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Integrierte Versorgung bei Demenzerkrankungen: Defizite und Optimierungsansätze

©2012 Bachelorarbeit 83 Seiten

Zusammenfassung

Aufgrund des höheren Lebenserwartungsalters und der steigenden Prävalenz von Demenzerkrankungen zeigt sich die Konfrontation mit diesem Krankheitsbild für jeden Einzelnen früher oder später als unvermeidlich. Die Vielfalt der für Demenz spezifischen Symptome erhöht exponentiell die Akteurdichte in der Versorgungslandschaft, was die Bedeutung einer integrierten Versorgung bekräftigt. Das Leitthema dieser Arbeit lautet ‘Integrierte Versorgung bei Demenzerkrankungen: Defizite und Optimierungsansätze’. In diesem Zusammenhang wird das Krankheitsbild Demenz als eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft vorgestellt. Betrachtet werden die Sichtweisen der Mediziner, der Angehörigen, der Politiker sowie die gesundheitsökonomische Sicht. Um die momentane Lage der Versorgung zu erfassen, werden 208 Fälle von Demenzerkrankung analysiert. Die gewonnenen Resultate werden nach kritischer Überprüfung dem aktuellen Wissenstand gegenübergestellt, um die Versorgungslücken zu verdeutlichen. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wird in der vorliegenden Arbeit ein Überleitungsmanagementkonzept zur Optimierung der Schnittstellenarbeit sowie der weiteren Versorgung und Betreuung der Patienten und Pflegenden erstellt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2.1 Kognitive Kurztests

Zu den häufig verwendeten Screeningverfahren gehören der Demenz-Detektionstest (DemTect) und der Uhrentest. Der Uhrentest ist als alleiniger kognitiver Test nicht geeignet, kann aber die diagnostische Aussagekraft in Kombination mit anderen Kurztestverfahren erhöhen.[1] Der am häufigsten verwendete Test für kognitive Störungen ist der Mini-Mental-Status-Test (MMST). Bei diesem Instrument handelt es sich um ein qualitatives Testverfahren zur Beurteilung des Umfanges der kognitiven Beeinträchtigung.[2]

Es erlaubt eine schnelle Abschätzung der kognitiven Defizite, um die Schweregradeinteilung zu ermöglichen.[3] Diese syndromale diagnostische Zuordnung ist ein wesentlicher Bestandteil der Demenzdiagnostik.

2.2.2 Schweregradeinteilung

Je nach Ausmaß der Symptome wurden die Stadien in eine leichte, moderate/mittelschwere und eine schwere Demenzerkrankung eingeteilt. Stadium der leichten Demenz ist durch leichte Gedächtnisstörungen sowie verminderte Merkfähigkeit gekennzeichnet. Komplizierte Aufgaben können nicht mehr ausgeführt werden, wodurch das tägliche Leben erkennbar be­einträchtigt ist. Mit dem moderaten Stadium nehmen die kognitiven Leistungen weiter ab. Es sind nur noch einfache Tätigkeiten möglich und die Selbstversorgung zeigte sich damit stark eingeschränkt. Das schwere Er­krankungsstadium ist durch beträchtliche Störungen geistiger und körperlicher Art geprägt. Der Erkrankte ist vollständig von Betreuung abhängig.[4] In Tabelle 7 wurden einige der Symptome den unterschiedlichen Stadien zugeteilt.

Tabelle 7: Demenzsymptomatik unterteilt nach Schweregrad

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an (Arol, Reimer, & Dilling, 2011); (Holthoff, 2010); (Thesing, 2010)

Die Zuteilung diente nur als Orientierungshilfe.

Diese Symptome können nicht nur nach Demenzform variieren, sondern auch generell vom Fall zu Fall. Das bedeutet, dass nie von einem typischen Krankheitsbild ausgegangen werden kann und eine Generalisier­barkeit sich als unmöglich darstellt.[5]

Die Zuteilung in die verschiedenen Gruppen ist von großer Bedeutung, vor allem wenn es um die medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlung geht. Bei früherer Behandlung vergrößert sich die Chance, den Erkrankungsverlauf positiv zu beeinflussen und damit die Lebensqualität von Betroffenen und deren Angehörigen zu verbessern.[6] Auf die Behandlungsmöglichkeiten wird im Kapitel 2.3 näher eingegangen.

