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Lebens- und Arbeitsalltag der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina: Psychiatrische Pflege im 19. Jahrhundert

©2008 Diplomarbeit 90 Seiten

Zusammenfassung

Diese Studie beschreibt zunächst die bestehenden Rahmenbedingungen (Insassen, bauliche Strukturen) der Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert. Im Anschluss daran wird ein allgemeines Profil des Wärters in Deutschland mit Hilfe der Sekundärliteratur formuliert. Als Vergleich werden die eingestellten Wärter im Hospital Haina als Personen näher beschrieben und charakterisiert: Wer waren die Wärter, woher kamen sie, welche Bildung hatten sie. Exemplarisch werden anhand von Fallstudien Bewerbungs- und Auswahlverfahren des Hospitals zur Anwerbung von Wärtern beschrieben. Die Organisation des Wärterdienstes mit ihren Differenzierungen (Wärtergehilfe, Wärter, Oberwärter) sowie deren Weiterentwicklungen im Laufe des 19. Jahrhunderts werden anschaulich dokumentiert und schematisch dargestellt. Im weiteren wird die fortschreitende Professionalisierung des Wärterdienstes in ihrer wachsenden Bedeutung für die psychiatrische Pflege beschrieben. Im Hospital herrschten strenge Normen und Regelungen in Form von Hausordnungen und Dienstanweisungen, welche Aufgaben, Rechte und Pflichten der Wärter formal bestimmten. Die Hausordnungen und Dienstanweisungen gaben eine starre Hierarchie und Weisungsstruktur zwischen den einzelnen Berufsgruppen im Hospital vor. Sie regelten wer wem zu gehorchen hatte. Die stark hierarchisierte Kommunikationsstruktur innerhalb der unterschiedlichen Berufsgruppen im Hospital wurde nicht immer eingehalten. Inwieweit sie tatsächlich Einfluss auf Wirklichkeit des Hospitalalltags nehmen konnten, zeigen Auswertungen von Personalakten. Sie zeigen wie die Wärter ihre berufliche Situation und den Hospitalalltag subjektiv wahrnahmen und wie die Kommunikation zwischen Wärtern und Hospitalbeamten letztlich in Wirklichkeit aussah. Im Rahmen einer Fallstudie, welche den beruflichen Werdegang eines Wärters von der Einstellung bis zu seinem Tode nachzeichnet, konnte nachgewiesen werden, wie die Arbeits- und Lebenswelt eines Wärters aussah, welche soziale Rolle er innerhalb der Organisation des Hospitals einnahm und wie er diese veränderte.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.1.1 Lage, Bau und Ausstattung

Ein Lageplan des Hospitals aus dem Jahr um 1830 (s. Abbildung 5) zeigt die verschiedenen Abteilungen des Hospitals Haina, in denen die Pfleglinge untergebracht waren. Dies waren das Capitel, ein großer Saal, er befindet sich noch innerhalb der Klosteranlage und der Raum daneben, die Hospitalitenwohnung. Zwischen der Krankenstube und dem Durchgang lag die Wärterstube (s. Abbildung 6). Oberhalb des Capitels ist noch ein weiteres Stockwerk vorhanden, in dem ebenfalls Pfleglinge untergebracht waren. Dies war das Schlafhaus. Östlich vom Capitel lag das Magazin. Hier waren die tobsüchtigen und gefährlichen Irren untergebracht. Im Magazin wurden um 1850 40 Autenriethsche-Zellen, benannt nach ihrem Erfinder, dem Leiter der Tübinger Universitätsklinik (1792-1835), Ferdinand Autenrieth, errichtet. Sie dienten zur Isolierung von tobsüchtigen Pfleglingen. Die Autenriethschen-Zellen sind so ausgestattet, dass die Fenster und die Öfen mit Holzpalisaden geschützt waren, so dass der Tobsüchtige sich daran nicht selbst verletzen konnte (vgl. Hayner, 1817, S.14f). Daneben gab es im Magazin vier Versammlungsstuben und vier Wohnzimmer (vgl. Kahm, 1994, S.92). Darüber lag ein weiteres Gebäude, das Lazareth, für die Unterbringung akut und chronisch kranker Pfleglinge, die chirurgisch behandelt werden mussten. Der Bau bestand aus 20 Zimmern. Für diese Abteilung war der gut ausgebildete Lazarethwärter zuständig, der über eine offizielle Qualifikation zum Bader oder Barbierer verfügte (s. auch unter Punkt 3.3.4.5). Nördlich von diesen Gebäuden befand sich der Irrengarten, wo die Pfleglinge der beiden Abteilungen täglich, unter Aufsicht der Wärter, hineingelassen wurden. Südlich dieser Gebäude schloss sich der Hof für das Hospital an. Gegenüber dem Lazareth befand sich das Blockhaus. Dieses Gebäude hatte drei Stockwerke. Es verfügte über 10 Doppelzimmer in der untersten Etage mit zwei Zimmern für die Wärterfamilie und über 8 große Einzelzimmer im oberen Geschoß. Im Erdgeschoss dieses Gebäudes waren kleine Räume zur Aufnahme der „unreinlichen Idioten“, gemeint sind hiermit harn- und/ oder stuhlinkontinente Pfleglinge. Der Neubau lag neben dem Blockhaus in Richtung Osten (vgl. Kahm, 1994, S.83). Der Neubau war von der Anzahl der Stockwerke und vom Grundriss ähnlich konstruiert wie das Blockhaus, der Neubau war kleiner als das Blockhaus. Der Irrengarten und der Hof für das Hospital waren von Gebäuden und einer Mauer umschlossen. Der Honoratiorenbau, eine weitere Abteilung des Hospitals, lag im Ostteil des ehemaligen Klostergebäudes, hier waren selbstzahlende oder besser gestellte Pfleglinge untergebracht. Daran schloss sich die Hospitalküche an. Südlich des Neubaus befand sich die Schneiderei und im direkten Umkreis lagen andere Einrichtungen, die Schusterei, der Marstall, unterschiedliche Ställe für Schafe, Rinder und Schweine, die Wäscherei, Metzgerei, Bäckerei, der Gutshof usw., wo die Pfleglinge, die arbeitsfähig waren, ihre tägliche Arbeit verrichteten (s. Abbildung 7). Im ehemaligen Klosterbereich im Ostflügel waren ebenfalls Pfleglinge untergebracht (Kahm, 1994, S.82f). Die Zimmer oder Kammern waren mit ein bis zwei Pfleglingen belegt. Jeder Pflegling hatte ein eigenes Bett mit einer Matratze, einem Oberbett, einem Kissen, einer wollenen Decke mit Bett- und Kissenbezug. Die pflegebedürftigen Pfleglinge, die aufgrund ihrer Gebrechen ständig bettlägerig waren, wurden gemeinsam in Sälen untergebracht (Schlieper, 1983, S.258). Der Aufwand für die Versorgung und Pflege dieser Pfleglinge war somit geringer.

Unter Punkt 3.1.2 werden die verschiedenen Berufsgruppen in der Organisation des Hospitals Haina beschrieben. Exemplarisch werden deren Gehälter mit aufgeführt, um einen Überblick über die Vergütungsstrukturen im Hospital Haina zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu erhalten.

3.1.2 Organisation der Anstalt

Die personelle Führung der Anstalt bestand aus einem Obervorsteher und drei bis vier Beamten. Der Obervorsteher war der eigentliche Hospitalleiter. Die folgenden Gehaltsangaben der verschiedenen Berufsgruppen beziehen sich ausnahmslos auf das Jahr 1810 (LWV Archiv Haina, Best. 13. Geldrechnungen 1810). Der Obervorsteher erhielt ein Gehalt von 525 Th jährlich, hinzu kamen Naturalien wie Getreide, Holz, Heu und Stroh. Des Weiteren erhielt er 10 Gänse, 20 Hühner und 26 Hahnen, er war somit der am höchsten Besoldete im Hospital Haina. Der Rentmeister war erster Beamter, der für die Verwaltung und die Rechnungslegung des Hospitals zuständig war. Sein Jahresgehalt belief sich auf 126 Th im Jahr, dazu kamen Naturalien. Der zweite Beamte war der Fruchtrentmeister, der den Grundbesitz der Anstalt und seine Erträge zu verwalten hatte. Sein Gehalt betrug 113 Th jährlich. Der Pfarrer gehörte ebenfalls zu dieser Beamtengruppe, sein Jahresgehalt lag auch bei 113 Th. Er war mit seinen Gehilfen zuständig für die christliche Erziehung der Pfleglinge. Dies war zu dieser Zeit eine wichtige therapeutische Aufgabe. Als vierten Beamten gab es noch den Sekretär, der auch als Hospitalinspektor bezeichnet wurde. Er hatte verschiedene Aufgaben innerhalb des Hospitals und erhielt 107 Th Jahresgehalt (vgl. Kahm, 1994, S.32). Des Weiteren gab es noch weitere Beamte, die eine wichtige Bedeutung hinsichtlich der Vorgesetztenfunktion für die Wärter im Hospital hatten. Der Küchenmeister und Kleiderverwalter, auch als Hausmeister bezeichnet, wurde hier genannt. Er war neben dem Hospitals-Arzt, den es in Haina ab 1821 gab, und dem späteren Oberwärter, welcher ab dem Jahr 1853 in den Geldrechungen aufgeführt wurde, der unmittelbare Vorgesetzte der Wärter. Er verdiente 113 Th pro Jahr. Der Koch verdiente 42 Th und die zwei Oberförster erhielten 24 Th im Jahr. Im Hospital war ein Chirurgus angestellt. Dieser Begriff wurde damals für einen Wundarzt verwendet (Krünitz, 1773 bis 1858). Er erhielt ein Jahresgehalt von 40 Th. Für die Wartung der Pfleglinge waren im Jahr 1810 11 Wärter mit je einem Jahresgehalt von 24 Th tätig.

