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Konzepte zur Vermittlung von Rechtschreibwissen und ihre linguistische Basis: Wortschreibung mit System von Anfang an

©2012 Bachelorarbeit 62 Seiten

Zusammenfassung

Im Rahmen der IGLU-Studie wurde festgestellt, dass vielen Schülerinnen und Schülern die grundlegenden Einsichten in die deutsche Orthographie fehlen. Um Schüler und Schülerinnen beim Rechtschreiblernen bestmöglich unterstützen zu können, ist es wichtig, dass Lehrer und Lehrerinnen die Regularitäten des deutschen Schriftsystems kennen. Dies ermöglicht die Auswahl geeigneter Beispiele, an denen Schüler und Schülerinnen wichtige Regularitäten selbst erkennen können, und die Vermeidung der Zusammenstellung ungünstiger Beispiele, aus denen fehlerhafte Regeln abgeleitet werden könnten. Daher werden in der Arbeit die grundlegenden Regularitäten des deutschen Schriftsystems erläutert, wobei die Darstellung in Anlehnung an Eisenberg erfolgt. Ausgehend von dieser linguistischen Basis werden verschiedene Konzepte zur Vermittlung von Rechtschreibwissen vorgestellt und ihre Eignung wird diskutiert. Zur besseren Nachvollziehbarkeit ist die Darstellung durch zahlreiche Tabellen und Abbildungen ergänzt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Was du mir sagst, das vergesse ich.
Was du mir zeigst, daran erinnere ich mich.
Was du mich tun lässt, das verstehe ich.
(Konfuzius)
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Öhlschläger, der es mir ermöglicht hat, dieses spannende
Thema zu bearbeiten. Vielen Dank für die interessanten Diskussionen und Anregungen.
Darüber hinaus möchte ich mich recht herzlich bei Frau Dr. Poethe für die Übernahme des
Zweitgutachtens bedanken.
Dank Frau Döring, von der ich Internetadressen zur Darstellung diverser phonetischer
Zeichen erhielt, konnte ich die Lautschrift entsprechend meinen Vorstellungen visualisieren.
Meiner Schwester Katja Barche und meinem Mann Torsten Brand danke ich recht herzlich für
das Korrekturlesen der Arbeit und die anregenden Diskussionen.

1
1. Einleitung und Zielstellung
Im Rahmen der IGLU-Studie
1
wurde festgestellt, dass Rechtschreibung zwar ,,eine
zeitintensive Rolle im Unterricht spielt"
2
, aber dennoch vielen Schülern
3
die grundlegenden
Einsichten in die deutsche Orthographie fehlen
4
. Die ,,fast beliebig erscheinende
Ansammlung von Einzelfehlern"
4
bei der Schreibung eines Wortes, wie sie insbesondere bei
den schwächsten 25% der Schüler diagnostiziert wurde, deutet darauf hin, dass bei einigen
Schülern ,,die Konfusion beim Rechtschreiben [wächst], je mehr sie von Orthographie
erfahren."
5
Die Schreiblerner haben zwar viele Stufen des Schriftspracherwerbs durchlaufen
und diverse orthographische Vorschriften kennengelernt, können diese jedoch nicht sinnvoll
anwenden.
4
Auch Eisenberg und Fuhrhop warnen vor der Darstellung ,,angehäufter
Einzelheiten, die man wissen muss, wenn man orthographisch richtig schreiben will."
6
Vielmehr sollten Lehrer ihrer Meinung nach ,,ein klares Bild davon haben, wie die 90 oder 95
Prozent der regulären Schreibungen zustande kommen, wenn sie die Subregularitäten und
Irregularitäten des Restes zur Geltung bringen."
7
Bredel, Müller und Hinney weisen darauf hin, dass sich einige Kinder die Schrift trotz
,,unterrichtlich fehlgehender Instruktionen"
8
strukturiert aneignen. Mich als angehende
Grundschullehrerin macht eine derartige Formulierung neugierig: Welcher Art sind derartige
Instruktionen? Wie kann ich sie vermeiden und die Schülerinnen und Schüler stattdessen
beim Rechtschreiblernen bestmöglich unterstützen?
Als Antwort auf diese Fragen möchte ich im Rahmen der Arbeit auf Konzepte zur
Vermittlung von Rechtschreibwissen eingehen und dabei sowohl ,,fehlgehende Instruktionen"
als auch alternative Konzepte berücksichtigen. Dabei sollen die von Eisenberg und Fuhrhop
angesprochenen ,,regulären Schreibungen" von Wörtern
9
im Vordergrund stehen, d. h. solche,
die sich durch Regularitäten erklären lassen.
1
IGLU steht für Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung in deren Rahmen auch Untersuchungen zur
Rechtschreibkompetenz von Grundschülern vorgenommen wurden.
2
Valtin et al. (2003), S. 257.
3
Begriffe wie ,,Schüler" erlauben keinen Rückschluss auf das Geschlecht der bezeichneten Person.
4
Löffler, Meyer-Schepers (2005), S. 102.
5
Löffler, Meyer Schepers (2005), S. 96.
6
Eisenberg und Fuhrhop (2007), S. 25.
7
Eisenberg und Fuhrhop (2007), S. 24.
8
Bredel, Müller und Hinney (2010), S. 4.
9
Da die Schüler zunächst die Schreibung jeder Graphemfolge zwischen zwei Spatien herleiten müssen, sollen
an dieser Stelle sämtliche Graphemfolgen zwischen zwei Spatien als Wort aufgefasst werden.

