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Multi-, Trans- und Interkulturalität: Hindernisse und Möglichkeiten interkultureller Kommunikation

©2012 Bachelorarbeit 62 Seiten

Zusammenfassung

Im Zuge der Globalisierung und einer Zunahme transnationaler Migration wird interkulturelle Kommunikation immer unerlässlicher.
Modelle wie die Multi-, Trans-, oder Interkulturalität werden häufig synonym verwendet und entwickeln sich zunehmend zu Modewörtern. Es gilt diese differenzierend zu untersuchen und deren Wert für die heutige interkulturelle Debatte herauszuarbeiten.
Zunächst soll der Leser eine theoretische Grundlage aktueller sowie historischer Kulturbegriffe erhalten. Hierfür werden der normativorientierte ,der totalitätsorientierte, der differenzierungsorientierte sowie der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff kurz erläutert. In einem zweiten Schritt kommen Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser zur Darstellung.
Der Begriff der Interkulturalität ist Ausgangspunkt und Grundlage der restlichen Studie. Innerhalb der Auseinandersetzung mit interkultureller Kommunikation geht es weniger um eine theoretische Erörterung, als vielmehr um einen realitätsnahen Zugang zu dem Thema. Hierbei werden zunächst Besonderheiten der interkulturellen Kommunikation herausgearbeitet. Die drei folgenden Fallbeispiele, welche die Hindernisse interkultureller Kommunikation aufzeigen, weisen eine hohe Aktualität auf und sollten auch für den laienhaften Leser nachvollziehbar sein. Abschließend wird auf Bildung als Möglichkeit zur Verbesserung interkultureller Kommunikation eingegangen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. 1. 4. Bedeutungs- und Wissensorientierung

Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff, bildet die theoretische Grundlage der derzeitigen kulturwissenschatlichen Ansätze innerhalb der Geisteswissenschaften.[1] Er »umfasst ein Konzept, nach dem Akteure die Bedeutung ihrer Handlungen mit symbolischen Ordnungen identifizieren und die Bedeutung dieser Handlung auf Strukturen beschränken«.[2] Eine Definition, die dieses Kulturverständnis gut umschreibt, ist von Max Weber:

»›Kultur ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens.«[3]

Der Kulturbegriff des amerikanischen Etnologen Clifford Geertz (1926-2006), welcher grundsätzlich semiotischer Natur ist, baut auf dem gerade formulierten Verständnis von Weber auf. Geertz zu Folge ist der Mensch in ein selbtgesponnenes Bedeutungsgewebe verstrickt, welches als Sinnbild für die Kultur steht. Bei seinem Versuch der Erklärung dieses Phänomens betont er, dass Kultur nicht ausschließlich anhand von Gesetzen zu erfahren sei. Man müsse nach ihrer Bedeutung suchen, diese also interpretieren.

Aus dieser Grundhaltung heraus entsteht seine Forderung nach einer ›dichten Beschreibung‹ der Dinge.[4] Geht es um die Ordnung der Wirklich­keit sprechen die Vertreter des bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriffs oftmals von symbolischen ›Codes‹[5]. Dieser Begriff findet sich auch im Werk von Geertz. Er erläutert am Beispie des Augenzwinkerns. So ist ein Zwinkern zunächst einmal ein Zucken des Auges. Erst mit der Entstehung eines öffentlichen Codes wird es zu einer bewusst genutzten Gebärde und damit zum Teil von Kultur.[6]

Ein notwendiges Element bei der Interpretation von Kultur ist für Geertz die ›Einnahme der Perspektive des Handelnden‹.[7] Die Eigenperspektive abzulegen, erweist sich jedoch nicht immer als unproblematisch. Ein Beispiel für die damit einhergehende Problematik findet sich in seiner Analyse des ›common sense‹ wieder. Jener ist als kulturelles System zu betrachten und ist somit nicht auf gleiche Weise in den unterschiedlichen Kulturen zu finden. Er erörtert dies unter Anderem am Beispiel der Intersexualität. So waren z.B. die Römer der Ansicht Zwitter seien von den Göttern verflucht. Die Navaho hingegen glaubten ihnen sei ein göttlicher Segen zuteil geworden. Das zeigt die kulturelle Abhängigkeit von Deutungen.[8]

