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Der Einfluss kundenindividueller Produkte auf eine Informationsüberlastung

©2012 Bachelorarbeit 57 Seiten

Zusammenfassung

Durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologie und die dadurch verbesserten Interaktionsmöglichkeiten haben Nutzer immer häufiger die Möglichkeiten Produkte nach eigenen, individuellen Wu¨nschen zusammenzustellen. Die genaue Anpassung des Angebots an die Vorstellungen des einzelnen Nutzers ermöglicht es, eine besonders umfassende Bedarfserfu¨llung zu generieren und somit Entscheidungsprobleme bei der Produktauswahl zu verringern. Die großen Auswahlmöglichkeiten der eingesetzten Produktgeneratoren erzeugen dabei jedoch neue Problemehinsichtlich einer Informationsu¨berlastung der Konsumenten.
Der Inhalt der Arbeit umfasst neben der Aufbereitung der Literatur zum Thema kundenindividuelle Fertigung und Produkt-Konfiguratoren die kritische Betrachtung der Chancen und Risiken kundenindividueller Fertigung und deren Auswirkung auf eine Informationsüberlastung der Konsumenten. Weiterhin wird in Verbindung von Literatur- und Internetrecherche eine Kategorisierung und Systematisierung von unterschiedlichen Ansätzen der Hersteller vorgenommen, die eine mögliche Überlastung bei der Produktzusammenstellung vermindern sollen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2 Informationsüberlastung auf Massenmärkten

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Thema „ Informationsüberlastung “? Insbes. auf Massenmärkten stellt das Angebot einer großen Alternativen-Auswahl eines der obersten Ziele vieler Hersteller dar.[1] Das Anbieterverhalten gemäß dem Motto „Je mehr Auswahl, desto besser“ geht dabei davon aus, dass das menschliche Verlangen nach Auswahl und die Fähigkeit diese zu bewältigen unbegrenzt sind.[2] Hersteller erweitern deshalb ihre Produktlinien, um anderen Wettbewerbern Markanteile abzunehmen und ihre eigene Marktposition zu stärken.[3] Entsprechend verlangen Nachfrager auch eine große Alternativen-Auswahl und reagieren negativ auf Restriktionen, die ihre Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen.[4] Doch obwohl Konsumenten von einer großen Vielfalt an Auswahlmöglichkeiten angezogen werden, kann eine Überfülle an Optionen nachteilige Konsequenzen mit sich führen, die sich in einer IÜ äußern.[5]

Die Basis für diese Behauptung beschreibt die Choice Overload Hypothese. Diese besagt, dass eine ansteigende Alternativen-Anzahl vielfältige negative Auswirkungen auf das Auswahlverhalten ausüben kann.[6] Diese Effekte können sich beispielsweise in der Form äußern, dass die Motivation, überhaupt eine Auswahl zu treffen, abnimmt. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass die Präferenzbildung erschwert wird und die Zufriedenheit mit der getroffenen Auswahl sinkt, auch wenn diese aus objektiver Sicht gut war.[7] Darüber hinaus werden negative Gemütsbewegungen wie u.a. Enttäuschung und Bedauern gefördert.[8]

Der Gedanke der IÜ kann auf den französischen Philosophen Jean Buridan, der im 14. Jahrhundert lebte, zurückgeführt werden. Dieser stellte die Theorie auf, dass ein Organismus, der vor die Wahl zweier gleich attraktiver Alternativen gestellt wird, eine Entscheidung aufschiebt. Im 20. Jahrhundert veröffentlichte Miller erste Experimente, die zeigten, dass der Verzicht auf eine attraktive Option, der mit der Entscheidung für eine andere einhergeht, zu einem Aufschub der Entscheidung und zu einem inneren Konflikt führt.[9] Die sich durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologie verbessernden Interaktionsmöglichkeiten zwischen Anbieter und Nachfrager führen dazu, dass sich der Konsument mit einer immer weiter wachsenden Fülle an Produktalternativen konfrontiert sieht, weshalb das Thema der IÜ aktueller denn je erscheint.

