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Binationale Familien als Zielgruppe Sozialer Arbeit

©2012 Bachelorarbeit 59 Seiten

Zusammenfassung

Seit Jahrzehnten ist Deutschland ein Zielland für viele Zuwanderer aus unterschiedlichen Ländern bzw. aus unterschiedlichen Kulturen. Die Migration kann aus unterschiedlichen Gründen vorkommen; beispielsweise aus politischen, wirtschaftlichen, natürlichen, familiären oder persönlichen Gründen. 2010 lebten rund 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Das entsprach einem Teil von 19,3 % an der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Mehr als die Hälfte, nämlich 8,6 Millionen Menschen, besaß einen deutschen Pass, während 7,1 Millionen Ausländer waren. Mit diesem großen Anteil an der Gesamtbevölkerung ist Deutschland eine von Einwanderung geprägte Gesellschaft, in der es eine kulturelle Vielfalt gibt. Erfahrungen mit Menschen anderer Nationalitäten und ihren unterschiedlichen Kulturen gehören heute für viele Deutschen zum normalen Alltag.
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit diesem wichtigen Thema. Nach einer theoretischen Einführung in die interkulturelle Soziale Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft im ersten Kapitel folgt dabei das Hauptkapitel dieser Arbeit über die Soziale Arbeit und binationale Familien. Als Einstieg in die Thematik nähert sich der Autor zunächst dem Begriff „Binational“ und gibt dann einen Überblick über die binationalen Familien in Deutschland. In dem Zusammenhang geht der Autor auch auf die Schwierigkeiten der binationalen Kinder und ihren Lebenszustand. Danach wird die Funktion der Sozialen Arbeit bei binationalen Familien, ihre Formen und ihre Kompetenzen erläutert und diskutiert. Die Arbeit endet mit einem Schlusswort.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Zum Begriff Interkulturalität

In unserer Zeit ist Interkulturalität ein alltägliches Thema geworden. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur auf engem Raum ist heute ein Merkmal der modernen Gesellschaft. Die Konflikte und Probleme, die daraus entstehen, sind mit der nationalen und internationalen Politik verbunden. Doch wie lässt sich die Interkulturalität definieren?

Interkulturalität (lateinisch: inter = zwischen) bezeichnet die Beziehungen zwischen verschiedenen Individuen und Gruppen, thematisiert Mehrheit und Minderheit, Einheimische und Migranten und damit auch Machtstrukturen, Dominanzkulturen und Diskriminierung. Außerdem beinhaltet sie eine Vorstellung von Begegnungen, Austausch und Verständigung in einer Gesellschaft. Das Paradigma der Interkulturalität basiert auf einem dynamischen Kulturverständnis und geht von Transformationsprozessen in der Kultur aus. Sie beschreibt das Zusammenstoßen verschiedener und manchmal widersprüchlicher Regeln, Handlungsweisen und Orientierungsmustern (Vgl. Schröer 2011, S. 46ff).

Um den Begriff „Interkulturalität“ gut zu verstehen, ist es sinnvoll, auf die Begriffe „Multikulturalität“ und „Transkulturalität“ einzugehen und den Unterschied zwischen ihnen klar machen.

Die Multikulturalität beschreibt das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, die unabhängig voneinander existieren. Kultur wird als ein in sich abgeschlossenes festes System verstanden. Es gibt keine Kommunikation oder Austausch zwischen den Kulturen, so dass sie voneinander profitieren und sich einander annähern. Die Kulturen in der Gesellschaft bleiben unabhängig und different (Vgl. Aschenbrenner-Wellmann 2003, S. 68).

Die Transkulturalität betont die Grenzüberschreitung von Mitgliedern einer Kultur zu einer anderen und stellt diese in den Vordergrund. Sie bedeutet die Aufhebung der Grenzen und bestehenden Differenzen zwischen Kulturen und das Bemühen, nach Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zu suchen und davon zu profitieren (Vgl. Schröer 2011, S. 48).

An diesen kurzen Definitionen der beiden Begriffe sieht man, dass die Interkulturalität als ein Denken und Handeln zwischen der Differenz als Merkmal der Multi­kulturalität und der Gemeinsamkeit als Merkmal der Transkulturalität zu verstehen ist. Ihre Priorität setzt auf Überlagerung, gegenseitige Abhängigkeiten und die Penetration von Grenzen und Kontakten (ebd. S. 47).