» Common sense ist nicht das, was dem Verstande spontan einleuchtet [...] er ist das Ergebnis, die der Verstand aus gewissen Vorannahmen ableitet. [...]«[9]

Die wohl bedeutenste Erneuerung der Kulturdefinitionen im Zuge des bedeutungs- und wissensorientieren Ansatzes, ist die Abkopplung des Kultur- vom Gesellschaftsbegriff. Die Subjekte sind zwar weiterhin notwendig die Träger sozialer Praktiken, doch »das einzelne Subjekt kann an verschiedenen Komplexen sozialer Praxis partizipieren, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher, [...] Sinnhorizonte vollzogen werden.«[10] So macht nicht nur ein einziger Sinnhorizont das Denken eines Subjekts aus und eben dieses Denken muss nicht identisch sein mit der Denkweise des Kollektivs, in Welchem sich das Subjekt bewegt.[11]

1. 2. Konzeptionelle Divergenzen und Konvergenzen

Im Folgenden sollen noch einmal kurz die wichtigsten Charakteristika der zuvor beschriebenen Kulturbegriffe dargelegt werden. In Zuge dessen soll dann vor Allem auf die jeweiligen Konvergenzen wie auch Divergenzen der Begriffe hingewiesen werden.

Der normativorientierte Kulturbegriff weist die auffälligsten Unterschiede zu den restlichen hier vorgestellten Begriffen auf. Im Gegensatz zu diesen spricht er von Kultur noch im Singular. Für diesen universalistische Anspruch von Kultur existiert nur ein bestimmter Lebensentwurf. Alles was von diesen vorgegebenen Normen abweicht wird nicht anerkannt und ist in den Augen der Vertreter des normativorientierten Kulturbegriffs nicht als Kultur zu betrachten. Auch wenn die verschiedenen Lebensentwürfe von Gesellschaften nicht zwangsläufig als gleichwertig betrachtet werden, so erkennen die restlichen hier vorgestellten Begriffe von Kultur die Pluralität dieses Phänomens immerhin an. Auch wenn sich der totalitätsorientierte Kulturbegriff auf einen angeblich wertfreien Vergleich von Kulturen beruft, kann er sich wie gezeigt nicht völlig von einem normativen Moment freisprechen. Denn bei de Vergleich wird letztlich stets eine bestimmte Kultur in den Mittelpunkt gestellt und damit zum Maßstab gemacht.

Der differenzierungstheoretische Kulturbegriff sollte auf Grund seiner wertneutralen Haltung besser für die Untersuchung interkultureller Begegnungen geeignet sein Doch reicht das auf Kunst und Wissenschaft begrenzte Spektrum nicht aus um die vielen Faktoren eines interkulturellen Austauschs umfassend erfassen zu können. Was zugleich zeigt, dass ein pluralistisches Verständnis von Kultur allein nicht ausreichend ist.

Somit lässt sich feststellen, dass der Erste hier beschriebene Begriff auf Grund seiner normativen Haltung für den interkulturellen Vergleich nicht in Frage kommt. Der totalitätsorientierte Kulturbegriff würde sich zwar wegen seiner holistischen Betrachtung für das folgende Unterfangen eignen, scheidet aber wegen seiner Vorstellung von Kulturen als homogene Gebilden und dem mitunter qualitativen Vergleich von Kulturen aus.

Somit verbleibt nur der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff. Dieser ist maßgeblich differenzierter als seine Vorgänger. Dies ist auf die Kappung von Kultur und Gesellschaft zurückführen. Es ist somit das erste Konzept welches den komplexen Charackter von Kultur einzufangen versucht. Was die Analyse interkultureller Kommunikation betrifft ist jedoch ein anderes Merkmal von besonderer Bedeutung. Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff verweist als einziger auf die Notwendigkeit der Interpretation kulturellen Handelns. Wie oben bereits erwähnt, gilt es dabei das in Symbole geordnete Handeln zu deuten. Des Weiteren ist es zur Vermeidung von interkulturellen Missverständnissen unabdinglich auch die Position des ›Anderen‹ einzunehmen. Daraus lässt sich schließen dieser Kulturbegriff auch der einzige ist, welcher die Komplexität interkultureller Kontakte einfangen kann.