2
Obgleich wortübergreifende Regularitäten wie Groß- und Kleinschreibung
10
, Getrennt- und
Zusammenschreibung
11
sowie Interpunktion nicht Gegenstand der Arbeit sind, möchte ich die
Anwendung ausgewählter Konzepte und Prinzipien der Wortschreibung anhand eines
hypothetischen Textes eines Grundschülers demonstrieren und nicht lediglich an Einzel-
worten. Auf diese Weise können Mehrdeutigkeiten, die durch homophone Wortformen
zustande kommen, anhand des Kontextes in ihrer Bedeutung unterschieden werden.
Darüber hinaus wird die Funktion der Schrift zur Weitergabe von Informationen deutlich. Die
normierte Schreibung, die Orthographie, die im amtlichen Regelwerk
12
festgelegt ist,
ermöglicht dem Leser die schnellere Verarbeitung der Informationen, erfordert vom Schreiber
jedoch eine Menge Wissen.
Zunächst möchte ich die Frage klären, welche Arten von Rechtschreibwissen es gibt, was Ziel
der ,,Vermittlung" von Rechtschreibwissen ist, und inwiefern überhaupt von ,,Vermittlung"
gesprochen werden kann.
10
Ich folge hierbei dem syntaxbezogenen Ansatz zur Groß- und Kleinschreibung, der diese nicht auf die
lexikalische Wortart bezieht, sondern aus der Verwendung im Satz erklärt (vgl. z. B. Günther und Nünke
(2005), S. 10).
11
Genaugenommen ist lediglich die Getrenntschreibung wortübergreifend, denn nach dem Wortbildungsprinzip
werden Wörter zusammen geschrieben (vgl. z. B. Fuhrhop (2010), S. 237), sodass die Zusammenschreibung
dem morphologischen Prinzip hinzuzurechnen ist.
12
Erhältlich unter: http://www.rechtschreibrat.com/ (letzter Zugriff: 16.07.2012)

3
2. Was heißt es, über Rechtschreibwissen zu verfügen?
Ist derjenige ein guter Rechtschreiber, der den Inhalt des amtlichen Regelwerkes kennt und
somit über deklaratives Rechtschreibwissen verfügt, oder ist es vielmehr derjenige, der
möglichst viele Worte regelgerecht verschriftet, also über prozedurales Wissen verfügt, auch
wenn er die Regeln, die zur entsprechenden Schreibung führten, nicht angeben kann?
13
Ossner bemerkt dazu: ,,Seit langem weiß man, dass deklaratives Wissen in der Orthographie
keine Sicherheit bringt. Wer eine Rechtschreibregel aufsagen kann, kann noch lange nicht das
in der Regel Ausgesagte richtig schreiben."
14
Er weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass
dies nicht heißt, dass Regeln generell unnötig wären, sondern Kenntnisse vielmehr so
beschaffen sein müssen, dass sie in prozedurales Wissen übergehen können. Es muss
demnach Ziel der Vermittlung von Rechtschreibwissen sein, dass die Kinder sowohl beim
spontanen Schreiben als auch beim Überarbeiten über anwendungsfähiges Wissen verfügen.
Aus der Lernpsychologie ist bekannt, dass dies aktive Lerner voraussetzt und eine
unmittelbare Übertragung des Wissens vom Lehrer auf den Schüler nicht möglich ist.
15
Dennoch ist der Lehrer nicht unerheblich am Gelingen des Lernprozesses beteiligt. Spitzer
beschreibt Gehirne als ,,Regelextraktionsmaschinen"
16
, die Gemeinsamkeiten erkennen und
verallgemeinern. Er weist auf die für Lehrer unglaublich wichtige Tatsache hin, dass das
Allgemeine nicht dadurch erfasst wird, dass allgemeine Regeln gelernt werden, sondern
vielmehr dadurch, dass Beispiele verarbeitet werden, aus denen der Lerner die Regeln selbst
generiert.
17
Auf diese Eigenregeln greift der Lerner beim spontanen Schreiben unbewusst
zurück.
18
Durch schlechte Beispiele kann der Lehrer demnach die Bildung fehlerhafter Eigen-
regeln begünstigen, während er den Lerner durch die Zusammenstellung geeigneter Beispiele
bei der Produktion korrekter Eigenregeln unterstützen kann. Hierfür ist es jedoch
unabdingbar, selbst über deklaratives Rechtschreibwissen zu verfügen, wobei statt der
Ansammlung von Einzelheiten im amtlichen Regelwerk auf die Graphematik zurückgegriffen
werden sollte, da auf diese Weise Zusammenhänge des Schriftsystems deutlich werden.
13
Für einen Überblick über Wissensarten und -strukturen vgl. Brand (2011), S. 5f.
14
Ossner (2006), S. 164.
15
Vgl. z. B. Spitzer (2007), S. 417.
16
Spitzer (2007), S. 75.
17
Vgl. Spitzer (2007), S. 76.
18
Vgl. Augst und Dehn (2007), S. 44.