2. Interkulturelles Lernen

Auernheimer definiert den Begriff „Interkulturelles Lernen“ folgendermaßen:

„Interkulturelles Lernen findet statt, wenn eine Person bestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur deren spezifisches Orientierungssystem der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handels zu verstehen, in das eigenkulturelle Orientierungssystem zu integrieren und auf ihr Denken und Handeln im fremdkulturellen Handlungsfeld anzuwenden. Interkulturelles Lernen bedingt neben dem Verstehen fremdkultureller Orientierungssysteme eine Reflexion des eigenkulturellen Orientierungssystems“ (Vgl. Auernheimer 2007, Zit. nach Thomas, A. S. 82).

Durch interkulturelles Lernen kann man interkulturelle Handlungskompetenz erwerben und weiterentwickeln. Der Prozess des interkulturellen Lernens basiert auf Erfahrungen von Verschiedenheit und Differenz zwischen Eigenem und Fremdem. Aus dieser Differenzierung fasst Interkulturelles Lernen Austauschprozesse, die die Assimilation der fremden Kultur sowie die Neudefinition des Verhältnisses zur eignen Kultur bestimmen. In dem Prozess lernt man den eigenen Ethnozentrismus zu überwinden und von der eigenen Kultur unabhängig zu sein. Durch den Vergleich eigenen Kultur mit anderen, die Selbstreflexion und die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten, kann man sein Wissen und seine Fähigkeit weiterbilden und wachsen lassen. Man kann dann sein erworbenes Wissen nutzen um den Konflikt mit Menschen anderer Kulturen zu lösen und das Zusammenleben aufbauen und fördern. Dabei sind der Kontakt und die Kommunikation mit dem Fremden der entscheidende Punkt. Die Kommunikation bedingt gegenseitige Akzeptanz und Toleranz, Respekt und Verständnis. Darüber hinaus zielt man darauf ab, beim Interkulturellen Lernen die Vorurteile und die Stereotypen abzubauen, die Kulturunterschiede zu akzeptieren, ein Bewusstsein für andere Kulturen zu entwickeln und die kulturelle Vielfalt zu schätzen und zu fördern (Vgl. IKUD Seminare).

Innerhalb des sozialen Umfelds und innerhalb interkultureller Gesellschaften ist der Prozess des interkulturellen Lernens möglich, indem sich Deutsche und Ausländer bzw. Migranten über ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Ansichten austauschen. So können beide Seiten viel über die andere Kultur erfahren und über die Wertvorstellungen und Glaubenssysteme der Fremden lernen.

3. Interkulturelle Kompetenz

Es existieren mehrere Definitionen für „Interkultureller Kompetenz“, so dass fast jeder Autor einen eigenen Erklärungsversuch hat. Eine einheitliche Definition für den Begriff gibt es aber nicht.

Viele Forscher und Fachleute, die sich mit der Entwicklung und Verbesserung der interkulturellen Handlungskompetenz beschäftigen, sind für folgende Definition: „Interkulturelle Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln, einmal bei sich selbst und zum anderen bei kulturell fremden Personen, zu erfassen, zu würdigen, zu respektieren und produktiv zu nutzen. Diese produktive Nutzung zeigt sich in einem wechselseitigen interkulturellen Verstehen und einer daran anschließenden Anpassung an die jeweiligen kulturellen Gewohnheiten und Selbstverständlichkeit des Partners, und zwar so, dass die Zusammenarbeit für beide Seiten erträglich wird und dass die Produkte dieser Zusammenarbeit für beide Seiten nützlich und produktiv sind “ (Vgl. Giesche 2010, S. 53. Zit. nach Thomas, A. 2006).

Für Freise umfasst interkulturelle Kompetenz im Rahmen Sozialer Arbeit vier Hauptpunkte: spezifisches Fachwissen und Fachkompetenz, die mit der Beherrschung von Fremdsprachenkenntnissen beginnen, die Selbstkompetenz, indem man eine eigene kulturelle Identität erwirbt, die Sozialkompetenz, die die Fähigkeit zur kultursensiblen Kommunikation mit Menschen anderskultureller Herkunft bedeutet, und die Methodenkompetenz, die die Beherrschung der Managementtechniken, Methoden und Instrumente, die zur Problemlösung notwendig sind, bedeutet (Vgl. Freise 2007, S. 158).

