimmung der
Anschaffungs- oder Herstellungskosten ausgegangen werden kann, welche unter Beachtung des
Vorsichtsprinzips (F.37) und des Vollst¨andigkeitsprinzips (F.38) ermittelt wurden und zudem
dem Abschlussadressaten eine glaubw¨urdige Darstellung des Sachverhaltes bieten (F.33-34).
Unterdessen stehen Sch¨atzungen einer verl¨asslichen Ermittlung der Anschaffungs- oder
Herstellungskosten grunds¨atzlich nicht entgegen (F.86). Der Standardsetter verlangt hierbei
jedoch von dem bilanzierenden Unternehmen die, bestimmten Verm¨ogenswerten inh¨arenten
Risiken, in die Sch¨atzung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten einzubeziehen (F.37).
Das Vorsichtsprinzip stellt hierbei - im Unterschied zur HGB-Rechnungslegung - lediglich
ein Unterprinzip des Verl¨asslichkeitsgrundsatzes dar.
54
Entsprechend diesem Prinzip sollen
die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Verm¨ogenswertes nicht h¨oher angesetzt
werden, als dies der tats¨achliche Sachverhalt rechtfertigen w¨urde (F.37). Hinsichtlich des
Vollst¨andigkeitsprinzips ist grunds¨atzlich sogleich das Wesentlichkeitsprinzip des F.29-30 zu
beachten (F.38). So hat eine vollst¨andige Erfassung aller Bestandteile der Anschaffungs- oder
Herstellungskosten eines bestimmten Verm¨ogenswertes immer auch unter Ber¨ucksichtigung
von Kosten (Unternehmensperspektive) und Nutzen (Abschlussadressaten) zu erfolgen (F.38
i.V.m. F.44). Zudem erfordert eine verl¨assliche Bestimmung der Anschaffungs- oder Her-
stellungskosten, dass der ermittelte Betrag eine glaubw¨urdige Darstellung des tats¨achlichen
Sachverhaltes darstellt (F.33-34). Ein in einem Missverh¨altnis zum erwarteten zuk¨unftigen
Nutzen stehender aktivierter Betrag w¨urde hierbei die Zielsetzung einer glaubw¨urdigen
54
F.31-37; vgl. auch WAGENHOFER (2009), S. 131.
11
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783955496425
- ISBN (Paperback)
- 9783955491420
- Dateigröße
- 284 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- Goodwill-Bilanzierung Entwicklungskosten Forschungskosten Impairment-Test Cash generating unit CGU Fair Value