4
3. Die linguistische Basis - Grundlegende Prinzipien der Graphematik
Während Orthographie die durch das amtliche Regelwerk normierte Schreibung darstellt,
handelt es sich bei der Graphematik um eine Wissenschaft, die das Schriftsystem beschreibt.
Die linguistische Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Schrift durchaus
systematisch strukturiert ist
19
und sich Prinzipien formulieren lassen. Diese ,,beschreiben im
Unterschied zu Regeln die allgemeinen Grundsätze und wesentlichen Zusammenhänge des
Schriftsystems."
20
Durch Kenntnis der allgemeinen Prinzipien kann ,,der Schreiber [...] die
Orthographie seiner Sprache nicht nur beherrschen, er kann sie auch verstehen."
21
Anzahl, Bezeichnung und exakte Beschreibung der Prinzipien variieren von Darstellung zu
Darstellung mehr oder weniger stark.
22
Ich folge weitgehend den Ausführungen von
Eisenberg, der für die Wortschreibung das phonographische, das silbische und das
morphologische Prinzip unterscheidet.
23
Obgleich die Prinzipien einzeln aufgeführt sind,
lassen sich Wortschreibungen in der Regel nicht durch die Anwendung lediglich eines
Prinzips herleiten, sondern ,,phonographische Regularitäten [werden] durch silbische und
morphologische Einflüsse systematisch überformt"
24
.
3.1 Das phonographische Prinzip
Das phonographische Prinzip besteht in der regelhaften Zuordnung von Einheiten des
Gesprochenen (Phonemen) zu Einheiten des Geschriebenen (Graphemen).
25
Dabei versteht
Eisenberg unter Phonemen die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten gesprochener
Sprache, d. h. wenn sich beim Austausch genau eines Lautes durch einen anderen in einem
Wort die Bedeutung ändert, handelt es sich bei den gegeneinander ersetzten Phonen um
Phoneme
26
. Die auf diese Weise auseinander hervorgehenden Wörter werden als Minimalpaar
bezeichnet.
19
Vgl. z.
%. Bredel und Röber (2011), S. 5.
20
Müller (2010), S. 38.
21
Eisenberg (2009), S. 65.
22
Für eine vergleichende Übersicht verschiedener Darstellungen vgl. Nerius (2007), S. 95f.
23
Vgl. Eisenberg (2009), S. 66f.
24
Z. B. Müller (2010), S. 47.
25
Vgl. Eisenberg (2009), S. 68.
26
Vgl. Eisenberg (2009), S. 32f und 66.