Iyengar und Lepper zeigten diesen Zusammenhang in ihrer bekannten Jam Study. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass eine große Marmeladenauswahl bei Konsumenten zwar eine größere Aufmerksamkeit erregt und eine stärkere Anziehungskraft ausübt als eine kleine Anzahl an Alternativen, geht es jedoch um den finalen Kauf einer Sorte, wurde eine kleine Alternativen-Auswahl einer großen signifikant vorgezogen.[10] Ähnliche Erkenntnisse hinsichtlich einer IÜ ergaben sich in einer Studie, in der herausgefunden wurde, dass die Bereitschaft von Studenten ein freiwilliges Essay zu verfassen, bei einer begrenzten Themenauswahl signifikant höher ist, als bei einer umfangreicheren Anzahl an Alternativen. Darüber hinaus erzielten die Studenten, die sich dazu entschlossen haben, ein Essay zu schreiben bessere Ergebnisse, wenn das ausgewählte Thema aus dem kleineren Auswahlset stammte.[11] Zuletzt kann eine Studie genannt werden, bei welcher untersucht wurde, inwiefern Konsumenten den Auswahlprozess bei der Entscheidung für eine Schokoladensorte genießen. Dabei wurde herausgefunden, dass dieser Prozess bei einer großen Auswahl den Konsumenten zwar mehr Spaß bereitet als bei einer limitierten Anzahl an Alternativen, jedoch konnten erhöhte Unzufriedenheit und Bedauern hinsichtlich der getroffenen Entscheidung bei dem umfangreicheren Auswahlset festgestellt werden. In Bezug auf die Entlohnung für die Teilnahme an dem Experiment (Geld oder ausgewählte Schokolade) entschieden sich außerdem die Teilnehmer, die der großen Auswahl gegenüberstanden häufiger für das Geld, als dies bei der Gruppe des kleinen Auswahlsets der Fall war.[12]

Nichtsdestotrotz wird das Thema der IÜ in der Wissenschaft hoch kontrovers diskutiert. So lassen sich in der Literatur sowohl zahlreiche Argumente für, als auch gegen die Existenz der IÜ finden. Folgende Argumente sprechen für die Existenz der Choice Overload Hypothese: zum einen führt eine große Produktauswahl dazu, dass sich die Unterschiede zwischen den Alternativen in der Wahrnehmung des Nachfragers verringern, was zur Folge hat, dass die Präferenzbildung erheblich erschwert wird.[13] Zweitens steigt der zu verarbeitende Informationsgehalt. Der vollständige Vergleich aller Optionen erscheint aus Zeit-Nutzen-Perspektive unerwünscht, weshalb die Angst, nicht die optimale Auswahl treffen zu können, zunimmt.[14] Drittens weist die zweitbeste Alternative (nicht-gewählte Alternative) mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine hohe Attraktivität auf, was dazu führt, dass ein kontrafaktisches Denken bei dem Entscheider hervorgerufen wird, welches das Bedauern bezüglich der nicht gewählten Option auslösen kann.[15] Viertens erhöht sich die Erwartungshaltung bezüglich der getroffenen Auswahl. Wenn hinzukommend die möglichen Alternativen keine signifikanten Unterschiede aufweisen, können diese Erwartungen oftmals nicht erfüllt werden.[16] Fünftens und letztens besteht die Gefahr, dass sich ein Entscheider, dessen Präferenzen nicht von vornherein definiert sind, auch mit solchen Optionen auseinandersetzt, die im Nachhinein von keiner Relevanz für ihn sind. Das Abwägen dieser Optionen beansprucht kognitive Ressourcen und kann dazu führen, dass der Konsument letztendlich davon abgehalten wird, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.[17] Neben vorstehenden bekräftigenden Argumenten lassen sich in der Literatur jedoch auch zahlreiche Argumente finden, die gegen die Existenz der Choice Overload Hypothese Sprechen: so kann eine große Produktauswahl den Vorteil bringen, dass die große Vielfalt die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Bedürfnisse verschiedenster Konsumententypen befriedigt werden können, sodass folglich Individualität und Pluralismus gefördert werden.[18] Zweitens haben verschiedene Studien gezeigt, dass Anbieter durch die Einführung feinerer Unterschiede in ihren Produktlinien ihren Absatz signifikant erhöhen konnten. Dieser Effekt resultiert daraus, dass die Qualitätswahrnehmung des Angebots erhöht wird, was zu Konkurrenzvorteilen führt.[19] Drittens werden die Suchkosten durch das Angebot einer großen Alternativen-Auswahl reduziert, indem direkte Vergleiche zwischen vielen Optionen vorgenommen werden können, sodass es dem Entscheider leichter fällt, einen Eindruck über die durchschnittliche Qualität zu gewinnen. Dies wiederum führt dazu, dass Entscheider besser informiert sind und Entscheidungen selbstsicherer treffen können.[20]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Existenz und die Auswirkungen einer IÜ empirisch nur schwer zu beweisen sind. Scheibehenne, Greifeneder und Todd führten in diesem Zusammenhang eine Metaanalyse durch, in welcher Gegebenheiten aus 50 Experimenten untersucht wurden, die sich mit dem Thema IÜ auseinandersetzen. Die Analyse ergab, dass die Effektgröße im gewichteten Mittel nahezu 0 ist. Auf Basis der vorhandenen Daten konnten somit keine Gegebenheiten identifiziert werden, die hinreichend das Auftreten einer IÜ erklären können. Jedoch zeigte die Varianz zwischen den Effektgrößen einen weitaus höheren Wert auf, als dies eine rein randomisierte Verteilung tun würde.[21] Obwohl diese erhöhte Varianz vermutlich aus einer kleinen Anzahl an Studien resultiert, die entweder sehr positive oder aber sehr negative Effektgrößen aufweisen, kann der Einsatz kundenindividueller Fertigung in diesem Kontext als Möglichkeit betrachtet werden, der überwältigenden Fülle an Produktalternativen des Massenmarktes auszuweichen. Aus Konsumentensicht ergibt sich hieraus die Möglichkeit einer potenziellen IÜ entgegenzuwirken.