3.1.3 Pfleglinge

Die Pfleglinge, die in Haina aufgenommen wurden, waren meist Menschen, die bis dahin ein armseliges Leben geführt haben. Sie kamen aus den untersten Bevölkerungsschichten. Die wenigsten der aufgenommenen Pfleglinge waren Honoratioren, dies waren Personen von Stand, Studierte, Offiziere und ihre Familien, die ihren Aufenthalt im Hospital selbst zahlten (Schlieper, 1983, S.256). Eine erste Aufstellung und Beschreibung über die Pfleglinge und deren Unterbringung wurde 1800 von dem Haus- und Küchenmeister Cranz aufgrund einer Anfrage von außen erstellt (LWV Archiv Haina, Best. 13. Alg. 1). Als Diagnosen der Pfleglinge wurden genannt: Geisteskrankheit, Blindheit, Taubheit, Gebrechlichkeit, Lahmheit, Epilepsie, manche Pfleglinge wurden auch als „närrisch“ oder „wahnsinnig“ diagnostiziert. Die Einteilung der Pfleglinge in unterschiedliche Stände, in Honoratioren und den so genannten Gemeinen, die, wie eingangs beschrieben, völlig mittellos waren, schlug sich vor allem in deren Unterbringung und in deren Verköstigung nieder. Die Honoratioren (sofern sie nicht tobsüchtig oder anderweitig selbst- oder fremdgefährdet waren) wurden in dem gleichnamigen Bau einquartiert. Diese wurden in der Regel in gut ausgestatteten Einzel- und Doppelzimmern untergebracht. Die Gemeinen waren meist in Mehrbettzimmern beherbergt. Die Matratzen und das Bettzeug der Betten waren teilweise mit Stroh gefüllten Säcken ausgestattet. Alle Pfleglinge erhielten Anfang des 19. Jahrhunderts drei Mahlzeiten pro Tag. Das Frühessen bestand aus einer warmen Suppe und Bier, es war für beide Stände gleich. Die Mittags- und Abendmahlzeit unterschied sich vor allem in ihrem Fleischanteil. Die Kost für die Honoratioren bestand aus 4,5 Pfund Fleisch in neun Portionen pro Woche, während die Kost für die Gemeinen nur zwei Pfund Fleisch in vier Portionen für die Woche enthielt.

Ansonsten gab es Kartoffeln, Gemüse und Getreideprodukte. Jeder Pflegling erhielt täglich 1,5 Pfund Brot und 1/2 Maß (=1,09 Liter) Bier (Schlieper, 1983, S.259). Die Kostformen wurden auch nach medizinischer Bedürftigkeit unterschieden. Es gab eine ärztlich verordnete Krankenkost, die auch Wein und eine extra Portion Fleisch enthielt. Es sind dementsprechend unterschiedliche Speisepläne überliefert, die diese medizinischen und ständischen Unterschiede abbilden. Die Mahlzeiten wurden von den Pfleglingen in ihrem Zimmern eingenommen. Die Verköstigung ging also über den Eigenbedarf der einzelnen Pfleglinge hinaus. Im Gegensatz zu der mit Lebensmittel schlechter versorgten Landbevölkerung hatten die Pfleglinge einen Überschuss an Nahrungsmittel. Dies hatte zur Folge, dass die Pfleglinge mit diesen Nahrungsmitteln Handel mit der Landbevölkerung betrieben. Dies wurde von der Hospitalleitung unter Strafe gestellt. Über die Strafen für die Pfleglinge wurde ein Strafbuch (von 1826 bis 1851) geführt (LWV Archiv Haina, Best. 13, Strafbuch). Es war tabellarisch eingeteilt in die Rubriken Name, Vorname des Pfleglings, Zimmer und Vergehen. Das Vergehen beschrieb die begangene Straftat des Pfleglings. Eine weitere Rubrik war das Straferkenntniß, es legte fest, welche Art und welcher Umfang der Strafe bei dem betreffenden Pflegling angewandt wurde. Das Straferkenntniß wurde eingeteilt in: Hospitalarrest, Arrest bei Wasser und Brot (der Pflegling wurde für eine bestimmte Zeit in eine abschließbare Einzelzelle eingesperrt und erhielt zu den Mahlzeiten nur Wasser und Brot), Fleisch- und Bierabzug (für circa 6-14 Tage), Verbringen im Zwangsstuhl, Tragen eines angeschlossenen Klotzes und körperliche Züchtigungen (Hiebe). Die körperlichen Züchtigungen in Form von Hieben wurden im Strafbuch ab 1849 nicht mehr vermerkt. Es ist davon auszugehen, dass diese seitdem nicht mehr vorgenommen wurden. Die genannten Vergehen sind Beleidigungen, Beschimpfungen gegen andere Pfleglinge oder Hospitalpersonal (vor allem gegen Wärter), Nichterscheinen zu Gottesdiensten, aber auch Angriffe auf Wärter oder „Mißhandlungen“ von anderen Pfleglingen. Die Strafmaßnahmen wurden vom Arzt angeordnet und mussten von den Wärtern durchgeführt werden. Bei den körperlichen Züchtigungen ist nicht bekannt, wer diese ausgeführt hatte.

Die Kleidung der Pfleglinge bestand aus grauem, wollenem Tuch und niederem Leinen. Honoratioren und Pfleglinge, die Geld verdienen konnten, trugen bessere Kleidung (Schlieper, 1983, S.259).

3.1.4 Behandlung der Pfleglinge

Ein wichtiger Teil der Behandlung der Pfleglinge war das Ausüben einer angemessenen Arbeit. Diese Arbeitstherapie wurde für den jeweiligen Pflegling über die Werk-Kommission ärztlich angeordnet. Als Arbeitstätigkeiten wurden Feld- und Anlagearbeiten, Botengänge, Holzarbeiten, Besenbinden, Spinnen und Weben, Fruchtwenden auf den Trockenböden, Arbeiten in der Schneiderei und Schuhmacherei sowie Glockenläuten angeboten (Kahm, 1994, S.50). Die Pfleglinge arbeiteten ebenfalls in den Abteilungen und halfen den Wärtern bei ihren Verrichtungen. Für ihre Arbeitsleistung erhielten die Pfleglinge einen Lohn und verdienten sich somit Geld für die Befriedigung von Nebenbedürfnissen. Eine strenge Haus- oder Hospitalordnung war Teil der Therapie für die Hospitaliten. Sie sollte die Pfleglinge zur Selbstdisziplinierung und zur Verinnerlichung eines asketischen Lebensideals erziehen (Noll, Dort, 2007). Eine weitere Funktion dieser Hausordnung war, neben der Vermeidung des Müßigganges bei den Pfleglingen, die Festlegung einer festen zeitlichen Ordnung, die für das Personal im Hospital und die Pfleglinge gleichermaßen galt. Die Strukturierung des Tagesablaufes der Pfleglinge war ein wichtiger Teil der Therapie. Der Ablauf des Tages war sehr streng eingeteilt, so gab es eine festgelegte Tagesordnung für die Pfleglinge. Die Wärter mussten dafür sorgen, dass diese Tagesordnung von den Pfleglingen strikt eingehalten wurde. Der Tagesablauf begann im Sommer um 5:30 Uhr, im Winter um 6:30 Uhr mit Aufstehen, Waschen, Kämmen und Ankleiden. Von 6:00 bis 6:30 Uhr wurde gemeinsam gebetet. Die religiöse Belehrung war ebenfalls Teil der Therapie. Danach gab es Frühstück. Nach dem Frühstück gingen die Pfleglinge von 7:30 bis 11:00 Uhr zur Arbeit oder zu ihrer Beschäftigung in die verschiedenen Arbeitsstätten. Die Einnahme des Mittagessens mit anschließender Ruhepause war für die Zeit von 11:00 bis 13:00 Uhr vorgesehen. Ab 13:00 bis 17:00 Uhr gingen die Pfleglinge wieder zur Arbeit. Von 17:00 bis 18:00 Uhr gab es Abendessen. Danach war Zeit für Erholung. Ab 21:00 war Nachtruhe. Im Winter begann die Nachtruhe schon ab 20:00 Uhr (LWV Archiv Haina, Best. 13 (1828)).

Die diätetische Therapie bestand in der Verordnung der Krankenkost (s. dazu auch Punkt 3.1.3). Die medikamentöse Therapie bestand aus der Gabe von Digitalis, Baldrian, Opium und Brechmitteln (LWV Archiv Haina, Best. 13. Ungeordnete Kiste 8). Die Medikamente wurden von dem Arzt angeordnet und dem jeweiligen Pflegling durch den Wärter verabreicht (LWV Archiv Haina, Best. 13. (1854)). Der Lazarethwärter führte im Auftrag des Arztes Aderlässe und „Fontanellen“ bei den Pfleglingen durch (s. auch Punkt 3.3.4.5).

Anwendung von Heil- und Zwangsmaßnahmen

Zwangsmaßnahmen wurden als Therapie und als Strafe angewendet. Dies wurde an der Anwendung von Zwangsmaßnahmen in Form von Hieben, Klotz ans Bein, der Anwendung des Zwangsstuhls und Arrest in der Zelle als Strafen deutlich, wobei mit den Zellen meist die Autenriethschen-Zellen in der Abteilung des Magazins gemeint waren. Wenn diese Maßnahmen als Strafen Anwendung fanden, wurden sie in dem Strafbuch dokumentiert. In diesem Buch fanden sich insgesamt sieben Fälle, bei denen die Anwendung des Zwangsstuhls dokumentiert ist. Die Gründe für die Anwendung dieser Zwangsmaßnahme waren unterschiedlich, diese waren im Einzelnen: „wegen mehrtätigen vagabundierenden Umhertreibens“, „weil sich Pfleglinge gegen die Wärter und dessen Frau widersetzten“, „weil er sich der Arbeit entzogen“ und „weil er einen anderen Pflegling geschlagen hat“ (LWV Archiv Haina, Best. 13. Strafbuch). Bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen im Rahmen der „Therapie“ wurden hingegen keine Aufzeichnungen gefunden. Im Hospital Haina wurde im 19. Jahrhundert gerade bei den Tobsüchtigen und Irren folgende Zwangsmaßnahmen eingesetzt (vgl. auch Punkt 3.3.4.4): Erst wurde dem Pflegling der Zwangsgürtel (s. Abbildung 2) angelegt, dann erfolgte die Zwangsbehandlung im Zwangsstuhl (s. Abbildung 3), danach wurde eine weitere Behandlung im Zwangsbett (s. Abbildung 4) und anschließend ein Einsperren in der Autenriethschen-Zelle (s. auch Punkt 3.1.1) durch den Arzt angeordnet.

Unter Punkt 3.2 wird der Wärter im Hospital Haina und seine Herkunft näher beschrieben.

3.2 Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert

Gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Situation der Landbevölkerung in Hessen von Armut und Nahrungsmittelknappheit geprägt. Die Anstellung im Hospital bedeutete für die Angestellten eine gesicherte lebenslange Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln. Die Versorgung und Pflege bei eintretender Krankheit, Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit der Angestellten war ebenfalls sichergestellt. Die Ehefrauen der meist männlichen Hospitalmitarbeiter wurden durch die Zahlung einer Witwenrente nach dem Tod der Ehepartner weiter versorgt. Das Hospital war somit ein attraktiver Arbeitgeber für die Menschen in dieser Region und in dieser Zeit. Dies führte dazu, dass der Hospitalleitung stets eine große Anzahl geeigneter Stellenbewerber für die Wärtertätigkeit vorlagen. Es wird daher unter Punkt 3.2.1 beschrieben, aus welchen Verhältnissen die Wärter sich rekrutierten, nach welchen Kriterien der Obervorsteher das Wärterpersonal auswählte und wie der Bewerbungsprozess verlief. Eine Falldarstellung anhand einer Personalakte soll Auskunft über die Durchführung der Einstellungsformalitäten geben. Eine Stellenausschreibung für den Lazarethwärter wurde 1850 von der Hospitalleitung in einer Zeitung aufgegeben. Darauf folgten Bewerbungsschreiben von etlichen Bewerbern. Durch den Blick in die Originalausschreibung und in das Bewerbungsschreiben des späteren Stelleninhabers soll der Vorgang dieses Personalgewinnungsverfahrens wirklichkeitsnah dargestellt werden.