5
In analoger Weise werden Grapheme als kleinste bedeutungsunterscheidende Einheiten
geschriebener Sprache definiert, d. h. wenn sich beim Austausch genau eines Buchstabens
bzw. genau einer Buchstabenverbindung in einem Wort die Bedeutung ändert, handelt es sich
bei den gegeneinander ersetzten Graphen um Grapheme.
27
Da für die Darstellung von Phonen, Phonemen und Graphemen partiell der gleiche Zeichen-
satz verwendet wird, die Unterscheidung jedoch von Bedeutung ist, werden Phone durch
eckige Klammern ([ ]), Phoneme durch Schrägstriche (/ /) und Grapheme durch spitze
Klammern (< >) voneinander abgegrenzt.
Bevor ich die dem phonographischen Prinzip zugrunde liegenden Graphem-Phonem-
Korrespondenzen darstelle, möchte ich zunächst auf Explizitlautung und Standardlautung
eingehen, da es von essentieller Bedeutung ist, aus welcher Basis die Phonemfolge resultiert,
die mithilfe der Zuordnungsvorschriften in die entsprechende Graphemfolge übertragen wird.
3.1.1 Explizitlautung
und
Standardlautung
Explizitlautung steht in engem Zusammenhang zum Schriftbild des Wortes. Sie setzt voraus,
dass Wörter einzeln mit normaler Betonung so ausgesprochen werden, dass jeder Einzellaut
alle funktionalen artikulatorischen Merkmale aufweist. Außerdem sind in der Explizitlautung
alle Silben vorhanden und jeder Silbenkern ist ein Vokal. Eisenberg weist darauf hin, dass die
Explizitlautung die Eigenschaften besitzt, die man als ,,wirkliche Lautform" eines Wortes im
Kopf hat und die genutzt wird, wenn wir scheinbar Dinge hören, die physikalisch nicht hörbar
waren.
28
Schriftkundige Personen sind somit in der Lage, akustisch wahrgenommene
Standardlautungen wie [fy:
]
29
, [m
t] oder [abn]
30
in die entsprechenden Explizit-
lautungen [fy:
], [mt] bzw. [abn] zu überführen und daraus die entsprechenden
Phonemfolgen /fy:
/, /mt/ bzw. /abn/ zu bilden. Auf das dabei zugrunde liegende
Phonemsystem soll im Folgenden kurz eingegangen werden.
27
Vgl. Eisenberg (2009), S. 66.
28
Vgl. Eisenberg (2009), S. 51.
29
Der Bogen unter dem vokalisierten ,,r" zeigt, dass dieses nicht Kern einer neuen Silbe ist, wie es im
Gegensatz dazu bei [m
t] der Fall ist.
30
Der Strich unter dem ,,n" zeigt, dass es sich hierbei um den Silbenkern handelt.

6
3.1.2 Das Phonemsystem des Deutschen
Eisenberg unterscheidet für das Konsonantsystem des Deutschen 21 Phoneme
31
, die sich nach
Artikulationsart, Artikulator und Stimmbeteiligung gruppieren lassen, wie es in Tab. 1 erfolgt
ist. Da /
/ nur in Fremdwörtern auftaucht, wird es häufig auch weggelassen, sodass sich 20
Konsonantphoneme ergeben.
Tab. 1: Phoneme des Konsonantsystems des Deutschen (nach Eisenberg)
31
. Die Phoneme sind nach
Artikulationsart (Verschlusslaute (Plosive), Reibelaute (Frikative), Nasale oder Fließlaute (Liquide)), Artikulator
(Unterlippe (labial), Vorderzunge (koronal), Zungenrücken (dorsal) oder Stimmritze (glottal)) sowie Stimm-
beteiligung (stimmhaft oder stimmlos) eingeordnet. Nur in bestimmten Positionen auftretende Phoneme wurden
darüber hinaus farblich codiert:
nur im Anlaut
, fast nur im Anlaut
,
nie im Anlaut
,
nur in Fremdwörtern
. Das
Phonem /ç/ wird durch zwei Allophone [ç] wie in ,,ich" und [x] wie in ,,Dach" realisiert. Für das Phonem /
/ gibt
es in verschiedenen Positionen im Wort sehr unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten. Neben regional
unterschiedlichen konsonantischen Varianten zählt auch das vokalisierte ,,r" mit zum Phonem /
/.
labial
koronal
dorsal
glottal
stimmlos stimmhaft stimmlos stimmhaft stimmlos stimmhaft
Obstruenten
Plosive
/p/
/b/
/t/
/d/
/k/
/g/
/
/
Frikative
/f/
/v/
/s/, /
/
/z/,
/
/
/ç/
/
/
32
/h/
Sonoranten
Nasale
/m/
/n/
/
/
Liquide
33
/l/
/
/
34
Von besonderem Interesse ist hierbei das Phonem /
/, welches sowohl konsonantisch als auch
vokalisch realisiert sein kann, daher wird in Kapitel 3.2.6 gesondert auf die Verschriftung
eingegangen. Auch beim Phonem /ç/ liegen mit [ç]- und [x]-Laut zwei lautlich deutlich
verschiedene Phone vor, die komplementär verteilt sind, sodass sie zu einem Phonem
zusammengefasst werden.
35
Bei den Vokalen unterscheidet Eisenberg 16 Phoneme, von denen 15 betont sein können und
eines nicht, der Reduktionsvokal Schwa (//).
36
Die betonbaren Vokale lassen sich wiederum
in zwei Gruppen einteilen, wie es in Tab. 2 veranschaulicht ist. Hinzu kommen im nativen
Wortschatz drei Vokalverbindungen, die Diphthonge /a
/, /a/ und /
/.
37
31
Vgl. Eisenberg (2006), S. 93.
32
Da [j] und [
] artikulatorisch ,,auf das Engste verwandt" sind, verwendet Eisenberg aus systematischen
Gründen den Frikativ [
] als Phonem und nicht den Approximant [j] (Eisenberg (2006), S. 90).
33
Eisenberg verwendet an dieser Stelle den Begriff ,,Oral" und fasst darunter Lateral /l/ und Vibrant /
/
zusammen (vgl. Eisenberg (2006), S. 91). Da hierunter teilweise auch sämtliche Nichtnasale zusammen-
gefasst werden (vgl. Eisenberg (2006), S. 60), wurde stattdessen die Bezeichnung Liquide gewählt.
34
Dieses Phonem steht stellvertretend für verschiedene konsonantische Realisierungsvarianten.
35
Vgl. z. B. Wiese (2010), S. 54.
36
Vgl. Eisenberg (2009), S. 35.
37
Der Phonemstatus der Diphthonge ist allerdings umstritten (vgl. Wiese (2010), S. 50).