In der Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft ist die Interkulturelle Kompetenz eine soziale Kompetenz oder Beziehungskompetenz, die sich in der Interaktion und Kontakt zwischen dem Sozialarbeiter in einer Einrichtung und Klienten mit Migrationshintergrund erfüllt. Sie ist auch eine Kommunikationskompetenz, die sich im multikulturellen Team und in der Zusammenarbeit mit Freiwilligen findet (Vgl. Fischer 2006, S.35).

Für einen Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen sind interkulturelle Kompetenzen vonnöten. Sie brauchen sie als Schlüsselqualifikation für ihre Arbeit, damit sie ihre verschiedenen Klienten verstehen können und dann helfen können. Diese Schlüsselqualifikation umfasst „ Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen, die auf kognitiver, emotionaler und psychomotorischer Ebene dem Umgang mit kultureller Vielfalt ermöglichen“ (ebd. S. 36).

Die Sozialarbeiter sollen fähig sein, effektiv mit Menschen aus anderen Kulturen umzugehen und zusammenarbeiten. Sie sollen auch über emotionale Kompetenz und die interkulturelle Sensibilität verfügen, denn dadurch werden die Konzepte der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns der unbekannten Kultur bei der Reaktion und Handeln berücksichtigt. Hier werden die Erfahrungen der interkulturell kompetenten Sozialarbeiter beiseitegelegt. Stattdessen wird die Bereitschaft, Stereotype und Vorurteile aufzuheben und etwas Neues von den Fremden zu erlernen, gezeigt (Vgl. Interkulturelle Kompetenz).

Zunächst geht es darum, durch professionelle Soziale Arbeit mit interkulturellen Kompetenzen zu helfen und beizutragen, dass Menschen, besonders Migranten, zu einer selbstständigen und gleichberichtigen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben befähigt werden.

Nachdem die Hauptpunkte der Sozialen Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft untersucht und geklärt wurden, will ich in dem zweiten Teil dieser Arbeit auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Forschungsergebnisse auf die Thematik der Sozialen Arbeit und binationalen Familien eingehen.

II. Soziale Arbeit und binationale Familien

In diesem Kapitel geht es darum, einen Blick auf den Zustand von binationalen Familien und ihren Kindern in Deutschland zu werfen. Worunter leiden sie? Welche Vorteile und Chancen haben sie? Und welche Rolle spielt die Soziale Arbeit bei diesen Familien? Doch vorher ist eine inhaltliche Klärung des Begriffs „binational“ und ein Überblick bezüglich der Situation dieser Familien in Deutschland erforderlich.

A. Zum Begriff „Binational“

Die Begriffe „binational“ und „bikulturell“umfassen verschiedene inhaltliche Bedeutungen und werden sehr häufig als Synonyme verwendet, müssen aber voneinander getrennt werden. Bei beiden Begriffen handelt es sich zwar um eineunterschiedliche Herkunft von Familienmitgliedern, jedoch ist die Bedeutung von Herkunft mit verschiedenen zentralen Punkten gedeckt. Redet man von „binational“, werden damit die Nation und dann die Nationalität (Staatsangehörigkeit) verbunden. Es handelt sich also um Familienmitglieder, die zwei verschiedenen Nationenangehören bzw. aus unterschiedlichen Ländern kommen (Vgl. Pandey 1990, S.15).

Bikulturell heißt hingegen, dass eine Person in zwei Kulturen aufgewachsen ist. Das kann eine Person sein mit Elternteilen gleicher Staatsangehörigkeit, die in einem anderen Land aufgewachsen, dorthin eingewandert oder dort geboren ist, oder mit Elternteilen, die zwei unterschiedliche Staatsangehörigkeiten besitzen bzw. aus zwei verschiedenen Kulturen kommen (Vgl. Wießmeier 1999, S. 5).

Mit folgendem Beispiel wird der Begriff deutlicher gemacht:

Binational ist ein Junge, der einen türkischen Vater und eine deutsche Mutter hat. Er hat also zwei Staatsangehörigkeiten, die türkische und die deutsche. Oder ein Mädchen, das eine philippinische Mutter und einen deutschen Vater hat. Sie hat auch zwei Nationalitäten. Die beiden wachsen mit zwei Kulturen auf, deswegen sind sie auch bikulturell.Ein Junge, dessen Eltern beide aus Italien kommen. aber in Deutschland leben, ist nicht binational, weil er nur eine Staatsangehörigkeit hat, nämlich die italienische.Er ist aber bikulturell, weil er in zwei verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist, nämlich in der italienischen Kultur bei seiner Familie und in der deutschen Kultur draußen in der Gesellschaft und in der Schule (Vgl. Pandey 1990, S.15).