3.2.1 Rekrutierung, Wärteranzahl und Fluktuation

Die im Hospital Haina tätigen Wärter rekrutierten sich gewöhnlich aus den umliegenden Dörfern des Hospitals. Sie hatten in der Regel einen handwerklichen Beruf erlernt oder /und als Soldat beim Militär gedient. Im Folgenden werden die Einstellung, der Verlauf und die Entlassung eines Wärters anhand der Eintragungen in seiner Personalakte dargestellt. Der Obervorsteher Quentin vermerkt in der Personalakte des Johannes Dörfler am 04.07.1886:

„Meldet sich der Maurer Johannes Dörfler aus Moischeid, welcher, den 29 .Okt. 1862 geboren u. vom November 1882 bis Sept. 1884 beim 1. Garde Grenadier – Reg. gedient unter Vorlage des Führungsattestes als Wärter.“

Der Obervorsteher vermerkte weiter, dass Dörfler nach dem Zeugnis des Militärs sich gut geführt und „keine Strafen erlitten“ habe. Dieses „Führungsattest“ wurde vom Obervorsteher Quentin als Beleg für die Eignung Dörflers als Wärter angesehen. Er wurde am 19.07.1886 als Wärter eingestellt. Am gleichen Tag wurde er, laut Eintragungen des Obervorstehers Quentin, in der Personalakte, „ ... im Allg. mit dem ihm obliegenden Verpflichtungen bekannt gemacht und dem Oberwärter zur specieller Instruction überwiesen“. Dörfler quittierte am gleichen Tag handschriftlich, dass er über die „Dienstanweisung für den Oberwärter, die Wärter und den Wärtergehülfen sowie für den Kranken- und Lazarethwärter des Landeshospitals Haina“ von 1854 und „seiner Dienstobliegenheit“ von dem Oberwärter „instruiert“ wurde. Weiter quittierte er, dass er die Dienstanweisung ausgehändigt bekommen habe. Der Obervorsteher vermerkte, dass er am gleichen Tag eine Zahlungsanweisung an die Renterei über einen Betrag von 360 Mark für Dörfler veranlasst habe. Ab 1871 erfolgte die Währungsumstellung von Th auf Mark und Pfennig. Das Wertverhältnis lag bei einem Th zu etwa vier Mark (Kahm, 1994, S.39). Weiterhin ist vermerkt, dass am 25.08.1886 von der Hospitalkleiderverwaltung Kleidungsstücke, wahrscheinlich handelte es sich um Dienstkleidung, an Dörfler ausgegeben wurden. Am 7.10. 1886 wurde die Einstellung des Wärters Dörfler durch den Landesdirektor genehmigt. Am 12.04.1888 vermerkt der Verwaltungsbeamte Köhen, dass Dörfler wegen „Angetrunkenheit“ eine Strafe von einer Mark zahlen musste. Am 11.05.1888 notiert der Obervorsteher Quentin:

„Dörfler wurde heute seines Dienstes entlassen, nachdem ich bei einem Besuch des Hospitals beobachtet habe, dass Dörfler den Pflegling Christian Schrimpf 2 mal mit der Faust in den Rücken schlug und sodann den zur Erde gegangenen Schrimpf 2 mal mit dem Fuße trat.“

Quentin veranlasste sofort die Einstellung der Vergütung für Dörfler bei der Hospitalsrenterei zum 12.05.1888 (LWV Archiv Haina, Best. 13, Pers 169).

Das obige Beispiel lässt vermuten, dass die Normen der Hausordnungen und Dienstanweisungen und die tatsächliche Wirklichkeit im Hospital unterschiedlich aussahen. Da Dörfler innerhalb kurzer Zeit zweimal durch Normverstöße auffiel und daraufhin entlassen wurde.

Die Anwerbung des Lazarethwärters erfolgte über ein Zeitungsinserat. Es wurde am 21.01.1850 in der zweiten Beilage zum Wochenblatt für den Bezirk Marburg unter Besondere Bekanntmachungen der Verwaltungs- und Finanzbehörden Nummer 116 aufgegeben. Die Abbildung 8 zeigt die Beilage zum Wochenblatt für den Bezirk Marburg vom 02.02.1850. Auf diese Stellenausschreibung erfolgten insgesamt 12 Bewerbungsanschreiben. Die Stelle erhielt der Bader Doutteil zu Zwesten. In seinem Bewerbungsschreiben (LWV Archiv Haina, Best. 13. A32) formulierte er folgendes:

„Kurfürstliche Hospitals-Inspektion!

Der Bädermeister Georg Ludwig Doutteil zu Zwesten,

Verwaltungsamt Fritzlar bittet ganz gehorsamst:

ihn bei Wiederbesetzung der erledigten Bader- u. Lazarettwärterstelle

zu Haina gewogenst zu berücksichtigen und zu derselben hochgeneigtest

in Vorschlag zu bringen.

Von meiner frühesten Kindheit an hatte ich eine entschiedene Neigung zum Badergeschäft, welche mit den Jahren immer mehr Stärke bekam.

Ich suchte mir deshalb unter Anweisung meines verstorbenen Vaters diejenigen Kenntnisse zu erwerben, welche von einem Bader erfordert werden und suchte mich besonders, da mein Vater Wundarzt war, in den chirurgischen Wissenschaften zu üben. Hierauf unterwarf ich mich einen Examen und es wurde mir in Folge desselben gestattet, die kleinen wundärztlichen Geschäfte zu verrichten und wie nun dieselbe seit beinahe 20 Jahren ausgeübt. Darüber dürften wohl anliegende Zeugnisse sprechen. So lange ich und meine Frau allein war, suchte ich mich stets von meinem Verdienst redlich durchzuschlagen, allein da ich jetzt vierer Kinder habe, sehne ich mich sehr nach Verbesserung meiner Lage.

Da ich nun in Erfahrung gebracht, dass die Bader- und Lazarettwärterstelle in dem Hospitale Haina erledigt ist, so erlaube ich mir ganz gehorsamste Bitte auszusprechen, Kurfürstliche Hospitals-Inspektion mich bei Wiederbesetzung der freien Stelle gewogenst berücksichtigen und zu derselben hochgeneigtest in Vorschlag bringen.“

Das Bewerbungsschreiben zeigt, dass Zeugnisse und gute Referenzen schon im 19. Jahrhundert eine wichtige Bedeutung hatten. Der Bewerber Doutteil wurde am 01.04.1850 im Hospital als Lazarethwärter eingestellt. Auffällig ist, dass Doutteil trotz der Tatsache, dass er eine Frau und vier Kinder zu versorgen hatte, die Stelle erhielt, s. dazu auch Punkt 3.4.2: Stellungnahme des Obervorstehers zur Verheiratung der Wärter.

Die Anzahl der Wärter hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verändert.

Die folgende Tabelle gibt Auskunft über die Anzahl der Pfleglinge und der Wärter im 19. Jahrhundert im Hospital Haina (vgl. Holthausen, 1907, S.50). Die letzte Spalte gibt das Verhältnis von Wärtern zu Pfleglingen wieder.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 eigene Darstellung auf der Basis von Holthausen, 1907, S.50

Das Verhältnis Wärter zu Pfleglingen lag im Jahr 1800 bei 1:52. Die Anzahl der Wärter lag bereits im Jahre 1810 bei einem Chirurgus als Lazarethwärter, 11 Wärtern und einer Wärterwitwe, welche im Küchendienst tätig war (LWV Archiv Haina, Best. 13. Geldrechnungen 1810). Das Verhältnis Wärter zu Pfleglingen lag, bei einer angenommen Anzahl der Pfleglinge von 350, im Jahr 1810 bei 1:27. Da bis 1850 die Anzahl der Pfleglinge im Hospital zwischen 300 und 350 schwankte, hat sich die Zahl der Wärter in dieser Zeit nur leicht erhöht (Holthausen, 1907, S.50). Die Zahl der Pfleglinge stieg im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts stark an. Das Verhältnis von Wärtern zu Pfleglingen verbesserte sich durch vermehrte Einstellung von Wärtern bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf 1:14.

Um einen Einblick in die Fluktuation des Wärterpersonals zu erhalten, wurden die Geldrechnungen aus den Jahren 1850 bis 1865 ausgewertet. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Fluktuation des Wärterpersonals sehr gering war. Die Wärter, die durch Pension oder Tod aus dem Dienst ausschieden, wurden durch neue Wärter ersetzt. Ab dem Jahr 1854 wurden vermehrt Wärtergehilfen eingestellt. Die Bewerber für die Stelle des Wärtergehilfen verfügten meist über keine Zeugnisse. Die Anstellung von Wärtergehilfen hatte wahrscheinlich ökonomische Gründe, da die Wärtergehilfen gut ein Drittel weniger verdienten als die Wärter. In dem Jahr 1860 wurden auch Wärter zur Arbeitsprobe angestellt. In dem Jahr 1864 gab es vermutlich personelle Probleme: es erfolgten kurz nach der Anstellung von Wärtergehilfen Entlassungen oder die Wärtergehilfen wurden in andere Bereiche des Hospitals versetzt. Sie arbeiteten dann als Portier oder Nachtwächter. In den Jahren 1864 und 1865 erfolgten Beförderungen von einigen Wärtergehilfen zu Wärtern (LWV Archiv Haina, Best. 13. Geldrechnungen 1850-1865).

Unter Punkt 3.2.2 werden die Grundstrukturen des Wärterdienstes vorgestellt und erläutert.

3.2.2 Organisationsstruktur des Wärterdienstes

Die folgende Struktur gibt die hierarchische Gliederung des Wärterdienstes im Hospital Haina nach der Umsetzung der „Dienstanweisung für den Oberwärter, die Wärter u. Gehülfen, sowie den Kranken- und Lazarethwärter… “ aus dem Jahr 1854 wieder, s. dazu Punkt 3.3.4.2, § 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Organigramm des Wärterdienstes im Jahr 1854

Aus der Geldrechnung ist, ergänzend zu dem Organigramm, die Zuordnung der Wärter auf die einzelnen Abteilungen, wie das Magazin, das Lazareth, das Capitel, und dem Honoratiorenbau (s. auch Punkt 3.2.4) zu ersehen. Wenn im Hospital eine Stelle zu besetzen war, gab es zum Teil auch interne Stellenanwärter; dies soll durch ein Beispiel aus den Personalakten verdeutlicht werden. Die Nachfolgeregelung des im Juni 1866 verstorbenen Oberwärters Naumann gestaltete sich folgendermaßen:

Der Küchenmeister Röth schrieb am 05.07.1866 an das kurfürstliche Obervorsteheramt, dass sich die Nachfolge des Oberwärters Naumann als schwierig gestalte. Wörtlich schrieb er: „Von den dermaligen Wärtern, die derzeit im Hospital sind, eignet sich keiner zum Oberwärter.“ Von der Möglichkeit, einen „unkundigen und nicht unterrichteten Oberwärter von außen zu bestallen“ riet er dem Obervorsteher ab. Stattdessen bot er seine Dienste zur Übernahme der Aufgaben des Oberwärters unter Zahlung der entsprechenden Vergütung an. Der Obervorsteher schrieb am 06.07.1866 an die kurfürstliche Regierung in Marburg, dass „die Geschäfte des Oberwärters Naumann“ der Hausmeister Röth vorläufig übernommen habe, da derzeit keiner unter den Wärtern für dieses Amt zu Verfügung stehe. Bis eine geeignete Persönlichkeit für dieses Amt gefunden sei, soll der Küchenmeister Röth die Geschäfte des Oberwärters weiterführen (LWV Archiv Haina, Best. 13.Pers. Vorläufiges Verzeichnis 492).