7
Tab. 2: Phoneme des Systems der gespannten und ungespannten Vokale und der Diphthonge des
Deutschen. Abgesehen von den Diphthongen sind jeweils Minimalpaare gegenübergestellt, die sich in der
Vokalqualität, im Gespanntheitsgrad des Vokals, unterscheiden. In betonten Silben, wie sie in den hier
aufgeführten Minimalpaaren vorkommen, werden gespannte Vokale lang und ungespannte kurz artikuliert, d. h.
Vokalqualität und Vokalquantität korrespondieren. Da Diphthonge in der Regel durch Langvokale austauschbar
sind, wurden sie der Tabelle auf dieser Seite hinzugefügt. Der nichtbetonbare Reduktionsvokal // kann in dieser
Art der Darstellung nicht als Phonem aufgeführt werden, es zeigt sich jedoch eindrucksvoll, dass er in den
unbetonten zweiten Silben dominiert.
Gespannte Vokale
Ungespannte Vokale
Phonem
Phonemfolge
Wort
Phonem
Phonemfolge
Wort
/i:/
/mi:t/
Miete
/
/
/m
t/
Mitte
/y:/
/hy:t/
Hüte
/
/
/h
t/
Hütte
/u:/
/
pu:kn/
spuken
/
/
/
pkn/
spucken
/e:/
/be:tn/
beten
/
/
/b
tn/
/t
l/
Betten
Teller
/
:/
/t
:l/
Täler
/ø:/
/hø:l/
Höhle
/oe/
/hoel/
Hölle
/o:/
/o:fn/
Ofen
/
/
/
fn/
offen
/a:/
/ra:tn/
raten
/a/
/ratn/
Ratten
Diphthonge
/a
/
/
abn/
schreiben
/a
/
/ba
n/
bauen
/
/
/h
t/
heute
Nach Eisenberg fällt die Unterscheidung von gespannten und ungespannten Vokalen für das
Deutsche weitgehend mit der von langen und kurzen Vokalen zusammen: ,,Ist ein gespannter
Vokal betont, so wird er als Langvokal artikuliert [...]. Ungespannte Vokale sind dagegen
auch dann kurz, wenn sie betont sind."
38
In unbetonten Silben sind gespannte Vokale
hingegen kurz, wie beispielweise in [mu
zi:k], [zoft] und [legnd].
Der Reduktionsvokal [] wird teilweise nicht als Phonem gezählt, da keine befriedigende
Minimalpaarbildung möglich ist.
39
Insbesondere in der Explizitlautung ist er jedoch überaus
häufig, während er in der Standardlautung weggelassen wird, wenn ein Sonorant folgt und
dieser stattdessen den Silbenkern bildet.
3.1.3 Das Graphemsystem des Deutschen
Eisenberg unterscheidet 20 Konsonantgrapheme und 9 Vokalgrapheme, die ,,regelmäßig in
produktiven Schreibungen des Kernwortschatzes verwendet werden"
40
:
Konsonantgrapheme: <p>, <b>, <t>, <d>, <k>, <g>, <f>, <w>, <ß>, <s>,<sch>, <ch>, <j>,
<h>, <m>, <n>, <l>, <r>, <z>, <qu>
Vokalgrapheme:
<a>, <e>, <i>, <o>, <u>, <ä>, <ö>, <ü>, <ie>
38
Eisenberg (2009), S. 29.
39
Vgl. Wiese (2010), S. 56.
40
Eisenberg (2006), S. 306.