3 Chancen und Risiken kundenindividueller Fertigung aus Konsumentensicht und die „neune“ Informationsüberlastung

Neben vielfältigen Vorteilen, die eine kundenindividuelle Fertigung in Bezug auf eine IÜ liefert, finden sich auch etliche Nachteile, die eine „ neue“ IÜ mit sich bringen. Im Folgenden werden allgemeine Vor- und Nachteile herausgestellt, die in einer „ neuen“ IÜ münden. Nachstehende Abbildung 1 soll dabei zunächst eine Gegenüberstellung der erfassten Chancen und Risiken kundenindividueller Fertigung darstellen.

Abbildung1 : Chancen und Risiken kundenindividueller Fertigung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle : Eigene Erstellung

3.1 Chancen kundenindividueller Fertigung

Niedriger Preis (MC)

Als erste Chance kundenindividueller Fertigung sind die niedrigen Preise zu nennen, zu denen insbes. Produkte der MC angeboten werden können. In der Praxis wird bei der Leistungsindividualisierung meist kein individueller Preis für jeden Abnehmer bestimmt. Vielmehr wird in diesem Kontext entweder ein einheitlicher Preis gefordert oder aber das Entgelt anhand eines durchschaubaren und klar strukturierten „Preisbaukastens“ an die personalisierte Leistung angepasst. Bei dieser Form der Individualisierung der Preisgestaltung trägt der Konsument für die Preisbestimmung ein gewisses Maß an Eigenverantwortung. Voraussetzung hierfür ist, dass die zu individualisierten Produkte modular aufgebaut werden und dass die verschiedenen Module dabei unterschiedlich bewertete Optionen aufweisen, die zu jeweils unterschiedlichen Preisen angeboten werden (z.B. Entscheidung zwischen Leder- oder Stoffsitzen bei einem Auto). Auch durch den Verzicht auf bestimmte Leistungen kann hierbei ein Preisnachlass erfolgen. Als Beispiele können hier u.a. Serviceleistungen genannt werden, die von dem Konsumenten selbst übernommen werden (Bestellung per Internet oder persönliche Beratung vor Ort; Selbstaufbau oder Installation vor Ort).[22]