Dieses Schreiben lässt vermuten, dass der Küchenmeister Röth doch eine sehr eigennützige Strategie verfolgte. Dass er mangels Personalalternativen sich selbst zur Übernahme der Tätigkeiten des Oberwärters anbot, resultierte wahrscheinlich daraus, dass er mit diesem Schreiben die Gelegenheit nutzte, sich eine zusätzliche Einkommensquelle durch die Übernahme der Oberwärtertätigkeit zu sichern.

Unter dem Punkt 3.2.3 geht es um den Familienstand der Wärter im Hospital Haina.

3.2.3 Heiratsverbot und „Heiratsconsens“

Die Wärter sollten, laut der renovierten Hospitalordnung von 1728, zu Anfang des 19. Jahrhunderts verheiratet sein, aber keine Kinder haben (StAM, Best. 5 Nr. 17866, S.129). Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden die Wärter im Hospital mit einem Heiratsverbot belegt und erhielten nur in Ausnahmefällen einen so genannten „Heiratsconsens“, welcher die Erteilung der Heiratserlaubnis seitens der kurfürstlichen Regierung in Marburg bedeutete. Um festzustellen, welcher der Wärter im 19. Jahrhundert tatsächlich verheiratet war, wurden die Kirchbücher in Haina und der angrenzenden Stadt Gemünden durchsucht. Das Buch der Kirchengemeinde in Haina enthält die Namen der Konfirmanden und der Bürger und Bürgerinnen, die in Haina getraut wurden. Es gibt Auskunft über die Eltern der Konfirmierten und die Berufstätigkeit der Väter. Das Buch dokumentiert den Zeitraum der Jahre 1831 bis 1910. Da für diese Arbeit vor allem die Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts von Bedeutung sind, wurden die Jahre 1831 bis 1900 ausgewertet. Laut dem Kirchbuch hatten sich in den Jahren 1834 bis 1880 insgesamt acht Wärter des Hospitals Haina verheiratet. In der Zeit von 1881 bis 1900 waren es fünf. Die Anzahl der konfirmierten Kinder, deren Väter Wärter waren, lag in dem ausgewerteten Zeitraum bei insgesamt 72. Die Väter dieser Kinder waren laut Kirchbuch ausnahmslos verheiratet (Archiv der Kirchengemeinde Haina. Konfirmation und Trauungen 1831-1910). In dem Kirchbuch von Gemünden fanden sich in dem genannten Zeitraum keine Eheschließungen von Wärtern. Da für die Wärter bis zum Jahr 1880 im Hospital Haina quasi Logiszwang bestand, ist davon auszugehen, dass dort ständig eine gewisse Anzahl von Kindern lebte.

Die Erlaubnis zur Heirat hatte sich für die Wärter im Hospital Haina im Laufe der Zeit verändert. Am Anfang des 19. Jahrhunderts gab es mehr Wärterehen und auch mehr Kinder von Wärtern, die konfirmiert wurden, als dies zur Mitte und zum Ende des 19. Jahrhunderts der Fall war. Am Beispiel der Personalakte des Wärters Wiegand wird deutlich, wie schwierig es war, Heiratserlaubnis von dem Obervorsteheramt zu erlangen. Der Wärter Wiegand musste mehrere „Bittschriften“ mit ausführlichen Begründungen an das Obervorsteheramt des Hospitals und an die kurfürstliche Regierung in Marburg schreiben, um endlich heiraten zu dürfen (LWV Archiv Haina, Best. 13. A32). Die Dokumente zur Bittschrift sind ausführlich unter Punkt 3.4.1 und 3.4.2 dargestellt.

Unter Punkt 3.2.4 wird die Vergütung der Wärter im Hospital Haina dargestellt.

3.2.4 Entlohnung und Pension

Der Verdienst der Wärter hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verändert. Die Verdienste der Wärter waren laut den Geldrechnungen aus dem Jahr 1810 ebenfalls unterschiedlich. So verdiente ein Wärter im Honoratiorenbau 14 Th und ein Wärter im Capitel verdiente 24 Th, der Chirurgus und Lazarethwärter verdiente 44 Th im Jahr. Die Witwe eines Wärters erhielt für ihre Dienste rund 7 Th jährlich (LWV Archiv Haina, Best. 13. Geldrechnungen 1810). Die Verdienste wurden in Naturalien ausgezahlt und in den Geldrechnungen bis circa 1850 einzeln aufgelistet und in Geldeinheiten umgerechnet, wobei unklar ist, woran die unterschiedliche Vergütung der Wärter festgemacht wurde. Ein Kriterium für die Verdiensthöhe könnte die Anzahl der Dienstjahre sein. So hat der Obervorsteher Quentin für den Oberwärter Wiegand 1891 um eine Gehaltserhöhung von 1250 auf 1500 Mark bei dem Landesdirektor ersucht. Er begründete sein Ersuchen damit, dass Wiegand bereits 38 Jahre lang dem Hospital treu gedient, und er somit Anspruch auf eine entsprechende Gehaltserhöhung habe (LWV Archiv Haina, Best. 13, A32). Die Verdienste waren in den nächsten 43 Jahren angestiegen. Die Wärter verdienten im Jahre 1853 zwischen 120 und 150 Th und die Wärtegehilfen verdienten zwischen 64 und 96 Th pro Jahr. Der Lazarethwärter verdiente 150 Th. Der Oberwärter wurde 1853 das erste Mal in den Geldrechnungen erwähnt. Er verdiente 200 Th und erhielt zusätzlich drei Th für die Instandhaltung des Kommissionszimmers (LWV Archiv Haina, Best. 13, Geldrechnungen 1853). Die Wärter mussten bis zur Dienstunfähigkeit arbeiten. Sie erhielten danach eine Pension. Die Höhe der Pension betrug im Jahr 1856 zum Beispiel bei dem Wärter Grunewald 84 Th pro Jahr (LWV Archiv Haina, Best. 13, Geldrechnungen 1856). Die Beamten und die Oberwärter des Hospitals arbeiteten meist bis zu ihrem Tod. Die Ehefrauen der Wärter erhielten, laut Angaben der Geldrechnungen, keine Vergütung für ihre Tätigkeiten. Sie erhielten aber kostenlose Logis und Verpflegung. Sie wurden in den Geldrechnungen nur erwähnt, wenn der Ehemann verstorben war. In den Geldrechnungen wurden sie als des Wärters „Name des Wärters“ Witwe oder „Name des Wärters“ und „Relikt“ weitergeführt. In den Geldrechnungen aus dem Jahr 1810 findet sich die Eintragung „des Aufwärter Schumachers Witwe“, die in den „Essstuben“ gearbeitet hatte und eine Vergütung von jährlich 7 Th und 25 Alb erhielt. Die anderen Wärter hingegen verdienten zwischen 12 und 24 Th (LWV Archiv Haina, Best. 13, Geldrechnungen 1810). Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatten sich die Pensionen ebenfalls erhöht. Die Witwe des verstorbenen Oberwärters Naumann erhielt im Jahr 1872 eine Pension in Höhe von 14 Th. Die Witwen eines Wärters und des Pförtners erhielten jeweils 12 Th (LWV Archiv Haina, Best. 13. Pers. Vorläufiges Verzeichnis 492).

Der Punkt 3.2.5 beschreibt die Dienstzeiten und die Urlaubsregelungen für die Wärter.

3.2.5 Arbeitszeit, Freizeit und Urlaub

Die Arbeitszeit der Wärter richtete sich nach dem Tagesplan der Pfleglinge bzw. dauerte bis zum Ende der täglichen Versorgung dieser, s. dazu auch die Tagesordnung für die Pfleglinge unter Punkt 3.1.4. Erst nach der Versorgung aller Pfleglinge durften die Wärter sich in ihre Stuben zurückziehen. Ein Wärter musste im Anschluss daran noch den Nachtdienst übernehmen. Die Regelungen hierzu befinden sich unter Punkt 3.3.3.2, § 23. Laut der Dienstanweisung für die Wärter aus dem Jahr 1828 und 1854 ist den Wärtern Urlaub nur auf Genehmigung des Obervorstehers zu erteilen. Das Ausgehen regelt die Dienstanweisung 1828 und 1854 für die Wärter und Wärtergehilfen (s. hierzu unter Punkt 3.3.3.1 und 3.3.4.3, § 4). Es gab aber viele Übertretungen, die mit Strafen für die Wärter belegt wurden. So geschah es, dass der Wärter K. erst gegen ein Uhr nachts von einem Ausgang zurückkam. Er musste eine Strafe von 20 Silbergroschen in die Nebenkasse zahlen (Kahm, 1994, S.51). In der Regel war es wahrscheinlich so, dass Urlaubsgesuche der Wärter an das Obervorsteheramt gegeben wurden. Der Obervorsteher gab dann das Urlaubsgesuch zur Prüfung an den Hospitals-Arzt weiter. Je nach Ausfall der Stellungnahme des Hospitalarztes wurde der Urlaub erteilt oder versagt. Dass ein Urlaubsgesuch eines Wärters auch mit einer Dienstreise verbunden werden konnte; zeigt der Fall des Urlaubsgesuches des Oberwärters Naumann:

In der Personalakte des Oberwärters Naumann stellte dieser am 7.10.1857 in einem Schreiben an das kurfürstliche Obervorsteheramt einen Urlaubsantrag, um in einer familiären Angelegenheit nach Weimar und Leipzig zu fahren. Er werde circa 8 Tage für die Erledigung dieser Angelegenheiten benötigen. Das Schreiben an das kurfürstliche Obervorsteheramt beginnt mit: „Ihr Oberwärter Naumann bittet um Urlaub.“

Die Bitte um Urlaub war, laut Vermerk, am gleichen Tag beim Obervorsteheramt eingegangen. Der Obervorsteher hatte dann die Stellungnahme des Hospitalarztes Dr. Amelung angefordert. Die Stellungnahme des Dr. Amelung zum Urlaub des Oberwärters Naumann erfolgte am 7.10.1857. Dr. Amelung schrieb dort an das Obervorsteheramt, dass der „ … Oberwärter Naumann noch nie eine andere Anstalt von innen gesehen hat“, und da „der Oberwärter die Wärter anweisen und unterrichten muss, ist es notwendig, dass er die … Anstalt in Sonnenstein besucht, um seine Kenntnisse in der Irrenpflege zu erweitern“.