B. Überblick über binationale Familien in Deutschland

Begegnungen zwischen Menschen verschiedener Kulturen, Ethnien und Religionen gab es schon immer in der Geschichte der Menschheit. Diese Begegnungen entwickelten sich mit der Zeit zu Beziehungen und Verbindungen zwischen Menschen, die total verschieden waren. Die Gründe dafür haben sich im Laufe der Geschichte nicht stark verändert, immer noch wandern Menschen, um nach besseren Überlebensmöglichkeiten zu suchen, fliehen vor Naturkatastrophen, Kriegen, politischen und sozialen Krisen usw. In Deutschland begann die Begegnung zwischen den Deutschen und den Fremden mit der Einwanderung der sogenannten Gastarbeiter seit den 50er Jahren bis zu den 80er Jahren. Heute in der Zeit der Globalisierung, von offenen Grenzen und mehr Freiheit, finden wir mehr Fremde und Ausländer in Deutschland, die die Anzahl der binationalen Partnerschaften und Eheschließungen weiter steigen lassen. Eine binationale Partnerschaft bezeichnet hier eine Partnerschaft bzw. Ehe zwischen zwei Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten. Diese Familien sind keine Seltenheit mehr (Vgl. Kriechhammer-Yagmur 1995, S. 92). Die Statistiken zeigen, dass im Jahr 2010 7% aller Eheschließungen in Deutschland binational waren. Betrachtet man die Geschlechterunterschiede, sieht man, dass es mehr deutsche Männer gibt, die mit einer Ausländerin verheiratet sind. 59% aller binationalen Ehen werden zwischen deutschen Männer und nichtdeutschen Frauen geschlossen und nur 41% zwischen deutschen Frauen und ausländischen Männern. Zum anderen ist zu beobachten, dass deutsche Frauen türkische Männer als Ehepartner (17%) bevorzugen, in 12% der Fälle sind sie mit einem Italiener und zu 6% mit einem Österreicher verheiratet. Deutsche Männer sind am häufigsten mit einer türkischen Frau (11%), polnischen Frau (10%) oder russischen Frau (8%) verheiratet (Vgl. Statistisches Bundesamt 2). Aufgrund der steigenden Anzahl der binationalen Paare steigt auch die Anzahl der binationalen Kinder. Im Jahr 2010 entstammten 12,3% dieser Kinder binationalen Ehen mit einem deutschen Elternteil. Das ist jedes achte geborene Kind. (Vgl. Verband binationaler Familien und Partnerschaften 2). Heutzutage ist die binationale Ehe bzw. binationale Familie eine Normalität in der Gesellschaft geworden.

Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass deutsche Frauen, die eine Ehe mit einem ausländischen Partner eingingen, schon immer negativer beurteilt wurden als deutsche Männer, die eine Ehe mit einer ausländischen Frau eingingen. Bis 1972 gab es für ausländische Ehemänner deutscher Frauen keinerlei Aufenthaltssicherheit. Hingegen war es ausländischen Frauen deutscher Männer möglich, mit der Eheschließung sogar die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten. Die Kinder einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vater waren von Geburt an Ausländer, weil sie bis 1975 nur die Staatsangehörigkeit des Vaters erhielten, aber die Kinder einer ausländischen Mutter und eines deutschen Vater waren von Geburt an Deutsche (Vgl. Kriechhammer-Yagmur u.a. 1999, S.15f.).