2. Modelle zur Erklärung kultureller Beziehungen in einer globalisierten Welt

2. 1. Herausforderungen der Multikulturalität

Bei dem Konzept der Multikulturalität handelt es sich um ein Neben­einander verschiedener Kulturen innerhalb eines Staates oder einer Gesellschaft. Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen kulturellen Gruppen sind hierbei statisch und lassen keine Übergänge zu. Koexistenz schließt jedoch nicht zwangsläufig einen friedlichen Umgang der unterschiedlichen Akteure untereinander mit ein.[12] Die Eingewanderten werden von der Leitkultur häufig strukturell benachteiligt und kulturell zurückgewiesen. Der Prozess der Integration soll unterstützt werden, jedoch ohne die kulturellen Minderheiten dabei zu assimilieren. Ferner sollen hierbei kulturelle Unterschiede nicht nur akzeptiert, sondern sogar unterstützt werden.[13] Kanada war das erste Land weltweit, dass Multikulturalität nicht nur als theoretische Überlegung verfolgte sondern auch praktisch durchführte.

»Multikulturalismus als politisches Programm wurde 1982 in der Verfassung verankert und löste damit ein auf Assimilation beruhendes Model (Anglo Conformity) ab.«[14]

Das bedeutet, dass alle Bürger unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer ethnischen Herkunft gleichberechtigt sind, in einem Staat koexistieren und dennoch ihre unterschiedlichen Identitäten beibehalten. Für das Verständnis von Multikulturalität ist es essentiell, dass dieses Konzept von einem dynamischen Prozess ausgeht und nicht von einem statischen Zustand.[15]

Ähnlich wie hinter dem Begriff der Kultur ist auch hinter dem der Multikulturalität auch kein allgemeingültiges Konzept. Daher werden im Folgenden zwei Theorien kurz vorgestellt.

2. 2. 1. Dimensionen des Kulturpluralismus

Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Begriff ›multikulturell‹ erstmals von dem amerikanischen Philosophen jüdischer Abstammung Horace Kallen (1882-1974) formuliert. Im Zuge seiner Idee des kulturellen Pluralismus wird das Leben von Menschen verschiedener Kulturen nicht mehr unter der Notwendigkeit territorialer Abgrenzung oder Assimilation betrachtet, sondern durch das Bewusstsein von kultureller Vielfalt als Bereicherung ersetzt.[16] Kultureller Pluralismus ist somit eine Idee der demokratischen Revolution. Diese richtet sich gegen den Kulturbegriff verschiedener Staaten, deren Ziel es ist, eine verbindliche Nationalkultur durchzusetzten.[17] Als Amerikaner bezog er sich seine Theorie im Allgemeinen auf sein Heimat­land.

So beschreibt er den Prozess der ›Amerikanisierung‹[18], welchen nicht nur jeder Immigrant sondern auch dessen Nachfahren bei der Eingliederung in die amerikanische Gesellschaft durchläuft. Im Zuge dessen erlernt dieser unter Anderem die englische Sprache, übernimmt die allgemeinen Einstellung zur Politik oder eignet sich sonstige typisch amerikanische Gepflogenheiten an. Kallen spricht hier etwas zynisch von dem ›great miracle of assimilation‹. Er zitiert einen amerikanischen Vertrauten folgendermaßen:

»We are submerged beneath a conquest so complete that the very name of us means something not ourselves...I feel as I should think an Indian might feel, in the face of ourselves that were.«[19]