Durch die Verminderung der kognitiver Fähigkeiten kommt es zu zunehmenden Alltagskompetenzeinschränkungen, was schließlich zur Pflegebedürftigkeit führt. Aus diesem Grund ist es wichtig, für die Schweregradeinteilung auch den Selbsthilfestatus heranzuziehen.[7] Die am weitesten verbreitete Selbsthilfeskala ist der Barthel-Index. Es handelt sich dabei um einen Assessmentinstrument zur Erfassung grundlegender Alltagsfunktionen.[8] Ein weiteres Beispiel bieten die Reisberg-Skalen. Die Global Deterioration Scala nach Reisberg wurde für die Bestimmung des Schweregrades in dieser Studie benutzt.

2.2.3 Studienergebnisse PSY-UKD

In den Epikrisen des UKDs wurde nicht immer ein Hinweis auf die Ergebnisse eines MMST, DemTect® oder Uhrentest vorgefunden. Da es sich um eine diagnostische Maßnahme handelt, wurde davon ausgegangen, dass in den Fällen, in den die Kurztests durchgeführt wurden, auch eine entsprechende Dokumentation erfolgte.

Das häufigste Screeningverfahren in dieser Studie präsentiert der Mini-Mental-Status-Test, die Verwendung von DemTect nahm im Jahre 2011 wesentlich zu.

In Abbildung 3 wurde die Häufigkeit der Verwendung von Kurztests dargestellt.

Abbildung 3: Häufigkeit der Verwendung von Kurztests (PSY-UKD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Aus dieser Abbildung ist ersichtlich, dass die Verwendung von Kurztests für die Einschätzung des Demenzschweregrades im Jahr 2011 zugenommen hat. Im Jahre 2010 wurden kognitive Kurztests bei jedem drittem Fall durchgeführt, im Jahre 2011 bei jedem zweitem Fall.

Um die Einschätzung des Schweregrads auch bei Fällen, bei denen keine Kurztestverfahren durchgeführt wurden darzulegen, wurde in der vorliegenden Studie die Global Deterioration Scala (GDS) nach Reisberg benutzt.[9] Sie präsentiert eine Methode, die versucht statistischen Korrelationen zwischen Gedächtnisfunktion und Selbsthilfestatus zu identifizieren, indem sie eine Einschätzung bezüglich Konzentration, Gedächtnisleistung, Orientierung, Stimmung, Verhalten sowie Alltagskompetenz und selbständige Versorgung einer Person abgibt.[10] Die Einstufung erfolgt in der Regel nach Beobachtung und Befragung des Patienten.

Das Erhebungsinstrument Epikrise fasst zusammen den gesamten Krankenhausbehandlungsverlauf, basierend auf Beobachtungen und Befragungen. Somit wurde eine entsprechende Einstufung ermöglicht.

Unter Verwendung von diesem Verfahren ergeben sich folgende Ergebnisse in Bezug auf die Schweregradverteilung (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Schweregradverteilung (PSY-UKD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

In dieser Abbildung ist auffallend, dass der stationäre Aufenthalt bei Patienten mit schwerer Demenz kontinuierlich abnimmt. Eine mögliche Erklärung dafür konnte die verbesserte Versorgungsstruktur in Pflegeheimen sein.

Diese Schweregradbestimmung ist bedeutsam für die weitere Behandlung. Deshalb beschäftigt sich das nächste Kapitel mit den Besonderheiten in der Therapie in Bezug auf den Schweregrad.

2.3 Behandlung

Eine kausale Behandlung ist bisher nur bei einigen sekundären Demenzen möglich. Im Wesentlichen ist die Behandlung eine symptomatische. Seit einigen Jahren stehen Medikamente zur Behandlung der Alzheimer Demenz zur Verfügung, durch die der Erkrankungsverlauf verlangsamt werden kann. Weitere Möglichkeit der therapeutischen Behandlung bietet die psychosoziale Intervention z. B. Beratung, Anleitung, Einbindung an ambulante Dienste oder Selbsthilfeorganisationen. Daraus folgt, dass die Behandlung einer Demenz in eine nichtmedikamentöse und eine medikamentöse Therapie unterteilt werden kann.