Reduzierung von Entscheidungsproblemen, die der Massenmarkt birgt

Im Zuge der Individualisierungstendenz und der Verschärfung des Wettbewerbs erhöht sich zunehmend die Leistungsvielfalt.[23] Untersuchungen aus dem Jahr 2001 haben ergeben, dass sich im Zeitraum von zehn Jahren die Artikelanzahl um bis zu 130 % erhöht hat, die Anzahl der Produktvarianten um bis zu 420 % gestiegen ist und dass sich die Produktlebenszyklen um bis zu 80 % verkürzt haben.[24] Während die Konsumenten im Zeitraum der Fünfziger- bis in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts primär eine Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse anstrebten, hat der Markt im Zeitraum danach eine vergleichslose Expansion der Produktvielfalt erfahren. Eine ansteigende Alternativen-Vielfalt führt zwar zu einer größeren Wahlfreiheit, diese fordert im Gegenzug jedoch eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Angebot, wodurch Entscheidungsprobleme für den Konsumenten entstehen.[25] Durch den Einsatz kundenindividueller Fertigung können die Entscheidungsprobleme, die der Massenmarkt birgt, minimiert werden.

Erfüllung individueller Präferenzen und Bedürfnisse

Laut Pine sind Konsumenten nicht länger dazu bereit, Abstriche in Bezug auf ihre Präferenzen hinzunehmen. Vielmehr verlangen sie Produkte, die in der Lage sind, ihre Bedürfnisse exakt zu erfüllen.[26] Während aus der Massenproduktion stammende Produkte oftmals hinsichtlich vielfältiger Eigenschaften von den Idealvorstellungen der Konsumenten abweichen, können kundenindividuelle Produkte diese Leistungslücke schließen.[27] Zudem führt die aktive Beteiligung der Konsumenten an dem Prozess der Leitungserstellung dazu, dass das individualisierte Endprodukt in der Wahrnehmung der Konsumenten eine zusätzlich bessere Bewertung hinsichtlich der Anpassung an die Bedürfnisse genießt. Dieser Umstand basiert auf der Tatsache, dass das Endprodukt eine Vermischung aus dem Beitrag des Konsumenten selbst und der Leistung des Anbieters darstellt. Im Bewusstsein einer Mitverantwortlichkeit für das Endprodukt bewerten Konsumenten folglich die Leistung so, dass diese die persönlichen Präferenzen in der eigenen Wahrnehmung angemessen erfüllt.[28]

Verbesserung der Unsicherheitsposition

Ein Konsument ist beim Kauf eines Produktes niemals sicher, ob jenes unter allen angebotenen Produkten seinen persönlichen Präferenzen am besten entspricht. In diesem Kontext wird von der sog. Kognitiven Dissonanz gesprochen. Diese beschreibt den (negativen) Zustand, in dem ein Konsument nach erfolgtem Kauf eines Produktes ein anderes Produkt entdeckt, was seinen persönlichen Präferenzen besser entspricht, sodass dieser mit dem getätigten Kauf unzufrieden wird. Durch das Angebot einer kundenindividuellen Leistungserstellung können die persönlichen Bedürfnisse der Konsumenten exakt erfüllt werden. Die bessere Übereinstimmung der Kundenwünsche mit den Produkteigenschaften führt also dazu, dass ebendiese Unsicherheitsposition verbessert wird.[29]

Verbesserung der Informationsproblematik

Ein wesentliches Merkmal kundenindividueller Fertigung ist die direkte Interaktion zwischen Anbieter und Konsument.[30] Eine an die Präferenzen des Konsumenten angepasste Leistung kann nur dann erfolgen, wenn der Nachfrager vor Fertigungsbeginn Informationen über die von ihm gewünschten Produkteigenschaften dem Anbieter zur Verfügung stellt. Die hiermit verbundene Integration des Konsumenten in den Prozess der Leistungserstellung stellt im Verlauf den Anknüpfungspunkt für verschiedene Potenziale des Beziehungsmanagements dar, die einer Informationsproblematik entgegenwirkt.[31]

Hedonistischer Wert der Prozessqualität

Eine weitere Chance ist in dem hedonistischen Wert der Prozessqualität begründet. Kaufvorgänge kundenindividueller Fertigung können als High-Involvement-Käufe angesehen werden, bei denen die Konsumenten relativ viel Zeit und Aufwand investieren müssen, um ihre persönlichen Präferenzen auszudrücken. Der Individualisierungsprozess kann neben dieser Aufwandkomponente jedoch auch eine positive hedonistische Erlebniskomponente beinhalten. Der Individualisierungsprozess wird infolgedessen von dem Konsumenten nicht nur als Mittel zum Zweck (zum Erhalt eines individualisierten Produktes) angesehen, sondern besitzt darüber hinaus auch einen Selbstzweck in Form eines symbolischen Wertes. Für die Konsumenten kann also die Begeisterung, etwas „Einmaliges“ und „Einzigartiges“ selbst geschaffen zu haben bereits einen wertstiftenden Beitrag leisten. Des Weiteren können die sog. „Prosumer“ den Abschluss der Interaktion mit dem Anbieter als „Erfüllung eines anspruchsvollen und kreativen Schaffensakt“ ansehen, der einen weiteren Nutzen stiftet.[32]