Um die Rechte und Interessen der binationalen Familien zu verteidigen und zu fordern wurde 1972 die (IAF) „Interessensgemeinschaft der mit Ausländern verheirateten deutschen Frauen“ gegründet (ebd.). Zu Beginn ging es um Selbsthilfeberatung, doch im Laufe der Zeit wurde das Angebot ausgeweitet und der Verband hat sich von einer Interessensgemeinschaft von mit Ausländern verheirateten Frauen (IAF) zu einem professionellen Dienstleister und interkulturellen Familien-Verband entwickelt. Heute heißt er der „Verband binationaler Familien und Partnerschaften“. In mehr als 30 Städten im In- und Ausland engagiert sich der Verband. Die Arbeit umfasst differenzierte Beratungsangebote in den Bereichen psychosoziale Beratung und rechtliche Information für Einzelpersonen, Trennung und Scheidungsangebote sowie eine Migrationsberatung. Auf allen Ebenen unterstützt und fördert der Verband interkulturelle Bildung und Erziehung, Umgang mit Diskriminierung, Rassismus, Identitätsfindung, mehrsprachiges Aufwachsen und rechtliche/soziale Gleichstellung, um nur einige Themen zu nennen. Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter gewährleisten eine hohe Professionalität des umfangreichen Leistungsangebots (Vgl. IAF- Jahresbericht 2009, S.4f). Die Finanzierung der Verbände unterscheidet sich von Stadt zu Stadt. So wurden zum Beispiel die vielfaltigen Aufgaben der Geschäftsstelle Frankfurt im Jahr 2011 hauptsächlich durch das Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt finanziert. Weitere Finanzierer sind: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der PARITÄTISCHE Hessen, Paritätisches Bildungswerk Hessen, Sozialrathäuser / Stadt Frankfurt, Mitglieder mit Beiträgen und Spenden…usw. (Vgl. IAF- Jahresbericht 2011, S. 38).

C. Die Situation binationaler Familien

Die Binationalität bzw. die binationalen Familien sind heutzutage Normalität geworden. Die Zahlen der binationalen Eheschließungen und der aus ihnen entstammenden Kindern bestätigen es. Doch unter welchen Probleme müssen diese Familien leiden und welche Chancen und Vorteile haben sie in unserer Gesellschaft.

1. Probleme binationaler Familien

Der Zustand binationaler Familien in Deutschland ist aus verschiedenen Gründen nicht immer einfach und wird oftmals von scheinbar unüberwindlichen Hindernissen und unlösbaren Konflikten und Missverständnissen begleitet (Vgl. Kriechhammer-Yagmur 1995, S. 92) . Die wirtschaftliche Situation binationaler Familien ist oft davon geprägt, dass der nicht deutsche Partner nur eine geringfügig qualifizierte Arbeit findet. Oft ist die deutsche Frau die Familienernährerin, was manche ausländische Ehemänner als Beleidigung und Demütigung empfinden. Nicht deutsche Frauen, die in ihrer Heimat eine qualifizierte Ausbildung bekamen, fühlen sich als Hausfrauen zurückgesetzt in eine Rolle, der sie durch eine Ausbildung entkommen waren. Hinzu kommt noch, dass der Kontakt zu den nicht deutschen Verwandten sehr teuer ist. Binationale Familien unterstehen rechtlich gesehen dem Aufenthaltsgesetz. Das bedeutet u.a., dass ein Elternteil nicht die gleichen Rechte wie sein Ehepartner hat, wie zum Beispiel: Aufenthaltssicherheit, Wahlrecht, Zugang zum Arbeitsmarkt …usw. Für Besuche ausländischer Familienangehöriger müssen entsprechende Einreise-Visa beantragt werden, die einerseits vom Familieneinkommen abhängig sind, anderseits enorme bürokratische Hürden mit sich bringen. Die Einreise in andere Länder ist für die nicht deutschen Partner schwieriger, da die Einreise von der Visaerteilung abhängig ist (Vgl. Stöcker-Zafari / Wegner 2004, S. 46) . Außerdem müssen viele nicht deutschen Partner im Alltag unter Rassismus leiden. Je fremdartiger das Aussehen und je ferner die Kultur und die Religion des Partners sind, desto häufiger wird er diskriminiert. Es ist schwerer, eine passende Wohnung zu finden, weil sie oft von Vermietern und Nachbarn abgelehnt werden. Die Angehörigen und Freunde der deutschen Partner haben oft Vorurteile und sind eher skeptisch gegenüber den ausländischen Partnern (Vgl. Das Familienhandbuch der IFP).