8
Teilweise werden auch <ck> sowie die Diphthonge <ei>, <ai>, <au>, <eu> und <äu> als
Grapheme aufgeführt.
41
Es wird deutlich, dass zahlreiche Grapheme mit Einzelbuchstaben verschriftet werden, einige
jedoch als Mehrgraphe, also Buchstabenkombinationen. Die Grapheme <v> und <x>
kommen nur in markierten Schreibungen vor, <y> ist lediglich Bestandteil von Fremdwörtern
und <c> ist zusätzlich Bestandteil von Mehrgraphen.
42
3.1.3 Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln
(GPK-Regeln)
Die vorgestellten Systeme der Phoneme und Grapheme bilden die Grundlage der Graphem-
Phonem-Korrespondenzregeln, wobei der Begriff im Sinne Eisenbergs verstanden werden
soll
43
: ,,Eine GPK-Regel stellt fest, welches Segment des Geschriebenen einem bestimmten
Phonem im Normalfall entspricht."
44
Mit Hilfe dieser Regeln kann eine Phonemfolge
segmentweise in eine Folge von Graphemen überführt werden.
Die Segmente des Geschriebenen, die einem bestimmten Phonem im Normalfall entsprechen,
werden von Thomé als Basisgrapheme bezeichnet
45
. Beide Autoren stimmen weitgehend in
den als Normalfall deklarierten Zuordnungen überein, die in Tab. 3 für Vokale und
Diphthonge und in Tab. 4 für Konsonanten dargestellt sind.
Tab. 3: GPK-Regeln der Vokale und Diphthonge nach Eisenberg.
46
Die hier angegebenen Grapheme
entsprechen den Basisgraphemen bei Thomé
45
. Die Darstellung verdeutlicht, dass häufig mehrere Phoneme auf
dieselbe Weise verschriftet werden.
Phonem/e
gespannt
/i:/
/y:/
/u:/
/ø:/
/o:/
/e:/
/
:/
/a:/
ungespannt
/
/
/
/
/
/
/oe/
/
/ //
/a/
Reduktions-
vokal
//
Diphthonge
/a
/
/a
/
/
/
Graphem/e
<ie>
<i> <ü>
<u>
<ö>
<o>
<e>
<ä>
<a>
<ei>
<au>
<eu>
Auffällig ist, dass /
/ sowohl die ungespannte Variante von /e/ als auch die ungespannte
Variante von /
:/ ist, wobei die Korrespondenzregel zur Verschriftung mit <e> führt.
Während in den meisten Fällen gespannter und korrespondierender ungespannter Vokal auf
dieselbe Weise verschriftet werden, ist das bei /i:/ und /
/ nicht der Fall.
41
Vgl. Eisenberg und Fuhrhop (2007), S. 22.
42
Vgl. Eisenberg (2006), S. 306.
43
Schründer-Lenzen (2007), S. 52 verwendet das Kompositum in umgekehrter Bedeutung und nutzt für die hier
intendierte
Bedeutung
den
Begriff ,,Phonem-Graphem-Korrespondenz" (Schründer-Lenzen (2007), S. 50.
44
Eisenberg (2009), S.68.
45
Vgl. z. B. Thomé et al. (2011), S. 55f.
46
Vgl. Eisenberg (2006), S. 69.