3.2 Risiken kundenindividueller Fertigung

Erhöhter Preis individualisierter Produkte

Als erster Risikofaktor ist der erhöhte Preis kundenindividueller Produkte anzuführen, der insbes. bei Produkten der Einzelfertigung zu entrichten ist. Darüber hinaus haben pionierhafte Anwendungen angedeutet, dass auch MC-Produkte einen weitaus höheren Preis aufweisen, als standardisierte Produkte, obwohl theoretische Erörterungen auf die Möglichkeit hinweisen, dass Produkte im Zuge der MC zu den gleichen Kosten hergestellt werden können wie massengefertigte Produkte.[33] So werden beispielsweise in dem Onlineshop von „NIKE“ variantengefertigte Laufschuhe des Modells „NIKE Free“ für Herren ab einem Preis von 110,00 € angeboten, während individualisierbare Varianten des Schuhs 145,00 € kosten.[34]

Informationsvorsprung der Anbieter

Ein weiteres Risiko stellt die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Konsument und Hersteller dar. Viele Konsumenten sind mit dem Prozess der Individualisierung nicht vertraut, was dazu führt, dass eine Unsicherheit hinsichtlich des Anbieterverhaltens im Sinne eines typischen Principal-Agent-Problems entsteht: der Konsument (Principal) bestellt und bezahlt ein Produkt bei einem Anbieter (Agent), dass er noch nie gesehen hat.[35] Dabei ist vor dem Kauf unbekannt, welche Eigenschaften der Anbieter beispielsweise hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit besitzt („Hidden Characteristics“). Die daraus resultierende Gefahr besteht hier in der ungünstigen bzw. nachteiligen Auswahl schlechter Vertragspartner („adverse selection“).

Nach dem Kauf können zwei Typen von Informationsasymmetrien auftreten: im ersten Fall spricht man von der sog. „Hidden Action“, bei der die Aktivitäten des Anbieters nicht lückenlos für den Konsumenten beobachtbar sind. Der Konsument weiß nicht, inwieweit der Anbieter dazu bereit und in der Lage ist, die gewünschte Leistung zu erstellen. Dies birgt die Gefahr, dass der Agent die Ressourcen des Auftraggebers für private Zwecke nutzt („consumption on the job“) oder sich vor der Arbeit drückt („shirking“). Im zweiten Fall sind die Handlungen des Anbieters zwar problemlos für den Nachfrager ersichtlich, jedoch können diese aufgrund der mangelnden Sachkundigkeit nicht hinreichend beurteilt werden („Hidden Information“). Der Agent kann in diesem Fall die Handlung wählen, die ihm selbst den größten Nutzen bringt („fringe benefits“).[36]

Als Resultat entstehen in diesem Zusammenhang für den Konsumenten Qualitätsunsicherheiten, da dieser weder ex post, noch ex ante die bezogenen Leistungen überprüfen kann. Dieser Umstand steht im Gegensatz zu standardisierten Leistungen, die (auch wenn die Leistung bei Verkaufsabschluss noch nicht vorliegt) zumindest ex post miteinander verglichen werden können.[37]