Der Urlaub wurde dem Oberwärter Naumann von der kurfürstlichen Regierung in Marburg gewährt. Naumann hatte die Anstalt in Sonnenstein besucht. Dies belegt die Liquidationsrechnung (Reisekostenrechnung) vom 3.12.1857. Hier wurden Naumann die Fahrtkosten für die Reise von Leipzig nach Pirna und zurück erstattet. Darüber hinaus erhielt er „Trinkgelder“ für Essen und Unterkunft im Leipziger Armenhaus (LWV Archiv Haina, Best. 13, Pers. Vorläufiges Verzeichnis 492).

Punkt 3.2.6 beschreibt die Versorgung und Unterbringung der Wärter im Hospital Haina.

3.2.6 Kost und Logis, Dienstkleidung

Die Unterbringung im Hospital war für die Wärter frei. Es standen in allen Abteilungen des Hospitals so genannte Wärterstuben zur Verfügung. Die Wärterstuben waren Wohn- und Dienststuben zugleich (vgl. Punkt 3.3.3.2, § 30). In jeder Abteilung (Neubau, Lazareth, Blockhaus, Capitel, Honoratiorenbau, Schlafhaus) waren neben den Zimmern der Pfleglinge Wärterstuben oder Wohnungen angeordnet, wo die Wärter, wenn sie verheiratet waren, mit ihren Ehefrauen wohnten. Die Ehefrauen halfen ihren Männern bei der Wartung der Pfleglinge. Das heißt, dass ihnen eine bestimmte Zahl von Pfleglingen zur Wartung und Betreuung fest zugewiesen war. Bis zum Jahr 1880 wohnten die Wärter mit ihren Familien in Wärterstuben der Krankenabteilungen (Holthausen, 1907, S.51). Dies bedingte natürlich eine große Nähe der Wärter zu den Pfleglingen im Hospital. Die Pfleglinge halfen auch in den Haushalten der Wärter mit. Dies legt den Schluss nahe, dass die Wärter mit den Pfleglingen wie in einer großen Familie zusammenlebten. Die Wärter hielten auch Hunde und Ziegen in den Abteilungen (Holthausen, 1907, S.51). Diese Tatsache lässt vermuten, dass die hygienischen Verhältnisse im Hospital eher schlecht waren. Neben der Unterkunft wurde den Wärtern auch die Kost vom Hospital gestellt. Die Wärter und deren Ehefrauen erhielten vom Hospital die gleiche Kost wie die Gemeinen (s. unter Punkt 3.1.3) mit dem Zusatz, dass sie die doppelte Menge an Fleisch bekamen. Diese Verköstigung wurde auch bei allen anderen „in Kost stehenden Hausdienern“ angewendet. Die Kostform wurde die „Preabner-Kost“ genannt, wobei „Preabner“ für Pfründner steht (Schlieper, 1983, S.259). Darüber hinaus erhielten die Wärter bei Krankheit kostenlose ärztliche Behandlung und Arzneien. Die Dienstkleidung wurde von dem Hospital gestellt. Auf Wunsch wurde sie auch ausgezahlt. So erhielt der Oberwärter Wiegand 48 Mark als Ersatz für nicht in Anspruch genommene Dienstkleidung (LWV Archiv Haina, Best. 13. A32). Zusätzlich erhielten die Wärter Wäschegeld und Schuhgeld, wenn sie entsprechende zusätzliche Arbeiten verrichteten (s. dazu Punkt 3.4.3).

3.3 Dienstanweisungen als Aufgabenbeschreibung für die Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert

Wie schon unter Punkt 1.5.1.1 erwähnt, war die Hausordnung der Rahmen für das Verhalten des Hospitalpersonals und der Pfleglinge. Die Hausordnung des Hospitals Haina war somit Grundlage für weitere Dienstanweisungen für die Wärter, da sie den Anweisungen übergeordnet war. Diese Hospitalordnung wird unter Punkt 3.3.1 in ihren Grundzügen dargestellt. Im Anschluss daran folgt unter Punkt 3.3.2 die Vorstellung der „Dienstinstruction für die Aufwärter“ aus dem Jahr 1800. Sie war allgemeine Grundlage für die unter Punkt 3.3.2 folgende „Dienstanweisung für die Wärter im Landeshospitale Haina“ aus dem Jahr 1828 (nachfolgend Dienstanweisung 1828 genannt). Im Anschluss daran erfolgt unter Punkt 3.3.4.1 ein allgemeiner Vergleich der Dienstanweisung 1828 mit der „Dienstanweisung für den Oberwärter, Wärter und Wärtergehülfen sowie dem Kranken- und Lazarethwärter (Bader) des Landeshospitals Haina“ aus dem Jahr 1854 (nachfolgend Dienstanweisung 1854 genannt).

3.3.1 Ordnung für das Hospital Haina

Die für das 19. Jahrhundert gültige Hospitalordnung geht auf die im Jahr 1534 erlassene „Grundordnung der Hospitäler Haina und Merxhausen“ zurück. Sie ist in vier Kapitel gegliedert und beschreibt 1. die Gründungsbestätigung der Hospitäler und die Aufnahmebedingungen der Pfleglinge, 2. den „Tageslauf der Hospitaliten“. 3. Die „Feier des Abendmahls“ und 4. Anweisungen für die Hospitalleitung (Demandt, 1983, S.49). Sie wurde in den Jahren 1723 bis 1728 überarbeitet und neuen Anforderungen angepasst. Diese Überarbeitung wurde auch die „renovierte Ordnung“ genannt (StAM Best. 5 Nr. 17866). Die Hospitalsordnung enthält die „Hainaer Zuchtordnung für Männer“, dies war ein Katalog für Verhaltensvorschriften und Strafen bei Zuwiderhandlungen durch die Pfleglinge. Sie bezog sich hauptsächlich auf die Einhaltung seelsorgerischer Normen im Hospital. Der Katalog für die Strafen findet sich teilweise in dem Strafbuch für die Pfleglinge unter Punkt 3.1.3 wieder, wobei in der Zuchtordnung keine körperlichen Strafen vorgesehen waren. In der „renovierten Ordnung“ werden auf drei Seiten Instruktionen für die „Aufwärter“ aufgeführt. So heißt es dort, dass keine „Aufwärter welche starke Familien haben sondern so sind immer mögl. solche Leute, so keine Kinder mehr erziehen darzu auszusuchen … “ (StAM Best. 5 Nr. 17866, S.129). Im Weiteren werden Regeln für die Aufwärter, was die Grundversorgung der Pfleglinge angeht, beschrieben. Im nachfolgenden Text geht es um die Annahme von Geschenken, dort heißt es: der „Aufwärter nebst seiner Frau nichts an Geschenk annehmen oder sonstigen davon Armen abnehmen … “ (StAM Best. 5 Nr. 17866, S.130). Der Aufwärter und seine Frau sollen alle Hospitaliten gleich behandeln. Es ist auffällig, dass in dieser Ordnung von dem Aufwärter und seiner Frau gesprochen wird. Folglich sollte der Wärter verheiratet sein, aber keine Familie mit Kindern haben. Der Aufwärter soll „alles Fluchen, Zanken, Saufen und böses Leben“ dem Obervorsteher zur Bestrafung anzeigen (StAM Best. 5 Nr. 17866, S.131).

Unter Punkt 3.3.2 wird die „Dienstinstruction“ für die Wärter des Hospitals Haina dargestellt.

3.3.2 „Dienstinstruction“ der Wärter aus dem Jahr 1800

Der Küchenmeister Cranz hatte im Jahre 1799 von dem Obervorsteher Stamford den Auftrag, das Hospital Haina zu beschreiben. In dieser Beschreibung wurde im § 54 einleitend allgemein die Versorgung der Pfleglinge durch die „Aufwärter“ dargestellt. Im § 55 wurde die „Instruction der Aufwärter“ beschrieben (LWV Archiv Haina, Best. 13. Alg. 1).

„In Ansehung der Aufwartung

§ 54 Bey sammtlichen hiesigen Armen ist eine Anzahl Aufwärter angestellt, welche denen Kranken pflegen, sie waschen, kämmen, ihnen das Essen reichen, die Bette machen, des Winters die Zimmer heitzen, die rasenden täglich reinigen und ihnen, so oft es nötig ist, frisch Stroh geben, und alles LeinenZeug waschen, auch dafür sorgen müssen, dass sämtliche KleidungsStücke in gutem Stand erhalten und zu rechter Zeit ausgebessert werden.

Instruction der Aufwärter

§55 Es wird zu desto genauerer Beschreibung der Hospitaliten Verpflegung nicht undienlich seyn die Haupt-Puncte der Instuction für die Aufwärter hierher zu setzen.

1. Denen ihnen anvertrauten Armen und Kranken sollen sie das denenselben verordnetet Essen und Trincken Täglich hohlen, es ihnen treulich verhandreichen, sie freundlich und gut behandeln, die Kranken aufs beste warten, und Pflegen, keinen derselben ohne Vorwissen des Obervorstehers über ihre Vergehungen züchtigen oder schlagen, bey Vermeidung der nachdrücklichen Strafe.
2. Die Kranck und Bettlägerig gewordenen Leute sollen sie nicht nur jeden Morgen dem Küchenmeister und Wundarzt anzeigen, sondern auch, wann ein oder der andere krancke zu etwas verlangen hätte, denenselben solches melden, damit ihnen das nöthige und für ihre Umstände dienliche gereicht werden koenne.
3. Wird ihnen ernstlich eingebunden: Denen gebrechlichen Krancken und elenden nicht allein des Tages, sondern auch des Nachts treulich anhand zu gehen, sie zu pflegen und zu warten.
4. Dasjenige, was denen Armen und Krancken an Essen, Trincken und Kleidung gehöret und an Medicin verordnet wird, sollen sie ihnen an Ort und Stelle bringen, jedem solches nicht allein darreichen, sondern auch dahin sehen, dass sie es alle richtig und ordentlich bekommen, keiner im mindesten verkürzt und denen Krancken die Medicin zur Vorgeschriebenen Zeit gereicht werde. Wie sie dann überhaupt schuldig sind, denjenigen Armen und Krancken, welche sich selbst nicht helfen können, die Speisen in den Mund zu geben, die Gefässe rein und sauber zu Halten, die verständigen Armen zu fleisigem Gebäth und sie bey Tische zu christlicher Zucht anzuweisen, ihnen die Bette zu machen, solche, so wie sich selbst reinlich und ordentlich zu halten, das ganze Logiment des morgens zu kehren und solches auszuräuchern.
5. Im Fall es sich ereignen sollte, dass die Speisen nicht gahr gekocht oder nicht reinlich zubereitet seyn würden, das Brod oder Bier verdorben sey, sollen sie solches dem Obervorsteher … anzeigen, welches auch in Ansehung der Kleidung zu beobachten ist.
6. Ist auf Feuer und Licht wohl acht zu geben und damit alle Vorsicht zu gebrauchen, damit dadurch weder durch sie noch durch andere Schaden geschehe, auch sind die Stuben, worinnen sich Krancke befinden, stets warm zu halten, und des Nachts mit dem nöthigen Licht zu versehen“

Die „Instruction der Aufwärter“ des Haus- und Küchenmeisters Cranz aus dem Jahre 1800 war als allgemeine Kurzform für die Dienstanweisung 1828 anzusehen. Sie diente vermutlich als Grundlage für die wesentlich detaillierter beschriebene Dienstanweisung 1828, die unter Punkt 3.3.3 vorgestellt wird.