2.3.1 Nichtmedikamentöse Therapien

In der Behandlung von an Demenz erkrankten Patienten stehen nichtmedikamentöse Maßnahmen an erster Stelle.[11] Einige psychosoziale Interventionen verwenden Methoden der Psychotherapie. Stellvertretend könnte die Verhaltenstherapie genannt werden.[12] Zu den Hauptzielen der psychosozialen Therapieansätzen gehören die Reduktion der neuropsychiatrischen Symptome wie Depression oder Angst und die Erhaltung der kognitiven sowie sozialen Kompetenzen.[13] Eine Intervention, deren Effektstärke sich am Größten initialisierte, ist die Einbeziehung von Betreuenden in das therapeutische Vorgehen. Dadurch könnte die Stabilisierung des Therapieerfolgs positiv beeinfluss werden.[14] In der Abbildung 5 wurden die nichtmedikamentösen Behandlungen den jeweiligen Schweregraden der Demenz zugeteilt.

Abbildung 5: Interventionelle Therapiemaßnahmen im Verlauf der Demenz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Anderson (2010); Seite 37

An zweiter Stelle folgt die symptomatische Behandlung von nichtkognitiven Symptomen durch Gabe von Psychopharmaka und Antidementiva.

2.3.2 Medikamentöse Therapien

Ziel der medikamentösen Therapie ist es einerseits antidementiv das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen, anderseits die Lebensqualität der Betroffenen sowie deren Angehörigen zu verbessern in dem die antiaggressiv, antidepressiv oder anxiolytisch die begleitenden Demenzsymptome lindern.[15] Die aktuell verfügbaren Medikamente mit einem Wirksamkeitsnachweis für die Behandlung der Alzheimer-Krankheit sind die Acetylcholinesterase-Hemmer und der nichtkompetive N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Antagonist Memantin. Zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Alzheimer Demenz ist die Verwendung von Acetyl­cho­lineste­rase-Hemmer (Donezepil, Galantamin, Rivastagmin) empfohlen und für die Behandlung vom moderaten bis schweren Alzheimer Demenz sind die Memantine als empfehlenswert eingestuft worden.[16]

Die Herstellernamen der am deutschen Markt verfügbaren Medikamenten sind der Tabelle 8 zu entnehmen.

Tabelle 8: Antidementiva nach Wirkstoff und Herstellernamen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Laut Hirsch (2003) können die Verlaufsformen der Demenz durch die Gabe von geeigneten Medikamenten so beeinflusst werden, dass kognitive Verbesserungen feststellbar sind und der Krankheitsprozess sogar über einige Zeit aufgehalten werden kann.[17] Die Studie von Kiencke et al.[18] beweist außerdem, dass eine nichtantidementive Arzneimitteltherapie der Alzheimer Demenz besonders in der Pflege höhere Kosten generiert.

Diese Kosten sind vor allem auf die öfteren Heimaufnahmen und einer erhöhten Zeitaufwand der Betreuer zurückzuführen.

An diese Stelle wurde für wichtig gehalten, kurz auf den Wirtschaftlichkeitsfaktor einzugehen. Nicht nur die nichtmedikamentöse Behandlung einer Demenz ist mit hohen Kosten verbunden (siehe Kapitel 4.1 Seite 38), sondern auch die medikamentöse. Zum Verdeutlichen zeigt die Tabelle 9 der Preisvergleich von Antidementiva.

Tabelle 9: Preisvergleich von Antidementiva

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung (die Preise wurden der Internetseite http://www.medipreis.de/ entnommen; generiert am 01.09.2012)

Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie die medikamentöse Einstellung in der Praxis erscheint.

2.3.3 Studienergebnisse PSY-UKD

Zu dem nichtmedikamentösen Therapieansätzen konnte diese Studie keine Ergebnisse liefern. Deshalb liegt die Konzentration bei der Auswertung auf der medikamentösen Behandlung bei Alzheimer Demenz. Als Grundlage der Auswertung wurde die S3-Leitlinie Demenzen genommen. Als kritische Anmerkung muss erwähnt werden, dass die Gültigkeit der Leitlinie im Jahre 2011 abgelaufen ist und bis jetzt keine überarbeitete Version zur Verfügung steht.

Es wurden insgesamt 95 Fälle mit der Diagnose Alzheimer-Krankheit identifiziert. Davon wurden 61 Fälle antidementiv eingestellt. Das bedeutet, dass fast 36 % der Fälle auf die Vorteile eines Antidementivum verzichten müssen. Im Jahre 2009 erhalten 22,7 % Patienten eine anti­dementive medikamentöse Therapie, im Jahre 2010 waren es 22,6 % und im Jahre 2011 bereits 36,3 %. Eine Steigerung im Jahre 2011 deutet auf eine verbesserte Akzeptanz der verfügbaren Leitlinie hin.