Erhöhter Aufwand zum Ausdruckbringen persönlicher Präferenzen

Seit langem ist in der Marketing Forschung bekannt, dass Konsumenten dazu tendieren, die für eine Produktauswahl aufzuwendende Zeit möglichst minimal zu bemessen.[38] Das Einbeziehen der Kunden in den Wertschöpfungsprozess führt dazu, dass Konsumenten Zeit investieren müssen, um ihren individuellen Wünschen bezüglich der anpassbaren Produkteigenschaften Ausdruck zu verleihen.[39] Dieser Ausdruck persönlicher Präferenzen kann entweder durch das Zusammenfügen gewünschter Attribute zu einem Endprodukt, durch das Anfügen gewünschter Attribute zu einem Basisprodukt, oder aber durch das Entfernen unerwünschter Attribute eines erweiterten Produktes erfolgen.[40] Die Zeit, die hierfür benötigt wird, hängt dabei erstens von dem Komplexitätsgrad des Systems ab, mit dem das Produkt individualisiert wird, zweitens von der Komplexität des Produktes selbst und drittens von der Erfahrenheit und der Gewandtheit des Konsumenten in dem Prozess als „Prosumer“.[41] Dabei liegt auf der Hand, dass mit steigender Anzahl individualisierbarer Produkteigenschaften der Zeitaufwand steigt, um das exakt gewünschte Endprodukt zu bestimmen.[42] Handelt es sich dabei um Produkte, bei denen Vermessungen vorgenommen werden müssen (z.B. Schuhe, oder Kleidung), müssen die Konsumenten im Normalfall physisch an der Verkaufsstelle anwesend sein. Die daraus entstehende Interaktion zwischen Konsument und Anbieter ist in diesem Zusammenhang mit zusätzlichen Umständen verbunden und beansprucht in der Folge ein erhöhtes Maß an Zeit.[43] Bei den daraus entstehenden zusätzlichen Kosten handelt es sich somit hauptsächlich um Informations- und Kommunikationskosten.[44]

Verlängerte Wartezeiten auf den Erhalt des Produktes

Wird der Konsument in den Produktionsprozess mit einbezogen, ist es zudem in den meisten Fällen sehr wahrscheinlich, dass der Konsument mehrere Tage oder Wochen auf den Erhalt des individualisierten Produktes warten muss. Die Zeit bis zur Fertigstellung und Auslieferung hängt dabei vom Produkttyp und dem gewünschten Individualisierungsgrad ab.[45] McCutcheon, Raturi und Meredith behaupten, dass Konsumenten nicht dazu bereit sind, auf ihre speziellen Wünsche zu warten und deshalb solche Anbieter bevorzugen, die ihre Bedürfnisse in Rekordzeit befriedigen können.[46] Deshalb ist es für Anbieter entscheidend zu wissen, unter welchen Umständen Konsumenten längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Neben der Kenntnis darüber, ob Konsumenten bereit sind, Wartezeiten in Kauf zu nehmen, ist es für Anbieter ebenfalls von großer Bedeutung wie lange diese Wartezeiten ausfallen dürfen, sodass diese in der Wahrnehmung des Konsumenten als angemessen erscheinen. So erfolgt beispielsweise die Lieferung eines personalisierten Sportschuhs von Nike innerhalb von 4 Wochen während die Auslieferung einer individualisierten Levi’s Jeans zwei Wochen in Anspruch nimmt. Die Lieferung eines individualisierten Autos von BMW kann in den USA bis zu 4 Monate dauern und in einem „Personic Music Shop“ erfolgt die Aufnahme einer personalisierten CD in fünf bis zehn Minuten. Wenn Konsumenten zu lange auf den Erhalt der personalisierten Produkte warten müssen, kann dies dazu führen, dass der zusätzliche Nutzen, den das individualisierte Produkt liefern soll, seinen Wert verliert.[47] Nachfolgende Abbildung 2 soll diesen Zusammenhang verdeutlichen: mit zunehmendem Individualisierungsgrad I nimmt der Nutzen des Produktes mit abnehmendem Grenznutzen zu, während der Nutzen mit zunehmender Wartezeit t abnimmt. Die optimale Kombination aus dem Individualisierungsgrad und beanspruchter Wartezeit ergibt sich im Schnittpunkt der Geraden t und I im Punkt O.

Abbildung2 : Der Zusammenhang zwischen Individualisierungsgrad und Wartezeit in Bezug auf den Nutzen einer individualisierten Leistung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle : Eigene Erstellung

3.3 Die „neue“ Informationsüberlastung

Die vorstehenden Risiken tragen in der Folge dazu bei, dass der Zeitaufwand und die Komplexität des Auswahlprozesses zunehmen, sodass die Informations- und Kommunikationskosten möglicherwiese ein vom Konsumenten anerkennendes Maß überschreiten. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass sich der Konsument mit einer neuen IÜ konfrontiert sieht.[48] Zur Bewertung dieser Gefahr können Untersuchungen von Choi und Fishbach herangezogen werden. Diese nehmen eine Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Entscheidungstypen vor, auf welche ein umfassender Auswahlprozess unterschiedliche Auswirkungen ausübt.