Gleichzeitig erarbeitet Kallen auch eine Kehrseite der Amerikanisierung. Diese besagt, dass innerhalb der Immigrantengruppen, gerade durch die Abgrenzung der herrschenden Schicht, also der Amerikaner britischer Herkunft, der Heimatstolz wiederentdeckt wird. Ein erster Schritt der Assimilation ist der Eifer zur Erlangung wirtschaftlichen Erfolges, um sich in die kapitalistische Gesellschaft Amerikas einzureihen. Es folgte jedoch der dadurch hervorgerufene Wandel, welcher im Prozess der Amerikanisierung nicht vorgesehen war. Mit dem Erfolg kehrt die Selbstachtung der Einwanderer zurück. Sie erlangen ihren kulturellen Stolz wieder und beginnen von Neuem ihre Kultur aktiv zu leben. In Folge war es keine Seltenheit, dass sie sich durch den Kontrast zur amerikanischen-, ihrer eigenen Kultur verbundener fühlten als die Menschen in ihrer Heimat. So wurde zur Zeit Kallens zum Beispiel an Sonntagen in Amerika in mehr Kirchen in Amerika als in Norwegen die norwegische Sprache gepredigt.

»On the whole, Americanization has not repressed nationality. Americanization has liberated nationality. «[20]

Kallens These nach sollte somit die ›amerikanische Idee‹ nicht darin bestehen Einwanderer in die bestehende Kultur vollkommen zu assimilieren, sondern deren kulturelle Diversität zu schätzen.

»Thus Americanization seeking a cultural monism was challenged and is slowly and unevenly being displaced by Americanization, supporting, cultivating a cultural pluralism, grounded on and consummated in the American Idea.«[21]

Nun wäre es jedoch verfehlt deshalb anzunehmen Kallen wäre gegen die Einheit eines Staates bzw. eines Konsenses der darin lebenden Menschen. Für ihn wäre der Idealfall vielmehr eine Nation, welche eine gemeinsame Grundlage in Poltik und Wirtschaft hat, um dank dieser Basis den Raum für individuelle kulturelle Identität, des Einzelnen bzw. einzelner Gruppen, zu schaffen.[22]

2. 2. 2. Politik der Anerkennung

Für Charles Taylor, einen kanadischen Philosophen sowie Vertreter des Konzepts der multikulturellen Gesellschaft, beginnt die Frage nach dem Zusammenleben verschiedener Kulturen auf einem gemeinsamen Terri­torium mit dem Begriff der Identität.

»Indem wir unsere Identität bestimmen, versuchen wir zu bestimmen, wer wir sind, woher wir kommen.«[23]

Diese wird nicht nur von uns alleine gestaltet, sondern wird vor Allem durch den Dialog mit unserem Umfeld, also mit unseren Mitmenschen, geformt. Demnach basiert ein Großteil der menschlichen Identität auf äußeren Faktoren. Zu diesen Faktoren gehört auch die Anerkennung oder auch ›Nicht-Anerkunng‹ durch Andere. Nach Taylor ist die Anerkennung durch Mitmenschen ein menschliches Grundbedürfnis. Wird dieses nicht erfüllt, kann die Identität der jeweiligen Person Schaden nehmen. Entsprechend fragt sich Taylor, auf welchem Wege man die Identität einer Person oder einer kulturellen Gruppe am Besten wahren und schätzen kann. Denn ein Individuum und auch ein Volk, und hier bezieht er sich auf eine Aussage Herders, sollte sich immer treu bleiben.

Taylor weist darauf hin, dass eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft nicht einfach nur auf dem Prinzip der Gleichberechtigung beruht, da dieses nur universelle Faktoren, wie zum Beispiel identische Rechte und Freiheiten miteinbezieht. Der Vorgang der Assimilation, auf dem dieses Prinzip beruht, führt seiner Meinung nach zu der Vernichtung der Authentizität, welche jeder kulturelle Gruppe anhaftet. Das Ziel solle eine >Politik der Differenz< sein. Im Gegensatz zu dem Prinzip der Gleich­berechtigung, welches dazu neige die Unterschiede der Menschen zu über­sehen um eine gemeisame Grundlage zu schaffen, soll seiner Auf­fassung zufolge das Individuum gerade auf Grund seiner unverwechselbaren Identität anerkannt werden. Wichtig hierbei, so Taylor ist, »daß wir sie nicht nur leben lassen, sondern auch ihren Wert anerkennen sollen«.[24]

Als Beispiel führt er den Bereich der Bildung und Erziehung, in den geisteswissenschflichen Bereichen der Universität an, »wo die Forderung laut wird, den Kanon der als verbindlich geltenden Autoren zu modifizieren, zu erweitern oder zu verwerfen, weil der derzeit geltende Kanon fast nur tote weiße Männer umfasse«.[25] Sollte die Anerkunng der Gleichwertigkeit der kulturellen Gruppen nicht vorhanden sein, kann die multikulturelle Gesellschaft daran zerbrechen.