In der Tabelle 10 wird dargestellt, wie viele Patienten mit der Diagnose Alzheimer Demenz eine antidementive medikamentöse Therapie erhalten.

Tabelle 10: Medikamentöse Einstellung bei Alzheimer-Krankheit (PSY-UKD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Bezugsnehmend auf die S3-Leitlinien kommt es zum folgenden Ergebnis:

Obwohl für Memantine bei leichter Demenz keine Zulassung vorhanden ist, wurde es insgesamt in sieben Fällen verordnet. Memantine sind für die Therapie einer schweren Demenz geeignet, wurden aber in nur neun Fällen verordnet. Am besten eingestellt zeigten sich die Patienten mit einer mittelschweren Demenz. Von insgesamt 42 Fällen erhalten 29 (69 %) ein entsprechendes Medikament. Die Ursache dafür kann in den häufig erwähnten psychopharmakologischen Nebenwirkungen liegen, sowie in den Wechselwirkungen mit anderen Psychopharmaka wie z. B. Neuroleptika.

Weiter auffallend ist, dass das Medikament mit dem Handelsname Ebixa® nicht einmal verschrieben wurde. Das häufigste Medikament ist Axura® (n=34), zweit häufigste ist Exelon® (n=13).

2.4 Fazit

Wie den bisherigen Ausführungen zu entnehmen ist, steigt die Demenzprävalenz von im Krankenhaus behandelten Demenzpatienten rapide. Die häufigste Demenzform ist die Alzheimer-Krankheit, gefolgt von vaskulärer Demenz. Die prozentuelle Verteilung deutet auf eine wesentlich höhere Beteiligung der Diagnose vaskuläre Demenz, als die in der Literatur aufgeführten 15 %. Das Durchschnittsalter eines an Demenz erkrankten Patienten betrug 78 Jahre. Der jüngste Patient war 38 Jahre alt, der älteste hat das Alter von 101 Jahren erreicht. Das am häufigsten verwendete Kurztestverfahren zum Bestimmen vom Schweregrad bei einer Demenz ist, mit steigender Tendenz, der Mini-Mental-Status-Test. In Anbetracht der Tatsache, dass immer weniger Patienten mit einer schweren Demenz im Krankenhaus aufgenommen wurden, könnte über eine verbesserte Pflegeheimversorgung gesprochen werden. Die medikamentöse Einstellung bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit deutet auf ein leichtes Defizit hin. Obwohl die Gabe von Antidementivum zu einer symptomatischen Verschiebung im Krankheitsverlauf um 8 bis 12 Monate führte,[19] erhalten nur 64 % aller Fälle ein entsprechendes Medikament.

Wie bereits erwähnt, steht bei der Behandlung der Demenzerkrankung die nichtmedikamentöse Therapie im Vordergrund. Und gerade hier kommt die signifikante Bedeutung der familiären Betreuung zur Geltung, was im Folgenden dargelegt wird.

3 Demenz als „Angehörigenkrankheit“

Die familiäre Versorgung von Menschen mit Demenz hat durch die demografische Entwicklung einen zunehmenden Stellenwert bekommen und ist sogar normativ im Pflegeversicherungsgesetz als zentrales Element verankert.[20] Die Versorgung ist mit einer außergewöhnlich hohen Belastung verbunden, die je nach Ausprägung der Krankheitssymptome variiert.[21] Die pflegenden Angehörigen sind dadurch einer Vielzahl an physischen, psychischen sowie sozialen Belastungen ausgesetzt, was zu einem erhöhten Risiko selbst zu erkranken führen könnte.[22]

Bereits die Übermittlung der Nachricht über die bestehende Krankheit an Angehörige ist, nicht nur für die Ärzte, eine Herausforderung.[23] Die Betroffenen werden in unserer Gesellschaft nach wie vor stigmatisiert und das Thema Demenz tabuisiert.[24] Das machte die Pflege eines an Demenz erkrankten Familienmitglieds umso schwieriger.

3.1 Die Pflege

Die Pflege bringt die Notwendigkeit ständiger Anwesenheit, körperlicher Beanspruchung, fehlender Hoffnung auf Verbesserung, Erwartung von Verschlechterung, Gefühle der Überforderung sowie die spezifischen Probleme des Umgangs mit Desorientiertheit, Vergesslichkeit, Aggressivität und Wesensänderung mit sich.[25]

Um das Verständnis für diese Erkrankung zu fördern, erscheint es wesentlich an dieser Stelle noch einmal auf die Symptome bei Demenz einzugehen und vor allem die Vielfalt der nichtkognitiven Symptome hervorzuheben.