Im Sinne einer „Instrumental Choice“ werden durch den Auswahlprozess vorbestehende Konsumziele befriedigt. Die Entscheidung für eine Auswahl liefert hier einen externen Nutzen, der sich aus der Zweckmäßigkeit der ausgewählten Alternative ergibt. Der extrinsisch motivierte Konsument möchte mit seiner getroffenen Auswahl seinen persönlichen Geschmack zum Ausdruck bringen, weshalb er sich mit den verfügbaren Optionen umfassend auseinandersetzt.

Im Gegensatz dazu steht die „Experimential Choice“, bei welcher der Auswahlprozess dem Selbstzweck dient. Sie ist gekennzeichnet durch das Nichtvorhandensein externer Bedürfnisse, weshalb sich der Konsument folglich weniger kritisch mit den zur Auswahl stehenden Alternativen beschäftigt, als dies bei einer „Instrumental Choice“ der Fall ist. Den Nutzen liefert in diesem Fall also der Auswahlprozess an sich (intrinsisch motivierte Konsumenten).[49]

Die Wissenschaftler haben in verschiedenen Studien die Konsequenzen der beiden Entscheidungsarten in Bezug auf die Beanspruchung mentaler Ressourcen der Konsumenten und deren Interesse für das ausgewählte Produkt hin untersucht und dabei herausgefunden, dass eine „Instrumental Choice“ mentale Ressourcen unterminiert, während eine „Experiential Choice“ diese Ressourcen erhöht. Infolgedessen fördert eine „Experimential Choice“ das Verlangen, dass ausgewählte Produkt zu beziehen, obwohl die Auswahl im Gegensatz zu einer „Instrumental Choice“ ohne Konsumabsicht getroffen wurde.[50] Ironischerweise können also vorbestehende Konsumziele zu einer abnehmenden Entscheidungsmotivation führen.[51]

Untersuchungen von Chang und Chen haben ergeben, dass Konsumenten eher zu individualisierten Produkten tendieren, wenn deren Motivation einen Auswahlprozess zu durchlaufen intrinsischer Art ist, als wenn diese extrinsisch motiviert sind.[52] Aus dieser Erkenntnis ergibt sich ein Zielkonflikt für den Einsatz kundenindividueller Fertigung. Die Problematik besteht darin, dass Konsumenten, die in der Regel individualisierte Produkte beziehen möchten, vorbestehende Konsumziele besitzen, mit denen sie ihren Präferenzen Ausdruck verleihen möchten (z.B. durch ein individualisiertes Paar Sportschuhe). Diese treffen also eine „Instrumental Choice“ und sind somit extrinsisch motiviert. Ein umfassender Auswahlprozess führt bei einem extrinsisch motivierten Konsumenten dazu, dass dieser mit eher negativen Aspekten verbunden und als Last angesehen wird.[53] Der Auswahlprozess wird in diesem Zusammenhang als schwierig, lähmend und hinderlich angesehen.[54] Die Schwierigkeit basiert auf dem Vergleich verschiedener Optionen, was dazu führt, dass emotionale Abstriche vorgenommen werden müssen, die emotional belastend wirken können.[55]

Der Zielkonflikt besteht in der Folge darin, dass sich das Angebot individualisierter Produkte zwar an intrinsisch motivierte Konsumenten richtet, letztendlich jedoch häufig von extrinsisch motivierten Konsumenten - zum Ausdruck persönlicher Präferenzen - in Anspruch genommen wird. Als Resultat sehen sich schließlich zumindest extrinsisch motivierte Konsumenten kundenindividueller Produkte häufig mit einer „neuen“ IÜ konfrontiert, auf welche es für die Anbieter gilt, einzugehen.

[...]


[1] Vgl. Scheibehenne, Benjamin/Greifeneder, Rainer/Todd, Peter M. (2010), S. 409.

[2] Vgl. Iyengar, Sheena S/Lepper, Mark R. (2000), S. 995.

[3] Vgl. Schmalensee, Richard (1978), S. 305.