3.3.3 Dienstanweisung für die Wärter aus dem Jahr 1828

Die Dienstanweisung für die Wärter der Pfleglinge im Landeshospitale Haina wurde am 22. Mai 1828 von der kurfürstlichen Regierung der Provinz Oberhessen in Marburg erlassen (LWV Archiv Haina, Best. 13 (1828)). Zu der Dienstanweisung 1828 wurden keine Vorarbeiten oder Entwürfe im Archiv des Kloster Haina gefunden. Insgesamt enthält die Dienstanweisung 47 Paragrafen, die über drei Kapitel hinaus fortlaufend nummeriert sind. Die Dienstanweisung enthält einen Anhang mit der Tagesordnung für die Pfleglinge im Hospital Haina. Unter den Punkten 3.3.3.1 bis 3.3.3.3 werden die einzelnen Paragrafen der Dienstanweisung 1828 zusammenfassend und erklärend beschrieben.

3.3.3.1 Erstes Kapitel

Das erste Kapitel der Dienstanweisung legt die soziale Position des Wärters gegenüber den anderen Berufsgruppen im Hospital fest. Sie beinhaltet Verhaltensnormen im Umgang mit Vorgesetzten und Wärter-Kollegen.

In § 1 werden Eigenschaften und Vorgaben für den Lebenswandel der Wärter festgesetzt. Dieser muss stets christlich, ehrlich, treu und pflichtbewusst, bezogen auf die Einhaltung der Vorschriften in der Dienstanweisung, handeln. Sein Verhalten soll laut § 2 stets still und von Ruhe geprägt sein. Alles Lärmen ist ihm untersagt. § 3 regelt die Besuchsbedingungen für die Wärterwohnungen. Der Wärter darf ohne besondere Erlaubnis keine Besuche in seiner Wohnung in dem Hospital empfangen, geschweige denn jemanden bei sich übernachten lassen. § 4 enthält die Ausgeh- und Urlaubsregelung für die Wärter. Der Wärter darf das Hospital ohne Erlaubnis auch nicht für kurze Zeit verlassen. Wenn er Urlaub haben möchte, muss er den Obervorsteher um Erlaubnis fragen, und nur wenn er diese ausdrücklich erhält, kann der Wärter das Hospital verlassen. Die Rückkehr muss stets pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt stattfinden. In § 5 ist festgelegt, dass der Wärter zufrieden sein soll mit seiner Besoldung. Darüber hinaus ist es ihm verboten, Geldgeschenke von den Angehörigen der Pfleglinge anzunehmen, noch „irgendwelche Gebühren“ von diesen zu verlangen. Die Einlassung auf Geldgeschäfte mit den Pfleglingen ist dem Wärter grundsätzlich verboten. Wenn Angehörige auf eine Extra-Vergütung für den Wärter bestehen, so darf der Wärter diese erst annehmen, wenn die Hospitals-Administration für diesen Fall ihre Einwilligung gegeben hat. § 6 regelt explizit das Verhalten der Wärter gegenüber ihren Vorgesetzten. Seine direkten Vorgesetzten sind der Hospitals-Arzt und der Haus- oder Küchenmeister, wobei aus der Dienstanweisung nicht hervorgeht, ob der Hausmeister auch ärztliche Anordnungen treffen darf. Der Wärter hat sich diesen gegenüber mit gebührender Achtung und Respekt zu benehmen. Das Gleiche gilt für die Hospitals-Administration, die aus dem Obervorsteher, seinen Verwaltungsangestellten und den Beamten besteht. Die Wärter müssen auch bei Zurechtweisung durch ihre Vorgesetzten stets ruhig und besonnen reagieren. Fühlt sich ein Wärter ungerecht behandelt, so „ist ihm zwar erlaubt“, seinen Standpunkt sachlich darzustellen. Sie dürfen dabei „aber die Grenzen der Bescheidenheit und der seinen Vorgesetzten geschuldeten Achtung nicht überschreiten“. Ferner darf er mit seinen Vorgesetzten nicht diskutieren oder dabei „gar in Hitze“ geraten. Wenn er sich von seinen Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt, soll er sich an die Hospitals-Administration wenden. Falls er mit diesen Anordnungen nicht einverstanden ist, hat er die Möglichkeit, seine Beschwerde an die Regierung der Provinz Oberhessen in Marburg zu richten oder dem ständigen Referenten in Hospitals-Angelegenheiten beim nächsten Besuch vorzustellen. Dieser Referent war ein Medizinalreferent der kurfürstlichen Regierung in Marburg. Er besichtigte regelmäßig den „medizinischen Zustand“ des Hospital Haina und berichtete darüber an die Regierung in Marburg (Kahm, 1994, S.80).

§ 7 regelt das Verhalten des Wärters gegenüber seinen Kollegen und dem Küchenpersonal. Gegen diese „…hat er sich verträglich und gefällig zu erweisen“. Er soll diese bei ihrer Arbeit stets unterstützen. Konflikten und Streitereien soll er aus dem Weg gehen. Bei Beschwerden über Kollegen oder Küchenpersonal soll er sich an den Hausmeister wenden. Wenn er das Problem ebenfalls nicht lösen kann, wird er dies an die Hospitals-Administration berichten.

3.3.3.2 Zweites Kapitel

Das zweite Kapitel der Dienstanweisung regelt die „Obliegenheiten der Wärter in Beziehung auf die Pfleglinge der Anstalt“. Der Begriff „Obliegenheit“ ist in diesem Zusammenhang als eine Verhaltensanforderung, deren Nichteinhaltung rechtliche Nachteile nach sich zieht, zu verstehen (Wikipedia, 2008). § 8 regelt das Grundverhalten der Wärter gegenüber den Pfleglingen. Der Wärter muss die Pfleglinge stets „mit Schonung, Sanftmut, Geduld und Gelassenheit behandeln“. Er muss den Pflegling stets respektieren und wertschätzen. Es ist ihm verboten, die Pfleglinge, „am allerwenigsten aber einen Gemüthskranken“, zu verspotten, zu beschimpfen oder sie auf andere Weise zu misshandeln. Als einen „Gemüthskranken“ bezeichnete man einen Menschen, der unter einem „lange anhaltenden Grame oder Kummer“ litt (Kruenitz, 1773-1885). Diese Regeln gelten in besonderem Maße für die dem Wärter fest zugewiesenen Pfleglinge. Laut § 9 hat der Wärter die Aufgabe, sich das „Zutrauen“ der Pfleglinge zu erwerben, wobei mit „Zutrauen“ das Vertrauen gemeint ist (Grimm, 2004).

Die Paragrafen 10 und 11 beschreiben die Behandlung der Pfleglinge, „die sich widerspenstig bezeigen“ bzw. „ … welche sich widersetzen“. Im Umgang mit Pfleglingen, die sich widerspenstig zeigen, darf es der Wärter an „Ernst und Nachdruck“ nicht fehlen lassen. Er soll sie von ordnungswidrigen Handlungen abhalten und zu ordentlichem Betragen mit „allem Ernst“ anhalten. Bei der Durchführung dieser Maßnahmen muss er stets „gelassen“ bleiben, er darf den Pflegling „nicht beschimpfen“ und darf keine tätliche Gewalt gegen ihn anwenden. Bei einem Angriff eines Pfleglings auf einen Wärter hat sich der Wärter darauf zu beschränken, den Anfall, wobei Anfall, den körperlichen Angriff meint (Grimm, 2004), lediglich abzuwehren und sich in Sicherheit zu bringen. Der Wärter muss den Pflegling trotzdem in der Gewalt halten, „ … ohne denselben auf irgendeine Weise zu misshandeln“. Der Wärter darf ohne ausdrückliche Anordnung seiner Vorgesetzten nie irgendwelche Zwangsmaßnahmen gegen den Pflegling verhängen.

§ 12 besagt, dass der Wärter, hinsichtlich des von ihm zu beaufsichtigenden Pfleglings, stets die Weisungen seiner Vorgesetzten in Bezug auf Behandlung, Pflege und Wartung auf das Sorgfältigste zu befolgen hat. Hier ist wiederum unklar, ob der Hausmeister dem Wärter auch Anordnungen hinsichtlich Pflege, Behandlung und Wartung erteilen durfte.

Die Paragrafen 13 und 14 sind Anweisungen, die die Sorge der Wärter um das Wohl der Pfleglinge thematisieren. Der Wärter muss ständig bestrebt sein, das moralische und physische Wohl der Pfleglinge „auf alle mögliche Weise zu befördern, allen Schaden von ihnen abzuwenden und ihnen „den Aufenthalt im Institute thunlichst angenehm zu machen“. Mit moralischem Wohl sind christliche Tugenden gemeint. Diese Maßnahmen galten im Jahr 1828 als ein wichtiger Teil der Therapie. Der Wärter hat den Anliegen der Pfleglinge immer „geneigtes Gehör zu schenken, und mit aller Sorgfalt dahin zu wirken, daß der Pfleglinge Wünsche, wenn es sein kann und darf, befriedigt werden“. Der Wärter soll die Sorgen der Pfleglinge zerstreuen. Er soll versuchen, die gestörte innere Ruhe bei den Pfleglingen wiederherzustellen. Er soll den Leidenden, so weit seine Kräfte reichen, stets Hilfe und Trost spenden. Er soll sich mit den Geisteskranken oft unterhalten und versuchen, sie von fixen Ideen abzubringen. Das Moralische, das heißt der christliche Lebenswandel, wie das tägliche Beten, das Singen christlicher Lieder und der ununterbrochene Besuch der Pfleglinge des Gottesdienstes waren demnach ein wichtiger Bestandteil der Therapie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Wärter sollen mit den Pfleglingen beten und bei ihnen „den Abscheu gegen Laster und Vergehen stets mehren suchen“. Pfleglinge, welche einer „besonderen kräftigeren religiösen Belehrung“ oder Behandlung bedürfen, sollen die Wärter dem Hospital-Pfarrer melden. Der Wärter soll ein strenges Augenmerk auf alle Laster und Vergehen der ihm anvertrauten Pfleglinge haben. Alle entstandenen Laster und Vergehen, die von Belang sind, soll der Wärter der Hospital-Administration melden. Die Bedeutung von Laster und Vergehen beziehen sich auf Fälle der „Trunkenheit, der Hurerey, des Fluchens und des Ungehorsams“. Menschen können „in Laster fallen“ oder „ … den Lastern ergeben seyn“ (Kruenitz, 1773-1885). Was genau von Belang sein kann, ist nicht näher definiert. Die Wärter müssen darauf achten, dass die Pfleglinge, welche andere Pfleglinge zu Lastern verführen, von diesen „entfernt gehalten werden“ sollen.