3.1.1 Demenzsymptomatik

Bei einer Demenz wird zwischen kognitiven und nichtkognitiven Symptomen unterschieden. Zu den kognitiven gehört der Abbau von Gedächtnisleistungen, was sich am Anfang durch Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses manifestierte, im Verlauf kommt auch das Langzeitgedächtnis dazu. Im letzten Stadium der Erkrankung ist der Betroffene nicht mehr in der Lage sich an irgendetwas zu erinnern und alle Alltagskompetenzen gehen verloren.[26]

Für die Pflege sind vor allem die nichtkognitiven Symptome von Bedeutung. Dazu zählen z. B. Wanderneigung als Folge gesteigerten Bewegungsdrangs, aggressive Handlungen, affektive Symptome wie Depression oder Wahnsymptome wie z. B. Armutswahn oder Sexualwahn.[27] Das alles sind für die pflegenden Angehörigen bedeutsame Stressfaktoren, denn das Wohlergehen und die Bedürfnisse des Erkranktes stehen für sie im Mittelpunkt.[28] Daraus ergeben sich unvermeidlich negative Auswirkungen für die pflegenden Angehörigen.

3.1.2 Auswirkungen an die pflegenden Angehörigen

Durch die andauernde Verantwortung und Fürsorge vernachlässigen die pflegenden Angehörigen oft ihre eigenen Sozialkontakte, was zu einer sozialen Isolation führen könnte. Viele von denen leiden an einer Depression oder an psychosomatischen Beschwerden.[29] Studien zur häuslichen Belastungssituation zeigen häufig physische, psychische sowie soziale Beeinträchtigungen.[30] Eine bedeutende Rolle spielte dabei auch die Veränderung der Beziehungssituation, in dem die ursprüngliche Gegenseitigkeit in ein Abhängigkeitsverhältnis wechselte.

Dieser Beziehungswandel machte es oft schwierig, die emotionale Bindung zu dem Erkrankten aufrecht zu halten.[31] Das wiederum führte zu starken Schuldgefühlen und zu Ängsten, die mit der Pflege verbundenen Aufgaben nicht bewältigen zu können.[32] Eine wichtig Rolle spielten dabei der Problembewältigungsstil, die Einstellung zur Pflegerolle und vor allem die verfügbare Unterstützung.[33]

3.1.3 Studienergebnisse PSY-UKD

Diese Studie liefert keine Ergebnisse zu den Anforderungen an die pflegenden Angehörigen sowie deren Auswirkungen. Es wurde trotzdem versucht, diese Thematik anhand von einigen statistischen Argumenten zu skizzieren, um deren Ernsthaftigkeit zu verdeutlichen.

Von insgesamt 208 Fällen wohnen mehr als 45 % (n=94) der Betroffenen mit Angehörigen zusammen (Abbildung 6). Davon 38 mit leichter Demenz, 35 mit mittelschwerer und 21 mit schwerer Demenz.

Abbildung 6: Prozentuale Verteilung der Wohnsituation bei Aufnahme (PSY-UKD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Durch den Krankenhausaufenthalt kommt es in 27 Fällen zur Veränderung der Wohnform von häuslicher Versorgung auf stationäre Weiterbehandlung (z. B. Kurzzeitpflege). Den Epikrisen zu entnehmen, war dafür die Überforderung der Angehörigen die häufigste Ursache.

Auch Demenzerkrankte die allein wohnen bekommen Unterstützung von Angehörigen. In dieser Studie war es insgesamt 45 Fälle. Das bedeutet, dass 67 % (n=139) der Demenzerkrankten von ihren Familienmitglieder gepflegt wurde. In der Abbildung 7 ist die familiäre Betreuung in Bezug zum Schweregrad der Demenz graphisch dargestellt.

Abbildung 7: Fälle mit Betreuung durch Angehörige unterteilt nach Schweregrad (PSY-UKD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Der Abbildung ist zu entnehmen, dass die Versorgung durch Angehörige im Falle einer schweren Demenz signifikant weniger vorkommt, als im Falle einer mittelschweren Demenz. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob durch geeignete Interventionen für die pflegenden Angehörigen die Versorgung im häuslichen Umfeld länger durchgeführt werden könnte, um die Übersiedlung ins Pflegeheim zu verzögern. Mit diesem Thema beschäftigte sich der nächste Kapitelabschnitt.