[4] Vgl. Fitzsimons, Gavan J. (2000), S. 249.

[5] Vgl. Scheibhenne, Benjamin/Greifeneder, Rainer/Todd, Peter M. (2010), S. 409.

[6] Vgl. ebenda.

[7] Vgl. Iyengar, Sheena S./Lepper, Mark R. (2000), S. 995.

[8] Vgl. Schwartz, Barry (2000), S. 79.

[9] Vgl. Scheibhenne, Benjamin/Greifeneder, Rainer/Todd, Peter M. (2010), S. 410.

[10] Vgl. Iyengar, Sheena S./Lepper, Mark R. (2000), S. 1003.

[11] Vgl. ebenda.

[12] Vgl. Iyengar, Sheena S./Lepper, Mark R. (2000), S. 1003.

[13] Vgl. Fasolo et al. (2009), S. 254.

[14] Vgl. Iyengaar, Sheena S./Wells, Rachel E./Schwartz, Barry (2006), S. 50.

[15] Vgl. Scheibhenne, Benjamin/Greifeneder, Rainer/Todd, Peter M. (2010), S. 411.

[16] Vgl. Diehl, Kristin/Poynor, Cait (2007), S. 312.

[17] Vgl. Kahn, Barbara E./Lehmann, Darrin R. (1991), S. 274.

[18] Vgl. Anderson, Chris (2006), S. 69ff.

[19] Vgl. Berger, Jonah/Draganska, Michaela/Simonson, Itamar (2007), S. 460.

[20] Vgl. Hutchinson, John M. C. (2005), S. 73.

[21] Vgl. Scheibehenne, Benjamin/Greieneder, Rainer/Todd, Peter M. (2010), S. 418f.

[22] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 118.

[23] Vgl. Rudolph, Thomas/Schweizer, Markus, S. 11.

[24] Vgl. Schuh, G./Schwenk, U. (2001), S. 17.

[25] Vgl. Rudolph, Thomas/Schweizer, Markus, S. 11.

[26] Vgl. Pine, B. J. (1993), S. 44.

[27] Vgl. Peppers, D./Rogers, M. (1997), S. 14.

[28] Vgl. Troye, Sigurd Villads/Supphellen, Magne (2012), S. 33ff.

[29] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 116f.

[30] Vgl. Hildebrand, Volker (1997), S. 32.

[31] Vgl. Igl, Gerhard/Merkle, Werner (2003), S. 150.

[32] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 120.

[33] Vgl. Bardakci, Ahmet/Whitelock, Jeryl (2003), S. 468.

[34] Vgl. http://store.nike.com/de/de_de/ (2012).

[35] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 324.

[36] Vgl. Bea, Franz Xaver/Göbel, Elisabeth (2006), S. 160f.

[37] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 150.

[38] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 324.

[39] Vgl. Bardakci, Ahmet/Whitelock, Jeryl (2003), S. 471.

[40] Vgl. Bardakci, Ahmet/Whitelock, Jeryl (2003), S. 471.

[41] Vgl. ebenda.

[42] Vgl. ebanda.

[43] Vgl. ebenda.

[44] Vgl. Piller, Frank Thomas (2006), S. 143.

[45] Vgl. Bardakci, Ahmet/Whitelock, Jeryl (2003), S. 470.

[46] Vgl McCutcheon, D. M./Raturi, A. S./ Meredith, J. R. (1994), S. 89.

[47] Vgl. Bardakci, Ahmet/Whitelock, Jeryl (2003), S. 470f.

[48] Vgl. ebenda, S. 324.

[49] Vgl. Choi, Jinhee/Fishbach, Ayelet (2011), S. 544f.

[50] Vgl. ebenda.

[51] Vgl. Ordonez et al. (2009), S. 6.

[52] Chang, Chia-Chi/Chen, Hui-Yun (2009), S. 7.

[53] Vgl. Choi, Jinhee/Fishbach, Ayelet (2011), S. 545.

[54] Vgl. Chernev, Alexander (2003), S. 170.

[55] Vgl. Choi, Jinhee/Fishbach, Ayelet (2011), S. 545.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955497507
ISBN (Paperback)
9783955492502
Dateigröße
4.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Trier
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Information Overload Produktkonfigurator Mass Customization Informationstechnologie Produktzusammenstellung
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