9
Tab. 4: GPK-Regeln der Konsonanten nach Eisenberg
47
und Basisgrapheme nach Thomé
48
. Die Regeln
sind an rein phonographisch geschriebenen Beispielen, d. h. Wörtern die ausschließlich unter Verwendung der
GPK-Regeln korrekt verschriftet werden können, demonstriert. Meist liegt eine 1:1-Korrespondenz von
Phonemen und Graphemen vor. Das Phonem /
/
wird jedoch durch Kombination der Grapheme <n> und <g>
abgebildet, die Affrikate /t
s/ durch das Graphem <z>. Die Phonemkombinationen /k//v/ bzw. /k//s/ werden durch
die Mehrgraphen <qu> bzw. <ch><s> verschriftet. Das Phonem /
/ wird nicht verschriftet und taucht daher in
der Tabelle nicht auf. Auch /pf/ wurde nicht erwähnt, da sich die Verschriftung aus der Kombination der
Korrespondenzregeln von /p/ und /f/ ergibt. Zur Verschriftung von /s/ und /z/ vgl. Kapitel 3.4.
Phonem/e
Graphem/e
Basisgraphem
Standardlautung
Phonemfolge
Graphemfolge
/p/
<p>
<p>
[p
nsl]
/p
nsl/
<Pinsel>
/b/
<b>
<b>
[ba
m]
/ba
m/
<Baum>
/t/
<t>
<t>
[ta:fl]
/ta:fl/
<Tafel>
/d/
<d>
<d>
[dax]
/daç/
<Dach>
/k/
<k>
<k>
[ka
t]
/ka
t/
<Karte>
/g/
<g>
<g>
[ga:bl]
/ga:bl/
<Gabel>
/f/
<f>
<f>
[f
]
/f
/
<Fisch>
/v/
<w>
<w>
[v
i:z]
/v
i:z/
<Wiese>
/s/
<ß>
<s>
[fy:s]
/b
s/
/fy:s/
/b
s/
<Füße>
<Bus>
/z/
<s>
<s>
[ha:z]
/ha:z/
/z
:g/ <Hase> <Säge>
/
/
<sch>
<sch>
[
u:l]
/
u:l/
<Schule>
/ç/
<ch>
<ch>
[bu:x]
[by:ç
]
/bu:ç/
/by:ç
/
<Buch>
<Bücher>
/
/
<j>
<j>
[
]
/
/
<Junge>
/h/
<h>
<h>
[ha
s]
/ha
s/
<Haus>
/m/
<m>
<m>
[ma
s]
/ma
s/
<Maus>
/n/
<n>
<n>
[na:s]
/na:s/
<Nase>
/
/
<n><g>
<ng>
[a
l]
/a
l/
<Angel>
/l/
<l>
<l>
[lamp]
/lamp/
<Lampe>
/
/
<r>
<r>
[r
]
[ty:
] ­ [ty:n]
/r
/
/ty:
/ - /ty:n/
<Ring>
<Tür> - <Türen>
/ t
s /
<z>
<z>
[t
slt]
/t
slt/
<Zelt>
/k/ /v/
<qu>
<qu>
[kva
k]
/kva
k/
<Quark>
/k/ /s/
-
<chs>
[f
ks]
/f
ks/
<Fuchs>
Da /t
s/, /k//s/ bzw. /k//v/ sowohl einzeln als auch in Kombination vorkommen können, muss
in diesen Fällen anhand der Wortstruktur entschieden werden, ob zwei Korrespondenzregeln
oder lediglich eine zur Anwendung kommen, denn die resultierende Schreibung unterscheidet
sich in diesen Fällen durchaus von der bei Kombination der einzelnen Korrespondenzregeln.
Verschriftungen wie <Kind>, <mag> und <Lob> werden im Rahmen der Arbeit nicht als
phonographisch angesehen, da die durch Auslautverhärtung resultierenden Phone [t], [k] und
[p] nicht als Allophone der korrespondierenden stimmhaften Phoneme /d/, /g/ und /b/
betrachtet werden. Zur korrekten Verschriftung bedarf es hier des morphologischen Prinzips
(vgl. Kapitel 3.3).
47
Vgl. Eisenberg (2006), S. 307.
48
Vgl. z. B. Thomé et al. (2011), S. 57f.

10
Für die Verschriftung von /s/ geben Eisenberg und Thomé verschiedene Regeln an. Auf die
s-Schreibung wird in Kapitel 3.4 näher eingegangen.
Neben den bereits erwähnten Basisgraphemen, die weitgehend mit den in den GPK-Regeln
verwendeten Graphemen bzw. Graphemkombinationen von Eisenberg übereinstimmen, führt
Thomé auch sogenannte Orthographeme auf, wobei es sich um abweichende, sogenannte
markierte, Schreibungen handelt. Er definiert den Graphembegriff wie Meinhold und Stock
49
phonembasiert: Jedem Phonem in einem Wort wird genau ein Graphem zugeordnet, wodurch
in jedem Wort die Anzahl an Phonemen und Graphemen übereinstimmt.
50
Thomé et al. haben Wörter auf Graphem-Phonem-Entsprechungen untersucht und die
Verschriftungshäufigkeiten der einzelnen Basis- und Orthographeme bestimmt.
51
Die Daten
können für eindrucksvolle Veranschaulichungen wie in Abb. 1 und Abb. 2 genutzt werden.
Abb. 1: Graphem-Phonem-Verteilung der Konsonanten. Veranschaulicht wurden die statistischen Daten der
aktuellen Auszählung von 100.000 Graphem-Phonem-Entsprechungen von Thomé et al.
51
Die
blauen
Balken
stellen die Basisgrapheme dar, alle anderen diverse Orthographeme. Um welche Grapheme es sich im Einzelnen
handelt, ist den Grafiken im Anhang (S. A1) zu entnehmen. Der verhältnismäßig hohe Balken ,,Sonstiges" beim
Phonem /
/ geht auf die im Anfangsrand auftretende Besonderheit der Verschriftung von /p/ bzw. /t/ mit <sp>
bzw. <st> zurück, der bei /f/ auf Verschriftungen mit <v>.
49
Vgl. Meinhold und Stock (2007), S. 116. (Im Gegensatz zu Meinhold und Stock werden bei Thomé durch
Auslautverhärtung resultierende Laute, jedoch nicht als Allophone der entsprechenden stimmhaften Phoneme
aufgefasst, sondern die Verschriftung erfolgt basierend auf dem morphologischen Prinzip (vgl. Kapitel 3.3).)
50
Vgl. z. B. Thomé et al. (2011), S. 61.
51
Vgl. Thomé et al. (2011), S. 55f.
Absolute Häuf
igk
ei
t
der K
onson
ant
p
h
o
nem
e
Plosive
Frikative
Konsonantverbindungen
Nasale
Liquide