Doch lässt Taylor seine Theorie nicht unreflektiert. Versucht er das Konzept der Multikulturalität mit seinen Argumenten zu stützen, so übersieht er dennoch nicht dessen Probleme. Nicht nur das eine stetige Forderung nach positiven Werturteilen vorgetragen wird (denn ein Urteil kann nicht durch ein ethisches Prinzip vorgeschrieben werden), es wird stets auch versucht diese Urteile in die eigenen Kategorien zu pressen.

»Indem sie stillschweigend alle Zivilisationen und alle Kulturen an unseren eigen Kriterien mißt, kann die Politik der Differenz darin münden, daß sie alle gleichmacht.«[26]

Taylor zieht letztendlich den Schluss, dass wir bei der wissenschaftlichen Beobachtung des ›Anderen‹ grundsätzlich von einer Gleichwertigkeit der Kulturen ausgehen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man sich teils ›inautethische‹ Urteile bilden soll, sondern lediglich, dass wissenschaftliche Beobachter offen sind bei vergleichenden Studien und dass die daraus resultierenden Ergebnisse deren Horizont verändern können.[27]

2. 2. 3. Multikulturalität als Identitätsbegrenzung

Auch wenn die Multikulturalität versucht vor allem Minderheiten in einer Gesellschaft einen Platz in dieser zu sichern, sieht sie die einzelnen Kulturen weiterhin als stabile Gebilde an. Indem die Unterschiede zwischen den Kulturen institutionalisiert werden, ist es dem Individuum nicht möglich außerhalb seiner kulturellen Gruppe zu funktionieren.[28] Des Weiteren, so betont Frank-Olaf Radtke, beinhalte das Konzept der Multikulturalität die Gefahr zur Selbstsegregation. Durch das Hervorheben ethnischer Unter­schiede und der damit einhergehenden Forderung nach Respekt und Ach­tung des Anderen, gerade aufgrund seiner kulturellen Andersartigkeit, muss der Einzelne sich selbst innerhalb seines etnisch gesteckten Raumes identifizieren und ficht einen ununterbrochenen Kampf für die Akzeptanz seiner Identität. Die Folge sind unversöhnliche Gegensätze.

Auch das Konzept des Pluralismus welches bereits unter Bezug auf Kallen beschrieben wurde, wird von Radtke kritisch betrachtet.

»Der Pluralismus ist nicht eine empirische Beschreibung der Wirklichkeit. Das Konzept ist selbst der programmatische Versuch, eine Wirklichkeit zu konstruieren. [...]«[29]

Multikulturalität und Pluralität sollen sich gegenseitig ergänzen. Doch das Konzept scheitert in der Durchführung. Statt einer Pluralität von Interessen findet man eine Pluralität von ethnischen Herkünften. Der Mensch verliert seine Individualität indem er durch festgelegte Merkmale wie Sprache, Herkunft oder Religion in eine Gruppe gedrängt wird aus der es ihm nicht möglich ist wieder herauszutreten. Radtke kommt letztendlich zu dem Schluss, dass Multikulturalität und Pluralismus nicht in der Lage sind, Unterdrückung und Diskriminierung zu beseitigen.[30]

»Im Pluralismus lassen sich Freiheit als Individualisierung und Gleichheit als politische Rechtsgleichheit regeln, nicht aber Brüderlichkeit als soziale Gerechtigkeit und Solidarität.«[31]