3.2 Interventionen für pflegende Angehörige

Bezugsnehmend auf das vorherige Kapitel besteht keinen Zweifel daran, dass pflegende Angehörige adäquate Entlastungsangebote benötigen, um die Pflege ihres Familienmitgliedes zu Hause so lange wie möglich durchführen zu können ohne dabei selbst zu erkranken. Es gibt zahlreiche Studien, in denen die Effektstärke unterschiedlicher Interventionen gemessen wurde. Aus diesen Studien gehen inkonsistente Ergebnisse hervor.[34]

Anhand dieser Studien lässt sich jedoch ohne Zweifel behaupten, dass die stärksten Wirkungen mit intensiven, langdauernden und vor allem individuell abgestimmten sowie alltagsnahen Interventionen zu erzielen sind.[35] Die größte Bedeutung wurde dabei gerade der Individualisierung zugeschrieben, da jeder einzelne Betroffene seine eigene Form entwickelt, um mit den Einschränkungen und Veränderungen, die aus der Krankheit resultieren, umzugehen. Es bedarf also individueller Planung, fortlaufender Anpassung und Kombination verschiedener Interventionen mit dem Ziel, die häusliche Pflege positiv zu beeinflussen.[36] Nach Kurz & Wilz (2010) lassen sich die pflegeunterstützenden Maßnahmen in zwei Kategorien differenzieren: problemorientierte und emotionsorientierte. Die problemorientierten Strategien sind der Tabelle 11 zu entnehmen.

Tabelle 11: Problemorientierte Strategien und Beispiel einer geeigneten Interventionsform

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an (Kurz und Wilz 2010, Seite 339) und (Diagnose Demenz: Ein Wegweiser für Erkrankte und ihre Angehörigen 2010, Seite 13 ff)

Zu den emotionsorientierten Strategien gehört die Bearbeitung von Beziehungswandel und Verlusten, Veränderung von Einstellungen und Bewertungen sowie die Anleitung zur Selbstfürsorge.[37] Seit dem ein rechtlicher Anspruch auf Pflegeberatung besteht, ist das Versorgungsnetz noch umfangreicher und dichter geworden. Das führt dazu, dass es immer komplizierter wird, die richtigen Angebote zu identifizieren, zu kombinieren und zu vernetzen. In den nächsten Kapitelabschnitten werden einige Interventionen kurz vorgestellt.

3.2.1 Beratungsstellen

Eine der wichtigsten Form der Intervention bilden die Beratungsstellen. Zu deren Aufgaben gehört vor allem die Informationsweitergabe von krankheitsspezifischen Hilfsangeboten, Beratung in sozialen und sozialrechtlichen Fragen und Unterstützung bei Behördengängen. Diese Beratungsstellen wurden vom Sozialamt oder vom Sozialen Dienst für Senioren gebildet. Es sind auch Beratungsangebote freier Träger vorhanden. Diese Stellen bieten ebenfalls qualifizierte Einzelberatung und Vermittlung von Hilfen, dürfen aber keine verbindliche Rechtsberatung durchführen.[38]

Eine bedeutende Effektstärke wurde durch Selbsthilfeorganisationen erzielt, die sich bundesweit für die Verbesserung der Situation der Demenzkranken und ihrer Familien einsetzen.[39] Beispielhaft könnte die Deutsche Alzheimer Gesellschaft erwähnt werden, deren vorrangiges Ziel ist es, die Benachteiligung von Demenzkranken zu beseitigen, eine bessere Versorgung der Erkrankten zu fördern, sowie die Angehörigen zu entlasten.[40]

Um mit den negativen Gefühlen (z. B. Schuldgefühle, Scham) besser umzugehen, erweist es sich als hilfreich das Gespräch mit anderen, die die gleiche Situation erleben, zu suchen. Eine geeignete Plattform bieten dabei die Selbsthilfegruppen oder Angehörigengruppen. Von pflegenden Angehörigen wird diese Intervention im Bezug zum Informationsaustausch als hilfreich bewertet.[41] Ein wichtiger Aspekt ist dabei, das Akzeptieren der eigenen Grenzen sowie ein besserer Umgang mit Stresssituationen. Dadurch kann auch das Annehmen einer fremden Hilfe, ein sehr häufiges Problem bei pflegenden Angehörigen, besser bewältigt werden. Gemeint sind damit die unterschiedlichen Betreuungsangebote, die als eine unterstützende Maßnahme den pflegenden Angehörigen zur Verfügung stehen.