Wenn die Beziehung scheitert, kann das zu einer Einschränkung des Umgangsrechts führen. Der nicht deutsche Elternteil bekommt eine kurzfristige Aufenthaltserlaubnis oder sogar gar keine mehr. Bei Trennung oder Scheidung ist es immer schwer, die Herkunft des ausländischen Elternteils den Kindern als lebendige Erfahrung zu bewahren und zu behalten. Die erlebte soziale Exklusion aufgrund des „Andersseins“ findet keinen Ausgleich mehr in der Erfahrung familiärer Normalität (Vgl. Binational ist echt genial).

Diese drei Fallbeispiele verdeutlichen weitere Probleme:

Giovanni K. hat eine deutsche Mutter und einen italienischen Vater. Er war in den 90er Jahren 25 Jahre alt und selbst Vater einer Tochter. Er wurde in Deutschland geboren, ist aber mehrfach straffällig geworden. Deswegen wurde er von den Ausländerbehörden mit Abschiebung bedroht. Weil Giovanni vor 1975 geboren wurde, wurde er rechtlich von Geburt an als Ausländer angesehen. Die Kinder einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vater erhielten bis 1975 nur die Staatsangehörigkeit des Vaters. Giovanni musste, obwohl er wenig italienisch spricht und auch keinen Kontakt mit Italienern und Italien hatte, mit Abschiebung rechnen (Vgl. Kriechhammer-Yagmur 1995, S. 92).

Susanne M. hat im Jahr 1988 einen Asylbewerber aus Gambia kennengelernt. Sein Asylantrag ist abgelehnt worden, daher musste er Deutschland verlassen. Susanne ist ihm nach Gambia gefolgt, hat ihn dort geheiratet und mit ihm dort zwei Jahre gelebt. Aus gesundheitlichen Problemen bei der Schwangerschaft ist sie im Jahr 1991 nach Deutschland zurückgekehrt. Im Rahmen des Familiennachzuges wollte sie ihren Mann nach Deutschland holen und ließ sich zuerst die Unterlagen wie zum Beispiel die Heiratsurkunde übersetzen und beglaubigen. Ihr Mann hat gleichzeitig den Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. In Deutschland musste der Antrag von der Ausländerbehörde geprüft werden, u.a. ob der Wohnungsraum für die Familie ausreichend war und ob sie ohne Unterstützung durch Sozialhilfe leben konnten. Susanne ging nicht den ganzen Tag arbeiten, da ihre Tochter noch klein war, und sie bekam auch keine Unterstützung von ihren Eltern. Ihr Einkommen reichte für die Familie nicht aus, daher wurde der Antrag auf Familienzusammenführung abgelehnt. Aber mit Hilfe der IAF durfte schließlich ihr Ehemann nach Deutschland einreisen, ungefähr sechs Jahre nach Eheschließung der beiden (ebd. S.92f).

Jaime K. ist Sohn einer deutschen-angolanischen Familie. Er ist mit acht Jahren das jüngste Kind der Familie. Er und seine Geschwister sowie die angolanische Mutter werden immer wieder mit rassistischen Ausdrücken oder auch mit gewalttätigen Übergriffen konfrontiert. Mehrmals wurde Jaime in der Schule geschlagen und bespuckt, woraufhin er sich weigerte, die Schule weiter zu besuchen. Jaimes Eltern wussten nicht, was sie tun sollten. Sollten Sie auswandern, in eine andere Stadt umziehen oder ihren Sohn in einen Selbstverteidigungskurs schicken? Sie wollten alles tun, nur nicht sich beugen oder resignieren (ebd. S. 93) .

An diesen Beispielen sieht man, obwohl sie aus den 90er Jahren stammen, typische Situationen binationaler Familien in Deutschland. Sie zeigen alle sozialen und rechtlichen Fragen, mit denen sie auch heute noch im Alltag konfrontiert sind.