Die Paragrafen 15 und 16 betreffen das physische Wohl der Pfleglinge. In § 15 soll der Wärter, wenn ein Zimmerwechsel von Seiten der Pfleglinge gewünscht wird, dies dem Hospitalarzt anzeigen. Er selbst darf nicht über einen Zimmerwechsel der Pfleglinge entscheiden. Festgestellte Mängel an dem Mobiliar muss er dem Hausmeister melden. Nach § 16 muss der Wärter für Heizung und Beleuchtung in den Zimmern der Pfleglinge, den Versamm-lungsstuben und den Gängen nach Vorschrift sorgen. In § 17 erhält der Wärter die Anweisung, dass die Gemüthskranken „sicher verwahrt“ werden, damit sie weder sich noch anderen Personen Schaden zufügen. In § 18 erhält der Wärter erweiterte Anweisungen in Bezug auf die Verwahrung der Gemüthskranken, er hat die vom „Arzte angeordneten Verwahrungsmittel (Fußfessel und Handfessel) unausgesetzt“ anzuwenden. Er hat die Aufgabe zu prüfen, ob die Verwahrungsmittel sich noch im guten Zustand befinden oder ob sie von den Gemüthskranken nicht schon „unwirksam gemacht“ worden sind. § 19 formuliert die Konsequenzen, wenn der Wärter in Beziehung auf die Paragrafen 17 und 18 nachlässig handelt. Wenn der Gemüthskranke aus seinem Gewahrsam entkommt und sich selbst oder andere beschädigt, so ist der Wärter für den entstandenen Schaden verantwortlich. Er hat, nach entsprechender Untersuchung, eine besondere Strafe zu erwarten. § 20 erweitert die Vorsichtsmaßnahmen bezüglich der Gemüthskranken, indem der Wärter alle Gegenstände aus deren Zimmern zu entfernen hat, die zur Selbstverletzung führen können. Was damit im Einzelnen gemeint war, wurde nicht genannt. Des Weiteren gilt diese Anweisung auch für die Zimmer der „Tobenden, Rasenden und Schwermüthigen“. § 21 regelt die Besuchsvorschriften für die Pfleglinge. Der Wärter darf Besuche nur auf Anordnung des Arztes zu dem Pflegling lassen. Er darf den Pflegling, ohne Erlaubnis des Arztes, niemandem durch die Klappe in der Türe zeigen. Durch diese Maßnahme wollte man wahrscheinlich verhindern, dass Wärter gegen Entgelt die Irren zur Schau stellen, da es im 18. Jahrhundert in Europa durchaus üblich war, dass Irre von den Wärtern gegen Gebühr zur Schau gestellt wurden (Höll/Schmidt-Michel, 1989, S.17). Während des Besuches muss er die ganze Zeit über anwesend sein, um zu verhindern, dass der Besuch dem Pflegling etwas zusteckt. § 22 betrifft die Aufsichtspflichten der Wärter hinsichtlich der Gemüthskranken und der Epileptiker im Freien. Die Pfleglinge mit vorgenannten Diagnosen dürfen nur auf ärztliche Anweisungen auf dem freien Platz vor der Anstalt gelassen werden. Die Wärter haben Anweisung, dafür zu sorgen, dass die Pfleglinge sich nicht außerhalb des Platzes bewegen. Die Wärter werden angewiesen, die Pfleglinge mit doppelter Aufmerksamkeit zu beobachten, um Selbstbeschädigungen oder Fluchtversuche zu verhindern. § 23 regelt die Anzahl der Kontrollgänge, die die Wärter während des Nachtdienstes durchführen müssen. Diese müssen in regelmäßigen Abständen Überprüfungen während des Nachtdienstes leisten: von Michaelis (dem 29.September) bis Ostern dreimal und von Ostern bis Michaelis mindestens „zweimal in jeder Nacht in angemessenen Zwischenräumen“. Sämtliche Gänge und Vorplätze sollen von den Wärtern durchgegangen werden. Licht und Heizung müssen nach Vorschrift versorgt werden. Bei Bedürfnissen der Pfleglinge, besonders bei den Gemühtskranken, sollen „Nachforschungen“ angestellt und diesen nach Möglichkeit abgeholfen werden. Die Wärter müssen, auf Anordnung des Arztes oder Hausmeisters, wenn es die Situation der Pfleglinge bedarf oder wenn ein Unwetter aufzieht, ihre Rundgänge öfter wiederholen. Der Wärter muss bei Bedarf die ganze Nacht „wachen“.