2. 2. Perspektivische Probleme der Transkulturalität

Will man den Begriff der Transkulturalität erfassen ist es hilfreich die Vorsilbe ›Trans‹- näher zu betrachten. Sie deutet auf das Über- oder das Durchqueren von Etwas hin. So verweist die Silbe auf kulturelle Unter­schiede, welche sich durch eine einzelne Kultur hindurchziehen.[32] Im Folgenden wird das Feld der Transkulturalität von der Sichtweise des Philosophen Wolfgang Welsch ausgehend ergründet. Da die anderen Vertreter der Transkulturalität sich ausschließlich auf die Thesen Welschs stützen, wird vorliegend darauf verzichtet weitere Vertreter dieses Konzepts vorzustellen. Stattdessen wird im Folgenden ein kurzer Einblick in die Fachbereiche der Pädagogik sowie der Kommunikation, welche die Trans­kulturalität für sich entdeckt haben, gewährt.

2. 2. 1. Der Mensch als ›kultureller Mischling‹

Welsch ist Begründer des Konzepts der Transkulturalität. Dieses enstand seinen Angaben zufolge aufgrund der Lückenhaftigkeit aktueller Kultur­begriffe. Diese seien nicht mehr in der Lage den stetigen kulturellen Wandel zu erfassen. An Hand Herders Kulturtheorie versucht Welsch die Unzulänglichkeit bestehender Theorien aufzuzeigen.[33] Herders Konzept sei homogenisierend. Die Grenze einer Kultur sei zugleich auch die Grenze einer Nation, was eine klare Abgrenzung zwischen diesen zur Folge hat. Das macht das Konzept seperatististisch. Herders Kulturbegriff ist nach Welsch stark idealistisch und ist daher nicht in der Lage tatsächliche Kulturen einzufangen, da diese in Wirklichkeit in sich differenzierend sind.

»Die Kultur eines Arbeitermilieus, eines Villenviertels und der Alternativszene weisen kaum noch einen gemeinsamem kulturellen Nenner auf.«[34]

Doch es ist nicht nur das klassische Kulturmodell Herders das Welsch kritisiert. Er nimmt auch die Konzepte der Multi- und Interkulturalität, welche ihrerseits ebenfalls versuchen die komplexen Erscheinungsformen moderner Kulturen zu untersuchen, genauer in Augenschein. So unterstellt er dem Konzept der Multikulturalität trotz dessen Bestreben eine friedliche Koexistenz verschiedener Kulturen innerhalb einer Gesellschaft zu schaffen, eine Unfähigkeit die daraus entstehenden Folgeprobleme lösen zu können. Problem der Multikulturalität sei es, dass Kulturen immer noch als homogene Gebilde betrachtet würden. Auch die Interkulturalität, die versuche einen Dialog zwischen den Kulturen zu ermöglichen, würde diesen bereits durch ihr zugrundeliegendes Verständnis von Kulturen als kugelförmigen, in sich geschlossenen Gebilden unmöglich machen. Es sei nicht möglich erst eine Abgrenzung der Kulturen vorzunehmen und sich im nächsten Schritt zu überlegen, wie diese untereinander kommunizieren können.

Im Zeitalter der Globalisierung, so Welsch, unterlägen die Kulturen vielmehreiner Hybridisierung.[35] An diesem Punkt setze das Konzept der Transkulturalität an. Es verwerfe die Monolithaftigkeit von Kulturen und erkenne, dass die innere Differenz dieser, d.h. die intrakulturellen Unterschiede, teils größer als ihre äußere Differenz ist.

»Die Trennschärfe zwischen Eigenkultur und Fremdkultur ist dahin.«[36]

Dieser Vorgang sei nun schon deutlich zu erkennen und wird sich mit den folgenden Generationen noch verstärken. Dies bezieht sich nicht nur auf die Kulturen als solche, sondern auch auf die Individuen in ihnen. Welsch bezeichnet uns, bewusst überzogen, als »kulturelle Mischlinge«.[37] Stets zu beachten bei diesen transkulturellen Entwicklungen ist die Unterscheidung zwischen der kulturellen und der nationalen Identität einer Person.