3.2.2 Betreuungsangebote

Wichtig bei der Auswahl von geeigneten Betreuungsinterventionen ist die „Dosierung“ der Aktivitäten, denn eine Reizüberflutung könnte den Demenzkranken überfordern, was zu einer zunehmenden psychomotorischen Unruhe und zu einem unerwünschten Verhalten führen könnte.[42]

Schon die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes könnte aber erhebliche Effekte für die pflegenden Angehörigen erzeugen, in dem z. B. die Körperpflege, die mit hohen physischen Ansprüchen verbunden ist, delegiert würde.

Geeignet sind ebenfalls die niedrigschwelligen Betreuungsangebote, die eine flexible stundenweise Betreuung für Demenzerkrankte in der Häuslichkeit oder in einer Betreuungsgruppe gewähren.

Um die pflegenden Angehörigen zu entlasten, räumt auch die Tagespflege eine gute Möglichkeit ein. Demenzerkrankte können ein oder mehrere Tage pro Woche in einer, auf ihre Bedürfnisse eingestellten, Einrichtung verbringen und am Abend kehren sie wieder in ihre Familie zurück.[43]

Weitere Eventualitäten bieten in dem früheren Stadium das ambulant betreute Wohnen für Menschen mit dementiellen Erkrankungen und die ambulant betreuten Wohngemeinschaften, im mittleren Stadium dann die Hausgemeinschaften und Wohngruppen, und im späteren Stadium die Pflegeoasen.[44] Diese neuen Versorgungsformen sind als eine Alternative zum Pflegeheim zu betrachten, deren flächendeckende Umsetzung im Anfangsstadium ist.

3.2.3 Studienergebnisse PSY-UKD

Diese Studie akkordiert unzureichende Informationen über die Inanspruchnahme von externen Unterstützungsangeboten für pflegende Angehörige. Das Erhebungsinstrument Epikrise befasst sich vorwiegend mit dem Krankenhausaufenthaltsverlauf des Erkrankten.

Familiäre und soziale Hintergründe bilden jedoch einen wichtigen Bestandteil der Anamnese. Dadurch ist es gelungen, einige Hinweise zu dem Thema „Interventionen für pflegende Angehörige“ zu generieren. So wurde z. B. die Interventionsform „Tagesstätte“ in acht Fällen vorhanden und in weiteren vier Fällen empfohlen. Die Ergotherapie wurde in sechs Fällen empfohlen. Die Empfehlung für die Einbindung an eine Angehörigen­gruppe wurde in einem Fall dokumentieret.

Bezüglich der neuen Wohnformen wurden folgende Ergebnisse in dieser Studie geliefert (siehe auch Abbildung 6 Seite 22): in fünf Fällen wurde die Möglichkeit des betreuten Wohnens wahrgenommen, in einem Fall wurde die neuste Wohnform, die Wohngemeinschaft, genutzt.

Ambulanter Pflegedienst wurde in insgesamt 46 Fällen in Anspruch genommen. In 32 Fällen als Unterstützung der pflegenden Angehörigen. Das bedeutet, dass 77 % der Angehörige (bei n=139) ihre Familienmitglieder selber versorgen. Zum besseren Verständnis der Problematik wurde versucht, in Abbildung 8 einen Bezug zu dem Schweregrad bei einer Demenz herzustellen.

Abbildung 8: Unterstützung der pflegenden Angehörigen durch Pflegedienst (PSY-UKD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Aus dieser Abbildung ist ersichtlich, wie selten dieses Angebot genutzt wurde und das sogar im Falle einer schweren Demenz die Versorgung durch pflegende Angehörige ohne die Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes durchgeführt wurde.

Es ist zu vermuten, dass bei Inanspruchnahme zusätzlicher Betreuungsangebote der Kostenfaktor eine bedeutende Rolle spielte. Die meisten Betreuungsangebote sind mit Kosten verbunden. So kann z. B. ein Tag in der Tagesstätte bis zu 70 Euro kosten. Bis zu einer gewissen Höhe übernimmt diese Kosten die Pflegekasse, gestaffelt nach den Pflegestufen. Einen gewissen Eigenanteil zahlen die Demenzkranken immer selbst.[45]

Das Thema der Pflegestufen sowie weiteren staatlichen Interventionen werden im nächsten Abschnitt ausführlich dargestellt.