§ 24 regelt die Obliegenheiten des Pförtners, da die Wärter in Haina auch die Pförtner-tätigkeiten in dem Honoratioren-Bau übernehmen mussten. Der Wärter im Honoratioren-Bau, welcher den „Allein-Eingang“ zu allen „Hospitaliten-Gebäuden“ bildet, hat zusätzlich die Pförtnerstelle zu übernehmen. Er darf „außer den Pfleglingen, den obrigkeitlichen Personen und der Hospitals-Dienerschaft“ niemanden den Eingang erlauben, es sei denn, dass er einen Erlaubnisschein vom derzeitigen Obervorsteher vorzeigen kann. Weiter darf der Wärter bei Pfleglingen, denen der Ausgang versagt ist, wovon der Wärter jedes Mal Kenntnis erhalten wird, diesen den Ausgang nicht „verstatten“, wobei der Begriff „verstatten“ mit erlauben gleichzusetzen ist (Grimm, 2004). Das Ausgangsverbot des Pfleglings zeigt sich daran, dass er ein „andeutendes äußerliches Zeichen“ an sich trägt. Was das für ein Zeichen ist, wird nicht genannt. Der Wärter muss auf das Betragen der Aus- und Eingehenden „Acht haben“, und wenn dieses nicht in Ordnung sein sollte, das heißt, wenn „Verschleppungen“ des Hospitals-Eigentums vorkommen, wobei Verschleppung als unerlaubtes Fortschaffen an einen anderen Ort zu verstehen ist (Grimm, 2004), soll er dem Hausmeister darüber Meldung machen. Gemeint ist der Diebstahl von Hospitals-Eigentum. Wenn Trunkenheit bei den Pfleglingen vorkommt, soll dies dem Hausmeister ebenfalls gemeldet werden. Die Pforte soll im Winter um 20.00 Uhr und im Sommer um 21.00 Uhr nach dem Glockenzeichen verschlossen werden. Im Sommer soll die Pforte um 5 Uhr und im Winter um 7 Uhr morgens wieder geöffnet werden. Wenn Pfleglinge oder andere Personen, die Zutritt zum Hospital haben, nach der Schließung der Pforte um Einlass bitten, soll der Wärter diese zwar einlassen, er soll aber dem Hausmeister am nächsten Morgen melden, wer zu welcher Stunde zurückgekehrt ist. Die Übertretung der Ausgangszeiten hatte nachweislich Konsequenzen für die Pfleglinge wie auch für das Hospitalspersonal. Sie wurden durch die Hospitalsadministration bestraft (s. Punkt 3.2.5). Allen Wärtern in den einzelnen Quartieren wird übrigens ebenfalls auferlegt, „pflichtmäßig diejenigen Hospitaliten, welche sich über den Feierabend-Stunde verspätet haben, anzuzeigen, auch über den Grund der Verspätung dem Hausmeister Meldung zu thun“. Laut § 25 muss der Wärter die größtmögliche Sorgfalt auf die Reinlichkeit der Hospitaliten hinsichtlich der Körperpflege und der Sauberhaltung von deren Zimmern legen. Er muss die Pfleglinge an ekelerregenden Handlungen hindern; welche genau damit gemeint sind, wird nicht dargestellt, er muss „die Pfleglinge mit Ernst“ dazu anhalten, dass sie die natürlichen Verrichtungen auf menschliche Weise verrichten. Des Weiteren muss er die Pfleglinge „fleißig waschen und reinigen, wenn sie es selbst nicht mehr können“ und sie mit reiner Wäsche versehen. § 26 regelt die Reinigung der Zimmer und Gänge. Die Wärter sollen täglich die Zimmer ihrer anvertrauten Pfleglinge auskehren, lüften und mit Essig oder Wacholderbeeren ausräuchern, um üble Gerüche zu überdecken, die Gerätschaften inklusiv des Nachtgeschirres (Bettpfannen, Urinale) nach Bedarf reinigen und in Ordnung halten. Des Weiteren sind die Betten zu machen. Die Zimmer sollen, sobald es erforderlich ist, von den Wärtern ausgescheuert werden. § 27 regelt die Ausgabe und Einteilung der Mahlzeiten. Die Wärter holen mit Hilfe der Pfleglinge die Speisen und Getränke aus der Küche. Die Mahlzeiten sind entsprechend des Tarifes (der Speiseplan enthielt 1828 folgende Tarife: Studentenkost, Krankenkost, Praebnerkost oder Gemeinkost) zu portionieren und den Pfleglingen darzureichen. Der Wärter muss jedem Pflegling die ihm zustehende Menge zukommen lassen. Er darf von dem Mahlzeiten der Pfleglinge nichts an sich nehmen. Stellt der Wärter fest, dass die Mahlzeiten nicht nach Tarif „verabfolgt“ werden oder dass etwaige Mängel an der Qualität der Getränke oder des Essens bestehen, so hat der Wärter den Hausmeister zu informieren. Wenn er den Mangel nicht sogleich abstellen kann, so hat der Wärter die Hospitals-Administration zu informieren. Die Diätetik war im 19. Jahrhundert ein wichtiger Therapiefaktor und musste deshalb streng eingehalten werden. § 28 regelt das mundgerechte Vorbereiten der Speisen für die Pfleglinge, denen der Gebrauch von Messern und Gabeln nicht erlaubt werden darf. Die Wärter müssen in diesem Fall das Brot und das Fleisch in entsprechende bissgroße Teile schneiden, so dass der Pflegling „diese auf eine menschliche Weise genießen“ kann. Der Wärter muss die Speisen erforderlichenfalls dem Pflegling anreichen. Der Wärter muss auch darauf achten, dass der Pflegling mit den Speisen keinen Missbrauch betreibt. Laut § 29 muss der Wärter darauf achten, dass den Pfleglingen, ohne Genehmigung des Arztes, nichts an Speisen oder Getränken von Fremden oder Verwandten zugetragen werde. Noch darf er selbst dem Pflegling etwas zutragen. Diese Anweisung begründete sich auf die strenge Einhaltung der therapeutischen Diätetik. § 30 regelt die Versorgung der kranken Pfleglinge mit Speisen und Getränken. Bei den Pfleglingen, die der Freiheit beraubt sind und die Hilfe benötigen, soll sich der Wärter „unverzüglich“ auf das entsprechende Zimmer begeben und sich nach deren Bedürfnissen erkundigen. Die Schlüssel der verschlossenen Zimmer soll er in „seiner Stube“ auf der dazu bestimmten Tafel ständig in Ordnung halten. Die Wohnungen der Wärter wurden Wärterstuben genannt. Dort waren auch die Schlüssel für die Autenriethschen-Zellen aufbewahrt. § 31 richtet sich an den Lazarethwärter, einen Wärter mit Ausbildung zum Bader oder Barbierer. Dieser Paragraf regelt die Ausgabe der Medikamente an die Pfleglinge. Die vom Arzt verordneten Medika-mente muss der Wärter den Kranken pünktlich und genau nach der erteilten Vorschrift verabreichen und er muss sorgfältig darauf achten, dass dabei keine Verwechslung zwischen den Kranken eintrete. Er muss deshalb den Medikamentenschrank so in Ordnung halten, dass die Medikamente in dem Fach, welches die entsprechende Nummer des Zimmers führt, aufbewahrt werden, so dass sichergestellt ist, dass jeder Kranke die richtige Medizin erhält. Die abgesetzte Medizin hat der Wärter dem Arzt zurückzugeben. Diese Verabreichung muss auch nachts pünktlich erfolgen, wenn der Arzt es anordnet. Erkrankt ein Pflegling plötzlich, so muss dies jeder Wärter unverzüglich dem Arzt und dem Hausmeister melden. § 32 betrifft wiederum den Lazarethwärter, welcher die Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente bei den Pfleglingen beobachten und beurteilen soll. Der Lazarethwärter hatte die Aufsicht über die akut und chronisch kranken Pfleglinge, welche sich in der Abteilung Lazareth befanden. Er soll seine Beobachtungen dem Arzt berichten. Wenn er glaubt, dass ein Medikament eine „unerwartete, widrige oder schädliche Wirkung“ hat, so muss er dies sofort dem Arzt melden. § 33 legt allgemein die „Hilfeleistung“ der Wärter bei der Anwendung von Heil- und Zwangsmitteln fest. Die Anwendung von Heil- und Zwangsmitteln wurde im Hospital Haina vom Arzt angeordnet und von den Wärtern durchgeführt (Winter, 1992, S.18). Die Wärter, die in einer anderen Abteilung des Hospitals tätig sind, sollen den Kollegen nach Aufforderung bei der Anwendung dieser Maßnahmen zur Hand gehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Wärter sich gegenseitig, „ohne besondere Anweisung oder Aufforderung, mit aller Bereitwilligkeit gegenseitig unterstützen und beispringen müssen, wenn ein Wärter einen Kranken in seiner Abteilung nicht allein bezwingen oder zu bändigen vermag“. § 34 legt die Pflicht der Wärter auf Anordnung des Arztes fest, eine Einzel­nachtwache bei einem Pflegling in ihrer Abteilung zu absolvieren. Wenn eine dauerhafte Einzelnachtwache bei einem Pflegling nötig ist, werden weitere Anordnungen getroffen, um den Wärter dabei zu unterstützen. Wie diese Anordnungen aussehen oder wer diese Anordnungen zu treffen hat, wird nicht beschrieben. § 35 regelt die Pflege der körperlich betagten Pfleglinge. Der Wärter soll die Hilfsmittel (Gehilfen, Bruchbänder und Verbände) stets angemessen gebrauchen und ihre korrekte Funktion überprüfen. Die Wundbehandlung bei den mit Geschwüren behafteten Pfleglingen soll von den Wärtern täglich durch Verbandswechsel durchgeführt werden. Wenn der Wärter Mängel an den Hilfsmitteln feststellt, soll er dies dem Hospitals-Arzt melden. § 36 regelt den Umgang mit Kleidung- und Inventarstücken des Hospitals. Der Wärter hat dafür zu sorgen, dass die Pfleglinge, die vernünftigen Gebrauch davon machen können, den ihnen laut Kleidertarif zustehenden Anteil der Kleidung nur für sich selbst nutzen. Er muss darauf achten, dass seitens der Pfleglinge kein Missbrauch (mutwillige Beschädigungen, Diebstahl, Verlegen) mit den Kleidungsstücken betrieben wird. Ereignen sich solche Fälle, so hat der Wärter jeden Abgang und jeden Defekt dem Hausmeister zu melden. Dieser Teil wird dann von dem Tarif des Pfleglings abgezogen. § 37 regelt den Umgang mit beschädigten Kleidungstücken bei Pfleglingen. Sind die Kleidungsstücke oder die Bettbezüge beschädigt, aber noch reparabel, so muss der Wärter diese rechtzeitig in den Haus-Werkstätten zur Ausbesserung abliefern. Nach der Fertigstellung muss er diese wieder abholen. § 38 regelt die Reinigung der Kleidungstücke der Pfleglinge durch die Wärter. Er muss die beschmutzten Kleidungsstücke reinigen und das Bettleinen waschen. Die Pflege der Schuhe und der Stiefel der Pfleglinge gehört ebenso zu seinen Aufgaben. § 39 legt die Wechselzeiträume für Kleidungs- und Bettstücke der Pfleglinge und den Umgang mit neuen Kleidungsstücken fest. Die Wärter müssen jeden 1. eines Monats die Bettwäsche wechseln. Die Hemden der Pfleglinge werden jeden Sonntag gewechselt. Wenn die Bettwäsche oder Kleidungstücke zwischenzeitlich beschmutzt sind, sind diese ebenfalls zu wechseln. Die neuen Kleidungstücke sollen durch den Gebrauch der alten geschont werden und zu Anfang nur an Sonn- und Festtagen an die Pfleglinge ausgeben werden. § 40 regelt den Umgang der Paragrafen 36 bis 39 bezüglich der „wahnsinnigen“ Pfleglinge, das heißt der Pfleglinge, die es nicht verstehen, vernünftigen Gebrauch von der Kleidung und dem Bettzeug zu machen. Der Wärter soll die „wahn­sinnigen“ Pfleglinge deshalb mit alten Kleidungsstücken anzukleiden versuchen und altes Bettzeug benutzen. Wenn die Pfleglinge diese Kleidung annehmen, soll der Wärter den Hausmeister hinzuziehen, um die erforderliche bekleidungsmäßige Ausstattung dieser Pfleglinge zu ermöglichen. § 41 richtet sich an die Aufgaben der Wärter hinsichtlich der Beschäftigung der Pfleglinge. Die Werk-Kommission des Hospitals, in der auch der Hospitals-Arzt mitwirkt, legt kurz nach der Aufnahme fest, wo und in welchem Bereich die Pfleglinge einer geeigneten Beschäftigung nachgehen sollen. Der Wärter muss dafür sorgen, dass die Pfleglinge seiner Abteilung, die bereits eine Beschäftigung ausüben, dieser regelmäßig nachgehen. Er muss die Pfleglinge zur bestimmten Zeit zur Arbeits- oder Beschäftigungsstätte schicken. Falls ein Pflegling verhindert oder nicht arbeitsfähig ist, muss er die die dort tätigen Werksmeister und „Aufsichter“ darüber informieren und den Grund der Verhinderung angeben. Die Wärter haben die Aufgabe, die neu aufgenommenen, die mit Hautgeschwüren behafteten und die Pfleglinge, welche noch ohne Beschäftigung sind, genau zu beobachten. Sie sollen dabei überprüfen, inwieweit sie in irgendeiner Art und Weise einer Beschäftigung nachgehen können. Ihre Ergebnisse sollen die Wärter dann der Werk-Kommission mitteilen. Wenn Pfleglinge nicht in der Lage waren, in den unterschiedlichen Werkstätten (Wäscherei, Schneiderei, Küche, Warenlager usw.) oder außerhalb des Hospitals (als Feldarbeiter, Waldarbeiter oder Wegbauer) zu arbeiten, so wurde ihnen von der Werk-Kommission eine Beschäftigung innerhalb des Hospitals oder direkt in ihrem Zimmer angewiesen. Der Wärter muss dann die Arbeiten dieser Pfleglinge sorgfältig überwachen, dass diese ordentlich durchgeführt und vollendet werden. Aufgrund der elementaren Wichtigkeit, die in der Ausübung einer geeigneten Beschäftigung für die Pfleglinge besteht, muss der Wärter die Pfleglinge stets „auf jede mögliche Weise anfachen und dem verderblichen Müßiggang vorzubeugen“. § 42 beschreibt die Art der Anwendung der Hausordnung in Bezug auf die Pfleglinge. Die Wärter sollen sich selbst und die Hospitaliten, soweit sie dazu in der Lage sind, dazu anhalten, die Hausordnung gleichermaßen zu beachten und sich an deren Regeln zu orientieren. Der Wärter muss, was die Nebenkasse angeht, darauf „sehen“, dass die Taschengelder der Pfleglinge und eventuelle Geschenke nicht in deren Hände bleiben (da sie nicht mit Geld umgehen konnten), sondern in die Verwahrung des Kassenverwalters kommen. Diese Funktion übernahm eine Verwaltungsperson, welche eine Kaution für diese Tätigkeit hinterlegt hatte. Diese Tätigkeit wurde mit 21 Th im Jahr vergütet (Kahm, 1994, S.49). Die Nebenkasse war eine Sozialkasse für die Ärmsten und Gebrechlichen, die ansonsten keine Unterstützung von irgendeiner Seite erhielten. Der Verwalter hat dafür zu sorgen, dass jeder Pflegling die ihm zustehenden Gelder für die Bestreitung der Nebenbedürfnisse erhält. Er sorgt auch dafür, dass die Pfleglinge, die, aufgrund ihrer Krankheit, nicht in der Lage sind, einer (bezahlten) Arbeit nachzugehen, ihre Nebenbedürfnisse befriedigen können. Sie sollen nicht gegenüber den anderen Pfleglingen benachteiligt werden.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2008
ISBN (PDF)
9783955496654
ISBN (Paperback)
9783955491659
Dateigröße
5.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
historische Pflegeforschung Wärter Wärterdienst Wärtergehilfe Hospitalbeamter

Autor

Axel Eierdanz (MA) wurde 1970 geboren. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger, Fachkrankenpfleger für Psychiatrie und Pflegedienstleiter absolvierte er ein pflegewissenschaftliches Studium an der Fachhochschule Frankfurt / Main. Im Anschluss daran erfolgte die Aufnahme des Masterstudiengangs Beratung und Sozialrecht. Dieses Studium schloss der Autor im Jahre 2012 erfolgreich ab und ist seit 2007 selbständig als professioneller Berater in der betrieblichen Wiedereingliederung von erkrankten Beschäftigten tätig. Herr Eierdanz ist zertifizierter Case (DGCC) und Disability Manager (CDMP).
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Titel: Lebens- und Arbeitsalltag der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina: Psychiatrische Pflege im 19. Jahrhundert
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