Welsch versucht bereits in seinem Aufsatz möglichen Einwänden zuvor zu kommen. So ginge es bei transkulturellen Vorgängen nicht um die fortschreitende Homogenisierung von Kulturen. Das Gegenteil sei der Fall. Jede transkulturelle Gruppe habe andere Elemente die von den jeweiligen Akteuren verwendet werden, sodass Transkulturalität die Diversität von Kulturen gerade steigern würde. Was Welsch damit sagen will ist, dass Transkulturalität nicht nur globale Vorgänge fördert sondern zugleich auch zur Lokalisierung beiträgt.[38]

2. 2. 2. Interdisziplinarität der Transkulturalität anhand zweier Beispiele

2. 2. 2. 1. Transkulturelle Pädagogik

Die von Welsch entwickelte Theorie der Transkulturalität wurde im Laufe in verschiedenen Fachgebieten aufgegriffen, so auch von der Pädagogik. Die von der transkulturellen Theorie beeinflusste Pädagogik teilt Welschs Auffassung, dass weder die Interkulturalität noch die Multikuturalität die Probleme, welche mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen enstehen, in ausreichender Form beseitigen können. So wird der multi­kulturellen Pädagogik unter Anderem vorgeworfen, dass diese zwar Förder­programme für Kinder kultureller Minderheiten plane, dies aber ohne Einbeziehung der Kinder der kulturellen Mehrheit. Transkulturelle Programme zielen jedoch sowohl auf Kinder der Mehrheit als auch der Minderheit ab und helfen ihnen die Grenzen der eigenen Kultur zu übertreten.[39]

Die Interkulturalität hingegen verfestige das Differenzschema zwischen den Kulturen. Daraus folge ein starrer Dualismus, zwischen den verschiedenen Kulturteilnehmern. Dieses Differenzschema müsse durch andere Faktoren ergänzt werden, so zum Beispiel durch das Bewusstsein sozialer und politischer Ungleichverhältnisse.[40] Die transkulturelle Erziehung geht hingegen erstmals auf soziale Hybridformen ein und, der damit einhergehenden Möglichkeit kultureller Selbstfindung bzw. -darstellung. Die Befürworter der transkulturellen Pädagogik sind sich jedoch bewusst über deren normativen Moment. Transkulturelle Identität gilt nicht als bereits erreicht, sondern wird zum Bildungsziel erhoben.[41]

2. 2. 2. 2. Transkulturelle Kommunikation

Auch Kommunikationswissenschaftler bedienen sich des Konzepts der Transkulturalität um globale und vor allem mediale Kommunikatinsabläufe treffender umschreiben zu können. Im deutschsprachigen Raum kann man von einer Etablierung des Begriffs ›transkulturelle Kommunikation‹ ab den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sprechen. Da das Phänomen der interkulturellen Kommunikation einen Großteil dieser Arbeit ausmacht, soll hier zuerst eine Abgrenzung erfolgen. Bei der interkulturellen Kommu­ni­kation handelt es sich weitesgehend um die Kommunikation zwischen einzelnen Menschen oder einzelnen Gruppen von Menschen. Die trans­kulturelle Kommunikation hingegen zielt auf Kommunikationsprozesse ab, welche über verschiedene Kulturen hinweg geschehen.

Letztere erfolgt am Ehesten über die Medien. So werden Filme, seien sie nun in Indien oder Amerika enstanden, über Menschen verschiedener Kulturen hinweg angeeignet und rezipiert. Aus diesem Grund geht es hierbei nicht, wie bei der interkulturellen Ausrichtung, primär um den Vergleich nationalkultureller Kommunikationsmuster. Vielmehr sollen Muster aufgezeigt werden, die in verschiedenen Kulturen auftreten und somit differenzstiftend sind. Dabei sollte jedoch immer bemerkt werden, dass trotz kulturübergreifender Merkmale nicht von einer globalen Einheitskultur zu sprechen ist. Nichtsdestotzrotz sind es die globale Vernetzungen welche transkulturelle Kommunikation ermöglichen[42]

[...]


[1] Vgl. Sommer, Roy: Metzler Lexikon, 2008, S. 396.

[2] Hamid Reza Yousefi/Ina Braun: Interkulturalität, 2011, S. 21.

[3] Weber, Max: Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, S. 180.