[...]


[1] Vgl.: (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2009) Seite 12

[2] Vgl.: (Anderson, 2010) Seite 23

[3] Vgl.: (Frölich, Hausner, & Schneider, 2012) Seite 216

[4] Vgl.: (Hofmann, 2012) Seite 348

[5] Vgl.: (Bowlby-Sifton, 2008) Seite 130

[6] Vgl.: (Anderson, 2010) Seite 23; (Holthoff, 2010) Seite 8

[7] Vgl.: (Hofmann, 2012) Seite 347

[8] Vgl. (Lübke, Meinck, & von Renteln-Kruse, 2004) Seite 316

[9] Vgl.: (Ihl, Frölich, & Reisberg, 1991) Seite 3 ff

[10] Vgl.: (Gürtler, Szecsey, & Stöhr, 1997) Seite 283

[11] Vgl.: (Machleidt, Bauer, Lamprecht, Rose, & Rohde-Dachser, 2004) Seite 369

[12] Vgl.: (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2009) Seite 37

[13] Vgl.: (Romero & Wenz, 2011) Seite 554

[14] Vgl.: (Gutzmann & Mahlberg, 2009) Seite 260

[15] Vgl.: (Kastner & Löbach, 2007) Seite 65

[16] Vgl.: (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2009) Seite 22

[17] Vgl.: (Hirsch R. D., 2003) Seite 1587

[18] Vgl.: (Kiencke, Rychlik, Grimm, & Daniel, 2010) Seite 333

[19] Vgl.: (Förstl, 2008) Seite 617

[20] Vgl.: (Phillipp-Metzen, 2011) Seite 397

[21] Vgl.: (Kurz & Wilz, 2010) Seite 336

[22] Vgl.: (Mantovan, Ausserhofer, Huber, Schulc, & Them, 2010) Seite 223

[23] Vgl.: (Donix, Routine Procedures, 2012)

[24] Vgl.: (Schneider, Falkai, & Maier, 2011) Seite 44

[25] Vgl.: (Machleidt, Bauer, Lamprecht, Rose, & Rohde-Dachser, 2004) Seite 359

[26] Siehe dazu auch 2.2.2 Schweregradeinteilung Seite 14

[27] Vgl.: (Machleidt, Bauer, Lamprecht, Rose, & Rohde-Dachser, 2004) Seite 355

[28] Vgl.: (Boltner, et al., 2011) Seite 135

[29] Vgl.: (Holthoff, 2010) Seite 11

[30] mehr dazu (Mantovan, Ausserhofer, Huber, Schulc, & Them, 2010) Seite 223 ff

[31] Vgl.: (Kurz & Wilz, 2010) Seite 337

[32] Vgl.: (Holthoff, 2010) Seite 11

[33] Vgl.: (Kurz & Wilz, 2010) Seite 336

[34] Vgl.: (Mantovan, Ausserhofer, Huber, Schulc, & Them, 2010) Seite 223

[35] Vgl.: (Kurz & Wilz, 2010) Seite 337

[36] Vgl.: (Mantovan, Ausserhofer, Huber, Schulc, & Them, 2010) Seite 235

[37] Vgl.: (Kurz & Wilz, 2010) Seite 339

[38] Vgl.: (Diagnose Demenz: Ein Wegweiser für Erkrankte und ihre Angehörigen, 2010) Seite 13 ff

[39] Siehe auch http://www.deutsche-alzheimer.de/

[40] Vgl.: (Schneider-Schelte & Freter, 2004) Seite 49

[41] Vgl.: (Schneider-Schelte & Freter, 2004) Seite 57

[42] Vgl.: (Wojnar & Perrar, 2011) Seite 133

[43] Siehe http://www.wegweiser-demenz.de/tagespflege.html (generieret 09.07.2012)

[44] Mehr zu diesem Thema (Radzey, 2011) Seite 87 ff

[45] Vgl.: (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2011) generiert am 03.09.2012

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955496937
ISBN (Paperback)
9783955491932
Dateigröße
715 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Dresden International University
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,1
Schlagworte
Überleitungsmanagement Schnittstellenarbeit Angehörigenkrankheit Behandlungsleitlinie Kompetenzzentrum Demenz
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