2. Chancen binationaler Familien

Das Zusammenleben in einer interkulturellen Ehe fördert Flexibilität und Verständnis sowie das Einfühlungsvermögen bezüglich anderer Gefühlswerte, Wertvorstellungen und Denkweisen. Frauen, die Ausländer heiraten, müssen häufig in ihrer eigenen Heimat Dinge in die Hand nehmen, die sonst Männer erledigen würden. Diesfördert das Selbstvertrauen und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Auch die Solidarisierungsfähigkeit, die Entwicklung eines politischen Bewusstseins verdanken viele ihrer Beziehung zu einem ausländischen Partner (Vgl. Wolf-Almanasreh 1991, S.61). Ausländische Männer, die eine deutsche Frau heiraten, haben auch eine positive Meinung bezüglich Vorteilen und Bereicherungen in binationalen Ehen. Sie haben die Möglichkeit, in einer binationalen bzw. bikulturellen Ehe die traditionelle Männerrolle zu verändern, neue Wege zu beschreiten und auszuprobieren. Ein anderer positiver Aspekt, den Männer erkennen können, ist vor allem der, dass durch die Ehe eine neue Familie hinzugewonnen wird, die wiederum als ein Gewinn an Sicherheit, Rückhalt und Geborgenheit erlebt wird. Männer verstehen ihre Frauen als Türöffner in eine neue fremde Gesellschaft, die es ihnen ermöglicht, in diese Kultur einzudringen und zu bestehen. In der deutschen Gesellschaft können sie eher als in ihrer eigenen Gesellschaft über Probleme und Sorgen öffentlich reden, ohne als Schwächling zu gelten, der sein Leben oder seine Familie nicht im Griff hat.Außerdem liegt die Verantwortung nicht mehr nur bei dem Mann, da die deutsche Frau arbeiten geht und damit ein Teil der Hautverantwortung mitträgt. Sie ist selbstständig und kann für sich selbst sorgen (Vgl. Stöcker-Zafari 1989, S. 152f.).

Die Bedeutung von Verwandtschaft bei den binationalen Familien und die Bindung zwischen den Mitgliedern haben einen höheren Stellenwert und werden immer durch Besuche und Kontakte im Inland oder im Ausland verstärkt, deswegen ist viel Besuch zu haben eine Selbstverständlichkeit für diese Familien. Das Verhältnis zwischen den Generationen ist von Respekt und Achtung gegenüber den Älteren und von Fürsorge und Pflege für die Kinder und Jüngeren gezeichnet. Auch bei Konflikten werden dieser Rahmen und diese Grenzen selten überschritten. Außerdem haben die binationalen Familien oft Verwandte überall in der Welt. Wenn sie Urlaub im Ausland machen, erleben sie den Ort, den sie besuchen, nicht wie andere Touristen, für die alles fremd ist, sondern als einen anders strukturierten Ort mit einem dort völlig normalen Familienalltag. Die Kinder und Jugendlichen binationaler Familien wachsen in einem Lebensstil auf, in dem ständige Anpassungsprozesse, die häufige Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen Rücksichtnahme auf andere und den eigenen Bedürfnissen eine hohe Sensibilität für situatives Handeln verlangen. Deshalb haben sie auch viele Vorteile in der differenzierten Gesellschaft (Vgl. Binational ist echt genial).

D. Rechtliche Rahmenbedingungen für die binationale Heirat

Die Eheschließung zwischen deutschen und nicht deutschen Partnern kann sowohl im Ausland als auch im Inland stattfinden. Das Land, in dem die Ehe geschlossen werden soll, können sich die Verlobten selbst aussuchen, denn der Ort ist ohne Bedeutung für die rechtlichen Beziehungen der Ehepartner. Die Ehen, die in Deutschland geschlossen wurden, sind auch im Ausland gültig. Allerdings gibt es Ausnahmen: in einigen Ländern wird zum Beispiel die kirchliche Trauung vorgeschrieben. Ein Moslem darf auch keine konfessionslose Frau heiraten. In Deutschland hat auch nicht jede im Ausland geschlossene Ehe ihre Gültigkeit. So ist die Ehe einer Deutschen mit einem bereits verheirateten Ausländer nichtig, obwohl er in seinem Heimatland mehrere Frauen heiraten darf (Vgl. Gronau / Jagota 1991, S. 172f.).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955497101
ISBN (Paperback)
9783955492106
Dateigröße
191 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Darmstadt
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Einwanderer Binational Soziale Arbeit Interkulturalität Einwanderungsgesellschaft

Autor

Hamid Maftahi wurde 1983 in Marokko geboren. Sein Studium der Sozialarbeit an der Hochschule Darmstadt schloss der Autor Anfang 2013 mit dem akademischen Grad Bachelor erfolgreich ab. Das Interesse an dem Thema der binationalen Familien beruht vor allem auf den eigenen Erfahrungen des Autors - vor allem die Heirat mit einer deutschen Frau - und entwickelte sich schließlich zur Thesis seiner Bachelorarbeit.
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