11
Abb. 2: Graphem-Phonem-Verteilung der Vokale und Diphthonge. Veranschaulicht wurden die statistischen
Daten der aktuellen Auszählung von 100.000 Graphem-Phonem-Entsprechungen von Thomé et al.
52
Die
blauen
Balken stellen die Basisgrapheme dar, alle anderen diverse Orthographeme. Um welche Grapheme es sich im
Einzelnen handelt, ist den Grafiken im Anhang (S. A2 f.) zu entnehmen. Da Thomé keine Unterscheidung
zwischen silbeninitialem ,,h" (Kapitel 3.2.3) und Dehnungs-h (Kapitel 3.2.4) vornimmt, sind beide unter dem
Begriff ,,stummes h" zusammengefasst. Es zeigt sich, dass beide lediglich nach gespannten Vokalen oder /a
/
auftreten. Augenscheinlich ist die große Dominanz des Reduktionsvokals //.
Es zeigt sich, dass ein Großteil der Verschriftungen eines Phonems rein phonographisch
durch Basisgrapheme erfolgt.
53
Dennoch führt dieses Prinzip für zahlreiche Wortformen nicht
zu korrekten Schreibungen
54
, was schnell deutlich wird, wenn man bedenkt, dass ein Wort in
der Regel nicht nur aus einem Phonem besteht.
55
Darüber hinaus lässt sich den Abbildungen entnehmen, welche Arten von Abweichungen vom
phonographischen Prinzip und damit welche markierten Schreibungen häufig auftreten
(andersfarbige Balken). Diese Verschriftungen lassen sich oft durch das silbische oder das
morphologische Prinzip erklären, die in den Kapiteln 3.2 und 3.3 näher erläutert werden.
52
Vgl. Thomé et al. (2011), S. 55f.
53
Die Rechnung liefert 88 % Basisgraphemverschriftung bei den Konsonanten und 95 % bei den Vokalen und
Diphthongen.
54
Vgl. Eisenberg (2009), S. 71.
55
Beispielsweise wird ein zweisilbiges Wort mit 4 Konsonantenphonemen und 2 Vokalphonemen nur noch mit
einer Wahrscheinlichkeit von 54 % rein phonographisch verschriftet.
Absolute Häuf
igk
ei
t
der V
o
k
a
l-
und D
ip
htho
ngp
honem
e
gespannte Vokale
ungespannte Vokale
Diphthonge

12
3.2 Das silbische Prinzip
Nach einem kurzen Blick auf den Silbenbau am Beispiel des trochäischen Zweisilbers werden
Regularitäten erläutert, die sich anhand der Silbenstruktur und somit aufgrund des silbischen
Prinzips ergeben.
3.2.1 Der Silbenbau im trochäischen Zweisilber
Abb. 3: Silbenbau am Beispiel der Basisstruktur des Deutschen. Den Sprechsilben in Explizitlautung
(Kapitel 3.1.1) sind die entsprechenden Schreibsilben gegenübergestellt. Mögliche Bestandteile von Silben sind
Anfangsrand (A) und Reim (R), der wiederum in Kern (K) und Endrand (E) unterteilt ist, wobei nur der Kern
unabhängig von der Art der Silbe obligatorisch ist. Ist der entsprechende Bestandteil nur fakultativ vorhanden,
wurde er in Klammern gesetzt, tritt er nicht auf, wie der Endrand im Fall von offenen Silben, wurde er
weggelassen. Die Silbengrenze ist oben durch den Abstand zwischen erster und zweiter Silbe visualisiert, unten
durch den senkrechten Strich. Ambisilbische Konsonanten(verbindungen) sind durch (
) gekennzeichnet.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955497132
ISBN (Paperback)
9783955492137
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Rechtschreibung Grundschule Silbe Basisgraphem Graphem
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Titel: Konzepte zur Vermittlung von Rechtschreibwissen und ihre linguistische Basis: Wortschreibung mit System von Anfang an
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