[4] Vgl. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung, 1983, S.9f.

[5] Vgl. Reckwitz, Andreas: Multikulturalismustheorien und der Kulturbegriff, 2001, S. 186.

[6] Vgl. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung, 1983, S.11.

[7] Ebenda, 1983, S. 21.

[8] Vgl. Ebenda, S. 265; 271ff.

[9] Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung, 1983, S. 275.

[10] Reckwitz, Andreas: Multikulturalismustheorien und der Kulturbegriff, 2001, S. 187.

[11] Vgl. Ebenda, S. 187f.

[12] Vgl. Mintzel, Alf: Multikulturelle Gesellschaften in Europa und Nordamerika, 1997, S. 58.

[13] Vgl. Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim: Weltmigration und multikulturelle Gesellschaft, 1993, S. 74f.

[14] Oberpeilsteiner, Susanne: Konzepte von Multikulturalität und Multikulturalismus, 2008, S. 59.

[15] Vgl. Ebenda, 2008, S. 58ff.; 61.

[16] Vgl. Jacques Demorgan/Hagen Kordes: Multikultur-Transkultur, 2006, S. 28f.

[17] Kallen, Horace: Cultural Pluralism and the American Idea, 1956, S. 57.

[18] Dieser Prozess erfolgt nach dem Vorbild des Amerikaners britischer Herkunft. Vgl hierzu auch Schröter, Harm G.: Winners and Loosers, 2008.

[19] Kallen, Horace: Cultural Pluralism and the American Idea, 1956, S. 7.

[20] Kallen, Horace: Democracy vs. The Melting-Pot, 1915, S. 12.

[21] Kallen, Horace: Cultural Pluralism and the American Idea, 1956, S. 97.

[22] Vgl. Kallen, Horace: Democracy vs. The Melting-Pot, 1915, S. 15.

[23] Taylor Charles: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1993, S. 23.

[24] Taylor Charles: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1993, S. 23.

[25] Ebenda, S. 61.

[26] Taylor, Charles: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1993, S. 69.

[27] Vgl. Ebenda, S. 13; 15; 20; 23f.; 28f.; 60f.; 66; 68ff.

[28] Vgl. Jacques Demorgan/Hagen Kordes: Multikultur-Transkultur, 2006, S. 30.

[29] Radtke, Frank-Olaf: Politischer und kultureller Pluralismus, 1993, S. 86.

[30] Vgl. Radtke, Frank-Olaf: Politischer und kultureller Pluralismus, 1993, S. 86ff.

[31] Ebenda, S. 87.

[32] Vgl. Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 2000, S. 336.

[33] Vgl. hierzu Löchte, Anne: Johann Gottfried Herder, 2005.

[34] Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 2000, S. 330.

[35] Jedoch betont er später in seinem Essay, dass diese Hybridisierung kein modernes Phänomen sei, sondern dass dieses schon immer in der Geschichte zu finden war.

[36] Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 2000, S. 339.

[37] Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 2000, S. 339.

[38] Vgl. Ebenda, S. 327-351.

[39] Vgl. Michael Göhlich/Eckart Libau: Transkulturalität und Pädagogik, 2006, S. 20f.

[40] Vgl. Witsch, Monika: Kultur und Bildung, 2008, S. 86.

[41] Vgl. Michael Göhlich/Eckart Libau: Transkulturalität und Pädagogik, 2006, S. 23; 193.

[42] Vgl. Hepp, Andreas: Transkulturelle Kommunikation, 2006, S. 9; 63; 297.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955496593
ISBN (Paperback)
9783955491598
Dateigröße
266 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Kulturbegriff Multikulturalität Transkulturalität interkulturelle Kommunikation interkultureller Kontakt

Autor

Kira Gehrmann, B. A., beschäftigt sich in ihrem Masterstudium der Kulturwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau schwerpunktmäßig mit der Analyse interkultureller Kontakte in einer zunehmend globalisierten Welt. Hierbei geht es der Autorin vor allem um das Verständnis des kulturellen „Anderen“. In ihren Arbeiten bemüht sie sich daher die Sichtweise von diesem einzunehmen.
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